Franz Grillparzer
Studien zur Litteratur
Franz Grillparzer

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3. Studien zur lateinischen Litteratur.

Plautus.

(1853.)

Wenn wir mit Recht Plautus hochsetzen, Horaz aber geringschätzig von ihm spricht, so läßt sich das sehr gut so vereinigen, daß Horaz wahrscheinlich die griechischen Originale kannte, nach denen Plautus arbeitete, und fand, daß dieser sie häufig ins Plumpe herabgezogen hatte, indes wir, denen die Originale verloren gegangen sind, den ganzen Inhalt jener Stücke dem Plautus zu gute schreiben. Wirklich steht auch die Unbehilflichkeit der Prologe und fast aller Stellen, wo etwas erzählt wird, beim Plautus in einem schreienden Widerspruche mit dem häufig vortrefflichen Dialoge.

In der wunderlicherweise punisch gegebenen Anrufung Hannos an die Götter im Pönulus des Plautus ist, besonders gegen den Schluß, etwas Jüdisch-Hebräisches.


Terentius.

(1856.)

Kann ich nicht genug Lateinisch, oder sind die Exemplare des Terentius so mangelhaft, vieles verstehe ich in diesen Komödien nicht. Aus dem Sinn erraten kann ich es so gut als die Kommentatoren, daß aber das römische Volk so gewandt gewesen sein sollte, um derlei dunkle Andeutungen im Vorüberrollen der Rede zu verstehen, bleibt mir immer rätselhaft.


Lucretius.

(1849.)

Als ein Beispiel der Ton-Nachahmung jene zwei Verse des Lukrez V, v. 1219 und 20:

Fulminis horribili eum plaga torrida tellus
Contremit, et magnum percurrunt murmura coelum.

Die i blitzen, das a in plaga schlägt ein und die u donnern.


(1859.)

Halb komisch ist es, wenn Lucretius, nachdem er die drei Bestandteile der Seele: den Hauch, er nennt es auch Wind (aura), die Luft und Wärme, angegeben hat und ganz richtig meint, daß durch diese die Empfindung nicht erklärt werde, noch einen vierten hinzufügt, der nicht einmal einen Namen habe, und von dem er auch nichts weiß, als daß er aus den feinsten Teilen bestehe. In diesem vierten Teile nämlich besteht die ganze Schwierigkeit, und wenn man von ihm nichts weiß, so bleibt das Ganze unerklärt.


Virgilius.

(1848–1849.)

Virgil sagt etwas Gutes über den Instinkt der Tiere, namentlich ihr Vorausempfinden der Witterung, Er meint, ihr Inneres sei aus einem gröberen Stoffe, als das der Menschen, daher es von der größeren oder geringeren Dichtigkeit der Luft unmittelbarer berührt und verändert wird. Georgica I, 417.


(1861.)

Das Schönste in der Aeneide ist, wenn Aeneas in die Unterwelt kommt, dort den Schatten der Dido trifft, sie anspricht und sich entschuldigt. Sie aber antwortet ihm nicht, kehrt sich um und geht zu ihrem Mann Sichäus.


Horatius.

(1834.)

Auf welchen Umstand spielt jene Stelle beim Horaz an: Ac veluti te Judaei cogemus in hanc concedere terram?Satiren I, 4. 147 f.

Die gewöhnliche Erklärung, daß die Bekehrungssucht der Juden damit gemeint sei, ist falsch. Die Juden waren nicht bekehrungssüchtig, vielmehr betrachteten sie ihre Religion als ein Nationalgut, das sie gar nicht Lust hatten, andern mitzuteilen. Die Christen träfe es wohl, aber Horaz starb vor Christi Geburt.

Zusammengehalten mit dem sprichwörtlich gewordenen Credat Judaeus Apella der nächsten Satire scheint es zu beweisen, daß schon damals jüdische Rabbiner oder sonstige Gelehrte in Rom auf ihre Religion aufmerksam gemacht und damit teilweise nicht geringen Beifall gefunden hatten. Ein Umstand, der auf die Erscheinung des Messias gerade in jener Zeit und auf die spätere schnelle Verbreitung des Christentums nicht ohne Einfluß gewesen sein dürfte.

Bald darauf in der 9. Satire des 1. Buches [v 69. 70.] hodie tricesima sabbata: vin tu Curtis Judaeis oppedere?


Ovidius.

(1848.)

Merkwürdig, daß Ovid aller Dichter seiner Zeit gedenkt, nur Horazens nicht. Sollte das Aehnliche in ihrer Natur eine Art, soll ich sagen Handwerksneid? zwischen sie gesetzt haben? Ein Früher oder Später kann in ihren Werken nicht stattgefunden haben, da beide von Virgils Aeneis als einem vollendeten Gedichte sprechen.


Lucanus.

(1822.)

Bis zu einem lächerlicheren Grad des Unsinns ist die Schmeichelei wohl noch nie getrieben worden, als in der Anrede Lukans an den Nero. Freilich mußte das Lob dem Geschmack des Gelobten angepaßt werden, auch war Nero bekanntlich auf Lukans Dichtertalent eifersüchtig, und konnte wohl nur auf solche Art bewogen werden, ihm sein Gedicht zu verzeihen.

*

Wie miserabel Cäsars Uebergang über den Rubikon! Sehr gut dagegen die Stimmung des Volks in Ariminum; wie sie bei Nacht zagen, zugleich aber mit dem Tage die Zuversicht erwacht.

*

Herrlich ist beim Lukan die Beschreibung der Wunderzeichen im ersten Buch. Wie mager ist er in der Komposition und wie reich, wenn er ausschmückt!


Cicero

(1834.)

Wenn man gewöhnlich als ein Zeichen der Barbarei des Altertums anführt, daß sie den Fremden hostis (Feind) genannt hätten, so meint dagegen Cicero, De officiis I, 12, es sei ein Zeichen der Milde, daß man den Feind (perduellis) mit dem Namen: Fremder (hostis) belegt. – Obwohl das etwas gezwungen scheint.


(1834.)

Der berüchtigte Brief des Cicero an den Luccejus, in dem er ihn bittet, die Geschichte seines Konsulats zu schreiben, ist, obwohl eitel und selbstgefällig genug, doch nicht gar so arg, als man ihn gewöhnlich betrachtet. Es ist offenbar ein guter Teil schriftstellerische Selbstobjektivierung darin. Cicero hatte sich das dem Luccejus zugemutete Werk schon selbst künstlerisch zusammengedacht, und vergaß im Eifer der Komposition gewiß manchmal darauf, daß er selbst der Held der Darstellung sei, obgleich es ihm bei genauerer Besinnung freilich sehr lieb sein mochte, dieser Held wirklich selber zu sein. Dann schien ihm seine Befreiung Roms so gut, so heilvoll. Ungemischte Eitelkeit hatte sich doch nicht gar so bloß gegeben. Er war eigentlich in seine That verliebt, und nur nebenbei in sein Selbst.

Viel widerlicher dagegen ist mir die unmittelbar darauffolgende pulcherrima epistola an denselben Luccejus, wo er sich unter den obwaltenden Widerwärtigkeiten im Vergleich mit seinem Freunde einen größern Starkmut zuschreibt, da Luccejus noch immer auf einen besseren Zustand der Republik hoffe, indes er selbst aushalte, ohne etwas zu hoffen. Der gute Mann, der nicht einsah, daß diese Ruhe die Frucht seiner charakterlosen Versatilität war, und daß einem Republikaner, der in der Republik verzweifelt, zukommt zu sterben, aber nicht ruhig zu sein! Dann ist eben dieses Aufgeben aller Hoffnung die eigentliche Mutlosigkeit. Der Mut hofft immer, weil er sich einer Kraft bewußt ist.


(1848.)

Das I. Kapitel des III. Buches ad Herennium scheint darzuthun, daß die Schrift nicht von Cicero ist. Der Verfasser spricht da im Tone eines Lehrers ex professo zu seinen Schülern und zwar des Aelteren zu dem Jüngern, so daß auch der Ausweg, daß Cicero sie in seiner Jugend verfaßt habe, abgeschnitten wird.

Warum sollte nicht der gemeinschaftliche Lehrer des Cicero und des Herennius sie verfaßt haben, wer es nun immer auch gewesen sein möge.


(1858–1859.)

Ciceros Briefe an Atticus vor und nach der pompejanischen Niederlage sind wirklich unerträglich. Bei aller Kleinmütigkeit immer etwas thun zu wollen, was das Aussehen der Starkmütigkeit (fortiter factum) hätte. Alles, was er augenblicklich gethan hätte, war gleich gut: ob er zum Pompejus ging, oder in Italien blieb, oder am besten sich an einen neutralen Ort begab, aber indem er den Augenblick versäumte, geriet alles gleich.

Solche Charaktere müssen der ersten Eingebung folgen; bei langer Ueberlegung wählen sie immer das Ungeschickteste. Seit der Unterdrückung der catilinarischen Verschwörung kam etwas Gemachtes in Ciceros Natur und so hat er denn herumgetaumelt, seiner selbst unwürdig.

Sollte unter den Gründen, warum er dem Pompejus folgen wollte, außer der Dankbarkeit (von der er selbst gesteht, daß sie nur sehr mangelhaft begründet war) und vor allem der zu bewahrenden amplitudo, nicht auch der Umstand gewesen sein, daß er ihm, dem Pompejus, Geld geliehen hatte?

*

Endlich ganz läppisch wird Cicero mit dem Grabmal seiner Tulliola, die keiner von beiden Männern mochte, denen er sie hintereinander ziemlich unbedacht vermählte, da sie beide Lumpe waren. Auch nachdem er selbst sich von seinem Hauskreuz Terentia geschieden hatte, heiratet er schon im vorgerückten Alter eine Jungfrau, von der er aber nicht will, daß sie zu ihm komme, obwohl sie ihn darum bat; das ist nun freilich viel Unsinn, worüber ich ihn aber nicht tadeln kann, da ich selbst nicht viel besser bin. Er war eben eine ästhetische Natur, die nicht leicht wieder ins Gleichgewicht kommen, wenn sie es einmal verloren haben.


(1859.)

Es ist viel von Ciceros Eitelkeit die Rede, die sich wohl auch nicht ableugnen läßt. Aber seine thatkräftig und erfolgreich ausgeführte Unterdrückung von Catilinas Verschwörung setzte den an die Studierstube und die Rednerbühne gewohnten Mann gewissermaßen in Erstaunen über sich selbst. Die That wurde ihm rein objektiv und er bewunderte sie wie die eines andern. Zugleich darf man nicht vergessen, daß sie von allen Seiten angefochten, verkleinert, ja von einer mächtigen Partei, nur zu erfolgreich, ihm zum Verbrechen gemacht wurde. Hierher gehört der, als kindisch-eitel bezeichnete Brief an den Geschichtschreiber Luccejus. Cicero wollte nicht nur schon bei seinen Lebzeiten berühmt, er wollte auch bürgerlich sicher und staatsmännisch unangefochten sein. Wenn er ihm sagt, er solle bei der Erzählung von Ciceros Konsulat im Loben die Grenzen der Wahrheit überschreiten, so ist das offenbar ein Scherz, denn so schreibt niemand, der kein Dummkopf ist, an einen anderen im Ernst.


Livius.

(1846.)

Man lobt den Stil des Livius über alle Maßen. Ueber die Vortrefflichkeit dieses Schriftstellers bin ich mit der ganzen Welt einverstanden; sein Stil aber, verglichen mit dem Stil Cäsars oder selbst Ciceros, ist nicht frei von Affektation.


Seneca.

(1856.)

Die Erzählung von der Begnadigung des Cinna in der Abhandlung des Seneca de clementia ist so dramatisch vortrefflich, daß wenn die unter Senecas Namen gehenden Tragödien wirklich denselben Verfasser haben, man nicht begreift, wie sie nicht unendlich besser geraten sind.


(1857.)

Es ist merkwürdig, daß Seneca, der eifrige Stoiker in seinen Briefen an den Lucilius zum Schluß, mit voller Billigung immer einen Spruch des Epikur hinzugefügt. Epikur scheint eben ein gescheiter Mensch gewesen zu sein, dessen voluptas mit Kants Glückseligkeit unter Bedingung der Sittlichkeit eine große Aehnlichkeit hatte.


(1858.)

Es sind mehrere Zeichen, daß die Tragödien des Seneca gar nie zur Aufführung bestimmt waren: z. B. wenn Theseus die zerstreuten Glieder seines Sohnes Hippolytus aufsucht und zusammenstellt; wo im Oedipus das Stieropfer als gegenwärtig stattfindend vorgestellt wird. Alles Gründe zu glauben, daß ein in Deklamationen starker Philosoph sie in müßigen Stunden zu eigener Unterhaltung zusammengestellt hat.


(1859.)

In der Consolatio ad Helviam wird Seneca, nachdem er früher nach Gewohnheit seine übertriebenen und steifen Argumente vorgebracht hat, warm und wahr, wenn er auf seine Familie zu sprechen kommt.

*

Die Consolatio ad Marciam ist sehr gut, namentlich der erhabene Schluß, und dieser, ich bin überzeugt, hat sie getröstet.

*

Ob die Consolatio ad Polybiam von Seneca ist? Ein paar Stellen, die ich nicht wieder finden kann, haben allerdings nicht die geschlossene Form, die man an Seneca gewohnt ist. Was den Inhalt betrifft, so war Seneca seiner Verbannung in Corsica wohl herzlich müde. Wenn er darin seinen Grundsätzen untreu wird, so war die Schrift, wie es scheint, an einen zwar litterarisch gebildeten, aber eiteln und oberflächlichen Mann gerichtet, dem er zu Munde reden wollte, um durch ihn wieder eingesetzt zu werden, ja das Ganze sollte wohl dem Kaiser selbst gezeigt werden. Daher die Schmeicheleien für diesen letztern, die etwas von ihrer Unverschämtheit verlieren, wenn man bedenkt, daß auf einen wahnsinnigen Caligula ein von vornherein wenigstens gutmütiger Charakter, wie der des Claudius, allerdings wie ein rettender Genius erscheinen mußte. Daß dadurch die Meinung von Seneca bedeutend geschwächt wird, mag nur denjenigen wundern, der in den stoischen Uebertreibungen seiner übrigen Schriften nicht mehr die Studierstube als das Leben des Hof- und Staatsmannes erkannt hat.

*

Die Franzosen haben ihre Prosa wohl vorzüglich nach den Lateinern gebildet und darunter dürfte Seneca wohl obenan stehen. Die Engländer nähern sich mehr den Griechen, schon darum, weil sie mehr überzeugen, als blenden.



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