Franz Grillparzer
Studien zur Litteratur
Franz Grillparzer

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5. Studien zur französischen Litteratur.

Corneille und Racine.

(1817.)

Man hat das: Soyons amis, Cinna! des Corneille über die Maßen gepriesen und an und für sich auch mit Recht, ein edles Gemüt könnte sich in Augusts Lage unmöglich schöner aussprechen, als gerade mit diesen Worten. Aber bemerken wir, was unmittelbar vor diesen Worten hergeht. Wie August die Welt und Nachwelt auffordert, auf ihn und seinen Sieg über sich selbst zu schauen. – Es ist eine Erbärmlichkeit in dieser ganzen Stelle, die nur gefühlt werden kann. Ueberhaupt ist die ganze Art, wie August im Cinna eingeführt wird, das Unglücklichste, wozu die Notwendigkeit, fünf Akte herauszubringen, und die Wut, auf Stelzen zu gehen, je einen Autor verleitet hat. Wie jämmerlich, daß August sich selbst seine eigenen Vergehen vorhalten muß, um sich das Verzeihen möglich zu machen; wie schrumpft die Götterfigur zusammen, in deren Munde das: Soyons amis, Cinna! allein eine erhebende Bedeutung haben kann. Ueberhaupt finde ich, daß jene Stücke des Corneille, die die Franzosen seine Meisterstücke nennen, gerade, dem Wesen nach, die schlechtesten sind, wie dieser Cinna oder Horace, für die ich mit allem ihrem Wortgepräng und Sentenzenkram keinen Groschen gäbe.


(1858–1859.)

Die sonst schwer zu erklärende Erscheinung, wie ein so vortrefflicher Dichter als Corneille, dessen erste Werke auch so vortrefflich sind, nach und nach so schlecht werden konnte, erklärt vielleicht nichts so sehr, als sein Trauerspiel Theodora. Er hatte den Kopf voll spanischer, bewegungsvoller Stoffe und sollte diese nun in der von Kardinal Richelieu octroyierten, durch die alten sanktionierten und von Boileau fixierten magern und engen Form ausführen. Bordellzumutungen in hochtrabenden Alexandrinern ist nun freilich das Lächerlichste, ja Unanständigste, was sich denken läßt. Die Vorführung des Bordells selbst wäre das letztere nicht halb so sehr. Nachdem er nun auf diese Art die Sicherheit der Geistesrichtung verloren hatte, verlor er auch die Fähigkeit, eigentlich französisch korrekte Stoffe mit Feuer und Ueberzeugung auszuführen.


(1824.)

Les frères ennemis. Eine eigentlich legitime Tragödie. Das Blut entscheidet darin in letzter Instanz über alles, über das Verbrechen, wie über das Kronenrecht. Die Anordnung schwach, die Erfindung der Zwischenbegebenheiten dürftig; in der Gegenüberstellung und Haltung der beiden Brüder aber schon der Geist sichtbar, der in seinen späteren Werken der Stolz der französischen Bühne ward. Polynices eigentlich, vornehmlich für unsere volkssouveränen Zeiten, empörend; aber groß aufgegriffen im Sinne des Siècle de Louis XIV, ein wahrer aristokratischer Held; nur zu weit getrieben durch das sündige Blut in seinen Adern und die Wut seines Stammes. Wenn der Kontrast beider Brüder auch nicht die Genialität der Idee des Euripides erreicht, der gleichfalls auf die Seite des Polynices tretend ihn den sanfteren von beiden sein und nun, furchtbarerweise, ihn zuerst den Bruder zum Kampfe herausfordern läßt – so ist die Gegenüberstellung des Racine doch nicht weniger künstlerisch vollkommen. Der heimtückische Eteocles pocht auf die erschmeichelte Stimme des Volkes, Polynices will niemandem die Krone verdanken, als seinem Arm und dem Recht seiner Geburt. Man kann darauf wetten, daß ein Dichter von heute die Brüder gerade umgekehrt behandelt hätte; aber man muß jeden Dichter in seiner Zeit beurteilen, und wenn die Thébaide nur sonst ein gutes Trauerspiel wäre, die von Racine gewählte Haltung der Charaktere der beiden Brüder trägt nichts bei, es zu einem mittelmäßigen zu machen.

Die schlechteste Figur Creon. Die Art, wie alle handelnden Personen umkommen, wahrhaft läppisch. Große Züge überall, aber das Beste erliegend unter dem Zwang einer als unfehlbar überlieferten Theaterkonvenienz.


(1838.)

Der ganz gute Kunstgriff, daß durch eine später sich als falsch bewährende Nachricht die Absichten und Leidenschaften der handelnden Personen ans Licht treten und ungescheut sich äußern, wird von Racine denn doch gar zu oft angewendet: Phädra, Bajazet, Mithridates.


(1840.)

Warum sagt in der jetzt etwas kahlen siebenten Scene des dritten Aktes der Andromaque von Racine Pyrrhus nicht: Wenn euer Sohn der meinige ist, kann ich ihn schützen, und Griechenland wird aufhören, ihn zu fürchten? Jetzt ist die Scene doch gar zu sehr eine Wiederholung der früheren Lagen und Gesinnungen, und dies genaue Zurückfallen ins nämliche schadet dem Charakter des Pyrrhus.

*

Racine, ein so großer Dichter, als je einer gelebt hat, mußte eben dafür büßen, an die Scheidegrenze der Mittel- und neueren Zeit hingestellt zu sein, wo die heroischen Leidenschaften des Mittelalters noch fortglimmten, indes ein schauprunkender König beschlossen hatte, keiner von ihnen ferner Spielraum zu geben, als jener Minne, die durch Förmlichkeit längst zur Galanterie herabgesunken war. Fünfzig Jahre früher, und der Dichter hätte all jene Tapferkeit, Haß, Blutrache, Herrsch- und Ruhmsucht in ihrer ursprünglichen Gewalt dargestellt; fünfzig Jahre später, und er hätte sie schon so abgeschwächt gefunden, daß er sich seiner Neigung für sanftere Empfindungen unbedingt hätte überlassen können. So aber finden sich jene herben Elemente in dieses süßliche Medium eingetaucht. Und das ist sein Fehler, aber auch sein einziger.


(1844.)

Ist der Alexander von Racine auch eine sehr schwache Jugendarbeit, so ist doch die Scene zwischen ihm und Ariana (dritter Akt) nichtsdestoweniger meisterhaft.


(1852.)

Mamsell Rachel wird nach Wien kommen. Da man noch nicht weiß, wie gut, wie vortrefflich, oder wie mangelhaft sie sein wird, so beschäftigen sich die Journale vorderhand mit ihrem Repertoire und meinen, für jeden Fall werde sie in schlechten Stücken auftreten, in den Trauerspielen von Racine und Corneille nämlich. Ich fühle mich gar nicht berufen, den unbedingten Lobredner der französischen Tragödie zu machen, aber es muß dem Sachkundigen immer schmerzlich fallen, die Grundsuppe der Litteratur, die Nachbeter und Uneinsichtigen geringschätzig von Werken reden zu hören, die den Stolz ihrer Zeit ausmachten und einen, wenngleich bedingten, Wert für alle Jahrhunderte behalten werden.

Die Geringschätzung der französischen Tragödie hat in Deutschland eine große Autorität für sich. Lessing nämlich, der sich im Eifer der Diskussion sogar zu der Aeußerung hinreißen ließ: Man nenne mir ein Stück des großen Corneille, das ich nicht besser machen könnte. Wenn er damit meinte »verbessern«, so mochte er allerdings recht haben. Ich kenne kein Werk irgend eines noch so großen Dichters, das nicht Fehler hätte und das man daher nicht verbessern könnte. Hatte er aber damit gemeint, »von vornherein besser oder auch nur ebenso gut zu machen als Corneille«, so wäre er in einem großen Irrtum befangen gewesen, schon darum, weil Corneille ein eigentlicher Dichter war, Lessing aber in seiner Vielseitigkeit die Poesie nur nebenbei zum Ausruhen von anderer Beschäftigung trieb. Er fand seine Landsleute in der sklavischen Nachahmung der Franzosen befangen und wollte sie ihnen verleiden, worin er ganz recht hatte. Er wies sie statt dessen auf das Beispiel Shakespeares hin, befolgte aber für sich selbst vielmehr die Grundsätze Diderots im weinerlichen Lustspiele und dem bürgerlichen Trauerspiele, worin er sehr unrecht hatte. Ueber letzteres, das bürgerliche Trauerspiel, hat ein viel mehr berufener Richter, weil selbst großer Poet, Schiller nämlich, sein Urteil in den Worten niedergelegt:

Was kann der Misère denn Großes begegnen?

Um übrigens einer so großen Autorität, als Lessing ist, nicht mit seiner eigenen Meinung gegenüberzutreten, kann sich ein Sachwalter des . . .

*

Nur eben hat uns eine bedeutende französische Schauspielerin verlassen. Das Urteil über sie ist, wie meistens in außergewöhnlichen Dingen, sehr geteilt. Die einen loben sie unbedingt, die andern verwerfen sie als im höchsten Grade übertrieben; die meisten lassen ihr Gerechtigkeit widerfahren und bedauern nur, daß sie ihre Kunst an schlechte Stücke verschwendete. Mit diesen schlechten Stücken meinen sie nicht z. B. Adrienne Lecouvreur, welches von einem vorzüglichen Dichter Namens Scribe herrührt, sondern die Tragödien von Corneille und Racine, den Stolz der ältern französischen Bühne und ihrer Zeit, die Bewunderung von ganz Europa.

Was nun diese Bewunderung einer frühern Zeit betrifft, so meinen sie, daß das nicht viel zu bedeuten habe. Wir seien inzwischen so weit vorgeschritten, daß derlei veraltete Anerkennungen uns nichts mehr angingen. – Alle diese Fortschritte in Eisenbahnen, elektrischen Telegraphen, überhaupt in allen Naturwissenschaften zugegeben, scheint doch nicht, daß eine Zeit, in der ganz Europa mit Asien, Afrika und Amerika nicht einen einzigen Dichter von Bedeutung aufzuweisen hat, sich im Fache der Poesie als so sehr vorgeschritten betrachten könne. – Ja, aber wir haben Goethe und Schiller gehabt! – Gehabt ist nicht Haben und der Reiche kann den Pfennig wegwerfen, den der Bettler auflesen muß. – Auch sind die Griechen von uns noch entfernter als Racine und Corneille; demungeachtet ehren wir ihre Dramen noch immer als Meisterwerke. Wenn nun der Geist der Griechen durch ihre uns nicht mehr gemäße Form noch immer auf uns einwirkt, bei den Tragödien der Franzosen aber das Entgegengesetzte eintritt, so ist es nicht mehr die Form, nicht mehr das Veraltete, nicht mehr die Zeit, es sind nicht mehr bloß die Stücke, die wir tadeln, es sind die Dichter selbst, es sind Corneille und Racine, die wir für schlechte, oder wenigstens höchst unbedeutende Dichter erklären.

Diejenigen, die letzteres thun, haben einen großen Gewährsmann für sich: Lessing nämlich. Dieser ging in seiner Anfeindung der französischen Tragödie so weit, daß er sich zu dem Ausspruche hinreißen ließ, man möge ihm ein Trauerspiel des großen Corneille nennen, das er nicht besser machen wolle. Wenn nun Lessing damit meinte: verbessern, so müssen wir ihm unbedingt recht geben. Denn da jeder Dichter, als Mensch, seine Fehler hat, so wird auch ein minder ausgezeichneter Geist als Lessing dieses oder jenes noch so vortreffliche Stück verbessern können. Sollte er aber damit gemeint haben »von vornherein besser oder überhaupt nur ebenso gut machen, als der große Corneille«, so mögen wir mit Recht daran zweifeln, schon aus dem einfachen Grunde, weil Corneille ein großer Dichter war, Lessing aber, bei der Universalität seiner Richtungen, nicht.


(1862.)

Die französischen Klassiker haben die Einfachheit der griechischen Stoffe nachgeahmt und nicht beachtet, daß bei den Griechen der Chor, die Musik, der Tanz schon von selbst eine Mannigfaltigkeit hineinbrachten.


Molière

(1861)

Ich zweifle keinen Augenblick, daß Molière im Misanthropen sich selbst geschildert hat. Einmal wimmelt es darin von kleinen intimen Nuancen, die nur derjenige findet, der das Dargestellte selbst empfunden hat. Daß des Misanthropen Meinung von der Poesie Molières eigene war, leugnet niemand. Sogar der unbefriedigende, stumpfe Ausgang des Stückes deutet darauf hin und wird jeder Dichtung eigen sein, die aus Selbstironie hervorgegangen ist, wie z. B. Goethes Wilhelm Meister und Tasso zeigen. Wie er von Eifersucht, und zwar gegründeter, geplagt war, lehrt die Geschichte seines Lebens. Nun endlich dieses sein Leben selbst. Ein Dichter im eigentlichen Sinne des Wortes, auf das Edle und Große hinstrebend, wie er denn von der Darstellung ernster Charaktere nur durch wiederholtes Verunglücken auf der Bühne zurückgeschreckt wurde, und nun genötigt, den Lustigmacher, den Hans Narren zu spielen, mitten im Jubel des Beifalls sich wahrscheinlich selbst verachtend über die Versündigung an seinem besseren Innern. In der Gesellschaft tief unter denjenigen stehend, die er nicht einmal als seinesgleichen anerkennen konnte. Selbst der Misanthrop fiel durch, als nicht pudelnärrisch genug. Mußte sich da nicht eine Feindseligkeit gegen die gesellschaftlichen Zustände ansetzen? Ich denke hier an Raimund, der, obgleich tief unter Molière stehend, doch hierin eine Aehnlichkeit mit ihm hatte. Wie nahe Molière der eigentlichen Gemütspoesie stand, von der ihn nur das Zeitalter und vielleicht der überlegene Einfluß seines Freundes Boileau zurückschreckte, zeigt nebst einzelnen Stellen in allen seinen Werken vor allem das kleine Bruchstück: Melicerte. Der Monolog der Heldin im zweiten Akt zeugt von einer seine Zeit weit überflügelnden Empfindung, wie sie selbst bei Racine selten vorkommt.

*

Ob nicht der Name Tartuffe von dem aus Scherz dem Deutschen nachgeahmten Worte: Der Teuff oder Dar Teuff (der Teufel) herkommt, dessen sich die Franzosen noch heute wie Vas is das, Surcrout, la Schlague, bedienen. Die Verwechslung von D und T ist ebenso natürlich, da sie die Deutschen überhaupt wegen ihrer harten Aussprache der weichen Buchstaben auch beim Französischreden lächerlich finden.

*

Es ist merkwürdig, wie in den frühesten Stücken Molières die Empfindungspoesie hervortritt und erst später der Verstandespoesie den Platz räumt, z. B. in dem freilich etwas absurden dépit amoureux die Figur des mannweiblichen Ascagne. Das hing ihm wohl noch von den Spaniern an, so wie die Buffonerie von den Italienern. Vielleicht hat erst die Bekanntschaft mit Boileau und der Vorgang der damaligen Tragödie den Streit zu Gunsten des Stils und der Reflexion entschieden.


Voltaire

(1817.)

Es ist unbeschreiblich, wie sehr Voltaire in seiner Henriade, diesem verifizierten Siècle de Henri IV, das Wesen der Poesie verkannt hat. Ueberall Begriffe, nirgends Bilder, und wann er auch manchmal pour assaisonnement ein Bild einstreuen will, so erstarrt es in seiner kalten Hand augenblicklich zum Abstrakten. So wenn er den Tod des Joyeuse malen will:

Telle une tendre fleur, qu'un matin voit éclore
Des baisers du Zéphyre et des pleurs de l'Aurore,
Brille un moment aux yeux, et tombe avant le temps
Sous le tranchant du fer,

Bis hierher mag's angehen, obwohl man darunter eher den Tod einer petite maîtresse als eines Heros suchen sollte, aber der Schluß:

                          ou sous l'effort des Vents,

und der Teufel hat das Bild geholt. Er hat keine bestimmte Blume gemalt, den Begriff einer geknickten Blume, irgend eine Blume hat er gegeben. Hier ließe sich noch einiges einwenden, aber nun ein anderes. . . .


(1824.)

Rome sauvée. Es ist merkwürdig, daß Voltaire, laut der Vorrede, glaubt, in diesem Stücke ein treues Bild der damaligen Zeit aufgestellt zu haben. Catilinas ganzes Gepräge ist vermischt. Da ist nichts von seiner Heuchelei, seiner Versatilität, seiner Gabe zu verführen, seiner verhöhnenden Schmeichelei. Sein Verhältnis zum Lentulus, – den er eigentlich zum Narren hatte und dessen lächerlichen Ehrgeiz er bis zum halben Wahnsinn steigerte – wie kahl, ins Allgemeine und Unbezeichnende herabgezogen. Catilina selbst ein Komödie-Bösewicht. In Cicero sah Voltaire sich selbst und er ist daher hie und da quecksilberner ausgefallen als billig. In den Anweisungen für den Schauspieler läßt er Cicero weder gehen, noch sprechen: il court, entre avec précipitation, il s'écrie u. s. w. Im übrigen freilich pomphaft genug. Unbegreiflich bleibt, wie Voltaire das Dramatische des Moments nicht fühlte, da Cicero den Catilina mit der ersten seiner vier Reden im Senate andonnerte, die Senatoren von ihren Sitzen aufstehen, und die ganze Seite der Bänke, wo jener saß, leer bleibt, in ihm selbst die Angst des bösen Gewissens und die Unverschämtheit wechseln, bis die letztere, wenigstens für Augenblicke, den Sieg erhält, und er mit seinem incendium meum, ruina vestra exstinquar (oder ungefähr so) den Senat verläßt. Wie dramatisch, wie lebhaft!

Cato ist am übelsten weggekommen. Er applaudiert unaufhörlich dem Cicero und schiebt seine Phrasen ein, wo er einen Raum findet. Cäsar liest Kollegien über sich selbst, und d'Alembert hatte nicht unrecht, wenn er den Vers: Permettez que César ne parle point de lui für den schlechtesten des Stückes hielt. Dramatisches Interesse hat eigentlich nur der vierte Akt, oder vielmehr dieser Akt ist das ganze Stück. Nicht als ob ich diesen Akt loben wollte, kein Catilina, aber am Ende doch ein Drama. Die drei ersten Akte bestehen aus dem inkonzisesten Hin- und Herreden, was man sich denken kann. Die Auftritte sind ohne Organismus nebeneinander hingestellt, und selbst der französischen Regel: de ne jamais laisser la scéne vide werden die eklatantesten Nasen gedreht. Die ersten drei Akte lassen sich unter keiner Voraussetzung rechtfertigen. Der vierte und fünfte nur dann nicht, wenn man einen Catilina schreiben wollte; und noch dazu einen Catilina, der, wie die Vorrede besagt, ein Gemälde seiner Zeit und der darin auftretenden Personen geben sollte.


(1852.)

Voltaire glaubte ganz bestimmt und aufrichtig an Gott und nahm seinen Freunden, den Enzyklopädisten, ihren Atheismus sehr übel. Der zweite Brief an L. C. (Condorcet) Correspondance générale T. IX, No. 413 ist eigentlich erhaben zu nennen. Seine Ansichten über das, was er qualitates occultae heißt, über das Unzureichende der menschlichen Vernunft hinsichtlich der ersten Gründe, ja der Erscheinungen in Geist und Natur, die Beziehung von jedem Einzelnen auf Gott, der allein das Wesen, alles andere aber nur modus sei. Wer hätte das hinter Voltaire gesucht?

Wer kennt ihn aber noch heutzutage? Man begnügt sich über ihn abschätzig zu sprechen, es fällt aber niemand ein, seine Correspondance zu lesen, die, alle seine Fehler zugegeben, seine Gutmütigkeit, Wohlthätigkeit, seinen Sinn für Freundschaft und sein Streben nach Wahrheit in das hellste Licht setzt.

Spötter der kirchlichen Religion war er wohl immer, aber eigentlich erbittert und angreifend wurde er erst, als die schändlichen Hinrichtungen der Calas, Sirven und La Barre den Fanatismus in seiner scheußlichsten Gestalt dargestellt hatten.

Ob der Philosoph, der der Meister Malebranches und seiner Nachfolger gewesen war, ohne daß sie's wissen und den Voltaire sich hütet zu nennen, wohl gar Spinoza ist? Uebrigens kennt Voltaire keinen Gott ohne Verstand und Willen wie jener.


(1856.)

Einer der merkwürdigsten Züge Voltaires ist sein Sinn für Freundschaft. Génonville, der ihm seine Geliebte, Mlle. Livry, abspenstig gemacht hatte, blieb sein Freund und er beklagt ihn noch nach seinem Tode in einem wunderhübschen Gedichte mit aller Wärme der Wahrheit. Dieses Gedicht und das unmittelbar darauf folgende Le Vous et le Tu (wobei auch Mlle. Livry gemeint ist) sind zwei seiner schönsten.


Rousseau

(1822.)

Ich lese Rousseaus Confessions und erschrecke darin mich selbst zu sehen.

*

Mais quoique M. de Pontvere fû un bon homme, ce n'étoit assûrement pas un homme vertueux. Rousseau Cofessions. Wie in die Augen springend ist hier dieser Gegensatz.

*

Mit welcher Naivetät Rousseau von sich selbst sagt: moi, qui me suis cru toujours, et qui me crois encore, à tout prendre, le meilleur des hommes. Das Geständnis eigener Fehler und Schwächen verliert wohl allen Wert, wenn man von seiner Vortrefflichkeit so überzeugt ist, als Rousseau es war. Sie vertreten dann bloß die Stelle des Schattens im Gemälde und heben das Bild statt es zu entstellen. Katty hat einen guten Teil von dieser Selbstschmeichelei.

*

Wie würde sich Rousseau gewundert haben, wenn ihn jemand den vollkommensten Egoisten genannt hätte, der jemals gelebt? Der in andern, mit denen er in Berührung kam, immer nur die Ideen liebte, die er mit ihren Personen in Verbindung bringen konnte, nie aber die Personen selbst; der daher auch keinen eigentlichen Freund, keine eigentliche Geliebte fand; der daher seine Kinder ins Findelhaus gab, bloß weil sie der Ausführung seines einmal gemachten Lebensplanes im Wege standen, und auch in der Folge mit gleicher Härte über ihr Schicksal ganz unbekümmert blieb; der, um ungeniert zu sein, das Weib, das ihm so zugethan war, als Maitresse hielt, statt sie durch den Namen seiner Frau glücklich zu machen; der ewig sich als den Mittelpunkt der ganzen Schöpfung, alles, was um ihn geschieht, als seinetwegen geschehen betrachtet, und wenn ein Erdbeben oder ein jäh ausbrechender Vulkan ihn im Schreiben gestört hätte, darin ein Komplott gegen seine Person gesehen haben würde; dessen Sucht nach Auszeichnung so groß war, daß, da er nicht alle Zeichen desselben allein besitzen konnte, er lieber gänzlich auf sie Verzicht that; der die Welt verachtete, weil er nicht in ihr zu leben verstand; den Ton der Gesellschaft, weil er sich ihn nicht aneignen konnte; der die Einsamkeit suchte, weil er nur dort das allein fand, was allein ihn auf der Welt interessierte, sich selbst nämlich, seine Gedanken, seine Empfindungen. Wenn ihm nun das jemand sagte, sich aber in alledem zugleich als seinen Bruder ankündigte, was würde er antworten? Nie hätt' er's geglaubt, und doch ist's so; ist so, ohne daß Rousseau dadurch eigentlich moralisch schlechter würde. Es ist der Zustand des völlig durch seine Gedanken beherrschten Menschen. Rousseau glaubte, er sei es durch seine Empfindungen, aber umgekehrt, denn diese entstanden immer erst aus jenen, oder vielmehr bloß aus jenen. Was ihm kein Feld für seine Ideen bot, da empfand er auch nichts, wie z. B. gegen seine Kinder, die seinen Lebensplan kreuzten, und die er daher entfernte. Nie hat er über sich ein wahreres Wort gesprochen, als wenn er sagt: j'ai besoin de me recueiller pour aimer, und darin liegt der Schlüssel seines Lebens. Wenn man sich seinen Gedanken, zumal in der Einsamkeit, ganz hingibt, so verschlingen sie die ganze Welt, nähren sich mit allem, was darin für sie genießbar ist, und bleiben zuletzt allein mit dem, der sie trägt, in einer wesen- und freudenlosen Wüste.

*

Das zwölfte Buch von Rousseaus Konfessionen kömmt mir auffallend verschieden von den vorhergehenden vor. Es ist, als ob der Verfasser, durch die lange Arbeit ermüdet, die poetische Anschauung seines Lebens und die dramatisch-konsequente Ausbildung des sich selbst geliehenen Charakters vergessen hätte und auf einmal in die Prosa der Wirklichkeit herabgefallen wäre. Seine Eitelkeit, die Sucht, sich durch Sonderbarkeiten auszuzeichnen, treten gar zu nackt hervor. Ueberall Spuren des ennui. Man merkt, daß er hier die Gegenwart beschreibt, die sich natürlich nicht so leicht idealisieren läßt, als die Vergangenheit.

*

Scheint es im zwölften und fünfzehnten Briefe (2. Band) der Heloise nicht, als ob St. Preux Lust hätte, sich selbst abzukühlen, und Julia es ihm verböte?


(1822.)

Rousseau in seinen Rêveris d'un promeneur solitaire macht eine lange Abhandlung über die Zulässigkeit der von ihm sogenannten unschädlichen Lüge. Genau genommen gibt es aber keine unschädliche Lüge; denn wenn der Mensch als Mensch eigentlich nur in Berührung mit andern seinesgleichen, in Gesellschaft, leben kann, jedes gesellige Verhältnis aber Vertrauen voraussetzt, und Vertrauen ohne Wahrheit nicht denkbar ist: so greift jede, auch die kleinste Lüge die Grundlage aller menschlichen Zustände an und jeder Lügner ist ein Verräter an seinem ganzen Geschlechte.


(1857.)

Wenn Rousseau wahrheitsliebend war, so ist er es erst später geworden. Er hat in seiner Jugend die Religion geändert, um leben zu können, und in seiner Komödie: Die Kriegsgefangenen, dem elenden Ludwig XV. aufs unverschämteste geschmeichelt.


(1859.)

Rousseau hat wahrscheinlich geglaubt, in der Neuen Heloise vorzugsweise ein Werk der Empfindung zu schreiben. Es ist auch voll Empfindungen, aber eine fehlt, die Mutter aller übrigen: das Schamgefühl, und Rousseau selbst – unbeschadet seiner großen Gaben – obwohl er sich wahrscheinlich unter die Gattung der St. Preux rechnete, war nichts als eine Art M. Wolmar.


(1868.)

Komisch ist, wenn Rousseau (Emile) meint, dadurch, daß er eingestehe, nicht recht gethan zu haben, daß er seine drei Kinder ins Findelhaus gegeben, schon die ganze Schuld abgebüßt zu haben, und daß es von da an unrecht sei, sie ihm noch vorzuwerfen. Er war ein amateur der Tugend.


Choderlos de Laclos

(1824.)

Diese Liaisons dangereuses sind zu fein, als daß sie wahr sein sollten! Uebrigens zu revoltant, um ein eigentliches Interesse zu erwecken. Der Brief Nr. 81 der Marquise de Merteuil an Valmont sublim in seiner Art. Es gibt keinen noch so verhärteten Bösewicht, bei dem die Gegenwart und der Anblick der Neigung eines tugendhaften Weibes nicht wenigstens für Augenblicke Einfluß auf die Gesinnung haben sollten. Wenn die Briefform für die Mitteilungen zwischen den beiden Intrigants die bequemste war, so konnte sie dagegen für das Verhältnis zwischen Valmont und der Präsidentin nicht unglücklicher gewählt sein. Nicht allein, daß der Verfasser dadurch genötigt war, das tugendhafte Weib gegen ihren Charakter Briefe schreiben und empfangen zu lassen, so ist dadurch auch die ungeheure Kluft vom Erwachen des Interesse bis zur überhandnehmenden Neigung so ziemlich leer geblieben. Die Erzählung hätte da viel mehr gekonnt.


Frau von Stael.

(1816.)

Peinlich ist die Schwüle, die über den ersten Bänden der Corinna der Frau v. Stael gelagert ist. Ich fühlte mich ordentlich erquickt, als ich heute im zweiten Bande die Stelle las, wo Lord Nelvil über die Engelsbrücke geritten kommt. Es war eine aus Freude und Verwunderung gemischte Empfindung, daß einer der Helden dieses Buches auch reiten oder überhaupt etwas anderes als reden könne. Ich habe dies Buch noch nicht ausgelesen, aber bis jetzt scheint mir der Plan einer der unglücklichsten, die je entworfen worden sind. Wenn auch Abwechslung überhaupt angenehm ist, so ist es keineswegs die zwischen warmem Gefühl und kaltem Verstand, wenn nicht Humoristik etwa diese Extreme verknüpft; sonst, und so ist es auch in der Corinna der Fall, wird leicht darüber der Verstand warm und das Gefühl kalt.


(1816.)

Es ist interessant, eine Parallele zu ziehen zwischen Jean Pauls Titan und der Corinna der Frau von Stael. Beide scheinen von einem Plan ausgegangen zu sein (Jean Paul, versteht sich, nur im Anfange seines Werkes). Beide suchen die Beschreibung von Italien dadurch, daß sie es wie eine Landschaft mit handelnden Personen staffieren, zu heben, aber wie verschieden ist der Erfolg! Indes die Landschaft bei Jean Paul stets Hintergrund bleibt, verschlingt sie in der Corinna die Figuren.


(1822.)

Die lächerliche Eitelkeit der Madame Stael leuchtet wohl nirgends so sehr hervor, als in ihrem letzten Werke: Zehn Jahre meiner Verbannung. Ueberhaupt ist mir das ganze Wesen dieser Frau unleidlich. Was für übertriebene Deklamationen; was für, wenn nicht gemachter, doch gesuchter Enthusiasmus: welche halbwahre Wahrheiten und allgemeine Sätze, die aufs höchste als besondere gelten. Sie steht an der Spitze der Schriftsteller, die nicht ihren Gegenstand zeigen wollen, sondern sich. Worin bestand denn das Unglück ihrer Verbannung? Daß sie nicht mehr in den Zirkeln von Paris glänzen konnte, an denen sie so läppisch hing. Ihre Klagen sind ein Verbrechen an allen, die damals wirklich Ursache zu klagen hatten.


(1830.)

Die Moral, die Madame Stael in der Vorrede ihrer Delphine predigt, ist eigentlich (ohne Verunglimpfung sei es gesagt) die Moral eines debauchierten Weibes. Mit den zwei Eigenschaften, die ihrer Meinung nach das Wesen der menschlichen Moralität ausmachen sollen: der Güte (bonté) und der Großmut, hat sie eigentlich nur die Gemütsvorzüge umschrieben, Körper und Geist aber ausgelassen mit dem, was sie angeht: Enthaltsamkeit und Gerechtigkeit.

*

J'ai souvent remarqué que c'est pas ses défauts que l'on gouverne ceux dont on est aimé.

Delphine. [1. Brief]

*

Die zwei ersten Briefe der Delphine, vornehmlich der zweite, doch ein wenig gar zu schroff im Gegensatz gehalten. So schreibt man denn doch nicht, wenn man eine Rente von 10 000 Franks zum Geschenke erhalten hat, um heiraten zu können. Man merkt die Absicht.

*

J'en ai quelquefois (de la raison) interrompit M. de Sorbellane, lorsqu'il ne s'agit que de moi; mais je trouve une sorte de barbarie dans la raison appliquée à la douleur d'un autre, et je ne m'en sers point dans une pareille situation.

[8. Brief]

*

Auch in dem ersten Gespräche Delphinens mit Leonces Lehrer Barton legt dieser offenbar zu viel Gewicht auf seines Zöglings Verletzbarkeit in Hinsicht auf Meinung, Urteil der Welt. Man merkt zu sehr, daß das im voraus angelegt ist, um die Katastrophe zu motivieren. Aber vielleicht würde man's nicht merken, wenn die Vorreden, die vorausgeschickten Betrachtungen, das Motto, das Geheimnis nicht vor der Zeit verrieten. Darum: keine Vorrede zu einem Dichtwerke!

*

Celui des deux qui ne peut vivre sans l'autre est l'être soumis et dominé.

Delphine. [12. Brief.]

*

Im zwölften Briefe nach meinem Urteile Delphine offenbar zu sehr im klaren über ihre erwachende Neigung zu Leonce. Ueberhaupt drängt sich bis dahin der Begriff zu sehr vor, so wunderschön das Gefühl und sein Ausdruck auch ist. Viel unbewußter und daher natürlicher drückt sich dagegen Delphinens Etourderie aus. Oder war diese Eigenschaft vielleicht der Verfasserin geläufiger?

*

Nein, nein, nein! Es ist ein Takt der Empfindung – oder soll ich's doch lieber sensibilité (Erregbarkeit) nennen? – in diesen Briefen, wie – sie einmal in dem Verfasser der Sappho war.

*

Daß Leonce jene Triebfeder seines Charakters gleich im ersten Briefe: empire de l'opinion nennt, ist miserabel. Ein Mensch seiner Art sollte dabei auf vertu, honneur u. dgl. denken. Aber es herrscht hier eben auch die Absicht, der Begriff vor, und der ist immer nackt und deutlich, während die Empfindung sich verkleidet und mißkennt. Auch spricht er in demselben Briefe selbst von der fierté und impétuosité de son âme; trägt überhaupt Spuren der weiblichen Faktur.

Auf der andern Seite aber vortrefflich die scheinbare Opposition, in die er durch diese Gesinnungen mit Delphinen tritt (XIX. B.) und wie diese darüber geradezu die erwachte Neigung für ihn wieder fahren läßt.

*

Es ist ein Schatz von gefühlten und treffenden Bezeichnungen in dieser Delphine wie nicht leicht in einem andern Buche.

*

Vous savez que de tous les arts, c'est à la peinture que je suis le moins sensible, schreibt Delphine und spricht damit wahrscheinlich die Lage der Verfasserin selbst aus. Ich glaube es wohl; Voltairen ging es kein Haar besser.

*

Die Scene im Atelier des Malers, wo Leonce das Bild jenes M. de Serbellane entdeckt, doch ein wenig gar zu komödienhaft . . .

*

Un revers éclatant peut donner de nouvelles forces à une âme fière; mais un chagrin continuel est le poison des toutes les vertus, des tous les talents, et les ressorts de l'âme s'affaissent entièrement par l'habitude de la souffrance.

Delphine III, 7.

*

. . . . mais songez que c'est dans le bonheur, qu'il est aisé de fortifier sa raison. Je n'exige rien des malheureux, ils ont assez à faire de vivre.

III, 10.

*

Die Scene in der Kirche (III, 49), wo er Delphinen zwingt, an demselben Altar, wo er mit Mathilden getraut worden, die letzte Ergebung anzugeloben, recht eigentlich abscheulich. Der ganze Vorgang überhaupt entweder über dem Talente, oder doch über der Stimmung der Verfasserin. Aber doch eine gute Stelle darin. Je veux affranchir ton âme . . . de tous les scrupules vains, qui la retiennent encore, sagt er. Delphine, si nous étions au bout du monde, si les volcans avaient englouti la terre qui nous donna naissance, les hommes que nous avons connus, croirais-tu faire un crime en t'unissant à ton amant? Eh bien! oublie l'univers, il n'est plus, il ne reste que notre amour. Offenbar ungemein schlagend.

*

La nature et la société suivent cette maxime connue de l'Evangile: elles donnent à ceux qui ont; mais ceux qui perdent, éprouvent une contagion de peines qui se succèdent rapidement et naissent les unes des autres.

*

Ich habe dies Buch weggeworfen, ich will es nicht auslesen. Mit ihrer verfluchten opinion! Wer würde übrigens nicht glauben, daß der dritte Akt des treuen Dieners nach jener abscheulichen Scene zwischen Delphinen und Valorbe gebildet ist? Ich nenne sie abscheulich, obgleich sie materiell milder ist als jene im treuen Diener. Aber dort ist von vornherein alles roh, ursprünglich, gewaltsam, indes hier dieses Aeußerste mitten unter die sentimentalen Quintel und Skrupel hineinplatzt. Daß man nur einen Augenblick glauben kann, ja vielleicht sogar soll, Valorbe wolle ihr körperlich Gewalt anthun, hat mich auf eine Art empört, daß ich nicht weiter lesen konnte.


Lamartine.

Lamartines Reise nach dem Orient.Paris 1834.

(1835.)

Ich habe vorausgesagt, daß diese Reise der Endpunkt von Lamartines Ruhme sein werde. Einmal war mir klar, daß, bei der Dürftigkeit seines inneren Bereiches, das Unternehmen nur ein Versuch sei, Inspiration von außen zu holen, was immer verunglückt; dann mußte aber zugleich dieses desapointement dabei an den Tag kommen, da vorauszusehen war, daß er sich beeilen werde, die Resultate der Welt mitzuteilen. Auf welche Art aber? Die Beschreibung der Reise hatte ihm Chateaubriand von vorne weggenommen; ein episches Gedicht konnte nur die Schwäche des Verfassers aufdecken; und eine Reihe lyrischer Darstellungen, was das klügste gewesen wäre, mußte, nach so viel Vorbereitungen und Vorausbesprechungen, dem Verfasser wie dem Publikum als zu unbedeutend erscheinen. Er hat das Uebelste, die Reisebeschreibung gewählt und gibt sie mit einer koketten Vorrede in der Weise des Liedes: Nein, nein, ich singe nicht, mein Herr! dem Publikum. Man sagt, das Buch finde wenig Beifall in Frankreich. Ich werde es lesen. Die Religion ist nur in jenen Zeiten ein Hebel der Poesie, wo sie den Gesichtskreis erweitert; in unseren vorgeschrittenen, wo sie ihn verengt, muß sie peinlich und endlich anwidernd wirken. Nun noch dazu eine Religiosität, die nichts als eine Art geistiger Karlismus ist, ein schwächliches Bedürfnis des Herzens, statt eines starken Emporhebens des ganzen Menschen.


(1836.)

Jocelyn von Lamartine.Paris 1836. Mit Poesie verbrämte Prosa. Selbst Gott nur aus der Religion entlehnt, nicht von Gefühl und Phantasie geschaffen. Die Natur mit der Umständlichkeit des Botanikers und Geometers ausgezirkelt und abgemessen, und doch ohne Anschaulichkeit und verworren. Eine unglückliche Konzeption. Der erste Teil wenigstens, denn mehr habe ich vorderhand nicht gelesen.


(1836.)

Jocelyn von Lamartine. Das ist denn doch zu viel des Unsinns. Da ist denn die bare Prosa, die ich schon früh bei seinen ersten gesteigerten Bestrebungen am Boden des Gefäßes erblickt hatte, Prosa der Zettel, und als poetischer Einschlag die Verkehrtheit.

Das Absurdeste, die letzten Stunden des Bischofs, Laurence eine Hetäre geworden, und dann die pfarrherrlichen Parabeln!


(1837.)

Lamartines Religiosität ist eine Art geistiger Bankrutt, eine Insolvenzerklärung der menschlichen Natur; das ist nicht poetisch, sondern widrig. Chateaubriands Abgeschmacktheit hat doch etwas Gesteigertes.

Chateaubriand gibt uns in Prosa (martyres), was höchstens in Versen erträglich wäre, Lamartine (Jocelyn) braucht Verse, wo jede Zeile die Prosa fordert.


(1838.)

La chute d'un ange von Lamartine, I. Band.Paris 1838. Die lyrischen, beschreibenden und betrachtenden Stellen ohne Bedeutung. Das epische Element, d. h. alles, was geschieht, die gesamte Handlung von einer – nicht Albernheit, das wäre zu wenig – von einer Dummheit, die allen Begriff übersteigt. Der Schluß, wo sie zu dem Alten in die Höhle kommen, noch das Beste, nachdem kurz vorher die unsinnige Idee vorgekommen, daß die beiden Eltern einen jungen Palmbaum herabbringen, ihre Kinder in die Krone legen, und nun den Baum wieder emporschnellen lassen. Il n'y a qu'un pas du sublime au ridicule. M. de la Martine a fait ce pas.

Im zweiten Bande eine gute Idee, wenn er als Grund der Monogamie den Umstand anführt, daß beide Geschlechter in gleicher Anzahl geboren werden.

Gleich darauf aber die Ankunft der drei Heiden auf einem Luftschiff, die Beschreibung der Struktur desselben und wie sie darin in der Luft emporsteigen, daß die Sterne über ihnen dahinfliegen (!) und die Erde als eine bloße Kugel erscheint (!), als ob es ein Wahnsinniger geschrieben hätte.

Seine Stärke die Beschreibung.

Im ganzen eine Arbeit, bei der man, um die früheren Werke desselben Verfassers zu retten, gern annehmen möchte, daß er in der Zwischenzeit wahnsinnig geworden sei.


Delavigne

(1820.)

Gelesen, die vêpres siciliennesParis 1819.von Delavigne, die in Paris so viel Aufsehen gemacht haben. Das Stück ist merkwürdig in seiner Art. Es war wohl noch niemanden sein Stoff gleichgültiger, als dem Verfasser dieses Stückes; er betrachtet ihn durchaus bloß als Mittel, so viel Zeitanspielungen als möglich anzubringen und der Eitelkeit seiner Nation zu schmeicheln. So oft er Procidas Unternehmen ohne andere Nebenblicke betrachtet, stellt er es, auf Frankreichs Unterjochung durch die Verbündeten anspielend, als etwas Lobenswertes dar; wie er sich aber wieder erinnert, daß es Franzosen sind, gegen die die ganze Unternehmung gerichtet ist, wird sie zum Frevel und er vernichtet den innersten Lebenskeim jenes Stückes durch den Schatten, den er auf dessen Hauptbegebenheit wirft. Von Charakteren ist keine Rede. Montfort benimmt sich durchaus so widersinnig, daß er der Bedeutung, die der Verfasser, seinem eigentlichsten Interesse zuwider, auf ihn häuft, durch nichts verdienen kann. Lovedans Unbedeutendheit geht oft bis zum Komischen. Procida, der der Sache nach alle Lichtstrahlen auf sich vereinigen sollte, wird zweckwidrig durch Montfort verdunkelt. Amalia ist nichts. Wie possierlich sich eine große öffentliche Begebenheit auf dem engen französischen Theater ausnimmt, ist durch öftere Erfahrung bekannt, kleinlicher als diese Verschwörung, noch dazu in der Wohnung des französischen Unterdrückers, kann man sich kaum etwas denken. Uebrigens ist das Stück nicht ohne Verdienst im einzelnen, gut versifiziert und voll, zum Teil recht gelungener concetti und Sentenzen, was auch nebst den vielen Zeitanspielungen den Erfolg auf der Pariser Bühne erklärlich macht.


Victor Hugo.

(1834.)

Victor Hugo, Littérature et Philosophie mélées. Préface.

Journal des idées d`un jeune royaliste. Diese Sammlung beginnt mit dem sechzehnten Jahre des Verfassers, Die Kunst- und litterarischen Ansichten eines berühmten Autors aus dieser Lebensperiode können ein Interesse haben; die politischen sind durchaus ohne Wert.


Wenn die Form, der Stil als das erste Erfordernis eines großen Kunstwerkes angegeben wird, und der Gehalt erst als zweites, so ist das, aufs gelindeste ausgedrückt, höchst sonderbar. Ein Wie setzt doch vor allem ein Was voraus.

Und doch setzt er der Kunst ewig praktische Zwecke und das ist sein Hauptfehler, zusamt dieser ganzen neuern französischen Schule, il pense (le vrai poète) qu'au théâtre surtout il ne suffit pas de remplir seulement les conditions de l'art; was denn sonst?

Le théâtre est une chose, qui enseigne et qui civilise. Warum nicht? indirekt und beiläufig; aber direkt und als Zweck ist es das Unkünstlerischte, das man sich denken kann.

L'art d'à présent ne doit plus chercher seulement le beau, mais encore le bien. Worin liegt denn also der Unterschied zwischen der Prosa und der Poesie, wenn der Zweck beider ganz der nämliche ist.

Glücklicherweise widerspricht er sich gleich darauf wieder und meint, daß er zivilisieren und erbauen soll chemin faisant, sans se détourner et tout en allant devant lui. Théâtre, p. 93.

On nomme action au théâtre la lutte de deux forces opposées. Das läßt sich hören. Paßt nicht auf alle Fälle, ist aber, im ganzen genommen, ungefähr die beste Erklärung des Begriffs Handlung, die mir vorgekommen ist.

Plus ces forces se contrebalacent, plus la lutte est incertaine, plus il y a alternative de crainte ou d'espérance, plus il y a d'intérêt. Gut.

Il ne faut pas confondre cet intérêt, qui naît de l'action avec une autre sorte d'intérêt, que doit, inspirer le héros de toute tragédie, et qui n'est q'un sentiment de terreur, d'admiration ou de pitié. Die erste Hälfte des Satzes sehr wahr, aber die zweite Hälfte schlecht ausgedrückt. Terreur, pitié sind Empfindungen, die die Handlung begleiten, der Held, ehe er handelt, kann nur Liebe, Abneigung, Bewunderung, Haß erregen. Ainsi il se pourrait très-bien que le principal personnage d'une pièce exitât de 1'interêt, parce que son caractère est noble et sa situation touchante, et que la pièce manquât d'intérêt, parce qu'il n'y aurait point d´alternative de crainte et d´espérance. Uebrigens ist doch im Lear keine solche Alternative und interessiert doch. Im allgemeinen aber gilt's.

Bei der Vergleichung von Lesage und Walter Scott scheint er geneigt, dem letztern den Vorzug zu geben. Ich fürchte, die Nachwelt wird entgegengesetzter Meinung sein. Wenigstens was den Gil Blas betrifft.

Jawohl ist nach den mitgeteilten Proben André Chenier ein Dichter und zwar ein besserer als einer der jetzt lebenden, wenn nicht gar das Muster, nach dem sich Lamartine und sohin vermittelst des letzteren auch Victor Hugo in seiner Lyrik gebildet hat.

Diese Gedanken eines Revolutionärs von 1830 sollten, wenn man sie schon drucken ließ, nicht auf so herrliches Papier und mit so viel Raumverschwendung gedruckt sein.

Sur Voltaire. Son poème blafard de la Ligue, depuis la Henriade . . . et son remarquable drame d`Oedipe, zwei sonderbare Beiwörter in dieser Gegenüberstellung.

Der andere Gegensatz besser von Friedrich II. und Voltaire: le despote-philosophe et le sophiste-poète.

Das Absprechen über Worte wie die Encyklopädie steht dem jungen Menschen nicht sonderlich.

Der ganze Aufsatz sehr jung.


(1836.)

p. XII. Sort l`étrange chanson, que chante sans flambeau.

Wenn das keine Kakophonie ist!

Haschen nach Bildern.

p. XIII. Qu`on voit sans en entendre encore les marteaux.

Die beiden Gedichte Nr. 1 und 2 von denen auf Napoleon II. gewaltig schön.

*

Sind keine lyrischen Gedichte.

Warum?

Lyrik, Lyra, Leier. Fordern einen musikalischen Schwung.

Worin besteht dieser? . . .

*

An Canaris. Ein schönes Gedicht bis auf die prosaischen Stellen, die nie ausbleiben, wenn man mit halber Begeisterung schreibt, welche halbe Begeisterung die neuere Lyrik aller lebenden Nationen bezeichnet. Aber was ist Canaris, daß man sich seiner, außer Griechenland, mitten unter größern Interessen noch täglich erinnern sollte? Die objektive Wendung des Schlusses nicht ganz glücklich!

L`homme, qui vend une femme. Vieles schön gemacht, aber als Gewürz die Gemeinheit hineingestreut. Das wiederholte juif, die soufflets entassès, das cracher au visage widern an. Wie kann man auf das Gemein-Verächtliche ein Gedicht machen. Ich weiß wohl, daß auf Höhere dabei gezielt ist; aber was kann ohne empörende Unbilligkeit auf diese bezogen werden? Und die Hauptperson bleibt Deutz.


(1838.)

Le Gerfaut von Charles de Bernard.Paris 1838. Viel Talent; bis endlich das Ganze gegen das letzte Drittel zu aus dem Nichtswürdigen in das Abscheuliche fällt. Zwei höchst prosaische Gedanken sind mir beim Lesen störend aufgestiegen. Erstens schien mir ein Dichter von Metier, wenn er nicht wenigstens ein Schiller oder Goethe, Shakespeare oder dgl. ist, unter der Würde einer auf wahre Leidenschaft basierten Darstellung zu sein; zweitens wunderte ich mich, daß der als körperstark und übermächtig geschilderte Ehemann sich das Vergnügen versagt, den Liebhaber – der nur pour s`amuser die Frau verführen will – erst tüchtig durchzuprügeln, und dann erst, der Form wegen, etwa zum Duell auszufordern.


(4. November 1838.)

Le mutilé par X. B. Saintine.Paris 1834. Die Geschichte eines jungen Dichters, dem Sixtus V. zur Strafe für eine Satyre beide Hände und die Zunge abschneiden läßt. Die erste Hälfte widerlich, revoltant, ja langweilig. Die zweite Hälfte gut. Der Schluß abgerissen, wirkungslos. Die neueren Franzosen gefallen sich in diesen abscheulichen Verhältnissen, aber Talent ist fast überall.


Lucretia von Ponsard.Im Hofburgtheater aufgeführt am 30. März 1844.

(1844.)

Ich gestehe, daß ich von diesem Stücke, nach dem, was uns darüber in Journalartikeln, auch den lobenden, teils von vorneherein, teils nach der Aufführung kund geworden war, nur eine sehr geringe Meinung hegte. Ich habe es gelesen und kann nicht anders als mit wahrer Achtung davon sprechen.

Nicht als ob es ein eigentlich gutes Stück wäre. Das Geheimnis, derlei zu machen, scheint in ganz Europa verloren gegangen zu sein. Aber nur wer die Schwierigkeiten einer Sache nicht kennt, pflegt überstreng zu sein; wer sich selbst versucht hat, weiß auch das Annäherndgute zu schätzen.

Vor allem ist hier die Meinung zu berichtigen, als ob der Verfasser der Lucretia durch dieses Stück, im Gegensatze der romantischen Gattung, sich dem sogenannten Klassizismus zugewendet habe. Allerdings ist Zeitalter, Kostüme, Ausdrucksweise, Gesinnung – des Verfassers nämlich, nicht der Personen – dem Klassizismus entlehnt oder nahestehend; dagegen sind die Motive, Zwischenbegebenheiten, Haltung der Figuren, alles, was den pathetischen Teil der Handlung ausmacht, so völlig romantisch, daß diese Lucretia sich an die ersten Werke Victor Hugos: Hernani z. B., vollkommen anschließt, ehe nämlich der letzgenannte, reichbegabte Dichter durch Widerspruchsgeist und die Eitelkeit, immer das Unerhörte zu sagen und das Niedagewesene zu bringen, zu jenen Verirrungen hingerissen wurde, die sein glänzendes, obwohl nie vorzugsweise dramatisches Talent völlig in Schatten zu stellen drohen. Bei Ponsards Bilde ist Leinwand und Grundierung klassisch, das Gemälde aber romantisch. Man bedenke selbst: dieser Brutus, oder vielmehr Brute (Vieh. Schon der Name ist ein romantisches Wagestück). – Also dieser Brutus, der nicht nur ein Verrückter, sondern auch der Lustigmacher des Stücks ist; überdies Hahnrei, und zuletzt eine unmögliche Person, weil ein Mann von Ehre und Gesinnung sich so viel Schmach doch nicht gefallen lassen kann; seine Gattin Tullia, die schamlose Maitresse des Prinzen; der Prinz selbst, der an die genialen Taugenichtse Lord Byrons, und die Sibylla cumana, die an die Hexe Walter Scotts erinnert, gar nicht des Erscheinens der Lucretia post factum im fünften Aufzuge zu gedenken; das sind denn doch bei Gott romantische Elemente! Als Beweis a contrario könnte man anführen, daß das Publikum Racines und Corneilles diese Lucretia gar nicht zu Ende hätte spielen lassen.

Dieses Ablehnen des Klassizismus soll übrigens weder als Lob noch als Tadel gemeint sein. Mit aller Verehrung der ausgezeichneten Dichter des Siècle de Louis quatorze ist doch das Siècle de Louis Philippe, das Jahrhundert der spanischen pronunciamentos, der Juli-Revolution und Daniel O'Conells von jenem erstern so himmelweit verschieden, daß an ein völliges Rückkehren der Empfindung zu jenen etwas chinesischen Formen gar nicht zu denken sein dürfte. Ponsard hat in dieser Beziehung einen glücklichen Mittelweg eingeschlagen und entweder er selbst, wenn er zur vollen Umsicht gelangt sein wird, oder seine Nachfolger auf demselben Wege können in Frankreich das eigentliche Trauerspiel wieder ins Leben rufen.

Um von der Form zur Sache zu kommen, so ist besonders der Hintergrund des Stückes als höchst glücklich behandelt zu bezeichnen. Ponsard hat ganz richtig eingesehen, daß der eigentliche Inhalt seines Trauerspieles die Vertreibung der Könige sein müsse, und in diesem Sinne spielt durch die leidenschaftlichsten Scenen die politische Beziehung unaufhörlich durch, ja selbst der alte Tarquinius, obschon nicht unter den handelnden Personen, reiht sich doch durch den Brief an seinen Sohn beinahe körperlich unter sie ein. Bewundernswürdig ist der Takt, mit dem er die staatsrechtliche Frage behandelt.

Die Gegner der Könige, obgleich wie natürlich republikanisch gesinnt, mischen dieser ihrer Gesinnung doch solche Elemente bei, daß sie dem jetzt in Frankreich herrschenden System kaum ein Aergernis geben können und dadurch das Aufreizende verlieren, das man jetzt in Deutschland so sehr liebt, dem aber jeder echte Dichter gern aus dem Wege geht.

Von den Charakteren ist vorher etwas abschätzig gesprochen worden, aber nur in dem Sinne, als ob sie klassisch aufgefaßt wären. Ein wenig romantische Exuberanz zugegeben, ist gegen die Anlage und Haltung derselben wenig einzuwenden. Selbst die widerliche Tullia ist an sich betrachtet ganz gut, und im Stücke nur darum verwerflich, weil sie auf ihren betrogenen Gatten einen gar zu erniedrigenden Schatten wirft; vor allem aber, weil sie dramatisch ganz überflüssig ist. Für die Sibylla dagegen ist keine Gnade. Ebenso überflüssig als Tullia und noch dazu ohne Wirkung, verunstaltet sie den dritten Akt, der durch das vortreffliche Gespräch zwischen Brutus und Valerius so gut eingeleitet war.

Sprache und Verifikation scheint, soweit es einem Ausländer darüber zu urteilen erlaubt ist, vortrefflich. Wenn historisch-antiquarische Notizen sich mitunter zu breit machen, so muß man das der Unsicherheit des beginnenden Dichters zu gute halten.

Das Rhetorische in der Ausdrucksweise ist, wenn auch nicht der Poesie, doch im allgemeinen dem Bedürfnis des Theaters vollkommen angemessen. Trotz dieser Rhetorik aber geht ein solcher Faden von Empfindung durch den ganzen Dialog, es ist ein so sicherer, verteilender und vorbereitender Verstand in der Führung dieser Reden, daß man, besonders bei einem ersten Stücke, zur Bewunderung hingerissen wird.

Von einzelnen Scenen ist die zwischen Lucretia und Brutus im ersten Akte völlig willkürlich und daher undramatisch herbeigeführt. Daß Lucretia, die sich erst am Spinnrocken als gute Hausfrau gezeigt hat, nun, da ihr Gatte mit unerwarteten Gästen ankommt, nichts Dringenderes zu thun hat, als sich mit Brutus über dies und das zu besprechen, leuchtet nicht ein. Man kann Ursachen andeuten oder supplieren, aber der Verfasser hätte sie prägnant hinstellen sollen. Gegenwärtig ist die Scene dramatisch müßig. Ebensowenig Einfluß auf den Gang der Handlung oder auf die Gesinnung und Stellung der Personen hat die Einmengung der Sibylle. Dem Stücke einen doppelten Schluß nach Willkür der Direktion zu geben, ist unzulässig. Das Drama kennt keine Willkür. Jedes Stück hat möglicherweise nur einen Schluß. Was notwendig zu sagen ist, muß überall gesagt werden, und was nicht notwendig, muß überall wegbleiben.

Daß Herr Ponsard ein ausgezeichnetes Talent ist, hat er gezeigt. Ob er ein eigentlicher dramatischer Dichter ist, muß die Folge lehren. Er hat sich vor allem vor dem Parteigeist und den Anlockungen der sogenannten klassischen Partei zu hüten, vor dem Romanticismus wird ihn schon die Anfeindung der Romantiker selbst bewahren.


Barante.

(1837?)

Es ist etwas Desolates, etwas der Zeit und der Menschen Ueberdrüssiges in der Vorrede Barantes zu seiner Histoire des Ducs de Bourgogne.Paris 1824. – Er weiß, daß man keine Ueberzeugungen mehr hat, daß Meinungen ennuyieren, wenn nicht gar lächerlich machen, darum gibt er Fakta. Lieber Himmel! Die Alten, auf die er sich beruft, gaben auch Fakta; aber die Meinung war die Basis, die überall durchschimmert und eigentlich das Ganze trägt.


S. de Sacy.

(1856.)

S. de Sacy, Variétés littérairés, wenn er von der Zeit des verflossenen Jahrhunderts und der jetzigen spricht, sagt T. 1, p. XL: Notre foi même à nous, n'est, que doute et incertitude, leur incrédulité même, à eux, était une foi.

Derselbe, wenn er von Bayle spricht und von seinen Ausfällen gegen die Religion, wodurch er in den Verdacht der Gottlosigkeit gekommen: Il est si rare qu'on aille jusqu'au bout de ses idées.

Ich citiere das nicht, als ob ich Herrn S. de Sacy für einen guten Schriftsteller hielte, vielmehr finde ich ihn, soweit ich bis jetzt gelesen habe, ziemlich mittelmäßig, aber als ein Beispiel wie glücklich die Franzosen den prägnanten Ausdruck für derlei geistige Erscheinungen finden.

Im Verfolg wird de Sacy besser, er hat ein moralisches, ja religiöses Gefühl, das bei den heutigen Franzosen ziemlich selten ist und immer auf eine gewisse Tiefe hindeutet. Sehr gut sein Aufsatz über Pascal.

Eine Stelle dieser variétés ist merkwürdig als Beweis von dem Werte, den die Franzosen dem Stile beilegen und die Mühe, die sie darauf verwenden, ist II 566:

Les érudits n'ont pas le souci de la forme: le style, l'éloquence les préoccupent peu; il suffit qu'ils soient clairs et simples; or la forme, voilà ce qui épuise le poète, l'orateur, l'écrivain, c'est l'enfantement avec ses douleurs. Un mot coute plus a qui sait et a qui veut écrire que cent pages aux autres. – Ne dites pas: Travail puéril! Non, bien écrire c'est bien penser, c'est éclairer l'âme humaine dans ses dernières profondeurs avec le flambeau de la parole. Une expression forte et neuve, un tour qui peint, ont la valeur d'une découverte morale. So wahr davon die eine Hälfte ist, so übertrieben ist die zweite. Dem eigentlichen Talent kommt der wahre Ausdruck meistens zugleich mit dem wahren Gedanken.


(1821)

Ein großer Teil der Beschränktheit der französischen Tragödie entspringt gewiß aus der vorherrschenden Neigung der Zuhörer, überall ein Lächerliches zu finden. Alles daher, was einen Doppelsinn veranlassen, was ins Komische gezogen werden könnte, muß von dem Dichter vermieden werden. Dadurch wird seine Aufgabe größtenteils negativ, und diese negative Kälte muß sich notwendigerweise auch auf sein Werk ausdehnen. Daher vermeiden sie auch so viel als möglich alle äußere Handlung, weil da ein einziger Mißgriff eines Schauspielers die ganze Wirkung des Stückes bei dem lachlustigen Publikum aufheben könnte. Solange den Franzosen diese Charakterseite bleibt, ist ihre Tragödie für sie die möglichst beste, und sie sollten sich hüten, durch Vermengung mit der ausländischen sich und ihre Dichter irre zu machen.


(1822.)

Daß die Franzosen so viele gute Opernbücher haben, und die Deutschen keine, ist wohl schon daraus begreiflich, daß eine Menge, besonders romantische, märchenhafte Stoffe, die der Deutsche sehr wohl zu Lust-, Schau- und Trauerspielen verarbeiten kann, für den Franzosen, bei seinen eisernen dramatischen Regeln, ganz unverwendbar bleiben, wenn er sie nicht auf dem Operntheater los werden kann.


(Um 1836.)

In Frankreich ist der Geschmack fürs Romantische und Gräßliche nichts Neues, er war schon früher da neben dem klassischen. Das Romantische in der Oper, das Gräßliche in den unzähligen Melodramen, an denen sich nebenbei auch die gebildete Welt ergötzte. Das Romantisch-Gräßliche hat sich nun in neuester Zeit mehr Raum gewonnen. Es ist wie die jüngere Linie der Bourbons, die die ältere verdrängt, und nun allein herrscht.


(1838.)

Die Franzosen sind die gebildetste europäische Nation. Nicht weil die Bildung bei ihnen vergleichungsweise die höchste Stufe erreicht hat, sondern weil das geistige Bedürfnis bei ihnen unter den meisten lebhaft ist. So waren die Griechen die gebildetste Nation des Altertums, gesetzt auch die geträumte Weisheit der ägyptischen Priester wäre wirklich und so überschwenglich gewesen als manche vorauszusetzen geneigt sind. Denn diese Weisheit war eben auf einzelne Klassen beschränkt, indes in Griechenland das ganze Volk unter geistigen Einflüssen stand.


(1838)

Die Franzosen hoffen mit einer Art Aberglauben alles von der deutschen Philosophie. Mit Unrecht, wie mir scheint. Den Deutschen bleibt von ihren Kreuz- und Querzügen, wenn sie auch kein aufweisbares Ziel erreicht haben sollten, doch immer der diätetische Nutzen des Wegs und der Bewegung. Was soll aber das Ganze denen nützen, die bloß nach Resultaten greifen wollen, wo keine sind? Nebstdem dürfte die deutsche Metaphysik, die den gesunden Menschenverstand als inkompetent zurückweist, den Franzosen leicht das Instrumentale kosten, das sie bisher so glücklich fürs Leben und die übrigen Wissenschaften benützten. Die gesunde Logik, worin eben die Schwäche der Deutschen und ihre eigene Stärke besteht.


(1838)

Punkte, worin es die Franzosen in der Litteratur den Deutschen vorausthun:


(1839)

Die neuesten Franzosen verstehen wenigstens einen Stoff lebendig zu machen und stehen dadurch der Kunst immer näher als die Deutschen derselben Periode, die den bestgewählten Stoff in der Ausführung töten.


(1852)

Der Franzose will seinen Leser unterhalten, der Deutsche, der neuere nämlich, will ihn immer belehren. Ich bin jedem dankbar, der mich unterhält; wenn mich aber jemand belehren will, so seh' ich mir den Meister vorher zweimal an.



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