Franz Grillparzer
Medea
Franz Grillparzer

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Vierter Aufzug

Vorhof vor Kreons Burg wie im vorigen Aufzuge. Abenddämmerung.

Medea liegt hingestreckt auf die Stufen, die zu ihrer Wohnung führen. Gora steht vor ihr.

Gora.
Steh auf Medea und sprich!
Was liegst du da, starrst schweigend vor dich hin?
Steh auf und sprich!
Rate unserm Jammer!

Medea.
Kinder! Kinder!

Gora.
Fort sollen wir, eh' dunkelt die Nacht,
Und schon senkt sich der Abend.
Auf! Rüste dich zur Flucht!
Sie kommen, sie töten uns!

Medea.
O meine Kinder!

Gora.
Steh auf, Unglückselige
Und töte mich nicht mit deinem Jammer!
Hätt'st mir gefolgt, mich gehört,
Wären wir daheim in Kolchis,
Die Deinen lebten, alles wär' gut.
Steh auf! Was hilft Weinen? Steh auf!

Medea (sich halb aufrichtend und nur mit den Knien auf den Stufen liegend).
So kniet' ich, so lag ich,
So streckt' ich die Hände aus,
Aus nach den Kindern und bat
Und flehte: Eines nur,
Ein einziges von meinen Kindern –
Gestorben wär' ich, mußt' ich das zweite missen! –
Aber auch das eine nicht! – Keines kam.
Flüchtend bargen sie sich im Schoß der Feindin
(aufspringend)
Er aber lachte drob und sie!

Gora.
O des Jammers! Des Wehs!

Medea.
Nennt ihr das Vergeltung, Götter?
Liebend folgt' ich, das Weib dem Mann;
Starb mein Vater, hab ich ihn getötet?
Fiel mein Bruder, fiel er durch mich?
Beklagt hab ich sie, in Qualen beklagt.
Glühende Tränen goß ich aus
Zum Trankopfer auf ihr fernes Grab.
Wo kein Maß ist, ist keine Vergeltung.

Gora.
Wie du die Deinen, verlassen sie dich!

Medea.
So will ich sie treffen, wie die Götter mich!
Ungestraft sei kein Frevel auf der Erde,
Mir laßt die Rache, Götter! ich führe sie aus!

Gora.
Denk auf dein Heil, auf andres nicht!

Medea.
Und was hat dich denn so weich gemacht?
Schnaubtest erst Grimm, und nun so zagend?

Gora.
Laß mich! Als ich die Kinder fliehn sah
Den Arm der Mutter, der Pflegerin,
Da erkannt' ich die Hand der Götter,
Da brach mir das Herz,
Da sank mir der Mut.
Hab sie gewartet, gepflegt,
Sie meine Freude, mein Glück.
Die einz'gen reinen Kolcher sie,
An die ich wenden konnte
Die Liebe für mein fernes Vaterland.
Du warst mir längst entfremdet, längst;
In ihnen sah ich Kolchis wieder,
Den Vater dein und deinen Bruder,
Mein Königshaus und dich,
Wie du warst, nicht wie du bist.
Hab sie gehütet, gepflegt,
Wie den Apfel meines Auges
Und nun –

Medea.
    Lohnen sie dir, wie der Undank lohnt!

Gora.
Schilt nicht die Kinder, sie sind gut!

Medea.
Gut? Und flohen die Mutter?
Gut? Sie sind Jasons Kinder!
Ihm gleich an Gestalt, an Sinn,
Ihm gleich in meinem Haß.
Hätt' ich sie hier, ihr Dasein in meiner Hand,
In dieser meiner ausgestreckten Hand,
Und ein Druck vermochte zu vernichten
All was sie sind und waren, was sie werden sein, –
Sieh her! – Jetzt wären sie nicht mehr!

Gora.
Oh, weh der Mutter, die die Kinder haßt!

Medea.
Und was ist's auch mehr? was mehr?
Bleiben sie hier beim Vater zurück,
Beim treulosen, schändlichen Vater,
Welches ist ihr Los?
Stiefgeschwister kommen,
Höhnen sie, spotten ihrer
Und ihrer Mutter,
Der Wilden aus Kolchis.
Sie aber, entweder dienen als Sklaven,
Oder der Ingrimm, am Herzen nagend,
Macht sie arg, sich selbst ein Greuel:
Denn wenn das Unglück dem Verbrechen folgt,
Folgt öfter das Verbrechen noch dem Unglück.
Was ist's denn auch zu leben?
Ich wollt', mein Vater hätte mich getötet,
Da ich noch klein war,
Noch nichts, wie jetzt, geduldet,
Noch nichts gedacht – wie jetzt.

Gora.
Was schauderst du? was überdenkst du?

Medea.
Daß ich fort muß, ist gewiß
Minder aber noch, was sonst geschieht.
Denk ich des Unrechts, das ich erlitt,
Des Frevels, den man an mir verübt,
So entglüht in Rache mein Herz
Und das Entsetzlichste ist mir das Nächste. –
Die Kinder liebt er, sieht er doch sein Ich,
Seinen Abgott, sein eignes Selbst
Zurückgespiegelt in ihren Zügen.
Er soll sie nicht haben, soll nicht!
Ich aber will sie nicht, die Verhaßten!

Gora.
Komm mit hinein, was weilst du hier?

Medea.
Dann leer das ganze Haus und ausgestorben,
Verwüstung brütend in den öden Mauern,
Nichts lebend als Erinnerung und Schmerz.

Gora.
Bald nahen sie, die uns vertreiben. Komm!

Medea.
Die Argonauten, sagtest du,
Sie fanden alle ein unselig Grab,
Die Strafe des Verrats, der Freveltat?

Gora.
So ist's und Jason findet es wohl auch.

Medea.
Er wird's, ich sage dir, er wird's!
Den Hylas schlang das Wassergrab hinab,
Den Theseus fing der Schatten düstrer König
Und wie hieß sie, das Griechenweib,
Die eignes Blut am eignen Blut gerächt?
Wie hieß sie? Sag.

Gora.
    Ich weiß nicht, was du meinst.

Medea.
Althea hieß sie.

Gora.
    Die den Sohn erschlug?

Medea.
Dieselbe, ja! Wie kam's, erzähl mir das.

Gora.
Den Bruder schlug er ihr beim Jagen tot.

Medea.
Den Bruder nur, den Vater nicht dazu,
Sie nicht verlassen, nicht verstoßen, nicht gehöhnt
Und dennoch traf sie ihn zum Tod
Den grimmen Meleager ihren Sohn.
Althea hieß sie, – war ein Griechenweib! –
Und als er tot?

Gora.
    Hier endet die Geschichte.

Medea.
Sie endet! Du hast recht der Tod beendet.

Gora.
Was nützen Worte?

Medea.
    Zweifelst an der Tat?
Sieh! bei den hohen Göttern! hätt' er
Die Kinder beide mir gegeben – Nein!
Könnt' ich sie nehmen, gäb' er sie mir auch,
Könnt' ich sie lieben wie ich jetzt sie hasse,
Wär' etwas in der weiten Welt geblieben,
Das er mir nicht vergiftet, nicht zerstört:
Vielleicht, daß ich jetzt ginge, meine Rache
Den Göttern lassend; aber so nicht, nun nicht!
Man hat mich bös genannt, ich war es nicht:
Allein ich fühle, daß man's werden kann.
Entsetzliches gestaltet sich in mir,
Ich schaudre – doch ich freu mich auch darob.
Wenn's nun vollendet ist, getan – (ängstlich) Gora!

Gora.
Was ist?

Medea.
    Komm her!

Gora.
        Warum?

Medea.
            Zu mir!
Da lagen sie die beiden – und die Braut –
Blutend, tot. – Er daneben rauft sein Haar.
Entsetzlich, gräßlich!

Gora.
    Um der Götter willen!

Medea.
Ha, ha! Erschrickst wohl gar?
Nur lose Worte sind es, die ich gebe,
Dem alten Wollen fehlt die alte Kraft.
Ja, wär' ich noch Medea, doch ich bin's nicht mehr!
O Jason! Warum tatest du mir das?
Ich nahm dich auf, ich schützte, liebte dich,
Was ich besaß, ich gab es für dich hin,
Warum verlässest und verstößt du mich?
Was treibst du mir die guten Geister aus
Und führest Rachgedanken in mein Herz?
Mir Rachgedanken, ohne Kraft zur Rache!
Die Macht, die mir von meiner Mutter ward,
Der ernsten Kolcherfürstin Hekate,
Die mir zum Dienste dunkle Götter band,
Versenkt hab ich sie, dir zulieb' versenkt,
Im finstern Schoß der mütterlichen Erde.
Der schwarze Stab, der blutigrote Schleier,
Sie sind dahin und hilflos steh ich da,
Den Feinden, statt ein Schrecken, ein Gespött!

Gora.
So sprich davon nicht, wenn du's nicht vermagst!

Medea.
Ich weiß wohl, wo es liegt.
Da draußen an dem Strand der Meeresflut,
Dort hab ich's eingesargt und eingegraben,
Zwei Handvoll Erde weg – und es ist mein!
Allein im tiefsten Innern schaudr' ich auf
Denk ich daran und an das blut'ge Vlies.
Mir dünkt des Vaters und des Bruders Geist
Sie brüten drob und lassen es nicht los.
Weißt noch, wie er am Boden lag
Der greise Vater, weinend ob dem Sohn
Und fluchend seiner Tochter? Jason aber
Schwang hoch das Vlies in gräßlichem Triumph.
Da schwor ich Rache, Rache dem Verräter,
Der erst die Meinen tötete, nun mich.
Hätt' ich mein Blutgerät, ich führt' es aus
Allein nicht wag ich es zu holen;
Denn säh' ich in des goldnen Zeichens Glut
Des Vaters Züge mir entgegenstarren,
Von Sinnen käm' ich, glaube mir!

Gora.
Was also tust du?

Medea.
    Laß sie kommen!
Laß sie mich töten, es ist aus!
Von hier nicht geh ich, aber sterben will ich,
Vielleicht stirbt er mir nach, von Reu' erwürgt.

Gora.
Der König naht, trag Sorge doch für dich!

Medea.
Erarmt bin ich an Macht, was kann ich tun?
Will er zertreten mich? er trete nur!

(Der König kommt.)

König.
Der Abend dämmert, deine Frist ist um!

Medea.
Ich weiß.

König.
    Bist du bereit zu gehn?

Medea.
        Du spottest!
Wenn nicht bereit, müßt' ich drum minder gehn?

König.
Mich freut, daß ich dich so besonnen finde.
Du machst dir die Erinnrung minder herb
Und sicherst deinen Kindern großes Gut:
Sie dürfen nennen, welche sie gebar.

Medea.
Sie dürfen? Wenn sie wollen, meinst du doch?

König.
Daß sie es wollen, sei die Sorge mein.
Erziehen will ich sie zu künft'gen Helden,
Und einst, wer weiß? führt ihre Ritterfahrt
Sie hin nach Kolchis und die Mutter drücken sie,
Gealtert, wie an Jahren, so an Sinn,
Mit Kindesliebe an die Kindesbrust.

Medea.
Weh mir!

König.
    Was ist dir?

Medea.
        Ach, ein Rückfall nur
Und ein Vergessen dessen was geschah.
War dies zu sagen deines Kommens Grund
Wie, oder willst du andres noch von mir?

König.
Noch eins vergaß ich und das sag ich nun.
Von Schätzen nahm dein Gatte manches mit
Aus Jolkos fliehend nach des Oheims Tod.

Medea.
Im Hause liegt's verwahrt, geh hin und nimm's!

König.
Wohl ist das goldne Kleinod auch dabei,
Das Vlies, der Preis des Argonautenzugs?
Was wendest du dich ab und gehst? Gib Antwort!
Ist es darunter?

Medea.
    Nein.

König.
        Wo ist es also?

Medea.
Ich weiß es nicht.

König.
    Du nahmst es aber fort
Aus Pelias' Haus; der Herold sagte so.

Medea.
Hat er's gesagt, so ist's auch wahr.

König.
    Wo ist es?

Medea.
Ich weiß es nicht.

König.
    Glaub nicht uns zu betrügen!

Medea.
Wenn du mir's gibst, mein Leben zahl ich drum;
Hätt' ich's, du stündest drohend nicht vor mir!

König.
Nahmst du's von Jolkos nicht mit dir?

Medea.
    Ich nahm's.

König.
Und nun?

Medea.
    Hab ich's nicht mehr.

König.
        Wer sonst?

Medea.
            Die Erde.

König.
Versteh ich dich? das also wär' es, das?
(Zu seinen Begleitern.)
Bringt her was ich gebot. Ihr wißt es ja!
(Sie gehen ab.)
Denkst du zu täuschen uns mit Doppelsinn?
Die Erde hat es; nun versteh ich dich.
Schau nicht hinweg! nach mir sieh her und höre!
Am Strand des Meers, wo ihr heut nacht gelagert,
Als einen Altar man auf mein Geheiß
Dem Schatten Pelias' erbauen wollte,
Fand man – erbleichst du? – frisch im Grund vergraben –
Ein Kistchen, schwarz, mit seltsam fremden Zeichen.
(Die Kiste wird gebracht.)
Sieh zu, ob's dir gehört?

Medea (drauf losstürzend).
    Ja! Mir gehört es! – Mein!


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