Franz Grillparzer
Medea
Franz Grillparzer

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Zweiter Aufzug

Halle in Kreons Königsburg zu Korinth.

Kreusa sitzend, Medea auf einem niederern Schemmel vor ihr, eine Leier in ihrem Arm; sie ist griechisch gekleidet.

Kreusa.
Hier diese Saite nimm, die zweite, diese!

Medea.
So also?

Kreusa.
Nein. Die Finger mehr gelöst.

Medea.
Es geht nicht.

Kreusa.
Wohl. Wenn du's nur ernstlich nimmst.

Medea.
Ich nehm es ernstlich; doch es geht nicht.
(Sie legt die Leier weg und steht auf.)
Nur an den Wurfspieß ist die Hand gewöhnt
Und an des Weidwerks ernstlich rauh Geschäft.
(Ihre rechte Hand dicht vor die Augen haltend.)
Daß ich sie strafen könnte diese Finger, strafen!

Kreusa.
Wie du nun bist! Da hatt' ich mich gefreut
Daß du ihn überraschen solltest, Jason,
Mit deinem Lied.

Medea.
    Ja so, ja du hast recht.
Darauf vergaß ich. Laß noch mal versuchen!
Es wird ihn freuen, meinst du, wirklich freuen?

Kreusa.
Gewiß. Er sang das Liedchen schon als Knabe,
Als er bei uns, in unserm Hause lebte.
Sooft ich's hörte, sprang ich fröhlich auf,
Denn immer war's das Zeichen seiner Heimkehr.

Medea.
Das Liedchen aber?

Kreusa.
    Wohl so hör mir zu
Es ist nur kurz und eben nicht sehr schön
Allein er wußt' es gar so hübsch zu singen,
So übermütig, trotzend, spöttisch fast.
          O ihr Götter,
        Ihr hohen Götter!
        Salbt mein Haupt
        Wölbt meine Brust,
        Daß den Männern
        Ich obsiege
        Und den zierlichen
        Mädchen auch.

Medea.
Ja, ja, sie haben's ihm gegeben!

Kreusa.
    Was?

Medea.
Des kurzen Liedchens Inhalt.

Kreusa.
    Welchen Inhalt?

Medea.
        Daß den Männern er obsiege
        Und den zierlichen Mädchen auch.

Kreusa.
Daran hatt' ich nun eben nie gedacht.
Ich sang's nur nach, wie ich's ihn singen hörte.

Medea.
So stand er da an Kolchis' fremder Küste;
Die Männer stürzten nieder seinem Blick,
Und mit demselben Blick warf er den Brand
In der Unsel'gen Busen, die ihn floh,
Bis, lang verhehlt, die Flamme stieg empor
Und Ruh' und Glück und Frieden prasselnd sanken
Von Rauchesqualm und Feuersglut umhüllt.
So stand er da in Kraft und Schönheit prangend,
Ein Held, ein Gott und lockte, lockte, lockte,
Bis es verlockt, sein Opfer, und vernichtet,
Dann warf er's hin und niemand hob es auf.

Kreusa.
Bist du sein Weib und sprichst so schlimm von ihm?

Medea.
Du kennst ihn nicht, ich aber kenn ihn ganz.
Nur er ist da, er in der weiten Welt
Und alles andre nichts als Stoff zu Taten.
Voll Selbstheit, nicht des Nutzens, doch des Sinns,
Spielt er mit seinem und der andern Glück.
Lockt's ihn nach Ruhm so schlägt er einen tot,
Will er ein Weib, so holt er eine sich,
Was auch darüber bricht, was kümmert's ihn!
Er tut nur Recht, doch recht ist was er will.
Du kennst ihn nicht, ich aber kenn ihn ganz
Und denk ich an die Dinge, die geschehn,
Ich könnt' ihn sterben sehn und lachen drob.

Kreusa.
Leb wohl!

Medea.
    Du gehst?

Kreusa.
        Soll ich dich länger hören?
Ihr Götter! Spricht die Gattin so vom Gatten?

Medea.
Nach dem er ist: der Meine tat darnach!

Kreusa.
Beim hohen Himmel, hätt' ich einen Gatten,
So arg, so schlimm, als Deiner nimmer ist,
Und Kinder, sein Geschenk und Ebenbild,
Ich wollt' sie lieben, töteten sie mich.

Medea.
Das sagt sich gut, allein es übt sich schwer.

Kreusa.
Es wär' wohl minder süß, übt' es sich leichter.
Doch tue was dir gutdünkt, ich will gehn.
Zuerst lockst du mit holdem Wort mich an
Und fragst nach Mitteln mich, ihm zu gefallen
Und nun brichst du in Haß und Schmähung aus.
Viel Übles hab an Menschen ich bemerkt,
Das Schlimmste aber ist ein unversöhnlich Herz.
Leb wohl und lerne besser sein.

Medea.
    Du zürnst?

Kreusa.
Beinahe.

Medea.
    O gib nicht auch du mich auf,
Verlaß mich nicht sei du mein Schirm und Schutz!

Kreusa.
Nun bist du mild und erst warst du voll Haß.

Medea.
Der Haß gilt mir und Jason gilt die Liebe.

Kreusa.
So liebst du deinen Gatten?

Medea.
    Wär' ich hier sonst?

Kreusa.
Ich sinne nach und doch versteh ich's nicht.
Doch: liebst du ihn, bin ich dir wieder gut,
Und sage dir wohl sichre Mittel an,
Die Launen, die er hat, ich weiß es wohl,
Wie Wolken zu zerstreun. Laß uns nur machen.
Ich sah es, er war morgens trüb und düster,
Doch sing ihm erst dein Lied und du wirst sehn
Wie schnell er fröhlich wird. Hier ist die Leier.
Nicht eher laß ich ab, bis du es weißt.
(Sie sitzt.)
Was kommst du nicht? Was stehst und zögerst du?

Medea.
Ich seh dich an und seh dich wieder an
Und kann an deinem Anblick kaum mich sätt'gen.
Du Gute, Milde, schön an Leib und Seele,
Das Herz wie deine Kleider hell und rein.
Gleich einer weißen Taube schwebest du,
Die Flügel breitend, über dieses Leben
Und netzest keine Feder an dem Schlamm,
In dem wir ab uns kämpfend mühsam weben.
Senk einen Strahl von deiner Himmelsklarheit
In diese wunde, schmerzzerrißne Brust.
Was Gram und Haß und Unglück hingeschrieben
O lösch es aus mit deiner frommen Hand
Und setze deine reinen Züge hin.
Die Stärke, die mein Stolz von Jugend war,
Sie hat im Kampfe sich als schwach bewiesen
O lehre mich, was stark die Schwäche macht.
(Sie setzt sich auf den Schemmel zu Kreusas Füßen.)
Zu deinen Füßen will ich her mich flüchten
Und will dir klagen, was sie mir getan;
Will lernen, was ich lassen soll und tun.
Wie eine Magd will ich dir dienend folgen,
Will weben an dem Webstuhl, früh zur Hand,
Und alles Werk, das man bei uns verachtet,
Den Sklaven überläßt und dem Gesind',
Hier aber übt die Frau und Herrin selbst,
Vergessend, daß mein Vater Kolchis' König,
Vergessend, daß mir Götter sind als Ahnen,
Vergessend was geschehn und was noch droht –
(Aufstehend und sich entfernend.)
Doch das vergißt sich nicht.

Kreusa (ihr folgend).
    Was ficht dich an?
Was Schlimmes auch in frührer Zeit geschehn,
Der Mensch vergißt, ach und die Götter auch.

Medea (an ihrem Halse).
Meinst du? O daß ich's glauben könnte, glauben!

(Jason kommt.)

Kreusa (sich gegen ihn wendend).
Hier dein Gemahl. Sieh Jason, wir sind Freunde!

Jason.
So, so.

Medea.
    Sei mir gegrüßt. – Sie ist so gut,
Sie will Medeas Freundin sein und Lehrerin.

Jason.
Viel Glück zu dem Versuch!

Kreusa.
    Was bist du ernst?
Wir wollen hier recht frohe Tage leben.
Ich, meine Sorge zwischen meinem Vater
Und euch verteilend; du und sie, Medea –

Jason.
Medea!

Medea.
    Was gebeutst du, mein Gemahl?

Jason.
Sahst du die Kinder schon?

Medea.
    Ach, ja nur erst.
Sie sind recht munter.

Jason.
    Sieh doch noch einmal!

Medea.
Nur kaum erst war ich dort.

Jason.
    Sieh doch, sieh doch!

Medea.
Wenn du es willst.

Jason.
    Ich wünsch es.

Medea.
        Wohl, ich gehe.
(Ab.)

Kreusa.
Was sendest du sie fort? Sie sind ja wohl.

Jason.
Ah! So, nun ist mir leicht, nun kann ich atmen!
Ihr Anblick schnürt das Innre mir zusammen
Und die verhehlte Qual erwürgt mich fast.

Kreusa.
Was hör ich? O ihr allgerechten Götter!
So spricht nun er und so sprach vorher sie.
Wer sagte mir denn, Gatten liebten sich?

Jason.
Ja wohl, wenn nach genutzter Jugendzeit
Der Jüngling auf ein Mädchen wirft den Blick
Und sie zur Göttin macht von seinen Wünschen.
Er späht nach ihrem Aug', ob es ihn trifft
Und trifft's ihn, ist er froh in seinem Sinn.
Zum Vater geht er und zur Mutter hin
Und wirbt um sie und jene sagen's zu.
Da ist ein Fest und die Verwandten kommen
Die ganze Stadt nimmt an dem Jubel Teil.
Mit Kränzen reich geschmückt und lichten Blumen
Führt er die Braut zu Tempel und Altar.
Errötend und in holdem Schauer bebend
Vor dem was sie doch wünscht, tritt sie einher;
Der Vater aber legt die Hände auf
Und segnet sie und ihr entfernt Geschlecht.
Die so zur Freite gehn, die lieben sich.
Mir war es auch bestimmt, doch kam es nicht.
Was hab ich denn getan, gerechte Götter,
Daß ihr mir nahmt, was ihr dem Ärmsten gebt
Ein Schmerzasyl an seinem eignen Herd
Und zur Vertrauten, die ihm angetraut.

Kreusa.
So hast du nicht gefreit wie andre freien,
Der Vater hob die Hand nicht segnend auf?

Jason.
Er hob sie auf, doch mit dem Schwert bewaffnet
Und statt des Segens gab er uns den Fluch.
Allein ich hab ihm's tüchtig rückgegeben;
Sein Sohn ist tot, er selber stumm und tot –
Sein Fluch nur lebt – zum mind'sten scheint es so.

Kreusa.
Wie können wen'ge Jahre doch verwandeln!
Wie warst du mild und wie bist nun so rauh.
Ich selber bin dieselbe die ich war,
Was damals ich gewollt, will ich noch jetzt,
Was da mir gut erschien, erscheint mir's noch,
Was tadelnswert muß ich noch jetzo tadeln.
Mit dir scheint's anders.

Jason.
    Ja, auch das, auch das!
Es ist des Unglücks eigentlichstes Unglück,
Daß selten drin der Mensch sich rein bewahrt.
Hier gilt's zu lenken, dort zu biegen, beugen,
Hier rückt das Recht ein Haar und dort ein Gran,
Und an dem Ziel der Bahn steht man ein andrer,
Als der man war, da man den Lauf begann.
Und dem Verlust der Achtung dieser Welt
Fehlt noch der einz'ge Trost, die eigne Achtung.
Ich habe nichts getan was schlimm an sich,
Doch viel gewollt, gemocht, gewünscht, getrachtet;
Still zugesehen, wenn es andre taten;
Hier Übles nicht gewollt, doch zugegriffen
Und nicht bedacht daß Übel sich erzeuge.
Und jetzt steh ich vom Unheilsmeer umbrandet
Und kann nicht sagen: ich hab's nicht getan!
O Jugend, warum währst du ewig nicht!
Beglückend Wähnen, seliges Vergessen,
Der Augenblick des Strebens Wieg' und Grab.
Wie plätschert' ich im Strom der Abenteuer,
Die Wogen teilend mit der starken Brust.
Doch kommt das Mannesalter ernst geschritten,
Da flieht der Schein: die nackte Wirklichkeit
Schleicht still heran und brütet über Sorgen.
Die Gegenwart ist dann kein Fruchtbaum mehr,
In dessen Schatten man genießend ruht,
Sie ist ein unangreifbar Samenkorn,
Das man vergräbt, daß eine Zukunft sprosse.
Was wirst du tun? wo wirst du sein und wohnen?
Was wird aus dir? Und was aus Weib und Kind?
Das fällt uns an und quält uns ab und ab.
(Er setzt sich.)


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