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Fünfzehntes Kapitel

Als Grésil nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis den Namen des wahren Thäters erfahren hatte, war seine erste Regung gewesen, daß er Clermont verlassen müsse, um seinen Wohlthätern nicht mehr vor Augen zu kommen. Ihre Aufopferung deuchte ihm übermenschlich, und er fühlte wohl, daß sein Anblick sie aufs peinlichste berühren müsse. Allein an der alten Großmutter waren die Qualen der letzten Zeit nicht spurlos vorübergegangen, ein weiterer Schlaganfall hatte sie vollständig gelähmt und ans Bett gefesselt. Er konnte sie weder an einen andern Ort verpflanzen, noch im Stich lassen, und so mußte er wohl oder übel ausharren. In der alten Werkstatt hatte man ihn jetzt mit offenen Armen wieder aufgenommen, denn seit seine Unschuld im zweiten Fall bewiesen worden war, glaubte man plötzlich auch an seine Schuldlosigkeit im ersten, was nicht gerade logisch, aber zufällig das Richtige war.

Unter den Genossen fand er auch Brichol wieder, der dem Trunk noch mehr ergeben und noch heimtückischer war als früher. Er hatte Grésil anfangs schief angesehen und bei den Kameraden anzuschwärzen gesucht, allein im großen Ganzen lebt gerade im Volk ein ritterlicher Sinn, der sich des Unterdrückten annimmt, und Grésil wurde durch Brichols Tücken nur um so beliebter.

Das paßte der Frau Karoline durchaus nicht; sie hätte ihn gern erst aus der Werkstatt, dann aus dem Städtchen hinausbugsiert. Seit dem Tode des Notars wollte ihr Weizen nicht mehr so recht ins Blühen kommen, und sie war überzeugt, Grésil habe ihr Unglück gebracht. Außerdem trug sie ihm seine barsche Behandlung auf der Heide immer noch nach, vielleicht war sie sich auch insgeheim bewußt, daß sie eine Schlechtigkeit an ihm begangen hatte, und aus all diesen Gründen haßte sie ihn aufrichtig.

Einige Monate lang gelang es ihr, ihn ganz zu vermeiden. Sie war zu diesem Zweck sogar in einen Stadtteil gezogen, der eine Begegnung unwahrscheinlich machte, und ging ihm geflissentlich aus dem Wege. An einem Märzabend jedoch, wo sie die längere Tagesdauer nicht genügend bedacht hatte, stand sie plötzlich in einer wenig begangenen Straße dem einstigen Geliebten gegenüber.

»Oho! Habe ja lange nicht das Vergnügen gehabt!« rief er. »Seit wir miteinander im Fegfeuer saßen ...

»Was dir kein Glück gebracht hat!« versetzte sie, dunkelrot vor Zorn über diese Anspielung. »Ich möchte wahrhaftig nicht zweimal im Loch gesessen haben!«

»Wenigstens war's beidemal der nämliche Herr, der mich hineingebracht hat!« rief Grésil mit zornfunkelnden Augen.

Das Wort war so bissig, daß sogar Karoline verstummte. Grésil überzeugte sich durch eine rasche Umschau, daß die Straße menschenleer war und die Dämmerung rasch hereinbrach, dann zog er den Arm des jungen Weibes durch den seinigen und hielt ihn wie mit eiserner Klammer fest.

»Gehen wir! Man friert ja fast an, und ich habe dir viel zu sagen!«

»Wenn mein Mann uns begegnete!« stöhnte sie unter verzweifelten Versuchen, sich frei zu machen.

»Würde mir nur angenehm sein! Du wohnst jetzt da draußen? Gehen wir in deine Wohnung ... es gab eine Zeit, wo ich dir stets willkommen war!«

Karoline war wirklich in Todesangst vor einer Begegnung. Nicht vor ihrem Mann zitterte sie, sondern vor irgend einer Gevatterin, die sie an Grésils Arm sehen und klatschen könnte. Da es ihr nicht gelang, sich gewaltsam loszureißen, wollte sie's im guten versuchen.

»Ach Ludwig!« flüsterte sie keuchend, denn Grésils Gangart war für ihre rundliche Figur sehr anstrengend. »Wir hatten uns doch einmal lieb!«

»Das ist so lange her, daß ich's vergessen habe!«

»Weshalb schleppst du mich denn dann so fort?« fragte sie, mit einem Ruck stehen bleibend, der ihn auch zum Stillstand zwang.

»Weil du eine richtige Giftschlange bist und mir's Spaß macht, dich zu ärgern! Thäte mir auch gar nicht leid, wenn andre Leute Gelegenheit hätten, sich von deiner Bravheit zu überzeugen.«

Er hatte sich wieder in Trab gesetzt, und sie mußte Schritt halten.

»Du bist mir bös, weil ich nicht zu deinen Gunsten ausgesagt habe? Sei doch vernünftig ... ich konnte doch nicht sagen ...«

»Zum Henker! Weshalb hättest du denn nicht sagen können, du seiest mir zufällig begegnet?«

»Man hätte es nicht geglaubt!«

»Aha! Das ist der Vorteil eines guten Rufs! Mindestens hättest du deine Schuldigkeit gethan gehabt.«

»Es war ja gar nicht nötig!« keuchte sie, nach Luft schnappend. »Es ging ja ohne mich auch gut ab!«

Grésil blieb stehen, gab sie aber nicht frei.

»Ja,« sagte er mit gefurchter Stirn. »Aber auf Kosten von Menschen, die ich liebe und verehre! Deine Aussage hätte mich frei machen können, ohne solche Opfer.«

»Es ist doch besser, daß die Wahrheit an den Tag kam.«

»Wenn du von Wahrheit redest, das macht sich nett!« höhnte er, sie mit sich fortziehend rote einen widerspenstigen Hund. »Das Wort paßt in deinen Mund wie seidene Strümpfe an einen Kuhfuß!«

»Immerhin habe ich meinen Mann nicht totgeschossen,« brummte Karoline, vor Zorn und Anstrengung am Ersticken.

»Nein, du brätst ihn langsam am Spieß! So ... jetzt noch ein Stückchen Weg in dieser Straße, wo es von Leuten wimmelt, dann verzichte ich auf die Ehre!«

Karoline zerbrach sich den Kopf, wie sie ihn bis aufs Blut kränken könnte. Jetzt endlich fiel ihr etwas Zündendes ein.

»Die muß gehörig in dich verschossen sein, diese Fräulein Berthilde! Seine eigene Schwiegermutter vor Gericht schleppen, um deinen Kopf zu retten!«

»Karoline!« schrie Grésil. »Ich habe noch nie ein Weib geschlagen, aber du bist kein Weib, du bist ...«

Er holte zum Schlage aus, sie aber bückte sich und entschlüpfte seinem Arm. Taumelnd, als ob er einen Hieb auf den Kopf erhalten hätte, setzte er seinen Weg fort: ihr nachzueilen kam ihm gar nicht in den Sinn.

»Wenn sie das auch zu andern sagte! Im stande dazu ist das Scheusal!« war sein einziger Gedanke, der ihn manche Nacht um Schlaf und Ruhe brachte.


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