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Dreizehntes Kapitel

Ganz so rasch, als Berthilde gehofft hatte, war die Sache indes doch nicht zu erledigen. Der folgende Tag verging mit den erforderlichen Schritten, aber am Morgen des dritten Tages wurde früh um neun Uhr die Trauung auf dem Standesamt vollzogen. Vier Zeugen und die Tante Firminy bildeten das ganze Brautgeleite. Berthilde hatte ihren bräutlichen Schmuck nicht angelegt, um der öffentlichen Aufmerksamkeit zu entgehen. In einem einfachen grauen Reisekleid sprach sie, äußerlich ruhig, innerlich aufs tiefste bewegt, das entscheidende Wort, das sie zur Tochter der unglückseligen Frau machte. Auch für die Kirche blieb sie in ihrem grauen Kleidchen, nur einen Büschel Orangeblüten heftete ihr die Tante an, was sie willig geschehen ließ. In einer entlegenen Seitenkapelle der alten romanischen Kirche wurde eine Messe für die Neuvermählten gelesen; niemand achtete auf sie.

»So, jetzt kommt ihr zum Frühstück mit mir nach Hause,« erklärte Frau Firminy, als die letzte Förmlichkeit erledigt war, »denn Armand hat sicherlich nicht dafür gesorgt! Nehmt mir's nicht übel, wenn ich frage, was ihr nun beginnen, wo ihr wohnen werdet. Doch nicht in dem alten Haus?«

Die würdige Dame schüttelte sich ein wenig, als sie diese Frage that, denn trotz aller Frömmigkeit war ihr der Schauplatz eines Verbrechens nicht recht geheuer.

»Ich habe ein möbliertes Landhaus an der Straße nach Salvagnat gemietet,« gab Armand zur Antwort, »und dort werden wir vorderhand wohnen. Die Einladung zum Frühstück können wir leider nicht annehmen, liebe Tante ... Berthilde will unverzüglich meine Mutter aufsuchen, und unser Wagen wartet schon.«

Frau Firminy sah etwas verdutzt drein. Sie hatte für ein gutes Hochzeitsfrühstück gesorgt und war selbst eine Feinschmeckerin, und nun wollte man sie nach dem Opfer, das sie diesen jungen Leuten gebracht hatte, ihre Leckerbissen allein aufzehren lassen. Berthilde verstand ihre Not und richtete leise die Bitte an Armand, der guten Seele diese Genugthuung wenigstens nicht zu versagen.

»Bedenke, welch peinvolle Ueberraschungen ihr noch bevorstehen,« fügte sie hinzu. »Gönne ihr wenigstens diese gute Stunde!«

Es geschah, aber die gute Stunde verlief in Beklommenheit. Armand rührte fast keinen Bissen an und sprach gar nichts, Berthilde war zwar doppelt freundlich und herzlich, aber Frau Firminy mußte immer wieder denken, daß ein so trübseliges Brautpaar noch nie dagewesen sei. Endlich war die Mahlzeit überstanden, die Neuvermählten konnten in ihren Wagen steigen und nach Salvagnat fahren.

Sobald sie allein waren, verschlangen sie ihre Hände zu so innigem Druck, als ob beider Wesen ineinanderfließen sollte, und blickten sich tief in die Augen.

»Ich weiß nicht, was unsrer wartet,« sagte Armand mit fieberhaft flackerndem Blick, »jedenfalls Leid und Schmach.«

»Nicht für immer!« versetzte sie mit so freudiger Zuversicht, daß es dem jungen Mann zu Herzen ging.

Er beugte sich über die zarte Hand, die heute ihrer beider Schicksal mit so festem Mut aneinandergeknüpft hatte, und drückte einen langen Kuß darauf.

»Du kommst mit mir,« sagte Berthilde voll Zuversicht, »du hast also verziehen!«

Noch einmal preßte er seine Lippen auf die Hand, die den Trauring trug.

»Nein,« erwiderte er dann. »Du ahnst nicht, was es mich kostet, dich zu betrüben, mein geliebtes Weib, aber täuschen kann ich dich noch weniger – ich habe nicht verziehen und werde nie verzeihen. Ich begleite dich jetzt, aber ihr Haus werde ich nicht betreten, sondern außen auf dich warten ... o bitte, bitte, mach' keinen Versuch, mich umzustimmen, es könnte nur zu fruchtlosen und schmerzlichen Erörterungen zwischen uns führen!«

Sie kannte ihren Gatten. Die Erinnerung bei Kinderstreitigkeiten, worin sie immer seinem stärkeren Willen hatte weichen müssen, war noch lebendig in ihr; sie wußte, daß ihre Sache verloren war.

»Es sei, wie du willst,« versetzte sie, »doch ich hoffe, daß die Zeit deine Gefühle umgestalten wird.«

»Das wird sie nicht!« erklärte Armand.

Berthilde senkte den Kopf. Welch ein grausames Geschick für die unglückselige Frau, wenn sie wirklich den Sohn, um dessentwillen sie die Last des Lebens weiterschleppte, nie wieder in ihre Arme schließen sollte!

Sobald Frau Loysels Häuschen in Sicht kam, stieg Armand aus. Er wollte zu Fuß nach der eigenen Wohnung gehen, die er nur flüchtig in Augenschein genommen hatte. Berthilde sollte nach ihrem Besuch bei der Mutter dorthin nachkommen.

Frau Loysel verriet keine Ueberraschung bei Berthildes Erscheinen.

»Mama!« sagte die junge Frau, die hinfällige Gestalt umschlingend. »Jetzt kann ich mit gutem Recht Mama zu dir sagen. Armand und ich sind heute früh getraut worden.«

Frau Loysels Augen leuchteten auf, sie gab aber keine Antwort.

»Ich komme unmittelbar von der Trauung zu dir,« fuhr Berthilde fort. »Grésil ist in Freiheit ...«

»Und Armand kommt nicht? Ich dachte es ja ... er vergötterte seinen Vater ... und ein Mann hat kein Verständnis für solche Dinge.«

»Du wirst schon sehen, Mama, mit der Zeit kommt er schon zur Einsicht. Jetzt wollen wir uns mit der Frage befassen, ob du nicht besser in Clermont oder sonstwo wärest, wo ich eher bei dir wohnen könnte?«

»Du hast ja deinen Mann ...«

»In erster Linie habe ich dich, Mama! Ich ließ mich trauen, um bei dir sein zu können.«

Die schuldbeladene Frau öffnete ihre Arme, um das Kind an ihr Herz zu drücken, das die Stelle des zum Feind gewordenen Sohnes einnehmen wollte.

»Lies!« sagte sie dann, unwillkürlich die Augen abwischend, die doch keine Thränen mehr kannten. »Das habe ich heute früh erhalten.«

Es war ein Brief des Hilfsstaatsanwalts, worin sie aufgefordert wurde, sich freiwillig dem Gericht zu stellen, um der Pein einer Verhaftung zu entgehen. Berthilde las das Schreiben in tiefer Bewegung. Das war also der erste Schritt auf dem Armensünderpfad, wovor Armand ein solches Grauen empfand.

»Ich glaube, daß wir unter diesen Umständen keine Zeit verlieren sollten, Mama,« erklärte sie dann. »Wenn du einverstanden bist, so fahren wir auf der Stelle in meinem Wagen ab.«

»Du begleitest mich zu diesem Herrn Brécourt?«

»Zu ihm und an den Ort, wohin er dich schicken wird.«

»Sogar ins Gefängnis?« fragte Frau Loysel, ihre Schwiegertochter erstaunt ansehend.

»Wenn man mir Zutritt gewährt, gewiß, Mama. Ich glaube aber nicht, daß es sich darum handelt, sondern daß man dir vorläufig ein Krankenhaus zum Aufenthalt anweisen wird.«

»So gehen wir,« sagte die Mutter.

Ihr Gang war unsicher, ihre Bewegungen unbestimmt, und Berthilde erkannte mit Schrecken, daß ihr die einfachsten Handgriffe schwer wurden. Die Unglückliche hatte vergessen, wie man ein Hutband knüpft: Handschuhe anzuziehen, bereitete ihr Schwierigkeiten. Das überarbeitete Gehirn war einem Zusammenbruch nahe, und der Aufenthalt im Spital bedurfte keines Vorwands mehr, er war dringende Notwendigkeit.

Während der Fahrt sprach Frau Loysel kein Wort, die Fragen Brécourts aber beantwortete sie ohne Scheu und Erregung. Nun, nachdem das Geständnis einmal abgelegt war, nahm sie die Folgen mit der hoffnungslosen Ruhe eines zur Schlachtbank geschleppten Tieres aus sich.

»Frau Loysel,« sagte Brécourt mit einem verständigenden Blick in Berthildes Augen, »scheint mir nicht in der Verfassung zu sein, um ohne Pflege sich selbst überlassen zu bleiben. Wenn Sie die Dame der Obhut eines tüchtigen Arztes anvertrauen wollen, so würde ich die Verantwortung dafür übernehmen.«

»Ich habe im Sinn, selbst bei ihr zu bleiben,« versetzte Berthilde, ihn fest ansehend, und er verbeugte sich mit Ehrfurcht vor der jungen Frau.

Eine Stunde darauf lag Frau Loysel in einem klösterlich einfachen, reinlichen Spitalzimmer und raste in heftigem Fieber. Sie durchlebte in ihren Phantasieen Armands Kinderzeit und mühte sich vergebens, ihn lesen zu lehren.

»Du willst nicht, mein Liebling?« sagte sie überredend. »Das ist sehr unrecht von dir und betrübt deine arme Mama sehr ...«

Den Kopf in ihre Bettdecke schmiegend, zerfloß Berthilde in Thränen, und diese Thränen waren die letzte Weihe ihres Hochzeitstages. Die ganze Nacht wachte sie bei der Kranken, und wenn diese einige Ruhe fand, eilten ihre Gedanken zu dem geliebten Mann, der einsam im fremden Hause saß, das unentrinnbare Schicksal überdenkend.


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