Rudolf Greinz
Tiroler Leut
Rudolf Greinz

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Hochwürden der Weiberfeind

Wenn der hochwürdige Herr Medardus Leitenpichler eine Ahnung gehabt hätte, wie er hintergangen wurde, so wäre er wahrscheinlich ein noch größerer Weiberfeind geworden, als er es ohnedies schon war. Obwohl der Höhepunkt seiner Gegnerschaft zum weiblichen Geschlecht schon fast nicht mehr überboten werden konnte. Denn die Weiber noch ehrlicher hassen, wie das der hochwürdige Herr Medardus Leitenpichler tat, konnte man einfach nicht.

Es war schon zu einer Art fixen Idee bei ihm geworden, daß alles, was auf dieser Erde Übles geschah, dem Weibe zu verdanken war. Und mit den Jahren hatte sich der alte Herr in einen solchen Widerwillen gegen das weibliche Geschlecht hineingeredet, daß er beim bloßen Anblick dieser sogenannten »besseren Hälfte« der Menschheit einen unwiderstehlichen Widerwillen verspürte.

184 »Rein zum Grausen ist's, wenn man a so a Weibsbild anschaut!« knurrte er dann vor sich hin. »I möcht' grad wissen, was da Schönes dran sein soll! Entweder sie sein dürr und zach wie alte Hennen oder Küh' . . . oder sie sein wampet und fett. I moan', i riech' die Fett'n schon von aller Weiten. Völlig übel wird mir in der Kirch'n beim Mess' lesen. Vor lauter G'stank. Und der ganze G'stank kimmt akkrat nur von die Weiberleut her.«

»Freilich. Als ob die Mannder gar nit stinken taten!« keifte dann wohl die alte Wirtschafterin bissig zurück.

Sie war ein kleines ausgetrocknetes Weiblein, braun und runzlig im Gesicht, mit schütterem glattgescheiteltem weißem Haar.

Eigentlich paßte das Keifen so gar nicht zu ihr; denn sie war im Grunde ihres Wesens gutmütig und heiter. Nur durch den steten Umgang mit dem grantigen und schrulligen hochwürdigen Herrn Kuraten hatte sie etwas von seiner Bösartigkeit angenommen.

Ihm freilich merkte man's schon von aller 185 Weiten an, wie zuwider und verschroben er war. Ein kleines, gleichfalls zaundürres Manndl. Haut und Knochen. Sah aus wie von der rauhen Bergluft geräuchert. Hoch genug dazu war's ja da droben in dem stillen Bergwinkel, wohin es den alten Herrn schon vor vielen Jahren verschlagen hatte.

»Naa. Die Mannder, die duften!« widersprach der alte Herr seiner Wirtschafterin eigensinnig. »Riechen höchstens nach Heu und Kuhdreck. Und dös ist g'sund. Verstanden?« behauptete er mit einem Nachdruck, der keinen Widerspruch duldete.

»Ah freilich. Weil's von die Mannder kimmt, ist's auf einmal g'sund! Daß i nit lach'! Ausgerechnet die Mannder müssen g'sund stinken. Und mi graust vor die Mannderleut akkarat a so wie Ihnen vor die Weiberleut! Daß Sie's grad wissen!«

Sprühgiftig konnte bei solchen und ähnlichen Debatten die Wirtschafterin dann oft werden. Und auch der hochwürdige Medardus Leitenpichler redete sich, durch ihren Widerspruch nur 186 noch mehr gereizt, in eine immer größere Wut hinein, bis endlich wie gewöhnlich die Apollonia den kürzeren Teil zog und vor dem mächtigen Stimmaufwand ihres hochwürdigen Dienstherrn in ihre Küche flüchtete.

Denn in der Kuchel war sie sicher vor ihm und seinem Zorn. Dort herrschte sie, die Apollonia, einzig und allein. Und dieses Reich respektierte der alte Herr wie ein Heiligtum.

Das kam daher, weil sich die Apollonia zu rächen wußte. Wenn der alte Herr ihr Heiligtum durch seine unheiligen Reden schändete, dann kochte sie ihm einen Schlangenfraß. Und diese Rache traf ihn tief; denn der Hochwürdige schätzte nichts so sehr auf Erden als eine schmackhaft zubereitete Mahlzeit.

Und wenn die Apollonia in ihrem Weibsgefühl gar zu arg gekränkt worden war, dann kochte sie tagelang und auch wochenlang so miserabel, daß dem Hochwürdigen schließlich nichts anderes übrig blieb, als auf irgendeine Weise einen Friedenszustand mit seiner Häuserin herbeizuführen.

187 »Gelten's . . .« keifte das alte Weiblein dann wohl giftig. »Da wären Ihnen die Weiber wieder gut genug dazu, daß sie Ihnen sein aufkochen . . .«

»Ja. Dazu sein sie ja auf der Welt!« unterbrach sie der hochwürdige Herr Kurat dann schroff. »Wenn sie nit amal mehr kochen können . . . dann sein sie für nix nutz als wie für'n Scheiterhaufen!« erklärte er sehr energisch und hieb mit der Faust auf die Tischplatte, daß es nur so krachte.

So ganz von einem Weib unterkriegen konnte er sich denn doch nicht lassen. Lieber zugrunde gehen, als eingestehen, daß man von den Weibern abhängig war.

Eigentlich hätten die beiden alten Leute schon friedlicher miteinander leben können. Denn fast ein Menschenalter hindurch hausten sie nun zusammen in dieser Bergeinsamkeit, für die das Wort Dorf schon nicht mehr recht paßte.

Etliche Holzhäuschen standen verstreut und geduckt neben der kleinen Kirche, hinter der gleich 188 das Pfarrhaus demütig und wie hingeklebt Platz gefunden hatte.

Der Widum war ein niedriger einstöckiger Holzbau, mit Schindeln bedeckt, die durch große Steine beschwert waren. Nur der Unterbau des Hauses war gemauert.

Ganz bescheiden lugte das Weiß der Mauer hervor und brachte dadurch das tiefdunkle Braun des Holzes erst recht zur Geltung. Aber das Stückchen weiße Mauer zeigte an, daß dieses Haus trotz seiner Bescheidenheit vornehmer war als die anderen Häuser ringsum.

Ganz eng war der Taleinschnitt, in dem das Kirchlein mit den Holzhäusern lag. Und von hohen Bergriesen war die Siedlung umgeben. Zwei Wildbäche, die von den nahen Gletschern kamen, vereinten sich hier und brausten mit Getöse und im wilden Lauf über Steine und Felsblöcke hinab ins Tal.

Von weither kamen die Leute an den Sonntagen zum Gottesdienst in die kleine Kirche. Denn einsam und verstreut standen die Bauernhäuser hoch oben auf Berghalden oder in engen 189 Nebentälern; und nur selten verirrte sich ein Fremder dorthin.

Abseits vom Dörfl lag ein Gasthaus. Ein großer stattlicher Holzbau. Da kehrten in den wenigen Sommerwochen die Bergwanderer zu und erfrischten sich bei kurzer Rast.

An dem Pfarrhaus selbst kamen sie nicht einmal vorüber. Denn wie zum Schutz gegen unbefugte Blicke baute sich vor ihm das Kirchl mit dem davor lagernden Friedhof auf.

In dieser völligen Bergabgeschiedenheit lebte der alte Kurat Medardus Leitenpichler nun schon seit vielen, vielen Jahren. Beinahe ein Menschenalter hindurch. Und mit ihm die Apollonia Hopfner, seine Häuserin. Und aus dem etwas schrulligen Manne, der er von jeher schon gewesen, war ein noch schrulligerer Sonderling geworden, der sein ohnedies einsames Leben noch einsamer gestaltete, menschenscheu wurde und verbissen und noch dazu ein grimmiger Weiberfeind.

Ein Weiberfeind war er schon immer gewesen. Die Bauern des Hochtales kannten 190 ihn nie anders und hatten ihren Spaß mit ihm.

Besonders seine Predigten waren sehr beliebt bei ihnen. Bei diesen Predigten gab es keine schläfrigen Andächtigen, sondern nur höchst aufmerksame Zuhörer. Denn da wetterte der hochwürdige Herr Kurat gegen alles, was weiblich war, und schrie und tobte oft von der Kanzel herab wie ein Wahnsinniger.

Und nach der Predigt rotteten sich die Bauern vor der Kirche zusammen. Ein Häuflein Bauern und ein Häuflein Burschen. Stopften sich voll Behagen ihre Pfeifen und schmunzelten schadenfroh. Und wenn sich ein Mädel oder ein Weibsbild blicken ließ, dann setzte es Spottreden und derbe Witze. Fluchtartig verließen die Weiberleut dann die Kirche und gingen den Manndern aus dem Weg, so rasch sie nur konnten.

»Hat er's enk wieder amal geben, ha?« höhnten die Mannder hinter den flüchtenden Weibern drein. »Unser Kurat, der ist halt oaner!« lobten sie den Hochwürdigen voll Stolz. Denn das leuchtete selbst dem dümmsten Bauern 191 ein, daß es ein ganz erhabenes Gefühl sein müsse, ein Mann zu sein und über die Weiber herrschen zu dürfen, so viel man wollte.

»A Narr ist's!«

»Spinnen tut er!« eiferten dann die Weiber erbost.

Aber eines blieb Tatsache. Im ganzen Umkreis gab es nicht einen einzigen Pantoffelhelden. Alle Männer führten ausnahmslos das Regiment und ließen die Weiber nicht aufkommen.

»Und dös ist grad unser Kurat!« behaupteten die Mannderleut.

»Ja, wenn wir den nit hätten!«

Man konnte aber trotzdem nicht sagen, daß sich deswegen der hochwürdige Herr Medardus Leitenpichler einer besonderen Beliebtheit bei den Männern seiner Gemeinde erfreut hätte.

Im Gegenteil. Sie fürchteten ihn genau so, wie das die Weiber taten. Und die Furcht vor ihm ging so weit, daß die Burschen es vorzogen, zu den Beichtzeiten, wie namentlich zu Ostern oder zu Portiunkula die lange Wanderung ins Haupttal anzutreten, um dort ihr 192 Sündenbekenntnis abzulegen. Denn drunten im Tal gab's halt doch Geistliche, die für menschliche Fehler und Irrtümer mehr Verständnis besaßen wie der alte Weiberfeind in der Bergeinsamkeit droben.

Denn wehe, wenn der auf eine Sünde kam, die gegen das sechste Gebot verstieß. Da kannte seine Wut keine Grenzen. Am liebsten hätte er da im Beichtstuhl drinnen den Schuldigen windelweich durchgeprügelt.

Aber auch die Ehemänner fürchteten sich vor dem Kuraten. Ganz besonders, wenn es galt, eine Kindstaufe bei ihm anzumelden. Und das kam halt doch öfters vor. Wenn dann der Täufling noch obendrein ein Madele war und der Kurat noch dazu einen ganz besonders schlechten Tag hatte, dann konnte es schon passieren, daß der Hochwürdige den Bauer wie einen Schulbuben abkanzelte.

»Daß du gar nit g'scheiter wirst! Ha? Hast du denn koa Arbeit nit, daß du grad alleweil hinter dein' Weib her sein mußt. Schamst di gar nit, ha?«

193 »Mei . . . Herr Kurat . . .« stammelte der schuldige Bauer dann doch etwas vertattert. »'s geht halt amal nit anders. 's muaß wohl eppar a so sein. Sischt taten ja die Menschen aussterben.«

»Und dös wär' koa Schad' nit, verstanden? Ganz recht wär's. Nacher würd's erst fein auf der Welt. Hätt' man wenigstens sei' Ruh' vor die Weiber!« erklärte der Kurat mit fester Überzeugung.

Der Bauer teilte zwar diese Überzeugung keineswegs; denn schon nach Jahresfrist mußte er häufig wieder den bitteren Gang zum Taufanmelden antreten.

Seit einiger Zeit hatte die Schneid' und Wut des Herrn Kuraten bei den Predigten etwas nachgelassen.

Das kam daher, weil sich der hochwürdige Herr Medardus Leitenpichler gar nicht wohl fühlte. Er klagte zwar nicht. Das war nicht seine Art. Aber er schrumpfte immer noch mehr zusammen und sah noch faltiger und noch verbissener aus als gewöhnlich. Und war auch noch menschenscheuer wie sonst.

194 Kaum daß er am frühen Morgen die Messe gelesen hatte, eilte er schon, ohne nach rechts oder links zu sehen, aus der Sakristei dem Widum zu. Dort verschloß er sich in sein Studierzimmer, bis ihn die Apollonia zum Essen rief.

Auch die sonst üblichen täglichen Kämpfe mit der Wirtschafterin unterblieben. Er sah sie kaum an und redete kein Wort mit ihr. Weder im Guten noch im Bösen.

Das veränderte Aussehen des Herrn Kuraten machte der Apollonia Sorge. Schließlich hatte man sich in den vielen Jahren doch so aneinander gewöhnt, daß diese Sorge für das Wohlergehen des Hochwürdigen unbedingt aufkommen mußte.

»Ist Ihnen nit extra, Hochwürden?« frug ihn das alte Weiblein einmal, als sie ihm einen Teller Suppe brachte.

Keine Antwort. Aber die Apollonia gab nicht nach.

»Ob Ihnen nit gut ist. hab' i g'fragt!« wiederholte sie mit erhöhter Stimme.

»Geht's di vielleicht was an, ha?« kam es bissig zurück.

195 Die Apollonia war an derartige Liebenswürdigkeiten gewöhnt und ließ sich dadurch nicht abschrecken.

»I tät' Ihnen an Brusttee kochen, Hochwürden . . .« schlug sie freundlich vor. »Oder an Salbeitee zum Gurgeln. Oder vielleicht an Wermuttee für'n Magen oder an Kamillentee für'n Bauch . . .«

»Iatz schaust aber, daß d' beim Loch außi kimmst mit deine Tee!« schimpfte der Herr Kurat mit einem Anflug seiner ehemaligen Galle und Energie. »Sischt schmeiß i di zum Fenster außi, daß d' deine Boaner z'sammsuach'n kannst. Nacher kannst dir an Tee davon kocha, wenn d' magst. Tee! Tee! Und no amal Tee! Sischt fallt so an damischen Weiberg'hirn nix ein. Koan Tee will i, verstanden? Mei' Ruah' will i haben mit deine Vorschläg'! Verstanden? Und z'essen mag i aa nix. Erst recht nix. Grad zu Fleiß nit. Nit daß d' glaubst, es schmeckt mir, weil du's bist. Grad extra und zu Fleiß nit iß i! Verstanden?«

Die Apollonia war schon längst zur Tür 196 hinaus, und der Kurat wetterte noch immer hinter ihr drein.

Es tat ihm doch recht gut, daß er seine Galle wieder einmal auslassen konnte; und er fühlte sich sichtlich erleichtert davon. So sehr, daß er trotz aller vorangegangenen Proteste die Suppe aufaß und dann noch den Löffel mit der Zunge ableckte. So gut hatte es ihm geschmeckt . . .

Es kam aber die Zeit, wo er trotz Gift und Galle auf alles, was Weib hieß, um das Weib froh sein mußte.

Und die Apollonia zeigte, daß sie ein echtes Weib war mit einem warmen hilfsbereiten Herzen. Nichts trug sie dem alten Grantniggel nach, sondern pflegte ihn treu und sorgsam. Denn den ganzen Winter hindurch hatte sich der alte Herr kaum auf den Beinen halten können. Nur mit äußerster Überwindung vermochte er es, die tägliche Messe zu lesen; und die sonntäglichen Predigten fielen jetzt kurz und sehr zahm aus.

»Eigentlich sollten Sie Ihnen um an Aushilfsherrn schreiben!« schlug ihm die alte 197 Häuserin besorgt vor. »Sie derstehen's ja kaum mehr bei der Mess'. Und a Dokter sollt' aa kommen.«

»Freilich . . . a Dokter!« höhnte der alte Giftniggel. »Moanst, i mag schon am Freithof liegen? Dös wär's sicherste Mittel, daß i krepieren tät', wann i an solchen diplomierten Kamel in die Händ' fallet. Daß du di nit unterstehst und mir oan' rufen laßt. I schmeiß zuerst ihn und nacher di außi. Verstanden?«

Die Apollonia sah schon: da half nichts. Mit dem kam kein Mensch zu fahren, auch kein Doktor. Und so ließ sie's eben bleiben und betreute den Kranken, so gut sie konnte.

Der aber wurde immer anspruchsvoller und immer zuwiderer. Jetzt hatte er plötzlich herausgefunden, daß es doch auch ganz angenehm war, einmal krank zu sein. Denn merkwürdigerweise war da die Apollonia zahmer und widersprach ihm nicht immer. Auch wenn er einmal besonders ausfällig wurde gegen die Weiber. Da schnitt sie höchstens ein spöttisches Gesicht und ging aus dem Zimmer.

198 Sie blieb aber nicht lange draußen, sondern erkundigte sich bald wieder nach seinen Wünschen. Und Wünsche hatte der alte Herr immer bereit. Bald wollte er dieses haben, bald was anderes.

Es war eine harte Zeit für das alte Weiblein. Und noch dazu war's Winter. Da wurde ihr die Arbeit schon ein bissel zu viel, und abends war sie dann oft so müde, daß sie vor Mattigkeit kein Auge schließen und nicht einmal ordentlich schlafen konnte.

Je besser es dem Hochwürdigen ging, desto elender fühlte sich die Apollonia. Er aber merkte das gar nicht. Er genoß es so recht, bedient zu werden, und kommandierte die Häuserin immer mehr herum. Bis es ihr einmal zu viel wurde.

»Hochwürden . . . i dermach's nimmer . . .« gestand sie ihm kläglich. »I werd' mir a Aushilf' nehmen müssen!« meinte sie und stand fast bittend vor ihm.

Der alte Kurat riß vor Staunen Mund und Augen auf.

»Ah, da schau her!« sagte er höhnisch. »Nimmer dermachen tätest es du. Und brauchest a 199 Aushilf'! Siehst, was ös Weiberleut für a elende Rass' seid's! I hab' koa Aushilf' braucht! I hab's dermacht. Und hab' kaum kriechen können. Dös freut mi, daß du a Hilf' brauchst. Freut mi!« höhnte er wieder und immer wieder.

Die Apollonia war so gekränkt, daß sie zu heulen anfing und weinend in die Küche lief. Aber der Hochwürdige kam ihr nicht nach. Beileib nit. Schon von wegen des Schlangenfraßes.

Aber er dachte, in seinem Lehnstuhl sitzend, tief über den sonderbaren Fall nach. Denn natürlich war es nur eine Finte von dem Weibsbild, der Apollonia. Irgendeine Bosheit, die sie sich für ihn ausgedacht hatte.

Wie konnte man von dem bissel Arbeit, die er ihr verursachte, auch so ermüden, daß man erkrankte? Ausgeschlossen. Einbildung und nichts wie Einbildung. Auf diese Schlich' wollte er ihr schon kommen.

Als die Apollonia so gegen Abend wieder zum Vorschein kam, ließ sie der Herr Kurat beinahe freundlich an.

200 »Hast dir vielleicht schon um a Aushilf' umg'schaut?« forschte er, und seine kleinen hellen Augen blinzelten boshaft zu dem alten Weiblein hin, das im Türrahmen der niedern braungetäfelten Stube stand.

»Ja!« gestand die Apollonia demütig. »Dös hab' i schon. Weil i so lötz bin.«

»Geh?« tat der Hochwürdige mitleidig. »Und wer ist es nachher?«

»Die Walburg. 's Madel von a meinigen Schwester.«

»Geh? Eppar gar vom Tal aufer?«

Die Apollonia nickte. »Freilich. Dem Bögl sei' Madel vom Dorf unten.«

»Was d' nit sagst? Und mit der hast du g'red't? Bist ja gar nia abi kommen ins Dorf, so viel i woaß?«

»Naa . . . aber sie ist ja da bei uns heroben!« erzählte die Häuserin. »Drunten beim Wirt hat sie ausg'holfen an etlene Wochen als Kellnerin.«

»Als Kellnerin!« Der Hochwürdige schrie 201 das Wort beinahe heraus. »Und dö willst du mir ins Haus bringen? Da wird nix draus!« erklärte er resolut. »Da stellet i ja lieber den leibhaftigen Gottseibeiuns als Aushilf' an als wie so a Madel!«

»Aber Hochwürden . . . Hochwürden . . .« jammerte die Apollonia erschrocken. »Dös ist ja schrecklich mit Ihnen. Iatz sein's ganz narret.«

»Naa. Das bin i nit. I woaß, was i red'. Den Gottseibeiuns kann i mit Weihwasser versprengen, wann i mag . . . aber so a Weibsbild nit. Da hilft koa g'weihtes Wasser und koa Skapulier. Dö Weiber sein ärger wie der Teufel. Und drum kimmt mir koane ins Haus. Verstanden? Und wann du dei' Arbeit nit dermachst, nacher mach' i mir sie selber. Verstanden? Und iatz wird nimmer g'red't drüber, verstanden? I will mei' Ruah' haben und mei' Fried'. Verstanden?«

Und dabei blieb's. Es wurde nicht mehr geredet darüber, und die Arbeit geschah. Alles ganz genau wie zuvor. Aber wenn der hochwürdige Herr Medardus Leitenpichler eine 202 Ahnung davon gehabt hätte, daß er nun schon fast zwei Wochen mit einem weiblichen Gottseibeiuns, den man nicht einmal mit Weihwasser versprengen konnte, unter einem und demselben Dach hauste, dann wäre er vor Wut wohl ganz »narret« worden.

Denn die Apollonia hatte ihre Nichte trotz des strengen Verbotes doch zu sich genommen. Ganz heimlich und bei der Nacht war das Mädel gekommen und hielt sich entweder in der Küche oder in der Kammer der Häuserin verborgen.

Die Walpurg war herzlich gern zu ihrer Tante gezogen.

»Brauchst mir nix zu zahlen!« hatte sie erklärt. »I hilf dir gern aus, bis du wieder ganz g'sund bist.«

Und die Apollonia spürte die Hilfe halt doch gewaltig. Zwei junge kräftige Arme taten sich halt doch leichter bei der Arbeit als die kraftlosen dünnen Arme eines alten Weibeles.

Und der Hochwürdige wußte nichts davon. Das war der Trost der alten Wirtschafterin. Und ihr tat die Ruhe so wohl. Er kommandierte 203 sie ohnedies noch genug herum, der alte Grantniggel. Und freute sich sichtbar darüber, daß sie ihm alles so willig und ohne Widerspruch tat.

»Man muß nur energisch sein mit die Weiber. Und ihnen den Herrn zeigen! Hätt' der Adam im Paradies der Eva den Herrn gezeigt, nacher wär' alles anders worden auf Erden. Aufs Kommando kommt's an! Nur aufs Kommando!«

So schimpfte und sprach der Herr Kurat vor sich hin und bereitete sich auf diese Weise würdig für die nächste Kraft- und Saftpredigt vor. Denn die wollte er jetzt schon recht bald halten. Sonst könnten die Weiber am Ende gar übermütig werden und ihre Mannder hintergehen.

Draußen in der Kuchel kicherte die Walpurg schadenfroh in sich hinein.

»Wie der mit sich selber schimpft, Basl . . .« lachte sie und zeigte dabei die beiden Reihen kerngesunder weißer Zähne, die in dem apfelroten Gesicht doppelt weiß glänzten.

»Sei stad, Madl . . . sei stad!« flüsterte die Apollonia ängstlich. »Wenn der wisset . . .«

204 »Ja . . . wenn der wisset . . .« Und das lebfrische Diandl bekam vor lustigem Übermut einen solchen Lachkrampf, daß sie sich in den vollen runden Arm beißen mußte, um nicht laut herauszuplatzen.

»Ja . . . wann der wisset . . .«

Und wenn die Apollonia es gewußt hätte, was sie fast alle ringsherum wußten. Nämlich . . . daß das Diandl nur deswegen gar so gern bei der Basl ausgeholfen hatte, weil sie ganz narrisch verliebt war.

Der Auserwählte wohnte auch nicht weit vom Pfarrhaus. So etwa eine gute Viertelstunde weit in einem kleinen Jägerhäusl. Und da konnte die Walpurg ab und zu einmal auf die Nacht zum Besuch kommen.

Wenn's auch nur kurze Besuche waren, schön war's doch. Unbändig schön. Und das Leben gefreute das Diandl, trotz aller Heimlichkeiten oder gerade wegen der Heimlichkeiten.

Am liebsten hätte sie den ganzen lieben Tag gesungen und gejodelt vor Glück. Aber das durfte ja nicht sein. Da wäre der hochwürdige Herr 205 Medardus Leitenpichler ja darauf gekommen, daß so ein junger sündhafter Gottseibeiuns im Haus war.

Aber schließlich kam er doch drauf. Wie's halt so geht. Der reinste Zufall.

Das war, als er von der Frühmesse in den Widum zurückhumpelte. Und da es ihm gesundheitlich schon viel besser ging, hatte er auch wieder mehr Sinn für seine Umgebung bekommen und schaute ein bissel herum.

Und da war's ihm aufgefallen, daß die Weiber, als er die Sakristei verließ und an ihnen vorüberging, sich einander anstießen und schadenfroh hinter ihm dreinlachten.

Ja . . . lachten. Daran war kein Zweifel.

Und noch etwas war ihm aufgefallen. Das Kirchenmäusl, ein uraltes Weibele, das sich mit Vorliebe fast den ganzen Tag in der Kirche aufhielt, hatte Miene gemacht, ihm nachzuhumpeln.

Das Kirchenmäusl war die Klatschblase des Dörfels. Alles wußte sie. Rein alles. Und verbreitete es. Wie eine Zeitung.

Wenn das Kirchenmäusl jemandem 206 nachhumpelte, so war das verdächtig. Also wußte sie etwas, das sie ihm berichten wollte.

Das Mißtrauen regte sich bei dem Hochwürdigen und kehrte sich naturgemäß gegen das Weib. Die Apollonia . . . die Apollonia hatte etwas auf dem Kerbholz, von dem das Kirchenmäusl wußte.

Der Herr Kurat war viel zu stolz und selbstbewußt, um die Hilfe des Kirchenmäusels in Anspruch zu nehmen. Er würde schon von alleine draufkommen, was es war. Und mit einem bösen zornigen Blick hielt er das Kirchenmäusl davon ab, sich ihm zu nähern.

Aber daheim machte er die Augen auf und spürte der Apollonia nach. Wagte sich bis an die geheiligte Grenze der Küche und horchte an der Tür. Und hörte Stimmengeflüster. Ganz leise. Aber er unterschied zwei Stimmen. Deutlich. Zwei weibliche Stimmen.

Da öffnete er die Türe. Rasch und unvorbereitet. Und erstarrte.

Am Herdrand saß ein bildhübsches junges Mädel mit hellblonden Haaren und lachenden 207 braunen Augen. Mit übermütigen lustigen Augen und einem herzigen dunkelroten Mund, der jetzt vor Schreck offenstand. Nur für einen Augenblick. Dann platzte sie los.

Hell und silbern klang ihr Lachen, und sie bog sich in den Hüften und wand und drehte sich übermütig.

Der alte Grantniggel konnte nicht anders. Er war starr für's erste. Fassungslos.

Ein Mädel. Hier . . . bei ihm . . . unter seinem Dach. Und sauber war sie auch noch. Jetzt erst fiel es ihm auf, daß er sie hübsch fand.

Das mußte ein Satan sein. Ein Teufelsgebilde. Das mußte entfernt werden. So rasch wie möglich. Sofort.

Hochwürden der Weiberfeind fand seine Sprache wieder.

»Wie bist denn du da einer kommen?«

Die Frage sollte barsch klingen, war aber beileibe nicht so rauh, wie er sonst die Apollonia anzuherrschen pflegte.

Das Mädel lachte noch immer und zeigte seine Zähne.

208 »Bei der Tür . . . Hochwürden.«

»Wann?«

»Vor bald vierzehn Tag.«

»So.«

Erst jetzt kam er völlig aus der Fassung.

»Wer hat di einer g'lassen?«

»Die da. Mei' Basl.«

Das Mädel wies mit dem Zeigefinger seiner kleinen braunen Arbeitshand nach der Apollonia, die schuldbewußt und zitternd in einer Ecke der Küche stand.

Da überkam den Alten der Zorn.

»Schlange!« schrie er und hieb mit der flachen Hand so heftig auf die Kuchelanricht, daß zwei Kaffeeschalen klirrend zu Boden fielen. »Schlange!«

Die Apollonia war so erschrocken, daß sie zu weinen anfing.

»I bitt' . . . Hochwürden . . .« stotterte sie.

Mit einem Satz sprang das Mädel vom Herdrand und stellte sich neben dem alten Weibele auf.

»Gelt, Hochwürden . . . sie hat Ihnen nix erzählt von mir?« forschte sie und sah den Kuraten 209 mit unschuldigen Augen an. »I hab' mir's ja alleweil denkt. 's war mir schon alleweil verdächtig.«

»Was war dir verdächtig?« herrschte der Hochwürdige das Mädel an. »Außer mit der Sprach'!«

»O mei, Hochwürden . . . wann Sie mir a so grob kömmen, dann red' i überhaupt nix. Da verschlagt's mir die Red' . . . weil i mir fürchten tua . . .«

»Also red'!« gebot der Kurat etwas milder.

»Wohl . . . därf i?« Mit lustigen bittenden Augen schaute das Mädel auf den alten Herrn. »Alsdann bin i halt so frei. Aber wollen's Ihnen nit a bissel herhocken, Hochwürden?«

Eifrig holte sie einen Stuhl herbei und wischte mit ihrer Schürze drüber hinweg.

»I setz' mi . . . wann i mag. Verstanden?« polterte der Kurat in seiner gewohnten liebenswürdigen Art.

»Aber natürlich. Bitt' um Entschuldigung. Das hab' i nit bös g'meint.« Und schon trug sie den Stuhl wieder zurück.

210 »Dalassen!« befahl der Alte. »Jetzt will i sitzen.«

»Sehen's, Hochwürden . . . das hab' i glei' g'wußt, daß Sie werden mögen. Mei . . . dös ist nit schwer zu derraten, was so a alter Herr will.«

»Red', was i di frag', und koan Unsinn!« herrschte sie der Kurat abermals an.

»Also fragen's halt.«

»Erzählen sollst!«

»Gelten's, dös möchten's wissen, wie i da zu Ihnen kommen bin. Ja, wissen's, die Apollonia, mei' Basl, hat halt soviel gebettelt und gebettelt. I soll halt döcht kömmen. Der Hochwürdige sei soviel krank und braucht a Pfleg'. Und sie dermacht's nimmer.«

»Sie dermacht's nimmer!« wiederholte der Kurat höhnisch und mit einem vernichtenden Blick auf das schuldige Weiblein. »Sie dermacht's nimmer!«

»Freilich. 's war aa hart, Hochwürden!« bestätigte das Diandl eifrig. »Das kann so a Herr, wie Sie sein, halt gar nit verstehn. Aber 211 wir Weiberleut . . . wir halten wirklich nit viel aus. Wir sein für nicht!« erklärte sie verächtlich.

»Aber Walpurg . . .« unterbrach sie die Basl vorwurfsvoll.

»Sei grad du stad!« herrschte sie das Mädel an. »Jetzt red' ich . . . verstanden?«

Der Kurat mochte wollen oder nicht. Aber der Ton, in dem das Mädel mit seiner alten Wirtschafterin sprach, der gefiel ihm. Das war sein Ton. Alle Achtung.

»Also, Hochwürden . . .« fuhr das Mädel in seinem Bericht fort. »Da hab' i mi halt erweichen lassen und bin daher kommen. Aber, hab' i g'sagt, dös sag' i dir glei', Basl, Heimlichkeiten gibt's nit. Du mußt dem Hochwürdigen erzählen, daß i da bin.«

»Erzählen . . . daß du da bist?« wiederholte die Wirtschafterin außer sich.

»Ja. Das hab' i verlangt von dir!«

Das Mädel stemmte beide Arme in die Hüften und pflanzte sich herausfordernd vor dem alten Weibele auf.

212 »Gelt . . . und du hast es nit getan. So schaust aus! Schlange! Ja . . . das bist. Hast mich dem Hochwürdigen verheimlicht und hast mir g'sagt, er wüßt' schon, daß i da sei . . . i soll mi aber nit sehen lassen und nit mahren. Das sei seine Bedingung. Sonst müßt' i aus dem Haus! Und war alles derstunken und derlogen. Und du bist ganz a b'sonders schlechtes Weibsbild. Scho' so spottschlecht, wie's nit bald amal eppas gibt. Scham' di . . . du . . . du . . .!«

In hellen Zornestönen schimpfte das Mädel auf das alte Weibele ein. Die wußte sich keinen Rat mehr. Wußte nicht, ob jetzt sie verrückt geworden sei oder das Mädel. Denn das Spiel des Mädels durchschaute sie keinesfalls. Dazu war ihr Gemüt viel zu einfach und unverdorben.

Schließlich bekam der Zorn auch bei ihr die Oberhand. Und es war ein so komischer Anblick, wie die beiden Weiber zornig aufeinander losschrien, daß der grantige alte Kurat hellauf lachen mußte.

Das hatte er seit vielen, vielen Jahren nicht 213 mehr getan. Und das wirkte befreiend und wohltuend auf ihn.

Der Apollonia aber verschlug es inmitten ihrer Wut die Rede.

»Ja . . . Hochwürden . . . Sie lachen ja?« frug sie ganz perplex.

»Dös Madl g'fallt mir. Meiner Seel' . . . wann dös a Mannsbild wär' und koa Weibsbild . . .«

»Kann vielleicht i was dafür, daß i a Weibsbild worden bin?« fuhr das Mädel nun auf den hochwürdigen Herrn Kuraten los.

»Naa . . . dafür kannst nix. Aber a Fehler ist's!«

»Aus dem Haus mußt mir . . . du! Auf der Stell'!« keifte die Apollonia.

»I geh' schon. I geh'!« schrie das Mädel im gemachten Zorn.

»Naa . . . du bleibst!« gebot der Hochwürdige.

»Nachher geh' i!« erklärte die Apollonia.

»Naa . . . du bleibst aa! Alle beide bleibt's. I will's haben!« sagte er in seinem alten verbissenen Ton. »Jetzt hab' i wenigstens a Hilf' 214 gegen di! Gelt, Madl, du magst die Weiber aa nit!«

»Naa!« erklärte die Walpurg mit ehrlicher Überzeugung. »Die Mannder sein mir viel lieber.« . . .

Wie lieb ihr die Mannder waren, das erfuhr der Hochwürdige allerdings erst einige Wochen später. Da kam der Jagersbursch, um sich mit der Walpurg Bögl aufbieten zu lassen.

»Was . . . mit dem Madl?« frug der Kurat erstaunt. »Ja . . . i hab' g'moant . . . du . . .« wandte er sich verwundert und fragend an das resolut neben dem Burschen stehende Mädel.

»Hab' i vielleicht g'sagt, i mag die Mannder nit? Ha?« frug die Walpurg ganz im Tonfall des hochwürdigen Herrn Kuraten. »I mag die Weiber nit . . . hab' i g'sagt. Und dös ist wahr.«

Der alte Kurat konnte nicht anders. Er mußte lachen.

»Also verlier' i mei' Hilf' im Haus. Und du kriegst a Weib!« wandte er sich an den Burschen. »Aber i sag' dir's! Laß di nit unterkriegen! A Weib bleibt a Weib. Aa wann's 216 jung ist und grob und sauber. Ist alleweil verwandt mit einer Schlangen. Merk' dir's! Aa wenn's no a so gut lachen kann. 's hellste Lachen ist nix anders wie a Mittel zum Zweck. Zur Falschheit. Merk' dir's!« . . .

Wie sehr ihn die Walpurg hintergangen hatte, darauf war ihr der Kurat doch nie gekommen.

Ein Glück, daß das junge Paar ins Tal hinausziehen mußte, da der Jager in eine andere Pfarrgemeinde versetzt worden war. Sonst hätte den hochwürdigen Herrn Kuraten Medardus Leitenpichler die vorzeitige Kindstaufe doch etwas stutzig gemacht.

Was man nicht weiß . . . macht einem nicht heiß.

Die Apollonia verrät die Sache sicher nicht. Denn sonst hätte doch nur sie den verstärkten Weibergroll des Hochwürdigen auszuhalten.

So hat der Hochwürdige wenigstens die schöne Erinnerung an ein junges Weib, das mit seinem hellen Lachen ein bissel Sonne in das griesgrämige Dasein des Herrn Kuraten gebracht hat.

Und das ist recht so.

 

 


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