Rudolf Greinz
Tiroler Leut
Rudolf Greinz

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Die tanzenden Jungfrauen

Ich weiß ein Dörfl. Das liegt in einem breiten Hochtal. Niedrig sind die Häuser des Dörfels, und grau, ernst und behäbig ist der alte Glockenturm. Bedächtig wie ein guter, viel erfahrener Großvater schaut er auf die niedrige altersgraue Kirche herab . . . ein treuer Wächter über dem Dorf und seiner Gemeinde.

Das ganze Dorf besteht eigentlich nur aus zwei Reihen Häusern, kleinen, niederen Steinbauten ohne Blumenschmuck, die sich längs der breiten Straße von Norden nach Süden erstrecken. Aber einzelne der Häuser sind schon uralt und teilweise mit alten Fresken geziert.

Ein tiefer, fast feierlicher Ernst lagert über der ganzen Gegend, feierlich durch die gewaltige Bergwelt, die sich um das Tal aufbaut.

Vom Süden herauf grüßen mächtige Gletscher. Die Felder des Tales heben sich leuchtend ab von dem tiefdunklen Blau des Himmels.

8 Es ist ein recht altmodisches Dörfl. Auch seine Bewohner sind ernst und altmodisch. Und führte nicht die breite Landstraße mitten durch's Dorf, so könnte man wähnen, ins Mittelalter versetzt zu sein.

Oberhalb des Dorfes erhebt sich ein steil ansteigender Hügel, auf dem eine zweite Kirche steht, eine kleine Wallfahrtskirche. Sie ist vor alter Zeit zu Ehren der heiligen Mutter Anna, der Mutter der Jungfrau Maria errichtet worden. Leider muß man gestehen, daß nicht allzu viele Wallfahrer den kleinen Hügel hinan pilgern.

Die heilige Anna ist die Schutzpatronin der Ehefrauen. Und die Ehefrauen tragen eben ihre Anliegen viel lieber direkt der Gottesmutter vor, als daß sie sich einer Mittlerin bei ihr bedienten.

So kam es, daß das kleine Kirchlein mit der Zeit recht arg vernachlässigt wurde, bis der neue Pfarrer da gründlich Wandlung schuf.

Isidor Padöller war noch jung an Jahren, aber ein energischer und streitbarer Kämpfer 9 der Kirche. Durchdrungen und ganz erfüllt von seiner Aufgabe als Seelenhirt, wetterte er ein über das anderemal von der Kanzel herab über die Lauheit der Christen im allgemeinen und der Frauen dieses Dörfels ganz im besonderen. Denn wie hätte es sonst geschehen können, daß die kleine Wallfahrtskirche schier dem Verfall nahe war und die Gnadenstatue der heiligen Anna ein farbloses, fast ganz zerschlissenes seidenes Kleid tragen mußte . . .

Seit der neue Pfarrer im Dorf war, herrschte dort wenig Frohsinn mehr. Es gab wenig Tanz mehr, und man hörte nur selten einen Gesang. Und das Wenige, was an Lustbarkeit noch vorhanden war, drohte völlig ausgerottet zu werden . . .

Isidor Padöller war ein guter Redner. Seine Stimme war tief und volltönig und von einer weichen Modulationsfähigkeit, so daß seine Predigten nicht ohne Eindruck auf die Zuhörer blieben.

Die Weiber, die halb schlafend in den Kirchenbänken hockten, horchten auf und rieben sich 10 verwundert die wässerigen Augen. Dann schielten sie einander heimlich und leicht verlegen an.

Eigentlich war es ja richtig, was der Hochwürdige da oben mit seiner volltönigen Baßstimme ihnen zurief. Schämen mußte man sich, daß man der Patronin des heiligen Ehestandes so wenig Ehre erwies.

Kein Wunder, daß sich die heilige Anna von vielen ihrer Schutzbefohlenen abwandte. Denn es gab viele bekümmerte Frauen und Mütter im Dörfl.

Ganz besonders die Mütter hatten ihr liebes Kreuz zu tragen. Die Jugend, wie sie heute herwuchs, war ungebärdig und den Frauen oft unverständlich.

Isidor Padöller wußte es wohl und kannte den Kummer der Frauen. Schon einige Kinder hatte er taufen müssen, die außerhalb des heiligen Ehestandes geboren worden waren. Er kannte die Schwäche der Eltern und wußte, daß ihnen die starke Hand fehlte, die sie zum richtigen geleitet hätte. Und Isidor Padöller wurde zum Führer der Gemeinde.

11 Er war ein großer stattlicher Mann mit einem schönen dunklen Gesicht und glutvollen Augen. Und bald gab es kein Weib mehr im Dörfl, das nicht in den Pfarrer verliebt gewesen wäre.

Sie gestanden es sich nicht ein. Und doch war es so. Denn wenn ein Weib verliebt ist, dann gehorcht es dem Mann seiner Liebe willenlos. Um so mehr, wenn diese Liebe unerwidert bleibt. Und sie blieb unerwidert.

In alles, was Isidor Padöller anordnete, fügten sich die Weiber ohne Widerspruch. Sie erschienen täglich bei der Messe und fanden sich pünktlich abends zum Rosenkranz in der Kirche des Dörfels ein. Jeden Samstag liefen sie zur Beichte und berichteten dem Pfarrer haarklein über alles, was sich daheim zutrug.

Man muß der Wahrheit die Ehre geben. Isidor Padöller mißbrauchte in keiner Weise seinen Einfluß. Er wußte es nicht einmal, wie sehr er den Frauen gefiel, und achtete nicht auf ihre scheuverliebten Blicke.

Er war Seelenhirt, und es war ihm heiliger 12 Ernst mit dieser seiner Aufgabe. Er arbeitete nur an der Besserung seiner Gemeinde, die er mit der Zeit zu einer mustergültigen machen wollte.

Bald lebten die Frauen des Dörfels wie die Nonnen. Und war es schon früher recht still zugegangen, so war es jetzt wie auf einem Friedhof. Tanz und Gesang waren endlich ganz abgeschafft, ja sogar das Lachen wurde zur Seltenheit. Beten, arbeiten und Buße tun . . . das war die Losung geworden.

Die Männer schüttelten die Köpfe. Mußte denn das wirklich so sein? . . . Es war jetzt wenig Behaglichkeit mehr daheim. Und so zogen es die Mannderleut vor, abends scheu mit geducktem Kopf aus dem Haus zu schleichen und ins Wirtshaus zu gehen. Dort blieben sie dann ziemlich trübselig beisammen, bis der Nachtwächter mit mahnendem Ruf die Sperrzeit ankündigte.

Auch das Wirtshaus hatte seine Gemütlichkeit eingebüßt; denn die Wirtin, die Wartbichlerin, gehörte zu den allerfrömmsten Weibern im Dorf 13 und schwur, daß, solange sie ein offenes Auge habe, in ihrem Hause nie wieder zum Tanz aufgespielt werden sollte.

Das hätte man ja noch verschmerzen können, wenn die Wartbichlerin nur sonst ein bissel umgänglicher gewesen wäre. Aber sie war wie umgewandelt. Hatte sie früher durch ihren derben, oft recht saftigen Mutterwitz beigetragen, die Stimmung im Gaststübel zu erhöhen, so genügte jetzt ihre bloße Gegenwart, jedes freie Scherzwort und jeden Ausbruch von Fröhlichkeit zu unterdrücken.

Die Wartbichlerin, eine Frau noch in den schönsten Jahren, saß in ihrer molligen Behäbigkeit abseits von den Gästen, hatte eine Brille auf der Nase und strickte. Strickte unentwegt an einem grauen Strumpf und klapperte mit den Nadeln.

Ihr gutgefärbtes, etwas fettglänzendes Gesicht legte sie krampfhaft in Falten und bemühte sich, so unnahbar und ungemütlich, wie es ihr nur möglich war, auszusehen.

Wenn man sie trotz ihrer Unnahbarkeit 14 gewaltsam in ein Gespräch zog, so konnte man sicher sein, daß sie auf irgend eine Weise zu predigen anfing.

Jetzt, seitdem die Wartbichlerin Obmännin des christlichen Frauenbundes geworden war, da war schon gar kein Auskommen mehr mit ihr. Sie erzählte jedem, der es hören und nicht hören wollte, von ihren Pflichten und Aufgaben als Obmännin und was der christliche Frauenbund schon alles geleistet habe . . .

In neuester Zeit stand das ganze Dörfl im Zeichen eines großen Ereignisses. Das Kirchlein der heiligen Anna war restauriert worden, und das Gnadenbild selbst mußte nach Innsbruck geschickt werden, um dort in einer Kunstwerkstätte einer gründlichen Reparatur unterzogen zu werden. Man sprach davon, daß dann im Herbst der Bischof kommen sollte, um die Kirche neu einzuweihen . . .

Um die Gemütlichkeit im Dörfl wurde es immer trauriger bestellt. Die Männer schlichen scheu herum und fügten sich gottergeben in ihr Geschick. Es mußte wohl so sein, daß man auf 15 Erden nur Buße tat, um dann nach dem Tod in das ewige Himmelreich einzugehen.

Anders die ledigen Burschen. Die waren schon aufrührerisch gesinnt. Muckten auf und wollten nicht mittun bei dem Klosterleben.

»Was hab' i davon . . .« sagte der Klacken Lois einmal frivol im Wirtshaus . . . »wann i hin bin und nacher in Himmel kimm? Nix G'wisses woaß man nit. Und nacher . . . vielleicht g'fallt's mir gar nit drein im Himmel. Wann das in der Dicken a so weiter geht wie iatz bei uns im Dorf, nacher pfeif' i drauf!«

Der Lois fuhr sich mit beiden Händen durch sein leichtlockiges Haar und kraute sich bedenklich, so daß der ganze dunkle Haarwust zerrauft wurde, was ihm ein komisch verzweifeltes Aussehen verlieh. Dann strich er das Haar wieder glatt, zwirbelte keck seinen Schnurrbart auf und lachte die Wartbichlerin herausfordernd und mit blitzenden Zähnen an.

Der Klacken Lois war ein auffallend hübscher Bursch und hatte, ehe der Geist immerwährender 16 Buße und Abtötung im Dorfe Einzug hielt, viel Glück bei den Mädeln gehabt.

Jetzt aber war's anders geworden. Die Mädeln wurden von den Müttern so streng gehalten, daß keine mehr nach Einbruch der Dunkelheit vor's Haus durfte.

So was wie Kammerfensterln gab es nicht mehr im Dorf. Die Weiber hatten dafür ein ganz besonders strenges Strafgericht eingeführt.

Wenn der Klacken Lois also ein Vergnügen haben wollte, dann mußte er sich eine gute Wegstunde weiter begeben bis zum nächsten Dorf. Und das war immerhin nicht gerade angenehm. Denn erstens erweckte das tugendsame Dorf der heiligen Anna den Neid der Nachbardörfer, die darnach strebten, es ihm gleich zu tun. Und zweitens fand der Lois die wenigen offenen Kammerfenster meist schon besetzt . . .

Die Wartbichlerin blieb dem Lois die Antwort nicht schuldig. Ohne sich in ihrer behaglichen Ruhe stören zu lassen und ohne in ihrer Strickarbeit inne zu halten, meinte sie trocken: »Ja, tanzen und fensterln werden's freilich nit 17 im Himmel droben. Und die Heiligen werden's auch ohne deine Gesellschaft aushalten können.«

»Naa!« Der Lois dehnte und rekelte sich und lehnte sich weit auf seinen Holzsessel zurück, indem er die Beine von sich spreizte. »Die heiligen Madeln nit. Die warten auf mi . . . bis i kimm. Paß' auf, Wirtin!«

Ein dröhnendes Gelächter von allen am Tisch sitzenden Bauern erhob sich.

Es war ein Sonntag Abend. Und die Stube war heute viel mehr als an einem Wochentag gefüllt. In der niedern Stube qualmte es nur so von Rauch. Der Lärm an den andern Tischen ließ nach. Man wollte hören, was es an dem Tisch, wo die Wirtin saß, eigentlich zu lachen gab.

Das breite gutmütige Gesicht der Wirtin rötete sich vor Zorn. Die alte energische Wartbichlerin, wie sie ehemals war, kam zum Durchbruch. Und sie war trotz ihrer Vierziger noch ein ganz sauberes Weibsbild.

»Schamst di nit, du Satanskerl, du verfluachter!« brach sie nun los. »A so schiach daher zu reden! A so a Mannsbild a verfluacht's!«

18 »Wirtin . . . Wirtin . . .« unterbrach sie der Klacken Lois lachend. »Jetzt hast g'fluacht. Weißt schon, der Pfarrer . . .« drohte er ihr strafend mit dem Finger.

Nun wurde die Wirtin noch zorniger; und um ihren Zorn zu bekämpfen, erhob sie sich.

»Könnt' mir einfallen . . . deinetwegen no a Todsünd' zu begehen!« schimpfte sie und stemmte resolut die Arme in die Hüften.

Der Lois zwinkerte sie boshaft an. »Wartbichlerin, i tät's riskieren. Hättest das nächste Mal wenigstens an ordentlichen Brocken zum beichten. Was beichtest denn sonst? Vielleicht von die Flöh', dö du im Bett fangst?«

Nun drehte die Wartbichlerin ehrlich empört dem Burschen ihre breite Rückenfront zu und verließ, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, die Gaststube. Ein schallendes Gelächter der Gäste folgte ihr.

So lustig wie an diesem Abend war man schon lange nicht mehr gewesen. Die wieder erwachte Heiterkeit ließ sich durch nichts mehr eindämmen. Man lachte, sang und johlte 19 und widerstand sogar dem ernsten Mahnruf des Nachtwächters, als er die zehnte Stunde ausrief.

Auch das Erscheinen der Wirtin, die ernst und würdevoll zum Aufbruch mahnte, war ohne Eindruck geblieben. Man war endlich wieder einmal lustig geworden und wollte es für heute wenigstens auch bleiben.

Die Wartbichlerin hatte durch das dreiste Benehmen des Burschen ihre Macht eingebüßt. Sie war in den Augen der Männer ein Weib, voll und üppig und noch jung genug, um begehrenswert zu sein.

Seit etlichen Jahren war die Wartbichlerin Witwe, und ihr zweiter Sohn half ihr schon brav in der Wirtschaft mit. Er hatte im Hause selbstverständlich keine Stimme. Ihr ältester Sohn hatte die landwirtschaftliche Schule in Rotholz absolviert und war in Vorarlberg in einer recht guten Stellung bei einer Gutsverwaltung. In einigen Tagen sollte er auf Urlaub im Dörfel eintreffen. Und da er ein lebenslustiger junger Mann war, so erwarteten die 20 Burschen von ihm, daß er sie in ihrem Kampf gegen das Joch der Weiber unterstützen würde.

Als der Wartbichler Friedl nach fast drei Jahren wieder in seine Heimat kam, staunte er allerdings über die Veränderung im Dörfel. War es früher schon still gewesen, so war es jetzt totenstill.

»Völlig zum fürchten ist's jetzt am Dorfplatz!« meinte er scherzend zu einigen ehemaligen Schulkameraden, die gekommen waren, um ihn aufzusuchen. »Aber Buab'n, dös wird anders! I garantier's euch!« versicherte er ihnen auf seine lustige Weise. »So geht das nit weiter. Wir verkommen ja ohne Madeln.«

Der Friedl hatte entschieden organisatorisches Talent. Wie er es anstellte, wußte niemand recht. Aber tatsächlich gelang es ihm in ganz kurzer Zeit, die saubersten Madeln des Dorfes für seinen Plan zu gewinnen . . .

War da nicht weitab vom Dorf ein kleiner tosender Wildbach. Der brauste über Felsblöcke und Steine und gebärdete sich wie ein arger Wildling.

21 Er kam direkt von dem nur einige Wegstunden entfernten Gletscher her. Man konnte ihn vom Dörfel aus nicht sehen, da der Hügel, auf dem das Sankt Anna-Kirchel stand, den Ausblick wehrte.

Der Wildbach durchtobte in seinem rasenden Lauf das enge Hochtal, das in unmittelbarer Nähe des Dorfes seinen Abschluß fand.

Eine gute halbe Wegstunde von dem Dorf entfernt stand eine Sagmühle. Die gehörte dem Pumelitzer Franzl, einem alten wohlhabenden Junggesellen, der hier mit seinen beiden Schwestern und dem Kathele, dem Kinde einer früh verstorbenen Schwester, hauste.

Das Kathele war auch so ein lediges Sündenkind gewesen, das der Pumelitzer Franzl und seine Schwestern dann um Gotteslohn zu sich ins Haus genommen hatten. Und gern hatten sie's trotz seiner befleckten Herkunft, gerade so, als ob's ihr eigenes Töchterl gewesen wäre.

Sie war aber auch zum gern haben, das Diandl. Klein, fein und zierlich war sie und steckte voll Übermut.

22 Als der Wartbichler Friedl das letzte Mal in den Ferien daheim gewesen war, da war das Pumelitzer Kathele gerade ausgeschult gewesen und hatte damals schon eine Kutt'n Verehrer gehabt.

Das kam, weil das Diandl nicht nur bildsauber war und immer voll Humor, sondern auch deshalb, weil es ein Mundwerk hatte wie keine zweite mehr im weiten Umkreis.

Der Friedl hatte damals schon immer ein Aug' auf das Diandl gehabt und hatte sich auch jetzt gar bald in der Sagmühle eingefunden. Und da war er denn darauf gekommen, daß die Diandeln im Dorf so gar nicht mit der neuen Lebensweise einverstanden waren.

»A ganzer Graus ist's, Bua!« erzählte das Kathele und sah mit wichtig tuender Miene zu dem jungen Landwirt auf. »Du kannst dir kein' Begriff machen. Aufwachsen müssen wir Diandeln iatz . . . dürfen koa Liadl mehr singen und koa Gstanzl, und kannst mir's glaben oder nit . . . nit amal tanzen lernt unseroans mehr.« Das zart gefärbte Gesicht des jungen Mädels 23 verzog sich wehleidig. »Als ob das a Sünd' sein kunnt, wann junge Leut a bissel lustig tian mitanander!« fügte sie empört hinzu. »Dös ist schon gar nimmer zum aushalten. Dös muß anders werden!«

Man konnte dem Pumelitzer Kathele nichts abschlagen. Der alte Sagschneider hatte das immer schon behauptet. War eigentlich ein richtiges Teufele das Kathele. Nur hatten die großen dunkelblauen Augen einen ungemein sanften Ausdruck. Lange schwarze Wimpern beschatteten die Augen wie dichte Schleier und verliehen ihnen einen strahlend schwärmerischen Ausdruck.

Zwei dunkle Zöpfe umrahmten das von der Sonne braungebrannte ovale Gesichtl, und die über der Nasenwurzel eng zusammen gewachsenen starken Brauen zeigten von Rasse und Energie.

Energisch konnte das Kathele sein, recht energisch, trotz ihrer jungen Jahre. Und eigensinnig. Was sie sich einmal in ihr Köpfel gesetzt hatte, das mußte geschehen. Und es geschah auch für gewöhnlich.

24 So lang sie's denken konnte, regierte eigentlich sie beim Sagschneider. Und auch in der Schule war sie stets die Anführerin gewesen. Und so blieb es auch, nachdem sie ausgeschult war.

Recht lange war das ja gerade noch nicht her. Denn das Kathele war noch nicht einmal achtzehn Jahre alt und sah wegen ihres zierlichen Wuchses kaum wie fünfzehn aus.

Damit konnte man sie am meisten ärgern, wenn man sie für jünger ausgab, als sie war. Das kleine zierliche Ding wollte unbedingt als Respektsperson gewertet werden.

Der Wartbichler Friedl hatte es ganz besonders darauf abgesehen, das Diandl seines jungen Aussehens wegen zu necken. Sprühgiftig konnte sie dann werden und vor Wut auf den Boden stampfen.

Da sie aber in ihrem Zorn keineswegs entstellt aussah, sondern eher noch hübscher und anziehender wirkte, so konnte es der Friedl nicht unterlassen, sie immer und immer wieder aufzuzwicken.

Das kam so weit, daß ihm das Diandl 25 auswich. Und wenn er in der Sagmühle vorsprach, so war es schon vorgekommen, daß ihm das Diandl die Türe vor der Nase zuwarf und von innen fest verriegelte.

Aber trotzdem fand sich der Friedl doch immer wieder ein, seitdem das Kathele ihm die Entrüstung der Madeln im Dorf wegen des erzwungenen heiligmäßigen Lebens anvertraut hatte. Und wenn er sie auch neckte und tratzte, so waren sie doch seit diesem Tag treue Verbündete geworden.

Und so hatte nicht einmal der Hochwürdige Herr Isidor Padöller eine Ahnung davon, wie nahe die Sünde neben der Sankt Anna-Kapelle hauste.

Auf der anderen Seite des Hügels gelangte man hinab in das enge Hochtal, wo der Pumelitzer Franzl seine Heimat hatte. Nahe beim Eingang des Hochtales stand die Sagmühle. Ein niederer Bau, knapp an den wildtosenden Bergbach geschmiegt, über den ein schmaler Holzsteg hinüber führte zu dem jäh ansteigenden Bergwald.

26 Die hoch aufgestapelten Bretter der Mühle verdeckten völlig das braune Holzhaus des Sagschneiders, und die winzigen Fensterlein gewährten nur einen recht eng begrenzten Ausblick.

Von der Sankt Anna-Kapelle brauchte man gar nicht weit zu gehen, so gelangte man zu einem einsam dastehenden Holzstadel. Dieser Stadel gehörte zur Sagmühle, stand aber schon seit Jahren leer und nutzlos da.

Und auf diesen Stadel hatten es der Wartbichler Friedl und dann auch das Kathele abgesehen.

Als der Friedl wieder zum Hoangart gekommen war, da hatte er dem Diandl seinen Plan vorgetragen und sie alsbald dafür gewonnen. Zu einem Schabernak war das kleine Weibsbild immer gern bereit. Ganz artig hatte sich der Friedl heute beim Hoangart betragen und hatte das Mädel mit keinem Wörtl geneckt.

»Daß das nit a so weiter gehen kann, wissen wir ja, Kathele!« fing der Friedl ziemlich unvermittelt seine Rede an. »Wir jungen Leut verkommen ja völlig, wenn wir koan Tanz nit 27 haben und koan G'sang und koa Musi nit!« meinte der Friedl ganz bekümmert, als er neben dem Kathele vor der Haustür beim Sagschneider auf der Bank saß und seinen Kopf schwer und gedankenvoll in die Hand stützte. »A Kreuz ist's! Der Teufel soll die alten Weiber holen mitsamt dem Pfarrer!« brummte er über eine Weile vor sich hin.

»Brauchst nit z' fluachen deswegen!« wies ihn das Diandl zurecht. »Und alle Weiber sein aa nit alt!« fügte sie mit einem Anflug von Gerechtigkeitssinn hinzu. »Grad 's Gegenteil ist der Fall. Die Jüngeren sein grad no zuwiderer wie die Alten!« erklärte sie. »I moan alleweil, daß die Weiber allesamt verliebt sein in den Pfarrer. Drum treiben sie's gar a so damit!«

Einen Augenblick starrte der Friedl verwundert auf das Mädel . . .

Er war ein großer stämmiger hellblonder Bursch mit stets übermütig lachenden Bubenaugen, die dem Kathele gar nicht so übel gefielen.

»Bist gar nit so dumm. Kathele!« meinte 28 der Friedl dann mit ehrlicher Bewunderung. »Daß mir dös nit selber schon eing'fallen ist! Natürlich sein sie verliebt drein, dö Sakramenter, dö spottschlechten!«

Vor ehrlicher Empörung spie der Friedl in weitem Bogen aus, zog sein kurzes Pfeifel aus der Rocktasche, den Tabaksbeutel aus der hintern Hosentasche und stopfte sich in umständlicher Weise das Pfeifel.

»O mei!« machte das Kathele schnippisch. »Spottschlecht sein sie deswegen no lang nit. Man kann ja aa keiner was Schlechtes nachsagen. Halt a bissel überg'schnappt sein's alle miteinander!« fügte sie mit drolliger Altklugheit hinzu.

»Freilich! Freilich! Und wir können's büßen!« nickte der Friedl bestätigend vor sich hin.

»Weil wir söttene Lettfeigen von Buben haben!« sagte das Diandl nun mit einem Male sehr energisch. »Weil unsere Buben sich alles g'fallen lassen, der Mutter am Kittel hängen 29 und Ja und Amen zu allem sagen! Scham' di!« schloß die Kleine und sah den Friedl mit zornigen Augen empört an.

»I? Ja zu was denn grad i? Ha?« Beinahe wäre dem Burschen sein Pfeifel aus dem Mund gefallen vor lauter Verwunderung.

»Weil's wahr ist! Ist dei' Mutter vielleicht nit die Wartbichler Wirtin, ha? Und gibt's beim Wartbichler vielleicht koan Saal nit? Ha?«

»Ah, a so moanst? Freilich . . . freilich!« Der Friedl sann einen Augenblick nach. Offenbar mußte er sich anstrengen, wie er mit seinem Anliegen herausrücken sollte. »Siehst, Kathele! Jetzt bringst mi selber da drauf, z'wegen was i heut' eigentlich zu dir kömmen bin.«

Fragend schaute das Diandl zu dem großen stark gebauten Burschen auf. Der Friedl war so groß, daß er mit Leichtigkeit das Mädel wie ein Kind hätte auf den Arm nehmen können.

»Dös mit dem Saal . . . woaßt, dös ist a so. I hab' nix zu sagen dahoam . . .« gestand er ihr ehrlich ein. »Die Wirtschaft gehört der 30 Muatter, und die übergibt nit. Und iatz scho' gar nit. Und seit sie Obmännin von dem christlichen Frauenbund ist, seitdem ist's ganz aus und g'schehen. Weißt wohl! Sie hat's g'schworen, sagt sie, daß solang sie a offenes Aug' hab' . . . in ihrem Haus niemals wieder a Musi zum Tanz aufspielen darf. Und den Schwur wird sie aa halten. Magst mir's glauben oder nit.«

Jetzt machte der Wartbichler Friedl eine längere Pause, ehe er fortfuhr . . . »Also, siehst, auf die Weis' kömmen wir niemals zum Tanzen. Dös siehst ein. Gelt?«

Das Mädel, das einen Ellbogen auf das Knie gestemmt hielt und ihr Kinn schwer auf die kleine braune Arbeitsfaust stützte, nickte beistimmend. Sie wußte aber noch immer nicht, wo der Friedl hinaus wollte, und sah unverwandt und fragend zu ihm empor.

»Aber du könntest was machen, Madel . . . Du schon!« flüsterte der Bursch geheimnisvoll und beugte sich ganz knapp zu ihrem Ohr herab. »Weißt . . . der Stadel droben am Berg. 31 A bissele herrichten lassen . . . daß wir tanzen können . . .«

»Bist narrisch?«

»Naa!« erwiderte der Friedl seelenruhig. »Ganz g'sund. Weißt, der Klacken Lois und der Köstlerschuster Hansl und der Vernuer Ander . . . wir täten uns halt z'sammen und macheten an Tanzsaal, wie du koan zwoaten weit und breit mehr zu sehen kriegst. Brauchst lei dein' Vetter a bissele zu lottern . . . der derlabt's schon!« bettelte der Friedl treuherzig. »Und der verrat't uns aa nit. Der ist ja nit verliabt in Pfarrer!«

Bei der Vorstellung, daß der alte, schwächliche und zaundürre Pumelitzer Franzl überhaupt noch verliebt sein könnte, mußten die beiden jungen Leute hellauf lachen.

Das Kathele hatte aber doch seine Bedenken, ob der alte Mann darauf eingehen würde. Jedoch der Friedl blieb zuversichtlich.

»Du bringst es schon z'wegen, du! Du schon!« versicherte er ihr mit einer Art stolzer 32 Bewunderung, die dem Kathele unbedingt schmeichelte.

Völlig gerührt schaute sie zu dem hellblonden Burschen auf und sah ihn dankbar an. Er nahm sie also doch für voll, trotz aller Neckerei. Und dieses sein Vertrauen zu ihr mußte unbedingt belohnt werden.

Das Kathele müßte nicht das Diandl gewesen sein, das sie tatsächlich war. Nach einigem Sträuben und verschiedenen Vorstellungen von seiten des alten Sagschneiders hatte es das Mädel erreicht.

Und nun gehörte der Stadel der Jugend des Dorfes. Und wenn an Sonntagen nachmittags sich die Frauen und Mütter im Sankt Annakirchel zur frommen Andacht einfanden, dann wanderten die Burschen und Madeln heimlich und auf Umwegen eine Viertelstunde weiter den Berg hinan zum Tanz.

Bescheiden genug war ja das Vergnügen, und kurz genug dauerte es auch. Denn ehe es dunkelte, mußten alle wieder daheim sein, um ja keinen Argwohn zu erregen.

33 Und trotzdem waren sie aufgekommen. Die Götschin, das alte bucklige Weibele, das vor lauter schwere Lasten tragen mit der Zeit so windschief geworden war, daß sich ihr kleiner wackliger Kopf auf der einen Seite schon mehr der Erde näherte, war den jungen Leuten hinter ihre Schliche gekommen und hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun gehabt, als es dem Pfarrer zu stecken.

Der war für den ersten Moment einfach sprachlos.

Isidor Padöller hatte einen festen Glauben auf das Gute in den Menschen. Er glaubte an ihre Besserung und war felsenfest davon überzeugt, daß man die Menschen nur richtig leiten müsse . . . dann würde das Gute sich schon von selber Bahn brechen.

Dieser Glaube erlitt nun mit einem Male einen argen Stoß.

Das gab einen großen Skandal im Dorf, als die Sache ruchbar wurde. Von der Kanzel herab schilderte Isidor Padöller die ganze Verworfenheit der Dorfjugend. Er zürnte 34 ernstlich. Und um seinem Unmut den richtigen Nachdruck zu verleihen, verhängte er ein furchtbares Strafgericht über jene Mädchen, die an der sündhaften Tanzerei teilgenommen hatten.

In einigen Wochen sollte ein großes Fest zu Ehren der heiligen Anna stattfinden. Das neu restaurierte Kirchlein sollte bis dahin fertiggestellt sein, und auch das Bildnis der Heiligen sollte im neuen Festgewand prunken. Sogar der Bischof wurde eigens zu diesem Fest erwartet.

Isidor Padöller verhängte mit tiefernstem Gesicht die Strafe über die tanzenden Jungfern der Gemeinde, daß keine von ihnen mit bei der Prozession sein dürfe. Nur jene dürften mit dem Kranz geschmückt zur Prozession gehen, die sich rein und brav gehalten hätten.

Ein wahrer Aufruhr herrschte nach dieser Predigt im Dörfel. Die Mütter schimpften und hauten auf die Töchter ein, und die Diandeln kränkten sich und schlichen gedemütigt mit dickgeschwollenen Augen herum.

Die Bauern machten ernste Gesichter, fanden aber doch die angekündigte Strafe für die 35 Mädeln zu hart. Die Burschen aber lachten schadenfroh; denn sie gingen ja bei der Sache ohne Strafe aus.

»Dös wird a Schönheitsgalerie werden!« höhnten die Burschen, wenn sie unter sich waren. »Die schiachsten und urältesten Jungfern sein da dabei. Die jungen sein alle sündhaft!« erklärte der Vernuer Ander lachend.

Den Mädeln aber war gar nicht zum lachen; denn von nun an hatten sie die wahre Hölle auf Erden.

Nur eine nicht. Das Pumelitzer Kathele. Die hatte es gut.

Der alte Sagschneider und seine Schwestern konnten es einfach nicht fassen, wie man mit den jungen Leuten gar so hart sein konnte.

»Sein do alle amal jung g'wesen. Jung und dumm!« meinte der Pumelitzer Franzl zu seinen beiden Schwestern.

»Freilich! Freilich!« bestätigten diese und schauten mit liebevoller Nachsicht auf ihre Nichte. »Wird do nit grad a Todsünd' sein, wenn oans a bissel umadum hupft!«

36 Wenn das Kathele daheim auch kein ungut's Wörtl zu hören bekam, so war sie deswegen aber doch recht rabiat.

»Und i lass' mir dös nit g'fallen, dö Schand'! Und schon gar nit!« erklärte sie sehr energisch.

»Mei . . . was willst denn machen?« frug der Wartbichler Friedl mit einem Anflug seines früheren überlegenen Spottes.

»Was i mach'? I geh' zum Pfarrer und stell' ihn zur Red'!« erklärte sie resolut. »Und du und der Köstlerschuster Hansl und der Klacken Lois und no oans oder zwoa Diandeln, ös geht's mit. Verstanden?«

»Z'wegen was denn nacher wir Buab'n, ha?« frug der Wartbichler Friedl etwas kleinlaut.

»Oes kömmt's mit, hab' i g'sagt. Verstanden? Wir Diandeln brauchen Zeugen, daß wir uns brav g'halten haben. Oder epper nit?«

So klein sie war, so energisch und resolut stellte sie sich vor dem stämmigen Burschen auf, stemmte die beiden Arme in die Hüften und funkelte den Friedl zornig an.

37 »Völlig fürchten kunnt man sich vor dem kloan Teufele!« dachte der Friedl.

Sie gefiel ihm aber trotzdem, und so machte er ihr halt die Freude und tat mit. Nicht ohne geheime Angst vor seiner Mutter. Denn wenn die davon erfuhr, dann konnte es passieren, daß sie mit einem Holzscheit oder so was ähnlichem nach ihm warf . . .

An einem hellichten Werktag gingen drei Burschen und drei Mädeln im Festtagsgewand in den Widum zum Pfarrer. Sie taten sehr geheimnisvoll und sagten keinem Menschen ein Sterbenswörtel von ihrem Unternehmen.

Lustig, als ginge es zum Tanz, schritten sie paarweise durch's Dorf.

»Schaut's dö an! Was die grad wollen!«

»Tagdieb', elendige!«

»Daß sie sich grad nit schamen. Beim hellichten Tag!«

»Und no dazu a Werktag!«

So tuschelten und riefen die Weiber hinter ihnen her. Das Kathele und der Wartbichler Friedl schritten als erste voran.

38 Die Wartbichlerin stand unter der gewölbten Türe ihres Gasthauses, zu dem einige Stufen emporführten.

»Ah . . . da schau her!« sagte die Wirtin anzüglich und schaute ihren Sohn herausfordernd an. »Wohin geht die Roas', wenn man fragen darf?«

»Z'erst zum Pfarrer und nacher zu dir!« erklärte das Kathele in übermütigem Ton.

»Kimm mit, Wirtin! Nacher derlebst was!« lachte der Klacken Lois. »Wir lassen uns nix mehr g'fallen. Wir nit!« johlte er und schwenkte sein mit Spielhahnfedern geschmücktes Filzhütl unternehmend, als ginge es zu einer Hochzeit oder zum Tanz.

Ohne den Klacken Lois irgendwie zu beachten oder noch ein weiteres Wort zu verlieren, drehte die Wirtin der kleinen Gesellschaft ihre breite Hinterfront zu und ging in das Haus hinein.

»Friedl, magst di g'freuen, wenn d' heimkommst!« lachte der Vernuer Ander spöttisch.

»Lass' mi!« machte der Friedl etwas kleinlaut und schielte auf das Kathele, das eilig 39 und mit zierlichen Schritten neben ihm einhertrippelte.

Das Kathele aber dachte schon nicht mehr an die Wirtin. Sie wiederholte im Geist die Rede, die sie dem Pfarrer halten wollte. Denn es war ausgemacht, daß nur sie allein mit dem Hochwürdigen reden sollte . . .

Isidor Padöller war doch einigermaßen verwundert, als die kleine Gesellschaft in sein Zimmer trat.

Ziemlich dumm und unbeholfen schauten sie drein. Die Burschen hielten die Hüte krampfhaft unter den Arm gedrückt, und die Mädeln waren dunkelrot im Gesicht und kicherten g'schamig aus lauter Verlegenheit.

Nur das Pumelitzer Kathele war nicht verlegen und fing auch gleich mit ihrer Rede an. Zuerst holte sie einmal tief Atem, dann schaute sie mit ihrem lieben weichen Augenaufschlag zu dem Pfarrer empor und meinte ziemlich unvermittelt: »Gelt, Hochwürden, da schauen's, daß wir amal kömmen? Wissen's, wir Madeln, wir haben uns z'sammtan, weil wir uns das 40 nit g'fallen lassen, was Sie uns da von der Kanzel herab antan hab'n. Wir sein koane schlechten Diandeln nit. Naa . . . ganz g'wiß nit. Sischt wären wir nit da her zu Ihnen kömmen.«

»So!« machte Isidor Padöller belustigt über die schneidige Art des kleinen Diandls. »Da schau her. Also Revolution.«

»Dös weiß i nit!« erwiderte das Kathele. »Aber g'fallen lassen wir uns dös nit, Hochwürden! Verstanden? Wir hab'n nix Unrecht's nit tan. Die Buab'n da können's bezeugen. Gelt, Buab'n?« wandte sich das Kathele an die Burschen, die recht unbeholfen dastanden und vor Verlegenheit ganz rote dicke Köpfe hatten.

»Grad a bissel lustig sein wir halt!« fuhr das Kathele mit ihrer Rede fort. »Und tanzen möchten wir halt und singen und jodeln. Weil uns das Leben soviel g'freut. Sünd' ist bei uns koane passiert, wie wir tanzt haben. Was hätt' denn da g'schehen sollen, Hochwürden? 41 Sagen Sie's selber. Was soll denn g'schehen, wenn der ganze Tanzboden voll Leut ist. Und i kann's Ihnen schwören auf Ehr' und G'wissen: nit amal a Bussel hat a Bua an Diandl geben. Gelt, Buab'n, wahr ist's?«

Und die Burschen nickten bestätigend und schauten drein wie Schulbuben, die einen Verweis erhalten.

»Sehen Sie, Hochwürden, daß i recht hab'!« triumphierte das Kathele. »Und z'wegen dem bissel Tanzen soll'n wir a so hart g'straft werden. Und dös seh' i nit ein. Und dös lass' i mir aa nit g'fallen! Und wenn i deswegen bis zum Bischof gehn müßt'!« schloß das Diandl mit seiner gewöhnlichen resoluten Art.

Der Pfarrer konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Kurasch' hast du, Mädel!« meinte er dann wohlwollend. »Und ein Mundstück hast du auch. Dein Zukünftiger kann sich gratulieren!« neckte er sie.

»Oh mei, der!« Das Kathele warf einen verstohlenen Blick auf den Friedl, der neben ihr eine recht ungeschickte Figur machte.

42 »Passen's auf, Hochwürden, den ziech i mir. A so a Mundstück ist alleweil gut, wenn man's hat.«

»Bravo!« lobte sie der Pfarrer scherzhaft. »Und mich? Mich willst wohl auch erziehen?« neckte er sie.

»Naa. Ihnen nit. Grad Gerechtigkeit will i haben und nachher . . .«

»Nachher?« Fragend schaute der Pfarrer auf das jetzt ernste Gesichtel des Mädels.

Nach einer kleinen verlegenen Pause gab sich das Kathele einen Ruck. »Nix für ungut, Hochwürden!« sagte sie dann. »Aber mir kimmt für, Sie seien kein so unebener Mensch nit. Und deswegen möcht' i Ihnen was sagen.«

»Ja. Und?«

»Wissen's, wir Diandeln und Buab'n haben a hart's Leben, seit Sie im Dorf sein. Und wissen's, warum?«

Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Nein.«

»I woaß g'wiß, daß Sie dös nit wollen. Aber es ist so. Sehen Sie. Amerst . . . vor Sie kommen sein, war's lustig im Ort. Da 43 ist tanzt worden, und a diabatamal ist a Bua fensterln gangen . . .«

»Das war Sünde!« fiel der Pfarrer ihr streng ins Wort. Aber das Diandl ließ sich nicht einschüchtern.

»Nit allemal. Naa, g'wiß nit. 's Kammerfensterln bei uns ist oft nix dahinter als wie a Jux. Da kömmen halt die Buab'n. Oft kimmt oaner, und oft kömmen ihrer zwoa, drei auf oanmal. Nacher wird a bissel g'sungen, und's Diandl muß halt nacher an Schnaps aufwixen. So war's bei uns der Brauch. Dös, was Sie meinen, Hochwürden Herr Pfarrer, und was Sünd' ist . . . das hab'n dö Diandeln getan, die si beim Tag frei verstellen tian, fleißig in die Kirchen rennen und beten tian. Da ist mehr als oane g'wesen, die's Kranzl zu Frohnleichnam nimmer hätt' tragen dürfen. Und mehr als wie oane war, die Sie eing'segnet haben als Braut und die aa koa Kranzl hätt' haben dürfen. Solang wir Madeln unter die Leut lustig sein und singen und scherzen mit die 44 Buab'n und meintswegen aa a bissel tanzen, solang g'schiecht nix Unrechts nit. Dös können's mir glauben, Hochwürden.«

Eine Weile saß der Pfarrer schweigend und nachdenklich da. Dann sagte er freundlich: »Mir scheint, Kathele, du willst mich doch erziehen.«

»Naa!« wehrte sich das kleine Mädel. »Ganz g'wiß nit. I sag' Ihnen nur, was wahr ist.«

Und wieder über eine Weile tiefernsten Nachdenkens fing der Pfarrer zu reden an. »Ich glaube dir's ja, daß du ein braves rechtschaffenes Diandl bist, Kathele . . .«

»Dös sein wir alle!« unterbrach ihn das Kathele resolut und sehr energisch. »Wir alle drei. Wie wir da vor ihnen stehn, Herr Pfarrer. Und überhaupts alle die Diandeln, die beim Tanzen dabei g'wesen sein. Da steh' i ein dafür, Hochwürden. Für a jede einzelne steh' i ein!« erklärte das kleine Mädel tapfer.

»Das ist schön von dir, Kathele, daß du so brav zu deinen Kolleginnen haltest!« lobte 45 sie der Pfarrer anerkennend. »Und ich will dir's gerne glauben, daß sie's auch alle verdienen.«

»Dank' schön, Hochwürden. Vergelt's Gott!« Das Kathele wurde ganz rot vor Freude über das ihr gespendete Lob. »Seht's es!« wandte sie sich dann an die beiden andern Mädeln und an die jungen Burschen, die noch immer ungeschickt und voll Verlegenheit dastanden. »Hab' i nit recht g'habt damit, daß wir selber zum Herrn Pfarrer gangen sein? I hab's ja g'wußt, daß man ihm die Sach' grad zu erklären braucht, und nacher versteht er's aa und hat ein Einsehen.«

»Freilich . . . freilich . . .« stimmten der Friedl und der Klacken Lois bei und machten verdutzt dreinschauende Gesichter. Sie konnten es sich nicht recht erklären, daß der Sinn des Pfarrers nun auf einmal so leicht zu lenken war.

Isidor Padöller erhob sich von seinem bequemen Lehnstuhl, der vor einem einfachen weichholzenen Schreibtisch stand, und ging etliche 46 Male nachdenklich im Zimmer auf und ab. Dann blieb er jäh und unvermittelt vor der kleinen Gesellschaft stehen.

»Wenn ich dich recht verstehe, Kathele . . .« fing der Pfarrer nun abermals zu reden an, »so möchtest du von mir die Genehmigung für eure Tanzerei erwirken?«

»Freilich wär' mir das schon recht!« gestand das Diandl. »Aber mei . . . Genehmigung . . . das wird wohl eppar a bissel z'viel sein!« meinte sie zögernd und versuchte es noch einmal, den Pfarrer mit ihrem lieben weichen Augenaufschlag umzustimmen.

Der Pfarrer lachte kurz auf. »Also, so gescheit bist du doch, das nicht von mir zu fordern?«

Jetzt wurde das Mädel doch etwas verlegen. Sie merkte es dem Lachen des Herrn Pfarrers an, daß seine freundliche Stimmung von vorhin umgeschlagen hatte und daß es einen Kampf kosten würde, um zu ihrem Recht zu gelangen.

Aber dazu war sie ja eigentlich hergekommen, um zu kämpfen. Schneid' hatte sie ja und 47 auch ein tüchtiges Mundstück. Also konnte der Kampf schon losgehen.

»I forder' gar nix, Hochwürden Herr Pfarrer, als wie Gerechtigkeit!« erwiderte das Kathele und gab ihrer Stimme einen absichtlich festen und lauten Klang. »Das wissen's ja jetzt selber und haben's auch eingestanden, daß Sie uns Unrecht getan haben.«

»Ich habe gar nichts eingestanden, sondern nur erklärt, ich wolle dir gerne glauben, daß ihr bis jetzt anständige und brave Mädeln geblieben seid. Bis jetzt, Kathele!« wiederholte er nochmals sehr eindringlich und warnend.

Isidor Padöller sprach nun mit seiner warmen volltönigen Baßstimme, mit der er bei den Predigten stets die Frauen des Dorfes in seine Gewalt bekam und ganz für sich gewann. »Denn das wirst du mir zugeben müssen . . .« fuhr er in seiner Rede fort, »daß die Gelegenheit zur Sünde eine weit größere ist, wenn Burschen und Mädchen sich häufig treffen, als wenn . . .«

»Naa!« erklärte das Diandl schneidig. »Grad 48 das gib i nit zu. Und um alles in der Welt gib i das nit zu!« behauptete sie eigenwillig und mit einem vor Erregung hochroten Gesichtel. »Denn sehen's, Hochwürden, die Sach' ist die: Wenn wir Diandeln die Buab'n gar nit zu sehen kriegen, nachher b'langt's uns halt soviel darnach und nachher . . .«

Verwundert schaute das Kathele jetzt um sich. Die drei Burschen waren bei ihren letzten Worten in ein laut dröhnendes Gelächter ausgebrochen; und nicht einmal die Gegenwart des Herrn Pfarrers vermochte ihre Heiterkeit einzudämmen.

»Seid's narrisch?« frug das Diandl empört und sah die Burschen zornig an. »Wie führt's denn ihr enk auf, ha?«

Aber auch der Unmut des kleinen Diandls blieb ohne Wirkung auf die Burschen. Sie stießen einander in die Seiten, drückten listig die Augen zu und lachten laut heraus.

So lange, bis das Kathele zornig mit dem Fuß auf den Boden stampfte. »Wirst jetzt 49 aufhören, Friedl?« gebot sie diesem sehr energisch.

»Glei . . .« lachte der Friedl boshaft. »Bald i fertig bin.«

Und abermals brach ein unbändiges Gelächter los. Die beiden andern Mädeln standen da und machten dicke verlegene Köpfe.

»Daß du aa sölles dumm's Zeug daherreden mußt . . .« flüsterte das eine der Mädeln dem Kathele heimlich zu.

Nun wurde das Kathele doch etwas unsicher.

»Was hab' i denn g'sagt, Hochwürden Herr Pfarrer?« frug sie mit einem scheuen Blick auf die Burschen. »Mir scheint . . .«

»Laß nur, Kathele!« beruhigte sie der Pfarrer. »Die Burschen bestätigen mir nur, wie sehr recht ich habe, wenn ich für euer Seelenheil fürchte. Es bestehen ernste Gefahren . . .« wiederholte er eindringlich, »für dich und die andern. Und wenn ihr Mädchen der Sünde bis jetzt entronnen seid, so war es nur euer Schutzengel, der euch davor behütet hat.«

50 Isidor Padöller sprach salbungsvoll und nur zu den Mädchen. Die drei Burschen, die sich von ihrem Lachen nun wieder ganz erholt hatten, ignorierte er vollständig. Ungeschickt und noch verlegener wie zuvor standen sie nun da und drehten an ihren Hüten.

»Und no und no und no amal naa!« erklärte das Kathele obstinat. »Und wenn die Tolm da . . .« mit einem unsagbar verächtlichen Blick schaute sie auf die Burschen . . . »aa no a so teppat lachen, i bleib' do dabei. Beim Tanzen . . . wie wir tanzen . . . kann nix Unrechts g'schechen. Und wir sein brave Diandeln und wir bleiben aa brave Diandeln. Und wir tanzen aa weiter, Hochwürden Herr Pfarrer. Grad, daß Sie's wissen.«

»Recht so!« erwiderte der Pfarrer trocken. »Ihr tanzt weiter. Und ich weiß es.«

»Ja . . . und wir lassen uns von Ihnen aa nit beleidigen!« fügte das Kathele über eine Weile hinzu.

»Gut. Ich werde euch nicht mehr beleidigen.«

51 »Nit?« Ungläubig schaute das Diandl zu dem stattlichen Hochwürdigen auf.

»Nein.«

Trotz dieser Zusicherung wollte der Ton, in dem sie gegeben wurde, dem Mädel nicht gefallen. Etwas scheu und unsicher schaute sie zu dem Pfarrer empor und dann auf ihre Gefährten. Das Gesicht des Pfarrers war ernst und undurchdringlich.

»Also . . . dürfen wir dann bei der Prozession . . .« fing das Diandl über eine Weile zögernd zu reden an.

»Wenn ihr wollt, könnt ihr mitgehn!« entschied der Pfarrer.

»Wirklich? Mit'n Kranzl?«

»Nein. Ihr könnt euch den Frauen anschließen . . . aber bei den Ehrenjungfrauen habt ihr nichts zu tun!« erklärte der Pfarrer streng.

»Hochwürden . . . das ist eine Beleidigung für uns!« sagte das Kathele, und ihre Stimme stockte; denn sie mußte sich heftig gegen die aufsteigenden Tränen wehren.

52 »Beleidigung? Ihr seid aufsässige Mädchen. Widerspenstig. Es ist nur eine Strafe.«

Das Kathele schluckte und schluckte. Daß sie eine Niederlage erlitten hatte, tat ihr verdammt wehe. Aber sie kämpfte tapfer.

»Für das, daß wir ehrliche Madeln sein und brav bleiben wollen, sollen wir g'straft werden?« frug sie, und ihre Stimme zitterte vor Scham und Wut.

»Nein. Nicht dafür. Das anerkenne ich. Aber, daß ihr weiterhin eurem Seelsorger ungehorsam sein wollt . . . daß ihr euch in Gefahren begebt und der Sünde unterliegen könnt . . .«

Nun wurde das Kathele ernstlich böse, und das ganze Sprühteufele, das in ihr steckte, brach unbeherrscht los. Zornig stampfte sie mit ihren beiden kleinen Füßen auf den Boden.

»Strafen Sie uns dann, wenn eine von uns unterlegen ist. Nit zuvor!« schrie sie. »Und überhaupts werd' i sehen, wer recht behaltet. Sie, Herr Pfarrer, oder i. Aber nachgeben tu i nit, daß Sie's wissen!«

53 Mit dieser offenen Kampfansage entfernte sich die kleine Wortführerin der tanzenden Jungfrauen des Dörfels. Hinter ihr drein der Friedl und dann die andern. Paarweise. Mit ziemlich gedrückten Gesichtern und eingezogenen Köpfen.

Nur das Kathele hielt den Kopf hoch. Jetzt erst recht. Und grad zu Fleiß.

Draußen vor dem Widum machte sie Halt.

»Jetzt gehn wir auseinander!« befahl sie. »Aber am Sonntag beim Tanz kommen wir wieder z'sammen. Daß mir koans fehlt. Alle müssen wir z'sammhalten. Sischt ist's aus und g'schehen . . .«

Was so ein kleines Weiberhirn alles auszudenken vermag, das ist kaum zu glauben. Nur gescheit, schlau und berechnend muß es sein. Dann ist seine Besitzerin des Sieges sicher.

Das Kathele packte den Kampf mit dem Pfarrer ganz von der richtigen Seite an und hatte auch gar bald die Schwäche des Gegners herausgefunden.

Und die Schwäche des Gegners war in diesem 54 Falle die Musikkapelle. Denn wie konnte eine feierliche Prozession und eine feierliche Einweihung der kleinen Wallfahrtskirche stattfinden ohne Musikkapelle? Undenkbar.

Also mußte ein Streik der Musikanten organisiert werden.

Und das Kathele organisierte.

Alle tanzenden Burschen, die bei der Dorfmusik mittaten, hatten auf Befehl des Diandls zu streiken. Und alle tanzenden Diandeln, die bei dem Singchor mitwirkten, hatten ihre Mitwirkung einzustellen.

So lautete der Befehl der kleinen kampflustigen Obmännin der tanzenden Jungfrauen.

Offener Krieg war im Dörfel ausgebrochen, und zwei Parteien bildeten sich. Der Pfarrer mit den Frauen und den nichttanzenden Jungfrauen auf der einen Seite, das Kathele mit der tanzlustigen Jugend und den meisten Männern des Ortes auf der andern Seite.

Der Wartbichler Friedl und der Klacken Lois taten ihr Möglichstes, um das Kathele in ihrem Streik zu unterstützen; und sie waren es auch, 55 welche fast die gesamte Männerwelt des Dorfes auf ihre Seite brachten. Und ehrlich gestanden, taten die meisten nur zu gerne mit. Dieses öde Dasein ohne Lachen und Lustbarkeit hatten sie denn doch mit der Zeit satt bekommen.

Dann kam noch dazu, daß der Wartbichler Friedl es unter den Männern ruchbar machte . . . der große Einfluß des Pfarrers sei darauf zurückzuführen, weil die Weiber samt und sonders in den schönen Mann verliebt wären.

Das wirkte. Denn so dumm ist kein Bauer, daß es ihm gleichgültig bliebe, wenn ein anderer seinem Weib besser gefiele, als er, der ihr von Gott bestellte Eheherr.

Es dauerte nicht lange, bis es dem Pfarrer zu Ohren kam, was unter den Männern getuschelt wurde.

Und Isidor Padöller dachte nach, überlegte, ob an dem Gerücht nicht doch ein Körnchen Wahrheit sein könnte. Klug wie er war, berührte er die Angelegenheit der tanzlustigen Jugend mit keinem Worte mehr von der Kanzel herab, sondern beobachtete gelassen, wie sich der 56 Streik und auch der Klatsch weiterhin entwickeln würde . . .

Der festliche Tag, an dem die Statue der heiligen Anna in feierlicher Prozession in das neu restaurierte Kirchlein am Berg getragen werden sollte, rückte näher und näher; und auch der Bischof hatte sein Erscheinen mit Bestimmtheit zugesagt.

Aber in dem Kriegszustand, der im Dörfl herrschte, hatte sich nichts geändert.

Der Lehrer, der den Sängerchor zu leiten hatte, war schon einige Male beim Pfarrer gewesen und hatte Vorstellungen erhoben. Er hatte nur mehr die Schulmädchen zur Verfügung. Und diese seien der Aufgabe nicht gewachsen, erklärte er.

»Dann sehen Sie sich um Ersatz in den Nachbardörfern um!« entschied der Pfarrer trocken. »Nachgegeben wird nicht.«

Jedoch auch mit den Nachbardörfern hatte man kein Glück. Sowohl Sänger wie Musikanten streikten.

Das kam daher, weil die Burschen erklärt 57 hatten, jeden einzelnen Streikbrecher blutig zu schlagen. Und die Burschen des Dorfes hatten ja auch die Bauern hinter sich.

Und die Bauern kannten einander. Sie wußten, daß es besser war, miteinander im Frieden zu leben. Und schließlich, was ging die andern Gemeinden der Streit des fremden Pfarrers an?

Eigentlich geschah ihm recht, daß er nun in der Klemme saß und vor dem Bischof blamiert wurde. Das mit den tanzenden Jungfrauen hatte er entschieden übertrieben. Sollte er nun sehen, wie er die Sache wieder einrenkte.

Der Pfarrer saß in stumm verbissener Wut in seinem Widum und wartete mit einer gewissen obstinaten Neugierde, wie sich die Angelegenheit weiterhin entwickeln würde.

Nachgeben würde er nicht. Das war sicher. Schließlich konnte auch einmal eine Prozession ohne Sänger und ohne Musikanten stattfinden. Er würde die Angelegenheit dann schon dem Bischof berichten, und dieser würde wohl zu ihm stehen. Oder nicht?

58 So ganz sicher war Isidor Padöller denn doch nicht. Es konnte auch anders kommen. Der Bischof konnte ihm mehr Diplomatie empfehlen . . . ihn zurechtweisen und ihn vielleicht gar versetzen. Strafweise . . . Wer konnte es wissen.

Es waren schon oft Ungerechtigkeiten passiert, und Isidor Padöller gestand es sich ganz im geheimen ein, daß sein Streit mit der Jugend des Ortes vielleicht doch nicht so ganz zu rechtfertigen sein könnte.

Oftmals dachte er an die kleine schneidige Wortführerin der tanzenden Jungfrauen, wie sie mutig vor ihm gestanden war und ihre Sache vertreten hatte.

Und so war es dem Pfarrer gar nicht so ungelegen, daß die Wartbichlerin als Obmännin des christlichen Frauenbundes einmal zu ihm kam, um wegen des bevorstehenden Festes der heiligen Anna mit ihm Rücksprache zu halten.

Daß das Fest so ganz ohne Sang und Klang stattfinden sollte, betrübte die Frauen des Dorfes gar sehr; und sie ärgerten sich wütend, daß 59 sie in diesem Streite die Unterlegenen sein sollten.

Der Einfluß der Weiber auf ihre Töchter war geschwunden, seitdem die Männer die Partei der Jugend ergriffen hatten. Und mehr als eine Frau mußte jetzt höhnische Reden des Mannes einstecken, der sich über ihre Verliebtheit in den schönen Pfarrer lustig machte.

»Laß du's Madel in Ruh'!« verwies dann wohl der Mann die zankende Mutter. »'s ist g'scheiter, sie tanzt, solang sie jung und ledig ist, als sie wird narrisch als a alte Kuah. Beim Tanzen ist nix dabei. Aber 's Verliebtsein als a alter und no obendrein in an Unrechten . . .«

Fuchsteufelswild schlug dann die Bäurin die Türe hinter sich zu. Aber sie konnte nichts daran ändern. Sieger waren jetzt diejenigen, die vordem unterdrückt worden waren.

Die Wartbichlerin hatte auch schon üble Reden einstecken müssen und sich nicht dagegen wehren können. Natürlich nicht von ihren beiden Söhnen. Die hatten sich nicht zu mucksen getraut, sondern hatten nur still vor sich hin 60 gelächelt, wenn die Mutter in eine ziemlich geräuschvolle Schimpferei über die Zustände im Dörfel ausbrach.

Aber der Klacken Lois, dieser freche Teuxelskerl, der war unlängst zur Wartbichlerin gekommen und hatte anzügliche Reden geführt. So, daß die Wartbichlerin über und über rot geworden war wie ein junges Mädel, es ihr vor Zorn und Verlegenheit die Rede verschlug und sie nicht mehr aus und ein wußte . . .

Dann rückte der Bursch mit seinem Vorschlag heraus. »Siehst, Wirtin . . .« meinte er und machte ein so treuherziges G'schau, als es ihm die stets übermütig lachenden Augen gestatteten. »Du magst mir's glauben oder nit. Aber bevor du narrisch g'worden bist und alleweil dein' Pfarrer nachg'rennt bist . . .«

»Halt's Maul!« herrschte ihn die Wartbichlerin an. »In die Kirchen bin i . . .«

»Freilich. Beten. I woaß scho!« lachte der Lois boshaft. »Also, bevor du so narrisch warst, sag' i . . . hab' i di alleweil gern g'habt. Magst mir's glauben oder nit!«

61 »Freilich. Nit!« entschied die Wirtin. »A so a Hallodri wie du oaner bist!«

»Natürlich. Weil mir halt die Diandeln alle so viel g'fallen. Da kann i nix dafür. Und weißt, dös ist mir angeboren!« lachte der Bursch übermütig. »Aber siehst, Wirtin, die Liabste . . . gar die Allerliabste bist do alleweil du mir g'wesen. Magst es glauben oder nit. Bist no alleweil so a rar's saubers Weibsbild, daß du's mit an jeden Diandl aufnehmen kannst.«

»Halt's Maul!« gebot die Wartbichlerin böse. »Oder i geh'!«

»Ah naa. Nit gehen. Dös tät' di reuen! Ganz g'wiß!« meinte der Lois in einem beinahe väterlichen Ton. »Und iatz ist ja do alles aus. Du magst mi nit, und i mag di aa nimmer. Grad derbarmen tuast mir no. Weil i dir's beim Nasenspitzl ansiech, wie di die ganze G'schicht' wurmt. Du . . . die Wartbichlerin . . . und zum G'spött werden von die jungen Leut! Meiner Seel' . . . dös ist hart!« meinte er teilnehmend. »Und siehst, drum hätt' i dir 62 an Ausweg g'wußt . . . woaßt, wegen der Musik. Weil i mir schon denken kann, daß di das ganz extra kränken muß. Wo du doch die Obmännin bist vom christlichen Frauenbund.«

Nun horchte die Wartbichlerin doch etwas aufmerksamer zu. Und den Vorschlag, den ihr der Klacken Lois zu machen hatte, fand sie so ausgezeichnet, daß sie ihn jetzt dem Pfarrer unterbreitete.

Sie, die Wartbichlerin sollte vermitteln. Gerade sie in ihrer Eigenschaft als Obmännin des christlichen Frauenbundes sollte sich der guten Sache wegen überwinden und mit dem Pumelitzer Kathele verhandeln. Denn das Kathele war und blieb die Anstifterin der aufrührerischen Jugend des Dorfes.

Dem Kathele wollte sie versprechen, daß die tanzenden Jungfrauen in geschlossenen Reihen mit dem Kranzel auf dem Kopf hinter dem christlichen Frauenbund bei der Prozession gehen dürften.

Damit war die Ehre der tanzenden Jungfrauen öffentlich wieder hergestellt, ohne daß 63 der Pfarrer von seinem Standpunkt abrücken mußte. Denn die tanzenden Jungfrauen durften wohl das Kranzel tragen . . . als Zeichen ihrer Unberührtheit, aber sie waren doch streng abgesondert von dem eigentlichen Jungfrauenbund und durften erst nach dem christlichen Frauenbund sich in die Prozession einreihen.

Isidor Padöller war einverstanden.

»Versuchen Sie halt Ihr Glück, Frau Wartbichler . . .« meinte er mit gespielter Gleichgültigkeit. »Aber . . . natürlich . . . ich gebe nicht nach. Sagen Sie das dem Mädel!« fügte er ernst hinzu.

Also verhandelte die Wartbichlerin mit dem Pumelitzer Kathele. Lang und eifrig.

Aber es war nicht so leicht, dem kleinen Diandl beizukommen. Das Mädel bestand auf seinem Recht.

»Naa . . . Wirtin!« beharrte das Kathele. »Nit hinter den Weibern gehen wir. Sondern mit den Jungfrauen. Ganz gleich als wie die andern. Da darf koa Unterschied nit g'macht werden. Entweder gleichberechtigt oder gar nit!«

64 Es war eine endlose diplomatische Verhandlung. Fast jeden Tag kamen sie jetzt zusammen, die Wartbichlerin und das Sagschneider Diandl.

Und der Friedl hetzte noch das Diandl, wo er nur konnte. »Grad nit nachgeben, Kathele . . . nit nachgeben!« meinte er. »Sonst ziehen wir ein für allemal den kürzeren.«

»I gib schon nit nach. Verlass' di drauf!« lachte das Kathele. »Schon aa grad deswegen nit . . . weil's dei' Muatter ist. Da mag i scho gar nit.«

Und die beiden jungen Leute lachten übermütig. Sie wußten, weshalb.

Noch war kein Wort von Liebe zwischen ihnen gesprochen worden, und trotzdem wußten sie Bescheid und fühlten, daß sie eigentlich Liebesleute waren, die in nicht allzu ferner Zeit einander heiraten würden . . .

Den kürzeren in diesem Streit zogen der Pfarrer und die Wartbichlerin, die seine Sache nun zu der ihrigen gemacht hatte. Schritt für Schritt gaben sie nach und erfüllten die Bedingungen, welche das Pumelitzer Kathele stellte.

65 Nur eines blieb unerfüllt, und in diesem Punkt war der Pfarrer standhaft. Den ersten Vortritt bei der Prozession hatte der Jungfernbund, und diesem sollte auch die Ehre zuteil werden, die Statue der heiligen Anna in das neu restaurierte Heim zu tragen.

Aber das Kathele bestimmte: »Gut. Der Jungfernbund hat den Vortritt. Aber tragen tun wir die heilige Frau abwechselnd. Zuerst vier Diandeln vom Jungfernbund und nachher vier Diandeln von uns tanzenden Jungfern. Oder wir tun nit mit!« beharrte sie eigensinnig.

So blieb es denn dabei; und mit verbissener Wut und Ingrimm erreichte die Wartbichlerin auch dieses letzte Zugeständnis vom Pfarrer. Aber sie haßte das Kathele. Ehrlich. Und wenn sie gedurft hätte, so hätte sie sich das kleine Diandl hergenommen und es windelweich geklopft.

So ein Saufratz, ein elendiger! Wo grad die die Schneid' hernahm! Und auf ihren Friedl sollte sie gar ein Aug' geworfen haben, hatte man ihr unlängst erzählt.

66 Na . . . die sollte sich g'freuen! Verbieten konnte sie dem Friedl das Heiraten allerdings nicht; denn erstens war er mündig und zweitens selbständig. Aber ärgern würde sie die beiden, wenn es wirklich zum Heiraten kommen sollte. Das schwor sich die Wartbichlerin selber zu . . .

Der feierliche Tag der Einweihung des Kirchels war gekommen und wurde mit allem Pomp, den das kleine Dörfel aufbieten konnte, begangen. Schon am Tage zuvor war der Bischof eingetroffen, den man mit Böllerschüssen, Triumphbogen, Musik und Ehrenjungfrauen empfing.

Auch eine Abordnung der tanzenden Jungfrauen war dabei. Und natürlich fehlte darunter das Pumelitzer Kathele nicht.

Ganz in der ersten Reihe hatte sie sich aufgepflanzt, obwohl sie von Rechts wegen in die zweite Reihe gehört hätte. Aber klein und geschmeidig wie sie war, hatte sie sich eben durchgedrängt; und die vom Jungfrauenbund getrauten sich nicht zu mucksen, aus Angst, daß 67 das Kathele noch im letzten Moment die Musik einstellen könnte.

Es waren zwei grantige alte Jungfern, zwischen denen das Kathele zu stehen kam. Aber das machte ihr nichts. Es machte ihr auch gar nichts, daß die beiden sich neben ihr breit und klotzig aufpflanzten und sie mit giftigen Seitenblicken maßen.

Das kleine Diandl hatte ein so unschuldiges und freudiges Gesichtl und sah so lieb und reizend aus, daß sogar der Pfarrer ihr nicht bös sein konnte.

Um in gar nichts in dem Streite nachzugeben und auch das Letzte ihrer Bedingungen noch zu erreichen, griff das Mädel zur List.

Von der Kirche aus zog die Prozession im feierlichen Zug durch's Dorf und den Hügel hinan, auf dem das Wallfahrtskirchlein stand.

Die Glocken läuteten von den beiden Kirchen, und die Böller krachten laut und dröhnend. Die Nachbargemeinden hatten ihre Musikkapellen entsendet. Geistliche waren gekommen und Abordnungen von Schützen und Veteranenvereinen.

68 Schulkinder, welche die Fahne des heiligen Schutzengels trugen, eröffneten den Zug. Dann kamen die Jünglinge des Ortes mit ihrer Fahne und nach diesen der christliche Männerbund.

Vor der Statue der heiligen Anna spielte die Musikkapelle des Festdorfes. Ihr folgten, die Augen demütig zu Boden geschlagen und mit gefalteten Händen die Jungfrauen des Jungfernbundes. Nach diesen gingen die tanzenden Jungfrauen.

Man unterschied sie sofort von den andern. Sie alle waren jung und hübsch und hatten lustige übermütige Gesichter, denen es Mühe machte, ernst und feierlich auszusehen.

Die Jungfrauen, tanzende und nichttanzende, trugen dicke weiße Kränze aus künstlichen Blumen im Haar, tief in die Stirn hereingedrückt, und hatten weiße Schürzen und weißseidene Brusttücher.

Die Statue der heiligen Anna wurde von vier Jungfrauen des Jungfernbundes getragen. Zu seiten der Trägerinnen schritten vier Diandeln aus dem Bund der tanzenden 69 Jungfrauen, welche die Trägerinnen von Zeit zu Zeit abzulösen hatten.

Der Sängerchor, vom Lehrer geführt, schritt vor dem Baldachin, unter dem der Bischof, von Geistlichen in weißen Chorröcken umgeben, das Allerheiligste trug.

Knapp dahinter beteten die Frauen vom christlichen Frauenbund mit lauter Stimme ihren Rosenkranz. Als allererste natürlich die Wartbichlerin.

Sie sah in ihrer hübschen kostbaren Bauerntracht mit dem schwerseidenen dunklen »Fürtach« und dem gleichen, kreuzweise über der Brust gesteckten Tuch bildsauber aus. Die Freude über das nun doch so schön zustande gekommene Fest machte sie rot und blühend und fast bräutlich jung.

Das Pumelitzer Kathele war selbstverständlich eine von den Ersatzträgerinnen. Und sowie die Prozession den Dorfplatz erreicht hatte, gerade dort, wo das Gasthaus der Wartbichlerin stand, flüsterte der kleine Racker ihrer Nachbarin ins Ohr: »Mei' Mensch . . . du dertragst es ja 70 nimmer. I bitt' di . . . lass' mi machen. Du bist ja ganz bloach.«

Die Trägerin, ein schon ältliches Mädchen mit einem griesgrämigen und etwas wehleidigen Gesicht, erschrak heftig.

»Moanst?« flüsterte sie zurück. »Bin i bloach?«

»Freilich. Ausschauen tuast wie a g'spiebenes Gerstel. Lass' grad mi. I tua's gern!« versicherte das Kathele im freundlichen Mitleid.

Die andern Trägerinnen waren wohl etwas verwundert darüber, daß der Wechsel schon so bald stattfinden sollte. Aber da es möglichst rasch und unauffällig geschehen sollte, blieb zum Verhandeln keine Zeit.

Und so trugen denn die Jungfrauen die heilige Anna noch durch's Dorf und dann noch ein Stücklein den Berg hinan. Bis das Kathele plötzlich zu stöhnen begann . . . »I bitt' di gar schön und um Gotteswillen, hilf mir! I lass' sischt die heilige Anna fallen.«

Erschrocken sprang ihre Nachbarin hinzu und stützte sie. Auch die andern drei Diandeln von 71 den tanzenden Jungfrauen, welche in die Komödie nicht eingeweiht waren, erschraken heftig; denn sie glaubten tatsächlich, daß die Last dem zarten Kathele zu schwer geworden sei.

Der Wechsel der Trägerinnen erfolgte diesmal noch weit rascher wie das erstemal, und die vier Mädchen vom Jungfernbund trugen nun die Heilige den steilen Berg hinan.

Es war keine leichte Arbeit. Das Kathele, das mit einem scheinheiligen und unschuldigen Gesichtl leer daneben schritt, sah es gar wohl, wie sich ihre Nachbarin mühte und plagte und sich etliche Male den Schweiß von der Stirn wischte. Aber sie sagte kein Wort, faltete nur fromm die Hände und betete mit lauter Stimme und sehr eifrig den Rosenkranz.

Als man noch etwa fünf Minuten weit bis zum Kirchlein hatte, erklärte das Kathele plötzlich: »Iatz ist mir wieder gut. Lass' mi wieder machen. Du derschnaufst es ja so bald nimmer. Dös ist a höllisches Stuck Weg g'wesen.«

Alle vier Trägerinnen waren ehrlich froh darüber, daß sie nun abgelöst wurden. Denn der 72 Weg war nicht nur steil und steinig, sondern auch sehr sonnig.

Oben beim Kirchlein angelangt, trugen die tanzenden Jungfrauen ihre heilige Bürde in das neue Heim. Stolz und sieghaft. Denn nun hatten sie es los, daß alles nur eine Komödie gewesen war und daß das Kathele ihnen durch ihre List zum endgültigen Sieg verholfen hatte.

Die vom Jungfernbund spannten die Sache noch immer nicht. Sie waren zu müde und abgestumpft und nur froh, jetzt in die kühle Kirche eintreten zu dürfen.

Die Orgel erbrauste, und die Glocken läuteten feierlich. Vor dem Kirchentor spielte die Musik. Die hellen Glöcklein der Ministranten kündigten das Nahen des Allerheiligsten an.

Das Kathele und ihre Gefährtinnen trugen die Heilige bis an die Stufen des Hochaltares, stellten sie zur rechten Seite des Altars nieder und knieten andächtig hin, um den Segen mit dem Allerheiligsten zu empfangen.

Isidor Padöller, der im kostbar gestickten 73 Rauchmantel zur Linken des Bischofs schritt, mußte knapp an dem Kathele vorbeigehen. Sie hielt das Köpfchen tief gesenkt und vermied seinen Blick.

Auch später noch, als alles zu Ende war, wich das Mädel dem Pfarrer aus. Denn nun hatte sie ein schuldiges Gewissen und keine Schneid' mehr, vor ihn hinzutreten. Tatsächlich hatten ja die tanzenden Jungfrauen die heilige Anna in die Kirche getragen und so den höchsten Trumpf der ganzen Prozession ausgespielt . . .

Allzu lange konnte das Pumelitzer Kathele aber ein Zusammentreffen mit dem Pfarrer doch nicht vermeiden. Sie und der Friedl hatten sich ausgesprochen und wollten heiraten. Da blieb nichts anderes übrig, als doch zum Pfarrer zu gehen.

Und Isidor Padöller schaute die Kleine, die nun verlegen und tiefrot neben dem Friedl vor ihm stand, mit gemachtem Zorn an.

»So?« frug er ernst und vorwurfsvoll. »Also getraust dich doch noch zu mir, Kathele?«

74 »I muß wohl!« gestand das Diandl zaghaft. »Bleibt mir ja nix anders übrig.«

»Das siehst also ein?«

»Ja!« meinte das Mädl kleinlaut.

»Und schämst du dich?«

Bei dieser Frage schaute das Kathele überrascht auf. »I? Weil i heirat'?«

Nun mußte der Pfarrer lachen.

»Nein. Wegen deiner Hintertücke. Das war gemein von dir, Mädel. Aber . . .« und dabei hielt er ihr freimütig die Hand hin, »es hat mir doch gefallen von dir, daß du dich so brav gehalten hast. Wenn wir auch Feinde waren . . . Jetzt wollen wir Freunde sein. Da . . . schlag' ein!«

»Gern, Hochwürden Herr Pfarrer. Gern.«

Und kräftig schüttelten sich die beiden die Hände.

»Aber . . . geltens, Hochwürden . . . Jetzt sehen's doch ein, daß die tanzenden Jungfrauen brave Diandeln sein?« meinte das Pumelitzer Kathele.

75 »Recht mußt haben!« lachte der Pfarrer. »Immer das letzte Wort. Friedl, kannst dich freuen.«

Der Friedl grinste über's ganze Gesicht. Die Differenz mit dem Pfarrer, das war ja eine Kleinigkeit. Das hatte er ja immer gewußt, daß der Pfarrer im Grunde genommen ein vernünftiger Mensch war.

Isidor Padöller hatte auch nie mehr gegen die tanzende Jugend gewettert. Offenbar war ihm das, was das Kathele ihm damals gesagt hatte, doch zu Herzen gegangen. Und nachgetragen hatte er auch nichts.

War ein recht vernünftiger Mann der Pfarrer. Recht vernünftig. Wenn nur alle Leut so wären . . . dachte sich der Friedl.

Seine Mutter, die Wartbichlerin, die war ganz anders nachtragerisch. Spinnefeind war sie dem Kathele seit dem Vorfall in der Wallfahrtskirche. Und ihm, dem Friedl, gab sie kaum ein gutes Wörtel mehr. Das war so, daß er der Mutter seine Absicht, zu heiraten, fast nicht mitzuteilen wagte.

76 Nach dem Besuch im Widum kehrten die Brautleute bei der Mutter zu.

Die Wirtin war nicht allein. Obwohl es Vormittag war, saß schon der Klacken Lois im Wirtshaus. Hatte sein Filzhütl frech und unternehmend schief ins Gesicht gerückt und lachte den beiden entgegen.

»Kömmt's vom Pfarrer . . . ös zwoa, ha?«

»Ja.« Es klang gedrückt, fast schuldbewußt.

»Wann wird nacher g'heiratet?«

Es war der Lois, der frug. Die Wartbichlerin schaute die beiden kaum an.

»Heiraten? Dö zwoa?« sagte jetzt die Wartbichlerin bissig. »Siehst es ihnen nit an, daß sie der Hochwürdige aussig'schmissen hat?«

»Was sagst da?« frug das Kathele sehr energisch.

»Aussig'schmissen hat er enk natürlich!« erklärte die Wirtin, als ob daran überhaupt kein Zweifel sein könne.

Da lachte das Diandl aus voller Kehle übermütig, daß es sie nur so schüttelte.

»Da bist am Holzweg, Wartbichlerin!« rief 77 das Kathele. »Der Pfarrer ist der feinste Mensch, den du dir nur denken kannst. Und gut Freund sein wir worden. Die Hand hat er mir g'schüttelt, der Pfarrer. Und in sechs Wochen wird g'heiratet. Daß du's nur weißt!«

»Der Pfarrer hat dir die Hand g'schüttelt?« Die Wirtin stemmte beide Arme in ihre breiten Hüften und stellte sich mit ihrer ganzen mächtigen Gestalt kampfbereit vor dem kleinen Diandl auf. »Daß du di grad nit schamst, a so zu lügen!«

»Wer lügt?« rief das Kathele aufgebracht. »I lüg' nit! Sag's selber, Friedl, hat er mir die Hand g'schüttelt oder nit?«

»Freilich hat er ihr die Hand geschüttelt, Muatter!« bestätigte der Friedl. »Und fein ist er g'wesen mit dem Kathele, der Hochwürdige, fein als wie Haar. Und in sechs Wochen ist Hochzeit. Hab' i vielleicht nit a nettes Bräutel?«

»Die kannst dir schon b'halten!« erwiderte die Wirtin unversöhnlich und erbost. »I als Obmännin des christlichen Frauenbundes 78 verzeih' dem Lausfratzen, solang i leb', nit die Schand', dö sie der heiligen Mutter Anna angetan hat!«

»Da wirst di nit wehren können, Wartbichlerin . . .« mischte sich jetzt der Klacken Lois in den Diskurs. »Wenn der Pfarrer nix mehr hat gegen das Diandl, wirst halt du aa damit einverstanden sein müssen.«

»Dös glaub' i no lang nit, daß der Pfarrer nix mehr hat dagegen!« behauptete die Wartbichlerin obstinat. »Müßt' ihn der Teuxelracker ja verhext haben.«

»Siehst, Wartbichlerin, da hast was versaumt. Warum hast denn du den Pfarrer nit verhext?« sagte der Klacken Lois frech und grinste die Wirtin über das ganze Gesicht an.

»Halt' grad du dei' ung'waschen's Maul!« fuhr jetzt die Wirtin auf den Burschen los.

»Geh', sei fein, Wartbichlerin!« bettelte der Lois in komischer Demut. »Schau, i tät' mi ja grad freuen, wenn du den Pfarrer nimmer möchtest. Dös wär' mei' schönste Stund'. Tät' si koa Mensch sonst so g'freuen drüber wie i. 79 Denn wenn du den Pfarrer nimmer magst, nacher wär' do endlich a Aussicht, daß du di in mi verliabst. Du weißt ja, daß i auf di spitz'. Grad in die Obmannin vom christlichen Frauenbund hab' i mi verliabt!« grinste der Lois über seine ganze freche Papp'n. »Schau, Wartbichlerin, dös ist G'schmacksach'. In die Obmännin vom christlichen Frauenbund kann si do nit jeder verliaben. Also was ist's nacher?«

»Dös ist!« rief die Wartbichlerin. »Du ausg'schamter Loder, du!«

Dabei holte sie mit ihrer kräftigen Rechten zu einer Bewegung aus, die der Klacken Lois nicht mißverstand. Er duckte sich schleunig hinter dem Wirtstisch, so daß die ihm zugedachte Watschen über seinen Kopf hinwegsauste.

»Iatz hättest bald a Ehrenbeleidigung begangen, Wartbichlerin!« lachte er, indem er sich wieder aufrichtete.

»Wär' mir leid um mei' Hand g'wesen!« erwiderte die Wirtin rot vor Zorn, drehte den in der Stube Anwesenden ihre breite Hinterfront 80 zu und ging hinaus, wobei sie die Türe dröhnend ins Schloß hieb.

»Mir scheint, iatz ist sie gar bös . . .« grinste der Klacken Lois mit einer komischen Unschuldsmiene, als wenn er den Zorn der Wartbichlerin beim besten Willen nicht begreifen könnte . . .

Im Dörfel schauten sie doch drein, als am nächsten Sonntag der Pfarrer den Wartbichler Friedl und das Pumelitzer Kathele von der Kanzel herunter warf. So lautet nämlich der volkstümliche Ausdruck für das kirchliche Aufgebot von zwei Brautleuten.

Man merkte es, wie namentlich auf der Weiberleutseit'n viel getuschelt wurde. Aber auch auf die Mannderleut machte es einen ersichtlichen Eindruck. Und es war entschieden die Neuigkeit des Tages, die überall besprochen wurde.

Natürlich wurde auch im Wirtshaus davon geredet. Die Wartbichlerin spielte die Gleichgültige, als ob sie die ganze Sache überhaupt gar nichts angehe.

Deswegen sandte sie aber doch hin und wieder 81 einen unruhigen Blick nach der Ecke, wo der Klacken Lois saß. Denn der mußte am Sonntag doch im Wirtshaus sein. Sonst wäre es kein richtiger Sonntag gewesen.

Merkwürdigerweise ließ sie aber der Lois heute in Ruhe. Sie wäre sonst schon gewappnet gewesen, ihm einen gehörigen Trumpf herauszugeben.

Es war ja möglich, daß der Friedl dem Lois einen Wink gegeben hatte, die Mutter nicht noch mehr zu reizen . . .

Und dann war vor der Hochzeit doch noch eine Art Friede zwischen dem jungen Brautpaar und der Wartbichlerin geschlossen worden. Das Verdienst daran trug der hochwürdige Herr Pfarrer Isidor Padöller.

Der hatte die Wartbichlerin einmal in den Widum rufen lassen und recht gut auf sie eingeredet, daß es halt doch nicht recht ginge, mit den eigenen Kindern im Unfrieden zu leben. Der Friedl sei ja ein recht braver Mensch geworden und habe auch schon seine gute Stellung. Und gegen das Kathele liege nichts vor. Sie habe sich 82 immer als ein braves Diandl geführt. Und die Geschichte mit den tanzenden Jungfrauen müsse man halt begraben sein lassen. Jetzt werde das Kathele ohnedies bald in keinen Jungfernbund mehr Aufnahme finden können. Weder in einen tanzenden noch in einen nicht tanzenden.

»I krieg' schon a Wuat, wenn i den Fratzen seh'!« wehrte sich die Wartbichlerin.

»Die werden Sie ja nit alleweil sehen . . .« beschwichtigte der Pfarrer die empörte Obmännin des christlichen Frauenbundes. »Das junge Paar zieht doch nach Vorarlberg hinaus.«

»Dös ist no a Glück, Hochwürden. I mein', i krieget sonst die Gelbsucht!« erklärte die Wirtin.

»Man muß auch wieder vergessen können, Frau Wartbichler!« sagte der Pfarrer. »Schauen Sie mich an. Ich habe ja auch vergessen.«

»Tanzen laß i aber nit in meinem Haus bei der Hochzeit!« versicherte die Wartbichlerin. »I hab' einmal das Gelöbnis abgelegt, daß in mein' Haus, solang i leb', nimmer getanzt wird!«

Der Pfarrer lächelte leise. Dann meinte er: 83 »Machen's Ihnen keine Sorge wegen dem Tanzen, Frau Wartbichler. Die haben uns früher nit g'fragt wegen dem Tanzen. Werden sie uns jetzt auch nit fragen.«

»Und die heilige Mutter Anna, was wird die dazu sagen, wenn i jetzt über alles a Kreuz mach', als wenn gar nix g'schehen wär' . . .« bekam die Wirtin noch einmal Bedenken.

»Was die heilige Mutter Anna dazu sagen wird, weiß ich natürlich nicht genau . . .« meinte der Pfarrer. »Aber nachdem Vergeben und Vergessen christlich ist, wird die heilige Mutter Anna auch nichts dagegen einzuwenden haben.«

Als die Wartbichlerin wieder gegangen war, schritt Isidor Padöller noch eine geraume Zeit, die Hände auf den Rücken gelegt, nachdenklich in seinem Zimmer auf und ab.

Mancherlei ging dem Pfarrer durch den Kopf. Darunter tauchte auch das alte gute Sprüchlein auf, daß allzu scharf schartig mache . . .

Mit seiner Voraussage der Wartbichlerin gegenüber, daß sie sich wegen dem Tanzen auf der Hochzeit des Friedl keine Sorgen machen 84 sollte, hatte Isidor Padöller vollkommen recht behalten.

Das Hochzeitsmahl fand im Wirtshaus statt. Getanzt wurde aber beileib' nicht bei der Wartbichlerin.

Als das Mahl vorüber war, zog die ganze große Gesellschaft nach dem Stadel, der dem Sagschneider gehörte. Der Friedl hatte im Verein mit dem Klacken Lois und anderen Burschen den zum Tanzboden umgewandelten Stadel noch ganz besonders festlich hergerichtet und ihn mit Taxengewinden, bunten Fähnlein und Lampions geschmückt, daß es völlig vornehm aussah.

Und getanzt und gesungen und gejodelt wurde auf der Hochzeit des Wartbichler Friedl mit dem Pumelitzer Kathele so viel, so eifrig und lustig, wie es seit Jahr und Tag in dem Dörfl sich nicht mehr ereignet hatte.

Sogar der alte Sagschneider mit seinen beiden alten Schwestern war mit unter den Tanzenden.

Wie man dann nachträglich erfuhr, wurden auch ein paar nichttanzende Jungfrauen vom 85 frommen Jungfernbund auf der Hochzeit des Friedl gesehen, die ihren strengen Vorschriften untreu geworden waren und mit den andern tanzten, daß nur so die Röcke flogen.

Es sollen aber diese paar nichttanzenden Jungfrauen, die sich zum Tanzen bekehrten, junge saubere Diandeln gewesen sein. Von den älteren Registern war allerdings keine zu sehen. Es hatte auch niemand Zeitlang danach.

Daß der Pfarrer Isidor Padöller, die Wartbichlerin als Obmännin des christlichen Frauenbundes oder sonst ein Mitglied dieses Bundes gegen ein solches betrübliches Vorkommnis Einwendung erhoben hätten, wurde nicht gehört.

Der Jugend gehört halt doch die Zukunft. Und sie ist meistens auch mächtiger. Wenn das Dörfel noch so klein, der Pfarrer noch so streng und die Frauen noch so fromm sind.

Zum Schluß muß noch ein neuer Streich des Pumelitzer Kathele oder vielmehr der Frau Katharina Wartbichler vermeldet werden, der ihrer Schlauheit nur ein abermaliges gewichtiges Zeugnis ausstellt.

86 Als die Frau Katharina Wartbichler nach kaum Jahresfrist in Vorarlberg draußen einem gesunden Jungen das Leben gab, der in der Taufe den Namen seines Vaters erhielt, stiftete sie zu Ehren dieses neuen Weltbürgers dem christlichen Frauenbund in ihrer Heimat eine neue Bundesfahne.

Aber schon so eine prächtige Fahne mit dem in Seide gestickten Bildnis der heiligen Mutter Anna, daß sie den Neid der ganzen Umgebung erregte. Auch Isidor Padöller war davon ehrlich begeistert.

Diesem werktätigen Beweis echt christlicher Gesinnung konnte auch die Wartbichlerin nicht mehr länger widerstehen. Sie erklärte es als ein offenbares Zeichen der Einkehr und Bußfertigkeit der ehemaligen kleinen Sünderin, die auf solche wirklich schöne Weise die heilige Mutter Anna versöhnen wollte.

Der christliche Frauenbund hielt unter seiner Obmännin und im Beisein des Pfarrers eine eigene Sitzung ab, in der die Frau Katharina Wartbichler in Anerkennung ihrer besonderen 87 Verdienste um den Verein zum Ehrenmitglied des christlichen Frauenbundes ernannt wurde. Der Schullehrer hatte es dann übernommen, ihr ein eigenes Diplom darüber auszufertigen.

Ein paar Wochen später hat sich die Wartbichlerin entschlossen, nach Vorarlberg zu fahren, um ihren Sohn und die Schwiegertochter aufzusuchen und dabei auch ihren ersten Enkel zu lupfen, ob er wohl von guter Rasse sei.

Diese Prüfung soll sehr befriedigend ausgefallen sein. Und mit dem Pumelitzer Kathele kam die Wartbichlerin auch gut zu fahren. Denn daß aus der tanzenden Jungfrau jetzt sogar ein Ehrenmitglied des christlichen Frauenbundes geworden war, das mußte man ja geradezu als eine himmlische Fügung betrachten. 88

 


 


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