Rudolf Greinz
Tiroler Leut
Rudolf Greinz

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Der Zieler Wastl

Beim Rösselwirt ging es heute hoch her. Die Liter tanzten auf, einer nach dem anderen, daß es eine helle Freude war.

Der dicke Rösselwirt in seiner schneeweißen Schürze machte selbst die Runde unter seinen Gästen, und seine Tochter, das hübsche Reserl, hatte den blanken Riemen mit der daranhängenden Ledertasche um die Mitte geschnallt und half fleißig mit bedienen.

Mancher der jungen Burschen trank schon deshalb um so eifriger, damit es öfter was zum Einschenken gab. Dann konnte man dem Reserl heimlich die Hand zu drücken versuchen . . . allerdings nur versuchen. Denn das Rösselwirts-Reserl war ein recht sprödes Diandl, das ihre Hand gleich zurückzog, als ob sie glühendes Feuer berührt hätte.

Es ging schon allmählich gegen Mitternacht. Aber heute war ja alles entschuldbar. Für einen 118 lustigen Tirolerbua, besonders wenn er Schütz auch noch dazu ist, schlägt überhaupt keine Stunde.

Ein prächtiges Schützenfest war das heute gewesen, wie es das Dorf seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Geknallt hatte es den ganzen Tag. Der 25jährige Bestand des Ortsschießstandes mußte eben geziemend gefeiert werden.

Der Schützenkönig des heutigen Tages, der Sepp vom Melcherbauern, saß gar stolz an dem Tisch beim Ofen. Er trank fast am öftesten aus, und das Reserl schenkte ihm am öftesten ein. Das Diandl scheute sich vor seinen Händen gar nicht so sehr wie vor den übrigen.

Gerade hatte er sie um die Mitte genommen, und sie hatte sich ihm lachend entwunden und ihm einen leichten Schlag auf den Hut versetzt, der dem Burschen keck auf dem linken Ohr saß.

Der Hut hatte heute auch seinen Ehrentag. Voll blinkender Orden war er und glänzender Büschel. Die Goldflinserln leuchteten nur so durch den Tabaksqualm und das dämmernde Licht in der Wirtsstube.

119 Ja, wieviel der Schießstand während der 25 Jahre erlebt hatte! Wenn der erzählen könnte! Wieviele Treffer und Fehlschüsse.

Einer konnte davon erzählen. Der saß mit am Ofentisch beim Schützenkönig. Der hatte es heute ganz besonders wichtig und führte das große Wort. Man ließ ihn ruhig gewähren und trank ihm eifrig zu. Denn er war heute auch so eine Art Jubilar.

Alle Augenblicke sprang er auf und schlug auf den Tisch, daß die Gläser zitterten und eben angefüllte überliefen. Das Meer von Wein, das auf dem alten Wirtstisch hin und her schwankte, kam zum großen Teil auf seine Rechnung.

Es war ein kleines untersetztes Manndl mit einem zerzausten Schnauzer, struppigen Haaren und Augenbrauen. Der Zieler Wastl hieß er, hatte seinen Titel ehrlich verdient und ihm auch stets Ehre gemacht.

Seit 25 Jahren war er nun Zieler am Schießstand. Und wenn er nichts anderes erzählte als von Scheiben und Stutzen und stets selbst noch besser getroffen hätte als der beste 120 Schütz, so durfte man ihm das nicht für übel halten. Denn jeder Schuster spricht am liebsten von seinem Leisten.

Da wäre der Zieler Wastl eigentlich bei seinem Leisten gewesen, weil er Schuster von Profession war. Er war Junggeselle geblieben und hauste mit einer alten Schwester, von der man sagte, daß sie ihren Bruder zeitweise prügle, in einem kleinen Häusl am Ende der langen Dorfgasse.

Mit der Schusterei war es nun freilich nicht weit her. Vielleicht hatten die Prügel seiner schwesterlichen Xantippe dem Wastl mit der Zeit das Talent dazu verschlagen . . . oder machte es das zu viele »Aufschütten«. Aber was muß sich so ein Zieler nicht die Kehle trocken schreien!

Und seit ihm vor zwei Jahren etwas passiert war, betrachtete er es überhaupt als einen Schimpf, wenn ihn noch jemand für einen Schuster anredete. Da hatte er nämlich dem 121 Kirchprobst und Dorfvorsteher bei einem nagelneuen Paar Stiefel die Absätze mitten auf die Sohlen genagelt . . .

Kurz, heute war sein Gauditag, und Wein bekam er zu trinken, daß er schon gar nicht mehr wußte, wohin damit.

Es hatte heute genug Abwechslung gegeben. Eine Seiltänzertruppe hatte sich auf dem freien Platz vor dem Schießstand niedergelassen. Dann gab es ein Wachsfigurenkabinett mit allen Raubmördern der verflossenen Jahrzehnte und zuletzt sogar einen wandernden Astronomen, der um einen Sechser durch sein Perspektiv auf den Mond sehen ließ. Er hatte in einem kleinen Leinwandzelt, auf dessen eine Wand der Vollmond im blauen Himmelsgrunde gemalt war, sein Heim aufgeschlagen.

Über die Sternguckerei sprach man jetzt gerade am Tisch des Schützenkönigs. Einer der Gäste, ein langer hagerer Mensch, der beide Füße weit unter dem Tisch hervorstreckte, meinte, daß schon noch die Zeit kommen werde, wo man auf den Mond reise. Er war Kanzlist beim 122 Bezirksgericht des benachbarten Marktes und als ein Spaßvogel allgemein bekannt.

Zu seinen eifrigsten Zuhörern gehörte der Zieler Wastl, der ein Glas nach dem andern hinunterschüttete, auf einmal seinem eigenen Mundwerk einen Riegel vorschob und zu allem, was der Kanzlist sagte, nur stillzufrieden nickte.

»Ja, wissen's, Herr Kanzlist,« meinte er schließlich, »dös mit dem Mond ist akkurat wie mit a Scheiben. Der Mond ist gar nix anders als wie a Scheiben. Treffen muaß man dö Scheiben. Dös sag' i. Wenn's daneben geht, nachher hat's nimmer 's Richtige!«

»I erleb's no, daß der Wastl auf'n Mond kommt!« rief der Schützenkönig.

»Dös darfst nit zwoamal sagen!« erklärte der Wastl in seinem Weindusel. »Scheiben ist Scheiben! Bloß richtig treffen muaß man's! Fliagen wann i lern', da werdet's schaun! Wann i amal aufischiaß in d' Höh'!«

»Den Dampf hast ja schon!« lachte der lange Kanzlist. »Da geht's doppelt so g'schwind!«

»Mein Dampf ist mein Dampf! Der geht 123 koan Menschen was an!« brummte der Wastl. Er wurde immer schweigsamer und nickte endlich auf seinem Sitze ein, nicht ohne früher noch eine krampfhafte Anstrengung gemacht zu haben, eine Neige in seinem Glas zu leeren.

Allmählich verlor sich die lustige Gesellschaft. Der Wirt begann schon die Stühle zurechtzurücken. Das Reserl und die Kellnerin spülten bei der Schankbudel Gläser und Flaschen aus. In einer Ecke beim Ofen schnarchte der Wastl wie ein Dutzend Sägmühlen.

Dabei fand niemand was Auffallendes; denn die Ecke und der Wastl waren schon seit langer Zeit gute Bekannte. Der Wastl pflegte öfters dort zu übernachten, wenn der Wein ihm über wurde und seine Schwester zu faul war, um ihn heimzuholen.

Heute sollte er nicht ungestört bleiben. Bei der Türe stolperte eine Gestalt herein, mit einem langen Mantel bekleidet, eine alte Militärmütze auf dem Kopfe und eine Lanze in der Hand. Der Mann, in dem unschwer der Nachtwächter zu erkennen war, torkelte auf den Wastl zu und 124 brachte ihn mit einem kräftigen Ruck am Kragen zum Stehen.

Der Wastl riß die Augen auf und sah den andern eine Weile verdutzt an. Dann brummte er ärgerlich: »Iatz möcht' i grad' wissen, ob du mi mit Ruah schlafen lassen kannst oder nit!«

»Hoamgehn tuast!« entgegnete der Nachtwächter energisch. »Dö Sauferei hat si iatz aufg'hört! I hab' vom Vorsteher den strengsten Auftrag, di zur rechten Zeit hoamz'liefern! Du gibst das schlechteste Beispiel fürs ganze Dorf. Und dös können wir nimmer dulden! Zapf' di iatz!«

Der Wastl, der sich inzwischen ermuntert hatte, wurde dadurch nur um so bockbeiniger. »Iatz geh' i erst recht nit!« begehrte er auf. »I woaß schon, wer da dahinter steckt. Mei' Haustuifl ist es, will sagen mei' Schwester, dö dem Vorsteher wieder die Ohren voll ang'sumst hat. Und i duld' dös Weiberregiment nimmer! Und heut' an mein' Ehrentag schon gar nit! Liaber geh' i no auf'n Mond! I hab's ganz fest im Sinn, wenn's mir da herunten amal zu 125 dumm wird! Muaßt sie grad' treffen dö Scheiben. Grad' treffen. Ist um gar nix anders zu tuan, als ums treffen!«

»Mir scheint, dir ist dein letztes Radl abg'laufen. Mehr als oans hast amerst nimmer g'habt!« sagte der Nachtwächter, indem er ein Stamperl Schnaps leerte, das ihm die Kellnerin auf den Tisch gestellt hatte.

»Mir ist nix wissentlich!« erwiderte der Wastl. »Da müaßt i do was davon g'spürt haben.«

»In dein' Dampf vielleicht?«

»I sag' dir's, Hiasl, reiz' mi nit! Dös mit dem Mond hat sei' Richtigkeit. Dös ist heut' abg'sprochen worden, daß wir no amal auf'n Mond kommen!«

»Woaßt was, Wastl?« sagte der Nachtwächter. »Du könntest am leichtesten mit dem Mond Bekanntschaft machen. Du brauchtest grad so lang zu sein, als du dumm bist. Nachher könntest du den Mond um den Buckel lecken!«

»I sag' dir's no amal, Hiasl, reiz' mi nit!« 126 gröhlte der Wastl. »Du woaßt, wenn i schiach werd', nachher tua i wia a Viech! Und du hast die Schuld dran!«

»I werd' dir schon 's Viech geben!« meinte der Hiasl. »Woaßt was, wenn du iatz nit glei deine sieben Zwetschken z'sammenpackst und bei der Tür außifindest, nachher geh i um die Barbl. I glaub', dö zündet dir schon außi!«

Von einem jähen Schrecken ergriffen, nahm der Zieler Wastl seinen Hut mit dem mächtigen Büschel aus Glasperlen und Goldfäden droben und wackelte langsam zur Tür hinaus mit einem gebrummten: »Wart', Nachtwachterl, i werd' dir's schon no eintränken!«

Der Hiasl setzte sich zu einem zweiten Stamperl an den Tisch. Er hatte nun seiner Amtspflicht Genüge geleistet und konnte sich eine Weile gütlich tun, bis die Weiberleut mit dem Gläserausschwänzen fertig wurden und es die nächste Stunde zu rufen traf.

Inzwischen brauchte der Wastl die ganze Gasse. Bald war er am einen Ende, bald am andern und räsonierte für sich selbst: »Naa, es 127 ist decht a Kreuz. Naa, wenn i iatz hoamkimm, dös kann a nette Metten absetzen. I g'spür's iatz schon. Hätt's gar nit glaubt, daß mi der Wein so bald drahet. I moan alleweil, der Kanzlist, der lange Tuifl, hat mir hoamlich Schnaps einigossen. Zuaz'trau'n ist dem alles. Aber i woaß nit . . . es ist mir do a so leicht und lüftig, völlig als wenn i koane Füß' mehr hätt'. Vielleicht probiar i iatz amal 's Fliagen. Mein Gott, wenn man nur amal von der Erd' wegkommen kunnt' . . . auf'n Mond aufi, meinetwegen. Netter wär's überall. Und die Barbl mit ihre krumpen Haxen käm' mir da aufi aa nit nach. Probiar'n kann man's ja amal. Dös ist halt der Teuxl . . . wia die Herrn g'sagt haben, daß oan die Erden alleweil wieder anziaht . . .«

So räsonierte der Zieler Wastl weiter und wußte eigentlich selbst nicht, wohin er ging. Auf einmal riß er die Augen sperrangelweit auf, stürzte einen Schritt nach vorwärts und dann mit einem heiseren Juhschrei auf den Gegenstand los, der sein Erstaunen erregt hatte . . .

128 »Iatz hab' i di, du Zapfen, du damischer! Iatz laß i di aber aa nimmer aus!«

Noch ein verzweifelter Sprung. Ein Krach. Der Zieler Wastl verlor im Übermaß der Glückseligkeit oder seines Kanonenrausches das Bewußtsein seiner selbst und entschlummerte in seligen Träumen . . .

Wie lange er so geschlafen hatte, wußte er natürlich selbst nicht zu sagen. Das erste, was ihm wieder zu Sinnen kam, war, daß er an den Füßen mit aller Gewalt nach rückwärts gezogen wurde. Halb noch im Schlaf, erinnerte er sich, daß er in der Nacht nach dem Mond geflogen sei . . . und was ihn da bei den Haxen ziehe, werde wohl die Erde sein.

Nach allen Kräften strampelnd, schrie er daher wie besessen: »Laßt los, du alt's Luader! Kaum, daß man dir auskommen wär', fangest an, mit oan z'hanggeln. Aber da gibt's nix. I bin amal auf'm Mond heroben und da . . .«

Die Zugkraft war aber stärker als er; und auf einmal purzelte er auf die Erde. Ringsum 129 lachten alle. Nur einer fluchte. Das war der wandernde Astronom, dessen schleußiges Zelttuch der Zieler Wastl in seinem Riesendampf durchbrochen hatte und das just an der Stelle, wo der Mond im blauen Himmelsfeld leuchtete.

»Iatz möcht' i grad wissen, wo i bin!« schrie der Wastl und richtete sich noch schlaftrunken empor.

»Da bist!« krähte eine hohe Weiberstimme. Die Barbl war's. Und die liebende Schwester zog ihn am Rock weiter.

»Aha! Iatz woaß i schon, wo i bin!« stöhnte der Wastl und warf verzweifelte Blicke auf seine Umgebung.

»Der muaß aber an ordentlichen g'habt haben!« meinte der Schützenkönig, der sich auch zufällig unter den Umstehenden befand . . . »wenn er in der mondhellen Nacht den g'malten Mond für'n wirklichen g'halten hat!«

»Naa, es hat schon gar koa Form mehr mit'm Wastl!« jammerte eine alte Bäurin.

Seitdem kann man den Zieler Wastl mit zwei Dingen wild machen . . . wenn man ihn an die 130 Stiefelabsätze erinnert und an seine Mondreise . . . einschließlich der Entschädigung, die er dem Sterngucker für das zerrissene Zelttuch zahlen mußte.

»Ist der reinste Abspüalfetzen g'wesen!« meint dann der Wastl grimmig. »Sonst würd's mi wohl g'hebt haben!« 131

 


 


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