Rudolf Greinz
Tiroler Leut
Rudolf Greinz

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Die feindlichen Nachbarn

Wenn der Ganderbauer breitspurig und schwerfällig den steilen Pfad schritt, der von seinem Hof herabführte in das kleine Bergdörfel, so konnte man beobachten, daß der Windhager, so rasch er es nur vermochte, hinter ihm herhumpelte.

Schäbig angezogen war der Windhager, hatte immer die bodenscheuen Hosen arg zerfranst; das Hemd war von unbestimmbarer Farbe, der Janker viel zu kurz und der buschige graue Bart schon so verwildert, wie er nicht mehr ärger verwildert sein konnte. In seiner knochigen und sehnigen Rechten hielt der Windhager einen Bergstock und humpelte damit, so schnell er nur imstande war.

Ein verflixter Kerl, der Windhager, der Teufel soll ihn holen mitsamt seinen krummen Haxen! So murmelte der Ganderbauer ingrimmig vor sich hin.

132 War schon auf der älteren Seit'n der Ganderbauer, aber noch immer rüstig trotz seiner großen Leidenschaft für ein gutes Glas Rotwein. Wenn einem der Wein schon fast vor der Nas'n herwachst, weshalb sollte man ihn dann nicht trinken, so man Durst hatte? . . .

Und Durst hatte er eben alleweil der Ganderbauer. Einen ganz gottverdammten Durst. Und wenn die Sonne so am Absterben war und bald der dämmerige Abend hereinzubrechen drohte, dann brannte die Kehle des Ganderbauern so erbärmlich, daß er den blauen Arbeitsjanker gegen den braunen Lodenjanker mit den grellroten Aufschlägen vertauschte und sich auf den Weg nach dem Dorf und ins Wirtshaus machte.

War ein Stück weit zu gehen vom Hof des Ganderbauern bis hinab ins Dörfl und führte abwärts zwischen Wiesen und Weinäckern hindurch, die alle das Eigentum des Ganderbauern waren.

Fast tagtäglich ging der Alte diesen Weg hinab, und hinter ihm humpelte der Windhager. Ein kleines, dürres Manndl mit einem steifen 133 Bein und einem recht losen unguten Maul. Doch war er ebenso ein leidenschaftlicher Liebhaber des süffigen Rötels wie der Ganderbauer.

Die beiden waren auch durch Jahre hindurch immer ein Herz und eine Seele gewesen, bis es sich einmal der Windhager wegen seines losen Mauls gründlich mit dem Ganderbauern verdorben hatte.

Seitdem war's aus mit der Freundschaft, und jeder der beiden ging für sich allein in das einzige Wirtshaus, welches das kleine Dörfl besaß, und jeder hockte in der Stube an einem besonderen Tisch.

Da an Werktagen die beiden so ziemlich die einzigen Gäste blieben, so langweilte sich der Windhager, der ein gar gesprächiges Manndl war, ganz unbeschreiblich.

Ein paarmal schon hatte er es versucht, wieder mit dem ehemaligen Freund und Trinkgenossen anzubandeln. Aber umsonst.

Was ein echter Bauernschädel ist, der ist eben steinhart. Und der wuchtige Quadratschädel des Ganderbauern mit seinem schneeweißen 134 Vollbart, der das rosig glänzende Gesicht des Alten wie ein Apostelbart umrahmte, war halt ein ganz besonders harter Brocken.

Daß der Ganderbauer so unversöhnlich sein konnte, verdroß den Windhager sehr.

»Schau, Ganderbauer, sei nit so nachtragerisch. I hab's ja nit a so g'moant!« hatte er ihn schon einmal förmlich angebettelt, als sie wieder, einer hinter dem andern, ins Wirtshaus gingen.

Aber der Ganderbauer blieb unversöhnlich. Gab nicht einmal eine Antwort, schaute weder nach rechts noch nach links, sondern ging unentwegt seinen Trott, ohne das Tempo auch nur im geringsten zu ändern.

Von da ab wurde der Windhager boshaft. Hatte er mit Güte und Freundlichkeit nichts erreicht, dann ging's vielleicht durch Bosheit. Auf jeden Fall beschloß er, seinen ehemaligen Freund zu ärgern, wo er nur konnte.

Und das eine erreichte er wenigstens, daß ihm der Ganderbauer nun auswich und sich förmlich vor dem Windhager zu fürchten begann. Wenn 135 er jetzt die kleinen eiligen Humpelschritte hinter sich hörte, so holte er mit seinen gewichtigen Beinen weit aus.

Aber es half trotzdem nichts. Das Maul konnte er ihm doch nicht stopfen.

Mit allem, was den Ganderbauern nur ärgern konnte, kramte der Windhager da auf offener Straße aus. Alle Sünden und Schwächen rief er dem wohlhabenden Bauern nach.

Ein Glück nur, daß in dem einsamen Bergdörfel an Werktagen nur wenig Leute auf der Gasse waren. Nur etliche Kinder spielten am Dorfplatz herum und hatten ihre Gaudi an den beiden.

Aber den weit größeren Spaß hatten sie doch immer noch, wenn die Zwei spät am Abend bezecht nach Hause torkelten. Einer hinter dem andern. Die große mächtige Gestalt des Ganderbauern mit seinem spitzen schwarzen Filzhütel, das mit grünen Seidenschnüren verziert war, wie auf der Flucht voran.

Der blendend weiße Schurz, den er zu dem kurzen braunen Lodenrock mit den grellroten 136 Aufschlägen trug, wehte wie eine weiße Fahne in der Luft, so eilig hatte er's, dem kleinen Windhager zu entkommen, der singend, johlend, gröhlend und voller Bosheit hinter ihm drein humpelte.

Wenn der Windhager ganz besonders lustig aufgelegt war, dann reimte er Spottlieder auf den Ganderbauern und sang sie mit seiner schrillen Fistelstimme auf dem gemeinsamen Heimweg.

Eigentlich wurde es dem Ganderbauern jetzt recht schwer gemacht, ins Wirtshaus zu gehen, und einige Male schon hatte er es über sich gebracht, den weiten Weg zum nächsten Wirtshaus zu unternehmen.

Eine gute Wegstunde mußte er da zurücklegen, und am Heimweg hatte er dann allerhand Abenteuer mit Straßengräben und ähnlichen Hindernissen zu bestehen. Und sein Weib, die Sefa, schrie und keifte nicht schlecht, wenn ihr Mann in einem ganz unbeschreiblichen Zustand nach Hause kam und sie dann das schöne Sonntagsgewand ihres Mannes reinigen mußte. 137 Denn wenn man in ein anderes Dorf ging, durfte man als angesehener Bauersmann sich doch nicht im Werktagsgewand zeigen.

»Für di tat's a Stalljangger aa, du Loder, du versoffener!« keifte das Weib mit schriller Stimme. »Naa, daß Gott erbarm', daß Gott erbarm'! Daß grad i an so an Kerl hab' g'raten müssen!«

Nach dieser Einleitung ging die Keiferei meistens in ein lautes Heulen über, das dem Ganderbauern noch entsetzlicher war als das wüste Schimpfen.

Ja, ja, mit der Sefa, da hatte sich der Alte ein rechtes Kreuz geheiratet.

Er war damals schon ein gestandener Bauer, als er um das Mädel freite. Sie war auch eine wohlhabende Bauerstochter und resch und fesch zum Anschauen, aber womöglich noch geiziger wie er selber.

Damals, als er die Sefa heiratete, war er Witwer gewesen; und seine beiden Buben waren noch kleine Kinder, als ihnen die Mutter wegstarb. Er hatte sich also bald um eine neue 138 Bäurin umtun müssen und war in der Eile an die Sefa geraten.

Die Sefa hatte gar bald das Regiment im Hause an sich gerissen und war eine so resche Bäurin geworden, daß keiner der Dienstboten es lange bei ihr aushielt.

Auch die beiden Buben des Ganderbauern ergriffen, sobald sie erwachsen waren, die Flucht aus dem Elternhaus.

Wenn die Sefa ein etwas umgänglicheres Weibsbild gewesen wäre, dann hätte der Ganderbauer seinen Rötel ebenso gut daheim trinken können. Denn sein hochgewölbter Keller strotzte nur so von den vielen eingelagerten Weinfässern.

Aber die Sefa besaß den Schlüssel zu diesem Keller und gönnte ihrem Mann auch nicht das geringste Tröpfel. War ein tüchtiges Weibsbild, die Bäurin. Ein Mannweib, groß und stämmig, und leitete Haus und Hof so umsichtig, daß man den meistens stark betrunkenen Bauern gar nicht im Haushalt vermißte.

Auch mit dem Geld hielt die Sefa ihren Mann recht knapp. Aber das machte nichts. Der Wirt 139 kreditierte schon. Und zu Neujahr mußte die Sefa die Rechnung bezahlen, ob sie wollte oder nicht.

Freilich gab's dann immer einen Heidenkrach. und dem Ganderbauern blieb dann wieder nichts anderes übrig, als seinen Kummer im Wein zu ersäufen.

Die Sefa verhandelte den Wein um teures Geld in die Stadt an die Weinhändler. Der Wirt hatte noch nie einen Wein von ihr bekommen trotz wiederholter Bemühungen. Der hätte ihr zu wenig bezahlt. Giftete den Ganderbauern schon auch sakrisch, daß er seinen eigenen Wein nicht einmal im Wirtshaus zu saufen bekam.

Wenn der Windhager nicht gewesen wäre, dann wäre der Ganderbauer am liebsten oft ganze Tage lang im Wirtshaus geblieben. So aber vergällte der ihm mit seinen boshaften Reden noch die letzte Lebensfreude, die er übrig hatte.

»Mußt halt wieder reden mit ihm!« meinte der Wirt, dem der Ganderbauer sein Leid 140 geklagt hatte. Aber nachgeben, das konnte der alte Dickschädel um keinen Preis der Welt. Lieber litt er weiter unter dem Spott des andern.

Es war gerade am Portiunkula-Sonntag. Das ist der erste Sonntag im August, und die Bauern pflegen diesen Tag ganz besonders als Festtag zu feiern. Die kleine Wirtsstube war am Abend gesteckt voll von Gästen, und der Wirt, sein Weib und das halbwüchsige Töchterl hatten alle Hände voll zu tun, um Wein und Schnaps herbeizuschaffen.

Aus kurzen Reggelpfeifen rauchten die Bauern ihren Tabak, und die niedere weißgetünchte Stube war von qualmendem Rauch erfüllt.

Der Ganderbauer diskurierte an seinem Tisch mit Bauern über's Vieh und wie die Mahd war und wie die Weinrebe stand. Es war recht unterhaltlich heute. Ein jeder wußte etwas und gab es in seiner schwerfällig bedächtigen Weise von sich.

Am nächsten Tisch saßen die Burschen. Da ging's lebhafter zu. Und mitten unter den 141 Burschen saß der Windhager, kreuzfidel und aufgeräumt wie immer.

Er hatte sich heute zum hohen Feiertag fein herausgemacht. Hatte sich den grauen struppigen Bart stutzen lassen und trug zum Zeichen seiner Junggesellenwürde die rote Seidenschnur am schwarzen spitzen Filzhütel.

Die Burschen hatten ihre helle Gaudi mit dem Windhager und zahlten ihm ein Glasl Schnaps nach dem andern.

»I möcht' aber an Wein!« schrie der Windhager, als er sah. daß ihm ein Bursche wieder einen Schnaps zuschob. »Alleweil Schnaps taugt nix für die Schönheit!« gröhlte er.

»Möchtest schian werden?« neckte ihn ein junger, hellblonder und vor Gesundheit strotzender Bursch und ließ den Windhager gutmütig aus seinem eigenen Weinglas trinken.

Der Alte leerte das Glas auf einen Zug. »Der ist süffig!« lobte er. »Den hat mir der Teuxel von an Wirt no nia vorg'setzt.«

»Dös glab i!« lachte ein anderer. »Der ist aa nix für di.«

142 »So? Und warum? Wenn i fragen därf!« erkundigte sich der Windhager bissig und warf mißtrauische Blicke aus seinen dunklen stechenden Augen auf die Burschen, die im Kreise um den runden dunkelgebeizten Holztisch saßen.

Die Burschen stießen einander an und kicherten boshaft.

»Sag's du!« forderte der eine den andern auf.

»Mei!« sagte der mit gemachter Gleichgültigkeit. »Weil's halt a Faßl Wein ist vom Ganderbauern sein' Keller.«

»Was? Vom Ganderbauern sein' Keller?« Der Windhager hielt es zuerst für einen schlechten Witz; denn es war noch nie vorgekommen, daß die Sefa den Wein anders verkauft hätte als in die Stadt an die Weinhändler.

»Dösmal hat sie müssen, die Bäurin!« erzählte der Bursch weiter. »'s ist ihr freilich hart ankömmen. Aber es hat sie nix g'nutzt.«

Der Windhager schaute verständnislos im Kreise herum. »Mir scheint, ös wöllt's mir an Bären aufbinden, ha?« frug er mißtrauisch. »I müßt' do aa von der G'schicht erfahren haben.«

143 Nun folgte ein dröhnendes Gelächter der Burschen. »Dös gibst guat! G'schicht! Freilich ist's a G'schicht. Und ist no nit lang passiert.«

»Was ist passiert? Ha?« frug der Windhager energisch. »I will's wissen. I laß mi nit auslachen von enk, Rotzbuab'n überanander!«

Sie waren aber keineswegs beleidigt über den Schimpf, sondern lachten nur noch unbändiger.

»Wenn's wahr ist, Windhager!« versicherte der junge hellblonde Bursch mit dem Kräuselhaar. »Wir haben's ja aa erst erfahren.«

»Was habt's erfahren?«

»Wie der Wirt zu sein' Wein kömmen ist.«

»Geh' und frag' den Wirt, Windhager!«

»Naa. Frag' g'scheuter den Ganderbauern!« riet ihm ein anderer.

»I zahl' dir drei Doppelliter Wein, wenn du den Ganderbauern auf der Stell' fragst.«

»Gilt's?« frug der Windhager, klopfte das Stummelpfeifl aus, stand auf und humpelte zu dem Nachbartisch hinüber, an dem der Ganderbauer saß.

144 »'s gilt, Windhager! 's gilt! Drei Doppelliter Wein!«

»Und i zahl' dir no extra an halben Liter Muskateller!« rief ihm ein anderer Bursch noch nach.

»Und i dreiviertel Liter Weinschnaps!« schrie übermütig ein dritter zu dem Tisch hinüber, wo der Windhager jetzt hinter dem Ganderbauern stand.

Der Ganderbauer saß schwer aufgestützt auf seine beiden Ellenbogen da, hatte den wuchtigen Schädel nach vorne gebeugt und hörte ziemlich stumpfsinnig auf die Reden der Bauern. Er hatte dem Rötel schon tüchtig zugesprochen und konnte nicht mehr so recht den Sinn der Reden erfassen.

Der Windhager klopfte mit seinem braunen Fingerknöchel auf die speckige breite Schulter des Bauern. »Du . . .«

Unwillig und recht gemächlich drehte sich der Ganderbauer um. Als er seinen ehemaligen Freund erkannte, knurrte er wie eine gereizte Bulldogge, sagte aber kein Wort.

145 »Nix für ungut!« meinte der Windhager und stellte sich äußerst höflich. »Wie ist dös nachher mit dem Wein g'wesen? Ha?« erkundigte er sich freundlich.

Das rosige, fast faltenlose Gesicht des Ganderbauern färbte sich dunkelrot vor Wut. Er kehrte dem Alten seinen breiten Buckel zu und gab keine Antwort.

Nun wußte der Windhager, daß hinter der Sache doch etwas sein müsse, und beschloß darauf zu kommen, koste es, was es wolle.

Und er konnte wirklich lästig sein, der Alte. Immer und immer wieder zupfte er den Ganderbauern am Rockärmel, und in allen Tonarten frug er ihn und gab ihm keine Ruhe, bis der Ganderbauer sich zornig umdrehte und ihm das bekannte Wort aus dem »Götz von Berlichingen« zurief.

Die Wirkung dieser Einladung war geradezu katastrophal. Als ob sich die Gäste in der kleinen Wirtsstube plötzlich in lauter Narren verwandelt hätten, so führten sie sich auf. Sie schrien, tobten, gröhlten, lachten, und einige der Burschen 146 tanzten und sprangen in der Stuben herum und stampften vor Übermut mit den Füßen.

»Tu's, Windhager! Mach's!« schrien die ausgelassensten unter ihnen. »Du kriegst a Faßl Wein!« . . . »Dös ist die G'schicht!« . . . »Gib nit nach, Windhager!«

Der Rausch des Ganderbauern war vor lauter Zorn völlig verflogen. Außer sich vor Wut erhob er sich und wollte seinen Holzsessel auf den Windhager und auf die Burschen schleudern. Aber sie wehrten es ihm und setzten ihn vor die Tür.

Drinnen jedoch in der Stube jammerte der Windhager in komisch kläglichen Tönen: »A Bande seid's! Was habt's ihn denn außischmeißen müssen den Ganderbauern? So gern hätt' i mir a Faßl Wein verdient. Nix vergunnen tuat's ös an armen Häuter!«

Und nun erfuhr der Windhager erst genauer, wie die Sache mit der Einladung und dem Faßl Wein zusammenhing.

Der Wirt war die Sefa wieder einmal angestiegen wegen einem Weinkauf. Und da gab 147 ein Wort das andere. Und als der Wirt nicht nachgeben wollte, da war der Ganderbäurin auch das berühmte Wort aus dem »Götz« entflohen.

Statt daß der Wirt aber über diese Einladung gekränkt gewesen wäre, hatte er sich sofort bereit erklärt, derselben Folge zu leisten . . . zum fürchterlichen Entsetzen der Sefa natürlich.

Und er wurde ganz dringlich der Wirt und nahm die Einladung immer ernster . . .

»Du hast g'sagt, i soll di . . .« bestand der Wirt auf seiner Einladung. »Also . . .«

»Der Mensch ist ja narrisch!« kreischte die Sefa.

»I bin gar nit narrisch!« versicherte der Wirt mit vollster Seelenruhe. »I will nur dös tuan, was du g'sagt hast, daß i tuan soll! Und glei iatz will i's tuan! So was laß' i mir nit zweimal anschaffen!«

»Um Gottswillen, der Mensch ist ja vom Teufel b'sessen!« entsetzte sich die Sefa.

»I bin gar nit b'sessen!« erklärte der Wirt. »Du hast g'sagt, i soll di . . . Und i will di iatz!«

148 Der Wirt machte ganz ernstliche Anstalten, der Einladung der Ganderbäurin nachzukommen.

Die Sefa schlug mit Händen und Füßen um sich wie eine Wilde und schrie um Hilfe.

»Da brauchst gar nit zu schreien!« meinte der Wirt. »Du hast g'sagt, i soll di . . . Und iatz wär' dir auf einmal nix mehr drum. Ah, so haben wir nit g'wettet, Ganderbäurin. Entweder war's dir mit deiner Einladung ernst oder nit. Und wenn's dir nit ernst war, dann muß ich deine Aufforderung für eine beabsichtigte Beleidigung und Ehrenkränkung halten und muß dich deswegen bei Gericht verklagen!«

Der Wirt sagte das auf einmal ganz feierlich und hochdeutsch.

Da wurde der Bißgurn plötzlich ganz anders. Mit dem Gericht wollte sie schon gar nichts zu tun haben.

»Dös hab' i ja nit so g'moant!« versuchte sie einzulenken.

»Dös will i eben wissen, wia du's g'moant hast!« erklärte der Wirt. »Entweder hast du's ernstlich g'moant, daß i's tuan soll. Nacher tua 149 i's. Du hast schon g'sehen, daß es mir nit drauf ankommt. Oder es war dir nit ernst . . . nacher ist eine solche Aufforderung eine beabsichtigte schwere Beleidigung und Ehrenkränkung, wie i dir schon g'sagt hab'. Und das laß' i mir nit g'fallen und verklag' di bei G'richt! Entweder laßt du dich also von mir . . . du woaßt schon was . . . oder du wirst bei G'richt verklagt! Also entweder . . . oder . . . und dös g'schwind! Denn heut' wär' i grad aufg'legt dazua!«

Die Sefa begann vor Verzweiflung zu schwitzen.

»Entweder . . . oder!« wiederholte der Wirt energisch.

Das Gericht war der Sefa womöglich noch gräßlicher, als . . . Und dem verteufelten Teufel von einem Wirt war höllisch ernst . . . aber schon ganz höllisch ernst . . . entweder . . . oder . . .

Da fand sich schließlich doch noch ein Ausweg. Der Wirt erklärte sich bereit, sowohl auf das Entweder wie auf das Oder zu verzichten, wenn die Sefa ein Faßl Wein springen ließ.

150 Blieb auch dem alten Geizkragen schließlich nichts anderes mehr übrig, als sich mit einem ganz tüchtigen Faßl Wein, das sich der Wirt im Keller des Ganderbauern selber aussuchte, von dem Vollzug ihrer liebenswürdigen Einladung und den sonst zu befürchtenden gerichtlichen Folgen loszukaufen.

Der Ganderbauer war nicht daheim gewesen, als der ganze Handel stattgefunden hatte, und erfuhr die Geschichte erst nachträglich.

In den Tiefen seiner oft schwer gekränkten durstigen Seele gönnte er es der Sefa. Als die Sache aber herumkam, da wurmte es ihn doch gewaltig, daß so was just seinem Weib hatte passieren müssen. Und in seinem verletzten Bauernstolz begann er sich mit der Sefa solidarisch zu fühlen. Und als ihn jetzt gar der Windhager damit aufzog, da war's mit seiner Geduld zu Ende.

Von dieser Stunde an aber war's auch mit dem Windhager gar nicht mehr zum aushalten.

Da war alles Frühere dagegen ein Kinderspiel gewesen. Jetzt verfolgte der Windhager 151 seinen ehemaligen Freund und Zechgenossen nicht nur auf dem Weg in das Wirtshaus und von dem Wirtshaus fort, sondern kam regelmäßig sogar bis vor den Ganderhof, schaute zu den mit Reben überwucherten Fenstern hinein; und wenn er den Bauer oder die Bäurin sah, dann schrie er, so laut er nur konnte . . . »Wie ist's nacher, Gander, ha? Darf i mir mei' Faßl Wein no nit verdianen? . . . Du hast ja g'sagt . . . i soll di . . . Und drunten beim Wirt haben sie mir a Faßl Wein versprochen, wenn i di . . . Also Gander . . . für a Faßl Wein kann i's ja tuan! Kimm decht außer, Gander, damit i zu mein' Faßl Wein kimm!«

Die Sefa machte einmal kurzen Prozeß, holte ein Schaff Wasser und goß es dem Windhager über den Schädel. Der beutelte sich aber nur wie ein nasser Pudel und lachte boshaft dazu . . . »Hilft dir nix, Bäurin. Dös macht mir gar nix. I wart' geduldig auf mei' Faßl Wein.«

Das ganze Dörfl hatte der Windhager gegen den Ganderbauern aufgebracht. Überall, wo der Ganderbauer sich zeigte, wurde er mit Fragen 152 bestürmt, ob sich der Windhager das Faßl Wein wohl schon verdient habe. Sie müßten das wissen, meinten die Burschen. Versprochen sei versprochen. Und sie ließen sich nicht lumpen und wollten ihr Versprechen unbedingt und ehrlich halten, wenn der Windhager sich das Faßl Wein wirklich verdient habe . . .

Der Ganderbauer begann völlig schlecht auszuschauen; denn es verging kein Tag, an dem er nicht durch den Windhager oder durch sonst wen an seine unvorsichtige Einladung erinnert wurde.

Ins Wirtshaus getraute er sich schon gar nicht mehr. Da ging das Hallo schon gleich los, wenn er bei der Tür hereinkam. Und sogar in dem Wirtshaus des benachbarten Dorfes, in das er sich sonst vor dem Windhager geflüchtet hatte, war er nicht mehr vor zudringlichen Fragern und dem darauf folgenden allgemeinen Gaudium sicher. Auch dorthin war die Kunde schon gedrungen, daß ihn der Windhager absolut für ein Faßl Wein . . .

Und wie es denn mit der Geschichte stünde, 153 frugen sie ihn nun nicht nur im Wirtshaus. sondern im ganzen benachbarten Dorf. Und alle wußten sie es auch dort im ganzen Dorf, daß sich der Windhager an dem Ganderbauern auf eine nicht alltägliche Weise ein Faßl Wein verdienen wolle. Und alle interessierten sich für diesen vermaledeiten hinterlistigen Verdienst des Windhagers an dem Ganderbauern so außerordentlich, daß der Ganderbauer auch aus dem Nachbardorf rasch wieder das Weite suchte und bodennüchtern, ohne seinen quälenden Durst gelöscht zu haben, in stiller Verzweiflung auf seinem Hofe landete.

Der Ganderbauer war schließlich zu der Überzeugung gelangt, daß es ihm nichts nützen würde, wenn er auch noch weiter wanderte, um zu einem guten Tröpfele Rötel zu gelangen. Denn das Vorhaben des Windhagers würde schon überall bekannt sein, und sie würden ihn überall fragen, ob sich der Windhager sein Faßl Wein noch nicht verdient habe . . .

Herrgott, wenn er nur damals beim Wirt das Maul gehalten hätte . . . dachte sich der 154 Ganderbauer reumütig . . . Mußte er denn just den Windhager zu dem Gleichen einladen, was der Sefa bei dem Wirt so schlecht bekommen war . . .

Der Wirt war wenigstens nur ein einziger verflixter, verteufelter Teufel gewesen . . . Aber der Windhager war ärger als neunundneunzig verflixte, verteufelte Höllteufel . . . Der würde ihn, den Ganderbauern, sicher noch in die Gruben bringen, der Windhager, das boshaftige Mistluder, das boshaftige mit seinem Faßl Wein, das er sich verdienen wollte . . .

Schließlich wurde die ganze Geschichte aber auch der Sefa zuwider, da sie dadurch fortwährend an einen zum Verwechseln ähnlichen wunden Punkt in ihrem eigenen Leben erinnert wurde. Namentlich da der Windhager seine Besuche vor dem Ganderhof schier täglich wiederholte, sein Anliegen immer eindringlicher vorbrachte und endlich erklärte, er würde nun jeden Tag zweimal kommen, Vormittag und Nachmittag, um wegen seinem Faßl Wein vorstellig zu werden. Ihm, dem Windhager, gehe die Geduld sicher nicht aus. Und Zeit habe er auch 155 dazu. Und es sei ein ganz netter Spaziergang bis zum Ganderhof . . .

Um endgültig Ruhe zu bekommen, verstand sich die Sefa dazu, dem Windhager ein Faßl Wein zu schenken.

Nachdem der Windhager seinen Wein hatte, war er hochbefriedigt. Und ließ den Bauern mit seinem Spott in Ruhe. Schrie nicht mehr hinter ihm drein, sondern humpelte nur, so rasch er konnte, und fast demütig hinter dem schwerfälligen Ganderbauern ins Wirtshaus.

Diese Bescheidenheit rührte den Gander, und allmählich hub er wieder ein Gespräch mit dem Windhager an . . .

»Ah was!« sagte er sich selber. »Der Mensch lebt nur amal. Und i brauch' a G'sellschaft beim Wirt.«

Seitdem saßen die beiden Kumpane wieder einträchtig beisammen an einem Tisch und tranken ihren Rötel. Und der Gander hielt sogar oft den Windhager frei.

Die Sefa durfte dann bezahlen um Neujahr, wenn der Wirt mit der Rechnung zu ihr kam.

156 Die Ganderbäurin bezwang jedoch ihre Wut und zahlte schweigend. Sie wußte . . . eine unvorsichtige Äußerung könnte sie abermals ein Faßl Wein kosten. Da hielt sie lieber das Maul.

Ja, ja, man wird halt gescheiter mit den Jahren.

Und hoffentlich ist die Ganderbäurin auch zeitlebens gescheit und vorsichtig geblieben. Denn es sind jetzt bald dreißig Jahre her, seitdem diese lustige Geschichte passiert ist. 157

 


 


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