Rudolf Greinz
Krähwinkel
Rudolf Greinz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Roserl

Aus einem jungen Gerichtsbeamten mit kärglichem Einkommen war ich mit einem Schlage wohlbestallter k. k. Gerichtsadjunkt geworden. In ein kleines Nest war ich versetzt worden, in eine echte Perle der Provinz.

Ich schied nicht leicht von meinem bisherigen Wirkungskreis. Alle die guten Freunde . . . unsere lustige Stammtischgesellschaft, die sich in richtiger Erkenntnis ihrer geistigen Verfassung den Namen »Die Unsinnigen« beigelegt hatte . . . alles dahin! Und nun hinein in ungewisse neue Verhältnisse, in die noch unbekannten Überraschungen meines neuen Aufenthaltes.

Glücklicherweise trug ich wenigstens mein Herz heil in der Brust. Das war frei und zu haben. Ich hatte mich noch nicht ernstlich verliebt. So packte ich denn meine sieben Sachen und machte mich auf die Reise.

112 Das erste, was ich auf dem Perron des kleinen Bahnhofes erblickte, der den Namen meines neuen Amtssitzes trug, war der Stationschef. Der ging in seiner roten Amtskappe auf und ab und gähnte unaufhörlich, als ob er den Bahnhof, den Zug und die ganze Welt verschlucken wollte. Schöne Aussichten das.

Am Bahnhof erwarteten mich der Herr Bezirksrichter, der Herr Auskultant, ein Gerichtsschreiber und der Amtsdiener. Also ein förmlicher und feierlicher Empfang.

Ich fühlte meine Brust doch einigermaßen von Stolz geschwellt. Der Bezirksrichter, ein dicker, behäbiger Herr mit martialischem Schnurrbart, kam gleich zu herzlicher Begrüßung auf mich zu. Er qualmte aus einer gemütlichen Porzellanpfeife. Der Auskultant stellte eine Art Provinzgigerl mit hohem, steifem Halskragen und spitzen Stiefeletten dar. Der alte Gerichtsschreiber war dünn wie ein Strohhalm und knickte bei jeder lauteren Äußerung seiner Vorgesetzten untertänigst zusammen. Der Amtsdiener sah ungemein gesund aus. Über dem glatt rasierten Kinn thronte eine purpurrote Nase. Der Würdenträger strich unablässig die beiden Flügel seines Kaiserbartes mit einem gewissen Selbstbewußtsein zurecht.

113 Das war also meine künftige Umgebung. Da das Städtchen eine gute halbe Stunde vom Bahnhof entfernt war, wurde ich nebst meinen Begleitern in den Hotelomnibus der »Goldenen Traube« gepackt, einen alten Rumpelkasten schlimmster Sorte.

Ein Gespräch war während der Fahrt ganz unmöglich, da die Scheiben der Fenster derart klirrten, daß man sein eigenes Wort nicht verstand. In der »Traube« angekommen, wurde ich sogleich auf die Kegelbahn geschleppt, wo man mich sämtlichen versammelten Honoratioren vorstellte.

Bevor ich noch Gelegenheit hatte, überhaupt zu Atem zu kommen, war ich schon der Reihe der Spieler hinzugesellt. Kaum daß man mir Zeit ließ, ein Abendessen zu mir zu nehmen.

Die Stunde war inzwischen schon sehr vorgerückt. Wir hatten uns von der luftigen Scheune, in der die Kegelbahn etabliert war, in das Extrazimmer des Gasthauses zurückgezogen. Da wurde im dicksten Tabaksqualm politisiert und wurden Weltgeschicke entschieden, daß es eine helle Freude war.

Ich hatte anfangs so ziemlich den Schweigsamen gespielt, taute aber mit der Zeit auch auf und half wacker mitschimpfen. Dann wurde wieder gesungen, und ich brüllte mit meinem Bierbaß im Chorus mit, 114 als wenn ich mich bei den »Unsinnigen« befände. Vielleicht ließ es sich doch gar nicht so übel an, und man konnte mit der Zeit eine Filiale meines angebetenen Vereines errichten.

Diese Veränderung in meiner Stimmung hatte allerdings nicht so sehr die Gesellschaft hervorgebracht; denn die war eigentlich fade. Bis auf den Bezirksrichter, ein fideles, aber schon bedenklich im Moos des Philistertums versunkenes Haus, war mit den übrigen nicht sonderlich viel anzufangen. Das Kartenspiel löste bald die Politik ab, und nur von Zeit zu Zeit wanderte, von gröhlenden Stimmen gesungen, ein uralter »Kneiper« über den Tisch.

Der Bezirksrichter allein beteiligte sich nicht an unterschiedlichen Tarockern, sondern widmete mir seine ganze Aufmerksamkeit. Der wahre Grund, warum ich auch die entsetzlichen alten Anekdoten und die urältesten Bewohner Kalaus, die mein Vorgesetzter aufspazieren ließ, mit einem dröhnenden Gelächter beantwortete, war der herrliche Tropfen, den der Traubenwirt schenkte. Ein Rotwein von unzweifelhafter Güte.

Ich sprach dem Glase immer eifriger zu, teils aus Galgenhumor, teils aus wirklicher Freude an dem edlen Gewächs. Ich war schon in das Stadium 115 vorgerückt, wo man alles im rosenfarbenen Lichte sieht und jeden Menschen Bruder nennt, von welcher Gattung man am liebsten Millionen umschließen würde. Im nüchternen Zustande hinge man sein Herz gewöhnlich lieber an realere Millionen.

Mitten in der Glückseligkeit fiel mir die Sorge um mein Gepäck plötzlich schwer aufs Herz. Ich hatte mich um dasselbe seit meiner Ankunft gar nicht mehr gekümmert. Nun wandte ich mich mit einer bezüglichen Frage an den Bezirksrichter, der mich gleich beruhigte.

»Ist alles besorgt, Herr Adjunkt!« sagte er mir auf die Schulter klopfend. »Gepäck und Quartier, alles. Schon in Ihr Quartier geliefert. Ja, ja, wir bringen unsere jungen Leute vorteilhaft unter. Müssen ja sozusagen Vaterstelle an ihnen vertreten.«

»Also ein Quartier auch schon?« fragte ich. Eigentlich hätte ich mir dasselbe lieber selbst gesucht. Nun, ich konnte ja wieder ausziehen, falls es nicht nach meinem Geschmack war.

»Natürlich!« versicherte der Bezirksrichter. »Sie brauchen keine einzige Nacht im Wirtshaus zu bleiben. Haben gleich Ihr eigenes Heim. Wir werden Sie dann begleiten.«

»Sind doch nette Leute?« versicherte ich mich.

»Reizende Leute!« wagte der Gerichtsschreiber zu 116 erwidern. »Sie können nirgends besser aufgehoben sein, Herr Adjunkt. Besonders das Roserl, die wird auf Sie schauen!«

»Das Roserl?« fragte ich aufhorchend.

»Ja, sie führt die Wirtschaft, weil ihre Mutter schon zu gebrechlich ist. Ein patentes Wesen, sage ich Ihnen. Den ganzen Tag arbeitsam. Hat auch alles Respekt vor ihr!« rühmte der Schreiber, indem er die Hand wie zur Beteuerung auf eine fadenscheinige Stelle seines schwarzen Gehrockes legte, worunter er wahrscheinlich sein Herz schlagen fühlte.

»Verlieben Sie sich nur nicht in das Roserl!« lachte der Bezirksrichter aus voller Kehle.

Also das Roserl! . . . Ein ganzes Idealbild stieg in meiner Seele empor. Ich würde gehätschelt werden von weichen, zarten Händen. Und das Roserl würde mich mit ihren sanften Augen ansehen, um mir den leisesten Wunsch vom Gesicht zu lesen.

In der Frühe würde sie mit ihren kleinen Füßchen in mein Zimmer getrippelt kommen, um mir den Kaffee zu bringen mit mürben Kipfeln, schön braun, meinem Lieblingsgebäck. Das Städtchen erschien mir auf einmal wie ein Eldorado, in dem ein lichter Engel, eigens für mich von himmlischen Gefilden herabgesandt, waltete.

117 Ich glaubte ordentlich zu merken, wie mein Puls schneller schlug, wenn ich an mein reizendes Wirtstöchterlein dachte. Sie sollte der Sonnenstrahl in dem kleinen Nest sein. Sie sollte mein ganzes Dasein verschönen.

Ja, war das eigentlich nicht zum Schreien hübsch, hierher zu kommen, gleich mit einem Quartier versorgt zu sein und noch dazu Nahrung für sein einsames Junggesellenherz zu erhalten. Hier würde ich es wohl ganz verlieren. Das stand für mein Ermessen bombenfest und unantastbar . . .

Mitternacht mußte längst vorüber sein, als ich spürte, daß sich die Gestalt meines Roserl immer mehr im Nebel verlor und ins Traumhafte hinüberschwebte. Ich war sanft und selig entschlummert, und es bedurfte gewaltiger Anstrengungen des Bezirksrichters und des Auskultanten, mich wieder zu ernüchtern. Endlich taumelte ich empor. Wir drei waren nur mehr allein im Gastzimmer.

»Wünsche wohl geruht zu haben!« lachte der Bezirksrichter. »Ich schlage vor, daß wir noch unser Kaffeehaus aufsuchen und mit einem echten Mokka die erschlafften Lebensgeister erfrischen. Ja, ja, junger Mann, wir haben ein Café samt Billard im Orte, hochelegant!«

118 Die Nachtluft stärkte mich wieder einigermaßen, so daß ich in ziemlich strammer Haltung bei dem Café, das den stolzen Titel »Metropole« führte, anlangte. Es war bereits geschlossen. Der Bezirksrichter hämmerte mit seinem Knotenstock unbarmherzig auf die einzige hölzerne Türe des Etablissements los, so daß diese beinahe aus den Fugen zu gehen drohte.

Lange regte sich nichts. Endlich nahten sich schlürfende Schritte. Es war der Oberkellner in Hemdärmeln, der anfangs schelten wollte, als er aber den höchsten Beamten des Ortes erblickte, sich tief verbeugte, Licht anzündete und dann in seinen schmierigen Frack schlüpfte, um die Honneurs zu machen.

Nachdem der Mokka vertilgt war, ließ der Bezirksrichter noch einen Grog von ziemlich zweifelhafter Qualität, aber anerkennenswerter Quantität auffahren.

Es mochte gegen drei Uhr früh gehen, als das liederliche Kleeblatt sich auf den Heimweg begab. Die ersten leisen Anzeichen der Morgendämmerung breiteten sich schon über die Gegend aus. Meine Gedanken gehörten wieder ganz dem Roserl, deren jugendlicher Zauber heute noch über meinem Leben aufgehen sollte wie die liebe Sonne über der Landschaft.

119 »Den Hausschlüssel zu Ihrer Burg haben wir bei uns!« erklärte der Bezirksrichter triumphierend und holte ein eisernes Ungetüm aus der Tasche seines Überrockes. »Und da wären wir auch!«

Wir waren über einen Obstanger getappt, wo der Vollmond unsere schwankenden Schatten auf den taufrischen Grasboden malte, und standen vor einem alten Hause, das tatsächlich einer Burg nicht unähnlich sah.

Eine steinerne Treppe führte zu einem Söller im Freien empor. Darüber prangten zwei altertümliche Spitzbogenfenster. Riesige Mauerklammern hielten hie und da die Quadern des Baues zusammen. Das Ganze machte den Eindruck eines jener verlassenen und in fremde Hände übergegangenen Landjunker-Sitze, wie wir sie in kleinen Städten, die eine Vergangenheit besitzen, oft genug finden.

Auf mich machte die Behausung einen wunderbar romantischen Eindruck. Beherbergte sie doch das Roserl. Ich war in der vorzüglichsten Stimmung. Unter diesen schattigen Bäumen wollten wir lustwandeln. Ich wollte mich an dem naiven Gemüt des lieben Kindes ergötzen. Wie würde sie aufhorchen, wenn ich ihr von der Welt erzählte, die sie noch nie gesehen hatte.

120 Ich wollte in diese unberührte Seele die ersten liebevollen Eindrücke schreiben. Ich wollte mir das einfache Landmädchen heranbilden zu einer treuen, verständnisinnigen Genossin für das ganze Leben. Also doch heiraten? Natürlich heiraten! Ich hatte dieses einschichtige Dasein satt bis über die Ohren.

Wir krallten langsam die hohen Stufen der Freitreppe empor. Droben setzte es einen längeren Kampf ab zwischen drei Menschen, einem Hausschlüssel und dem Schlüsselloch.

Ich intonierte mit kräftiger, wenn auch etwas belegter Stimme: »Komm' herab, o Madonna Theresa . . .« Die andern beiden sangen nach ihrem besten Vermögen mit. Es muß schauerlich gewesen sein.

Endlich gelang es, dem Schlüssel die endgültige Richtung zu verleihen, was das unbestreitbare Verdienst des Auskultanten war. Das eiserne Werkzeug drehte sich mühsam und knarrend im Schloß. Wir drückten mit vereinten Kräften auf die Schnalle, und ächzend drehte sich die schwere Türe in ihren Angeln.

Wir traten auf einen geräumigen Hausflur. Eine Stiege führte empor in unendliche Höhe, so daß mir ganz schwindlig wurde, wenn ich deren Endpunkt entdecken wollte. Von droben kam ein Lichtschimmer 121 herabgeflossen. Man hatte unsere geräuschvolle Heimkehr offenbar gehört und kam uns mitleidig entgegen, damit sich keiner Arme und Beine breche.

Langsam und mich an dem schlüpfrigen Seil, das als Stiegengeländer diente, haltend, kletterte ich mit meinen beiden Genossen etliche Stufen empor, als ich entdeckte, daß es eine weibliche Gestalt war, die am Ende der Stiege eine brennende Kerze hoch empor hielt.

»Das Roserl!« jubelte es in meinem Innern. Begeistert sang ich im Aufwärtssteigen, indem ich mir Mühe gab, durch den Dämmerschein die Züge der Holden zu entdecken: »Du siehst mich an und kennst mich nicht, du holdes Engelsangesicht!«

Da schrie es mit einer blechernen Stimme zeternd auf mich nieder, daß es mir durch Mark und Bein ging: »I kenn' Ihnen schon, Sie werden wohl der neue Herr Adjunkt sein! Daß Sie aber so a B'suff sein und glei' die erste Nacht g'ladener heimkommen müssen, das hätt' i mir aa nit tramen lassen! Das sag i Ihnen schon glei' heut', so a b'soffene Metten leid' i nit! Das ging' mir no' ab . . . und a Loch im Kopf! Unsereins muß den ganzen lieben Tag hart arbeiten und will in der Nacht sei' Ruh' haben! Daß die beiden andern Herrn aa nit g'scheidter sein . . .«

122 Und so ging es fort. Die Flut von Schimpf und Schande ergoß sich nun auf meine beiden unglücklichen Begleiter, an die ich mich krampfhaft festhielt; denn ich merkte, daß sie deutliche Absichten bekundeten, auszureißen.

Unterdessen waren wir die Stiege emporgekommen. Ich sah auf und erblickte eine grundhäßliche alte Person vor mir, mit zerrauften Haaren und zwei vorstehenden Fangzähnen, dem ganzen Überrest ihres Gebisses.

Ich schauderte zusammen. Das wird die »gebrechliche« Mutter sein, von der der Schreiber erzählte, dachte ich mir. Die schönsten Rosen wachsen oft auf einem morschen Stamm. Aber die Schwiegermutter! Sie muß aus dem Haus!

Diese Erwägungen zuckten blitzschnell durch mein Gehirn, als die Alte, die mich nun in unmittelbarer Nähe hatte, wieder auf mich losschimpfte: »Na, Sie schauen schön aus! So a Verfassung! Schamen's Ihnen nit! Das ganze teure G'wand voll Mauer und Kalk! So ein gottverlassenes, versoffenes Nachtlicht wie Sie ist mir nit bald unterkommen!«

Jetzt wurde es mir zu bunt. Ich schrie laut, um mir selbst Mut zu machen: »Das geht Sie gar nichts an! Sie brauchen meine Kleider nicht zu bezahlen! 123 Und Vorschriften lasse ich mir auch keine machen! Verstanden! Und daß wir lustig waren, ist doch unsere Sache! Verstanden! Schauen Sie, daß Sie sich verfrachten, altes Traumbuch! Verstanden! Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann! Verstanden!«

Sie klappte mit einer unheimlichen Vehemenz und Schnelligkeit fortwährend mit ihren zahnlosen Kiefern aufeinander, ohne daß es ihr gelang, mich zu unterbrechen. Jetzt ergoß es sich aber auf mein schuldiges Haupt. Eine solche Fülle von Verwünschungen habe ich in meinem Leben noch niemals versammelt gesehen. Dann fügte sie noch bei, daß sie sich alle derartigen Redensarten in ihrem Hause verbitte und daß ich schauen solle, daß ich weiter komme.

»Ja, wer ist denn eigentlich der weibliche Satan?« wandte ich mich an meine Begleiter, die während der heftigen Szene unbemerkt ein paar Stufen nach abwärts geschlichen waren.

»Ja, wer soll's denn sein!« entgegnete der Bezirksrichter kleinlaut. »Das Roserl! Sie haben sie etwas zu hart angefaßt. Sie ist sonst das sanfteste und beste Wesen. Sie sind gewiß gut aufgehoben.«

»Das ist das Roserl?« rief ich. Ich brachte nicht mehr hervor. Der Schrecken lähmte mir die Zunge 124 und schnürte mir die Kehle zusammen. »Das Roserl!« wiederholte ich endlich entsetzt für mich selbst.

»Na!« schrie das Roserl. »Ist Ihnen vielleicht mei' Nam' aa nit recht! Soll' i vielleicht wegen Ihnen als a untaufter Heid' in der Welt umanand laufen!«

Ich hörte hinter mir ein Poltern und sah, wie der Bezirksrichter und der Auskultant die Treppe hinunter rannten.

Da ergriff mich eine furchtbare Panik. »Das Roserl!« rief ich und nahm gleichfalls eiligst Reißaus.

»Halten Sie andere Leut' für an Narren, Sie junger Spreitzer, Sie! In mei' Quartier ziehen Sie nit ein!« schrie es von droben.

Im nächsten Augenblick erlosch das Licht, und ein schwerer Gegenstand sauste knapp an meinem Kopf vorüber, um dann klirrend die Treppe weiter hinunter zu kollern. Sie hatte mir offenbar den Leuchter nachgeschmissen.

Tastend suchte ich die Haustüre und trat hochaufatmend ins Freie.

Es war schon ziemlich licht, und ich sah in der Morgendämmerung meine beiden treulosen Begleiter aus dem Obstanger eilen. Ich holte sie ein. Keiner von uns sprach ein Wort. Meine Seele war noch zu voll von den soeben empfangenen Eindrücken, und 125 die beiden andern schämten sich offenbar wegen ihrer feigen Flucht.

So kamen wir zur »Traube«, wo der Hausknecht herausgeläutet wurde. Wir trennten uns mit stummem Händedruck.

Ich wankte gebrochen auf das mir angewiesene Zimmer, warf mich angekleidet aufs Bett und verfiel gleich darauf in einen dumpfen Schlaf voll der gräßlichsten Träume.

Feurige Leuchter von allen Formen und Dimensionen tanzten einen wahnsinnigen Czardas um mein gequältes Haupt. Dazwischen schlangen sich Girlanden von duftenden Rosen, die immer näherrückten und mich schließlich zu ersticken drohten. Und an den Girlanden hingen ungeheure Kohlköpfe, wackelnde Kürbisse, schaukelnde Artischocken von den abenteuerlichsten Farben. Dieses boshafte Gemüse schnitt die gräulichsten Fratzen, und alle glichen sie in nimmermüder Wiederholung meinem angebetenen Roserl.

Mit einem unsäglich schweren Kopf und dem Gefühl allgemeinster Vernichtung erwachte ich gegen Mittag. Ich schlich in die Gaststube, nahm ein Katerfrühstück zu mir und machte sodann einen Spaziergang ins Freie. Im Laufe des Nachmittags erschien ich auf dem Bezirksgericht.

126 Im Vorzimmer traf ich den alten Gerichtsschreiber. Ich hätte den Menschen erwürgen können. Meiner deutlichen Erinnerung nach war er ja der Haupturheber meines ganzen Elends. Er hatte gestern meine jugendlich stürmischen Gedanken in so gefährliche Bahnen gelenkt. Ich verbiß jedoch meine innere Wut und redete den Mann ganz freundlich, allerdings mit einer gewissen ironischen Beimischung an: »Verehrtester, sagen Sie mir, wie alt dürfte denn die gebrechliche Mutter Ihres Roserls beiläufig sein?«

Er schob die Brille in die Höhe und versicherte mit einer Art lokalen Stolzes: »O, das ist die älteste Frau in der ganzen Gegend weit und breit. Sie ist schon über neunzig. Aber das Roserl, nicht wahr . . .«

Jetzt war meine Geduld zu Ende: »Zum Teufel! Warum heißt denn diese . . . diese . . . alte . . . kurz, warum heißt sie denn Roserl? Darunter stellt man sich doch ein etwas jugendlicheres Geschöpf vor.«

Der Gerichtsschreiber knickte unter meinem barschen Ton zusammen wie eine gekränkte Lilie. »Die hätten Sie sehen sollen, Herr Adjunkt, wie sie noch jung war! Wir zwei,« meinte er wie vertraulich näherrückend, »wären bald ein Paar geworden. Es wurde aber nichts daraus.«

127 »Sind Sie froh!« konnte ich mich nicht enthalten, ihn zu trösten.

Er schien meine Äußerung zu überhören und fuhr fort: »Die Tochter trägt nämlich den gleichen Namen wie ihre Mutter; die alte Rosl heißt man dieselbe. Und das Kind hat man halt immer das Roserl genannt, seit ich es denke. Hoffentlich sind Sie dort recht gut aufgehoben, Herr Adjunkt?«

Ich mußte in ein schallendes Gelächter ausbrechen und trat in das Zimmer des Bezirksrichters. Der frühere Verehrer meiner Angebeteten sah mir mit einem Blick nach, der deutlich besagte, daß er mich für verrückt hielt. 129

 


 << zurück weiter >>