Rudolf Greinz
Krähwinkel
Rudolf Greinz

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Die Reliquien meiner Liebe

Ich bin ein alter Esel. Trotzdem habe ich von Zeit zu Zeit immer Einfälle, die sehr bedenklich an meine Jugendeseleien erinnern. Mein letztes Erlebnis nach dieser Richtung will ich Ihnen hier zum Besten geben.

Im verstecktesten Winkel meines umfangreichen Schreibtisches befindet sich eine ziemlich große Schatulle aus Mahagoniholz. Wenn ich im Geiste meine Ohren zu einer gewissen ominösen Langohrigkeit wachsen fühle, dann hole ich diese Schatulle aus ihrem Versteck hervor und krame in den Schätzen, die sie enthält.

Ich glaube, daß mir der liebenswürdigste Trödler für diese Schätze nicht zehn Pfennige geben würde. Aber für mich bedeuteten sie einmal ungeheuer viel und bedeuten sie auch heute noch etwas, weil ich eben, wie bereits bemerkt, ein alter Esel bin.

Die Mahagonischatulle birgt die Reliquien meiner 60 Liebe. Lauter Erinnerungen in Gestalt von vertrockneten Blumen, verstaubten Locken, vergilbten Bändern, abgeblaßten Ballorden, zerknitterten Briefen und verschiedenen anderen Dingen.

Eines Tages kam ich auf den verrückten Einfall, den lebenden Zeugen dieser Reliquien systematisch nachzuspüren. Soweit sie eben noch lebten.

Hinter jedem dieser Bändchen, Blumen, Orden und Locken steckte ja irgend eine Geschichte, deren lustiger oder trauriger Held ich war, irgend ein Techtelmechtel, eine Schwärmerei, in allen Nuancen, auch tiefe Seufzer und verflogene Melancholie. Kurz, es faßte mich eine wahnsinnige Neugierde, die Heldinnen all dieser Abenteuer wiederzusehen, soweit sie sich überhaupt noch aufspüren ließen. Den Helden derselben kenne ich ja zur Genüge. Ein alter Esel, um es nochmals zu wiederholen.

Ich wollte also meine Reliquien zum Leben erwecken, die Schauplätze und Personen vergangener schöner Erlebnisse wiedersehen. Ein Plan, der meiner ganz würdig war. Die meisten dieser Erlebnisse waren schon so grau geworden, daß zwischen ihnen und heute bereits ein Zeitraum liegt, der in das dritte Dezennium geht. Ich brauchte jedoch wieder einmal eine Erholungsreise. Junggeselle bin ich auch. Also 61 war ich über Ziel und Motive einer Reise niemandem Rechenschaft schuldig.

Eine Rundreise sollte es werden. Die Stationen entsprechend den Reliquien meiner Liebe. Ich ordnete demnach den Inhalt der Schatulle, schied minder Wichtiges von vornherein aus, traf unter dem übrigen auch noch eine sehr kritische Wahl und gelangte endlich zu mehr als einem Dutzend Erinnerungen, die immer noch mächtig genug waren, vor mir selbst meine neueste Eselei zu rechtfertigen. Mit einem gewissen Behagen stellte ich mir eine recht hübsche Reise zusammen, in die sämtliche gewählte Erinnerungsstätten eingeschlossen waren.

Unter diesen Rundreisereliquien befand sich auch ein Ding, das man für gewöhnlich nicht als Andenken an süße Stunden aufbewahrt. Da dieses Ding aber mit meiner Geschichte eng zusammenhängt, kann ich es unmöglich übergehen.

Es ist ein kleiner porzellanener Salbentiegel. Er enthielt vor alter Zeit einmal ein Haarwuchsmittel, das ich übrigens nie gebrauchte. Ich befinde mich nämlich schon seit mehr als zwanzig Jahren im unbestrittenen Besitz einer grandiosen Glatze. Als besagter Salbentiegel in mein Leben trat, war meine Glatze gerade in den Anfangsstadien.

62 Auf einer meiner Wanderungen berührte ich damals auch eine kleine süddeutsche Landstadt, deren Name diskret verschwiegen sei. Ich ließ mir in einem dortigen Friseurladen die Haare schneiden. Es passierte mir das gleiche, was mir schon damals öfter zu passieren pflegte und was mir seit mehr als zwanzig Jahren in regelmäßiger Wiederkehr passiert. Der Haarkünstler schwätzte mir mit ungeheurer Zungengeläufigkeit ein unfehlbares Haarwuchsmittel auf. Hätte ich alle Pomaden und Öle gekauft, die man mir schon anhängen wollte, ich wäre im Besitz eines ganz bedeutenden Parfümeriegeschäftes.

Ich hatte aber damals schon ein gutes Abwehrmittel, das ich seitdem mit ziemlichem Erfolg verwendete und das ich hiermit meinen ebenfalls mit Platten gesegneten Mitmenschen zur Verfügung stelle.

Ich erzähle in solchen Fällen seit mehr als zwanzig Jahren die gleiche Geschichte, die mir gewöhnlich Ruhe verschafft. Der Friseur beginnt also mit den phänomenalen Wirkungen irgend eines Crinophens, Fixolins, Wuxoids, Phänomidols, Antiglatzophins und dergleichen. Ich ergreife das Wort: »Ich danke sehr. Ich habe bereits mein Mittel. Es hat einen ganz unaussprechlichen Namen. Darum ist er mir momentan entfallen. Kaufte es erst vor zwei Wochen in 63 München. Vor dem betreffenden Laden war ein derartiger Auflauf, daß sich die Leute um das neue Haarelixier prügelten. Ich erwischte mit Mühe noch die letzte Flasche. Die Wirkungen sind einfach unbeschreiblich. Nicht umsonst ist das Mittel aus Mammutknochen destilliert. Im Gebrauch muß man jedoch sehr vorsichtig sein. Namentlich darf man das Mittel Abends nicht anwenden, weil sonst die ganze Nachtruhe futsch ist. Die Haare brechen sich nämlich derart rasch und geräuschvoll Bahn, daß man dabei unmöglich schlafen kann.« Und so fort mit Grazie.

Entweder habe ich damit die Lacher auf meiner Seite . . . oder der Friseurjüngling schweigt wenigstens tief gekränkt ob meinen Blasphemien.

Diese Geschichte erzählte ich zu meiner Rettung auch damals in dem kleinstädtischen Friseurladen. Ich war kaum zu Ende, als hinter meinem Rücken ein helles Lachen ertönte. Ich drehte mich um. Ein reizendes Mädel war in den Laden getreten. Wie sich herausstellte, die Tochter des Friseurs, welche die Geschichte mit angehört hatte und nun den Gehilfen auslachte, der sich von seiner Verblüffung noch immer nicht recht erholen konnte.

Mit diesem Lachen war es um mich geschehen. Den Salbentiegel mit dem unfehlbaren Mittel habe ich 64 natürlich trotzdem gekauft. In die blonde Resi habe ich mich sterblich verliebt. In dem Nest bin ich einen vollen Monat kleben geblieben. O, das waren herrliche Stelldicheins in der alten Kastanienallee am Stadtgraben!

Es ist natürlich alles wieder in Scherben gegangen. Die blonde Resi bekam plötzlich sehr deutliche Heiratsabsichten. Das hat bei mir immer eine beträchtliche Abkühlung auch der heißesten Gefühle zur Folge gehabt. Zuletzt haben wir uns sogar gestritten. Dann Versöhnung und tränenreicher Abschied.

Den Salbentiegel nahm ich als Andenken mit. Ich habe ihn sorgfältig von seinem Inhalt gereinigt; denn er hätte mir den ganzen Koffer verpestet. Statt dessen klebte ich in das leere Innere ein Zettelchen mit einem Namen und einem Datum. Der Name lautete Theresia Stoppelköter.

Schön war dieser Name nicht. Das Mädel war jedenfalls tausendmal hübscher. Das Datum brauchen Sie nicht zu wissen. Sie könnten sich daraus gerade beiläufig mein Alter konstruieren. Ich bin in dieser Beziehung empfindlich geworden . . . Aber reizend waren die Stunden in der Kastanienallee doch. Und lieb haben wir uns gehabt, und vergnügt waren wir. Herrgott, daß alles vorübergehen muß! Tempi passati!

65 O, alles sollte nicht vorüber sein. Eines und das andere wollte ich auferstehen lassen. Der Salbentiegel wurde als Station drei in meine Route eingereiht. An einem sonnigen Frühsommertag ging es dahin . . .

Die erste und zweite Station meiner Rundreise brachten mir nur Enttäuschungen. Es war nämlich von meinen alten Lieben absolut gar nichts mehr zu entdecken. Keine Spur, kein Name, kaum eine Erinnerung. Fortgezogen seit Jahren, verschollen. Na denn nicht, dachte ich mir und fuhr weiter.

In meinem Koffer hatte ich die Reliquien mitgenommen und dazu noch ein sehr praktisches und mir liebes Erinnerungsstück gesellt, das ich seit Jahren im täglichen Gebrauch habe. Es ist eine Schreibmappe und stammt von einer Schauspielerin, meiner vorletzten Liebe.

Ich glaube wenigstens, daß sie die vorletzte war. Sie hat mir die Schreibmappe zum Andenken geschenkt. Auf der Außenseite des Deckels befindet sich unter dünnem Celluloid ein großer, alter, kolorierter Kupferstich, tanzende Nymphen im Walde darstellend. Etwas frei in der Auffassung, ohne jedoch im geringsten lasziv zu wirken. Ich habe immer meine Freude an dem vollendeten Ebenmaß dieser Gestalten.

66 Ich war am Bahnhof meiner dritten Station angekommen. Ein einziger Omnibus wartete, der Wagen des »Blauen Elefanten«. Mehr gab es auch Anno dazumal nicht. Ich hatte auch damals im Blauen Elefanten gewohnt. Der Omnibus war offenbar noch der gleiche vorsintflutliche Kasten, nur frisch angestrichen. Ich barg mich und mein Gepäck im Innern dieser Arche Noah. Dann rumpelten wir dahin über das holprige Pflaster, in der Abenddämmerung des lauen Tages.

Lauter fremde Gesichter beim Elefanten. Sogar zu einem Portier hatten sie es gebracht. Erst später erfuhr ich, daß der Wirt selbst dieses Amt versah. Er führte ein Doppelleben. Ankommende Fremde empfing er mit der Portiermütze am Kopf, um sich dann gelegentlich als Wirt zu entpuppen.

Die Elefantenwirtin war ein Kolossalgebäude umfangreichster Weiblichkeit. Ungeheuer dick. Ein wahrer Koloß. Schien das Regiment im Hause zu haben. Mich musterte sie mit einem entschiedenen Mißtrauen. Sie schien im Zweifel zu sein, in welche Kategorie sie mich einreihen solle. Fremde waren außer den üblichen Handlungsreisenden in dem Nest offenbar ebensowenig häufig wie früher.

Ich bekam ein hübsches Zimmer und legte mich 67 frühzeitig zur Ruhe. Meine Forschungen nahm ich erst am nächsten Morgen auf. Ein Spaziergang führte mich im Frühsonnenschein durch das alte Städtchen. Es war, als wenn ich erst gestern dagewesen wäre. Kaum einige Neubauten fielen mir auf. Die Kastanienallee war noch dichter und schattiger geworden. Wenige Menschen in den Straßen und diese in dem krähwinklerischen Schlendergang, der sich gemächlich Zeit läßt, weil er eben viel Zeit zu verlieren hat.

Verschiedene Geschäfte erkannte ich wieder. Es war mir sogar, als ob sie noch die nämlichen Auslagen in den Fenstern hätten. So verstaubt und altwelterisch sah alles aus. Der Friseurladen war nicht mehr vorhanden. Ein biederer Selchermeister besaß jetzt das Lokal. Der Mann sah so furchtbar prosaisch aus, daß ich bei ihm meine Erkundigungen nicht eröffnen wollte.

Ich bummelte wieder nach dem Elefanten und begab mich auf mein Zimmer, das inzwischen aufgeräumt worden war. Es vergingen kaum fünf Minuten, als es sehr laut und energisch an der Tür klopfte.

Auf mein Herein erschien die ungeheure Elefantenwirtin in der Tür. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie sie durch eine normale Türöffnung überhaupt 68 hereinkam. Aber es ging offenbar doch, ohne daß sie oder der Türstock sichtbaren Schaden litt.

Die Frau Wirtin trat ins Zimmer und schloß die Tür heftig hinter sich. Sie stemmte die Hände in die Hüften und ließ mich an: »Sie, was glauben denn Sie eigentlich!«

Ich war ganz stumme Frage.

»Bei uns gibt's so was nicht!« fuhr sie fort.

Neuerliches Schweigen meinerseits.

»So Herren wären mir die richtigen, die derartiges Zeug herumliegen lassen! Schämen Sie sich denn nicht vor dem Stubenmädel!« rief sie und wurde ganz rot vor Zorn.

»Aber ich begreife nicht!« brachte ich endlich hervor.

»So? Sie begreifen nichts? Das sind mir schon die saubersten Herren, die nichts begreifen wollen! So was ist einfach ein Skandal!« ereiferte sie sich.

»Ich . . . ich bin mir wirklich nichts bewußt!« begann mir langsam vor dem weiblichen Monstrum unheimlich zu werden, das dicht vor mich hingetreten war.

»Schämen Sie sich! So ein alter . . .!«

»Ja, was wollen Sie denn eigentlich?« riß mir die Geduld. »Ich habe ja gar keine Ahnung, um was es sich handelt!«

69 »Das will ich Ihnen gleich erklären, um was sich's handelt!« stellte sie sich kampfbereit vor mich hin, so daß ich unwillkürlich immer mehr zurückwich. »Ich bin eine anständige Frau, und unser Gasthof ist ein anständiges Haus!«

»Daran zweifle ich doch nicht im geringsten!« wagte ich schüchtern zu erwidern.

»Jetzt red' ich!« unterbrach sie mich. »Verstanden! Wenn ich fertig bin, dann können Sie reden! Solche Schmierereien kommen hinaus!«

Sie hatte sich dem Tisch genähert und schlug mit der Faust kräftig auf meine dort liegende Schreibmappe.

Mir ging plötzlich ein Licht auf. Gleichzeitig empörte mich die rohe Behandlung meines kleinen, mir liebgewordenen Kunstschatzes. »Die Mappe bleibt, wo sie ist!« rief ich. »Sie haben mir in meinem Zimmer gar nichts zu befehlen! Sie sind ja die verkörperte Lex Heinze!«

»Was soll ich sein?« zeterte sie. »Ich verbitte mir alle anzüglichen Redensarten! Ich sage Ihnen nur noch einmal: Fahren Sie sofort ab mit der Schmierarbeit!«

»Fällt mir nicht ein! Die Mappe bleibt da liegen!«

70 »Das werden wir sehen!« rief sie, ergriff, ehe ich es hindern konnte, die Mappe und schleuderte sie in eine Ecke des Zimmers.

Ich stürzte meinem Besitztum nach, hob es auf, legte es wieder auf den Tisch und stellte mich davor hin, entschlossen, es auf das äußerste zu verteidigen. »Da bleibt sie liegen!« schrie ich erbost. »Unterstehen Sie sich noch ein einziges Mal!«

Sie riß die Zimmertüre auf und rief aus Leibeskräften auf den Korridor hinaus: »Johann! Johann! Johann!«

Gleich darauf ließen sich kräftige Tritte vernehmen, und der Hausknecht vom Elefanten erschien. Ein Kerl von geradezu beunruhigender urwüchsiger Kraft.

»Werfen Sie den unverschämten Menschen da sofort hinaus!« kreischte sie. Der Johann stülpte seine Ärmel auf und näherte sich mir in der offenkundigen Absicht, mich nach allen Regeln der Kunst an die Luft zu befördern. Ich sage es aufrichtig und ehrlich, mir war nicht wohl zu Mute. Aber angesichts der Gefahr wuchs meine Courage.

»Kommen Sie nur her!« ließ ich den Johann an. »Ich habe das Zimmer gemietet und werde es nur freiwillig wieder aufgeben. Ich habe mir gar nichts zuschulden kommen lassen. Verstehen Sie mich!«

71 »Was? Nichts zuschulden kommen lassen?« fuhr die dicke Elefantenwirtin wütend auf. »Nackte Frauenzimmer laßt er am Tisch herumliegen, daß jeden anständigen Menschen davor grausen muß!«

»Das sind keine Frauenzimmer, sondern tanzende Waldnymphen!« rief ich.

»Ich werd' Ihnen schon Ihre tanzenden Nymphen geben!« zeterte sie. »Entweder packen Sie jetzt gutwillig zusammen, oder der Johann wird Ihnen auf die Strümpfe helfen!«

»Er soll's nur probieren!« rief ich und ergriff einen Sessel zur Abwehr.

»Johann, pack an!« befahl sie.

Die Folge der nächsten Ereignisse hat sich in meiner Erinnerung einigermaßen verwirrt. Ich fühlte mich von den kräftigen Fäusten des Johann gepackt. Ein verzweifeltes Ringen begann. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich entschieden der schwächere Partner dabei war. Wie ich über die Stiege hinunter kam, kann ich nicht mehr genau sagen. Meines Wissens ging es jedoch etwas rascher, als unter gewöhnlichen Umständen.

Mit der gleichen Promptheit flog ich beim Haustor des Blauen Elefanten hinaus. Unter dem Tor bemerkte ich im Flug den Herrn Wirt mit der 72 Portierkappe. Es fiel mir auf, daß er mich höflich grüßte. Und draußen war ich.

Ein harter Gegenstand flog mir an den Kopf und von da auf das Pflaster. Ich bückte mich rasch danach. Es war meine Schreibmappe. Ich sah mich um. Es hatte sich glücklicherweise kein Publikum zu meinem Debut als hinausgeworfener Gast versammelt. Das war mir momentan wirklich ein Trost. Ich hörte das schwere Haustor zuschlagen und stand in der lichten Sonne des Vormittags auf der Gasse.

Eine Minute brauchte ich, um meine fünf Sinne zu sammeln, eine zweite, um mich der Unversehrtheit meiner Knochen zu versichern, und eine dritte, um den Staub außer von meinen Sohlen auch von meinem Anzug zu schütteln.

Nur keinen Skandal auf offener Straße . . . war die vernünftige Erkenntnis der vierten Minute. Ich ballte stumm und ingrimmig die Faust gegen den Blauen Elefanten und trat den nächsten Weg zum Gericht an. Wozu gab es sonst noch eigentlich Richter auf Erden! . . .

Ich ließ mich beim Herrn Gerichtsadjunkten, der die Strafsachen führte, melden und wurde auch alsbald vorgelassen. Die Schreibmappe hatte ich als Korpus delikti mitgebracht.

73 Der Herr Adjunkt war ein gemütlicher wohlgenährter Herr, der mich höflich empfing und seine lange Pfeife, aus der er gerade qualmte, in eine Ecke stellte. Ich trug den Fall vor. Er ließ sich die Mappe zeigen, die er mit sichtlichem Vergnügen betrachtete. Dann meinte er lächelnd: »Die Elefantenwirtin ist halt als eine resche Frau bekannt. Bei ein bißchen mehr Nachgiebigkeit Ihrerseits . . .«

»Ich danke für die Resch'n!« unterbrach ich ihn. »Und von Nachgiebigkeit will ich jetzt schon gar nichts mehr wissen. Ich muß Sie bitten, meine Klage aufzunehmen.«

Da ich erklärte, abreisen zu wollen, war der Adjunkt so liebenswürdig, bereits für den Nachmittag den Termin für die Bagatellverhandlung anzusetzen. Der Frau Wirtin wolle er noch im Laufe des Vormittags die Vorladung zustellen lassen. Die Mappe möchte ich einstweilen in seinem Amtszimmer deponieren . . .

Für Nachmittags vier Uhr war die Amtshandlung anberaumt. Ich erschien pünktlich. Gleich darauf rauschte auch die Elefantenwirtin herein. Sie war im Sonntagsstaat und trug ein steifes Seidenkleid, in dem sie womöglich noch umfangreicher aussah. Der Herr Adjunkt beantragte zuerst einen Vergleich 74 der beiden feindlichen Parteien. Die Frau Wirtin möge ihr Bedauern über den Vorfall aussprechen, mich um Entschuldigung bitten.

»Was? . . . Um Entschuldigung bitten!« schnaufte sie, noch ganz atemlos von dem Weg. »Ich um Entschuldigung bitten? Der Herr soll mir Abbitte leisten!«

»Da verkennen Sie doch ganz den Sachverhalt!« sagte der Adjunkt. »Der Herr ist ja der Beleidigte.«

»Oho!« rief die Wirtin. »Beleidigt will der auch noch sein! . . . Wissen Sie denn überhaupt, Herr Adjunkt, was los ist?«

»Selbstverständlich weiß ich das!« meinte der Adjunkt. »Aber liebe Frau Wirtin, an der Schreibmappe finde ich wirklich nichts Anstößiges. Sie haben sich ganz grundlos aufgeregt.«

»So?« meinte sie spitz. »Also Ihnen gefallen die nackten Frauenzimmer . . . Da wären wir ja fertig miteinander!«

»Das sind wir noch nicht!« erklärte der Herr Adjunkt. »Nachdem der Ausgleich gescheitert erscheint, gehen wir in die Verhandlung ein. Zunächst die Personalien. Sie heißen?« wandte er sich an die Elefantenwirtin.

»Das wissen Sie ja!« entgegnete sie unwillig.

75 »Das weiß ich als Beamter nicht.«

»Also Theresia Vorderegger.«

»Ledig? Verheiratet?«

»Verheiratet.«

»Geborne?«

»Also in Gottesnamen, geborne Stoppelköter!« gab die dicke Wirtin zur Antwort.

Mir war, als träfe mich der Schlag. »Stoppelköter!« stieß ich hervor und sah die Wirtin verständnislos an.

»Was geht denn Sie mein Name an!« fuhr sie giftig aus mich los.

»Tochter des Friseurs Stoppelköter?« fragte ich, indem sich das ganze Amtslokal vor meinen Augen zu drehen begann.

»Ja!« schnauzte sie mich an. »Kümmert Sie das vielleicht was?«

Jetzt wurde der Adjunkt ungeduldig: »Mein Herr, ich muß Sie auffordern, die Verhandlung nicht zu unterbrechen!«

»Die Resi . . . Friseur . . . Kastanienallee . . . Salbentiegel . . .« stotterte ich zusammenhanglos.

»Mir scheint, der Herr spinnt!« bemerkte die Elefantenwirtin boshaft.

76 »Was wollen Sie denn eigentlich?« fragte mich der Adjunkt barsch.

»Ich . . . ich will gar nichts . . .« würgte ich mühsam hervor. »Ich . . . ich ziehe die Klage gegen die Frau Wirtin zurück.«

»Aha! Haben Sie die Schneid' verloren!« höhnte die dicke Elefantenwirtin. »Wenn Sie sich übrigens anständig aufführen, können Sie Ihr Zimmer wieder haben!« setzte sie einigermaßen versöhnt hinzu.

»Nein, nein! Ich danke!« rief ich entsetzt.

Nach Aufnahme eines kurzen Protokolles wurden wir beide entlassen, nicht ohne daß mir der Herr Adjunkt einen strengen Verweis erteilt hätte, in Zukunft mit derartigen leichtsinnigen Klagen nicht wieder ein hohes Gericht zu behelligen.

Ich nahm meine Schreibmappe in Empfang, packte beim Blauen Elefanten meinen Koffer mit einer Geschwindigkeit, als ob es brenne, und reiste mit dem nächsten Zug ab.

Das war also meine Resi. Herrgott, wenn ich die geheiratet hätte!

Gut, daß sie von allem keine Ahnung besaß, mich nicht wieder erkannte. Wenn es am Ende noch ein zärtliches Wiedersehen gegeben hätte! Mir standen die wenigen Haare zu Berg, die ich noch besitze.

77 Die Rundreise habe ich zwar absolviert, aber sorgfältig alle Stationen vermieden, die mit den Reliquien meiner Liebe in Verbindung standen. Diese Forschungen habe ich gründlich aufgegeben. Weiß der Himmel, was mir sonst noch passiert wäre.

Ja, die Abenteuer schauen für alte Esel ganz anders aus, als für junge. 79

 


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