Rudolf Greinz
Krähwinkel
Rudolf Greinz

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Der Hahn im Korb

Daß sein Erscheinen in der kleinen Stadt Aufsehen erregen würde, das hatte sich der Hans Stampfl wohl gedacht. Zu welchem Aufruhr es aber führen würde, das hatte er sich doch nicht vorstellen können.

Er hatte nie viel bedeutet im Städtchen, der Stampfl Hans. Man wußte, daß er alles, was er gelernt hatte, und alles, was er war, seinem Paten verdankte, dem angesehenen Apotheker Ignaz Marsoner. Als fünftes Rad am Wagen war er im Hause aufgewachsen, halb Diener, halb Verwandter.

Der Apotheker hatte sich nie darüber geäußert, in welchem Verwandtschaftsgrad der Hans eigentlich zu ihm stand. Wenn man den Herrn Marsoner darum frug, winkte er halb gnädig, halb ärgerlich ab und meinte in sehr vornehmem Ton: »Von der hundertsten Suppen ein Schnittlauch! Ich weiß selber nicht, wie ich zu der Verwandtschaft komm'.«

Die starke Betonung des »der« hatte etwas 10 unsagbar Herablassendes in dem Munde des Herrn Marsoner. Und es trug auch dazu bei, daß man sich im Städtchen daran gewöhnte, den Stampfl Hans mit einer Art nachsichtigen Mitleides zu behandeln.

Der Stampfl Hans, wie man ihn allgemein nannte, war auch in seiner äußeren Erscheinung gar nicht anziehend oder schneidig. Ein schüchterner semmelblonder Jüngling, der wie ein junges Mädchen leicht zu erröten pflegte und dann in seiner Verlegenheit zu stottern begann.

In der Apotheke seines Prinzipals war er eine Art Laborant. Lateinischer Küchenjunge höhnten ihn leise die Mädel, aber immer noch laut genug, daß er das Spottwort deutlich hören konnte. Darüber wurde er noch verwirrter, teils aus Scham und teils aus Zorn. Aber er verstand es nicht, sich zu wehren. Er blickte die Spötterinnen nur hilflos an und benahm sich, während er sie bediente, möglichst ungeschickt.

Die Mädel fanden das dann so spaßig, daß sie das Lachen kaum verbergen konnten. Und ein fröhliches, oft nicht endenwollendes Gekicher brach los, kaum daß sich die niedere Glastür des Apothekerladens hinter ihnen geschlossen hatte. Aus bloßem Übermut, um sich einen Ulk zu machen, besuchten die jungen Mädel oft die Apotheke.

11 Das geschah gewöhnlich am Abend, wenn der Schein des Lichtes aus dem Laden blendend auf die Straße fiel. Arm in Arm wanderten sie vorbei, schäkernd und kichernd und zuerst verstohlen in den Laden spähend, ob wohl der schüchterne semmelblonde Stampfl Hans hinter der Buddel stand.

Der Hans wußte es gar wohl, daß sie ihn alle zum besten hielten, und es tat ihm oft bitter weh. Er wußte, daß er nichts war, nichts bedeutete, weder im Hause seines Paten noch in der kleinen Stadt.

Der Apotheker Ignaz Marsoner hatte selbst Kinder. Zwei Söhne und zwei Töchter. Die Söhne studierten auswärts, und wenn sie einmal im Städtchen waren und das väterliche Geschäft mit ihrer Anwesenheit beehrten, dann benahm sich das junge Weibsvolk da draußen vor der Ladentür gleich viel gesitteter. Denn die beiden Söhne des Apothekers kamen als ernstliche Bewerber in Betracht. Die durfte man nicht verhöhnen und verulken. Das hätten sie übelnehmen können.

Hans Stampfl war noch viel zu jung, als daß er vermocht hätte, sich mit irgend einer Philosophie zu trösten. Er kannte die Welt nicht, und er kannte auch das Leben nicht. Seine ganze Welt war das kleine Reich des Apothekers Ignaz Marsoner.

12 Es war übrigens ein entzückendes Stückchen Welt, dieses Haus des Apothekers. In der Hauptstraße der alten kleinen Bergstadt war es gelegen. Knapp neben dem hohen, etwas vorspringenden Stadtturm, dessen Uhr mit ehernem Klang die Stunden kündete. Ein gewölbter Torbogen teilte die Straße und auch die Stadt in zwei Hälften.

Wie ein Überrest des Mittelalters nahm sich dieses Stadtbild aus. Haus an Haus gereiht, ein jedes mit Erkern und Giebeln, jedes verschieden und doch wieder gleich in Bau und Anlage. Kellerartige gewölbte Hauseingänge und die schweren Türen aus Eichenholz. Viele Türen noch mit alten kunstvollen Schlössern versehen. Der Glockenturm mit seinen Zinnen erinnerte an die Nachbarschaft des Südens, und die kleinen Kaufläden der Straße trugen ein Gemisch von Nord und Süd zur Schau.

Manche dieser Kaufläden waren eng und niedrig und besaßen eigenartige Schilder und Namen. Alte eiserne Wahrzeichen ihrer Gilde ragten halbverrostet über der Eingangstüre. Dagegen waren einige der Kaufläden hell und licht und paßten durch ihren modischen Anstrich so gar nicht zu dem alten Straßenbild.

Das Pflaster der breiten, aber kurzen Hauptstraße 13 war gewürfelt. Laut hallten die Schritte der einzelnen Fußgänger durch die Stille. Ab und zu saß ein Hund in schwermütiges Sinnen versunken vor einer der Türen und bemühte sich krampfhaft, seines Wächteramtes zu walten. Allein die Eintönigkeit seiner Umgebung übermannte ihn oft derart, daß er gelangweilt gähnte und seine Glieder reckte, um sich dann ohne Widerstreben dem innersten Sehnen seiner Natur zu überlassen. Er schlief, alle Viere von sich streckend, schlief lang und köstlich, bis das nervöse Gekläff eines nicht so verschlafenen Kollegen ihn wieder aus seiner Ruhe emportrieb.

Fips, der schwarze Pudel des Apothekers Marsoner, war einer der gewecktesten und wachsamsten Hunde in der Stadt. Sein Verstand reichte schon bald an jenen eines Menschen heran, ja übertraf ihn sogar in gewissen Fällen. So behaupteten wenigstens manche von den Leuten; und darunter befanden sich auch einige der übermütigen Mädel, die so gern ihren Ulk mit dem Stampfl Hans trieben.

Die blonde Hilde Wieser, die Tochter des Stadtarztes, hatte es ganz besonders auf den jungen Menschen abgesehen. Sie konnte sich gar nie genug tun in ihrer tollen Laune. Immer wieder fielen ihr neue Späße ein. Die Hilde war es auch, welche die 14 Behauptung aufstellte, daß der Fips ganz genau den Grad der Achtung kenne, die er dem Stampfl Hans schuldig sei.

Den größten Teil des Tages saß der Fips vor der Ladentür des Apothekers. Aufmerksame Beobachter konnten es an dem Benehmen des Hundes unzweifelhaft feststellen, wer zur Zeit gerade der Hüter des Geschäftes war.

Wenn Ignaz Marsoner in höchsteigener Person anwesend war, so befand sich Fips in vollkommenem Ruhezustand. Die Schnauze auf die Vorderpfoten gelegt, war er das Bild stoischer Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit gegen alles, was um ihn herum geschah. Nur seine Augen verfolgten ab und zu mißtrauisch die Vorgänge, die sich in seiner nächsten Nähe abspielten. Für jedes Schmeichelwort war er unzugänglich und beantwortete es mit einem unhöflichen Knurren.

Ganz anders aber in seinem Betragen war der Fips, wenn der Stampfl Hans im Laden bediente. Da saß der Fips erwartungsvoll aufrecht vor der Türe, als hätte er die Verantwortung für alle Vorkommnisse in dem Laden zu tragen.

Für das übermütige Weibsgesindel, das oft laut lachend die paar Stufen, die vom Laden zu der Straße führten, hinausprang, hatte er ein würdevolles, 15 nachsichtiges Verstehen. Er knurrte nicht und wedelte auch nicht mit dem Schweife, sondern blieb ruhig und ernst. Nur seine klugen großen Augen drückten das aus, was in seiner Hundeseele vorging. Und das war, daß er, der Fips, es gar wohl verstehen könne, daß man sich über den Stampfl Hans lustig machte. Über so einen . . . der war doch gar kein Herr!

Da waren seine jungen Herren, die Söhne des Apothekers, ganz anders. Wenn die im Laden waren! Der Fips konnte sich dann in seiner freudigen Aufregung über die große Auszeichnung, die dem Geschäft widerfuhr, gar nicht fassen. In einem fort rannte er dann vor der Türe auf und ab. Und immer schnuppernd und wedelnd und voll Freundlichkeit und Zutrauen. Als müßte er jedem, der vorbeikam, von dem großen Glück erzählen.

Man lebt in kleinen Städten von den kleinen Ereignissen des Tages. Und die kleinen werden aufgebauscht zu großen, und die großen erreichen die Höhe eines Dramas oder auch einer Komödie. Nur daß der Kleinstädter in den seltensten Fällen ein Verständnis für die Drolligkeit einer Lage aufbringt. Er hat eine Neigung, alles . . . auch das Komische, ins Ernste zu übersetzen . . .

Es kam der große Weltkrieg ins Land und rüttelte 16 die kleine Bergstadt aus ihrer Ruhe. Die Väter und Söhne zogen fort . . . weit fort. Nur hin und wieder kehrte einer heim, von allen in der Stadt herzlich begrüßt; und der erzählte von dem großen Krieg, der draußen tobte, und von den fremden Ländern, in denen der Erzähler geweilt hatte. Und ein jeder dieser Besuche war ein Ereignis für die Bewohner des Städtchens und eine liebe Erinnerung.

Als aber der Stampfl Hans auf Urlaub kam, da bildete sein Kommen das größte Ereignis, das die Leute seit langem erlebt hatten. Der Stampfl Hans, der kleine verschüchterte Apothekerlehrling, hatte die höchste Auszeichnung erhalten, die der Kaiser einem tapfern Soldaten verleihen konnte. Die große goldene Tapferkeitsmedaille schmückte seine Brust, und der Stampfl Hans hatte sich dieselbe durch eine ganz außerordentliche Heldentat in den Karpathen erworben.

Monatelang hatte der Hans an einer schweren Verwundung im Lazarett gelegen und war von den Ärzten beinahe aufgegeben worden. Jetzt war er so weit wieder hergestellt, daß er den Rest seiner Erholungszeit daheim verbringen durfte.

Als der Hans spät am Abend in dem Städtchen ankam, das ihm eine Heimat geworden war, lag 17 tiefer Schnee über Berg und Tal. Die schiefen Dächer der Häuser trugen dichte weiße Hauben, und von den Dachrinnen hingen viele große und kleine Eiszapfen. Sie glitzerten in dem fahlen Vollmondlicht wie Bergkristall, und der harte Schnee knirschte unter den Tritten der wenigen Leute, die, vom Bahnhof kommend, ihren Weg nach der Stadt zu nahmen.

Die Familie des Apothekers hatte sich zum Empfang des Stampfl Hans am Bahnhof eingefunden. Nur Erwin und Paul fehlten, die beiden Söhne. Diese standen gleichfalls draußen im Feld, waren jedoch schon zu wiederholten Malen daheim auf Urlaub gewesen. Fips, der Pudel, war auch zugegen und bezeigte seine Freude durch langandauerndes Gekläffe, das schon mehr in ein Geheul ausartete.

Der Stampfl Hans wußte gar nicht, wie ihm geschah. So lieb und zärtlich waren die Marsoners zu ihm. Soviel Liebe und Aufmerksamkeit hatte der Hans in seinem ganzen Leben noch nie genossen, als ihm jetzt in den wenigen Minuten seit seiner Ankunft zuteil wurde.

Die Frau Apothekerin umarmte und küßte ihn wie einen Sohn und rieb sich vor lauter Rührung wiederholt die Augen. In früheren Zeiten hatte ihr der Hans stets voll Ehrerbietung die Hand küssen müssen.

18 Als er das heute tun wollte, wehrte die rundliche, untersetzte Frau huldvoll ab und meinte: »Das hat's jetzt nimmer nötig, Hans. Wo du uns soviel Ehr' antan hast.« Und dann bot sie ihm gnädig ihre Wange zum Kusse dar. Der Hans wurde recht verlegen. Schüchtern sah er auf die beiden jungen Töchter des Apothekers und schüttelte ihnen verwirrt die Hand.

»Wir geben dir kein Bussel, Hans!« sagte die ältere lachend. »Brauchst dich nit zu fürchten! Gelt, Mizzi?« wandte sie sich an ihre Schwester.

Dieser resolute, leicht spöttische Ton des Mädchens klang dem Hans schon viel vertrauter und half ihm tatsächlich über die erste peinliche Verlegenheit hinweg.

Der Apotheker klopfte dem Hans anerkennend auf die Schulter. »Magst dich einhängen, Bub?« Er reichte ihm mit gönnerhafter Herablassung seinen Arm als Stütze. »Du kannst ja noch kaum hatschen . . . Brav hast dich g'halten, Bub!« lobte er dann, als die Gesellschaft langsam den Weg gegen die Stadt einschlug. »Ja, ja!« meinte der Apotheker. »Bist halt von unserm Schlag. Ist nit anders zu erwarten von unserer Familie!«

Die beiden Töchter des Apothekers ließen ein leises, spöttisches Kichern hören. Und die Emma, 19 welche die entschiedenere von den beiden war, meinte keck: »Der Erwin und der Paul haben aber bis jetzt noch alleweil keine Auszeichnung, Papa! Und die gehören doch auch zur Familie.«

Die Frau Apothekerin setzte eine gekränkte Miene auf. Sie empfand es als eine persönliche Beleidigung, daran erinnert zu werden, daß der Hans jetzt in den Augen der Leute mehr bedeuten sollte, als ihre eigenen beiden Söhne.

Der Stampfl Hans humpelte langsam, auf einen Stock gestützt, zwischen dem Apotheker und dessen Gattin. Vor ihnen sprang Fips, der Hund, wedelnd und übermütig bellend. Hinterdrein spazierten Arm in Arm die beiden Mädchen, jederzeit bereit zu lachen, ob ein Anlaß dazu gegeben war oder nicht.

Frau Marsoner blieb, tief Atem schöpfend, einen Augenblick stehen und drehte sich langsam und würdevoll nach ihren Töchtern um. »Ich hab' dir schon oft g'sagt, Emma, daß du keine so bissigen Bemerkungen machen sollst!« verwies sie ihre Tochter. »Weißt, Hans . . .« fuhr sie dann im Weitergehen fort . . . »die Emma, die ist schon die reinste alte Jungfer. Alleweil hat sie was zu nörgeln und auszusetzen. Als ob der Krieg schon aus wär'! Der Erwin, der, weißt wohl, jetzt ein Oberleutnant ist, der kriegt ja ganz 20 gewiß noch die Goldene. Da ist doch kein Zweifel nit. Gelt, Papa?« wandte sie sich dann, Zustimmung heischend, an den Gatten.

Der Apotheker runzelte die Stirn und schnitt ein sehr ernstes Gesicht. Hinter seinem Rücken machte sich schon wieder das boshafte Lachen der Töchter bemerkbar.

»Allerdings. Freilich!« sagte Herr Marsoner mit lauter Stimme. »Und dann . . . alle Tapferkeit in Ehren, Hans. Ich will dich nit kränken, das weißt ja. Aber, sag's selber . . . ein bissel Zufall ist bei so was doch auch dabei.«

Um die blassen Lippen des Stampfl Hans zuckte es schmerzlich. Er gab keine Antwort, und sie wurde auch weiter von ihm nicht erwartet. Der Apotheker und seine Frau hingen ihren eigenen Gedanken nach. Die waren viel zu sehr mit ihren Angelegenheiten beschäftigt, als daß sie sich um die Gefühle des Stampfl Hans bekümmert hätten.

Die Apothekerin dachte daran und sprach auch davon, daß sie gleich morgen ein paar Damen zum Kaffee bitten wollte. Die Bürgermeisterin sollte kommen und die Frau Doktor, die Frau Notar und die Frau Landesgerichtsrat. Die mußten den Hans alle sehen und ihn bewundern in seiner Würde.

21 »Und auf die Nacht, da gehst dann mit dem Papa in die ›Krone‹. Gelt, Hans? Weißt, da sind die Herren vom Stammtisch beisammen. Daß er dich ihnen vorstellen kann, weißt!« meinte die Frau Apotheker mit gutmütigem Stolz.

»Und dann nimmst deine Mützen ab, Hans, und gehst Geld absammeln! Für's anschau'n lassen!« klang von rückwärts her die frische Stimme der Emma. Jetzt mußte der Hans lachen. Laut und herzlich. Die Emma, die war ja ein Prachtmädel geworden.

Die Apothekerin biß sich auf die Lippen. Sie ärgerte sich grün und gelb über die Frechheit der Tochter. Jetzt durchschritten sie gerade die Hauptstraße. Da wollte sie keine Szene machen. Sie wußte es ganz genau, daß trotz der vorgerückten Stunde die Leute verstohlen durch die Fensterscheiben spähen würden, um den Ankömmling zu sehen.

Am heutigen Nachmittag hatte sie sich schon vor lauter neugieriger Fragerei kaum retten können. Überall hatte man sie angehalten und wollte es aus ihrem eigenen Munde erfahren, ob denn der Stampfl Hans wirklich heute mit dem letzten Zuge ankäme? Und ob er denn tatsächlich die große goldene Tapferkeitsmedaille erhalten habe und Offizierstellvertreter geworden sei.

22 Das hatten die Leute zwar schon seit Monaten gewußt. Jetzt aber, da der so Ausgezeichnete kommen sollte, hatte es einen ganz besondern Reiz, das nochmals zu hören. Und alles wollten sie haarklein erzählt haben. Die Umstände, unter denen sich der Hans die hohe Auszeichnung erworben hatte, die Art seiner Verwundung und den ganzen Krankheitsbericht.

Und die Apothekerin erzählte immer wieder und unermüdlich und fühlte sich so richtig in ihrer Rolle als Heldenmutter. Und dann kam sie so in Eifer, daß sie Einzelnheiten frei ersann und Begebenheiten ausschmückte.

So trug auch sie ihren Teil dazu bei, daß die Ankunft des Stampfl Hans im Städtchen mit größter Spannung erwartet wurde. Am liebsten wären die Neugierigsten mit auf die Bahn gegangen, um von dem Ereignis ja nichts zu versäumen. Aber das ging doch nicht an. Den Schein mußte man nach außen hin wahren. Heimlich freilich standen sie hinter den Fenstern, und es entging ihnen auch nicht die kleinste Bewegung in der Gruppe der Familie Marsoner.

Die Frau Apotheker kannte ihre Mitbürger und wußte genau, daß sie beobachtet würde. Sie unterdrückte daher den Ärger über ihre älteste Tochter und nahm sich vor, ihr noch heute abend vor dem 23 Schlafengehen tüchtig den Kopf zu waschen. Solche Bemerkungen und noch dazu in Gegenwart des Stampfl Hans wollte sie sich ein für allemal verbeten haben.

Ziemlich einsilbig legte nach diesem Vorfall die Familie des Apothekers die kurze Strecke zurück, die sie noch von Zuhause trennte. Verträumt wie ein schlafendes Dornröschen lag die einsame Hauptstraße der Stadt im tiefen Winterschnee. Von den einzelnen Fenstern blinkten kleine Lichter. Die wenigen Laternen waren ganz in Schnee gehüllt.

Der Vollmond leuchtete in schier märchenhafter Pracht. Wie ein verzaubertes Gemäuer aus alten Sagen stand der Stadtturm da, und hinter ihm ragten die in blauschwarzer Nacht so nahegerückten Berge. Es waren keine schroffen Riesen von gigantischem Aufbau. Sanft stiegen sie an und waren doch die Vorboten einer ungeheuren Gletscherwelt . . .

Der Stampfl Hans entging seinem Schicksal nicht. Wie ein Wundertier wurde er gleich am nächsten Tag von der Apothekerin hergezeigt. Die Damen hatten sich alle zum Kaffee eingefunden, und dem Hans wurde es schon ganz wirr im Kopf vor lauter Fragerei und überschwenglicher Gunstbezeigung. Eine jede lud ihn zu sich ein. Wie zu Hause sollte er sich fühlen und ihr Haus als ein Heim betrachten.

24 Die Apothekerin empfand schon eine Art Eifersucht. Sie fühlte sich zurückgesetzt. Sie war doch eigentlich diejenige, die im Leben des Vielumworbenen die erste Stelle einnahm. Das mußte endgültig festgesetzt werden. Sie bestand darauf, daß der Stampfl Hans jetzt Mama zu ihr sagte und zu dem Apotheker Papa . . .

Allmählich fand sich der Stampfl Hans mit seiner neuen Rolle zurecht. Er legte auch seine Schüchternheit ab und fing an, mehr Selbstbewußtsein zu bekommen.

Es ging ihm aber auch wirklich recht gut jetzt. Alle paar Tage war er bei einer andern Familie zum Kaffee geladen. Und allabendlich nach dem Essen nahm ihn der Apotheker unter den Arm und schleppte ihn mit ins Gasthaus.

Dort wurde dann am Stammtisch politisiert und vom Krieg gesprochen, und der Stampfl Hans wurde von den alten, würdigen Herren um seine Meinung befragt, und seine Ansichten fanden Beifall und Zustimmung. Er hatte aber auch recht gesunde Ansichten, die er, je mehr er aus sich herausging, sehr erfolgreich zu vertreten wußte. Er fühlte es, daß man ihn in der Gesellschaft zu schätzen begann; und der Apotheker Marsoner fing an, ganz gewaltig stolz auf seinen Pflegesohn zu werden.

25 So blieb der Stampfl Hans eine geraume Zeit das Ereignis der kleinen Stadt. Einen wahren Kultus trieben die Frauen und Mädchen mit ihm. Hatten sie ihn früher verlacht und ausgespottet, so schätzten sie es sich nun zu einer ganz besondern Ehre, von ihm gegrüßt oder gar angesprochen zu werden. Und es war erstaunlich, wie rasch sich jetzt der Stampfl Hans auch den jungen Damen gegenüber zurechtfand.

Je mehr er gesundete, desto hübscher wurde er. Wenigstens fanden es die Damen, daß er nun geradezu hübsch sei. Manche nannten ihn sogar einen schönen Mann.

Dagegen protestierte aber die Hilde Wieser, das Töchterchen des Stadtarztes, ganz energisch. Schön konnte sie den Hans trotz allem doch nicht finden, wenn sie es sich auch abgewöhnt hatte, ihren losen Scherz mit ihm zu treiben.

Jetzt fühlte auch sie sich geehrt, wenn der junge Herr Stampfl am Wege bei ihr stehen blieb und mit ihr plauderte oder sie gar ein Stück begleitete. Hochrot wurde dann das Mädchen vor Vergnügen und befriedigter Eitelkeit. Sie wußte es bestimmt, daß sie die andern Mädeln um diese Auszeichnung beneideten.

Der Stampfl Hans stellte jetzt aber auch wirklich etwas vor. Die Uniform eines Offizierstellvertreters 26 stand ihm ganz ausgezeichnet und brachte seine kleine, zierliche Gestalt recht vorteilhaft zur Geltung. Ein flottes Schnurrbärtchen schmückte das jetzt von der Sonne braungebrannte Gesicht, und seine hellen Augen sahen froh und selbstbewußt umher.

Zu selbstbewußt, erklärte die Emma, die wie immer rasch mit ihrem Urteil bei der Hand war. Sie sagte es ihm auch einmal ins Gesicht, kurz und grob, daß er ihrer Meinung nach jetzt auf dem schönsten Wege sei, ein Hanswurst zu werden.

Es war seit langem das erstemal, daß der Stampfl Hans vor Verlegenheit über und über rot im Gesicht wurde. So gleichgültig, wie er sich den Anschein gab, war es ihm denn doch nicht, was die Emma über ihn dachte. Aber er gab ihr kein Wort der Erwiderung. Schweigend wandte er sich von ihr ab und fing nun erst recht an, mit den jungen Mädeln in der Stadt zu flirten. Vor ihren Augen. Und nun erst recht.

Tagtäglich konnte man ihn jetzt mit der blonden Hilde spazieren gehen sehen. Im Städtchen begann man bereits ganz laut über die beiden zu reden. Daß sie ein Paar würden und daß . . . na, man wußte halt allerhand, was man sich geheimnisvoll zutuschelte.

Die Frau Stadtarzt machte denn auch einmal einen hochzeremoniellen Besuch bei der Frau Apotheker 27 Marsoner. Punkt elf Uhr vormittag läutete sie an der Türe und hatte ihr feinstes Kleid an. Nach der neuesten Mode, wie sie glaubte.

Dieser Besuch bei der Apothekerin hatte den Zweck, die Frau Marsoner einmal gründlich auszuhorchen, wie sie über eine etwaige eheliche Verbindung der beiden jungen Leute dächte und welche Garantien der Stampfl Hans für eine gesicherte Lebensstellung zu bieten habe. Denn ihre Hilde hatte sich faktisch und wahrhaftig in den jungen Mann verliebt.

Da war nichts zu ändern. Und die Frau Stadtarzt war klug genug, daran auch nichts ändern zu wollen. Jetzt schon gar, wo die Heiratsmöglichkeiten der jungen Mädchen so rar geworden waren!

Der Stampfl Hans war ja gegenwärtig fast der einzige junge Herr im Städtchen. Jedenfalls durfte man heutzutage nicht mehr so wählerisch sein in der Auswahl seines Schwiegersohnes, wie man das vor dem Kriege gewesen war.

Die beiden Damen, die Frau Stadtarzt und die Frau Apotheker, hatten sich bald verstanden. Die dicke kleine Apothekerin sah anfangs ganz erschrocken zu der stattlichen Frau Stadtarzt auf. »Ich bitt' Sie, Frau Stadtarzt! Der Hans und heiraten! So wie er wieder ganz g'sund ist, muß er ja wieder ins Feld.«

28 »Ja. Und dann wird er wohl Offizier werden?« forschte die Frau Doktor.

»Ja freilich. Das schon. Aber von dem G'halt kann er doch nit heiraten!« meinte die kleine Frau ganz verzagt.

»Gewiß nicht. Das glaube ich auch nicht. Aber ich dachte . . . daß Sie . . . Ihr Mann . . . wo der Hans doch ein angenommenes Kind ist . . .«

»Da täuschen Sie Ihnen aber sehr, Frau Doktor . . .« Die Apothekerin holte tief Atem, ehe sie ihr Mundwerk losließ. »So weit geht die Lieb' nit. Da sind noch meine eigenen Söhne da. Der Paul und der Erwin. Und der Erwin, der kommt jetzt sowieso bald auf Urlaub heim!« berichtete sie mit wichtiger Miene.

»So, so. Der Erwin kommt. Da werden's Ihnen aber freuen. So ein fescher Offizier, wie das ist!« schmeichelte sie.

Die Frau Stadtarzt war eine kluge Frau und wußte bereits genug . . . daß der Stampfl Hans trotz aller Ehren und Auszeichnungen doch nicht die geeignete Partie für ihre Hilde war. Und dann . . . man durfte doch nicht vergessen, daß der Apotheker noch zwei Söhne hatte.

Jedenfalls wollte sie ihre Freundschaft mit der Frau Marsoner recht warm halten. Und der Hilde 29 wollte sie's schon einprägen, daß sie sich nicht mehr gar zu oft in Gesellschaft des jungen Mannes sehen ließ.

Der Stampfl Hans mußte laut lachen, als ihm die Apothekerin von der Unterredung berichtete. Also verliebt war die Hilde! Das hatte er noch gar nicht bemerkt. Jetzt aber wollte er ihr erst recht den Kopf verdrehen. Schon aus Rache für alle Kränkungen der früheren Jahre . . .

Mit der Zeit wuchs sich der Stampfl Hans zu einem wahren Don Juan aus. Nicht nur mit der Hilde Wieser ging er mittags zwischen elf und zwölf Uhr in der Hauptstraße spazieren, sondern er machte auch noch anderen Frauen und Mädchen den Hof. Sogar die Frauen waren ihm nicht heilig! Wer hätte das von dem schüchternen blonden Stampfl Hans gedacht!

Da war die junge, hübsche Frau Forstmeister, deren Mann jetzt auch schon über Jahr und Tag im Felde stand. Mit der traf der Stampfl Hans etlichemal im Stadtpark zusammen! Ein paar alte Weiber, die Kinder zu hüten hatten und strickend und schwatzend auf den Bänken saßen, hatten diese beiden wiederholt nebeneinander gehen sehen. Beim hellichten Tag und im Stadtpark! Wenn das der Forstmeister erfuhr!

30 In heimlicher Vorfreude über einen vielleicht doch noch kommenden Skandal strickten die Weiber mit verdoppelter Energie darauf los und nahmen sich fest vor, recht aufzupassen, damit ihnen ja nicht das geringste entginge. Sie brachten es auch bald heraus, daß der Stampfl Hans nicht einmal die jüngste Tochter seines Adoptivvaters und Gönners, die Mizzi, in Ruhe ließ.

Mit der war er einmal auf einem Spaziergang gesehen worden. Und was die Sache noch bedeutend erschwerte . . . sogar Arm in Arm war er mit ihr gegangen! Und abermals beim hellichten Tag! So trieb es der Stampfl Hans! Mit der Zeit kamen die alten Weiber der Stadt dahinter, daß es überhaupt keine einzige Frau und kein Mädel mehr gab, die nicht schon mit dem Stampfl Hans gesehen worden war.

Die blonde Hilde hatte sich tatsächlich in den Stampfl Hans verliebt. Daß er ihre Liebe nicht erwiderte, das fühlte das junge Mädchen deutlich. Und sie kränkte sich, daß er ihr immer mehr seine Aufmerksamkeit entzog und sich mit anderen beschäftigte.

Mit innerer Wut dachte sie oft an jene übermütige, schöne Zeit, wo sie mit dem Hans gespielt hatte wie die Katz mit der Maus . . . wo sie sich über seine Verlegenheit so kindisch ergötzt hatte.

31 Nun war's anders gekommen, und die Hilde erfuhr noch obendrein alle die bitteren Qualen der Eifersucht und einer verschmähten Liebe. Ganz blaß fing das Mädel an auszusehen, und die Frau Stadtarzt trug sich schon mit dem Plane, ihre Tochter irgendwo hinzuschicken, damit sie auf andere Gedanken käme.

So standen die Sachen im späten Frühjahr, zur Zeit, als Erwin, der älteste Sohn des Apothekers, gleichfalls auf Urlaub nach Hause kam. Der Erwin war ein stattlicher junger Offizier und hatte sich von jeher ganz meisterhaft darauf verstanden, den Mädchen den Kopf zu verdrehen. Daß er auch jetzt noch imstande sein würde, den Stampfl Hans nach jeder Richtung hin auszustechen, darüber herrschte bei Herrn und Frau Marsoner nicht der mindeste Zweifel. Und auch die Frau Stadtarzt war vollkommen davon überzeugt, daß ihre Hilde mit der Zeit den jungen Marsoner dem Stampfl Hans vorziehen würde.

Zwischen dem Stampfl Hans und Erwin Marsoner war schon immer ein sehr gespanntes Verhältnis gewesen. Erwin war es gewohnt, bei jeder Gelegenheit den Herrn hervorzukehren und den Hans wie einen Untergebenen zu behandeln.

Damals vor dem Kriege hatte der Stampfl Hans 32 dies auch als etwas Selbstverständliches hingenommen. Heute war es anders. Die gänzlich veränderte Stellung, die der junge Mann in der Stadt seit Monaten inne hatte, wirkte nicht nur auf den äußeren Menschen günstig ein, sondern brachte auch eine vollständige innere Umwandlung hervor.

Der Stampfl Hans spielte wohl nach außen hin den feschen jungen Mann. Innerlich war er sich jedoch vollkommen darüber klar, daß nur der Umstand, eine Auszeichnung zu besitzen, die bis jetzt noch niemandem im Städtchen zuteil geworden war, zur Ursache der ihm geschenkten allgemeinen Beachtung wurde.

Nicht seine mutige Tat schätzte man, für die er sein Leben eingesetzt hatte . . . es war die große Auszeichnung, die man an ihm bewunderte und die ihn in den Augen der Leute zu einem höheren Wesen stempelte.

Der Stampfl Hans hatte in den Zeiten seiner Demütigungen oft und schwer darunter gelitten, wie geringschätzig man ihn von allen Seiten behandelte. Sie ließen ihn nicht nur seine untergeordnete Stellung fühlen, sondern behandelten ihn überhaupt als einen minderwertigen Menschen.

Jetzt, nachdem er ihnen den Beweis geliefert hatte, daß auch der bescheidenste Mensch imstande war, eine 33 große Tat zu vollbringen, jetzt werteten sie nicht die Tat, sondern die Gunst des Kaisers, der ihn dafür belohnt hatte.

Mit jedem Tag gewann diese Überzeugung neuen Boden in der Seele des jungen Mannes und verbitterte ihn. Eine tiefe Verachtung vor den Menschen überkam ihn. Diese Nichtachtung oder vielmehr richtige Einschätzung der öffentlichen Meinung machte ihn innerlich stark und verhalf ihm zu einem gewissen überlegenen Gefühl den Menschen und ihren Ansichten gegenüber.

Zu dieser inneren Wandlung hatte aber noch ein Umstand beigetragen. Das war damals, als die Emma ihm so unverhohlen und grob ihre Meinung sagte. Sie war das einzige Wesen, das nicht mit der Allgemeinheit ging und sich ihr eigenes Urteil über ihn gebildet hatte.

Was sie eigentlich von ihm dachte, das hätte der Hans gar zu gerne gewußt. Er hatte es ihr damals arg verübelt, daß sie so zu ihm gesprochen hatte. Und trotzdem war er in sich gegangen, hatte nachgedacht und gefunden, daß sie eigentlich recht hatte.

Also war die Emma es ursprünglich gewesen, die ihn davon abhielt, sich zu verflachen. Von seiner inneren Wandlung aber hatte das Mädchen keine 34 Ahnung. Der Schein sprach gegen ihn, und die Emma bekümmerte sich, wie es den Anschein hatte, auch gar nicht weiter um den Hans.

Von allen Frauen und Mädchen in der Stadt war sie die einzige, die sich nichts aus ihm machte. Sie wich ihm nicht aus, und sie spottete nicht über ihn. Aber der Hans fühlte es deutlich, daß er und seine Auszeichnung ihr nichts bedeuteten. Und gerade deshalb beschäftigten sich seine Gedanken mehr mit dem Mädchen, als ihm selber lieb war.

Erwin Marsoner trat, als er heimkam, mit der gewohnten Art des unwiderstehlichen Herzensbezwingers auf. Ein neuer Zug und neues Leben kam in das alte Haus am Stadtturm.

Die Mama Marsoner gab ihrem Sohne zu Ehren eine Kaffee-Einladung nach der andern. Sie sang das Loblied ihres Sohnes in allen Tonarten. Es war, als ob nicht mehr der Stampfl Hans, sondern der junge Erwin der Held des Tages sei.

Bis spät in die Nacht erglänzten die Fenster des ersten Stockwerkes im Hause des Apothekers im hellen Lichterglanz. Drinnen feierte man ein Fest nach dem andern und lud alle Honoratioren der Stadt dazu ein.

Neugierig lungerten ein paar alte Weiber unter dem Torbogen des Turmes und starrten sehnsüchtig 35 zu den erleuchteten Fenstern empor. Sie hätten es gar zu gerne gewußt, was da droben vorging und was gesprochen wurde.

So blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich gegenseitig heimlich anzustoßen und im Flüsterton ihre Ansichten und Mutmaßungen kundzugeben. Natürlich trieb ihre Phantasie üppige Blüten, und die immerhin bescheidenen Einladungen im Hause des Apothekers Marsoner wurden zu unerhörten Festen voll märchenhafter Pracht.

Die Familie Marsoner hätte eigentlich recht zufrieden sein können mit dem Aufsehen, welches das Erscheinen ihres eigenen Sohnes im Städtchen gemacht hatte. Und doch war sie es nicht.

In den ersten paar Tagen hatte es den Anschein gehabt, als sei nun wirklich der Stampfl Hans endgültig in den Hintergrund getreten. Das Ereignis der Heimkehr des jungen Offiziers zog und brachte Abwechslung und neuen Gesprächsstoff in das Städtchen. Aber das hielt nur für einige Tage an. Dann fühlte es Erwin ganz deutlich, daß sich das allgemeine Interesse nicht mehr ihm allein zuwandte, sondern daß ihm in dem Stampfl Hans ein ganz gewaltiger Nebenbuhler erstanden war.

Überall, wo der Erwin sich aufhielt, da war auch 36 der Stampfl Hans. Daheim bei den Einladungen, wenn der Herr Bürgermeister und der Herr Landesgerichtsrat voll Eifer auf Erwins Worte hörten und sich von dem großen Krieg da draußen erzählen ließen, da konnte es vorkommen, daß die Frau Notar oder die Frau des Advokaten mit einer schnippischen Frage seinen Redefluß zu Ende brachten, um sich absichtlich und voll Huld und Gnade dem Stampfl Hans zuzuwenden und diesen zum Sprechen zu veranlassen.

Erwin Marsoner fühlte dann deutlich den Hieb, der für ihn darin lag. Er wußte, sie mißachteten die Leistungen, die er vollbracht hatte, weil sie ohne Auszeichnung geblieben waren. Und er merkte es unverkennbar und von Tag zu Tag immer mehr: der Hahn im Korb bei den Damen der Stadt, das war jetzt der Stampfl Hans und nicht er.

Und doch hatte der Erwin davon geträumt, wie schön es sein müsse, jetzt in dem männerarmen Städtchen einmal für ein paar Wochen lang der einzige zu sein. Ohne Rivalen dazustehen, Hahn im Korb zu sein bei den Mädchen und bei den Frauen.

Der Erwin war ein fescher junger Offizier, groß und schlank gewachsen, hatte ein rötlich braunes Gesicht, war dunkeläugig, mit schwarzem Haar und 37 Schnurrbärtchen. Er konnte den Mädchen schon gefallen, und er gefiel ihnen auch. Und trotzdem zogen sie den Stampfl Hans vor.

Warum sie es taten, das wußten weder der Erwin noch seine Eltern zu deuten. Bis es ihnen die Emma einmal sagte. Klipp und klar und ohne Umschweife und mit einer heimlichen Bosheit gegen den Stampfl Hans. Weil der Stampfl Hans eben noch längere Zeit in der Stadt bleibe, meinte die Emma, deshalb wollen's die Damen nicht mit ihm verderben. Jetzt, wo die Männer so rar seien, werde ein Courmacher doppelt hoch eingeschätzt.

»Schau halt, Erwin, daß du einen Heimatschuß bekommst und ein paar Monate dableiben kannst. Wirst sehen, wie sie dir dann nachlaufen.« Das sagte die Emma bei Tisch, als gerade die Rede davon ging, und sie sah mit sarkastischem Spott zu dem Stampfl Hans hinüber, der ihr gegenüber saß.

Der Stampfl Hans war abermals rot geworden wie damals, als sie ihn einen Hanswurst geheißen hatte. Er fühlte, daß die Spitze gegen ihn gerichtet war und konnte sich nicht dagegen wehren. Verwirrt und geärgert faltete er schweigend seine Serviette zusammen, erhob sich dann und empfahl sich mit einer stummen Verbeugung gegen die Damen.

38 Kein Wort hatte er erwidert, und das Schweigen, das anfangs in dem behaglich eingerichteten Speisezimmer herrschte, drückte auf die Anwesenden.

»Den hast vertrieben, Emma!« ließ sich endlich die Apothekerin vernehmen. Es lag eine unbedingte Anerkennung in dem Ton ihrer Stimme.

Der junge Marsoner biß sich schlechtgelaunt auf die Lippen und stocherte nervös mit der Gabel auf seinem Teller herum. »Hanswurst!« sagte er dann grollend über eine Weile.

»Weil du neidig bist, du schöner Mann!« verhöhnte ihn da die Mizzi, seine jüngste Schwester.

»Ich . . .« Erwin wollte aufbrausen.

»Na . . . na!« begütigte der Apotheker im wohlwollenden Ton. »Nur nit streiten, Kinder! Nit streiten!«

Fips, der Pudel, lag zu Füßen der Apothekerin und hing mit schwärmerischem Hundeblick seinen eigenen philosophischen Gedanken nach. Offenbar gab es seinem Hundeverstand zu denken, wie wandelbar doch die Gunst der Menschen im allgemeinen und jene der Damen im besonderen sei. Der Stampfl Hans, dem er, der Fips, nie etwas sonderlich Gescheutes zugetraut hatte, stach jetzt sogar sein junges Herrle aus!

Selbst der Fips hatte den Unterschied zwischen jetzt 39 und früher bemerkt. Nur vereinzelt schauten jetzt die Weibsleute aus den Geschäften nach, wenn er mit dem Erwin durch die Hauptstraße spazierte. Und waren doch früher so neugierig gewesen und hatten sein Herrle stets voll überschwenglicher Freude begrüßt. Jetzt war das anders. Alle lachten sie den Stampfl Hans an. Gar alle. ›Sonderbare Welt das‹, dachte der Fips.

»So kann's nicht weiter gehen!« fing Mama Marsoner über eine Weile wieder zu reden an. »Der Hans stört unsern ganzen Hausfrieden. Der Hans muß fort!«

»Aber, Mama!« protestierte Mizzi erschrocken. »Warum denn?«

»Er muß fort, sag' ich!« erklärte die Apothekerin mit Nachdruck und sah hoheitsvoll in dem Kreis der Ihren herum. »Weil ich mich nicht alleweil ärgern mag und weil dein Bruder da sich erholen soll!«

»Erholen! Das heißt schwadronieren . . .« sagte die Emma boshaft.

»Ich verbitte mir . . .« brauste Erwin auf.

»Ruhe, Kinder!« donnerte der Vater mit so lauter Stimme, daß Fips nervös wurde und zu bellen anfing.

Man war auf dem besten Wege, das Mittagsmahl mit einer häuslichen Szene zu beschließen. Die 40 allgemeine Stimmung war aufs äußerste gereizt. Mama Marsoner traf den richtigen Ton und beruhigte so die aufgeregten Gemüter.

»Ich glaube, Papa,« begann sie nach einer kleinen Pause, »du solltest einmal mit dem Herrn Stadtarzt sprechen. Ich glaub', der könnt' dir einen guten Rat geben . . . wohin man den Hans zur Erholung schicken könnt' . . .«

»Ich finde, der Hans erholt sich da bei uns ganz prächtig!« widersprach die Mizzi mit eigensinnigem Gesicht. »Ihr wollt ihn halt nur aus dem Weg schaffen!«

»Mir braucht ihr ihn nicht aus dem Weg zu schaffen!« sagte Erwin gereizt. »Mein Urlaub ist in zehn Tagen zu Ende und . . .«

»Und dann kommt der Paul!« ergänzte die Emma anzüglich.

Die Apothekerin ließ sich aber diesmal nicht aus der Fassung bringen. »Ich glaub', der Frau Doktor ist's auch recht,« meinte sie ruhig, »wenn der Hans fort ist. Schon wegen der Hilde.«

»Und dem Kaufmann Schöpf ist's recht wegen der Ida!« fügte die Emma hinzu.

»Und dem Konditor Innerlackner wegen der Rosa!« fiel die Mizzi schnippisch ein.

41 »Der Kerl ist ja der reinste Don Juan!« sagte der Apotheker wütend.

»Deine Stammtischherren werden nicht zufrieden sein, Papa, wenn du ihnen den Hans entziehst!« warf Erwin mit einer Art von Galgenhumor dazwischen und zündete sich nachlässig eine Zigarette an. »Der Hans steht ja bei ihnen in einem derartigen Ansehen, als wäre er eine politische Leuchte.«

»Da täuschest du dich aber sehr, Erwin!« fiel die Apothekerin energisch ein. »Die Herren sind gar nit so entzückt von dem Hans, wie du meinst. Gelt, Papa? Weißt, die Frau Landesgerichtsrat hat mir's schon ein paarmal zu verstehen gegeben, daß der Hans eigentlich doch nicht so recht in die Herrengesellschaft passe.«

»Aha!« witzelte die Emma. »Weil sie ihn lieber für sich hätt'! Die kenn' ich!«

»Aber, Emma!« machte die Mizzi vorwurfsvoll.

»Nein, nicht deswegen!« Die Apothekerin sagte es mit Nachdruck. »Die Herren lieben es nicht, wenn so ein junger Lauser gescheuter sein will . . . und der Hans . . .«

»Und der Hans ist das eben!« konstatierte die Emma trocken.

Es wollte heute keine harmonische Stimmung in 42 dem Kreis des Apothekers Marsoner aufkommen. Man trennte sich nach dem Essen ziemlich mißmutig, und alle hatten das Gefühl, daß eigentlich nur der Stampfl Hans die Schuld daran trug . . .

Allmählich kam es zu einem leichten Stimmungsumschwung in der Stadt, der immer größeren Umfang annahm. Die Herren der Stadt, die alle schon den älteren Jahrgängen angehörten, kamen stillschweigend überein, den Stampfl Hans auf gute Art fortzuschicken. Ein jeder von ihnen hatte seinen besonderen Grund dafür, den er aber nicht zugeben wollte . . . und der Apotheker und seine Frau hatten ihr möglichstes getan, diesen Stimmungsumschwung zu fördern und ihn auch vielfach herbeizuführen.

Die Hauptarbeit fiel allerdings dem Apotheker zu. Die Frau Marsoner stieß bei den Damen der Stadt auf harten Widerstand und hatte eigentlich nur in der Frau des Stadtarztes eine wirkliche Verbündete gefunden.

Die andern Damen hielten so fest zu dem Stampfl Hans, daß es ihren Männern schon verdächtig vorkam und sie in ihrem Vorsatz, den Stampfl Hans fortzuschicken, nur noch mehr bestärkte. Bloß mußte das auf ganz besonders schlaue Art geschehen, damit die Frauen und Mädchen nicht in hellen Aufruhr gerieten.

43 Die Frau Stadtarzt war dafür, daß man den Stampfl Hans in eine Sommerfrische schicken solle. »Wissen's,« sagte sie wichtig zu der Apothekerin, »man muß den Hans so einfangen, daß er selber auf die Idee kommt, fortzugehen. Sonst ist's aus und g'schehen, wenn der draufkommt, was wir wollen.«

Der Erwin war schon wieder eingerückt, und der Urlaub des zweiten Sohnes des Apothekers war nahe bevorstehend. Mama Marsoner tat, was sie konnte, und drang in ihren Mann, doch endlich einmal den Stampfl Hans fortzuschicken. Aber der Stampfl Hans wollte nicht fortgeschickt werden. Es gefiele ihm im Städtchen, erklärte er ruhig, und er wünsche zu bleiben.

Mit gesteigertem Argwohn und Mißbehagen beobachteten die Väter und Gatten den jungen Soldaten. Sie fingen an, ihn förmlich zu umlauern. Sie hörten und sahen, wie der Klatsch üppig sproßte und gedieh. Aber es war eben nur Klatsch, und bei einem Unrecht konnten sie den Stampfl Hans nicht entdecken. Der Hans machte sich nach wie vor lieb Kind bei den Damen. Aber das spielte sich alles in der Öffentlichkeit ab, vor den Augen der Welt.

Der Stampfl Hans bemerkte es mit innerer Genugtuung, wie die Herren von ihm abzurücken 44 begannen. Er fühlte, daß jetzt mancher von ihnen heimlich sein Feind war. Und er wußte es ganz genau, daß die Apothekerin nichts so sehr ersehnte, als ihn aus dem Hause zu entfernen. Aber er blieb. Justament. Und er weidete sich innerlich an dem steigenden Unbehagen der Frau Marsoner, des Herrn Apothekers und der gesamten Herrenwelt in der Stadt.

In der letzten Zeit hatte er wieder angefangen, sich mehr der blonden Hilde zu widmen und sie vor allen Mädchen auszuzeichnen wie nie zuvor. Dadurch entschwand der Apothekerin auch die einzige Verbündete, die sie gegen den Stampfl Hans gehabt hatte.

Der Stampfl Hans mußte fort. Das wurde den Herren immer klarer. Sie wagten es mit Rücksicht auf den häuslichen Frieden nicht, offen gegen ihn aufzutreten, aber sie waren sich darüber einig, daß er fortgebracht werden müsse.

Der Herr Landesgerichtsrat war der erste, der offen mit einem Vorschlag an den Hans herantrat. Im väterlichen Tone erkundigte er sich ein über das andere Mal wegen der Fortschritte, welche die Genesung des Hans machte.

»Ein bissel lang dauert halt die Geschichte. Nit wahr, Herr Stampfl? Es ist doch nit die richtige Erholung, die Sie da haben. Sie sollten in ein Bad 45 gehen, Herr Stampfl. Nach Ischl, nach Marienbad oder . . .«

Der Stampfl Hans lachte. »Ein Bad! Aber Herr Landesgerichtsrat! Unsereins und in einem Kurort leben! Wo tät' denn ich's Geld hernehmen dazu?«

»Das Geld? Ja! Hm! Ach so! Die leidige Geldfrage . . . nicht wahr? Das ist's!« Der Herr Landesgerichtsrat dachte angestrengt nach und stützte dabei das Kinn gedankenschwer auf den silbernen Knopf seines Spazierstockes. »Ja . . . da müßte eben der Herr Marsoner . . .« sagte er dann langsam.

»Der wird sich schön hüten!« lachte der Stampfl Hans belustigt. »Wo's Geld in Frage kommt, da hört die Lieb' auf.«

Dem Herrn Landesgerichtsrat war es, als klänge ein bitterer Ton mitten unter dem fröhlichen Lachen. In gütiger und nachsichtiger Art fuhr er zu reden fort . . . »Ja! Hm! So! Freilich. Ganz richtig. Ist eine kostspielige Sache, so ein Badeort. Aber vielleicht könnten Sie wo anders hin. So ein bissel weiter in unsere Berg' hinein. Ins Stubaital oder ins Ötztal . . .«

»Oder auf den Ortler oder gar auf den Großvenediger!« platzte der Hans belustigt los. Er wußte jetzt ganz genau Bescheid darüber, wo der Herr 46 Landesgerichtsrat eigentlich hinaus wollte. »Nein, nein, Herr Rat! Ich bleib', wo ich bin. Es gefällt mir ganz ausgezeichnet da. Die Leut' sind alle so lieb zu mir. Das tut mir recht wohl. Die haben mich früher nämlich nicht verwöhnt, wissen Sie. Um so wohler tut es mir jetzt, ein bissel verhätschelt zu werden.«

Dabei sah der Stampfl Hans so quietschvergnügt drein und machte ein so schadenfrohes Gesicht, daß es der Herr Landesgerichtsrat ganz genau fühlte, wie der Stampfl Hans aus lauter Bosheit nicht weiterzubringen war.

Der Herr Landesgerichtsrat sah ein, daß er nicht imstande war, etwas beim Stampfl Hans auszurichten. So übernahm es denn der Notar, den Hans bei einer andern Seite anzupacken.

»Wissen Sie, Hans,« fing der Herr Notar vertraulich zu reden an, als sie beide einmal ein Stück im Stadtpark spazieren gingen, »eigentlich muß es Ihnen doch ganz schrecklich sein, so Ihren Verwandten immer auf der Schüssel zu hocken.«

»Warum denn?« frug der Hans kurz. Er war über die taktlose Art des Notars doch einigermaßen überrascht und peinlich berührt. »Ich zahl' meine Sach', und dann . . . ich gehör' doch auch zur Familie.«

47 Der junge Mann brachte diese Entschuldigung recht ungeschickt und zögernd vor.

»Ja, mein!« Der Notar schöpfte tief Atem. Er war ein kleines, zappliges Männchen mit schon stark ergrautem schwarzem Haar und Vollbart. Sein dickes, stark gerötetes Gesicht hatte schon beinahe eine purpurne Farbe, und eine mächtige Hornbrille beschattete die kleinen, listig blickenden Augen. »Die Verwandtschaft!« machte er verächtlich. »Da hat man was davon!« Der Notar zupfte sich seine Hornbrille zurecht und sah mit vertraulich herablassender Miene auf den jungen Mann an seiner Seite. »Sagen's selber, Hans, ob Ihre Verwandten so einen Stolz auf Ihnen g'habt haben vor dem Krieg? Jetzt freilich. Jetzt pfeift der Wind aus ganz einem andern Loch. Jetzt heben's eine Ehr' auf mit Ihnen. Jetzt ist einem die Verwandtschaft ganz recht, auch wenn sie bloß von der hundertsten Suppen ein Schnittlauch ist! Aber . . .«

»So ganz recht, scheint's, bin ich ihnen jetzt auch nimmer, Herr Notar!« unterbrach ihn der Stampfl Hans mit leichtem Spott. »Ich fühl's ganz genau.«

»Ja, warum gehen's denn nachher nit fort?« frug ihn der Notar eilig. »Da ging' ich doch, wenn ich an Ihrer Stelle wär'!«

»Ich mag aber nit!« erklärte der Stampfl Hans 48 mit großer Energie. »Ich bleib', wo ich bin! Und das geht keinen Menschen was an, verstanden?«

Der Stampfl Hans hatte die letzten Worte fast schreiend herausgestoßen, so daß der kleine Notar ein ganz erschrockenes Gesicht machte.

»Sie können aber grob werden, Hans!« sagte er verdutzt dreinschauend und schüttelte dabei ein übers andere Mal mißbilligend den Kopf. »Aber freilich, wenn's Ihnen bei uns gar so gut gefällt,« gab er über eine Weile kleinlaut zu, »da kann man freilich nichts machen. Gar nichts!« sagte er dann noch leise und wie bedauernd vor sich hin.

Sie scheiterten alle, die mehr oder minder versteckten Vorschläge, die die Herren dem Hans zu machen hatten. Sie scheiterten an seinem hartnäckigen Widerstand, mit dem er immer wieder erklärte, es gefalle ihm auf der ganzen Welt nirgends so ausgezeichnet, wie gerade in dem Städtchen.

Die Apothekerin war in hellichter Verzweiflung. »Der Mensch bringt mich noch unter die Erden!« klagte sie. »Einen Tausender gäb' ich drum, wenn wir ihn los hätten!«

»Einen Tausender!« Den Apotheker gruselte es bei der bloßen Vorstellung dieser ungeheuren Summe. »Du bist wohl verrückt! Einen Tausender!«

49 »Dreitausend wär' mir nit zuviel!« erklärte die Frau Marsoner in zorniger Rechthaberei. »Wenn ich nur wieder meinen Frieden im Haus hätt'! Jetzt streiten sich meine beiden Mädel auch wegen dem Hans. Sind noch alleweil auskommen, solang sie leben. Und jetzt geht der Streit nimmer aus!«

»Die Emma ist aber doch nit vernarrt in den Menschen!« meinte der Apotheker zweifelnd. »Die sagt ihm ja alleweil rund heraus, was sie sich denkt!«

»Die Emma wär' schon recht!« gab die Apothekerin zu. »Die ist nit so dumm. Dafür ist aber die Mizzi um so dümmer! Hätt's nie geglaubt, daß die auch so eine Gans ist!« sagte sie gereizt.

»Wenn jetzt der Paul kommt, wird's besser werden!« versuchte der Apotheker seine Frau zu beschwichtigen.

»Nein. Schlechter wird's. Der Paul und der Hans! Du liebe Zeit! Die haben sich ja nie leiden können. Das nimmt kein gutes End' nit!« jammerte die Apothekerin. »Wo der Kerl so anmaßlich wird. Völlig noch ärger mit jedem Tag.«

Unerwartet bekam die Apothekerin eine Verbündete. Die Emma war's, die gemeinsam mit der Mutter den Vater bestürmte, er möchte dem Hans doch eine größere Summe geben, damit er ins Bad gehen könne.

50 »Wenn er uns aber doch nit geht?« sagte der alte Marsoner zweifelnd. »Der hat ja einen Dickschädel auf, der Mensch! Dann hat er mein schönes Geld, und ich hab's Nachsehen!«

»Du brauchst es ihm ja nit zu schenken. Leih's ihm halt, Papa!« suchte ihn die Emma zu überreden.

»Ja . . . und nachher? Wann krieg' ich das etwa wieder zu Gesicht, ha?«

Die Emma dachte nach. Sehr angestrengt. Endlich schien ihr eine vorzügliche Idee gekommen zu sein. »Ich hab's, Papa!« meinte sie strahlend und wurde vor Freude über und über rot. »Ich hab's! Du gibst dem Hans sechstausend Kronen . . .«

»Sechstausend . . .« Der Apotheker sah ganz entsetzt auf seine Tochter. »Sechstausend . . .« wiederholte er tonlos^

»Bist närrisch! Sechstausend Kronen ist der nit wert! Tausend sind mehr als genug!« erklärte die Mama Marsoner energisch.

»Sechstausend Kronen hab' ich g'sagt!« behauptete die Emma eigensinnig. »Die kann ihm der Papa schon leihen. Da ist weiter gar nichts dabei!« sagte das Mädchen mit gut gespielter Harmlosigkeit.

51 »Nichts dabei?« Die Apothekerin wiederholte es keuchend vor Wut und stemmte die Arme in die kurzen Hüften. »Nichts dabei?«

»Ja . . . und . . .« wollte der Apotheker fragen. Aber die Emma ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Das ist ganz einfach, Papa!« fiel sie ein. »Du borgst dem Hans jetzt sechstausend Kronen, und dafür muß er dann nach dem Krieg in deinem Geschäft eintreten und . . .«

»Emma!« Die Frau Apotheker erhob sich zu ihrer vollen Größe, die allerdings nicht überwältigend war. Dafür fühlte sie deren Wucht um so tiefer und gab sich alle Mühe, dieselbe nach außen hin zu markieren. »Emma!« sagte sie streng. »Jetzt bist du verrückt geworden!«

»Ich?« Das Mädel schaute mit lustigen Augen zur Mutter und von dieser wieder auf den Vater. »Aber gar nicht, Mama!« beteuerte sie. »Ich fühle mich sehr normal.«

»Das tun alle Narren!« stellte die Apothekerin mit unheimlicher Ruhe fest. »Papa,« wandte sie sich dann mit strengem Tone an ihren Gatten, »schicke deine Tochter zu Bett!«

»Jetzt beim hellichten Tag!« wandte der Apotheker schüchtern ein.

52 »Schick' sie zu Bett!« befahl die Apothekerin nochmals im hoheitsvollen Tone.

»Hältst du mich auch für übergeschnappt, Papa?« fragte Emma und schlang schalkhaft ihren Arm um den Nacken des Vaters.

»So halb und halb schon . . . aber . . .«

»Aber?«

»Da steckt was dahinter!« Der Apotheker runzelte die Stirn. »Heraus mit der Sprach'!« befahl er dann.

»Na . . . na . . . na!« machte die Emma schmollend. »Nur nit so grob! So verrückt ist mein Plan doch nit. Der Erwin bleibt ja doch beim Militär. Und der Paul wird Arzt. Also . . . wer kriegt die Apotheke?« forschte sie dann.

»Jedenfalls nicht der Hans! Das bitt' ich mir aus!« warf die Apothekerin zornig ein.

»Von was soll denn der Habenichts der . . . was übernehmen?« frug der Apotheker höhnisch.

»Von meinem Geld!« sagte die Emma sehr ruhig und gelassen.

»Ah . . . da schau her!« Mehr brachte die Frau Marsoner nicht hervor. Wie vom Blitz getroffen stand sie da. Sie hatte alle Mühe, ihre Fassung nicht ganz zu verlieren. Sie stemmte die Arme immer fester 53 in die rundlichen Hüften, war blutrot im Gesicht und rang verzweifelt keuchend nach Atem.

Der Apotheker war der erste, der die Sprache wiederfand.

»So, so!« machte er sarkastisch. »Da geht's hinaus! Schlaufuchs der!« brach er dann zornig los. »Das tät' ihm passen. Nichts wird draus, verstanden? Und jetzt jag' ich ihn aus dem Haus, verstanden? Noch heut' muß er fort, der . . . der . . .«

»Dann geh' ich aber mit, Papa!« erklärte die Emma mit leiser Stimme und sehr überlegener Ruhe.

»Du . . . du gehst mit?« frug die Apothekerin vor Wut stotternd.

»Ja, Mama, ich geh' mit, weil ich den Stampfl Hans heiraten will. Und weil wir schon seit ein paar Wochen verlobt sind. Und deswegen hat's ihm gar so gut g'fallen bei uns. Das erstemal im Leben, daß er Liebe g'funden hat. Ein Herz g'funden hat, das ihn gern hat. Ihn . . . den armen Teufel, der er ist. Und wenn Ihr mir nichts gebt, keinen Kreuzer nit . . . das macht nichts. Dann geh' ich fort von Euch und such' mir irgendwo eine Stellung. Und dann heiraten wir . . . der Hans und ich. So, jetzt wißt Ihr's, wie Ihr dran seid. Und daß ich's auch durchführ' . . . dafür kennt Ihr mich!«

54 Nach dieser Erklärung gab es eine so wüste Streiterei, wie man sie in dem sonst so ruhigen Hause des Apothekers Marsoner noch nie gehört hatte. Sogar durch die verschlossenen Doppelfenster war der Lärm hörbar.

Die Leute in der Nachbarschaft hätten es gar zu gerne gewußt, warum bei den Marsoners so gestritten wurde. Einzelne machten sich auch in der Nähe des Hauses zu schaffen, schlichen um den Stadtturm und sahen verstohlen zu den Fenstern empor. Dann schauten sie zu der Ladentür hinein. Niemand war zu sehen.

Nur Fips, der Pudel, lag heute ausnahmsweise drinnen und stieß von Zeit zu Zeit ein langgezogenes Klagegeheul aus. Denn von oben hörte er die zornigen Stimmen seines Herrn und dessen Frau und dazwischen das laute Weinen der beiden Mädchen.

Von dem Stampfl Hans war nichts zu sehen und zu hören. Also errieten die Leute sehr richtig, daß sich der ganze Streit wohl um diesen drehen dürfte . . .

Die Emma hat aber trotzdem ihren Willen durchgesetzt. Nichts hätte die Marsoners zum Nachgeben bewogen, als wie die Drohung, daß ihre Tochter sich eine Stellung suchen und ihr Brot verdienen wollte. 55 Lieber als diese Schande erleben . . . lieber willigten sie in die Heirat mit dem Stampfl Hans . . .

In den nächsten Wochen hatten die Leute im Städtchen neuen Stoff zum Klatschen. Der Stampfl Hans und die Marsoner Emma sollten kriegsgetraut werden.

Schon in Friedenszeiten hieß es, daß in kleinen Städten niemand so schlecht gemacht werde wie ein junges Paar, das in den Ehestand treten will. Dies Wort hatte vollauf Geltung für die jungen Brautleute.

Der Klatsch gedieh zu üppigster Blüte. Aber er störte nicht im mindesten das Glück der beiden. Im Gegenteil hatte er zur Folge, daß sich der Apotheker und seine Frau justament und zum Trotz erst recht mit der Wahl ihrer Tochter einverstanden erklärten.

Und als die blonde Hilde vom Stadtarzt eines Tages aus dem Städtchen verschwunden war, da strahlte die Apothekerin vor Schadenfreude. Sie konnte es sich nicht versagen, der Frau Stadtarzt wie zufällig in den Weg zu laufen und sich recht angelegentlich nach dem Fräulein Tochter zu erkundigen.

Die Frau Stadtarzt war sehr gemessen und ganz Würde. Ihre Tochter sei zu einer Tante nach Graz auf Besuch gefahren, erzählte sie im gleichgültigsten Tone.

56 »Gar nach Graz!« verwunderte sich die Apothekerin. »Ja, so weit weg und jetzt im Krieg! Daß Sie das zugeben haben, Frau Stadtarzt?« fragte sie, ehrlich besorgt um das Schicksal der blonden Hilde.

»Andere Eltern geben noch ganz andere Sachen zu!« kam es spitz zurück. Und da wußte es die Apothekerin ganz genau, daß ihr die Doktorin den Schwiegersohn neidete. Und das machte sie völlig glücklich.

Von nun ab gab sich die Frau Apotheker Marsoner redlich Mühe, alle die Mütter von heiratsfähigen Töchtern aufzusuchen. Und bei jeder fand sie, daß mehr oder weniger Neid vorhanden war.

Das freute die Apothekerin so sehr, daß sie anfing, nun abermals mit dem Schwiegersohn zu protzen. So wie damals, als er ruhmgekrönt aus dem Felde kam. Nicht einmal die Anwesenheit ihres jüngsten Sohnes konnte sie davon abbringen. Denn nichts macht die Menschen so selig, als wenn andere ihnen das Glück neiden. 57

 


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