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Die Haberwirthin

Das Ungethüm von einem Kogelwagen hielt vor dem ländlichen Wirthshause. Er müsse noch einmal wässern, sagte der Kutscher, sich mit dem scheinheiligsten Blick bäuerlicher Tücke nach seinem Fahrgast zurückwendend. Dieser errieth unschwer, wem wieder der Mund wässere, aber erwiederte kein Wort. Unmerklich presste er die Lippen zusammen und nickte leise, mit einem himmelaufsehenden Blick. Darauf schloss er seine Augen für die Dauer eines Gedankens, ergebungsvoll, als wollte er von allen Missbräuchen der Welt nichts sehen. Doch zog er auch schon das schwarze Sammtkäppchen von seinem kahlen Scheitel, setzte sich den Cylinderhut auf, knöpfte den Rock höher zusammen und stieg an der Wirthshausseite, wo ihm der Kutscher den Schlag geöffnet hielt, aus dem Wagen.

Mittlerweile war die Wirthin vor's Thor herausgetreten und mass den Fremden mit einem überraschten, mit einem so langen und aufmerksamen Blick, dass sie darüber den einladenden Gruss vergass.

Der Fremde achtete nicht darauf.

Mit Unrecht; denn die Haberwirthin ist keine Frau, an welcher man gleichgiltig vorübergeht. Ihr zulieb weilt manche Kutsche, die sonst Eile hat, und ein Gespräch mit ihr hat Niemand, sei's Weib oder Mann, als verlorne Zeit zu bereuen gehabt. Auch ist nicht geschäftliche Neugierde, was die Erscheinung des Alten in ihr erregt, der langsam, den eng zusammengefalteten Regenschirm als Stock benützend, am Saum der staubigen Strasse fürbass schritt. Vielmehr war tiefes Erstaunen in ihren ehrwürdigen Zügen sichtbar. Sie stierte der dunklen, hageren Gestalt nach, bis dieselbe an der nächsten Biegung des Weges ihren Blicken entschwand. Hastiger, als es ihre Art war, wendete sie sich an den Kutscher, welcher Wagen und Pferde unter das Vordach des Hauses brachte, mit der Frage: Sepp, weisst du, wer dein Passagier ist?

– Nein, Frau Mutter, erwiederte dieser; aber er ist ein rarer Herr. Auf dem ganzen Wege hat er nichts gesprochen, ausser wie er das erstemal ausgestiegen ist. Da hat er gesagt, dass ich ihm nachfahren sollt', und ich würd' ihn leicht einholen, hat er gemeint. Er hat her und her nichts genommen, nicht einmal ein Glas Wein.

– Das wundert dich wohl zu allermeist.

– Na, ich denk', es ist nicht zum Schaden der Wirthsleut', wenn ich einen gesunden Durst hab' und auf meine Ross' seh', entgegnete Sepp schlau lächelnd.

– Und wo führst du ihn denn hin? nahm die Wirthin wieder das Wort.

– Nach dem Schlössel auf dem Kreuzbühel. Und da möcht' ich Euch, Frau Haberwirthin, schon fragen, wie weit ich noch hin hab' und wo ich abbiegen muss. Es ist eine Schand', aber ich bin noch niemals dort gewesen.

– Da frag' du den Herrn Baron nur selber, antwortete die Frau nachdenklich und mit einem leisen Seufzer; der Herr Baron Röder kennt Weg und Steg hier herum so gut wie unsereins.

Und sie wendete sich rasch ab, denn sie hatte eine unfreiwillige Rührung zu verbergen.

Derweil hatte der dunkle Fahrgast schon einen erheblichen Vorsprung gewonnen, obwohl er sich weder Ungeduld oder Sehnsucht eingestehen, noch auch ein Ziel bekennen wollte. Aber Busch und Quell schwiegen nicht, so still er auch an ihnen dahinschritt und so wenig er ihnen Gehör schenken mochte. Sie flüsterten und neckten ihn, glich er doch mit den langen Rockschössen einer wandelnden Vogelscheuche. Die schlanken Pappeln, die nach wie vor und eh in Reih und Glied standen, und die alten freien Tannen auf dem Berghang drüben erkannten ihn sogar und rauschten ihm ernsten Willkomm zu. Musste er nicht nachdenken, wie viele wechselvolle Jahre dahingeschwunden, seitdem er hier das erste Pferd getummelt, in junkerlicher Dreistigkeit das erste Mädchen geküsst und auf die Franzosen niedergepafft hatte, damals, als sie auf ihrer grossen Retraite die allgemeine Aechtung traf?

Und Eins weckte das Andere. Er sah sich auf der Universität, am Kneiptisch, auf der Mensur, mit einer Weltanschauung im Kopf, als romantischen Schwärmer. Aber Andere vor ihm hatten bereits die blaue Blume entdeckt und Systeme ausgebaut; ein Nachempfindender, der Gläubigen Einer, kein Prophet, musste er zurückstehen. Da erfasste seine Begeisterung ein neues Ideal, die Kunst; mit dem Tornister auf dem Rücken zog er über die Alpen. Doch die Nazarener waren ihm zuvorgekommen und hatten das Beste vorweggenommen; wieder sah er sich zur Nachfolge verurtheilt. Sollte ihm auf politischem Gebiete eine erste Rolle zugedacht sein? Gab es nicht Geheimbünde mit Staat und Gesellschaft umgestaltenden Zwecken? Aber er stiess auf veraltete Formen, daraus der Geist entwichen, und vor dem Getriebe der Selbstsucht und Privatrache in derlei Vereinen ekelte seinem Sinn. Nun hoffte er ein ruhiges Glück in engster häuslicher Beschränkung zu finden, als ob ein in seinen höchsten Lebenszielen Entmuthigter mit Aussicht auf dauernde Zufriedenheit sich zur tüchtigsten Lebensthat, zur Ehe, entschliessen könnte! Dieses Bandes überdrüssig und ledig, wurde er Löwenjäger in Afrika, Farmer in Amerika; aber es ist leichter, sich einen Naturstand gedanklich auszumalen, als sich in einen solchen einzuleben, und auch die Verhältnisse unter dem Sternenbanner mit ihrer nackten Lebensprosa haben schon mehr als Einen Amerikamüden gezeitigt.

So kennzeichnete ungemessene Aneignungsfähigkeit bei völligem Mangel an schöpferischer Kraft all sein Thun und Wesen. Er war nie ein Mann, der eine That vollbrachte, nie ein Meister, dem ein Werk gelang, nie ein Forscher, der etwas entdeckte, oder ein Denker, der etwas ersann, nie ein Herold, der eine Losung in die Zeit rief, gewesen; ebensowenig konnt' und wollte er je ein einfacher rüstiger Arbeiter nach einem fremden Plan und unter eines Andern Leitung sein. Der Genius hatte ihm Sendung und Weihe versagt, aber ein Spuk äffte ihn. Immer um eine Idee zurück, entbrannte er für Gedanken, die schon durch Anderer Kopf und Hände gegangen; immer mit der Erfahrung nachhinkend, suchte er Dinge ins Werk zu setzen, die schon Anderen besser geglückt oder aber ein- für allemal misslungen waren. So hatte er Vielerlei angestrebt und doch nichts erreicht, so war sein Leben ein reiches und nichtiges zugleich, so hatte er trotz aller Hast keinen Ruhepunkt, trotz aller Thätigkeit kein Genüge gefunden.

Was Wunder, wenn er schliesslich, des ziellosen Treibens müde, Alles, was ihm unzugänglich geblieben, für eitel und des Menschen Fähigkeiten für verderblich erachtete, mit denen er nur Versuche auf Irrthümer gehäuft hatte? Innerlich gebrochen, konnte er als letzten Halt nichts Bequemeres und Willkommeneres finden denn eine starke äussere Regel, das starrste kirchliche Dogma. Es bedurfte nur der Hingabe seines Willens, der sich ohnehin in nutzlosen Bestrebungen abgenützt hatte, und der Abschwörung des freien Geistes, der ohne Selbständigkeit bisher ja doch nur Anderen gefolgt und an kein Ziel gekommen war, und der Neophyt trat in eine Welt ein, welche seine Seele für einen Gewinn und seine Bekehrung für ein Wunder der Gnade erklärte. Ein solcher Empfang hat sein Schmeichelhaftes, ja Berauschendes, und der zuvor sein Leben als ein verfehltes und werthloses weggeworfen, redet sich wohl auch selbst ein, die Gnade, die ihn aus Millionen Irrender errettet und berufen, müsse besondere Zwecke mit ihm vorhaben. Der neue Eiferer ist fertig.

Der Ungestüme sieht aber ringsum Laue; sie zu befeuern, fühlt er sich auserkoren, ihm gebührt eine Führerschaft, denn hätte es einer besonderen Einwirkung der Gnade bedurft, damit er einen einfachen Schildknappen abgebe? Die Bequemen gestehen ihm diese Führerrolle zu, denn auf welch andere Weise könnt' er wohl seine besondere Berufung und die Echtheit seiner Bekehrung bethätigen? So kommt der Convertit zu Einfluss und Geltung, und bald rumort der Adoptivsohn mehr als die Hauskinder zusammengenommen.

In einer nahen altberühmten Bischofsstadt soll demnächst ein grosser Tag gehalten werden, um Sauerteig unter die trägen Massen zu bringen. Dieser Versammlung und Bewegung zulieb hat der wunderliche Alte nach langen Jahren freiwilligen Exils in Rom zum erstenmale wieder deutschen Boden betreten. Er trug sich mit einer Ansprache, durch welche er seinen Landsleuten zu Gemüthe führen wollte, dass die Besten unter ihnen halbe Ketzer, die Eifrigsten unnütze Knechte und die Umsichtigsten ohne Schick seien und nichts vor sich brächten. Diese Rede beschäftigte ihn mehr als Alles, was ihm auf der Reise aufstiess; denn nicht das Einzelne kümmerte ihn, nur mehr für das Ganze des Kampfes zwischen Licht und Finsterniss wollte er Sinn und Augenmerk haben.

Wie es gleichwohl kam, dass er vom Schienenweg nach der Bischofsstadt in sein stilles Heimatthal abschweifte, untersuchte er selbst nicht. Wohl konnte er ein ihm nach dem Tode seines Bruders zugefallenes Guthaben, das an dem Besitze von Kreuzbühel haftete, auf seinen Namen umschreiben oder flüssig machen lassen, aber bedurfte es bei diesem Geschäfte seiner persönlichen Gegenwart? Er erinnerte sich des gegenwärtigen Gutsbesitzers als eines Namens, den er noch von der Universität her im Gedächtnisse hatte; aber wie konnte die Erneuerung einer Jugendbekanntschaft für den von Werth sein, der sich rühmte, alles Persönliche abgestreift zu haben, um ganz in und für's Allgemeine zu leben? Und doch war er auf dem Wege nach seiner Eltern Schloss, ohne dass er sich fragte, warum, und konnte nicht verhindern, dass Busch und Quell Schabernack in seine Gedanken flüsterten und dass die alten Pappeln, und die finsteren Tannen sein asketisches Auge auf sich lenkten.

Wie er so dahinschritt am Rand der staubigen Strasse, konnte man sich aber auch kaum einen auffälligeren Wanderer denken. Es schien, als sei an seinem Aeussern von jeder der vielen Wandlungen, die er durchgemacht, etwas haften geblieben. So zeigte sein langwallender grauer Vollbart weniger mönchische Fügsamkeit als demokratischen Eigensinn, auf der Nase sass pedantisch die Gelehrtenbrille, aber dahinter schoss das kleine, von Haus aus zornmüthige Auge, wenn es sich unbewacht glaubte, noch oft seine blassblauen Blitze hervor. Der schärfste Gegensatz aber bestand zwischen der frei entwickelten Stirn und der scholastischen Geschlossenheit des schwarzen langschössigen Rockes.

Bisher hatte der Wanderer selten und nur für Augenblicke seinen ruhigen Gang unterbrochen. Nun aber hielt er länger vor der lieblichen Anhöhe, welche der walddunkle Gebirgszug in das Thal vorschob. Ja, als fühlte er die Nachmittagsschwüle erst jetzt, langte er nach seinem Taschentuch und fuhr sich mit demselben über Stirn und Scheitel. Der Sonnenstrahl legte sich schräg über Wald und Wiesensammt, das Wipfelgewirr mit leichtem Lichtdämmer umwebend, während die abgekehrten Striche des Forstes schon tiefblau dunkelten. Da wo die Wiese in den Wald überging, an wohnlichster Stelle, stand ein Haus, das an etlichen Bäumen seinen eigenen Schatten besass. Es blickte mit dem Doppelfenster einer Schmalseite auf die Strasse nieder; als Wahrzeichen des Hauses, über diesem Fenster, hätte ein gutes Auge die Beute von einem Vielender ausnehmen können. Der graubärtige Fussgänger schien gänzlich verloren in dem Anblick dieses freundlichen Forsthauses. Dasselbe berührte ihn vertraut und fremd zugleich; es kam ihm zu neu vor und schien doch wieder kein anderes zu sein, als welches seit der Kindheit Jahren in seine Erinnerungen ragte. Er blickte gegen den einfallenden Sonnenstrahl, aber trotzdem derselbe für seine alten Augen Blendniss und Beize sein musste, liess er nicht ab, hinzusehen. Wiederholt nickte er wie bestätigend, und im gewohnten Aufblicke lag diesmal etwas Flehendes.

– Ist's gefällig, Herr Baron? musste der Kutscher mahnen, der schon vor einer Weile mit seinem Gespann herangerollt war, und er that es mit einem tieferen Bückling als die Zeit her. Wollte er doch seinem Gast zu verstehen geben, dass er nun wohl wisse, wen er fahre.

Röder achtete wenig auf die berechnende Unterwürfigkeit des Knechtes, stieg schweigend ein, vertauschte den Cylinder mit dem Sammtkäppchen und lehnte sich zurück.

Doch der Kutscher hielt noch immer den Wagenschlag und fuhr, eh' er sich auf seinen Sitz schwang, fort: »Und ich möcht' halt recht schön bitten, dass der Herr Baron die Gnad' hätten und mir sageten, wann ich rechts oder links abbiegen soll. Es ist eine Schand, aber ich bin noch nie auf dem Kreuzbühel gewesen. Herentgegen meint die Frau Haberwirthin, dass der Herr Baron die Gegend besser kenneten als wie Einer, der da herum zu Haus ist.«

Der Baron horchte gespannt auf und murmelte ein- um das anderemal: Die Haberwirthin? Die Haberwirthin? Aber seine Gedanken schienen keinen Anhaltspunkt finden zu können; er schüttelte den Kopf und sank wieder in den Sitz zurück.

Dem Kutscher, der noch immer »bandelte«, antwortete er: »Von der Brücke, wo der Mühlbach zufliesst, links! Wir werden bald an Ort und Stelle sein.«

In der That kam der Kreuzbühel mit seinem herrschaftlichen Schloss ehestens in Sicht. Letzteres sah ungemein schmuck aus. Es hatte sich gleichsam auf die Zehen gestellt, um ansehnlich zu erscheinen. Das französische Dach gab ihm eine Würde, die dem putzigen Ding an sich nicht zukam. Muschelornament und barocke Schnörkel kleideten seine Aussenwände prächtig und die Fenstergitter luden gewaltig in dem schönen Schwunge einer 5 aus. Vor dem Herrenhaus und wie zu dessen Schutze stand ein massiger Thurm mit dem Wetterhahn auf der Helmspitze, der einen Theil des Gesindes beherbergen mochte. Am Haupt- wie am Vorderbau wechselte graublauer Mauerbewurf mit weisser Tünche. In den Fenstern spiegelte sich der Strahl der tief stehenden Sonne.

Wo sich der Weg gabelte, um hier in sanfter Steigung den Schlossberg hinanzuführen und dort gradaus, wie die junge Allee, in welche er einbog, dem Marktflecken zuzueilen, liess der Baron halten, stieg rasch aus, bedeutete dem Kutscher, er solle drüben beim Bärenwirth einstellen, und versprach vor Einbruch der Nacht selbst dahin nachzukommen.

Es verlangte ihn recht lebhaft, auf der Höhe des Kreuzbühels zu sein, noch bevor drüben die Sonne unterging; daher zog er den steileren Fusssteig den Windungen des Fahrweges vor. Er traf diesen Pfad so sicher, als hätt' er ihn erst gestern zum letztenmale betreten, trotzdem sich derselbe bald in Busch und Laubwerk zu verlieren schien. Und so rüstig stieg der alte Herr bergan, als fühlte er in seinen Sehnen noch die Schnellkraft der Jugend. Scheint sich doch, wie an Antäus, so an Jedem ein Wunder zu vollziehen, der seinen wandermüden Fuss auf der Heimat Scholle setzt.

Der Baron schritt rascher, so wie sich der Fusssteig ebnete und die Aussicht öffnete. Dürres Laub raschelte und in den Zweigen knisterte es, wie um seine Ankunft zu verrathen. Als er aus dem Walddunkel auf den Platz vor dem Vorderbau des Schlosses heraustrat, stürzte ihm aus dem finsteren Thorwege ein lichtes Mädchen mit offenen Armen und dem glücklichsten Gesichtchen entgegen.

Doch nur für einen Augenblick und für wenige fliegende Schritte reichte die süsse Täuschung hin. Sowie das liebliche Kind des fremden, ernsten Alten ansichtig ward, schien's gleichzeitig, als stolperte sie über ihre eigene Hast und als prallte sie vor schamloser Verwirrung zurück. Sie wusste nicht, wo sie ihre Blicke hinthun sollte, und floh, um ihre Verlegenheit zu verbergen, so rasch wieder in das Thor, als sie herbeigeeilt war.

Aber noch befremdlicher wirkte diese Begegnung auf den Baron. Er wagte keinen Schritt vorwärts, seine Augen blickten stier und grass, seine Kniee zitterten.

Wie konnte ein so holdes, verschüchtertes Geschöpf, von dessen Dasein er vor einer Minute noch keine Ahnung hatte, feindlich seinen Weg kreuzen? Weckte ihr Erscheinen vorwurfsvolle Erinnerungen? Aber sie zählt erst achtzehn Jahre, achtzehn unschuldige Jahre – wie konnte ihre Jugend mit seinem in weitester Fremde versplitterten Leben in irgendwelcher Art verknüpft sein? Wähnte er ein Gespenst zu sehen? So trete er herzu und spreche mit ihr. Sie ist viel eher ein guter Engel, wenn je einer menschliches Fleisch angenommen hat. Sie ist auch kein stolzes Burgfräulein, nicht einmal eine schnippische Zofe; sie ist armer, dienender Leute Kind, aber brav und schön, brav, dass man weit und breit nur Gutes von ihr spricht, und schön wie ein thaufrischer Morgen.

Wenn der Baron mit dem Gedanken kam, sein Elternhaus zu betreten, in dessen traulichste Winkel zu spähen, bei dem neuen Schlossherrn vorzusprechen, ja wohl gar von seiner Gastfreundschaft Gebrauch zu machen, um noch einmal unter dem Dache zu ruhen, an welches er, o wie oft! nicht anders als wie an einen schützenden Himmel gedacht hatte, so fühlte er sich jetzt mit unüberwindlicher Macht von der geliebten Schwelle gebannt, sah dieselbe gehütet und bewacht von einem liebenswürdigen Mädchen, dem er nicht zu nahen wagte, nach welchem er sein Auge wenden musste und dessen Blick er doch nicht ertrug.

Das schöne Kind hatte sich rasch gesammelt, war unter das Thor getreten und sah mit den ruhigen Augen eines guten Gewissens auf den sonderbaren Fremdling, der quer über den Hof nach dem Park hinschritt und, eh' er hinter den Wirthschaftsgebäuden verschwand, noch einmal seinen scheuen, fragenden Blick zurückwendete. Ein Bischen Trotz stand dem lachenden Gesicht des Mädchens allerliebst, und von der blanken Stirne konnte man die launigsten Gedanken ablesen: Was brauch' ich mich denn zu fürchten, schien sich die liebe Dirne zu sagen, vor dem spassigen Alten? Ist er doch selber mehr erschrocken als ich einfältiges Ding. Eigentlich war's ja lustig.

Wie er aber nur als ein Fremder den Steig wissen konnte? Es ist Alles eins; wüsste nicht, warum ich mich schämen sollt'? Das wissen sie hier oben so gut wie unten im Markt, dass wir rechtschaffene Liebesleute sind und keine Heimlichkeiten haben. Aber lachen wird er, lachen ... wenn ich nur sicher wüsst', dass er heut' noch kommen wird. Es ist ja kaum möglich. Müd' von der Arbeit, und dann noch den weiten Weg! Hätt' ich mir's nicht so fest und steif eingebildet, dass er's sein müsst', als ich's rauschen hörte, so wär' die ganze dumme Geschichte nicht geschehen. Gott verzeih mir's, aber ein reines Bocksgesicht hat er gemacht! Als ob man für sein Aussehen könnt'! ... Das war wieder recht garstig von mir. Er ist gewiss ein vornehmer Herr und hat vielleicht mit der gnädigen Herrschaft sprechen wollen, und da hätt' ich ihm leicht sagen können, dass die gnädige Frau erst für den Sonntag hat ansagen lassen und dass man im Schloss noch alle Hände voll zu thun hat, um Alles recht nett herzurichten ... Dass Einem die gescheiten Gedanken immer erst zuletzt kommen!

Drüben im Parke schritt der Baron gedankenvoll auf und nieder. Es war eine Unruhe, eine Unsicherheit in sein Wesen gekommen, deren er sich wohl kaum versah, als er Rom eifernden und streitbaren Gemüths verliess. Er hatte das Heimatthal zu betreten gewagt in der Zuversicht, unerkannt und völlig unberührt zu bleiben, ja wohl gar Sammlung und neue Anregung zu finden für den vorbereiteten Ansturm auf den lauen Geist seiner Parteigenossen. Und nun musste er schon in der ersten Stunde inne werden, dass alte Erinnerungen erwachen und mit Macht hervorbrechen, sobald man unbesonnen wieder den Fuss auf ihren Schauplatz setzt. Und diese Erinnerungen fielen sein Herz an und rüttelten daran um so heftiger, als es sich nicht zu ihnen bekennen wollte, sondern alles Menschliche und Nichtige abgestreift zu haben wähnte. Wo blieb seine erhabene Gleichgiltigkeit, seine Stärke, dass er sich von der Thür seines Vaterhauses verscheuchen liess durch die Aehnlichkeit eines Landmädchens mit –? Aber eben das Räthsel dieser Aehnlichkeit beschäftigte und quälte ihn zumeist. Er hatte kein Auge für die Schönheiten des Parks, noch auch für den ruhigen Spiegel der Teiche, welche, einem lebendigen Schlossgraben vergleichbar, das Herrenhaus von drei Seiten umgaben und an der Hauptfaçade vor ihrem Abflusse die alterthümelnde Vorrichtung einer Kettenbrücke ermöglichten. Zwischen dem Wasser und den Mauern zog sich ein Gartensaum hin, von der grösseren Anlage an der freien vierten Seite, dem Marktflecken zu, ausgehend und dahin zurückführend. Ueberhaupt hätte der Baron bemerken können, dass sein Erbe in sorgsame und geschmackvolle Hände übergegangen, wenn er eines unbefangenen Blickes fähig gewesen wäre.

Er setzte sich abseits auf eine Bank und liess den Kopf sinken. War's Zufall, dass von da aus das Thor sichtbar war, aus welchem ihm das schöne Kind entgegengeeilt kam? War's Zufall, dass, so oft er aufblickte, sein Auge nach dem Thor hinüberspähte? Er sah das Mädchen wieder, aber nicht mehr allein. Ein hübscher, munterer Bursch hatte sich ihr zugesellt.

– Also dem galt's, murmelte der Baron für sich. Er lächelte bitter und nickte wie zufrieden. Sein Blick verrieth fast Schadenfreude und als er ihn zum Himmel erhob, war's, als wollte er damit sagen: Ist es werth, Herr, dass du an diesem Geschlechte Langmuth übst?

Die Liebenden wussten nichts von ihrem unberufenen, grausamen Richter. Aber welches Gericht hätten sie auch zu scheuen gehabt? Es ist wahr, sie begrüssten sich mit einem herzhaften Kuss, im Uebrigen jedoch hatte ihr Stelldichein nichts mit dem leichtfertigen Gethue anderer junger Leute gemein. Wohl, sie lachten, aber sie sprachen auch ernsthaft, als handelte sich's um die wichtigste und heiligste Angelegenheit ihrer Herzen. Sie guckten einander in die Augen, aber was spiegelten diese Anderes als das schuldlose Glück von Jugend und Liebe? Sie fassten sich an den Händen, und wenn dabei unbewusst der Puls rascher hüpfte, wer kann und will ihnen das junge, gesunde Blut verargen? Sie standen und blieben vor dem Thore, im Angesichte Aller, die des Weges kamen oder kommen konnten, und es fiel ihnen auch nicht im Entferntesten ein, dass sie für ihr Gekose bergende Schatten nöthig haben sollten. Seine Freude muss an ihnen haben, wer je selbst geliebt hat und für Menschen menschlich fühlt.

Und der Baron drüben? Wenigstens ist der hässliche Zug aus seinem Antlitz verschwunden. Die Abendglocke erinnert ihn zudem, dass er lange genug fremdes Glück belauscht. Was gab' es auch ferner noch zu beargwöhnen? Nach dem ersten Glockenschlag reicht das Mädchen ihrem Liebsten die Hand zum Abschied. Wohl will sie dieser noch einmal in seine Arme fangen, aber wie ein Kreisel ist sie ihm entkommen und in den Thorweg verschwunden. Ihr letztes Wort ist ein helles: »Gute Nacht, Fritz!«

– Leb' wohl, herziger Schatz! ruft der Bursch zurück und lenkt seine männlichen Schritte dem Fusssteige zu.

Auch der Baron erhob sich und schlug dieselbe Richtung ein. Er dachte wieder besser vom Mädchen; vielleicht schämte er sich sogar seines garstigen Argwohns von früher. Sein dem deutschen Wesen seit Jahren entfremdeter Sinn hätte sich immerhin auch gestehen können, dass noch etwas Wahres sei an deutscher Zucht und Sitte. In dem Grade, als die wackere Haltung des Mädchens seine vorgefasste Meinung von der Verderbniss der Welt Lügen strafte, beschäftigte ihn dasselbe auch lebhafter. Ja, das schöne Kind gab ihm bereits mehr zu denken, als er sich bekennen wollte. Er musste es gelöst sehen, das vorwurfsvolle Räthsel dieser Aehnlichkeit. Je mehr er überlegte, wie ihm beizukommen sei, desto öfter kam er auf die Worte seines Kutschers zurück. Mit dem Entschlusse: Zur Haberwirthin! betrat er den Marktflecken.

Trotz mancher Veränderungen, welche der Ort, und zwar in vorwiegendem Masse zu seinem Besten, erfahren, fand sich der alte Herr in den Gässchen und Gassen doch unschwer zurecht. Er erkannte, obgleich die Dunkelheit nun rasch zunahm, auf den ersten Blick das breite Bärenwirthshaus auf dem Platze. Davor stand auch richtig sein Kogelwagen. Der Kutscher hatte bereits wieder eingespannt; auf die Heimfahrt bedacht, mochte er seinen Passagier schon mit Ungeduld erwartet haben. Endlich musste ja doch das Trinkgeld zum Vorschein kommen, auf dessen Höhe sich die durstige Kehle schon so viel zu Gute gethan. Aber der Baron that nichts dergleichen und machte auch nicht Miene, das gastliche Haus zu betreten. Vielmehr wendete er sich mit der Frage an den Rosselenker:

– Die Haberwirthin hat gewiss auch Gastzimmer?

– Das wollt' ich meinen, antwortete der Gefragte, noch unklar darüber, wo das hinauswolle; es kehren im Sommer und Winter bei ihr Herrschaften ein. Sie hält auf Ordnung und Reinlichkeit, das muss man der Haberwirthin lassen. Bei ihr ist der Stubenboden so sauber als anderswo der Tisch; es ist eine Freud', man könnt' einen Strudelteig darauf ausziehen.

– Also fahren wir zur Haberwirthin zurück, entschied der Baron.

Der Kutscher blickte überrascht auf und griff sich verlegen hinter's Ohr:

– Ja – aber –

– Du hast schon einen andern Passagier, willst du mir sagen.

– Ja wissen's, Herr Baron, verzeihen's, ich hab' halt nicht gewusst, dass Sie mit mir zurückfahren; und da hab' ich mir gedacht, eh' ich leer heimfahre –

– Nimmst du selbst mit einem blinden Passagier vorlieb. Nun, der Wagen hat für Zwei und mehr Platz.

Inzwischen war der blinde Passagier aus der Wirthsstube getreten und der Baron erkannte in ihm den Burschen, der die schöne Pförtnerin geküsst, den glücklichen Liebhaber vom Kreuzbühel. Der alte Herr schien wenig erfreut über dieses Zusammentreffen. Es regte sich in ihm etwas wie Unwillen, um nicht zu sagen Neid gegen den jungen Menschen, obgleich dessen frisches, offenes Gesicht geeignet war, auf jeden Unbefangenen einen günstigen Eindruck auszuüben.

Der Kutscher hatte seinem jüngeren Fahrgast rasch ein paar Worte über die veränderte Lage zugeflüstert und dieser entschuldigte sich dem Alten gegenüber, der eben den Fuss aufs Trittbrett setzte, mit den Worten:

– Ich will mich keineswegs aufdrängen, Herr Baron. Ich hielt die Kutsche für leer. Sonst machte ich mir wenig aus dem Stückchen Weg, aber heute hab' ich meinen Kräften etwas zu viel zugemuthet. Uebrigens werde ich Sie nur bis zur Haberwirthin belästigen.

– Da haben wir ja einerlei Ziel, erwiederte der Baron, eher mürrisch als einladend; bedeutete seinem Gefährten aber doch, mit einzusteigen.

Dieser schwang sich zum Kutscher auf den Bock und sagte:

– Ich danke, Herr Baron; Jeder auf seinen Platz! Sie fänden an mir nur einen schläfrigen Gesellen. Hier oben hab' ich die kühle Nachtluft aus erster Hand, und diese wird mich munter erhalten.

Röder hielt eine Antwort für überflüssig.

Der junge Mann kam ihm durchaus nicht schläfrig vor, eher schneidig und etwas vorlaut. Gleichwohl konnte er ihm nicht mehr gleichgiltig sein. Droben koste er mit dem herrlichen Mädchen, dessen vorwurfsvolles Bild der alte Herr noch immer vor Augen zu haben glaubte, und hier fand er sich zu ihm als ungebetener Begleiter zur Haberwirthin. Er ist die dritte Gestalt, die ihn heute innerhalb weniger Stunden aus stolzer Ruhe aufgeschreckt hat. Verknüpft ein gemeinsames Band alle Drei, und welches?

Der Baron sucht sich die Züge der Wirthin zu vergegenwärtigen, aber vergeblich; er hat sie zu flüchtig betrachtet. Wie zur Beruhigung sagt er sich, wenn etwas für ihn Bedeutsames in ihrem Gesichte läge, so müsst' es ihm aufgefallen sein, so müsst' er es bemerkt haben. Doch andererseits, wie war's nur möglich, dass sie ihn auf den ersten Blick erkannte? Ein so altes treues Gedächtniss lässt auf eine tiefere Wurzel schliessen.

So wühlte Röder, um Eins aus dem Andern zu erklären, immer tiefer in Erinnerungen und Möglichkeiten. Er verharrte, in sich gekehrt, in der dunkelsten Ecke des Wagens, wie sehr auch die Pracht einer spätsommerlichen Mondnacht den Blick über die schimmernden Gefilde lockte. Die heimatliche Erde, welche ihm schon am hellen Tage zum Willkomm so viele mahnende Gesichte zugedacht hatte, konnte sich im Bunde mit der Nacht für ihn nur noch fruchtbarer und unheimlicher erweisen. An dem Försterhaus vorüber drückte er die Augen fester zu, ohne aber verhindern zu können, dass der zuvor gewonnene Eindruck und die durch ihn geweckten Erinnerungen nach innen sich kehrten, tief in seine Vergangenheit nachleuchtend.

Als die Kutsche hielt, trat die Haberwirthin in die Thür. Das Gespann erkennend, eilte sie, von jäher Ahnung getrieben, an den Wagenschlag, noch ehe der Kutscher hinter dem etwas taumeligen Fritz vom Hochsitz herunter war. Ihr Geist erwog bereits ganz andere Schritte und Wirkungen, während sie in geläufigem Tone den Angekommenen mit den Worten auszeichnete:

– Wie, Herr Baron, Sie wollen bei der Haberwirthin einkehren? Wo soll sie denn das hinschreiben? Es ist eine Ewigkeit her, und ich glaubte, dass Sie uns Kreuzbühler längst vergessen hätten. Aber wenn auch spät, die Heimat kommt halt doch zu Ehren.

– In der That, erwiederte Röder, bemüht, den redseligen Empfang abzukürzen, möcht' ich Sie, Frau Wirthin, um ein Gastzimmer bitten.

– Und ich möcht' mir das ganze Kreuzbühler Schloss herwünschen. Der Herr von Vogelstein kommt erst morgen aus der Stadt; hätten Sie ihn getroffen, Sie wären sicher nicht sobald wieder abgekommen und ich hätte das Nachsehen gehabt. Freilich werden Sie bei mir mit dem guten Willen vorlieb nehmen müssen.

Während sie so sprach, langte sie Ueberrock, Schirm und Tasche aus dem Wagen, nahm der Kellnerin, welche herbeigerannt war, das Licht ab, leuchtete dem alten Herrn die Stiege hinauf, indem sie dem jüngeren Gaste nur ein freundliches: »Guten Abend, Fritz!« zurief, schloss das vornehmste und blankeste Gemach auf und schickte sich an, es vollends aufzuräumen. Sie liess die Rouleaux herab, versorgte den Waschtisch, überzog das Bett mit den blendendsten Linnen, und that das Alles so geräuschlos und flink, dass man ihr die Jahre unmöglich ansah.

Röder betrachtete sie aufmerksam; keine Miene, keine Bewegung liess er sich entgehen; gleichwohl blieb ihm ihr Gesicht, ihre Erscheinung, ihr ganzes Wesen völlig fremd; weder Auge noch Stimme weckte irgend welche eingesargte Erinnerung.

– Und wollen Sie zu Abend essen, Herr Baron? fragte die emsige Wirthin, eh' sie das Zimmer verliess. Ich habe Alles frisch für die zwei Feiertage.

In der That mochte der alte Herr seinem Magen keine längere Busse zumuthen. Er bestellte eine lautere Brühe, die er sieh mit Liebig'schem Extract zu verstärken gedachte, ein weiches Beefsteak und ein Glas Rothwein. Zwar war der heutige im Hinblick auf das morgige Fest ein Fasttag, aber für Diejenigen, deren Magen nicht von Jugend auf katholisch geschult ist, versteht sich die Kirche gern zu Indulgenzen.

Als die Wirthin die Stiege herabkam, sah sie den blinden Passagier am Gasttisch in der Hausflur sitzen. Er hatte die Arme aufgestemmt und hielt mit den flachen Händen sein müdes Haupt. Gleichwohl sprang er auf, als er die alte Frau an ihren Tritten erkannte, reichte ihr beide Hände dar und sagte zugleich herzlich und entschlossen:

– Mutter, ich bin gekommen, Ernst zu machen. Aber heut' kein Wort mehr darüber, ich bin zu müde. Bis zur Feierstunde hab' ich rüstig geschafft, darauf hielt mich Auszahlung und Verrechnung hin und dann erst konnt' ich mich auf den Weg machen. Ich bin über's Gebirg gekommen, ich weiss nicht wie – und selbstverständlich noch viel schneller auf den Kreuzbühel. Dafür haben wir uns aber auch so herzhaft geküsst wie noch nie. Ihr hab' ich noch nichts Gewisses gesagt, ich wollt' erst Eurer Billigung gewiss sein. Im Markt überfiel mich plötzlich eine solche Mattigkeit, dass ich nicht wüsste, wie ich herausgekommen wäre, wenn mich nicht der Wagen des alten Herrn aufgenommen hätte.

– Das hat sich freilich sonderbar gefügt, recht sonderbar, erwiederte die Wirthin, mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, fügte aber, sich rasch besinnend, hinzu: Immer über Macht! Ich wünsch' es nicht, aber Ihr werdet noch Lehrgeld bezahlen müssen. Jetzt kommt mit in die Küche und wählt Euch ein gutes Stück.

– Keinen Bissen, Frau Mutter! Ich müsste darüber einschlafen. Ein Bett ist Alles, was ich wünsche, und wenn das kleine Stübchen frei ist ...

– So geht in Gottes Namen! Aber dass Ihr mir ja morgen und übermorgen dableibt ... hört Ihr, Fritz?

Der Angerufene hörte nicht mehr. Er kannte den Hausbrauch und schlief nach wenigen Minuten so gut, als wäre es im Elternhaus.

Die Wirthin eilte in die Küche und stand bald am flammenden Herd. Einem so unerwarteten, oder richtiger vielleicht, einem so lange und sehnlichst erwarteten Gaste wollte sie selbst kochen. Der Gluthauch verklärte ihr sinnendes Gesicht. Es war kein harter Zug in demselben zu entdecken. Einstige grosse Schönheit mochten hier die Jahre ins Ehrwürdige, echt Mütterliche umgestaltet haben. Das braune Auge blickte mild und ruhig. Der Mund hatte wohl niemals viel gelacht, aber noch weniger sich je vor Leidenschaft verzerrt. Hinter dieser Stirn durfte man andere als bloss die Gedanken einer Bäuerin vermuthen. Die Sanftmuth, welche über das ganze Antlitz ausgegossen war, hatte etwas Rührendes und zum Mitleid Bewegendes, aber ohne dass es Einen zu der Frage berechtigte, ob hier auch wirklich Mitleid am Platze sei. Wenn an diesen Zügen ein leiser, unausgesprochener Schmerz einigen Antheil hatte, so verlieh er ihnen doch nur Adel und Würde.

»Es ist eine augenscheinliche Fügung Gottes!« bestätigte sich die gute Frau wiederholt, die stillere Folge ihrer Gedanken unterbrechend. »Aber nun er endlich da ist, bin ich rathloser als je. Wie oft hab' ich es mir zurecht gelegt, und ich meinte, ich würde es wie eine Schulaufgabe aufsagen können. Ja, wenn mein Herz so muthig wäre, als es sich's eingeredet hat! Aber man kann auch nicht mit der Thür ins Haus fallen, und wenn nicht er selbst drauf eingeht, so ist alle Müh' umsonst. Mich kennt er nicht, oder will mich nicht erkennen ... Freilich, er braucht nur zu sagen: Ich bin nicht der, für welchen Sie mich halten, Frau Wirthin – und ich muss schweigen. Meine Sach' ist's auch nicht, was mir auf der Zunge brennt. Mein Gott, sie kam mir nie so kindisch und verrückt vor wie eben heute, da es mich im Grund genommen doch nur eine gleichgiltige Frage kostet. Wenn Eins zu sorgen und zu schaffen hat, Mutter und Grossmutter, alt und hinfällig wird – wie ist's möglich, dass man noch immer an einem Gedanken, an einem Bilde, einem Klange aus der Jugendzeit festhält?« Und die würdige Frau seufzte, und die Flamme reckte sich und lugte ihr neugierig in die Augen.

»Nein, nein, Gott weiss es!« fuhr sie in ihrem Selbstgespräche fort. »Nicht meine Sache soll mir den Mund öffnen. Aber wie die arme Rosel gelitten und geschwiegen, das muss heraus, und sollt' es ihm am alten Herzen nagen. Das bin ich dir, unglückliche Freundin, schuldig, obwohl schon zweimal Gras darüber gewachsen. Mich kennt er nicht, gleichviel! Aber er soll in ein Engelsgesichtchen schauen, und wenn er auch das nicht kennt, nun, so sind meine Augen blind, oder er hat kein Herz.

Und die Haberwirthin rief die Kellnerin und sagte zu ihr eifrig:

– Hol' mir den kleinen Michel. Er soll die Schuh' anziehen und den Hut aufsetzen für einen Botengang.

Michel, der im Stall zu einem richtigen Pferdeknecht heranreifte, erschien vor der alten Frau, und diese schickte ihn auf den Kreuzbühel mit den Worten:

– Nimm dich zusammen, Michel; geh' zur Teichhüter-Rosel hinauf und sag' ihr: Einen schönen Gruss von der Frau Godl und sie brauchet eine Ueberhilf' für die zwei Feiertag', und die Rosel möchte ja morgen zeitlich in der Frühe herabkommen. Weisst, links vom Thurm bei dem kleinen Fenster klopfst du an, und in anderthalb Stunden kannst wieder zurück sein, hast ja junge Füss'! Verstanden? Und jetzt mach schnell.

Sie selbst, die Haberwirthin, wollte dem Baron auftragen. Sie band sich daher eine frische Schürze vor und setzte ein weisses Häubchen auf. Die Haare, welche dasselbe unbedeckt liess, waren kaum minder weiss als das mit Spitzen besetzte Linnen. Der Gang kam ihr schwer an. Sie hatte ihre eigene Angelegenheit zurückgedrängt und wollte lediglich, eine edle Rächerin, vom Verrath an ihrer Freundin sprechen. Sie erwartete nicht, dem Baron leicht beikommen zu können, setzte bei ihm vielmehr ein harthöriges Gemüth voraus. Dass er seit einigen Stunden selbst schon die Beute folternder Ahnungen und Zweifel geworden, wusste sie nicht. Wohl versprach sie sich viel vom Erscheinen der Teichhüter-Rosel, aber wenn sich schon heute die Gelegenheit zu einem eindringlichen Worte bieten sollte, so wollte sie dieselbe nicht unbenützt vorübergehen lassen.

Mit einem freundlichen Abendgrusse trat sie ein und deckte den Tisch. Sie fühlte, dass das Auge des alten Herrn, der sich auf den Armstuhl niedergelassen und das schwarze Sammtkäppchen auf seinen kahlen Scheitel gedrückt hatte, auf ihr ruhte, aber sie vermied es, mit ihrem Auge seinem forschenden Blicke zu begegnen. Sie hatte ihm beim Empfange genug vorgegeben und wollte nun sehen, ob er absichtlich zurückhalte.

Aber als die schmackhafte Brühe vor ihm dampfte, hob der Baron selbst an und sprach:

– Sie glauben mich also zu erkennen, Frau Haberwirthin?

– O, Herr Baron Röder, antwortete diese, wer auch nur einmal ihren gestrengen Herrn Vater gesehen, wird in Ihnen seinen Sohn erkennen. Hiess es damals doch allgemein: Junker Friedrich ähnelt dem gestrengen Herrn Baron am meisten, ist ihm wie aus den Augen geschnitten.

– So kannten sie also auch meine Eltern und Geschwister? – Gott hab' sie selig.

– Der gnädigen Frau Baronin, Ihrer seligen Mutter, verdank' ich ja Alles, was ich bin und habe. Sie hat mich, ein kleines Ding, ins Schloss genommen und in die Küche gestellt zum Esszeugputzen. Sie hat Mitleid gehabt mit dem armen unwissenden Geschöpf und liess mich lesen und schreiben lernen, nähen und mit der feinen Wäsche umgehen. Willig war ich, das ist wahr, und ich habe mich im Salon ebenso fleissig umgesehen wie in der Küche und hab' auch der Mamsell Jeannette Manches abgemerkt. Und als die Mamsell in Ungnade fiel und Knall und Fall das Schloss verlassen musste, hat mich die Frau Baronin zu ihrer Kammerjungfer gemacht, sowie auch etliche Jahre später als Gesellschafterin in die Stadt und auf Reisen mitgenommen. Das Alles geschah aber erst, als sie, Herr Baron, schon von Kreuzbühel fort waren, als Jahr um Jahr verging, ohne dass Sie wiederkehrten. So lange Sie als junger Herr zu Hause waren, hiess ich die kleine Liesel, die brave Liesel, die schlimme Liesel, je nachdem ich gute oder böse Tage hatte.

– So so, erwiederte der Baron, welcher von der Erzählung der Wirthin umsomehr befriedigt schien, je mehr dieselbe von der befürchteten Richtung abwich; es ist sehr schön, dass Sie meiner Mutter einen so warmen Dank zollen, sie war eine gute Frau.

– Und hat Sie sehr geliebt und viel um Sie geweint und Sie immer gegenüber dem strengen Herrn Vater in Schutz genommen. Und wie gar Manches hat sie still für sich im Herzen getragen! O, sie war gut und nachsichtig! Nichts konnte ihr entgehen, das Verborgenste hat sie geahnt, und doch hat sie häufiger verziehen als gerügt.

Die alte Frau sprach diese Worte mit Eifer und Nachdruck und legte manche absichtliche Beziehung hinein. Unangenehm berührt presste Röder auch die Lippen zusammen und schloss die Augen. Er konnte die Andeutungen so auslegen, als gälten sie ihm persönlich, oder mochte sie als allgemeine Bemerkungen hinnehmen. Er durfte sich ungehalten zeigen über den familiären Ton, den die Wirthin anschlug, konnte aber auch das vermeintliche Uebermass ihrem anhänglichen Gemüth oder ihrer Einfalt zu Gute halten. Ins Mark fühlte er sich nicht getroffen, daher zog er vor, sich schweigend und ablehnend zu verhalten, indem er sich über seinen Teller beugte.

Aber die Wirthin liess sich dadurch keineswegs zum Rückzug bewegen, sondern begann von Neuem:

– Meiner können Sie sich wirklich gar nicht erinnern, Herr Baron?

– Wenn Sie mir etwas mehr auf die Spur helfen, vielleicht ... mir ist im Leben viel durch den Kopf gegangen, er ist alt geworden – antwortete Röder mit einem mitleidigen Lächeln.

– Und meiner ist nicht jung geblieben; aber wenn ich den Kreuzbühel besser im Gedächtnisse habe, so darf Sie das nicht wundern, ich bin ja zeitlebens nicht weit von ihm fortgekommen. Ich könnte Ihnen wohl hundert Stücklein erzählen, lustige und traurige, und ich dächte, wir könnten zur Stunde von nichts Besserem plaudern. Gewiss will ich Sie auf die Spur bringen, und müsst' ich Sie auch Bienenstichen aussetzen.

Nach einer Pause fuhr die Wirthin fort:

– Sie hatten noch Ihren Hofmeister, den guten Candidaten Müller, Junker Wilhelm sollte aber mit Nächstem auf die hohe Schule kommen. Die Schweizer Bonne war bei der herzigen Adolphine, Jeannette, galt noch Alles bei der gnädigen Frau Baronin und mit dem alten John durften Sie täglich eine Stunde im Park reiten. Den feurigen Fuchsen bekamen Sie erst später und dann gings freilich in den Markt hinab oder zum Försterhaus hinüber. Den grossen zottigen Sultel durften die kleinen Herrschaften nur in den Hof oder in den Baumgarten mitnehmen, weil er mit seinen tollen Sprüngen in den Blumenbeeten argen Schaden angerichtet hatte. Ich hiess noch die kleine Liesel und war bei allen Spielen. Doch zur Geschichte. Einmal war der brummige Gärtner mit allerlei Geräth bei den Bienenstöcken. Er zog sich über den Kopf einen schmutzigen Sack, welcher am untern Ende den Kranz von einem Sieb und statt des Siebes selbst eine runde Glastafel hatte. Es sah schrecklich und spassig aus, wie er mit diesem Einen grossen Glasauge herumglotzte. Dann zwängte er den Bienenstock auf und entfernte eine Wand, so dass die honigtriefenden Waben sichtbar wurden. Aber die armen Thierlein liessen sich diesen zerstörenden Eingriff nicht ruhig gefallen; sie kamen dunkel geschaart aus den Zellen und hinter den Wänden ihres Baues hervor und irrten rathlos und hilflos an den Bruchflächen des äussern Gehäuses auf und nieder. Und wie zur Abwehr schwirrten sie in einer surrenden Wolke auf ihren Feind los, konnten aber dem Glotzauge nichts anhaben. Nur etwas hinderlich waren sie ihm bei seinem Raube. Daher langte er nach einem kleinen Blasebalg, füllte ihn aus einer Glutpfanne mit garstigem Rauch und entlud diesen auf das verstörte Völklein, um es von seinen frevelhaften Händen, welche Wabe um Wabe herausbrachen, zu verscheuchen. Wir Kinder kamen neugierig nah und näher. Zwar warnte und greinte der unfreundliche Mann, aber was er sagte, verstanden wir nicht; es klang so dumpf aus dem Sacke hervor. Plötzlich schrie die kleine Prinzess laut auf; die Bienlein wussten nicht, was sie thaten, da sie an dem artigen Kind ihre Wuth ausliessen. Ich wollte zu Hilfe eilen und wehrte mit dem Fürtuch, bekam aber bald so viel Stiche, dass mir vor Schmerz und Weinen Hören und Sehen verging. Sie, Herr Baron, kriegten auch Ihren Theil, gestehen Sie es nur. Mit Stolz durften Sie freilich Ihre Beulen nicht zur Schau tragen, denn Sie hätten bereits wissen sollen, dass die Bienen einen Stachel führen. Adolphinchen wurde von der nachlässigen Bonne aus der gefährlichen Nachbarschaft der Bienenstöcke gerettet, Sie liefen wohl aus eigenem Antrieb davon, ich aber, die Meistbetheiligte, wusste nicht, wo aus, wo ein und wälzte mich vor Schmerz auf dem Rasen. Da kam der gute Herr Müller mit einem nassen Tuch, legte mir dasselbe aufs Gesicht, nahm mich in seine Arme und redete mir freundlich zu. Und von da an hatte er mich immer mehr lieb und nährte mich von seinem Geiste; er war's, der mich lesen und schreiben lehrte und mir Bücher gab – natürlich mit Erlaubniss der gnädigen Frau Baronin. Zudem waren wir Beide aus demselben Orte. Nun, wissen Sie auch von dieser Geschichte nichts mehr? War's nicht so?

– Ganz gewiss, erwiederte Baron Röder launig; ich erinnere mich, dass die kleine Liesel damals ein rothes Kopftüchlein trug und dass wir sie desshalb Rothkäppchen nannten.

– Was ich wohl hörte, aber nicht verstand.

– Dafür ist aber Kleinlieschen mittlerweile recht klug und beredt geworden.

Auf diesen Ton ging die Haberwirthin nicht ein. Dagegen sollt' es wie eine zufällig hingeworfene Frage klingen, als sie sprach: »Was wohl aus Herrn Müller geworden sein mag?«

Sie sprach es schüchtern. Es war fast mehr ein leise hingehauchter Seufzer. Und wie ein Mädchen erröthend, horchte sie, welche Aufnahme das unwiderrufliche Wort finden würde. Dass mit demselben das ein Menschenalter hindurch keusch gehütete Geheimniss den Weg über die Lippen gefunden, gewahrte sie erschreckend.

– Vom guten Müller kann ich Ihnen Manches erzählen, entgegnete Köder. Aber zuvor müssen Sie sich setzen, das Alter steckt uns Beiden schon in den Beinen. Auch muss ich etwas weiter ausholen. Ich bin Ihnen Revanche schuldig für Ihre hübsche Jugenderinnerung, aber Sie haben mir die Aufgabe schwer gemacht.

Der Einladung, sich niederzusetzen, folgte die alte Frau gern, denn sie erhielt sich kaum noch aufrecht, so pochte ihr das Herz, banger Erwartung voll.

Röder war über die Wendung, welche das Gespräch genommen, so erfreut, dass ihm die sichtliche Befangenheit an seinem Gegenüber entging. Begreiflich; er hatte peinliche Enthüllungen befürchtet, kam aber bisher nicht nur heil davon, sondern fühlte sich überdies noch auf Augenblicke in seine harmlosesten und glücklichsten Lebensjahre zurückversetzt. Dass sich das Rothkäppchen etwas ungebührlich vorgedrängt hatte, war er der allgemein menschlichen, insonderheit weiblichen Eitelkeit zu verzeihen geneigt. Was konnte und sollte die gute Alte noch im Hinterhalt haben, wenn sie die Aufmerksamkeit nun auf einen völlig unbetheiligten Dritten lenkte? Begraben und vergeben! Und der Baron begann zugleich salbungsvoll und heiter:

– Ich habe in meinem Leben Mancherlei unternommen; dem einen Werk schenkte Gott Gedeihen, das andere missglückte. Aber gerade dort, wo ich scheinbar unterlag, lernte ich oft erst recht das Eingreifen der Gnade bewundern und verehren. Ich zog als Sportmensch nach Afrika, wollte Löwen und Tiger jagen, kam anstatt dessen aber in die Lage, viele schwarze verlorene Menschenkinder mit dem Namen Christi bekannt zu machen; freilich entging mir dafür die stolze Jagdbeute.

Mich dauerten die armen Auswanderer nach Amerika; ich wollte Fürsorge treffen, dass sie auf ihrem Wege zu Wasser und zu Lande nicht beutegierigen Agenten in die Hände fielen. Dabei hatte ich keine andere, als eben nur eine menschenfreundliche Absicht. Aber die Gnade adelte mein Unternehmen; ihr unwürdiges Werkzeug, gründete ich drüben christliche Colonien, richtete das erste Kreuz auf und baute Kirchen in Gegenden, die nie zuvor eines Europäers Fuss betreten. Dass ich dabei mein Vermögen verlor, ist vielleicht meine Schuld; was aber an dem Werke Bestand hat, ist nicht mein Verdienst. Während mich diese amerikanische Angelegenheit beschäftigte, legte ich den Weg hinüber und herüber mehrmals zurück. So hatt' ich mich eben wieder in München zum Aufbruche gerüstet, als mich Müller aufsuchte. Wir hatten uns seit meinen Universitätsjahren nicht mehr gesehen. Nun überzeugte ich mich aber auf den ersten Blick, dass er keineswegs in glänzenden Verhältnissen lebte. Ich hatte Eile und fragte ihn daher ohne viele Umstände, ob er nicht Lust hätte, mitzukommen. »In welcher Eigenschaft?« erwiederte er gespannt. Ich antwortete darauf: »Als Schulmeister für den Anfang und als Regenschori unserer künftigen Kathedrale.« In einer Stunde waren wir einig und in wenigen Tagen auf der hohen See. Ein Clavier und Stösse Notenpapiers hatte er sich zur Bedingung gemacht. Als er drüben unsere Blockhäuser erblickte und ein solches als Wohn- und Schulhaus angewiesen bekam, sah er allerdings etwas verdutzt drein. Aber er fügte sich wie wir Alle in die neuen, hoffnungsvollen Verhältnisse. Er war eifrig, war wohlgelitten, hatte auch bald eine kleine Musikbande beisammen. Nur seine zunehmende Zerstreutheit machte uns besorgt; wenn er am Clavier oder über seinen Noten sass, vergass er sich und die Welt, Blockhäuser, Prairien und Urwald. So vergass er auch aufs Heiraten, und doch hatten wir in unserer Gemeinde einige frische Mädchen, und jeder neue Hausstand war ein Gewinn für uns Alle. Da musste eine kleine List nachhelfen. Die Einweihung unserer ersten Kirche war ein grosses Fest, zu welchem unsere ganze weitausgedehnte Colonie mit Kind und Kegel herbeieilte. Diese Gelegenheit und Feststimmung benutzten wir, um den schüchternen Müller in den Kreis der blühendsten Mädchen zu bannen. Freunde liessen es weder hüben noch drüben an ermutigenden Worten fehlen, und so geschah das Unglaubliche, dass Miss Flora und Master Müller den Kreis als Verlobte verliessen. Nach etlichen Wochen sollte die Hochzeit gefeiert werden. Die Braut, die Brautjungfrauen, die Eltern, die Gäste – Alles war im Store versammelt, im Feststaat, der, obgleich schon etwas verblichen, noch europäischen Ursprungs war. Von da aus sollte der Gang in die Kirche angetreten werden. Wer aber säumig ist, das ist die eine der beiden wichtigsten Personen, der Bräutigam. Man wartet eine, zwei Stunden, und Miss Flora wechselt schon alle Farben. Endlich entschliessen sich zwei Wohlwollende, ins Schulhaus zu gehen. Richtig finden sie da den guten Müller über seinen Noten. »Aber, Master, liebster Master, haben Sie denn völlig den Kopf verloren? Ueber zwei Stunden bereits wartet der Brautzug?« greinen die Freunde. »Brautzug? Ja so; nun, wer heiratet denn heute?« entgegnet Müller mit der gutmüthigsten Unwissenheit und sucht eifrig nach seinem Lieblings-Instrument, um sich mit ihm wie gewöhnlich an die Spitze der hinterwäldlerischen Musici zu stellen. Da reisst den beiden Männern die Geduld. »Unseliger, Verrückter, Narr!« poltern sie; »Miss Flora vergeht vor Zorn und Scham, und der Bräutigam fragt noch, wer hochzeitet! Ist so etwas je erhört worden?« Master Müller's Lächeln entwaffnete die zürnenden Freunde. Sie ziehen ihm den verschossenen Frack an, rücken ihm die Cravatte zurecht, nehmen ihn in die Mitte und führen ihn wie im Triumphe vor die erröthende Braut. Eben beginnt er: »Miss Flora verzeihen ...« zu stottern, da dreht ihm diese stolz den Rücken und – aus der Heirat wurde nichts. Wer sich am leichtesten darüber tröstete, das war unser Müller. Er wird wohl auch später nicht geheiratet haben. Ob er noch lebt? Ich habe nichts mehr von ihm gehört, seit ich von Amerika fort bin. Jedenfalls war er drüben gut aufgehoben.

Tief und schmerzlich bewegt rief die Haberwirthin aus: »O mein Gott! In Amerika verdorben und gestorben!«

Ihr waren schon vor einer Weile Thränen in die Augen getreten, die jetzt unaufgehalten über die bleichen Wangen liefen. In das Fürtuch, welches sie trocknen sollte, schluchzte sie laut.

Röder war überrascht von der Wirkung seiner Heiratsgeschichte. Er griff nach der Brille, welche er während der Erzählung abgelegt hatte, um in den Zügen des Matronengesichtes lesen zu können. Es war nicht seine Absicht gewesen, sich über Müller lustig zu machen; dass ihn seine Laune zu einer übertriebenen Darstellung verführt hatte, bemerkte er zu spät. Beschwichtigend sagte er: »Liebe Frau, dass Müller an mir einen dankbaren Schüler und Freund hatte, brauch' ich wohl nicht erst zu sagen. So viel an mir lag, liess ich überhaupt Keinen zu Schaden kommen, der mit mir seine alte Heimat für Amerika vertauschte. Müller's Schwächen waren durchwegs liebenswürdiger Natur; sie haben ihm manchen schlimmen Streich gespielt, gegen welchen die verwirkte Braut harmlos erscheint. Und harmlos wollt' ich die Geschichte auch erzählt haben. Dass sie an seinem Geschicke so tiefen und herzlichen Antheil nehmen, konnte ich nicht voraussetzen. Ich ehre Ihre Gefühle.

– Und ich schäme mich ihrer nicht, antwortete die würdige Frau, indem sie klar und ruhig aus ihren noch feuchten Augen blickte. Obwohl ich ihm nichts war und nichts sein konnte, obwohl mich nur ein mitleidiger Strahl seines Geistes traf und seines Herzens Güte mich nicht mehr und nicht weniger als so viele Andere beglückte, begleitete mich sein Bild doch mein ganzes Leben lang, hielt ich sein Andenken hoch und flüchteten meine Gedanken oft zu ihm in einsamen Stunden.

Ich war kaum siebzehn Jahre alt, als er mit Ihnen Kreuzbühel verliess; seither hab' ich ihn nicht wieder gesehen und nur selten von ihm gehört. Niemals kam er wieder des Weges, der in seine Heimat führt. Wie andere Mädchen mit unverstandenen Wünschen von Prinzen, von Rittern und Helden träumen mögen, so lebte er in meinen Mädchengedanken.

In meinen stolzesten Stunden wollte mich die Ahnung und Zuversicht beschleichen, als ob ich ihn hätte verstehen und beglücken können, als ob er an mir keine unnütze Freundin, kein unwürdiges Weib gefunden hätte. Als ich ein klein wenig in der Welt herumkam, wünschte ich ihm zu begegnen und bebte davor. Sie dürfen mir's glauben, dass es mich nicht eilte, unter die Haube zu kommen; als ich aber nach dem Tode Ihrer gnädigen Frau Mutter allein stand, kam der Pächter Habermann zu mir und sagte: »Ich weiss zwar, dass ich nicht der Rechte bin, aber der Rechte kommt trotz allem Verlangen und Warten oft auch gar nicht. Das Leben ist ernster, Fräulein, als sie jetzt noch ermessen können; ein treues Herz und thätige Hände sind nicht zu verachten.« Wie seine Werbung, so war auch der ganze Mann. Rechtschaffene Gatten können sich nicht auch zugleich bessere Freunde sein als wir uns waren. Wir hatten Glück bei unserem Sorgen und Schaffen, denn wir brachten es zur Selbständigkeit, und hatten Glück mit unseren Kindern. Die Tochter hat einen braven Mann im Nachbardorf, der ältere Sohn geniesst als Geschäftsmann Ansehen in der Stadt und der Jüngste bringt mir in etlichen Wochen vielleicht eine rüstige Schwiegertochter ins Haus. Und nun mögen Sie darüber lachen oder es Ihres Mitleids werth halten, den guten Müller hat die Haberwirthin trotz alledem nicht vergessen können; er ist ihr unvergesslich geblieben wie ihre Jugend. Wäre er in der ersten Zeit meiner Ehe gekommen, ich hätte mich vor ihm verborgen, hätte mich wie eines Abfalls vom Geiste geschämt. Dann kamen andere Jahre, in denen ich ihn oft mit dem Herzen herbeisehnte und mit den Lippen betete, dass er fern bleiben möchte. Seit dem Tode meines Mannes war es mein Wunsch, auch ihm einen letzten Liebesdienst erweisen zu können. Ich reihte ihn in Gedanken gern unter meine Kindern und Enkel, denn Alles, was eine Grossmutter noch lieb haben kann, muss von Kindern oder Enkeln Namen und Gestalt borgen.

Zu den letzten Worten hatte die alte Frau wehmüthig gelächelt. Nun erhob sie sich, keiner Antwort gewärtig. Nur an der Thür blickte sie noch einmal auf den Baron zurück und sagte, mehr wie einen Irrthum bedauernd als wie vorwurfsvoll:

– Unser armer Müller! Drüben bei den Blockhäusern war sein Platz nicht. Dort musste er aus Heimweh verkümmern.

Röder litt unter den erhaltenen Eindrücken und konnte sich unangemeldeter Gedanken nicht erwehren. Manches Wort, das die Wirthin gesprochen, war ihm brennend auf die Seele gefallen. Sie selbst schied an Geist, Charakter und Herzensadel eine andere, als sie gekommen war. Es war ihm mehr und mehr in ihrer Nähe unbehaglich geworden. Das Idealbild vollends einer reinen Jugendliebe, welche ein langes Leben der Pflicht und Arbeit hindurch erwärmend und verklärend nachgewirkt, musste ihn wieder und lebhafter an ein unseliges Gegenbild erinnern, an welches er heute schon wiederholt gemahnt worden und dessen Dunkel noch immer nicht aufgeklärt war.

Aber auch die Haberwirthin empfand ausser dem Schmerze, der ihr heilig galt, etwas, das wie Selbstvorwurf schmeckte. Konnte ich sein trauriges Schicksal, sagte sie sich, nicht noch früh genug erfahren? So hab' ich doch nur meine Sache im Auge gehabt und du, unglückliche Freundin, musstest zurückstehen! So denkt das Herz in seiner Selbstsucht doch immer nur an sich. –

Der nächste Morgen war, der Würde des Tages entsprechend, ein festliches Geschenk der Natur. Es wehte eine Frische, die jede Creatur mit neuer Daseinsfreude erfüllte. Wie eine Segnung und Weihe des Himmels lag schimmernder Thau auf Blatt und Halm. Die höchsten Schrofen erglühten bereits vom Strahlenhauch der jungen Sonne und die Riesen des Waldes schienen zu wachsen, um ihre Wipfel je bälder im goldenen Licht wiegen zu können. Wenn ja aus dichtem Waldesschoss eine graue Wolke aufgestiegen war, so beeilte sie sich, über den grünen Berghang sich emporzuspinnen und immer dünner, luftiger und freier im weiten Blau zu zerflattern.

Die Haberwirthin war aus der Küchenthür in den Garten getreten. Sie blickte mit ihrem sanften, ruhigen Gesicht in den Morgen, und so wie in diesem, so war auch in ihren Zügen nichts Trübes zu finden. Klarheit und Sicherheit bildeten ihr Wesen. Sie wollte nichts Anderes sein und scheinen als die Haberwirthin, und war dies zu voller Genüge und für das oberflächliche Auge auch nicht mehr. Nur wer sie still beobachtete und in den feineren Linien ihres Angesichts zu lesen verstand, mochte sich fragen: Wie kommt diese Frau auf diesen Platz und in das Kleid einer Bäuerin? Und hatte man sich einmal diese Frage gestellt, so war man auch fortan geneigt, nicht nur ihre ländliche Tracht, sondern auch ihr emsiges Thun und ihre Rede für eine Verkleidung zu nehmen. Dass sie selbst von jeher, wie Schaffenszeit und Nacht sich scheiden, strenge ihre Vergangenheit und die schöneren Erinnerungen von der Gegenwart und deren Pflichten unterschied und kein lähmendes Herüberspielen der ersteren in letztere gestattete, musste man wissen, um der wackeren Frau ganz gerecht werden zu können. Sie lebte ihr Seelenleben um so inniger und tiefer, da sie es auf die wenigen Stunden beschränken musste, in denen sie ihre thätigen Hände in den Schoss legen durfte. So gönnte sie sich auch jetzt kein schmerzlich-süsses Nachempfinden der ihr gestern gewordenen Mittheilungen. Der Morgen fand sie für den Tag gerüstet. Und ein Festtag ist für Wirthsleute immer ein doppelter Arbeitstag.

Gleichwohl lenkte die alte Frau keineswegs, wie etwa auf den Küchenbedarf bedacht, nach den Gemüsebeeten ihre Schritte, noch auch sah sie nach den Aesten empor, ob die allmählig schwellenden Früchte wohl auch schon Farbe bekämen. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Blumen- und Blüthenstande ihres Gartens. Noch pflückte sie nicht, schien aber vorläufig mit den prüfenden Augen einen Strauss zusammenzulesen.

Da grüsste sie von der Strasse her ein munteres:

– Guten Morgen, Prau Mutter!

Der Ruf kam von Fritz, welchen sein junges Blut schon vor einer Weile ins Freie, in die thauduftige Morgenfrische getrieben hatte. Er schien erfreut, die Wirthin im Garten und allein zu erblicken, und war im Nu um die Ecke herum, am Aussenpförtlein.

– Habt Ihr gut geschlafen? fragte die alte Frau, ihm ins frische Gesicht sehend, so dass ihr besorgter Blick alsbald in einen beruhigten überging.

– Dem besten Freunde könnt' ich keine süssere Erquickung wünschen; ich fühle alle Glieder wie mir neu geschenkt und möchte die Hände voll zu thun haben.

– Es hätte aber auch, verwies die Alte mütterlich, mit einer Lungenentzündung und hochgradigem Fieber ablaufen können. Solche Kraftstücke, wie eben gestern wieder, schicken sich nicht für einen angehenden Ehemann.

– Aber eben diesen Ehemann wollt' ich Euch gehorsamst je eher desto lieber vorstellen. Er hat eine neue Partie Arbeiter zugewiesen erhalten, ist im Verdienst vorgerückt, hat sich bereits einige Gulden zusammengespart und sieht seine Stellung auf Jahre hinaus gesichert; denn, ohne ihn loben zu wollen, der Bursch' ist gesund, ist anstellig und bringt etwas von der Hand. Und da er einen Schatz wie die Rosel hat, so will ihm das Warten nicht länger gefallen, fügte Fritz schlau lächelnd hinzu, und rieb sich vergnügt die Hände.

– Ja, spottete die alte Frau gutmüthig, und weil's vorne »Fertig« lautet, so fehlt nur noch das Trara, und der Zug kann abfahren; wer soll sich denn auch noch die Zeit nehmen, zu sehen, wie's rückwärts steht?

Der gute Bursch blickte fragend auf.

– Es ist mein vollkommener Ernst, fuhr die Haberwirthin fort. Ihr wollt abfahren, eh' Ihr sicher seid, dass die Rosel eingestiegen ist oder auch nur einsteigen kann. Bedenkt nur selber, lieber Fritz, die Rosel hat bisher mit ihrem Vater gelebt und ihm die kleine Wirthschaft geführt; was soll mit dem alten Teichhüter geschehen, wenn ihn sein einziges Kind verlässt? Eine junge Frau hat nichts nöthiger als einen Hausstand, Ihr aber draussen an der Trace führt ein zigeunerndes Leben, seid heute da, morgen dort. Je mehr der Mann aussen zu sein und zu schaffen hat, desto fester muss das Weib mit ihren kleinen Sorgen und Freuden an das Hauswesen gebunden sein; was soll aber Euer Weibchen in kahlen gemietheten Räumen zu ordnen, sich und Euch zur Lust und Ueberraschung zu scheuern, zu fegen und fertigen finden? Glaubt mir, kein Mädchen ist so blöd, dass es nicht sein eigenes Lärvchen herauszuputzen verstünde; aber ein Anderes ist, den Eheherrn zufriedenstellen, der oft schon die Geduld verliert, wenn ihm am Sonntagmorgen ein Knopf nicht recht sitzt. Die Rosel ist gewiss ein gutes Kind, ist willig und gelehrig, aber wenn ihr Fritz hoch hinaus will und es ihm am Ende auch geziemt, auf grösserem Fusse zu leben, wie soll es dann der armen Teichhüterstochter gelingen, sich in seine Verhältnisse zu schicken?

– Nein, nein, Frau Haberwirthin! rief Fritz dazwischen, der Anfangs etwas verdutzt dreingesehen; das geht Euch nicht von Herzen. Da müsstet Ihr mich und meine brave Rosel schlecht kennen. Ein trauliches Nestchen findet sich in Kirchdorf, auf halbem Wege die Strecke auf- und niederwärts. Dort ist unsers Bleibens ein Jahr und drüber. Wir beide sind thätig und genügsam. Jedes Stück Hausrath, das wir noch entbehren, giebt zu wünschen und zu sinnen, und jedes, das wir ins Haus schaffen, vermehrt die Freude an unserem Besitzstand. Mit Wenigem hauszuhalten, hat die Rosel bei ihrem Vater gelernt, und doch macht sich in der ganzen Gegend kein Mädchen so schmuck wie gerade sie, und der alte Teichhüter erscheint weniger vernachlässigt als manches reichen Bauers Vater im Ausgeding. Unsere Verhältnisse zu verbessern, soll unser rechtschaffenes Streben sein, und wenn es uns gelingt, so wachsen wir eben Beide; ja fast fürchte ich, dass bald sie mit ihrem klugen Köpfchen über mich hinaus sein wird.

Vom Eifer des ehrlichen Burschen angenehm berührt, versetzte die Wirthin schmunzelnd:

– Wer so muthig in die Ehe hineinspringen will, braucht allerdings auf fremden Rath nicht zu hören. Glückt's, so glückt's. Am allerwenigsten soll's von der Frau Godl heissen, dass sie dem Glück ihres Pathchens im Wege gestanden. Ich hätte zwar auch meine Gedanken gehabt ... ich selbst erwarte nämlich eine liebe Schwiegertochter, und diese bringt mir sicherlich gefüllte Kisten und Kasten ins Haus. Ich muss daher Platz machen in Küche und Keller, in Schrank und Schrein, und da fände sich wohl Mancherlei, was einem beginnenden Hauswesen zu statten käme. Und wenn ich mit Nächstem schon die neue Haberwirthin in die Wirthschaft einführen soll, so könnte gewiss auch noch ein Zweites mit offenen Augen mitlaufen. Und was soll überdies einer Braut willkommener sein, als die Ausstattung zu begucken, mit welcher soeben eine junge Frau ihren Einzug hält? Sie könnten sogar gute Freundinnen werden, meine Schwiegertochter und mein Pathchen, und unter gegenseitigem Wetteifer würden am besten die Handgriffe geübt, ohne welche es in jeder Wirthschaft hapert. Nun, was sagt der ungeduldige Fritz dazu?

– Dass Ihr ihn, der oben hinaus wollte, auf das Grossmüthigste beschämt.

– Nicht so, wehrte die Frau; die alte Haberwirthin will nur ein Bischen Mutterstelle vertreten bei der Rosel und ist dazu verpflichtet. Ich denk', es wird ihr Schaden nicht sein, wenn sie ein Paar Monate bei mir aushält. Und dann ist's wahrlich nicht überflüssig, dass ich mich bei Zeiten für den Hochzeitsschmaus recommandire; Ihr wäret wohl gar im Stande, dem goldenen Bären im Markt drin den Vorzug zu geben. Uebrigens kommt die Rosel heut hieher; ich habe sie bitten lassen. Thut nicht zu verliebt vor den Leuten; man hält's für keine gute Vorbedeutung, wenn ein Brautpaar vor aller Welt schnäbelt.

Während dieser Unterredung gingen die alte Frau und der junge Arbeiter zwischen den Gartenbeeten auf und nieder. Es bestand ein schönes und seltenes Verhältniss zwischen Beiden. Sie wendete ihm eine fast mütterliche Fürsorge zu, nicht bloss der Rosel wegen, sondern weil sie an seinem gesunden, offenen Wesen Gefallen fand und sein thatkräftiges Streben eher des Zaumes als des Ansporns für bedürftig erachtete. Er hinwieder hing mit kindlicher Verehrung an ihr, nicht allein um der Rosel willen, sondern weil ihr Wohlwollen ihn gerade an jener Seite des Gemüths zumeist traf und rührte, an welcher er sehr jung schon verwaist war, und weil ihr überlegener Geist, ihr ruhiges Urtheil ihm um so mehr Bewunderung einflössten, als er in ihr eben nur die Haberwirthin sah, zu welcher er in gesellschaftlicher Beziehung nicht emporzublicken brauchte. Ja, er war stolz auf die mütterliche Freundin, die doch auch ihr Lebtag gearbeitet hatte und trotzdem, oder besser eben deswegen, eine so herrliche Frau war. Dieses leuchtende Beispiel und Vorbild befestigte ihn in dem Glauben an eine Hebung und Veredlung des Standes, dem er mit warmem Herzen und klarem Kopf angehörte. Er besass eine tüchtige Schulbildung und hatte sich namentlich in den Realien umgesehen. Die Kernhaftigkeit seines Wesens bewahrte ihn vor dem Dünkel der Halbwisser und machte ihn vorsichtig gegenüber dem Lockköder von Schlagwörtern. Er liess sich nicht für Dinge erhitzen, die zu bestellen und zu vertreten Andere berufen waren, und wer ihm mit Verbesserungen kommen wollte, musste ihn dort aufsuchen, wo er zu Hause war, auf seinem kleinen Versuchsfelde, dem deutlich abgegrenzten Gebiet seiner Thätigkeit. Erfolg und Thatsachen bestimmten ihn und nur auf Probe verstand er sich zu Einrichtungen, die sich nicht schon anderswo unter ähnlichen Verhältnissen bewährt hatten. Ein Volksmann war in seinen Augen, wer dem Volke wohl wollte, mochte er nach Geburt und Rang auch in anderen Schichten heimisch sein; für einen schimpfwürdigen Abtrünnigen hielt er Denjenigen, der, aus dem Volke hervorgegangen, sich von demselben protzig abzuwenden den traurigen Muth hatte. Dagegen lächelte er über ererbte Titel und Vorzüge und betrachtete dieselben als nothdürftige Unterscheidungszeichen für Diejenigen, die sich nicht durch eigenes Verdienst bemerkbar zu machen vermögen. Sein Ehrgeiz reichte nicht weiter als die Tüchtigkeit, deren er sich bewusst war, und der Arbeiterkittel stand ihm gut, weil er demselben Ehre machte. Er war ein fröhlicher Arbeiter, kein finster-grollender Proletarier, und wo er gemeinnützigem Wirken begegnete, vergass er sogar den Arbeiter mit allen ihm eingeredeten neidischen Sonder-Interessen und fühlte sich als Staatsbürger und theilnehmenden Mitmenschen. Das sollte sich gleich auch diesen Morgen zeigen. Nachdem nämlich die Haberwirthin während der kostbaren Worte, die sie an Fritz richtete, ihren kleinen Blumengarten durchgemustert hatte, begann sie das, was noch in warmen, heiteren Farben blühte, zu einem Strauss zu vereinigen, und bemerkte leichthin, gegen Mittag werde Herr von Vogelstein, nach seinem Schloss auf dem Kreuzbühel fahrend, hier vorüberkommen, und da ihm die ganze Gegend so viel Gutes zu danken habe, so verdiene er sicher eine ehrende Aufmerksamkeit.

Diese Aeusserung fing der junge Arbeiter mit Lebhaftigkeit auf und sagte:

– Wenn dem so ist, dann, Frau Mutter, lasst mich machen. Fehlt es uns auch an Lorbeer, so haben wir doch Fichtenzweige und Eichenlaub zu einem anständigen Kranz. Ein Transparent ist am helllichten Tag überflüssig; dafür findet sich gewiss ein Bogen weisses Papier, darauf sich mit Tinte oder Zimmermannsröthel ein feierliches »Willkommen!« malen lässt. Es wird sich gut ausnehmen über der Hausthür. Und während Ihr die Blumen zum Wagen hinein reicht, hänge ich noch rasch rechts und links ein grünes Gewinde an die Wagenlaterne; so wird ein Triumphgespann daraus. Habt Ihr auch keine Deputation hinter Euch, so kann ich mir doch keine würdigere Wortführerin denken, und was für mich die Hauptsache ist, ich bekomme was zu thun.

Die alte Frau nickte zufrieden und mahnte nur noch:

– Nicht zu lärmend, guter Fritz! – während sie zu den Fenstern emporblickte, hinter welchen sie ihren Gast, den alten Baron, noch in tiefem Schlaf vermuthete.

Aber sie bemerkte, dass die Rouleaux bereits aufgezogen waren. Sie beeilte sich daher, mit der Plünderung ihres Blumengärtchens zu Ende zu kommen, um sodann dem Baron den Morgengruss zu bieten, ihn zu fragen, was er zum Frühstück verlange, und ihm auf eine schickliche Art beizubringen, dass die dem Herrn von Vogelstein zugedachte Ehre eine gar wohlverdiente sei. Denn sie fühlte, dass ohne vorgegangene Aufklärung die Auszeichnung, welche dem gegenwärtigen Besitzer des Kreuzbühels zu Theil werden sollte, den früheren Eigenthümer desselben, der ihr Haus betreten, kränken könnte.

Röder hatte sich früh vom Lager erhoben. Der herrliche Morgen, der zu den Fenstern hereinleuchtete, übte auch auf ihn eine Wirkung aus. Er kam sich neubegnadet vor und fühlte sich gestärkt. Der gestrigen Begegnungen gedachte er nur mehr wie eines beängstigenden Traums und gestand sich, dass das, was an diesem Traume Beunruhigendes war, lediglich in seiner eigenen Brust zu suchen sei.

War dies auch ein demüthigendes Selbstbekenntniss, so wappnete es ihn andererseits doch wieder mit der Zuversicht, dass die Welt der Erscheinungen ihm nichts mehr anhaben könne. Er sagte sich, wie ein jäher Witterungswechsel alte Narben schmerzen mache, so werde auch der Büsser zuweilen empfindlich an seine moralischen Wunden erinnert, aber nicht dazu, dass er verzage, sei er ja doch der Vergebung gewiss, sondern damit er in seinem heiligen Eifer nicht erlahme. Und das wollte Röder mit nichten. Die Anwandlung von Schwäche war überstanden; er war begeistert, kampfbereit, mehr als je. Er fasste den Entschluss, das Geschäft mit Herrn von Vogelstein schriftlich abzumachen, heute noch abzureisen, die wenigen Tage vor der grossen Parteiversammlung zu Vorarbeiten in der Bischofsstadt zu benutzen und so seiner flammenden Beredsamkeit in die Herzen der Lauen den Weg zu bahnen.

Das waren Röder's Morgengedanken; sie waren streitbarer Natur. Als aber die Glocke, erst einzeln und bald darauf zu zweit, vom nahen Dorf herüber erklang und zum Frühgottesdienst lud, stimmte er seine Seele zur Andacht. Warum er sich nicht auch selbst den Kirchengängern beigesellte? Vielleicht fürchtete er, dass seine auffallende Erscheinung die Dörfler in ihrer dem Altar gebührenden Aufmerksamkeit stören könnte, oder dass hinwieder sie ihn nur wenig erbauen würden. Vielleicht hielt er sich durch seine Reise und deren löblichen Zweck von der Pflicht des Kirchenbesuches befreit. Vielleicht durfte er sich in dieser Beziehung als krank und gebrechlich ansehen. Jedenfalls musste er wissen, wie weit die ihm gewährten Indulgenzen reichten. Genug, er verfolgte in pflichtgemässer Stimmung und Haltung, auf einem improvisirten Betschemmel knieend, aus einem schwarzen Buche lesend, auf seinem Zimmer die rituellen Theile der Messe in der Dorfkirche und rechnete, was die individuelle Zueignung des Werthes dieser Opferhandlung anbelangt, auf eine Wirkung in die Ferne.

Um seiner Andacht unbeirrt sich hingeben zu können, hatte Röder innen den Riegel vor die Thür geschoben. Die Wirthin erhielt auf wiederholtes Pochen erst Einlass, nachdem er das schwarze Buch geschlossen und das Sammtkäppchen auf seinen Scheitel gedrückt hatte. Sie fragte, was er zum Frühstück wünsche und was sie ihm als Mittagmahl vorsetzen dürfe, und meinte dann, falls er mit Herrn von Vogelstein zu sprechen haben sollte, böte sich heute in wenigen Stunden dazu eine günstige Gelegenheit, ohne dass er nöthig hätte, sich noch einmal auf den Kreuzbühel zu bemühen: Herr von Vogelstein komme nämlich aus der Hauptstadt und würde gern hier halten. Er sei ein guter Mann, schwatzte sie weiter, und in der ganzen Gegend beliebt. Erst neulich habe ihr Aeltester ihr aus der Stadt geschrieben, der Bezirk dürfe, da es jetzt zu einer neuen Wahl kommt, keinen Andern in die Kammer wählen als eben wieder ihn, denn er habe sich musterhaft gehalten und richte etwas aus bei der Regierung. Es sei auch schon an die zwanzig Jahre her, dass ihn der Marktflecken ohne Unterbrechung zum Bürgermeister habe; für die Zeit seiner Abwesenheit besolde er aus Eigenem einen Stellvertreter, aber ohne sein Wissen dürfe dennoch nichts Wichtiges geschehen. Und der Ort verdanke ihm viel, so das neue Schulgebäude, das freundliche Versorgungshaus, die hübschen Alleen und Spaziergänge, die allgemeine Einführung der Assecuranz und eine Feuerwehr, die er selbst geschult habe, aber nicht bloss zum Staatmachen. Er habe seinen Park vergrössert und für Jedermann geöffnet, und bei seinem Teichhüter bekomme man die billigsten Fische weit und breit ohne Zwischenhändler. Auch seine Frau Gemahlin habe ein gutes Herz; sie halte jahraus jahrein eine geschickte Mamsell mit der Verpflichtung, dass dieselbe, während die Herrschaft in der Stadt weilt, den Kindern des Ortes unentgeltlich im Nähen und Stricken und in den feineren Arbeiten Unterricht gebe, und zwar werde oben im Schlosse selbst Schule gehalten, da die Mamsell schon bei Jahren sei. Wer den Markt lange Jahre nicht gesehen, würde ihn kaum wieder erkennen, so habe er sich herausgeputzt; er werde auch mehr und mehr von Städtern besucht, die für einige Wochen im Sommer einen ruhigen ländlichen Aufenthalt den geschminkten Modenestern vorziehen. Die Rückkunft des Bürgermeisters werde im Markt immer als ein freudiges Ereigniss betrachtet; früher habe man ihm zu Ehren Triumphbogen errichtet und Böller abgeschossen, aber das hätte er sich ein- für allemal verbeten. Gleichwohl gebe es bei diesem Anlasse noch immer kleine Ueberraschungen, die, gut gemeint, auch gut aufgenommen würden. Sie selbst, die Haberwirthin, habe schon einen Blumenstrauss in Bereitschaft, aber Fritz, den der Herr Baron gestern so gütig habe aufsitzen lassen, glaube ein Uebriges thun zu müssen und wolle über der Hausthür einen grünen Kranz mit einem »Willkommen« in der Mitte anbringen, und in solchen Sachen sei er auch sehr geschickt.

– Um den Festtag zu schänden! brummte der Baron streng und ärgerlich, nachdem er bereits während der Lobrede mehr und mehr eine saure Miene gemacht hatte.

Die Wirthin erstaunte und blickte ihn gross an. Was sie gesagt hatte, war der Wahrheit gemäss und sollte überdies einer möglichen Kränkung vorbeugen. Nun aber sah sie das gerade Gegentheil bewirkt. Röder hatte ja niemals auf dem Kreuzbühel gehaust, wie konnte er das der gegenwärtigen Herrschaft gezollte Lob als einen versteckten und gegen ihn gerichteten Tadel ansehen? Gleich nach den ersten, mit ihm gewechselten Worten hatte sie seiner Mutter mit aller Verehrung und Dankbarkeit gedacht, wie sollte sie daher jetzt die Eifersucht des Sohnes geweckt haben? Sie gab ihrer Befremdung Ausdruck, indem sie sagte: Ja, ist es denn eine knechtliche Arbeit, wenn man guten Menschen eine Freude bereitet? Ich bin überzeugt, der Vater im Evangelium hätte selbst am Sabbath das Kalb schlachten lassen, wenn der verlorne Sohn gerade an diesem Tage in seine Arme zurückgekehrt wäre. Und die Sache leichter nehmend, fügte sie vertraulich hinzu: Ich hätte nicht gedacht, dass sich der »luthrische« Junker Friedrich jemals so tapfer unserer Feiertage annehmen würde.

– Aus Saulus hat die Gnade Gottes einen Paulus gemacht, antwortete Röder mit Pathos; und nachdem ich lange gesucht und gezweifelt, hat sich auch meiner irrenden Seele der liebe Gott erbarmt.

– Und uns, entgegnete die alte Frau, diesen Gegenstand ablehnend, hat der liebe Gott viel zu sorgen und zu schaffen gegeben, so dass uns wenig Zeit zum Grübeln und Zweifeln übrig blieb, und wir danken ihm dafür. – Nach kurzer Pause fuhr sie in geschäftlichem Tone fort: Also erlauben Sie, Herr Baron, dass ich Herrn von Vogelstein auf Ihre Anwesenheit aufmerksam mache?

Röder verneinte stumm, und die Haberwirthin verliess das Zimmer.

Inzwischen hatte Fritz sein »Willkommen!« bestens auf Papier gemalt, seine grünen Kränze geflochten, ein paar Schragen vor die Hausthür geschleppt, auf dieselben ein Bret gelegt und sich mit Hammer und Nägeln auf das leichte Gerüst geschwungen. Die Aufschrift und das Eichenlaub darum waren bald befestigt. Aber über dem breiten Thürsims nahm sich der Kranz nicht auffällig genug aus. Auch musste eine gefällige Vermittelung, ein Uebergang aus dem Eckigen ins Runde hergestellt werden. Zum Glück reichte das vorhandene Gewinde noch zu je einer schön geschwungenen Arabeske rechts und links vom Kranze aus. Ein paarmal war der Künstler von dem Gerüste gesprungen, um die Wirkung des Ganzen sowie die Uebereinstimmung der Theile aus der gehörigen Entfernung zu beurtheilen. Sein Werk gefiel ihm nicht schlecht, nur über dem Kranze schien ihm noch eine Kleinigkeit zu fehlen, weniger dem Punkt über dem i als der Braue über dem Auge vergleichbar. Er überlegte und schüttelte ein- und das anderemal den Kopf. Endlich eilte er in den Garten und pflückte das Wenige, was an rothen Nelken und gelbem Feigel noch vorhanden war; dann wählte er sich die zackigsten Fichtentriebe aus, befestigte diese so an einem kleinen, sehr gedrückten Kränzlein von Eichenlaub, dass das Gebilde mehr und mehr das Aussehen eines Krönleins gewann, und steckte in dessen Reifen, damit es ihm an Edelsteinen nicht fehle, die rothen und gelben Blumen. Bei dieser heikeligen Arbeit trat ihm der Schweiss auf die Stirn, aber schliesslich lächelte er zufrieden.

Das Krönlein sollte aber in richtiger Höhe über dem Inschriftskranz prangen. Das bisherige Gestell war augenscheinlich zu niedrig. Da musste der Fussschemel der Frau Haberwirthin aushelfen. Das Gerüst gewann dadurch keineswegs an Festigkeit, dass auf das schmale Bret noch ein wackeliger Schemel zu stehen kam, aber Fritz vertraute seinem ruhigen Aug' und seinen gelenkigen Gliedern.

Eben war er daran, das Krönlein an seinem Platz fest zu machen, als sich von der Strasse her der Schreckensruf vernehmen liess: »Um Gotteswillen, Fritz, fall' nicht herab! Du machst mich schwindelig! Was thust du denn da oben?

– Das sollst du gleich erfahren, Herzensschatz! Das Wichtigste und Beste, was ich zu thun hab', ist –

Damit war der flinke Bursch herabgesprungen, hatte dem Mädchen, eh' es sich dessen versah, einen Schmatz gegeben und fuhr, in ihre noch erschrockenen Augen lachend, fort: – war das. Und jetzt, Rosel, geh' zur Frau Mutter hinein, sie wird schon auf dich warten. Ich bin im Nu fertig; wenn du mir mit deinen ängstlichen Guckäuglein zuschautest, wär' es nicht nur um mein Gleichgewicht geschehen, sondern könnte die ganze Welt aus Rand und Band gerathen.

Die Haberwirthin war missmuthig von Röder geschieden. Seine zelotische Aufwallung hatte sie gar nicht erbaut. War ihr schon seine stolze Befriedigung aufgefallen, als er erwähnte, dass er Negerkinder mit dem Namen Christi bekannt gemacht und an des Urwaldes Saume das erste Kreuz aufgerichtet habe, so durfte sie jetzt vollends nicht mehr zweifeln, dass der tolle Junker Fritz von ehemals ein kirchlicher Fanatiker und Sittenrichter geworden. Dieses Uebermass an Bekehrung widerte sie an und erschien ihr unnatürlich, denn ihr gerades Herz sagte ihr, dass man um so nachsichtiger gegen Andere sein müsse, je mehr man an seinem eigenen Leben auszusetzen habe. Sie gedachte der unglücklichen Freundin und nahm sich vor, nun keine Schonung zu üben. Aber auch an die Rosel musste sie denken, dieselbe mit steigender Ungeduld erwartend, und da ihr das Glück des lieblichen Mädchens am Herzen lag, so machte ihr die gewonnene Einsicht in den Charakter des Barons bange, und fürchtete sie, durch Ungestüm Alles zu verderben. So quirlte sie in die Chocolade, welche sie für ihren Gast bereitete, allerlei ernste Gedanken.

Von diesen Gedanken ahnte Rosel nichts, als sie munter in die Küche trat, auf die Wirthin zueilte und ihr früher am Munde hing, als noch Eins von Beiden ein Wort herausbrachte. War jetzt noch eine verrätherische Spur von Fritzens Kuss an ihren frischen Lippen zu entdecken?

– Da bin ich, Frau Mutter! sagte das Mädchen, indem es sich selbst, so weit es anging, von unten herauf wohlgefällig betrachtete.

Sie war in der That blank und schmuck anzusehen und machte ihrem Name Ehre; das Band und jeder Bug der Schürze verrieth noch den glättenden Stahl. Das Kleid, welches an die Knöchelchen reichte, war gestanzt, ohne für schmiegsame Falten zu steif zu sein. Der Spenser, das Halstüchlein und das schwellende Mieder hätten in ihrer natürlichen Farbenwahl das Auge eines Malers befriedigt. Das schwarzseidene Kopftuch wussten wenig Mädchen so geschmackvoll zu binden wie die Rosel; es liess über der einen Schläfe mehr des nussbraunen Haares frei als auf der anderen, legte sich wie ein feiner Turban um den Scheitel und fiel mit seinem breiten Ende flatternd über den Nacken.

In der Linken hielt sie noch das Gebetbuch, mit einem schneeweissen, kleingefalteten Taschentuch gepaart. Nun, was soll ich? schienen Ausdruck und Haltung zu fragen.

Selbst der Sinn der Haberwirthin musste sich aufheitern, als sie ihren Liebling erblickte.

Aber mit einer zugleich fast ängstlichen Freude sah sie dem Kinde ins grosse blaue Auge, das mit seiner langen Wimper und geschwungenen Braue schier zu stolz war für ein Landmädchen, auf den Rosenschimmer der Wangen, auf den Mund, der eher geschaffen schien, beglückend zu gewähren als herbe zu versagen, und zufrieden mit ihrer Prüfung sagte sie schliesslich in beinahe feierlichem Tone:

– So, liebe Rosel, trag' das Frühstück hinauf, zum Baron im Herrschaftszimmer. Wünsch' ihm artig guten Morgen, thu', was er dir schafft, und antworte, wenn er dich fragt. Er ist ein alter wunderlicher Herr, sei du daher um so freundlicher. Du wirst mir nachher erzählen, wie er dich empfangen und was er zu dir gesagt hat. Geh' mit Gott!

Welche Hoffnung mochte die gute Frau wohl auf dieses Zusammentreffen von Kind und Greis setzen? Nach ihrem Wissen und Willen sollt' es nämlich die erste und zugleich eine entscheidende Begegnung sein. Dass sich die Beiden schon auf dem Kreuzbühel gesehen und – geflohen, davon hatte sie keine Ahnung; aber auch die Rosel wusste nicht, wen sie wiedersehen sollte. Ihr fiel nur die ungewohnte Umständlichkeit des Auftrages auf, so dass darüber ihr Herz stärker zu klopfen anfing. Wird gewiss ein hoher Herr sein, und ich muss mich zusammen nehmen – das waren ihre Gedanken, als sie die Stufen hinanstieg.

Und sie trat ein und fand den vornehmen Herrn über Schriften gebeugt, so dass sie nicht früher ihren Morgengruss anzubringen wagte, als bis sie das Frühstück auf den Tisch gestellt hatte und, selbst nur durch Tischesbreite getrennt, dem Gast gegenüberstand.

– Guten Morgen, gnädiger Herr! sagte sie schüchtern.

Auf den Klang ihrer Stimme hob der Alte überrascht den Kopf und ein tonloses: »Du hier?« stammelte seine Seele.

Die Rosel brach aber in demselben Augenblick in ein Gelächter aus, an welchem Verlegenheit mehr Antheil hatte als Uebermuth. Sie hatte trotz der schwarzen Sammtkappe den Alten wiedererkannt, mit welchem sie auf dem Kreuzbühel bald zusammengestossen wäre, und glaubte nichts Anderes, als dass er, der ja ein wunderlicher Herr, sie mit seinem Bocksgesicht neuerdings erschrecken wolle. Daher sagte sie so beherzt als nur immer möglich:

– Nein, nein, gnädiger Herr: jetzt lauf ich nicht wieder davon. Es war schon das einemal ungeschickt genug. Ich hätt' ja gleich sagen können, dass ich gemeint hab', Sie wären der Fritz. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, gnädiger Herr, und es wird bald richtig mit uns. Warum haben's mich aber auch nicht gefragt; ich bin eigens deswegen wieder vor's Thor gekommen und hätte Sie gern im Schloss herumgeführt und Ihnen gesagt, dass die Herrschaft nicht da ist. Aber heut' kommt sie aus der Stadt und es wird wohl noch nicht zu spät sein. Sein's daher nicht bös auf mich.

Röder verstand von dem, was das Mädchen sagte, wenig; er hörte die Worte, ohne deren Sinn und Zusammenhang zu fassen. Aber sie liessen ihm Zeit, seine eigenen Gedanken zu sammeln. Während ihm zu Muthe war, als wäre er selbst der Uebelthäter, begann er im Ton eines Richters zu fragen:

– Wie heissest du, liebes Kind?

– Rosel.

– Und wer sind deine Eltern?

– Mein Vater ist der Teichhüter auf dem Kreuzbühel, meine Mutter ist gestorben, als ich noch ein kleines Kind war.

– Du weisst also nicht, wie sie ausgesehen, ob sie jung oder schon alt war?

– O mein Gott, es ist ja schon lang her und ich war noch sehr klein.

– Ja so, entgegnete der Baron wie entschuldigend, und als koste es ihn Ueberwindung, fuhr er fort: Ist dir vielleicht von deinen Grosseltern etwas bekannt? Ich meine, vom Hörensagen.

– Die Frau Haberwirthin könnt' etwas wissen, antwortete das Mädchen nach einigem Nachdenken; denn die Frau Haberwirthin ist älter als man glaubt; sie hat schon meine Mutter aus der Taufe gehoben und ist auch meine Frau Godl.

– So, so, also die Haberwirthin, meinst du? Kann wohl sein. Und Röder schwieg eine Zeitlang nach diesen Worten. Dass der Faden gerade da riss, wo es ihm am liebsten war, hätte ihn völlig befriedigt, wenn nicht der Hinweis auf die Haberwirthin und ihr altes Wissen gefolgt wäre. Immer wieder die Haberwirthin! murmelte er verdriesslich. Aber zum schönen Kinde gewendet, fragte er weiter, indem er sie scharf ins Auge fasste:

– Und wer ist denn der Fritz?

Herrgott, ist der alte Mann neugierig! hätte die Rosel am liebsten ausgerufen. Sie hielt zwar an sich, konnte aber doch eine kleine Bosheit nicht unterdrücken; indem sie sich einfältiger stellte, als sie war, that sie freudig überrascht und sagte:

– Am End' sind Euer Gnaden gar der neue Herr Pfarrer!

– Das nicht, erwiederte Röder gelassen, obwohl er den Einfall durchschaut haben mochte; aber ich bin ein Freund deiner Frau Taufpathin, wir kannten uns schon, da wir Beide noch jünger waren als du. Ihr zu lieb bin ich auch dir gut. Du darfst mir daher immerhin vertrauen. Der Fritz ist also dein Geliebter?

– Ja, und das weiss die ganze Gegend. Und kein Mensch kann uns was Unrechtes nachsagen und wir werden auch bald Hochzeit machen – antwortete das Mädchen, mehr aus stolzem Eifer als unnöthiger Scham erröthend.

– Du hast ihn also wirklich gern?

– Aber mein Gott, ja, wie könnten wir uns sonst denn heiraten?

– So ist's, bestätigte Röder äusserlich. Aber diese einfache Folgerung eines gesunden Herzens und Kopfes entrückte seinen Gedanken in Gesellschaftsschichten, in denen das Zerrbild der Liebe in allen Abarten heimisch ist. Er musste inne halten. Ihm war, als hätte er aus dem Munde dieses Landmädchens das Verdict der Natur vernommen. Und traf es nicht auch ihn? Hatte er niemals gegen die Logik des Herzens gefrevelt?

Unfähig für den Augenblick, sein Examen fortzusetzen, leerte er das Glas, reichte es dem Mädchen und schmeichelte:

– Nicht wahr, gutes Kind, du bringst mir noch ein Glas Wasser?

Schneller als der Wunsch geäussert ward, hatte Rosel die Thür hinter sich. Ah! machte sie und athmete freier.

– Das ist ja die reine Seccatur! polterte sie reizend, als sie in der Küche die Wirthin und Fritz beisammen fand. Was der alte garstige Dingsda nicht alles wissen will! Aber ich hab' ihn gleich erkannt und hab' lachen müssen, wie er mich wieder so gewiss ... ich weiss nicht wie, angesehen hat. Man darf nicht alles sagen, was man denkt ... aber es ist ja auch nicht bös gemeint. Wie er mich das erstemal gesehen hat, da hat er accurat auch ein solches Bocksgesicht gemacht. Richtig, die Geschicht' hab' ich Euch noch gar nicht erzählt.

Und sie erzählte ihr erstes Zusammentreffen mit dem Fremden auf dem Kreuzbühel; sie selbst lachte herzlich dabei und Fritz lachte mit. Aber die alte Frau horchte schweigend auf, prägte sich jeden bezeichnenden Zug ein und behielt ihre Gedanken bei sich. Auf ihr Verlangen musste sonach das Mädchen das Gespräch mit dem Baron Punkt für Punkt wiederholen.

Fritz fuhr das ein- und anderemal mit dem Aufruf dazwischen:

– Was geht denn das den Fremden an? Was braucht denn der närrische Alte das zu wissen?

Die Wirthin beschwichtigte ihn – der gute Junge sollt' es ohnehin nur zu bald erfahren.

Endlich drängte die Frau:

– Jetzt trag' ihm das Glas Wasser hinauf. Wenn er dich fragt, warum du so lange ausgeblieben, so sag' immerhin, du hättest dich mit mir verplaudert; merk' dir seine Reden.

Der Baron hatte sich die längere Abwesenheit des Mädchens zunutze gemacht und einen Plan zurechtgelegt, der ihm mehr zu sein schien als ein glimpflicher Rückzug. Er wollte die vorwurfsvolle Aehnlichkeit des schönen Kindes anerkennen, wollte zugeben, dass sie gegen ihn zeuge. Die überführende Gewissheit blieb damit noch immer ausgeschlossen – war er aber verpflichtet, ihr noch weiter, als bisher geschehen, nachzuspüren? Am Ende beruhte die stumme Anklage, die er aus Rosel's Mienen zu lesen glaubte, doch nur auf seiner Einbildung, desto besser, dann konnte ihm das bussfertige Bekenntniss als ein Act freiwilliger Demüthigung doch nur zum Verdienst angerechnet werden. Er wollte sogar noch mehr thun. Die grosse Bewegung, welcher er diente und auf welche er einen nachhaltigen Stoss auszuüben gedachte, konnte die kleine Summe, die er flüssig machen wollte, leicht entbehren. Sie dem schönen Kinde zuwenden, hiess nicht nur für dessen Zukunft sorgen, sondern möglicherweise auch ein altes, nicht mehr anders sühnbares Vergehen gutmachen. Sollte aber nichts vorliegen, was noch der Busse bedürftig wäre, und diese beruhigende Annahme wollte er nicht ausgeschlossen wissen, so hatte er ein gutes Werk verrichtet, das ihm bei dem ewigen Richter doch wieder nur gut geschrieben werden konnte. Endlich sollte dieses gute Werk noch eine böse Saat verhindern, als böse Saat aber betrachtete Röder jede Mischehe, und einer solchen glaubte er auf der Spur zu sein, und zwar noch zeitig genug, um sie verhindern zu können. Auf solch' vorbehaltliche Weise hatte er seine Gedanken geordnet, als das Mädchen von Neuem eintrat.

– Liebes Kind, begann er, wir blieben bei deinem Geliebten stehen; aber du hast mir noch gar nichts von ihm erzählt. Er ist doch wohl der frische, hellblonde Junge, der eben da draussen mit dem Aufputz des Hauses beschäftigt war.

– Ja, wissen's, gnädiger Herr, antwortete das Mädchen glücklich, das geschieht zu Ehren des Herrn von Vogelstein, und Fritz macht alles so geschickt. Eigentlich ist er Partieführer drüben bei der Eisenbahn, wo sie den grossen Berg durchgraben, aber was er auch sonst angreift, hat Hand und Fuss. Die Herren Ingenieure haben ihn alle gern und die Arbeiter gingen für ihn durch's Feuer. Als sie voriges Jahr grossen – wie sagt man nur gleich, ja, grossen Strick gemacht haben, da hat er mit den Ingenieuren gesprochen und Alles wieder in Ordnung gebracht.

– Also auch ein hoffnungsvoller Agitator! brummte der Baron in den Bart.

– Wie meinen's, gnädiger Herr?

– Nichts, schönes Kind; fahr' nur fort.

– Und nicht, dass ich auf ihn stolz bin, aber er ist der Fleiss und die Genauigkeit selber. Gestern ist er ruhig bis zum Feierabend geblieben und hat gethan, was zu thun war, und dann ist er über's Gebirg herübergekommen, und dazu brauchen doch selbst die Bauern gute zwei Stunden.

Weiterer Beredsamkeit eines liebenden Herzens schob Röder einen Riegel vor, indem er bestimmt fragte:

– Er ist ein Norddeutscher?

– Aus Sachsen ist er gekommen, oder von noch viel weiter her.

– Und ein Protestant? fügte der Baron hinzu und sah das arme Kind wie ein Inquisitor an.

Rosel erzitterte und entgegnete:

– Ja, macht denn das was?

– Das kannst du noch fragen? Eine ordentliche katholische Jungfrau sollte einen Ketzer nicht einmal ansehen, was dir gewiss dein Beichtvater auch schon gesagt haben wird.

– Das ist nicht wahr; nichts hat er gesagt, als dass wir keine Heimlichkeiten haben sollten und dass wir trachten müssten, bald in den Stand der heiligen Ehe zu treten.

– Weil du ihm nicht einmal gesagt haben wirst, dass dein Herzallerliebster ein Ketzer ist. Und warum hast du es ihm nicht gesagt? Frag' dein eigenes Gewissen. Du wärst nicht so erschrocken, wenn es dir nichts vorzuwerfen hätte.

– Nein, und ich kann mir nicht denken, dass er deswegen schlechter sein sollt' als die Anderen. Und er geht so gut in die Kirche ...

– Mit dir, ja, und so lang' er dich noch nicht hat; auch möcht' ich wohl wetten, dass du nicht die Andächtigste bist in der Kirche, wenn du ihn in der Nähe weisst.

– Aber die Protestanten sind ja doch auch Christen!

– Die die Ehe für kein heiliges Sacrament halten und heute wieder lösen können, was sie gestern zusammengegeben. – Und mit einem aus der Tiefe geschöpften Ausdrucke des Mitleids, im weichsten Tone fügte Röder hinzu: Armes Kind, du bist übel berathen!

Da stürzten dem gequälten Opfer Thränen aus den Augen, schluchzend eilte es aus der Folterkammer.

– Der Pfeil sitzt, sprach Röder, dem Mädchen nachblickend, für sich; er schmerzt, ist aber heilsam – und mit dem gewohnten Aufblicke schloss er die Betrachtung, indem er hinzufügte: Der Balsam wird nicht ausbleiben.

Anders als noch vor einigen Minuten kehrte Rosel zu den Ihrigen zurück. Sie war die lachende Rosel nicht mehr. Weinend warf sie sich der Wirthin an die Brust und wagte es nicht, ihren Fritz anzublicken. Sie meinte, er müsst' es ihr an den Augen absehen, was vorgefallen, und fürchtete, ihn selbst damit zu kränken, wenn sie ihm die Schmähungen des Barons mittheilte. Mit Mühe brachte die alte Frau einige Worte aus dem verstörten Kinde heraus. Fritz musste abtreten, damit die Erzählerin Muth bekam, Alles zu sagen. Und selbst jetzt noch unterbrachen neue Thränen den Bericht, und ihr Blick suchte ängstlich flehend Trost und Beruhigung in den mütterlichen Zügen der weisen Freundin.

– Sei ruhig, Kind, sagte die Haberwirthin; du brauchst weder deinen Glauben, noch deinen Fritz zu verlieren. Es kann der Eine neben dem Andern bestehen; aber freilich, deinen Kopf darfst du dir nicht verwirrt und das Herz nicht feig machen lassen. Das Schlimmste ist überstanden, es ist sogar unzarter an deinem Gewissen gerüttelt worden als nöthig war. Früher oder später hätt' es doch zur Sprache kommen müssen. Jetzt könnt Ihr die Sache ruhig überlegen und besprechen. Abweichungen im christlichen Bekenntniss sind nicht grösser und schlimmer als andere Meinungsverschiedenheiten, als Unterschiede in Temperament und Gewohnheit. Wo ihr nicht einig seid, da schuldet eben der eine Theil wie der andere so viel Schonung und Achtung, als er beansprucht. Ihr werdet die breite und lange Strecke des Lebensweges mitsammen und nebeneinander gehen können; Pflicht oder Nothwendigkeit führen immer wieder darauf zurück. Freilich däucht uns die Heerstrasse manchmal hart und staubig, und es ist auch nicht alle Tage Werktag, und auch das Herz hat sein Festtagsgewand und möcht' oft fliegen können, aber was nützt ihm da jede Geleitschaft? Jedes andere Herz feiert seinen eigenen Sonntag und feiert ihn auf andere Weise. Der gleiche Glaube macht's da so wenig, als derselbe Stoff und derselbe Schnitt Allen gleich zu Gesichte stehen. Die kleinen Pfade, welche abseits liegen vom Werktäglichen und bald in einen blühenden Garten, bald in bergendes Düster zu führen scheinen, betritt man daher am liebsten und besten allein. Denn schliesslich behält jeder Mensch etwas in seiner Brust, das er nur mit sich selbst berathen und austragen kann. Glaub' mir, Rosel, ich hab' es durchgemacht, und du wirst oft an meine Worte denken. Das Weib kann dem Manne nicht auf die Höhe seiner Gedanken, der Mann dem Weibe nicht in die Tiefen seines Gemüthes folgen. Wenn die Natur selbst einen so grossen Unterschied zugelassen hat, was will dann wohl ein Bischen mehr oder weniger kirchlicher Satzung bedeuten? Ihr Beide habt denselben Boden unter euren Füssen und steht so nahe beieinander, dass ihr euch jeden Augenblick die Hände reichen könnt und, gottlob! soviel gute Lehre bekommt der Protestant wie der Katholik aus der Schule und Kirche mit auf den Weg, als ihr zu einem gemeinsamen rechtschaffenen Leben braucht.

So sprach die Haberwirthin, während sie das Köpfchen ihres Taufkindes leicht an den mütterlichen Busen drückte. Sie sprach es mehr für sich als zum Mädchen; es war, als wollte sie damit der Erfahrung ihres ganzen Lebens Ausdruck geben, als hätten einzeln gereifte Gedanken nun plötzlich wie einen äusseren Anstoss, so auch einen Einigungspunkt gefunden. Es klang eher wehmüthig, dieses Geständniss, als ermuthigend, aber Ton und Inhalt waren doch zugleich so weich und mild und versöhnend, dass sie den heftigsten Schmerz einschläfern mussten. Der Balsam war in der That nicht ausgeblieben, aber er wirkte in anderem Sinne und stammte aus anderer Quelle, als von woher ihn der tückische Schütz seinem Opfer vermeint hatte. Der jähe Schreck, in welchem Rosel Alles aus und verloren geglaubt, zitterte nur noch leise nach; er hatte der empfänglichsten Stimmung, einem ruhigen gedanklichen Ernst Platz gemacht. Wohl war vom Herzen noch nicht aller Druck genommen, dafür begriff aber das Köpfchen um so leichter und freudiger. Stundenlang hätte das Mädchen noch den Worten der Greisin lauschen mögen; an ihrem Herzen kam es sich so klug vor, als verstünd' es nun Alles; um Stirn und Augen war ihm so frei und klar wie noch nie zuvor.

– Mutter, ich gehe nicht wieder zu dem Alten hinauf, sagte das Mädchen, nachdem Beide schon eine Zeitlang geschwiegen.

– Das sollst du auch nicht, erwiederte die Wirthin. Ich selbst will noch einen Schritt versuchen ... sie hielt inne und fügte hastiger hinzu: Aber Kind, wir vergessen ja ganz auf den guten Fritz.

Dem armen Jungen brannten in der Hausflur draussen bereits die Sohlen. Auf den ersten Ruf kam er hereingestürzt und fragte ungestüm und ängstlich zugleich:

– Nun, Frau Mutter, was ist's? Darf ich's wissen?

– Gewiss, erwiederte die alte Frau; der alte Herr droben hat die Rosel aufgezogen, weil sie einen Protestanten zum Liebsten hätt' und einen Ketzer heiraten wollt'.

– Der Jesuit! brauste der junge Mann auf; eine solche Kreuzspinne sollte man doch gleich mit dem Fuss zertreten! Na wart, du Heuschrecke – und er ballte unwillkürlich die Faust.

Aber die Haberwirthin verwies es ihm streng, indem sie sagte: Wenn Ihr so heftig und gewaltthätig seid, dann darf ich Euch allerdings nicht hinaufgehen lassen; sonst hätt' ich nichts dagegen gehabt, wenn Ihr den Baron hättet fragen wollen, mit welchem Recht er sich in Eure Angelegenheit mische und Euch das Mädchen abwendig zu machen trachte.

– Ja das will ich, und zwar auf der Stelle, entgegnete Fritz; der alte Schuft soll mir Rede stehen.

– Wenn Ihr Euch, nicht zu mässigen wisst ...

– Seid unbesorgt, Frau Mutter; ich will Euerem Hause keine Unehre erweisen. Aber mit meinem Blick will ich ihn durchbohren, den Seelenfänger, den alten Sünder ...

– O Gott, wenn was geschieht! Ich will mit – schrie die Rosel.

– Bleib, Kind! wehrte die Wirthin; entweder er richtet's allein oder ihr verderbt es alle Beide.

Fritz wollte in der That seinen Mann stellen; er befliss sich eines gemessenen Schrittes durch die Hausflur und die Stiege hinauf.

Baron Röder war gar nicht überrascht, als er den jungen Mann eintreten sah, der auf ihn aus den blauen Augen einen zornigen Blick warf und ohne Umstände näher trat.

– Mein Herr, begann Fritz, Sie haben mich bei meinem Mädchen, bei meiner Braut verlästert, und das ist feig und infam. Welches Recht haben Sie, wenn's dazu überhaupt ein Recht giebt, Menschen zu quälen, welche Ihnen nichts zu Leide gethan? Sie werden doch nicht verlegen sein, eine so menschenfreundliche Handlungsweise zu rechtfertigen.

Er that sich sichtlich Gewalt an, der gereizte prächtige Bursch; er musste das Kräftigste hinunterwürgen, was ihm wahrlich nicht leicht ankam. Seine ganze Haltung schien zu bedauern, dass er keinen rüstigen, ebenbürtigen Gegner vor sich hatte.

– Nicht aus diesem Tone! antwortete Röder diplomatisch ruhig. Mässigen Sie sich, junger Mann. An Leidenschaft und Kraft kann ich mich nicht mehr mit Ihnen messen. Mein Scheitel ist kahl – dabei neigte er den Kopf vor und nahm langsam das Sammtkäppchen ab. Wenn Sie mich aber ohne Voreingenommenheit hören wollen, so hoffe ich, werden wir noch als gute Freunde scheiden.

Fritz lächelte ungläubig und verächtlich und lehnte die Einladung, Platz zu nehmen, ab.

Röder fuhr gelassen fort: Ich bin der frühere Besitzer von Schloss Kreuzbühel und habe das Recht, über eine Mitgift, Ausstattung oder Heiratsgut, wie Sie es nennen wollen, zu Gunsten eines braven armen Mädchens zu verfügen. Diese Stiftung beträgt zwar keinen Reichthum, aber immerhin so viel, dass sie das bedachte Mädchen zu einer guten, ja vielleicht zur besten Partie der ganzen Gegend machen würde. Nun hängt aber eine Clausel an dieser Widmung, ein nisi, von welchem ich nicht wohl abgehen darf. Die Summe ist nämlich ausschliesslich für eine katholische Braut, respective für einen katholischen Hausstand bestimmt. Es liegt sicher nichts Unbilliges in der Sache; denn wer schenkt, hat freie Wahl, darf dem Zuge seines Herzens wie auch seiner Laune folgen. Wir müssen also die Stiftung nehmen, wie sie ist. Aber ich gesteh' Ihnen gern, dass ich sie der Teichhüter-Rosel zuwenden möchte, und wär' es auch nur aus dem Grunde, weil ich noch immer eine Art Anhänglichkeit habe für den Kreuzbühel. Als natürlicher Theilhaber an dem Bene der Stiftung ist mir Derjenige willkommen, der das brave Mädchen zum Traualtar führt, vorausgesetzt allerdings, dass die Clausel gewahrt bleibt. Für diesen Fall nun habe ich hier eine Urkunde – und der Baron legte seinem Gegner, der ihm gegenüber am Tische stand, die Schrift offen vor –, welche die nicht unbeträchtliche Summe der Stiftung nennt und nur auf den Namen der Braut, respective auf Ihren oder Ihrer Beider Namen umgeschrieben zu werden braucht.

– Auf meinen gewiss nicht! sagte Fritz, den glatten Vortrag unterbrechend, mit männlicher Festigkeit. Ich bin Protestant und um Geld und Gut werde ich mich nie für ein anderes Bekenntniss anwerben lassen. Mein Gewissen ist nicht käuflich.

– Das ist Ihre Sache, erwiederte der Baron, ohne von seinem äussern Gleichmuth zu lassen; obwohl ich bemerken muss, dass Sie auch in einer edlen Selbsttäuschung befangen sein könnten, die im gegebenen Falle nicht genau unterschiede, welchen Antheil Liebe und halbe Ueberzeugung hätten. Denn der Umstand, dass Sie ein katholisches Mädchen lieben, ist gewissermassen doch schon ein Beweis, dass Sie von unserer Religion nicht ganz gering mehr denken. Doch lassen wir das. Damit, dass Sie selbst nicht auf die wohlthätige Stiftung reflectiren, ist die Angelegenheit erst nach einer Seite hin erledigt. Es wird Ihnen zwar nicht schwer werden, Ihre Braut zu der gleichen Verzichtleistung zu bewegen, obgleich das Hauptbedenken bei ihr nicht zutrifft. Ja, in hochherziger, liebender Aufwallung würde sie vielleicht sogar ein Königreich von sich weisen. Aber es ist doch die Frage, ob man ihr die folgenschwere Verantwortlichkeit selbst für einen minder heroischen Schritt aufbürden darf. In zwar ärmlichen, aber immerhin gesicherten Verhältnissen aufgewachsen, mit verliebten Augen, welche die Welt in rosigem Lichte erblicken, mit ungemessenem Vertrauen auf die Schaffenskraft des Erwählten ist sie wohl kaum befähigt, zu erwägen, was es heisst, eine behäbige Zukunft ausschlagen. Sie kennt den Werth des Geldes so wenig, als sie weiss, welche Anstrengung und Entsagung es selbst den fleissigsten Arbeiter kostet, ein paar Gulden zu ersparen, und wie, ungleich dem ländlichen Besitz, welcher alle Menschenalter einmal ein Missjahr oder ein Elementarunglück zu bestehen hat, der Arbeiterstand ununterbrochen einer ganzen Legion von ägyptischen Plagen ausgesetzt ist. Wer dem guten Kinde, der Rosel, wohl will, wird sich's daher zweimal überlegen, eh' er ihr ein Opfer zumuthet, das nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte.

– Ich verstehe, antwortete der Jüngling ernst. Bewegter aber fügte er hinzu: Da sei Gott vor, dass ich ihrem Glück im Wege stünde.

– Ich wusst' es, dass ich es mit einem jungen Ehrenmann zu thun hatte, erwiederte der Baron zufrieden und reichte seine Rechte über den Tisch hin.

Aber Fritz langte nicht nach ihr. Wohl wusste er nicht, dass des Gegners Geist den seinen überlistet und übermannt hatte, aber trotzdem empfand er einen Widerwillen, diejenige Hand zu drücken, die zerstörend in sein Lebensglück gegriffen. Ueberdies feuchtete sich sein Auge, das vor wenigen Minuten den Feind drohend angeblitzt hatte. Sollte er an diesem Triumphe sich weiden, er, der ihm so weh gethan, ihn so arm gemacht? Wer ein Mann werden will, verbirgt seine Thränen vor Freund und Feind.

Fritz wendete sich rasch ab und verliess das Zimmer ohne Abschiedsgruss.

– Ein kostbares Herz, dieser Junge! sagte sich Röder. Schade um ihn! Aber noch gebe ich ihn nicht auf, hab' ich ihn ja doch erst entdeckt und seinen Werth kennen gelernt. Doch Vorsicht, dass der Edelstein unter der Fassung nicht splittere!

Der Gang zu den Frauen zurück wurde dem jungen Manne sehr sauer. Am liebsten wäre er ihnen gar nicht mehr unter die Augen getreten, so hoffnungslos und verloren kam er sich vor! Er wünschte bei seinen Arbeitern zu sein, Kopf und Hände voll zu thun zu haben, oder aber im dichtesten Walde sich ausweinen zu können. Und hätte der Wald keinen Ausgang gehabt, und hätte er nie mehr unter die Menschen zu treten gebraucht – er wäre es ganz zufrieden gewesen.

Der Baron hatte ihm sehr geschickt beizukommen gewusst; nicht an der schwächsten, vielmehr an der stärksten Seite, bei seinem praktischen Sinn hatte er ihn gepackt, hatte ihm in sein praktisches Gewissen geredet. Und der gute Junge war den schielenden Gründen nur zu arglos gefolgt. Er wog die Mitgift und sagte sich, dass Jahre der angestrengtesten Arbeit nicht aufzubieten vermöchten, was hier der Geliebten mit einemmale in den Schoss falle. Durfte er sie darum bringen?

Nein, und sollt' es ihm auch das Herz abdrücken!

Aber er musste hinunter zu den Frauen. Sie erwarteten ihn gewiss schon mit Ungeduld. Er war ihnen Bericht schuldig; was müssten sie denken, nachdem er einen so gewaltigen Anlauf genommen?

Doch ansehen sollten und durften sie ihm nicht, wie ihm zu Muthe war. Er wollte daher die Sache recht ruhig und gleichgiltig abthun, und begann auch:

– Wir sprachen uns leichter, als ich erwartet hatte.

Ein ungläubiges »So!« war die Antwort, denn sein ehrliches Gesicht strafte ihn Lügen.

– Es handelt sich um eine Stiftung für ein katholisches Brautpaar, die der Baron der Rosel zuwenden will, was gewiss recht schön von ihm ist. Er hat mir die Schrift gezeigt – 's ist Alles so gut als fertig.

– Wie hoch beläuft sich denn die Summe? schaltete die Wirthin prüfend ein.

– Frau Mutter, es wäre mir nicht möglich gewesen, auch nur eine Ziffer auszunehmen, antwortete Fritz trübselig lächelnd. Aber immerhin kann die Rosel die beste Partie weit und breit im Lande werden.

– Meinst? bemerkte die Genannte schalkhaft.

– Und sie wär' auch eine Närrin, wenn sie nicht zugriffe.

– Wenn sie's nur einsieht!

– Und von mir wär' es schlecht, wenn ich ihr wollt' hinderlich sein.

– Ein Tolpatsch bist, ein guter! rief das Mädchen greinend, während ihr vor Freude die Augen übergingen. Glaubst du denn, dass du mir um eine Million feil wärst?

Und sie hing an seinem Halse.

– So recht, Kinder! sagte gerührt die Haberwirthin. Lasst Euch nicht irre machen. Aber nun in die Kirche, Rosel! Vielleicht erwischst du noch ein Stück von der Predigt. Fritz darf dich begleiten. Ich muss heute die Martha für Alle machen; der liebe Gott wird schon ein Einsehen haben.

Und er hatte sicherlich ein billiges Einsehen, selbst wenn es der Haberwirthin vielleicht nur um einen giltigen Vorwand zu thun war. Was immer auch im Hause verrichtet werden sollte, sie durfte sich auf die dienenden Hände verlassen. Aber sie wollte allein und ungestört sein, um empfangene Eindrücke und Gedanken ordnen zu können, um einen Stoss gegen das Herz des Barons vorzubereiten, der es erschüttern sollte, wenn es nicht schon völlig entmenscht war. Noch war der Schatten der unglücklichen Freundin nicht versöhnt und ihr lebendiger Zeuge, ihr mahnendes Ebenbild hatte neue Unbill erdulden müssen!

Sie war vor's Scheunenthor getreten und blickte nach dem Dorf aus, dessen Dächer hinter den Obstbäumen breit und dunkel zum Vorschein kamen und tief niederwuchteten, während der Kirchthurm blanker in die Höhe strebte, aber gleichwohl auch ein vierschrötiger Gesell blieb und dieselbe schwere graue Kappe trug. Auf dem Fusssteig zwischen Stoppelfeld und Krautacker konnte sie noch das enteilende Pärchen verfolgen. Rosel ergriff die Hand des Geliebten und schlenkerte sie muthwillig, schwenkte sich wohl auch tänzelnd vor, um ihm in die Augen zu gucken. Er aber schritt, als gält' es einen Botengang, vorwärts und trug den Kopf gesenkt. Gewiss, er war gedankenvoll und wortkarg, und Rosel versuchte vergebens, ihn aufzuheitern. Jetzt bogen sie um das gelbelnde Haferfeld, aber beide überragten es, er mit der Brust, sie mit dem flatternden Köpfchen. Es war ihnen redlich an dem noch erreichbaren Stück der Predigt gelegen; bald waren sie hinter den Kirschbäumen des Edelbauers verschwunden.

Der arme Bursch, bemerkte die alte Frau still für sich, nimmt sich's sehr zu Herzen und sieht den Baron wohl gar noch für einen hochherzigen Menschenfreund an, dem man seine Befangenheit zu Gute halten müsse! Derweil will dieser lediglich mit einem Stück Geld sein Gewissen abfinden und glaubt nebenbei ein Gott wohlgefälliges Werk zu verrichten, wenn er einem Ketzer seine Braut abtrünnig macht. Es soll ihm nicht gelingen. Er hat seinen letzten Trumpf ausgespielt. Er wollte an meinem Hause vorüber und musste doch bei mir einkehren, nun denn, so soll er auch nicht früher von hier fort, als bis er mit Greisenthränen Derjenigen, die er in seiner Jugend unglücklich gemacht, Abbitte geleistet hat. Ihre Geschichte muss Jeden rühren, der ein fühlendes Herz hat; es ist nicht möglich, nicht denkbar, dass sie gerade dem Schuldigen nichts sollte anhaben können, und hätte er sein Gewissen auch mit geistigem Hochmuth eingeschläfert. Ja, Kinder, die seltsame Stiftung muss ein ganz anderes Gesicht bekommen, wenn sie als einige Genugthuung gelten soll. Doch was Genugthuung? Die Unglückliche steht doch nicht wieder auf! Aber er will noch fortfreveln, an Kind und Kindeskindern, und, bei Gott, das darf nicht geschehen!

So bestärkte sie sich in ihrem Vorhaben und wurde jetzt erst gewahr, dass Fritz auf demselben Wege, auf welchem er die Geliebte zur Dorfkirche begleitet hatte, so bald schon und allein heraneilte und, um keine Zeit zu verlieren, quer über das Stoppelfeld lief.

Sie erwartete ihn verwundert am Scheunenthor und rief ihn, als er wie blind vorüberstürzen wollte, an.

– Frau Mutter, stammelte dieser aufgeregt, ich kann und darf nicht bleiben. Tröstet die Rosel und setzt ihr die Sache auseinander; 's ist besser jetzt, so lang es noch nicht zu spät ist. Und es muss sein! Lieber aus, als dass ich mir einst müsst' sagen lassen, sie hätt' ihr Glück machen können, wenn ich nicht gewesen wäre! Ich glaub', ich müsst' sterben oder wahnsinnig werden, wenn ich vielleicht zu hören bekäme: Ich hätt' es wohl besser haben können! ... Ich weiss, Frau Mutter, die Rosel ist zu gut, sie würde es nicht sagen, würde mir keine Vorwürfe machen – aber wenn sie's still in sich vergrübe, sich heimlich abhärmte, nur noch schlimmer war' es! Selbst der beste Mensch wird, wenn er in Zorn geräth, nicht leicht darauf vergessen können, was ihm vom Glück einmal zugedacht war ... Sie wird schon noch glücklich werden, sie ist schön und gut und wird nun auch noch reich, aber ich? Na, es soll eben nicht sein und ich darf den Kreuzbühel und das Haberwirthinhaus nicht wieder sehen! Schönen Dank für alles Gute, Frau Mutter! Und sagt ihr nicht, wie schwer es mir ankommt; sagt: ich hätte meine Grillen, und dagegen wäre nichts zu machen! Ich muss fort, eh sie aus der Kirche kommt und mich mit ihren lieben Augen unter des Edlbauers Kirschbäumen sucht, wo ich sagte, dass ich auf sie warten wollte ...

Die alte Frau antwortete ihm in ihrer beruhigenden klaren Weise, sie wolle ihn nicht halten, wenn er gehen zu müssen glaube; sie gebe ihm nicht Unrecht, aber zum Desperatwerden sei's noch lange nicht. Sein Gewissen sei ein sehr empfindlicher und stolzer Ritter, der da glaube, dass ihm an Zartgefühl Niemand gleichkommen könne. So setze er voraus, dass die Rosel unbedenklich zugreifen müsse und gar nicht anders könne, während die Stiftung doch so beschaffen sei, dass ihr auch ein anderes wackeres Mädchen misstrauen würde, welches noch keinen Geliebten oder Bräutigam, geschweige denn einen ketzerischen habe. Nicht jedes Geschenk sei annehmbar, vielmehr gebe es Anerbietungen, die ausgeschlagen zu haben Einen auch noch in spätester Zeit mit Genugthuung erfüllen müsse. So lange die Stiftung selbst einen widerlichen Haken habe, könne von einem hochherzigen Verzicht oder einem Opfer, das man hinterher vielleicht bereuen würde, keine Rede sein. Das Alles werde er sich auch selber sagen, sobald er zu ruhiger Ueberlegung gekommen. Jetzt aber sei sein Gewissen zu aufgeregt, weshalb es ganz gut sei, wenn er sich mit ihm in die Einsamkeit flüchte; gemeiniglich nehme die Aufregung ab, je weiter man sich von ihrer Ursache entferne. Aber er dürfe nicht gehen, ohne sich für den Weg gestärkt und auf ein fröhliches Wiedersehen getrunken zu haben.

Unter diesem Zusprechen führte sie Fritz an den grossen Tisch in der Hausflur, liess ihm zu essen und zu trinken bringen und setzte sich plaudernd selbst zu ihm. Es wurde ihm leichter um's Herz, und wenn sich's gerade gefügt hätte, dass die Rosel vor beendeter Predigt und Hochmesse zurückgekehrt wäre, er hätte sich von ihr gern für das nichteingehaltene Stelldichein unter den Kirschbäumen auszanken lassen.

Noch liess sich's der gute Junge schmecken, als der kleine Michel gelaufen kam mit der Meldung: Frau Mutter, die Herrschaft kommt! Er war auf dem Hügel, welcher die Strasse zu einer starken Krümmung nöthigt, auf der Pass gewesen und hatte Rosse und Wagen von Weitem erkannt. Seine Nachricht brachte im Hause eine allgemeine Bewegung hervor. Aus Stube, Küch' und Keller eilte herbei, was der Haberwirthin unterthan war; denn da Knecht und Magd wussten, dass ihre Herrin mit dem Vogelstein'schen auf gutem Fuss stand, so wollte keins bei der Begrüssung fehlen.

Der Wagen, dessen Insassen Herr und Frau von Vogelstein und deren jüngste Tochter waren, nahte im Schritt und machte, wie selbstverständlich, vor dem Hause Halt. Eh noch die Haberwirthin mit den zum Strauss vereinten Blüthen aus ihrem Ziergärtlein an den Wagenschlag gelangte, kam ihr der alte, rüstige Herr mit einem jugendlichen Sprunge vom Trittbrett herab entgegen. Er drückte und schüttelte ihr die Hand wie einem alten lieben Bekannten. Auch seine Frau verliess den Wagen und begrüsste die Wirthin mit einem schwesterlichen Kusse. Und das muntere Fräulein schien es kaum erwarten zu können, bis an sie die Reihe kam, und herzte die bäuerliche Frau vom Kruge nicht anders denn wie eine verehrte Grosstante. So hatte der wechselseitige Willkomm nichts Förmliches, weder etwas Demüthiges auf der einen, noch etwas Herablassendes auf der andern Seite; er war herzlich, bürgerlich, auf ungeheuchelter Werthschätzung für einander beruhend.

Die Wirthin lud die Herrschaften ein, ins Haus zu treten, aber diese, die sich auf der langen Fahrt müde gesessen, zogen es vor, auf den Beinen zu bleiben. So schritt man denn langsam vor dem Hause auf und nieder, die Schlossfrau und die Wirthsfrau Arm in Arm.

Der Grossknecht Valentin, der in der Thür stand, nahm die Pfeife aus dem Mund und liess sich vernehmen:

– Heuer sind der Herr Baron lang ausgeblieben. – Schad', jetzt ist die schöne Zeit schon bald um.

Die Küchenmagd, die ihre blossen Arme unter der blauen Schürze barg, rief der Baronin ein: »Küss' d' Hand« zu und die Kellnerin wagte gar die Bemerkung:

– Gnädiges Fräulein, jetzt wird es Ihnen bei uns wohl nicht mehr gefallen, nachdem Sie einmal das Stadtleben gewohnt sind!

Diese freimüthige huldigende Ansprache wurde dem Gesinde keineswegs als vorlaut verwiesen; im Gegentheil, die Herrschaften hatten für dasselbe mehr als ein gnädiges Nicken, sie zeigten ein feines Gefühl für den Naturlaut schlichter Herzen und wussten ein gewinnendes Wort für die braven Dienstboten. Was Wunder, wenn der kleine Michel unaufgefordert sich anschickte, den herrschaftlichen Pferden Wasser zu reichen.

Vogelstein hatte mit seinem Blicke bereits wiederholt das grünumflochtene »Willkommen!« über dem Hausthor gestreift und fragte jetzt:

– Aber, liebe Frau Habermann, wer von Ihren Leuten hat sich denn auf diese schmeichelhafte Decoration verstanden?

– Ein braver und tüchtiger junger Mann, antwortete die Wirthin, der weder mein noch Ihr Brod isst. Er ist mein Gast und hörte von Ihren Verdiensten um Markt und Bezirk und that freiwillig, was ihm Niemand schaffen konnte. Und sie suchte mit ihrem Blicke Fritz, was ihr Gesinde blitzschnell verstand; denn im Nu sah sich der bescheidene Künstler, der sich gar nicht von seinem Tisch entfernt und nur verstohlen durch's Fenster geguckt hatte, gefasst und auf die freundschaftlichste Weise vor die Thür gesetzt.

Man lachte über die flinke Execution. Die Haberwirthin stellte ihren Schützling vor:

– Fritz Baumann, Partieführer drüben bei der Eisenbahn.

Vogelstein reichte ihm die Hand und sagte:

– Das trifft sich wirklich gut. Als Abgeordneter hab' ich die Verpflichtung, mich um den Fortschritt des Bahnbaues zu kümmern. Aber das Alter macht bequem und gemächlich. Wie war' es, Herr Baumann, wenn Sie einmal bei mir auf dem Kreuzbühel vorsprechen wollten und so viel Kameraden, als sich anschliessen mögen, mitbrächten? Da liesse sich bei einem guten Glas Wein gemüthlich besprechen, was uns beide interessirt. Mir geschähe ein Gefallen und Sie würden sich, denk' ich, auf dem Ausfluge nicht schlecht unterhalten. Abgemacht! Ich rechne auf Ihren Besuch.

Fritz konnte nicht Nein sagen. Dem würdigen alten Herrn gegenüber ging ihm Sinn und Herz auf. Der Mann, der, kaum den ermüdenden Kammer-Verhandlungen entflohen, schon wieder an die Pflichten eines Volksvertreters dachte, der, statt ihn für seinen müssigen Einfall zu beloben oder mit einer gnädigen Lüge abzufertigen, ihn alsogleich in ein allgemeines Interesse zog und auf diesem Felde wie Seinesgleichen mit ihm verkehrte, musste ihm eben so sehr Achtung einflössen als sein volles Zutrauen gewinnen. Fritz schlug daher freudig ein.

Eh' er von dem jungen Manne liess, der ihm zu gefallen schien, ging ihm Vogelstein noch mit der Frage zu Leibe:

– Lassalle oder Schulze-Delitzsch?

Fritz fühlte sich in seinem Element, indem er antwortete:

– Herr Baron, ich steige nicht gern so hoch, dass mir der Athem ausgehen könnte; ich muss festen Boden unter meinen Füssen haben. Es muss wohl auch Philosophen geben, welche die Begriffe zuspitzen, Theologen, welche sich um Dogmen streiten, Advocaten, welche nur durch den Tubus des Paragraphen ins Leben gucken und dabei um's Eck schauen müssen; ich aber halt' es mit dem Hausverstand, mit dem Christen, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, mit dem rechtschaffenen Bürger und mit dem Arbeiter, der die Hände rührt und möglichst wenig auf fremde Hülfe ansteht. Unsere Colonie drüben verlangt von einem Stimmführer zu allererst, dass er auch selbst einen Arbeiterkittel trage. Es ist lang nicht Alles so funkelnagelneu, was man uns jetzt anpreist, und was für die Vögel gut ist, passt nicht für die Fische. Gleichwohl haben wir schon manche Einrichtung im Kleinen und nach eigenem Bedarf, mit welcher Schulze zufrieden sein könnte, und was Lassalle betrifft, möchte ich behaupten, dass der Arbeiter und die Arbeit auch ohne das allgemeine Wahlrecht schon manchen ehrlichen und einsichtsvollen Vertreter in den Kammern haben.

Das Compliment galt Herrn von Vogelstein, und Fritz begleitete es mit einer leichten Verbeugung.

Aber der Schlossherr blieb bei der Sache, indem er antwortete:

– Freilich wäre das die richtige Ergänzung, und zugleich fruchtbarer als die gläubige oder leidenschaftliche Annahme jeder Theorie, wenn die Arbeiter allenthalben durch praktische Versuche, ihre Lage zu verbessern, sich selbst auch an der Lösung der socialen Frage ernstlich betheiligten. Wenn so, von unten herauf wie von oben herab, gearbeitet würde, müsste man schliesslich ja doch zu einer erträglichen und gedeihlichen Mittellage kommen. Sie sehen, fügte er hinzu, dass uns der Faden nicht leicht ausgehen wird; also auf Wiedersehen, Herr Baumann!

Unterdessen hatten sich die Frauen noch Mancherlei mitgetheilt und das Versprechen, sich recht oft zu besuchen, wiederholt. Es war beiden Theilen damit Ernst.

Dann schied man heiter. Das Fräulein grüsste mit Hand und Tuch so lange zurück, als es die Gruppe vor dem Wirthshause im Auge behielt, und hier blieb man so lange versammelt, bis der Wagen den nachspähenden Blicken entschwunden war. Eh' man sich in Stube, Küche und Keller verlor, tauschte man noch wohlwollende Bemerkungen aus, wie dass der alte Herr sich ganz wunderbar bei Kräften erhalte, dass der Frau Baronin die gute Seele aus den Augen schaue, dass das Fräulein ganz den verheirateten Schwestern nachgerathe und noch so freundlich sei wie früher. Der Grossknecht that den Ausspruch:

– Der Vogelstein, der richtet mit seinem alten Kopf noch mehr als wir Alle miteinand' mit unseren Händen.

Dem kleinen Michel hatte das Passen wie das Wässern Freude gemacht, sein Sinn stand nicht nach Trinkgeldern.

Fritz und die Haberwirthin allein blieben im Flur zurück. Sie sagte zu ihm lächelnd:

– Jetzt entlass' ich Euch. Ihr nehmt ausser Euren trübseligen doch auch einige muthige Gedanken mit, und diese werden bald die Oberhand gewinnen. Vom Kreuzbühel könnt Ihr Euch nicht los machen, dafür hat der Herr von Vogelstein gesorgt. Und so werdet Ihr wohl auch dem Haberwirthshaus nicht für immer den Rücken kehren. Der grüne Kranz draussen kann bleiben bis übermorgen, bald hätt' ich gesagt, bis Ihr wiederkommt. Lasst uns bald etwas von Euch wissen, denn sonst müsste die Rosel schreiben, und das geht ihr nicht recht von Statten. Geht mit Gott!

Sie drückte ihm die Hand und wendete sich ab.

– Nichts für ungut, Frau Mutter! rief ihr mit weicher Stimme Fritz nach, eh' er die geliebte Schwelle überschritt.

Das Wort »Jetzt entlass' ich Euch« war ihm schwer aufs Herz gefallen. Es hätte nur noch einer kleinen Nöthigung bedurft und er wäre geblieben, wäre so gern geblieben. Das Gespräch mit Herrn von Vogelstein hatte sein Selbstbewusstsein nicht wenig wieder gehoben, er schämte sich fast seiner früheren Verzagtheit, seiner Flucht, und doch musste er jetzt vollends damit Ernst machen. Sie, die ihn so leicht hätte zurückhalten können, hatte es nicht nur nicht gethan, sondern ihn geradezu beim Wort genommen. Recht geschieht mir. Recht! sagte er sich, ich selbst habe mir's eingebrockt. Die Haberwirthin weiss, was sie thut; sie kriegt Männer 'rum, geschweige denn Schuljungen, die noch nicht recht wissen, was sie wollen. Aber ich will mir's genügen lassen an dieser Lection.

Und er schritt gewaltig aus, die Strasse entlang, auf welcher soeben erst die herrschaftliche Equipage davon gerollt war.

Er glühte vor zürnendem Eifer gegen sich selbst, was ihn aber doch nicht verhinderte, den Wegrain zu erklimmen, dort, wo er am höchsten war, um nach den Kirschbäumen des Edlbauers zu spähen, nach dem Haberfeld, nach dem Krautacker, ob er nicht des flatternden Kopftuches seiner Rosel ansichtig würde ...

Warum sie den jungen Arbeiter nicht auch gleich zu sich in den Wagen genommen, nachdem sie sich mit ihm schon so gemein gemacht, begreif' ich wahrlich nicht, brummte droben auf seinem Zimmer Baron Röder, als er Fritz der Equipage nacheilen sah, als wollte er sie einholen.

Röder hatte den Auftritt vor dem Hause von seinem Fenster aus belauscht, aber sich daran gar wenig erbaut. Er hätte das leutselige Wesen der Vogelstein'schen am liebsten Popularitätssucht gescholten – aber sie hatten dabei auch nicht das Geringste von ihrer Würde vergeben! Er wollte an einen Spuk, einen Nachklang aus den seligen Tagen patrimonialer Herrlichkeit glauben, da man ja auch herablassend, gnädig und sogar grossmüthig sein konnte, wenn man wollte – doch wo gab es damals bei Empfangs- und Einholungs-Feierlichkeiten so stolze Nacken und freie Stirnen? Dann lächelte er geringschätzig und meinte: Man wird ja sehen, ob das nackte Interesse ersetzt, was früher die Autorität zugleich gliederte und vereinigte. Aber wieder musste er bekennen, dass man sich da unten ebenso selbständig als freundlich gegenüberstand. Die amerikanische Gleichheit hatte er zu satt bekommen, als dass er annehmen mochte, Deutschland könne auf dem Wege dahin sein. Aber diese Annahme war auch ganz überflüssig. Näher lag die Erklärung, dass ein humanes, gemeinnütziges Streben und Leben sich freudigere Anerkennung als jede privilegirte Ordnung erwerbe und Menschen zu dem schönsten Wetteifer mit einander verbinde, mögen selbe durch die Rangstufen der Gesellschaft auch noch so weit von einander getrennt sein. Was war jedoch alle Humanität in seinen Augen? Nichts als ein selbstgefälliger, wesenloser Schemen, dem erst die christliche Liebe zu Fleisch und Blut verhelfe. Diese christliche Liebe hatte aber bei ihm einen eigenthümlichen, scharfen, zersetzenden Charakter angenommen; es gelüstete ihn, mit ihr ein grosses Feuer zu schüren, zu welchen die Anderen die Brände zu liefern hätten, damit er sich daran die kalten Glieder wärmen könne. Sich selbst sagte er dies allerdings nicht und konnte sich's auch nicht gestehen, denn sein Fanatismus war zum Theil wirkliche Verblendung.

Röder war unzufrieden mit dem Vorgange unter seinem Fenster; derselbe erschien ihm zugleich wie eine üble Vorbedeutung für sein Auftreten auf dem grossen Parteitag. War das deutsche Volk noch zu unreif für sein vorbereitetes Kraftwort oder schon zu verderbt dafür?

Nicht aufsuchen wollte er den Vogelstein, aber, selbst unbemerkt, sich ihn bequem zu betrachten, dazu hatte er sich verleiten lassen. Doch diese Neugierde kam ihm theuer zu stehen. Warum fuhr es ihm auf einmal schneidend durch den Sinn, dass ein Fremder auf seinem Erbgut sitze? Und dieser Fremde hat das Gut erweitert und verbessert. Dieser Fremde geniesst mehr Ansehen im Marktflecken und im Bezirk als weiland sein Vater als Erb- und Grundherr.

Dieser Fremde fand vom entlegnen Kreuzbühel den Weg in die Landesvertretung, geniesst das Vertrauen seiner Wähler, wird mit Ehren begrüsst, und von seinen Verdiensten erzählt man sich in jedem Bauernwirthshaus. Und von diesem Fremden stammt ein neues blühendes Geschlecht auf dem Kreuzbühel. Dachte er unbefangen, so musste sich Röder diesem Fremden, diesem Manne der That gegenüber wie ein Heimatloser, ein Flüchtling, ein Unnützer und Abenteurer vorkommen. Er bereute schier, ihm ins heitere, wohlwollende Antlitz, ins zielbewusste Auge geschaut zu haben. Er musste ihn beneiden und hätte ihn lieber hassen mögen. »Ja, ja,« wiederholte er sich, »die Kinder der Welt sind klüger als die Kinder des Lichts.« Aber auch dieser Trost wollte nicht verfangen.

Von der Wirkung des kurzen Ständchens vor dem Hause auf den Baron Röder hatte die Haberwirthin keine Ahnung, wenngleich selbe ganz darnach angethan war, ihr zur Genugthuung zu gereichen. Sie dachte an die Rosel und sann darüber nach, wie sie das Herz des Mädchens über das Verschwinden des Geliebten beruhigen könne. Ein beschwichtigendes Wort schien auch in der That nicht überflüssig zu sein, denn es stand nicht lange an und Rosel stürzte herein mit glühenden Wangen, unwillig suchenden Augen und der hastigen Frage:

– Ist der Fritz da, Mutter?

– Nein, mein Kind, antwortete die alte Frau, ihren Zuspruch beginnend; aber das Mädchen hatt' es nöthiger, sich auszusprechen als zu hören und begann ärgerlich:

– Hab' ich mir's doch gleich gedacht! Schon auf dem Weg ist er so kurios gewesen. Aber wie man nur so – und sie fuhr mit der geschlossenen Hand gegen die Stirn – sein kann! So ist's, wenn man nicht redet. Hätt' er mich nicht fragen können: Rosel, wie steht's? Willst mich oder 's Geld? Drauf hätt' ich gesagt: Fritz, wie kommst du mir denn vor? Kannst du jetzt noch fragen? Ich hätte dich sicher nicht genommen, wenn ich einen Andern gewollt hätt', aber weil ich dich einmal hab', so brauch' ich keinen Andern, und wenn er auch um und um vergoldet wär', am wenigsten Einen von dem da oben – sie meinte den Baron –, der mich einmal schreckt und nicht wieder. Das wär' eine Red' gewesen. Aber so kommt's, wenn man sich nicht ordentlich ausspricht! Mir ist's recht. Ich werde sicherlich keinen Schritt thun – höchstens, dass ich ihm's zu wissen mach', wann der da oben wieder fort ist. Schad'! hätten noch anderthalb Tag' beisammen sein können! Aber mir ist nicht bang'; er wird schon kommen, und bittweis kommen muss er mir!

So die Rosel. Ein Bischen Aerger, ein Bischen Trutzköpfigkeit – das war Alles. Keine Ohnmacht, keine Thränen, nicht einmal beunruhigende Zweifel. Mit keinem heimlichen Gedanken, keiner Faser ihrer Sehnsucht war sie an der Stiftung, dem Golde der Versuchung, hangen geblieben. Geschreckt hatte sie der unheimliche Alte mit seinem fanatischen Ungestüm, aber jeden tieferen Eindruck auf ihr Gewissen verfehlt nun war sie auf ihrer Hut, nicht auch ein zweitesmal soll ihm der Ueberfall gelingen. So voll und tief war ihre Liebe, so sehr war sie von Fritzens Gegenliebe und zugleich vom eigenen Werth, von dem, was sie ihm war, überzeugt, dass kein Gedanke an Verlust und Trennung aufkommen konnte. Gewiss ein reines Herz und ein starkes Gemüth.

Die Haberwirthin hatte mit Erstaunen und heimlicher Freude den zürnenden Worten des Mädchens gelauscht; sie hielt jede Aeusserung des Lobes und der Zustimmung zurück, als fürchte sie, so viel Innigkeit und Lauterkeit des Herzens zu verschreien. Aber im Geiste segnete sie Rosel und Fritz, die Beide aus der unberufenen Prüfung so glänzend hervorgegangen; es erfüllte sie mit mütterlichem Stolz, von allem Anfang an erkannt zu haben, dass Eins des Andern würdig sei.

Um die Rosel auf andere Gedanken zu bringen, erzählte sie, dass die Vogelstein'schen vor dem Hause gehalten, und wie lieb und freundlich sie gewesen.«

Diese Begrüssung versäumt zu haben, machte aber das Mädchen unglücklicher als die Flucht des Geliebten.

– Was wird die gnädige Frau von mir denken, wenn sie mich auch auf dem Kreuzbühel nicht sieht? lautete der Angstruf.

– Närrin, ich hab' ihr ja gesagt, dass ich dich bei mir habe und dass du in der Kirche seist, sagte die gute alte Frau beschwichtigend; du hättest sehen sollen, wie gnädig der Herr von Vogelstein mit Fritz sprach; er hat ihn zu sich aufs Schloss geladen – das hättest du dir wohl auch im Traum nicht einfallen lassen!

Rosel horchte auf, ihre Augen leuchteten vor Freude, ihr Herz war stolz auf den Geliebten. Sie hatte ihm den dummen Streich der Flucht vergeben, wenn sie's auch selbst noch nicht wusste.

Unterdessen war es Mittag geworden. Wenn der Baron seinen Bekehrungs – und Beglückungsplan noch keineswegs aufgegeben haben sollte, so konnte er jetzt inne werden, wie wenig Anklang derselbe gefunden. Den jungen Arbeiter hatte er eilig das Haus verlassen, aber selbst zum Mittagstisch nicht zurückkehren sehen. Er mochte erwartet haben, dass die Rosel kommen, ihm mit der unbewussten Grazie der Jugend den Tisch decken und dazwischen von Glück und Dankbarkeit stammeln würde. Doch statt der Rosel trat die Kellnerin ein, die Alles im sicheren Griff hatte, dafür aber auch geschäftsmässig abthat. Noch konnte jedoch die Hausfrau der Dienerin nachfolgen, um ihrem Gaste die Honneurs zu machen. Aber auch das geschah nicht. Röder sah sich beargwöhnt, gemieden und zum gewöhnlichen Passagier herabgesetzt. Das vermehrte nicht wenig seine verdriessliche Stimmung, das musste aber auch seinen besonderen Grund haben, und diesen wollte er wissen. Alle Fragen, Zweifel und Befürchtungen, die er so geschickt in Schranken gebannt zu haben glaubte, brachen nun wieder mit einem Male hervor. Die Wirthin bekämpfte seine Absichten planmässig, das fühlte er, und wie er sich selbst gestand, dass er noch nicht die letzte quälende Frage an sie gerichtet habe, so durfte er voraussetzen, dass sie noch nicht das letzte Wort gesprochen. Dass sie wisse, wonach ihn verlangte und wovor ihm zugleich bangte, das stand für ihn nunmehr ausser Zweifel.

Als die Kellnerin mit dem letzten Gericht kam, fragte sie der Baron, warum der junge Mensch, der Fritz, nicht länger geblieben?

– Ich weiss es nicht, lautete die Antwort.

– Und warum kommt die schöne Rosel nicht wieder herauf zu mir?

– Sie mag nicht.

– Die Frau Haberwirthin muss wohl sehr beschäftigt sein, dass sie auf mich vergisst.

– Sie hat mich heraufgeschickt.

Aus dieser Person war nichts herauszubringen, das sah Röder ein; sie machte der Zucht der Haberwirthin Ehre; kürzer, ausweichender und ablehnender konnte man unmöglich mehr antworten. Aber die flinke Person hatte auch einen besonderen Grund, sich mit dem sonderbaren Alten wenig abzugeben; sie hatte bemerkt, dass die Rosel weinend und Fritz nicht viel anders von ihm zurückkehrten, und hatte sich vorgenommen, zu zeigen, dass er ihr nichts anhaben könne. Man muss die Leute zu behandeln wissen, pflegte sie zu sagen, und war nicht wenig stolz auf ihre Geschicklichkeit.

Schon wollte sie das gefürchtete Zimmer verlassen, als der Baron, aus stummem, zögerndem Hinbrüten auffahrend, ihr noch die Worte zurief:

– Ich möchte schwarzen Kaffee, nicht viel, aber stark, und lasse die Frau Wirthin ersuchen, auf ein Paar Worte zu mir zu kommen. Verstanden?

– Werd's ausrichten, erwiederte die Kellnerin kurz, und zog mit Tischtuch, Tellern und Esszeug siegreich ab.

Die Lösung des Räthsels war heraufbeschworen. Röder harrte des Spruches mit Unruhe und Ungeduld.

Aber auch die Haberwirthin stieg ernster die Stufen hinan als je zuvor und rief, eh' sie eintrat, alle rächenden Erinnerungen um Beistand an.

Sie massen sich mit stummen Blicken, die beiden Alten, als gewärtige Eins des Andern Angriff.

Zorn, leidenschaftliches Unbehagen verriethen Röder's Züge; das Gesicht der Matrone drückte Strenge und gesammelte Entschlossenheit aus.

Sie sassen einander gegenüber, Aug' in Auge, schweigende, greise Gegner.

Jede Sekunde vermehrte die peinliche Spannung.

Es sollte gleichgiltig klingen, als der Baron begann:

– Ich hätte den jungen Menschen gern nochmals gesehen, er gefiel mir – was trieb ihn so plötzlich fort?

– Ihr Anerbieten, erwiederte die Wirthin.

– Also er verzichtet und sie nimmt an?

– Nein, trotzdem dass Fritz es ihr leicht machen wollte, dachte sie keinen Augenblick daran. Herzen, die sich lieben, sind gut berathen; man soll sie daher nicht in Versuchung führen, denn es ist unnütz – nicht im Gewissen verwirren und peinigen, denn es ist grausam – nicht trennen, denn es ist unmöglich.

Ueberlegen lächelnd entgegnete Röder:

– Recht schön, aber wenig praktisch. Bedenken Sie doch die Folgen einer Mischehe.

– Ich kenne sie aus Erfahrung, lautete die ruhige Antwort. In meinem Heimatsdorf leben Lutheraner und Katholiken in Frieden und sind nicht selten miteinander verwandt oder verschwägert. In Ihrer Familie gab es, eh' die alten Kreuzbühler Röder ausstarben, einen katholischen neben dem protestantischen Zweige. Mein Mann, der, bald nachdem Ihre Eltern den ihnen angefallenen Besitz des Kreuzbühels angetreten, ins Land kam, war Protestant. Mein Aeltester, der vom Vater den ernsteren Sinn geerbt hat, wählte auch dessen Bekenntniss, nachdem er beide Confessionen wie nahe verwandte Sprachen zu Hause kennen gelernt; die beiden Jüngeren sind mir nachgerathen, auch im Glauben. Alles ohne Zwang und Hader. Mein Gatte stieg als Ehrenmann ins Grab, und ich glaube an seiner Seite nicht schlechter geworden zu sein.

– Mit der Liebe zu einem Andern im Herzen! schaltete der Baron hämisch ein.

– Mir das? Und von Ihnen? rief die Wirthin aus, ebenso erstaunt als verletzt. Das geht weit, Baron! Doch sie sollen nicht glauben, dass ich erröthen müsse, statt zu antworten. Von dieser Liebe wusste mein Mann. Er billigte sie und meinte mehr als einmal, von allen romantischen Liebschaften, welche jungen Mädchen im Kopf zu spuken pflegten, bilde die meine eine rühmliche Ausnahme, denn sie habe mein Herz unverdorben gelassen, und meinen Verstand geweckt. Er mag eine zu gute Meinung von mir gehabt haben, aber zur Schande gereicht mir meine Jugendliebe ebensowenig, als dass mein weisses Haar einst dicht und dunkel war. Ich werde mit ihr vor Gott bestehen können.

– Gut, gut! wehrte Röder verlegen. Was ich sagen wollte ... darf denn mein Antrag so leicht genommen werden? Sind denn etliche tausend Gulden ein reiner Bettel für' ein armes Mädchen?

– Die Rosel dankt, und wären es auch eben so viele Hunderttausende. Was Ihre Grossmuth für Sie selbst und Ihr Gewissen werth sein soll, will ich nicht beurtheilen.

– Ich aber will Ihnen sagen, Frau Wirthin, dass Sie sich auf unverantwortliche Weise an dem Glück, an der Zukunft des Mädchens versündigen, das Sie wie eine Mutter zu verehren scheint.

– Das weiss Gott im Himmel besser, antwortete, auf diesen Vorwurf sich erhebend, feierlich die alte Frau. Und auch das gute Kind fühlt, dass es mir vertrauen darf; wie für kein's meiner eigenen Kinder je, bin ich für dieses Mädchen besorgt. Ich betracht' es als ein mir anvertrautes Pfand, über welches ich stündlich geliebten Todten Rechenschaft schuldig bin. Einzig und allein in dem Glücke ihrer Rosel kann diesen theuren Schatten noch eine späte Freude erblühen; nur an ihr noch kann gesühnt werden, was an ihnen verbrochen worden. Grossmutter und Mutter haben mich zum Schirm und Anwalt für dieses Kleinod bestellt, und wenn meine Zunge schweigt, so erstirbt Anklage und Zeugniss. Auf dieses eine Haupt möcht' ich alles Gute vereinigen, um welches jene Unvergesslichen verkürzt worden sind. Aber müsst' ich sehen, dass jene unheilvolle Hand, welche die Grossmutter unglücklich gemacht und die Mutter dem Elend preisgegeben hat, auch über das Enkelkind Macht gewinnen wollte – ich schonte meine morschen Glieder nicht, um dem Wolfe das Lamm zu entreissen.

Sich setzend fuhr die Wirthin ruhiger fort: »Ich rede nicht irr, Herr Baron. Ich will Ihre Geduld nicht missbrauchen; wenn Sie mir Gehör schenken, sollen Sie die Geschichte einer Jugendliebe erfahren, die Ihrer Entrüstung würdiger ist als meine unschuldige Schwärmerei, aber auch so viel Thränen des Mitleids werth, als sie Thränen des Jammers verursacht hat. Halten Sie's einer alten Frau zu Gute, wenn sie weich wird; besser Thränen in alten Augen als das trockene Feuer einer Leidenschaft. Ja, und warum ich die Geschichte erzählen will? Sie hängt mit meiner Angst und Fürsorge für die Rosel und somit auch mit Ihrer Grossmuth für dieses junge Geschöpf zusammen.

Rosels Mutter hat nie Vater oder Mutter gekannt. Sie wuchs auf bei fremden harten Leuten, die sich keineswegs für Gotteslohn des Kindes annahmen, es vielmehr misshandelten, wenn das verschämte Pflegegeld sich nicht rechtzeitig einstellte oder ihren Erwartungen nicht entsprach. Arbeit war des Mädchens frühestes und einziges Loos, und zwar hielt man es zur niedrigsten Arbeit für eben gut genug. Der traurigen Kindheit folgte eine freudlose Jugend, weder durch angebornen heiteren Sinn noch durch Schönheit verklärt, die, wie sie die eigene Lebenslust mehrt, auch die fremde Umgebung freundlicher stimmt. Der Volksspott nannte die Betteldirne Prinzessin. Was das Gerücht ihr über Stand und Schicksal ihrer Eltern zutrug, entpresste ihr heimliche Thränen oder Flüche; erstere galten der Mutter, letzte trafen den Vater. Wenn die hagere Bauernmagd Sonntags in die Kirche ging, meinten ältere Leute, es sei eine Sünd und Schande, dass er sich gar nicht um sein Kind kümmere. Wer der Magd ins Gesicht sah, wusste, auf wen der Tadel zielte. Sie bekam mehr und mehr die Züge des Vaters, der von ihr nichts wissen wollte; sie trug sie wie einen offenen Schuldbrief zur Schau, der niemals eingelöst wurde. Als der Letzte unter dem Gesinde des Herrn von Vogelstein, der Teichhüter, um sie warb, sagte sie Ja, als gälte es, in einen neuen Dienst zu treten. Die Geburt ihres einzigen Kindes überlebte sie nur wenige Jahre. Als sie aufgebahrt lag, entdeckte man in ihren erstarrten Zügen das erste Lächeln.

Ein dumpfes, mühseliges Menschenleben, nicht wahr, Herr Baron? Es ist gar nichts Besonderes dran, aber wer es auf dem Gewissen hat, mag schwer zu tragen haben. Wie man nur ein so hilfloses Ding auf die Welt setzen kann, ohne ihm irgend etwas Liebes und Freudiges mitzugeben?

Die alte Frau schwieg und blickte mit fragendem Ernst auf Röder. Dieser lehnte sich in den Stuhl zurück und schloss die Augen, als wollte er von allen Uebeln der Welt nichts sehen. Nur leise nickte er wie mitbedauernd den Kopf.

Es war für Denjenigen, der das Schuldig zu gewärtigen hatte, eine ebenso grausame als erbarmungsvolle Stille.

Die Haberwirthin erzählte weiter: »Rosels Grossmutter, die Mutter der Teichhüterin, hiess Rosalia Birkner, ja Birkner – Sie erinnern sich gewiss noch dieses Namens. Sobald Sie den feurigen Fuchsen bekommen hatten und der Aufsieht des alten John entwachsen waren, ritten Sie ja am häufigsten und liebsten zum Förster Birkner hinüber. Dem herrschaftlichen Beamten musst' es eine Ehre sein, wenn ihn der Sohn seines gestrengen Herrn besuchte, und dieser, damals in der Gegend noch der luthrische Junker Fritz genannt, machte sich oft genug über den abergläubischen Nimrod lustig, auf dessen Brust er einen geweihten Pfennig entdeckt, in dessen Hand er einen Rosenkranz gesehen, und der sich vor besprochenen Kugeln fürchtete. Sie haben gestern sicher nicht unterlassen, dem Forsthaus einen freundlichen Blick zuzuwerfen; denn wie könnten wir eine Stätte vergessen, die uns in der Jugend lieb und theuer war? Es steht noch auf dem alten Hügel, auf dem alten Fleck, ist aber selbst das alte Haus nicht mehr. Nach einem Brande hat man es luftiger und geräumiger aufgeführt. Auch ist der Wald etwas weiter nach oben zurückgewichen. Sonst ist Alles noch, wie es früher war, und Sie fänden sich auf Weg und Steg zurecht wie damals, als Sie oft spät Abends erst vorsprachen und noch später schieden, trotzdem Birkner ein einsilbiger Mann war und die sorgsame Hausfrau schon unter der Erde ruhte.«

– Und die Rosalia? drängte der Baron mit unsicherer Stimme.

– Sie gedenken also der unglücklichen Jugendgenossin noch? Das ist brav. Nun, ich will von ihr erzählen. Sie war schön und gut, war ein heiteres, glückliches Wesen – und musste verrathen und elend enden! Und der Bube ...

Der Baron machte eine heftige, abwehrende Bewegung.

– Ich habe seinen Namen nicht genannt, fuhr die Frau ruhig, aber mit Nachdruck fort. Der Bube, der dieses herrliche Geschöpf ins Verderben stiess, ging straflos aus! Doch vielleicht irre ich mich, vielleicht trieb ein Fluch ihn durch alle Länder und liess ihn nirgends Glück und Ruhe geniessen. Denn wer zu seinem treuen, hoffenden Lieb den Weg zurück nicht findet, hat gebrochen mit Allem, was Frieden und Stätte heisst, und dafür einen peinigenden Poltergeist in sein Herz geschlossen. Der Untreue wird die Welt zu enge und Mancher ihrer irrenden Ritter kam schliesslich zum Grabe seiner verrathenen oder verstossenen Liebsten gepilgert. Wie dem Frevler an Rosaliens Glück und Herzen die Fremde anschlug, weiss ich nicht des Nähern, aber hier, in seiner Heimat, konnte das Andenken an seine Untreue und schändliche Feigheit nicht erlöschen. Mit ihren trüben, seelenstumpfen Zügen zeugte unbewusst seine Tochter gegen ihn, und in dem Antlitz seiner Enkelin ging von Neuem die Schönheit seines Opfers auf. Die Rosel gleicht ihrer Grossmutter, gleicht der Rosalia Birkner, da dieselbe noch ein arglos glückliches Mädchen war, und wenn der alte Sünder heute käme und der Rosel ungerührt, ohne Schreck und jähes Schuldbewusstwerden ins Gesicht zu sehen vermöchte – ich müsste glauben, dass das Menschenherz zu Stein werden könne.

Röder warf sich im Stuhl unbehaglich herum und brauste gegen die Wirthin auf:

– Erzählen Sie, was Sie mir mittheilen zu sollen glauben, aber verschonen Sie mich mit ihren Fraubasereien. Es steht geschrieben: Richtet nicht.

– Und es heisst weiter: Auf dass ihr nicht gerichtet werdet, antwortete die alte Frau. Mich wundert, dass Ihnen diese schöne Stelle erst einfällt, nachdem Sie dem rechtschaffenen Fritz den Ketzer aufgemutzt, der Rosel unnöthigerweise mit Dingen, welche sie nicht zu verstehen braucht, das Herz schwer gemacht und meine höchste und zugleich wohlthätigste Jugenderinnerung verdächtigt haben. Doch es sei; ich will nichts hinzuthun und nichts wegnehmen – was die arme Rosalia zu leiden hatte und wie sie starb, wird selbst einem wildfremden Menschen zu Herzen gehen.

– In einer finsteren Sommernacht, fuhr die Haberwirthin aus treuer Erinnerung erzählend fort – es war im Juli nach dem letzten Herbst, den Sie, Herr Baron, auf dem Kreuzbühel zugebracht – hörte ich, wie ich eben einschlafen wollte, leis' an's Fenster klopfen und meinen Namen rufen. Ich schlief mit der alten Beschliesserin Theres, die etwas schwerhörig war, in einem Hinterstübchen des Stöckels am vorderen Teich. Schreckhaft war ich nicht, und so merkte ich nur noch auf, ob ich nicht etwa bloss geträumt hätte, und als sich das dumpfe Pochen wiederholte, schlich ich ans Fenster, um zu hören, wer es sei, und was man wolle. Ich öffnete ein klein wenig, damit ich besser verstehen könnte; die Gestalt konnt' ich nicht ausnehmen, denn es war stockdunkel, und vor dem Fenster steigt gleich der Wald an; aber ich vernahm die hastig geflüsterten Worte: »Fürchte dich nicht, Liesel; ich bin die Birkner-Rosel, und bitte dich, zieh' dich an und komm' mit mir – thu's einer armen Mutter zulieb, die schier verzweifeln möcht' – aber es ist ein weiter Weg, Liesel.« Wohl erkannte ich die liebe Stimme, aber sie klang nicht munter und lachend wie sonst, sondern so kläglich, dass mir die Thränen kamen. Wie ich zum Fenster hinausgelangte, ohne dass die Alte vom Geräusch und Luftzug aufwachte, wüsst' ich heut' noch nicht zu sagen. Draussen sagte die Birkner-Rosel zu mir: »Dies ist mein Kind; denk' so schlecht von mir als du willst, aber hilf mir das schuldlose Geschöpf retten; es ist noch nicht einmal getauft, sonst –« Erst viel später ging mir das Verständniss dafür auf, was sie mit diesem Worte sagen wollte, und ich ermass den Verzweiflungskampf, den die Aermste am Rand des Teiches zu bestehen gehabt, der für Mutter und Kind eine gastlich bergende Tiefe bot. In jener Nacht aber konnt' ich nur weinen und thun, was sie mich hiess. »Du hast Verwandte droben im Holzschlagerdorf,« sagte sie, »bring' mich hin!« Und wir machten uns auf den Weg. Das war eine traurige Wanderung. Die Mutter war noch nicht bei Kräften, denn sie hatte vor der Zeit das Bett verlassen; der Weg war weit und beschwerlich, die Schrecken der Nacht fielen doppelt schwer auf das verstörte Gemüth, ich erwies mich nicht minder verzagt als ungeschickt, das Kind wimmerte und schrie, und den eifersüchtig schützenden Armen der Mutter wollte die Kraft mehr und mehr versagen. Dann brach auch noch das Gewitter los, das längst den Himmel schwarz überzogen hielt, und hätten wir nicht unter dem niederen Dach einer verlassenen Köhlerhütte Schutz gefunden, um's kleine Leben wär' es geschehen gewesen. So aber blieb es für lange freudlose Jahre erhalten.

Nach einigem Schweigen, das zu unterbrechen der Baron keine Lust hatte, fuhr Frau Habermann fort:

– Wir fanden bei meiner Base im Gebirg keine freundliche Aufnahme. Harte Arbeit, rauhe Tugend. Es kostete viele Bitten und Thränen, dass die kranke Mutter mit dem kranken Kinde nicht wieder vor die Thür gesetzt wurde, und gewiss nur die Sorge um das Kind, die alle ihre Lebensgeister spornte, rettete die Mutter. In den schlimmsten Stunden, da Rosalia selbst an ihrem Aufkommen zweifelte, erfuhr ich Näheres über die Ursachen der nächtlichen Flucht. Sie hatte ihren Zustand geheim zu halten gewusst. Die Magd, eine gutmüthige, verlässliche Person, hatte ihr Beistand geleistet in der schweren Stunde. Aber das neue Leben im Hause liess sich nicht verleugnen; es erfüllte die Luft, als wüsst' es, was seiner harrte, mit Geschrei und Gewimmer. Birkner nahm die Sache anscheinend leichter, als man zu hoffen gewagt. Aber sein Auge funkelte unheimlich, als er zur Wöchnerin sagte: »Armes Kind, nenn' mir den Verführer.« Vergebens bekannte und betheuerte Rosalia: »Du thust ihm Unrecht, Vater! seine Schuld ist auch die meine. Er meint es ehrlich mit mir, hat mir's mit hundert Eiden zugeschworen. Gewiss, er wird kommen, und du wirst an ihm deine Freude haben.« Der Alte wiederholte seine Frage ungestümer, drohender, je standhafter die junge Mutter schwieg. Birkner suchte aber auch auf andere Weise hinter das Geheimniss zu kommen; denn Rosalia bemerkte eines Nachmittags mit thränenmüden, halbgeschlossenen Augen, wie er leise an ihr Bett schlich, sich über das Kind beugte, das an ihrer Seite schlief, und mit an sich gehaltenem Athem in dessen weichen Zügen forschte. Er schied zwar unbefriedigt, aber Rosalia wusste genug. Auch sie hatte, und zwar mit dem geschärften Blicke der Mutter, in den werdenden Linien gelesen und musste fürchten, dass das Gesichtchen ihrer Kleinen von Tag zu Tag mehr zum Verräther werden würde. Sie kannte den leidenschaftlichen Charakter ihres Vaters und sah das Leben ihres Geliebten im Augenblicke seiner Heimkehr – und an diese glaubte sie ja mit der ganzen Stärke ihres Herzens – gefährdet, gefährdet durch sein verjüngtes Bild in seinem Kinde! Die Kleine musste daher den argwöhnischen Augen des Alten entrückt werden, und zwar besser heut' als morgen.

Aber die arme Rosalia hatte noch Schlimmeres durchzumachen als nächtliche Flucht und Krankheit unter fremden, knorrigen Menschen. Genesen, wollte sie arbeiten, wollte Geld verdienen, wollte sich als Magd verdingen, damit ihr Kind zu leben habe, damit es wachse und gedeihe. Doch du lieber Gott! wer wollte die schöne Sünde ins Haus nehmen? Wer ihrem zarten Gesicht, ihren feineren Händen Lust und Muth zu schwerer Arbeit zutrauen? Sie wanderte von Hof zu Hof, von Thür zu Thür und bekam grausam schimpfliche Worte zu hören, und brach zusammen unter der Wucht von Demüthigung und Kränkung, und kehrte muthloser immer wieder ins ärmliche, ungastliche Haus meiner Base zurück.

Ich konnte den Jammer nicht länger ansehen und lief, am Kreuzbühel vorüber, geraden Wegs zum Vater Birkner und flehte zu ihm kniefällig, dass er sich seiner unglücklichen Tochter erbarme. »Ich hiess sie nicht gehen und heisse sie nicht kommen,« antwortete der Alte hart; »sie weiss, was ich zu wissen brauche – bleibt sie hartnäckig, so mag sie zusehen, ob ihr zu Hause wohler wird als draussen auf der Strasse.« Das klang wenig ermuthigend, aber da ich sah, wie sehr der starke Mann selbst litt unter dem doppelten Schmerze der Schande und der Trennung, so schöpfte ich Hoffnung und vermochte die zagende Freundin zur Rückkehr ins Vaterhaus.

Hier wartete ihrer das ausgesuchteste Herzeleid. Alles ging so still und dumpf und beklommen ab wie in einem Trauerhause. Rosalia war eine Geduldete, ihres Kindes durfte mir keinem Worte gedacht werden. Birkner trug kalte Gleichgültigkeit zur Schau, nur zuweilen verrieth ein streifender Blick Verachtung, glühenden Hass. Dass seine Tochter sich härmte und grämte, mit welken Wangen aufstand und mit verweinten Augen sich zu Tische setzte, schien er mit Befriedigung wahrzunehmen, während Rosalia hingegen mit wachsender Angst, die sie aus Furcht vor Missdeutung nicht durfte laut werden lassen, sah, wie ihr Vater hinter der Maske eiserner Ruhe grollte und brütete, sich abquälte und aufrieb, wie er täglich finsterer und hinfälliger wurde. In der That, der alte Birkner war bald nicht mehr zu erkennen; er, dessen Gewissenhaftigkeit sein Stolz war, vernachlässigte den Dienst und ergab sich dem Trunke.

So lebte Rosalia im unheimlichen Forsthause. Und doch gab es noch eine kurze Zeit, da sich ihre Wangen wieder rötheten und ihre Schönheit milder leuchtete, als je zuvor. Es war in den Tagen, in welchen sie den Geliebten zurückerwartete, und zwar diesmal mit der letzten Kraft eines hoffenden, glaubenden Herzens. »Ich will ihm ja nicht unbequem werden,« sagte sie damals zu mir; »ich weiss, dass er nicht halten kann, was er versprach; aber ich möchte die Rechtfertigung meiner Liebe in seinen Augen lesen, möchte mich an der lebendigen Ueberzeugung, dass ich wirklich geliebt wurde, wieder aufrichten, möchte hören und sehen, dass er für sein Kind ein Herz hat.« Kann ein betrogenes Weib weniger verlangen, edler verzichten? Und ist, wer an einem solchen Herzen sündigen konnte, nicht ein Lotterbube, und wär' er auch ein Ritter von Geburt?

Baron Röder widersprach nicht.

– Wäre Rosalia ein minder tiefes und stätiges Gemüth gewesen, ergriff die Wirthin von Neuem das Wort, schmerzlich lächelnd, so hätte sie sogar noch ihr Glück machen können. Der Schmied-Thomas, seinerzeit der flotteste Bursch, der es einige Jahre ziemlich bunt getrieben, gesellte sich eines Sonntags zu ihr und sagte: »Ich kann dich nicht so vergehen sehen, Rosel! Ich sag' dir frei: wer dich so dran kriegen konnte, gegen den bin ich mit all meinen Fehlern ein neugebornes Kind. Wir zwei hätten von allem Anfang an zusammengepasst, aber mein Leichtsinn hat's halt nicht zugelassen, dass mir früher die Augen aufgingen. Machen wir jetzt ein Paar. Ich will dich in Ehren halten, wie du's verdienst. Kein krummes Wort sollst du zu hören bekommen, und dein Kind ist mein Kind.« Rosalia war gerührt und antwortete: »Seit ich im Unglück bin, hat mich keine Rede so erfreut und getröstet wie deine, Thomas. Aber eben weil du ein so gutes Herz hast, kann's nicht sein. Du thätest doch nur einen welken Hochzeitsbuschen an Deine Brust stecken. Dir wünsch' ich was Besseres. Mit mir geht's zu End', aber dass du's gut gemeint mit mir, das will ich dir gedenken wie – wie –« und sie eilte schluchzend davon. Der Schmied-Thomas selbst hat es mir später erzählt.

Mit dem alten Birkner ging es rasch abwärts. Als ihm die Herrschaft einen Gehilfen, den jetzigen, nun auch schon alten Förster Conrad, ins Haus schickte, lachte er grell auf und bemerkte bitter: »Schon so bald?«

Am Aegyditag war's – er fiel selbiges Jahr auf einen Freitag, Conrad war noch kaum einen Monat im Forsthaus, in unserm Dorf drüben war Kirchtag und schon stark geherbstelt hat's – als der Botenjörg vom Markt keuchend mit der Nachricht in den Schlosshof stürzte: Das Forsthaus brennt!

– Jesus Maria, es gibt ein Unglück! schrie ich auf und musste an die arme Rosalia denken. Und so dachten Viele mit mir; denn wer die schöne Försterstochter kannte und von ihrem Unglück wusste, hatte Mitleid mit ihr und fürchtete für sie. Es war auch gar zu auffallend! Denn wie konnte das Feuer ausbrechen, während Alles, was Beine hatte, im Dorf drunten, in der Kirche oder um die Buden versammelt war, wenn man nicht die Hand eines Verrückten annehmen wollte? Wer sich flink und rüstig fühlte, eilte den Hügel hinan, Allen voraus Conrad, für welchen die dunkle Ahnung der Uebrigen schon zur Gewissheit geworden. Er hat später vor Gericht unter seinem Eid ausgesagt, wie er wenige Tage vor dem Brand den Förster in der Stube seiner Tochter habe jammern und sagen hören: »Willst du noch nicht sterben? Muss mich die Schande auch noch überleben?!«

Als das Haus niedergebrannt war, zog man aus dem rauchenden Schutt, dort, wo die hölzerne Stiege gewesen, den halbverkohlten Leichnam des alten Birkner hervor; er hatte sich nicht einzig und allein auf das zerstörende Feuer verlassen – man fand ihn mit zerschmettertem Kopf.

Die gemauerte Stube hatte wenig gelitten; auf dem Boden vor ihrem Lieblingsfenster lag Rosalia, fast gar nicht entstellt, von einem Schuss ins Herz getroffen. Das war eines Försters Schuss, eine Freikugel konnte nicht sicherer treffen!

Als Vater und Tochter vereint ins Grab gesenkt wurden, flossen viele aufrichtige Thränen. Auch den alten Birkner konnte man nicht verurtheilen, sondern nur beklagen. Er war ein rechtschaffener, ehrfühliger Mann; was ihn zur Unthat trieb, war eine fremde Schuld. Der Fremde, der Eine, freilich hätte, als man seine Opfer begrub, keinen guten Tag gehabt.

Als Rosalia tödtlich getroffen im brennenden Hause zusammenbrach, war ihr Töchterlein zwei Jahre und etliche Wochen alt; es hatte noch keinen bleibenden Eindruck von seiner schönen, unglücklichen Mutter empfangen.

An dem mir unvergesslichen Aegyditag war es auch, dass Ihre Frau Mutter, Herr Baron, zum erstenmale jene Zustände bekam, welcher wegen sie bald aus einem Bad ins andere wandern musste. Sie hat dem Kinde Rosalias manches Gute zukommen lassen, allerdings auf eine vorsichtige Weise, welche deutlich erkennen liess, wie sehr sie fürchte, sich als Gewissheit eingestehen zu müssen, was sie richtig ahnte.

Ich gelobte mir bei dem Andenken an meine unglückliche Jugendfreundin, ihrer Enkelin mehr zu sein, als ihrer Tochter gegenüber in meinen Kräften stand. Und um diesen heiligen Schwur zu halten, wache ich über die Teichhüter-Rosel, schirme und schütze sie und will sie glücklich sehen. Und stünde in diesem Augenblick selbst ihr Grossvater vor mir und wollte nach ihr die Hand ausstrecken, ich riefe ihm zu: Rühre sie nicht an! Deine Hand ist befleckt, du hast dein natürliches Recht verwirkt! Und wäre der sündige Mann inzwischen selbst ein Heiliger und Sittenprediger geworden, ich würde ihn zurückweisen – denn harmlose Gemüther verwirren, Proselyten machen heisst nicht sühnen.

Mühsam hatte Röder während der Erzählung der unerbittlichen Matrone nach Fassung gerungen. Seine Stimme zitterte, als er, sich erhebend, zu entgegnen suchte, und seine Worte lauteten:

– Es ist Einer, der da sprach: Mein ist die Rache. Dieser Gerechte ist auch der Allerbarmer und weiss zu unterscheiden, was bewusste Schlechtigkeit, was Unwissenheit und Leichtsinn war.

– Ich lasse Sie mit ihm allein, mit ihm, der die Hoffärtigen beugt, erwiederte die alte Frau ernst, indem sie das Zimmer verliess.

In der grossen Trinkstube hatte man unterdessen schon mehr als einmal nach dem Verbleiben der Haberwirthin gefragt. Die schwereren Bauern der Gegend sprachen nach dem nachmittägigen Segen in der Kirche gern bei ihr zu und fühlten sich geschmeichelt, wenn sie sich zu dem Einen oder Andern von ihnen setzte. Ihr Wort galt viel und ihr Rath war gesucht. In der Meinung der Leute durfte sie's sogar mit dem Vogelstein aufnehmen und gab's mehr aus, wenn sie Einen ins Gebet nahm, als wie wenn der Pfarrer wetterte oder greinte. Man liess zwar auch über ihren Seligen nichts kommen, aber leichter konnte man sich doch bei ihr ausreden, und von der Wirthschaft verstand sie soviel wie der alte Haberwirth, und mehr als der junge, der jetzt auswärts war auf Freiersfüssen.

Es sei zum Verwundern, bemerkte der Thalhofer, wie sie das Alles am Griff haben könne, da sie doch einmal ein Stadtfräulein gewesen. Doch das bestritten der Franz »auf der Höh« und der Peter »im Sausach,« welche Beide dafür einstanden, dass sie ein richtiges Bauernkind sei. Noch bessern Bescheid wusste der alte Jörg »auf der Seiten,« wie nämlich ihre Aeltern nur arme Holzschlagersleut' gewesen, wie aber die frühere Herrschaft sie, weil sie halt ein gar braves und kluges Kind war, ins Schloss genommen habe. Selbiger Zeit, fuhr der Alte fort, sei auch ein Holzschlagerbub', aber ein studirter, zu den herrschaftlichen Kindern gekommen, ein wahres Kreuzköpfel; er hätt' sollen ein lutherischer Geistlicher werden, aber nachher habe man nichts mehr von ihm gehört. Er werde wohl das Rechte nicht getroffen haben.

Breit legte sich der reiche Gstättenbauer auf den Tisch vor, räusperte sich bedeutsam und sagte:

– Ja, ja, die Holzschlagerischen haben gute Köpf! Der St. Jörgner Pfarrer ist auch einer, und dem kann gewiss Keiner was Unrechts nachsagen.

– Und Kurasch haben's und gute Fäust' auch, setzte ein Anderer mit raschem Verständniss hinzu; müsst' keine Holzschlagerische sein, die Haberwirthin, wenn sie nicht Kurasch für ein Mannsbild hätt' oder zwei.

– Ich denk es noch wie heut', fiel ein Dritter ein, wie sie den Fuchswirth-Hans, den Stänker, hat vor die Thür setzen lassen. Und am Sonntag drauf ist er doch selber wieder gekommen und hat gesagt: Recht habt Ihr gehabt, Frau Wirthin; ich bin zeitenweis ein unguter Mensch, und so ein Stänker gehört vor die Thür.

Es war heute wohl desshalb so viel von der Haberwirthin die Rede, weil sie keine Lust hatte, unter ihre Gäste zu treten. Nach all dem Traurigen, das sie neuerdings in der Erinnerung, indem sie es erzählte, so lebendig durchgemacht, konnte sie den Zechern keine freie, heitere Miene zeigen. Sie war nach der Unterredung mit dem Baron, welche alle ihre Sammlung und Seelenkraft in Anspruch genommen, auf ihr Zimmer geeilt, um lösenden, lindernden Thränen freien Lauf zu lassen.

Sie gab sich keine Rechenschaft, warum sie flossen, aber sie thaten ihr wohl. Sie hatte ihre unglückliche Freundin gerächt; das hätte sie mit stolzer Genugthuung erfüllen können, wenn nicht ein doppeltes Mitleid die Oberhand gehabt hätte, Mitleid mit dem unverdienten Loose ihrer Lieben, aber auch Mitleid mit dem verblendeten und verhärteten Sinn Röder's! Wie gern würde sie das Untröstliche ihm auf minder grausame Weise beigebracht haben! So jedoch hatte auch sie sich zur Härte zwingen müssen. Diese schmolz nun wieder ab in den leisen Thränen, in welchen ihr mildes, humanes Wesen gegen alles Herbe reagirte.

In der Zechstube vermisste man die Wirthin bald nicht mehr. Sie hatte sich gefüllt. Junge Bursche mit frischen Dirnen waren eingetreten; der Glasdeckel klapperte bald an diesem, bald an jenem Tische, bald in dieser, bald in jener Ecke; die Kellnerin konnte nicht flink genug herumschiessen und hatte überdies noch jetzt ihre Schürze, jetzt eine Bockfalte von zutäppischer Hand loszumachen oder einen derben Schäker abzutrumpfen und dem Gelächter der Uebrigen preiszugeben; der Lärm wurde gross und der Qualm dicht und dichter. Um diese Zeit, wann's so bunt und geräuschvoll herzugehen anfing, hatte sich die Haberwirthin immer schon unbemerkt zu entfernen gewusst.

Die Alten steckten so eifrig die Köpfe zusammen, die Jungen hatten so viel ihren Schönen zuzuflüstern oder überboten sich, einander aufzuziehen, dass Niemand sogleich den Geiger bemerkte, welcher schüchtern eingetreten war und sich zwischen Thür und Kachelofen zum Uhrkasten gestellt hatte. Erst als er auf seinem Instrument die Probegriffe that, schaut' und horchte man auf.

Es war, so viel man sehen konnte, eine fremdartige, Mitleid erregende Erscheinung. Um den Hals hatte er einen groben Shawl geschlungen und ungeschickt geknotet. Die Kleider, aus städtischer Werkstatt, aber verschossen und bestaubt, schlotterten an den mageren Gliedern. Ihn fror, trotzdem die Bauernburschen in Hemdärmeln dasassen und die Wangen der Dirnen glühten. Sein Auge blickte gutmüthig, scheu, zerstreut. Die hohe Stirn war kraus und schien in ihren Furchen und Falten zu einem unfertigen Ausdruck erstarrt zu sein. Gleicherweise stereotyp spielte ein verlegenes Lächeln um seine fahlen Lippen. Wirr hingen ihm die langen grauen Haare über die Schläfen und in den Nacken; das spitze Kinn war struppig. Aber der Schnitt des schmalen Gesichts war edel. Auf den blassen, eingefallenen Wangen zeigte sich zuweilen ein jähes, scharf umschriebenes Roth. Wie schlummermüde beugte sich das Haupt vor. Mit Mühe hielt sich der hinfällige Körper aufrecht; er glich dem Schatten von einem Leben.

Der Geiger begann zu spielen und zu singen:

Ist es denn auch wirklich wahr,
Wie ich hab' vernommen.
Dass so viele Tausend Mann
Sind nach Russland kommen?

Helles, übermüthiges Gelächter erscholl von allen Tischen und Bänken der jungen Leute.

– Das hat ja schon mein Urahnl gesungen!

– Eh's noch in die Schul' gangen ist, gelt?

– Versteht sich; sein Stückel ist so jung, als er selber ist.

– Fehl geschossen; es war schon damals nicht mehr wahr.

So übertrumpfte ein Einfall den andern, während man mit neugierigen Blicken die zitternde Jammergestalt musterte.

Aber vom Altmännertisch kam die Einladung: Trink, Alter! sollst leben!

Es war des Gstättenbauers Stimme, der auch fortfuhr: Mach keine Umständ', man sieht dir den Durst an.

In der That führte der Geiger, der sein Instrument auf die Ofenbank gelegt hatte und mit einem Salonbückling vorgetreten war, mit bebender Hast das dargereichte Glas an die brennenden Lippen. Statt zu danken oder Bescheid zu thun, bemerkte er entschuldigend, indem er an dem wulstigen Halstuch rückte: Die Stimme hat etwas gelitten auf der See.

– Ich glaub', der bildet sich auf seinen Gesang gar noch was ein, lachte der Peter »im Sausach,« zu seinem Nachbar Franz gewendet.

Aber Jörg wehrte dem Spott, indem er sagte: Lasst ihn! bei dem ist's nicht richtig unterm Dach, er ist ein armer Häuter.

Dieser Ansicht waren bald Alle, und darum wollte auch Jeder seine Gutherzigkeit zeigen. Trink, Alter! hiess es immer wieder, Lass dir's gut gescheh'n! Gehst ja so nicht mehr fort heut'. Kannst dich ausrasten und ausschlafen; die Haberwirthin hat auch für dich einen Bissen und eine Lagerstatt. Musst wieder zu Kräften kommen! Wo kommst denn her? 0 du mein! über's Meer, sagt er. Trink, setz dich auf die Ofenbank und lass das Singen.

So drang sich Bier und Wein und Schnaps von allen Seiten dem alten Spielmann auf. Er musste zulangen und trinken, trinken. Er that es zaghaft, widerstrebend; er glaubte trinken zu müssen, lächelte blöd und fuhr zusammen unter dem anherrschenden Ton, den bäuerliche Gutmüthigkeit anschlug.

Die Dirnen guckten ihm ins Antlitz und wendeten sieh, die einen kichernd, die andern entsetzt, ab.

Nachdem der Geiger mehr taumelnd als gehend den Weg in seinen Winkel zurückgefunden, strich er wieder die Saiten und sang:

Weint mit mir, ihr nächtlich stillen Haine!
Zürnet nicht, ihr morschen Todtenbeine!

Aber er kam mit der ersten Strophe kaum zu Ende, als der Lärm von Neuem losbrach. Eh schon wissen! Eh schon kennen! riefs herüber von den Bänken der Junggesellen. Was Neues, was Lustiges! verlangten die Mädchen. Das Fischerlied, wie sie's in der Stadt drin singen! begehrte der lauteste Bursch, während einige der Alten noch fortsummten: Wenn ich euch – wenn ich euch in eurer Ruhe stör'.

Der Geiger blickte verzagt und verstört ins wüste Treiben. Er entnahm demselben nur so viel, dass er seinem Publikum nicht zu Danke gespielt habe. Er seufzte wie zur Entschuldigung: »Es ist schwer, etwas Populäres zu finden! Die Stimme hat etwas gelitten auf der See.«

Das übermüthige Volk, welches nicht verstand, was der Alte murmelte, wollt' es ihm leicht machen und schrie ihm zu:

– Einen Tanz! einen Tanz! Wirst doch wohl einen Tanz spielen können?

Und als er gleichwohl nicht zu begreifen schien, schwang sich ein behender Bursch über die Bank und machte vor ihm hopsende und schleifende Bewegungen.

Das leuchtete dem Geiger ein; er lachte vor sich hin, sein Auge blitzte, und was er anstimmte, war das derb-muntere – Yankee-Doodle.

Der behende Bursch versuchte, da er bereits auf den Beinen war, danach zu tanzen, stellt' es aber bald ein, unwillig äussernd:

– Das tanz' ein Anderer! So was Verrückt's hab' ich noch nicht gehört!

– Was wird's denn auch Besonderes sein? entgegnete Jener, der das Fischerlied begehrt hatte; ein böhmisch Gestampfter ist's.

– Das ein Böhmischer?! Lass dich heimgeigen, Cenz! versetzte der Erstere, der sich wieder auf den Platz zu seiner Schönen schwang.

Damit war ein lebhaftes Für und Wider eingeleitet, und während Einige stritten, versuchten Andere mit' der flachen Hand auf ihren drallen Schenkeln oder mit den Füssen unter dem Tisch den fremdartigen Rhythmus nachzuschlagen, wobei nur zu bald Der wie Jener aus dem Takt kam. Die Alten nickten schnell und schneller mit dem Kopf, blieben aber auch nicht länger mit der seltsamen Musik im Einklang.

– Es ist ein verflixtes Stück!

Einer sprach's aus und alle Uebrigen stimmten ihm bei.

Man lachte über die eigene Ungeschicklichkeit und verlangte die Wiederholung.

Und diesmal hörte man aufmerksamer zu.

Und noch ein drittes Mal musste der arme Greis anheben. Man gewahrte nicht, dass seine Griffe unsicherer, seine Stimme schwächer wurde, bis er nach einem grellen Missklang unter leisem Gewimmer in seiner Ecke zusammenbrach, und seine Geige mit einem schneidenden Klage-Accord vor ihm zu Boden schlug.

Die Dirnen schrieen Zeter und schnellten von ihren Sitzen auf, noch ehe die Bursche recht begriffen, was geschehen.

– Na, na! brummte der Gstättenbauer breit und tief ins Gekreisch – was wird's denn auch sein? Dass man marodi wird, kann bald Einem geschehen. Das viele Zubringen und der Rauch!

– Und hat vielleicht den ganzen Tag nichts Rechtes gegessen, bemerkte Peter weise, aber spät, während der alte Jörg rief:

– Kellnerin, spritz ihm doch ein frisches Wasser ins Gesicht.

– Oder einen Essig! ergänzte eins der älteren Mädchen, das bereits mit mancherlei Zuständen vertraut zu sein schien.

– Das hat man von all der Gutheit! murrte die Angerufene; es darf aber auch Alles ins Haus herein! Gleichwohl war sie schon auf dem halben Wege zum Hausbrunnen.

Derweil that sich auch die Küchenthür auf und herein eilte Rosel mit fragendem Gesicht.

– Die Teichhüter-Rosel! gings mit freudiger Verwunderung durch die Reihen der Bursche – zum Verdruss der Dirnen, die ihr aber, ohne dass sie's selbst merkten, Platz machten.

Rosel sah kaum, dass der unglückliche Geiger im Fall mit dem Kopf an die Wand geschlagen, als sie sich zu seinen Häupten niederliess und ihn sanft auf ihren Schoss zog.

Das gefiel dem behenden Burschen, der früher nach dem Yankee-Doodle zu tanzen versucht hatte, so wohl, dass er gegen die anderen Mädchen äusserte:

– Ihr seid's rechte Gäns'; steht's da herum, aber so was fällt Keiner ein.

– Warum ist's denn dir nicht eingefallen, Grobian? gab die zurück, welche den Essig zu schätzen wusste.

– Die Burgel hat Recht! urtheilten die Mitgescholtenen, die Kameraden lachten und der Behende, welcher sich der Rosel bemerkbar machen wollte, musste sich beschämt zurückziehen.

Nützlicher erwies sich der kleine Michel, welcher auf den Lärm gleichfalls herein gekommen war; denn was ein Rosskamm werden will, muss Grütze im Kopf haben. Er sagte zur Rosel:

– Ich geh's der Frau Mutter sagen, und hol' den Grossknecht.

– Thu das, erwiederte Rosel mit einem freundlichen Blick; und nachher schau in der Kuchel, dass nichts anbrennt oder fibergeht.

Als die Kellnerin mit dem Wasser kam, ihre Finger eintauchte und gegen das fahle, schweissüberronnene Gesicht des Geigers ausschnellte, der regungslos, mit schier erloschenen Augen dalag, trat eine merkwürdige Gestalt in die Thür, bei deren Anblick Stille und Spannung eintrat; kaum dass am entferntesten Tisch noch die Worte gewechselt wurden:

– Ein luthrischer Pfaff!

– Was dir einfällt, ein polnischer Jud' ist's.

– Ich meint' aber, dass das ein Jesuit ist.

Es war der Baron Röder, den das Yankee-Doodle herbeigeführt. Er hatte die Stimme des Sängers erkannt. Sie hatte ihn aus qualvollen Betrachtungen aufgeschreckt, um ihn peinlichem Erstaunen und grausamer Ahnung zu überantworten. Als Sang und Spiel plötzlich abbrach, als er in seiner oberen Stube so viel vom Fall und Geschrei in der unteren hörte, dass er sich's als etwas Ungewöhnliches, Bestürzendes deuten musste, da konnte er nicht länger bleiben, da musste er Gewissheit haben, und sollte sie ihm auch eine neue Anklage, eine neue Demüthigung eintragen.

Er war selbst ein Bild des Jammers, da er eintrat, mit ängstlichem Blick, blass und schlaff im Gesicht, unsicher hastend.

Als er des Fremden ansichtig ward, kniete er an der Seite desselben nieder, forschte ängstlich in seinen Mienen, fühlte ihm den Puls, trocknete ihm Stirn und Wangen, bestrich ihm Schläfen und Nase mit dem mittlerweile herbeigeholten Essig und redete ihm zu, liebevoll, eindringlich, bittend, in einer fremden Sprache, in der Sprache des Yankee-Doodle. So sehr war Röder mit dem greisen Musikanten beschäftigt, dass er die Rosel, welche seit seinem Eintreten finster blickte, gar nicht zu bemerken schien.

Seine Bemühungen blieben nicht fruchtlos. Der Geiger schlug die Augen auf und lächelte glücklich.

Lebhafter fuhr Röder fort, zu ihm zu sprechen, wurde aber weder verstanden noch erkannt. Mit angehaltenem Athem lauschte er seinen Worten, aber sie waren zusammenhangslos, waren irre Gedanken.

– Populär sein ist schwer ... und hat etwas gelitten auf der See, sagte der Kranke ... Will Alles noch viel schöner und wirksamer ausarbeiten ... ja, ja, die Orchestration hat Fortschritte gemacht ... Mein Buch?! ... ach ja, kann's verschmerzen, was er mir genommen ... Mit den melodies transatlantiques den Anfang machen ... Niemand wird ihm Glauben schenken ... Der Plagiator ...

Und wieder erstarb seine Stimme, aber er lächelte besitzselig. Wiederholt hatte er an die Brusttasche gefühlt, wohl nach seinem Buch. Die Geige mit den gesprungenen Saiten liess er unbeachtet. Er hatte sich aufgesetzt und blickte mit seinen gutmüthigen Augen ruhig vor sich hin. Wo er war, was ihn umgab, was mit ihm geschah: er schien Alles in Ordnung zu finden. Keinen Gedanken spiegelte seine Stirn; für die geängstigten Mienen und Augen der Umstehenden hatte er sein stätes verlegenes Lächeln. Und wie schläfernd oder schwindelnd sank er wieder zurück – er wusste nicht wohin.

Entsetzt und kummervoll richtete sich Röder auf; dass die Gedanken des Geigers einen anderen fixen Mittelpunkt hatten, als welcher in der Erscheinung und fühlbaren Gegenwart lag, konnte er länger nicht bezweifeln.

Als er sah, dass vier Arme den lächelnd Eingeschlummerten schonend fassten, bat er: Auf mein Zimmer, in mein Bett!

Doch die Haberwirthin, welche sich, von ihm nicht gesehen, genähert und schon eine Weile sein eindringliches Benehmen dem kranken Musikanten gegenüber viel mehr mit misstrauischem Blicke betrachtet als verstanden hatte, sagte, sein Anerbieten zurückweisend:

– Herr Baron, für Leib und Seele derer, die Gott ihr ins Haus schickt, ist zunächst die Wirthin zu sorgen verpflichtet.

Sie betonte das Wort »Seele« schärfer, so dass Röder den Stachel des Verdachts fühlen musste. Es durchzuckte ihn schmerzlich, aber er schwieg. Er schwieg, zumal er den Worten der Wirthin entnahm, dass sie nicht wusste, wen ihr Gott ins Haus geschickt.

Aus dieser ihrer Unkenntniss erwuchs ihm aber der schwerste Seelenkampf, der entscheidende. Er brauchte den greisen Geiger nicht zu kennen und es blieb ihm erspart, sich selbst noch tiefer beugen zu müssen, als er bereits gedemüthiget worden. Aber durfte er sich mit einer Lüge der neuen Beschämung entwinden? konnte er sich diese Feigheit verzeihen? Riesig bäumte sich sein Hochmuth auf, aber gleichzeitig fühlte er sich nichtiger als je, seit ungesühnte Schatten klagend gegen ihn aufstanden und ein Sterbender, ein Irrer über den Ocean den Weg hierher gefunden, um gegen sein stolzestes Werk zu zeugen.

Auf dem Wege nach dem Gemache, welches die Wirthin für den kranken Greis bestimmt hatte, musste sich in Röder's Seele der Kampf entscheiden. Wird der Mensch die Oberhand gewinnen, erbarmungswerth in seiner Schwäche und mild in seinem Urtheil? Oder bleibt der hoffärtige Eiferer Sieger, der Andere desto härter richtet, je mehr er sich selbst verzeiht?

Als man den greisen Sänger hinaustrug und der Fremde mit dem weissen Bart und dem schwarzen Sammtkäppchen an der Seite der alten Haberwirthin ernst und schweigend hintennach schritt, schüttelten die Bauern in der Zechstube die Köpfe, und es währte noch einige Augenblicke, bis der Gstättenbauer das bannlösende Wort fand:

– Kellnerin, eine frische Halbe! Bei dieser Geschicht' ist Einem ganz trocken worden.

Der verlassenen Geige hatte sich Rosel angenommen, die unbemerkt mit ihr in die Küche verschwand. –

Der Grossknecht, der treue Valentin, half der Haberwirthin den kranken Mann zu Bette bringen,

Trotzdem sein Anerbieten nachdrücklich abgelehnt worden, war aber auch Röder ins Gemach gefolgt und Hess den Sänger des Yankee-Doodle nicht aus den Augen.

Der Irre schlummerte fort; Kein's hatte bisher ein Wort gesprochen.

Valentin legte die Kleider des traurigen Gastes auf einen an das Bett gerückten Stuhl und fühlte in der Brusttasche des Rockes ein Buch, das er hervorholend vorzeigte.

Rasch langte die Hand des Barons darnach, musste aber vor einem wehrenden und strafenden Blick der Matrone innehalten, die das Buch unbesehen in einen kleinen Wandschrank verschloss.

– Diesmal thun Sie mir Unrecht, Frau Habermann! sagte der Baron bescheiden, obwohl mich Ihr Vorwurf nicht kränken darf. Ich kenne unseren armen Geiger, auch ohne mich noch mehr vergewissert zu haben.

Valentin wollte nicht neugierig erscheinen und verliess ungeheissen das Zimmer.

– Der da vor uns liegt, fügte Röder bewegt hinzu, ist unser guter Müller!

– Müller? – Gott, du gerechter, so muss ich ihn wiedersehen?! schrie die Wirthin auf und warf sich über den geliebten Freund und Lehrer, wie um noch Einen gesunden Blick aus seinen guten Augen zu trinken, wie um noch einen Lichtgedanken auf seiner Stirn zu lesen.

Aber ob sie gleich mit zitternder Hand leise drüber hinstrich, die krausen Falten glätteten sich nicht, und aus den halbgeschlossenen Augen brach nur noch der Dämmerschein einer scheidenden Seele.

– Verzeih, du Guter und Edler, jammerte sie, dass ich dich in deinem Elend nicht erkannt habe – o, du lebtest zu schön und glanzvoll in meiner Erinnerung!

Und zum Baron gewendet fuhr sie fort in einem Ton, den ihr Schmerz spitzte und schärfte:

– War er wirklich gut aufgehoben in Amerika? Wahrlich, Sie haben eine glückliche Hand zur Seelenführung!

– Ja, antwortete Röder, tieferschüttert; und wenn auch noch die schwarzen Menschenkinder Afrikas sich einstellten und wider mich aufstünden und meinem Namen fluchten, ich wunderte mich nicht. Gott lässt sich kein unwürdiges Werkzeug aufnöthigen und segnet nur die Thaten selbstloser Liebe.

Sprach's mit bebenden Lippen, und in seinen Augen standen Thränen, Thränen der Menschlichkeit.

Diese Thränen hatten eine versöhnende Macht.

– Der Gute zürnt uns gewiss nicht, sagte die Matrone, auf Müller hinweisend, und reichte dem Baron die Hand.

Und auch nach jener Hand griff sie, welche vor Kurzem noch das Yankee-Doodle gespielt, um sie dankbar zu küssen, aber diese Hand war kalt und starr.

Sie lauschte nach dem Athem des Schlummernden, aber spürte keinen Hauch mehr.

– Er ist todt! sagte sie erschaudernd. O traurige Pflicht, unseren Lieben die Augen zuzudrücken! Man meint, es müsse finster werden in der Welt, wenn solche Augen brechen!

Weinend sank sie am Bett des Entschlafenen in die Knie.

Als sie sich ruhiger erhob, sagte sie:

– Und so hab' ich keinen Wunsch mehr auf dieser Welt. Einen Liebesdienst wollt' ich ihm erweisen können, und er nimmt von mir den letzten an, der ihm werden konnte.

Sie betrachtete wehmüthig die geliebten Züge und fragte nach einer Weile, selbst unter Thränen lächelnd:

– Däucht Ihnen nicht auch, dass er jetzt verständig lächle?

Aber Röder wendete sich an den Todten, indem er sprach:

– Glücklicher Freund, deine Sehnsucht, deine Kräfte reichten so weit, dass du fandest, wo deiner Liebe harrte! Ich darf mein Enkelkind nicht an mein Herz drücken und werde einsam sterben.

Als die Wirthin und der Baron mit dem Valentin und der Rosel, welche dem todten Sänger die stumme Geige wieder beigesellt hatte, an der Bahre des Freundes treue Nachtwache hielten, wurden nicht minder seine letzten dunklen Worte wie sein räthselhaftes Erscheinen erwogen und besprochen. Sein Buch wurde aus dem Schrank hervorgeholt und aufmerksam durchgesehen. Es enthielt zumeist thematische Aufzeichnungen, die in den ersten Jahren des amerikanischen Exils rasch aufeinander folgten und ein reges geistiges Schaffen bekundeten. Sonstiger Andeutungen fanden sich nur wenige, aber sie verbreiteten Licht. So lautete eine Stelle: »Gott Lob, aus der Heirat wurde nichts«; unter einem späteren Datum las man: »Er ging und liess mich zurück!« – ein Wort, das dem Baron besonders schwer auf die Seele fiel – und in noch unvergilbter Schrift erschien als letzte Eintragung: »Endlich nach Newyork aufgebrochen!« Jahr und Tag waren angegeben und damit ein wichtiger Anhaltspunkt zur Erforschung der Schicksale des Heimkehrenden gewonnen. Offenbar hatte Heimweh und der Wunsch, für seine Compositionen ein empfängliches Publikum zu finden, den weltverschlagenen Müller zur Rückkehr nach Europa getrieben. Aber auf welche beklagenswerthe Weise kam er um seinen Verstand? Wo blieben seine musikalischen Schöpfungen? Wer war unter dem Plagiator gemeint?

Auf diese Fragen erfuhr man erst nach Monaten, dank den Bemühungen des Herrn von Vogelstein, so viel: dass Müller mit einem jungen Menschen in Hamburg gelandet, dass dieser Jüngere zu ihm in dem Verhältniss eines Schülers zum Meister gestanden zu haben scheine, eines Tages aber mit der besseren Habe des Alten verschwunden sei und ihm wie zum Hohn eine alte Geige zurückgelassen habe. Einem so schändlichen Verrath gegenüber konnte wohl auch ein klügerer und minder vertrauungsvoller Mensch, als der gute Candidat Müller war, von Verstand kommen. Uebrigens glaubt Herr von Vogelstein dem Plagiator wenigstens für Europa seinen Raub verleiden, und wenn je die Compositionen ans Tageslicht kommen sollten, dem wahren Schöpfer Namen und Ehre sichern zu können.

Vom Grabe des Geigers begab sich Röder auf den Kreuzbühel, um dem Vogelstein einen Besuch zu machen. Dass er hierzu Lust und Muth verspürte, war eine Wirkung seiner Sinnesänderung. Vom Schloss kehrte er mit einem Schriftstücke zurück, das er der Haberwirthin überreichte. Sie las es nicht und zeigte sich doch erfreut und zufrieden. Mit Recht; denn die engherzige Stiftung hatte sich in eine reine Schenkung verwandelt.

– Zur Ueberraschung an ihrem Hochzeitstag, nicht wahr? fragte die alte Frau.

– Wie Sie es für gut finden, Freundin, erwiederte Röder, und sagt den lieben Kindern, sie möchten meiner mit etwas Liebe und viel Nachsicht gedenken.

Als er den Wagen bestieg, der ihn entführen sollte, überreichte ihm Rosel die letzten Blüthen des Hausgärtchens, die noch Knospen gewesen, als der Willkommsstrauss für die Vogelstein'schen gepflückt wurde.

– Sei brav und werde glücklich, liebes Kind! sagte er bewegt.

– Sie hätten länger bleiben sollen, Herr Baron! erwiederte das Mädchen; die letzten Tage hat's Ihnen gut angeschlagen.

– Ja, würdest du dann mit mir auskommen können?

– Jetzt schon; Sie sind lange nicht so schlimm, als Sie ausschaun.

– Behalte diese gute Meinung von mir, bat Röder weich und küsste das Mädchen auf die Stirn, und die Rosel litt es.

Als der Wagen ihren Blicken entschwand, sagte sie zur Haberwirthin:

– Ich weiss nicht, warum? aber anfangs hab' ich ihn gar nicht leiden können, und jetzt thut's mir doch leid um ihn.

Röder fuhr nicht in die nahe Bischofsstadt, wo man zusammenkam, um über Fragen der Herrschaft zu streiten, statt in Werken der Liebe zu wetteifern, sondern kehrte nach Italien zurück, und trat nicht wieder in den Vordergrund, wenn es sich darum handelte, »Sauerteig unter die trägen Massen zu bringen.« Aber auch den glühenden Boden der Heimat, der den entwöhntesten Menschen wieder zum Menschen macht, hat er nicht mehr betreten. –

Die dritte lange Woche ging zu Ende, seit Fritz sich schweren Herzens vom Kreuzbühel und Haberwirthshaus losgesagt. Er hat kummervolle Nächte und verdriessliche Tage gehabt seither, sein ehrliches Gesicht kann's nicht verhehlen. Ein Brief suchte ihn an der Trace und fand ihn glücklicherweise noch im Zwielicht, so dass Fritz nicht erst eine halbe Stunde durch die frühe Nacht zur Talgkerze in seinem Quartier zu wandern brauchte, um zu erfahren, welche Botschaft ihm zugedacht sei. Seine Hand zitterte, als er das Schreiben erbrach; als er's überflogen hatte, sprang er vor Freude hoch auf. Der Brief lautete:

» Lieber Fritz!

Nicht wegen meiner und auch nicht deinetwegen ergreife ich die Feder, denn so was verdienst du gar nicht, du garstiger Trotzkopf. Sondern weil der Haberwirthin ihr Jüngster am Sonntag in St. Marein seine Hochzeit hat, thut sie dir die Ehr' an, dass du Brautführer sein sollst. Ich bin Kranzeljungfrau, aber du brauchst mich nicht anzuschauen, wenn's dich nicht freut. Um fünf in der Früh muss schon eingespannt werden, schau daher, dass du nicht zu spät kommst. Vielleicht könntest schon für den Samstag abkommen, aber ich red' dir nicht zu.

Selbigen Samstag, wie du so schön gewartet hast unter den Kirschbäumen, ist bei uns ein alter Bratelgeiger gestorben, um den die Frau Mutter und der Baron sehr geweint haben. Der Baron ist noch eine Woche geblieben. Jeden Morgen ist er auf den Friedhof hinausgegangen zum Musikanten und zum alten eisernen Kreuz, zum schiefen, weisst, wo der Förster mit seiner erschossenen Tochter liegt. Die letzten Tag' ist er ganz ein Anderer gewesen und ist uns Allen leid um ihn.

Ich hab' viel zu thun gehabt für die Ausstattung. Es ist gar nicht zu sagen, was die neue Haberwirthin Alles kriegt. Gottlob, wir werden bis zur Hochzeit fertig, weil ein Theil der Wäsch' nicht gemerkt werden darf, warum, weiss ich nicht. Die Frau Mutter will Alles der jungen Wirthin übergeben und sich just in das Stübel zurückziehen, wo der Geiger gestorben ist. Sie lässt sich's nicht ausreden. Sie ist jetzt oft so traurig und wunderlich, dass ich mich recht gräm', darf's aber nicht sehen lassen. Der alte Valentin kriegt das Stöckl für so lang als er lebt.

Neues weiss ich dir sonst nichts zu schreiben, wer weiss auch, ob du noch was hören willst von uns.

Einen schönen Gruss von der Frau Mutter, und wenn dir was daran liegt, auch von der

Teichhüter-Rosel.«

Selbstverständlich stellte sich der glückliche Fritz schon am Samstag ein, und war ihm der Weg über's Gebirg noch nie so leicht geworden als diesmal.

Die Rosel flog ihm, allen trotzigen Vorsätzen zum Hohn, freudig entgegen, und die Haberwirthin empfing ihn herzlich.

– Schön, sagte sie, dass Ihr so zeitlich kommt. So können wir nach dem Essen auf den Kreuzbühel und in den Markt fahren; denn ich will, dass Ihr und die Rosel zur selben Stunde das erstemal von der Kanzel verkündet werdet, in welcher mein Sohn in Marein vor den Altar tritt. Vierzehn Tage später giebt's dann noch eine Hochzeit im Haberwirthshaus. Dann mag Ruhe werden für die alte Haberwirthin – es ist Zeit. Aber sie möcht' alle ihre Lieben, die sie überleben, glücklich sehen; von denen, die ihr vorausgegangen, waren es ohnehin nur wenige.

Schluchzend vor Dankbarkeit und Rührung fiel Rosel der edlen Matrone um den Hals, während Fritz ihr die Hand küsste und ein- ums anderemal stammelte:

– Tausend Dank, Frau Mutter! Gute Mutter!


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