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So viele Strassen von Rom aus die Campagna nach allen Weltgegenden durchziehen: an keiner hauste ein Wirth, der's an Glück und Schick, an Beliebtheit und Ruf mit dem alten Beppone hätte aufnehmen können.
Er hiess der Alte, da sich auch schon seine beiden Söhne bemerkbar machten und mit ihren lebhaften Instinkten ihm völlig nachzugerathen schienen.
Auch that man sich auf eine alte Bekanntschaft mit Beppone etwas zu Gute, denn diese bedeutete zumeist eine Reihe lustig verplauderter oder wagemuthig verbrauster Stunden.
Als hübscher, anstelliger Bursch war Beppo in die Dienste eines Engländers gerathen, welcher Jahr für Jahr zu den Fuchsjagden auf der Campagna herüberkam und den Winter in Rom verbrachte; er lernte mit Hunden, mit Ross und Reiter, überhaupt mit Leuten umgehen, die dem Sport leben und ihre Tage mit vornehmen Nichtigkeiten ausfüllen. Ihnen wusst' er sich ohne kriecherische Unterthänigkeit angenehm zu machen, und es schmeichelte seinem Mutterwitz, ihre Launen zu eigenem Vortheil auszubeuten – er wollte sich überlegen fühlen, indem er sich ihnen dienstbar erwies. So machte er sein Glück bei den Herrschaften; er war mit ihnen auf der Rennbahn wie auf der Jagd. Keiner verstand ihnen den Imbiss schmackhafter zu bereiten als er, Keiner ihn mit einem verwegeneren Humor zu würzen.
So wie er die Herren nicht mehr nöthig zu haben glaubte, erstand er ein kleines Wirthsgeschäft auf der Strasse nach Tivoli. Er hätte sich in der Stadt durchbringen können, zog aber die Campagna und ihre Freiheit vor. Auch rechnete er dabei, seine ehemaligen Herren bald als Kunden und Gäste wieder zu sehen, und in der That blieben sie und Ihresgleichen nicht aus. Die Osteria des lustigen Beppone wurde für Ausflüge zu Ross und zu Wagen ein bevorzugter Halt- und Zielpunkt, und der erfahrene Mann stieg im Werthe, seit er sich nicht mehr befehlen liess. Er dressirte Hunde, machte Geschäfte als Rosstäuscher und wurde von der Sportswelt als guter Kamerad behandelt.
Sein Haus gestaltete er keineswegs in ein prunkvolles Hotel um, aber auf dessen Verschönerung hatte er Bedacht. Aussen behielt es sein schlichtes Aussehen, das ja mit den wenigen grossen Linien und Fenstern, der einfachen Gliederung und der schmucklosen Freitreppe so wohl in die ernste, classische Landschaft passte; aber innen, im oberen Stockwerk stattete er mehrere Gemächer nach den Bedürfnissen der vornehmen Forestieri mit reichlicherem Hausrath aus. Auch versah er sich in der Fremdensaison mit Leckerbissen, welche nicht für den Gaumen der umwohnenden Campagnuolen bestimmt sein konnten.
Vor Jahren traf er in der Nähe der Cervara-Grotten, welche die Künstlerwelt mit Vorliebe zum Schauplatze ihrer Mummereien und Bacchanalien wählt, einen streifenden Landschafter und nöthigte ihm mit gewinnender Gutmüthigkeit seine Gastfreundschaft auf. Er führte ihn auf die Terrasse seines Hauses, als eben die Sonne zwischen der Peterskuppel und dem Monte Soracte niederging und im Osten der herrliche Gennaro mit den Sabinerbergen so wunderbar aufgehellt war, dass Monticelli, Tivoli, jedes Castell und jede Villa im weiten Bogen wie ein Juwel aus schöner Fassung vorleuchtete.
Der Künstler war entzückt von dieser Schau und Beppone sagte lächelnd: »Kramen Sie hier Ihren Malkasten aus und benützen Sie die Wände nach Belieben zu Farbenskizzen – missräth's, so lass' ich's einfach abkratzen.«
Doch der schlaue Campagnawirth war auf einen gewandten Künstler gestossen, der ihm für Aufnahme und Bewirthung werthvolle Fresken zurück liess.
Und von da an war Vater Beppo bei dem beweglichen Völklein, das mit Stift und Pinsel hantirt oder mit Hammer oder Meissel dem Marmor zusetzt, gut angeschrieben.
Aber in seiner Vorliebe für angesehene Gäste ging der Wirth zum »Bivio« oder zum »Scheideweg« keineswegs so weit, dass er seine Nachbarn, die Mitbewohner der Campagna, etwa vernachlässigte oder gar vor den Kopf stiess. Der Hirt, welcher seiner Herde auf den Maremmen nur mit dem langen Stecken hoch zu Ross Achtung einzuflössen vermag; der kleine Pächter und Arbeiter, welcher, um ungefährdet von Schlangenbissen und Dorngestrüpp durch Strecken von Buschwald ( macchia) zu dringen, sich rauhe Felle vor die Schenkel bindet und so einem leibhaftigen Satyr gleicht; der Ciociar mit hochaufgenestelten Sandalen, blauer Kniehose und kurzem Pelzrocke – sie alle kehren gern bei Vater Beppo ein und finden bei ihm die leutseligste Ansprache.
An Festtagen sind die langen, rohgezimmerten Tische in den unteren Stuben, im Hausflur und im Freien unter der Pergola oft dicht besetzt und es leuchten da die üppigen Grosspächtersfrauen im Helldunkel wie Mohnblumen, an Ohren und Händen, an der Brust und um den tief entblössten Nacken eine reiche Aussteuer an barockem Goldschmuck tragend und mit schwerfälliger Grandezza zu einander sich neigend.
Die jugendlichen Schönen aber in den verschiedenen malerischen Trachten der Umgebung bilden das Entzücken und Studium des Künstlers, der an solchen Lostagen sich ungerufen einstellt und wohl gelitten ist.
Die Männer trinken »Herben«, die Weiber »Süssen« – ein feuriger Tropfen ist der eine wie der andere, ob roth, ob golden. Das Brot, welches man dazu bricht, ist weiss und fast ungesalzen. Dafür reizt den Gaumen der brenzlige Finocchio (Fenchel) desto mehr, den der Gast meist selbst mitgebracht hat. Harte Eier auf Salat, Käse und Salami oder ein Schnittchen vom Porchetto (Spanferkel), dessen Eingeweide sich in ein wahres Gewürzwäldchen verwandelt hat, bestreitet den Festschmaus.
Die üppigen Mohnblumen nehmen allerdings Beppone's gepriesene Kochkunst in Anspruch, und der behende Mann schafft angesichts der Gäste am offenen Herdfeuer summend und singend, als sollte jeder Bestand- und Mischtheil mit einer besonderen Zauberformel in die schmalbordige Pfanne wandern.
Schon im nächsten Augenblicke begrüsst und bedient Beppo wieder Gäste anderer Art. Denn soeben hat auf der Strasse ein leichtes städtisches Gespann eines jener ländlichen Carretti überholt, auf welchen nicht selten an zehn und mehr Personen in den malerischsten und bedenklichsten Stellungen, eine lebende Pyramide bildend, Platz nehmen – und beide Fahrgelegenheiten halten vor der Osteria.
Und Beppo ist bald bei den Einen, bald bei den Anderen, ist hier und dort ein Anderer und doch derselbe, gefällt dort und hier, und jeder Theil erblickt in ihm seinen Mann.
Und er ist mit Aug' und Ohr so aussen wie innen. Die junge Welt hat nun lang genug gesessen, sie will ihre gelenken Glieder rühren. Eine zigeunerhafte Alte schüttelt die Schellentrommel und flugs ziehen Bursche und Mädchen hinter ihr auf den Rasenplatz neben der Laube, wo rasch und rascher das Tamburin die Beine beschwingt und bald die Tarantella rast. Aber der Zuschauer sind mehr als Tänzer, und das Auge der Frauen und Mütter lässt die Lustigkeit nicht ausarten.
Ein scheinbar viel argloseres Spiel will mehr überwacht sein. Zwei Männer an der Freitreppe geberden sich heftig gegen einander, die Rechte schlenkernd, spreizen gewaltsam die Finger auseinander und rufen mit heiserer Stimme stossweise Zahlen aus: sie spielen die Mora. Es gilt da die Summe der beiderseits gleichzeitig ausgestreckten Finger zu errathen. Sie haben sich bereits zweimal gezankt und das Spiel wieder ruhiger begonnen; jetzt aber, statt von neuem aufzubrausen, verstummen sie plötzlich, messen sich, blass geworden, mit den Augen und schon zuckt in der Hand des Einen das Messer auf.
Doch auch schon hat Beppo mit eisernem Griff dem Arm des Rasenden Halt geboten und weist mit ingrimmiger Geringschätzung die Beiden zurecht: »Wenn Ihr Händel habt, so geht in die nahe Macchia, sie ist verrufen genug; auf meinem Grund will ich keine Auftritte haben.«
Der Blick sagte noch mehr als diese rauh geflüsterten Worte, und wer diesen Gewaltblick belauschte, hörte auf, an die harmlose Gutmüthigkeit des Wirthes zu glauben.
Es gab bereits Manchen, der diesen Blick kannte und seinethalben den Bivio-Wirth mied, aber gleichwohl nicht den Muth hatte, gegen ihn aufzutreten und seine Pläne zu kreuzen. Beppo hatte einen zu grossen Anhang, und für einen misstrauisch gewordenen oder abgefallenen gewann er zehn neue Freunde. Er verstand Vertrauen zu werben und einzuflössen; es klang gar offenherzig, wenn er zu seinen Gästen in den unteren Stuben sagte: »Ich muss auf gute Nachbarschaft und Freundschaft halten; oft kehr' ich erst spät in der Nacht heim und es ist kein einschichtiger Campagnaweg, den ich nicht ab und zu zurücklegen müsste. In meinem Beutel und Kasten vermuthet man mehr als ich wirklich besitze. – Ihr wisst ja, wie die Geschäfte gehen, und wer wagt, kann auch verlieren. In den Bergen droben haben die Briganti ihre Schlupfwinkel, die alle Welt kennt, nur diejenigen nicht, welche die Nester ausnehmen sollen. Ein noch schlimmerer Fleck ist die Macchia in unserer Nähe; keine Woche vergeht, ohne dass man von einem neuen Ueberfall hört ... accidente auch, wenn wir nicht so zerstreut und entfernt von einander wohnten! Aber wenn wir uns auch zusammenthun wollten, die sauberen Vögel warteten nicht unser Kommen ab, wohl aber fände Jeder bei seiner Rückkunft das Unterste zu oberst gekehrt. Hätt' ich nicht schon so viel in diese Wirthschaft gesteckt, ich würde mich längst schon näher zur Stadt gezogen haben.«
Solche Worte schmeichelten den guten Campagnuolen und leuchteten ihnen ein; sie schenkten dem angesehenen, unternehmenden Mann um so bereitwilliger ihr Zutrauen, als auch sie sich auf ihn verlassen zu können glaubten.
Und wie Beppone den schlichten Landleuten gegenüber Freundschaft und gute Nachbarschaft anrühmte und hoch hielt, so ging er seine vornehmen Gäste um Schutz und Gönnerschaft an, indem er zu verstehen gab, dass sein bescheidenes Vorwärtsstreben vielfach auf Neid und Missgunst stosse und seine Stellung einem verlornen Posten gleiche.
Im Allgemeinen entsprach die Schilderung seiner Lage auch der Wirklichkeit. Die Briganten auf den Felsennestern als ihren Lugstätten waren keine Einbildung. Das räthselhafte Unwesen in der Macchia spottete bereits seit Jahren aller Ueberraschungs- und Unterdrückungsversuche und Niemand hatte häufiger, bei Tag und bei Nacht, nach allen Richtungen die Campagna zu durchkreuzen als der unermüdliche Beppone.
Bald hatte er in Tivoli zu thun, bald trieb es ihn nach Palestrina, bald spornte er seinen Gaul nach Velletri, bald drang er durch die Wälder und Sumpfgegenden an das Meer vor und hielt Rast in Nettuno.
Dies schien sein Lieblingsaufenthalt zu sein, aber seine Geschäfte riefen ihn auch mitunter nach Civitavecchia und Livorno. Und in allen diesen Orten war Beppo mehr als übermüthiger Landjunker denn als bescheidener Campagnawirth bekannt.
Was seinen Wohlstand anbelangt, so hatte er Grund, fremden Einblick in seinen Beutel und Kasten fernzuhalten, darin es ein gar seltsames Fluthen und Ebben gab. Was in Grund und Boden stak, liess sich allerdings nicht verbergen. Von seiner Osteria aus erblickte er zwei Casali, die er mit Allem, was dazu gehörte, so gut als sein Eigen nennen konnte.
Solche Casali sehen eher Thürmen und kleinen Festungen ähnlich als Meierhöfen, was sie denn doch sind. Im Mittelalter, als die römischen Barone mit unermüdlicher Lust einander befehdeten und zunächst immer darauf ausgingen, des Feindes Aecker, Weinberge und Olivenwälder zu verwüsten, mag sich die Anlage der Meierhöfe als kleiner Trutzburgen und wehrhafter Vorrathskammern empfohlen haben. Aber auch die fieberträchtige Sommerluft der Campagna bedingt diesen hochstrebenden Bau. Wenn die Ernte eingeheimst ist, unabsehbar weithin die wellige Ebene sengt und dorrt, dann ist für diejenigen, die in den Wirthschaftsgebäuden ausharren müssen, nur in Thurmeshöhe ein halbwegs gesunder Athemzug möglich.
Diese Meierhofthürme bestieg Beppone, wenn er sich mit einem Blicke vom Stand seiner Saaten unterrichten oder vom Fleisse seiner Schnitter überzeugen wollte.
Er hat deren hundert ausgeschickt, die in langer Zeile mit blitzenden Sicheln das Ackerfeld anfallen. Roth, Blau und Weiss frisst sich tief und tiefer in den goldnen Aehrenwald ein, ihn umlegend – es ist, als übermannten grosse Blumen die dichten Reihen des Halmenheers. Ob ein solcher Anblick das Herz des strebsamen Bivio-Wirthes erfreute?
O gewiss kannte und liebte er die Arbeit und Poesie der Campagna, aber sicher mehr noch deren verschwiegene Geheimnisse.
Ausser den beiden Söhnen hat Beppo noch ein Töchterchen, das jetzt sieben Jahre zählen mag. Das Kind scheint absichtlich sich selbst und der Verwilderung überlassen zu sein; obgleich verwahrlost, ist es aber ein unendlich rührendes, kleines Wesen. Die grossen dunklen Augen blicken scheu und traurig, als hätten sie noch nie gesehen, was Freude ist. Ebensowenig kennt der Mund ein Lächeln und kaum ein Wort verräth den Tag über, dass er nicht völlig stumm ist. Niemand im Hause kümmert sich um die Kleine; den Vater fürchtet sie, so dass sie zittert, wenn er sie anblickt; die Buben stossen sie von sich oder zerren grob an ihr, und die hässliche Alte peinigt sie. Vor den Gästen darf sie sich nicht blicken lassen, das weiss sie, und das ist ihr empfindlich eingeschärft worden; zu Hause hat sie kein ruhiges Winkelchen, draussen aber mag sie sich herumtreiben, wo und wie sie will.
Betta heisst die Kleine. Ihr liebster Aufenthalt ist ausserhalb der Laube am Zaun bei Busch und Baum. Da gucken mit klugen Aeuglein die Eidechsen aus dem Verstecke und huschen grünen Blitzlichtlein gleich an Latte und Stamm auf und nieder, ruckweise tiefathmend, beständig zickzackend.
Das Kind hat keine Scheu vor diesen smaragdnen Thierchen und diese fürchten sich nicht vor ihm; sie laufen ihm in den Schoss und über die nackten Beinchen und blicken theilnahmsvoll zum bleichbraunen Köpfchen auf. Die kleine Hand streichelt sie lind und wirft nicht Messer nach ihnen, wie die Buben thaten, welche jubelten, so oft sie solch' ein artiges Geschöpfchen an den Baum hefteten, und einander die Treffer vorrechneten.
Auch unter die Vipern in der Macchia dürfte sich Betta legen und bliebe unverletzt; ihr Blick würde deren Tücke entwaffnen. Sie haben ja keine Ursache, ihr feind zu sein, wie ihren Brüdern, welche mit kecken Fingern aus schwülem Geklüft Schlangen und Nattern hervorholen, um sie bei lebendigem Leibe zu schinden.
Aber vor der Macchia hat die Kleine eine instinktmässige Scheu. Das Wort erfüllt ihre Phantasie mit unklaren Schreckbildern, sie sieht zu oft ihre bösen Brüder dahin wandern und fürchtet sich, ihnen dort zu begegnen. Dafür eilt sie oft querfeldein, hügelan und hügelab, so weit ihre Füsschen sie tragen können, bis sie an ein grosses Wasser kommt, oder bis der Hunger sie zwingt, heimzukehren.
Die halbwilden Hunde der Schafheerden thun ihr nichts zu Leide, die silbergrauen Rinder senken gegen sie nicht drohend die Hörner; mit der Thierwelt steht sie überhaupt gut, sie weiss und fühlt nur, dass die Menschen grausam sind, und flieht sie.
Wenn sie Blumen oder helle Beeren gepflückt hat und ihrer überdrüssig geworden ist oder wenn sie sich hinter bunten Schmetterlingen her müde gelaufen hat, legt sie sich wohl zu tiefst in eine grüne Mulde und weint, ohne zu wissen, warum, oder schläft, unbekümmert, wie lange.
Einmal las ein Hirt das zarte Kind halb erfroren auf, umhüllte es sorgsam mit seinem Pelzröcklein und trug es in die Osteria, in die sehnsüchtigen Arme des Vaters, wie er meinte. Ein kalter Dank war aber der Lohn für diese menschenfreundliche That.
Die Herzlosigkeit Beppo's gegen sein jüngstes Kind wurde mannigfach beredet und gedeutet. Einige meinten, Beppone sei zu sehr Mann, hasse die Weiber, hätte, wenn's anginge, einen Mann geheirathet, wie er denn auch seine Frau vernachlässigt habe.
Andere liessen letzteres gelten, folgerten aber, dass der Alte dann vielleicht Grund habe, das kleine Ding für so ein Kukuksei zu halten, nach welchem kein rechtschaffener Hausvater Verlangen trage.
Wieder Andere waren der Ansicht, das Kind sei schon jetzt ein kleines Närrchen, habe die unglücklichen Anlagen von der Mutter und werde sicherlich wie diese in den Narrenthurm kommen; es sei daher das Beste, das arme Geschöpf wild aufwachsen zu lassen.
Der Wirth kannte diese Muthmassungen, ohne ihnen entgegen zu treten oder sie zu berichtigen.
Eines Tages war ein in der dortigen Gegend unbekannter Gast Zeuge der misshandelnden Art, wie man das Kind entfernte, Zeuge des grollenden Blickes, den der Vater auf dasselbe warf. Dieser Fremde that, während er sich zum Fortgehen anschickte, zu seinem Tischnachbar den merkwürdigen Ausspruch: »Der Wirth hat zwei Augen zu viel in seinem Hause, weil sie, wie's scheint, die einzigen unschuldigen sind.«
Wie die Folge gelehrt hat, war dieser Unbekannte auf richtiger Spur.
Thatsache ist auch, dass Betta's Mutter, Beppo's Gattin, Signora Agnese, im Irrenhause dahinsiecht; man brachte sie vor zwei Jahren dort unter, nachdem stilles Leid, tiefer Kummer, furchtbar lastendes Schweigen bei einem plötzlichen Anlass in Wahnsinn und selbstgefährdende Tobsucht übergegangen. Auf die zunehmenden Schatten war eben die völlige Nacht gefolgt.
Wer das milde, duldende Wesen der Frau gekannt hatte, dem schnitt es durch's Herz, sich dieselbe nun als Tobsüchtige denken zu müssen. Aber selbst im dunklen Vernichtungstrieb waltete noch der schonende Sinn der unglücklichen Frau – er richtete sich nur gegen ihr eigenes verdüstertes Leben.
Agnese war eine sanfte, anmuthige Erscheinung, als Beppo um sie warb. Er hätte eine reichere, stolzere Schönheit heimführen können, schien sich aber gerade mit dem ruhigeren Werth bescheiden zu wollen. Immerhin brachte Agnese ein gutes Stück Geld ins Haus und es hing wenig Schwieger- und Schwägerschaft daran, was dem Manne offenbar zusagte.
Denn soweit verrieth sich Beppone's eigenste Natur immer, dass er, was er sein nannte, völlig losgelöst von Allem besitzen und beherrschen wollte. Zu Hause war er Despot; mit geschmeidigen, einschmeichelnden Worten und Winken huldigte und lockte er nur so lange, bis er den Bethörten in seinen Bann gezogen, in sein Interesse verflochten hatte, dann war er Herr und Jener Sklave.
Schon nach wenigen Jahren war Agnese eine grausam enttäuschte, tief unglückliche Frau. Aber sie klagte nicht; ihr Mund schloss sich um so herber, ihr Auge wurde um so trockener, je mehr sie um das Leben und die Unternehmungen ihres Mannes zur Wissenden wurde. Ob sie, die Frau des glücklichen, lustigen Beppone, mit der letzten Campagnuolin, mit der ziehenden Bettlerin, ja selbst mit dem gehetzten Brigantenweib getauscht haben würde? – sie sprach es nicht aus, aber ihr harmvolles Antlitz liess derlei Vermuthungen aufkommen.
Es ist der Blitz, welcher auf Augenblicke die Gewitternacht erhellt und ihre Schrecknisse ermessen lässt. Er ist kein Licht schöner, freudiger Ordnung, vielmehr ist's die Finsterniss, der Sturm, das tobende Chaos, welches sich denselben wie zum eigenen Triumphe aufzündet. Solchem Blitze glich der Aufschrei, mit welchem sich der Wahnsinn des gequälten Weibes ankündete.
Unfern der Osteria, gegen die Macchia zu, durchschneidet die Strasse eine ansehnliche Bodenwelle, statt über sie zu setzen; sie bildet sonach einen Hohlweg, dessen Lehnen ungleich hoch sind. Die linke Wand ist steinig und stark überhängend, und vom Rande lässt sich tief allerlei grünes Gerank und Geschlinge herab. Die Schlucht ist romantisch. Wer aus dem frei ergossenen Campagnalichte in das braune Düster tritt, erschrickt und fühlt fröstelnd den kühlen Schatten. Wanderer und Hirten suchen unter der Wand Schutz und die kleine verschüchterte Betta hatte schon manche schüttende Gewitterstunde hier verkauert.
In diesem Hohlweg wurde vor zwei Jahren in einer sternkargen Octobernacht ein Mädchen ermordet gefunden.
Einer von Beppo's geschulten Hunden hatte plötzlich sehr nachdrücklich angeschlagen, ein Knecht war auf diesen wachsamen Ruf an Ort und Stelle geeilt und glaubte an dem regungslosen Körper noch Lebenswärme zu entdecken.
Schnell machte er seinem Herrn davon Anzeige, den er noch wach und in häuslicher Bequemlichkeit traf.
Dieser ordnete an, dass der grausige Fund unberührt auf dem Flecke bleibe und gehütet werde, schwang sich mit seinen Söhnen aufs Pferd, um in verschiedenen Richtungen dem muthmasslichen Mörder nachzusetzen, und begab sich am frühen Morgen selbst nach Rom, von wo er gegen Mittag mit den zur Erhebung des Thatbestandes entsendeten und mit der Untersuchung betrauten Herren zurückkehrte.
Nachdem man die Schlucht und die Fundstelle aufs Genaueste in Augenschein genommen, trug man die Leiche in eine der unteren Gaststuben und legte sie auf den langen Tisch, zunächst den Fenstern. Unter das Haupt schob man ein Kissen. Da lag nun ein ungemein liebliches, lebensfreudiges Mädchen – todt mit weit geöffneten Augen, in die sich die doppelte Finsterniss der Nacht und der Schlucht versenkt zu haben schien. Die schönen Züge spiegelten friedlichen Tod, zeigten auch keine Spur einer vorausgegangenen gewaltsamen Aufregung. Der reizende Mund war geöffnet, aber man durfte glauben, dass demselben soeben ein gleichgiltiges oder kosendes Wort eher als ein letzter Hilfeschrei, ein ängstliches Stossgebet oder gar ein wilder Fluch entfahren sei. Auch in den ruhig gelagerten Gliedern zeigte sich nichts Krampfhaftes, was auf Widerstand und Kampf hätte schliessen lassen.
Auf der linken Seite zwischen Brust und Mieder stak ein Messer, das von oben herab ins junge, arglose Herz gedrungen war. Der Stoss, von meisterhafter Banditenhand geführt, musste jäh das blühende Leben zum Stillstand gebracht haben. Das Messer war ein solches, wie es jeder Campagnuole bei sich zu tragen pflegt.
Sämmtliche Hausgenossen mussten vor die Behörde treten und wurden einzeln angesichts der Todten, unter ihren starr nachtenden Augen, vernommen.
Es geschah kein anklagendes Wunder, das gestockte Blut begann nicht wieder zu fliessen.
Als die gramverklärte Gestalt der Signora Agnese sich dem todten Mädchen näherte, wechselten die Herren aus der Stadt unwillkürlich theilnahmsvolle Blicke.
Sie beugte sich, noch eh' ein Wort an sie gerichtet wurde, über die Leiche und musterte mit kundigem Frauenauge des Mädchens Anzug.
»Aus Nettuno!« flüsterte sie. Es war mehr geseufzt als gesprochen, und schmerzlich zuckten ihre Mienen.
»Signora, wissen Sie vielleicht etwas Näheres von diesem unglückliehen Geschöpf?« fragte der Sprecher der Gerichtsleute.
Aber die Angeredete stierte verlorenen Geistes aufs blutige Messer und tappte mit unsicherer, kindischer Hand darnach.
»Signora Agnese!« mahnte der Sprecher befremdet.
Diese aber zerrte jetzt an ihren Kleidern, eifrig bemüht und doch unvermögend, sich auszuziehen, und mit tanzendem Sprunge rief sie aus: »Jetzt werden die Weiber abgestochen, das ist gescheidt!«
Eine blöde Freude flog leuchtend über ihr Gesicht.
Kein Zweifel mehr, man hatte eine Wahnsinnige vor sich.
Mit einem grässlichen Befreiungs- und Jubelruf hatte sie die Umnachtung ihres Geistes, die Nacht, in der all' ihr qualvolles Denken und Wissen unterging, begrüsst – wie arg musste ihr das lichte Leben mitgespielt haben! –
Nach der Vernehmung des Hausgesindes machten sich die wissenschaftlichen Finger und Werkzeuge an die nackten Glieder des schönen Mädchens. Sie konnten kein Merkmal einer an demselben verübten äusseren Gewaltthätigkeit entdecken, wohl aber liess sich erweisen, dass die Fremde einen weiten Weg zurückgelegt haben musste und dass sie seit einer Reihe von Wochen ein keimendes Menschenleben unter ihrem Herzen trug.
Viel mehr förderte auch die weitere Untersuchung nicht zu Tage; der Mord blieb ein Räthsel, der Wahnsinnsschrei ein peinlicher Zwischenfall, dem Vorgehen und der Unbefangenheit Beppone's konnten selbst die Herren vom Gericht ihre Anerkennung nicht versagen.
Den Abschied von seiner armen Frau mit männlicher Fassung zu ertragen, fiel dem Bivio-Wirth nicht schwer; dagegen schien er eine schlimme Wirkung des blutigen Vorfalles auf den Ruf seiner Osteria zu fürchten, denn er wetterte auf die verrufene Macchia, die ihm zu seinem Schaden und Verdruss ihre Mordgesellen bis knapp vor die Thür schicke.
Nach wie vor durchkreuzte Beppo die Campagna und liess sich in den nächstgelegenen Städten des Sabiner- und Albanergebirges sehen.
Einer seiner ersten Besuche hatte der muthmasslichen Heimat des ermordeten Mädchens, Nettuno, gegolten, und von da brachte er eines Tages eine Wirthschafterin nach Hause.
Es war dies keine junge Person, was von den Bewunderern Beppone's als besonderer Zartsinn, als Enthaltsamkeit vermerkt wurde, sondern eine verwitterte Alte von ausdrucksvoller Hässlichkeit, wie solche sich in Italien neben berückender Schönheit so häufig findet.
Das Verhältniss zwischen dem tyrannischen Herrn und dieser Dienerin machte sich vom ersten Augenblicke an als eigenthümliches bemerkbar. Sie nahm sich sehr viel heraus, letzte namentlich ihren Gaumen über Gebühr, und er, er liess es ungerügt hingehen. Sie sprachen selten miteinander, mieden sich, so sehr sie konnten, und verständigten sich mehr mit Blicken als mit Worten. Es waren dies aber keine freundlichen Blicke, sondern höhnische, trotzige. Was die Beiden an einander band, musste jedenfalls von zwingender Kraft sein, denn, so viel ersichtlich, hassten sie sich. Vielleicht hielt wechselseitige Furcht zusammen, was der Hass gesprengt hätte; vielleicht wurzelte das einigende Gefühl in einem gemeinsamen Geheimnisse. Gewiss hatte Eins gegen das Andere einen Trumpf in der Hand und zögerte doch, ihn auszuspielen.
Mit dem Eintritt der hässlichen Alten begannen für die kleine Betta die schlimmen Tage. Früher hatte sie, wenn auch eine traurige, so doch eine liebende Mutter; jetzt war sie hinausgestossen in die weite Campagna und allen Unfällen angelegentlichst überantwortet.
Wenn dem zarten Kinde etwas zustösse? Je nun, wen sollt' es kümmern?
Doch Kinder haben ihren Schutzgeist. So dachten die beiden wandernden Campagnuolen wohl auch, welche die Kleine gar droben am grauen, nach faulen Eiern riechenden Wasser des Schwefelsees fanden.
Bei ihrem Anblicke kamen sie auf den Mädchenmord im Hohlweg zu sprechen, über welchen sie noch immer den Kopf schüttelten. Meinte der Eine: »Das Kind lässt man herumlaufen, als sollt' es lieber heut' als morgen ein Engel werden.«
Der Andere erwiederte: »So mir nichts dir nichts kann's nicht aus der Welt verschwinden. Glaub' mir, die, welche die Mutter abgeholt haben, wissen auch, warum sie ein Aug' aufs Kind haben müssen. Die Kleine kann sie alle überleben, welche ihr unter der Hand den Tod wünschen.«
Wenn man also nicht in der Osteria sass und den liebenswürdigen, allezeit aufgeräumten Wirth vor Augen hatte, so machte man sich immerhin Gedanken über die blutige That in der Wegschlucht, und zuweilen war man nicht weit mehr entfernt von dem ausgesprochenen Verdachte, dass jener meisterhafte Todesstoss wohl gar von Beppone selbst hergerührt haben könne.
Aber ein schönes, armes, zu Fuss pilgerndes Mädchen zu morden, welchen Grund sollte er zu solch' kalter Grausamkeit gehabt haben?
Das war freilich schwer einzusehen. Wie aber, wenn das schöne Kind von ihm bethört und verführt war; wenn es sich auflehnte gegen den herrischen Geliebten, der es in Geduld seiner harren und im Verborgenen bleiben hiess; wenn es den langen Weg antrat, ihn leidenschaftlich an sein gegebenes Wort, an Schwur und Versprechen zu mahnen; wenn es, vielleicht selbst schon vom Wankelmüthigen wieder vernachlässigt oder verstossen, als werdende Mutter für ihr Kind den Vater aufsuchte; wenn es ihm in seinem eigenen Hause eine Ungelegenheit machen wollte, wie solche durchaus nicht nach seinem Geschmacke sind?
Das allerdings konnte den eigenliebigen, gewaltthätigen Mann aufbringen. Aber trafen diese Annahmen und Deutungen auch wirklich zu? Dem Anscheine nach durchaus nicht. Das Gericht konnte nicht nur nichts gegen Beppone ausrichten, sondern hat ihn sogar mit Achtung behandelt.
Und in der That trägt er seit geraumer Zeit den Kopf stolzer und freier als je zuvor.
Ein rüstiger Vierziger, mit kaum angegrautem Vollbart und Haupthaar, stattlich gebaut und dank seinem Jagd- und Reiterleben von unverrosteter Schmeidigkeit, in Haltung und Kraft eher ein Landedelmann als Bauer, zuversichtlich und lebensfroh: scheint er erst jetzt in der Fülle seiner Kraft und Unternehmungen zu stehen.
Und in seinen Söhnen sind ihm Schüler und Gehilfen herangewachsen, auf denen sein Auge mit Stolz und Wohlgefallen ruht.
Enzio hat das achtzehnte Jahr überschritten und Cecchino mag um anderthalb Jahre zurückstehen. Beide sind kräftige, behende Bursche, in Schnitt und Präge unverkennbar nach dem Stempel des Vaters geartet. Der Blick ist kalt für ihr Alter, in den Gesichtszügen zeigt sich bereits Trotz und Uebermuth als vorherrschende Eigenschaft. Enzio ist besonnener in seiner Wildheit; Cecchino, von Natur aus sanfter, schlägt aber, einmal erregt, desto ärger aus.
Ihre Knabenspiele waren grausam.
Sie können ihren Namen schreiben und Geschriebenes lesen, was ihnen ein dürftig bepfründeter römischer Messeleser beigebracht hat, den Beppone in sein Haus lud und ein paarmal die todte Saison über bei sich behielt. Er hatte seinen Spass mit dem armen Prete; die Buben lernten, was sie brauchten, da sie sich ja leider mit dem thätigen Leben begnügen müssten, und das Pfäfflein genoss da seine fettesten Tage.
Pulver verpaffen, Hunde hetzen und Pferde tummeln lernten die Jungen frühzeitig, und zwar nicht in fremden Diensten, sondern zu ihrem eigenen Vergnügen. Sie wurden auch in die eigentliche Sportswelt eingeführt und stellten da recht geschickte, gern gelittene Gesellen.
Aber das war nicht die Hauptsache, sondern wie der Vater ihr Lehrmeister war, so sollten sie auch seine willenlosen Werkzeuge sein, bis er sie freisprach und freigab; das sollte jedoch nicht früher geschehen, als bis sie mit ihrem Witz seinen alten Kopf erfolgreich überlistet hätten.
Mit dieser Verheissung vertröstete und spornte er sie an. Selbst abzudanken gedenkt er aber noch lange nicht, denn vorläufig ist er mit seinem Kopfe gar wohl noch zufrieden.
Längst sind die Söhne eingeweiht in des Vaters Pläne und erweisen sich brauchbar in seinen öffentlichen Geschäften wie in seinen verschwiegenen Unternehmungen.
Geduld! Nur zu bald kommt es an den Tag, welcher Art die letzteren sind.
Es ist einer der letzten Octobertage 1867; die Sonne hat bald den halben Weg ihres Niederganges zurückgelegt. Beppone tritt vor die Hausthür und blickt die Strasse entlang; er hatte heute früh den Biagio aus Mentana mit einem Paar Mastochsen vorüberziehen sehen und scheint auf dessen Rückkunft vom Markte zu achten.
Enzio unterhält sich mit Castor, dem Haushunde. Das arme Thier muss sich setzen, mit den Vorderbeinen aufwarten, im Maul überquer die Peitsche und auf der wagrecht vorgestreckten Schnauze ein Glas Rothwein tragen, so ruhig, dass auch nicht ein Tropfen überschwippt.
Nun ist die Uebung zu Ende, Castor gähnt gelangweilt und der grosse Bengel spuckt ihm in den Rachen.
Mittlerweile ist der Erwartete nahe heran gekommen.
»Schon zurück, Biagio?« ruft ihm der Wirth entgegen; »hast ein gutes Geschäft gemacht?«
»So so.«
»Wie hoch?«
»Dreihundert Scudi ... konnt's nicht höher treiben.«
»Hast immer einen guten Schluck dabei verdient.«
»Geh' ihm auch nicht aus dem Wege, wie du siehst, Vater Beppo.«
Gast und Wirth treten in die Stube, sie setzen sich an den Zechtisch, auf welchem damals das ermordete Mädchen gelegen, und sprechen der strohumflochtenen Flasche rothen Orvietoweines zu.
Enzio hat den Schenken gemacht, sich aber gleich wieder entfernt. Die Männer sind allein.
»Weisst du, Biagio,« beginnt der Wirth von Neuem, »dass du eigentlich ein ausgemachter Schlaukopf bist? Schlägst dein Vieh um guten Preis los, knapp bevor die Garibaldiner kommen und dir's wegnehmen.«
»Sanct Michael und die heilige Madonna mögen uns bewahren vor den Rothhemden! Das ist's auch nicht, sondern ich denke mir so: Mastvieh, das man zu lang' im Stall hat, frisst das wieder auf, was es Einem eintragen soll.«
Beppone säumt nicht beizupflichten und der Gast ergeht sich mit sichtlichem Behagen in der Mittheilung seiner wirthschaftlichen Pläne.
Er und der lustige Wirth sind alte Bekannte, und zwischen Freunden giebt's kein Hehl.
Er bliebe noch gern, aber es ist bereits um die Ave-Stunde, der Weg ist weit und daheim erwarten ihn Weib und Kind.
»Also auf Wiedersehen, Vater Beppo!«
»Ei was! Noch ein Glas vom Besten! Er ist schwer, wird dir aber leichte Beine machen. Ein richtiger Wirth lässt eine vollgespickte Katze nicht so bald aus dem Hause.«
»Gut, mach' aber schnell.«
Der Wirth geht selbst den kostbaren Tropfen holen. Ein halb unterdrückter Pfiff – und Enzio steht flüsternd neben ihm: »Cecchin ist bereits voraus, ich habe mein Pferd im Schatten des obern Casale stehen und kann noch einen völlig unverdächtigen Umritt machen.«
»Gut; es ist wenig Gefahr dabei, denn in ein paar Tagen haben wir die Garibaldiner hier und im grösseren Wirrwar geht der kleinere unter.«
So die rückgeflüsterte Antwort des Vaters, der heiter summend wieder zu seinem Gast in die Stube tritt.
Die neue Flasche ist schneller geleert als die erste; Biagio, trotz der launigsten Schnurren nicht länger zu halten, greift wohlgemuth nach seinem langen Stecken. Das ehrliche Auge des wildbebarteten Campagnuolen nimmt treuherzigen Abschied – ein triumphirender Fuchsblick verfolgt eine Weile den rüstig Ausschreitenden.
Als Biagio an's Ende der Schlucht gelangt, ist ihm, als höre er sich leise und ängstlich rufen. Er blickt auf und um sich und gewahrt zwischen grünem Gestrüpp das ernste, blassbraune Gesichtchen Betta's, die ihm zuflüstert: »Nicht durch die Macchia gehen, Biagio!« und gleich ihren Lieblingsgespielen, den Eidechsen, blitzschnell verschwindet.
»Armes Kind, fängst früh an! Man wird dich bald deiner Mutter nachschicken,« denkt Biagio mitleidsvoll und wandert fürbass. Mit dem traurigen Geschöpfchen seine gesunden Kinder vergleichend, beschleunigt er die Schritte. Natürlich wählt er den kürzesten Weg, den Spuk der Macchia fürchtet er nicht.
Plötzlich fühlt er sich aber von zwei handfesten Kerlen rückwärts gepackt, und eh' ihm noch ein Gedanke auf Verteidigung beifallen kann, ist er schon zu Boden geworfen. Der eine Wegelagerer schnürt ihm mit eiserner Faust die Kehle zu, der andere durchsucht mit habgierigen Fingern vom Kopf bis zum Fuss seine Kleider.
Aber umsonst! Das Geld ist nicht zu finden.
In ihrer Erwartung getäuscht, schlagen die Buben mit thierischer Wuth auf den Unglücklichen los, bis er sich nicht mehr rührt, und entweichen in die Nacht der Macchia.
Nach anderthalb Stunden schwankt Biagio wieder der Osteria zu. Er ist vor Schmerzen blöd in seinen Gedanken, sonst müsst' ihm die kleine Warnerin einfallen. Er hat sich für den näheren Zufluchtsort entschieden und begiebt sich in die Löwenhöhle.
Im Haus war's bereits still, aber in der Gaststube brannte Licht.
Beppone kommt ihm mit lauerndem Erstaunen entgegen: »Biagio, du zurück? Hast was vergessen? Um Gotteswillen, wie siehst du aus?«
»Birbanti haben mich überfallen. Schaff' Wasser herbei, leuchte mir in's Bett, ich bin an allen Gliedern zerschlagen.«
»Armer Teufel! Ich hätte dich nicht fortlassen sollen. Accidente! ... Dass du wenigstens doch noch mit dem Leben davon gekommen bist. Danken wir der Madonna für dieses Wunder.«
»Gott sei Dank, auch meine Quattrini sind gerettet. Es waren Anfänger in ihrer Kunst – haben nicht an den Hut gedacht.«
»Desto besser! So ist's ja verhältnissmässig noch gut abgelaufen. Hast du keinen erkannt?«
»Sie hatten die Gesichter geschwärzt und gaben keinen Laut von sich.«
Biagio war zu Bette gebracht, konnte aber nicht schlafen. Die blutunterlaufenen Beulen und Brauschen schmerzten ihn von Viertelstunde zu Viertelstunde mehr. Es war nahe um Mitternacht und länger hielt er's nicht aus; er musste sich Oel verschaffen zur Linderung seiner wunden Flecke. Doch Beppo schläft bereits; von seinen Söhnen hat er nur den Einen flüchtig zu Gesicht bekommen; im ganzen Hause regt sich nichts mehr ... Ei was, der Gast weiss ja Bescheid im Hause. In der Zechstube muss sich eine Caraffina mit Oel finden und die Thür ist sicherlich nicht verschlossen.
Biagio macht sich auf und schleppt sich barfuss die Stiege hinab.
Wie erstaunt er aber, indem er zu dieser Stunde noch sprechen hört in der Stube. Kurze Sätze, auffallende Heimlichkeit. Der Vater im Finstern mit seinen Söhnen allein! Horch ...
»Ihr bleibt ewig Stümper; das Hutunterfutter zu durchsuchen vergessen, das ist zu viel.«
»Aber, Vater, wer hätte dem Biagio diese Vorsicht zugetraut? Wir dachten, Ihr hättet ihm das Geld abgenommen und wir sollten lediglich für den Schein sorgen.«
»Das Beste ist noch, dass er euch nicht erkannt hat; er ist zurückgekehrt.«
»Zurückgekehrt? Dann entkommt er uns nicht zum zweitenmal.«
»Jetzt steht die Sache anders; er darf nicht in die Lage kommen, über seinen Fall nachzudenken. Ich verlass' mich nur auf mich selbst. Er schläft im hintern Zimmer, über der Pergola. Geht hin und grabt unterhalb, aber aussen beim Zaun, ein Loch ... tief, der Hunde wegen. In einer Stunde glaub' ich fertig zu sein ... dann werf ich ihn euch zum Fenster hinaus und ihr wisst, was ihr zu thun habt. Verstanden?« ...
Man denke sich, wie Biagio jedes dieser Worte mit gierigen Ohren auffing. Furchtbar klar wurde ihm der Zusammenhang der Dinge, aber auch blitzschnell durchzuckte ihn ein Gedanke, der Rettung und Rache zugleich in sich barg.
Und als der alte Sünder seine Söhne hinausbeschied, murmelte Biagio ein: »Maledetti, ihr sollt mich kennen lernen« durch die Zähne und schlich wieder auf nackten Sohlen in seine Schlafstube hinauf.
Was Alles ging in der folgenden Stunde durch Biagio's Seele!
Er trug in den steifen Ledergamaschen ein langes Messer – die Buben hatten es ihm nicht abgenommen – das zog er und stellte sich an die Thür des Gemaches, lauschend, bald fieberdurchglüht, bald frostdurchschüttelt.
Erst sprühten seine Gedanken nur Wuth: »Ja, wer hätte dem guten Kerl Beppo diese Vorsicht zugetraut! ... Während er mit mir trank, schickte er seine Buben hinaus, mich berauben, mich kaltmachen zu lassen ... So lange kenn' ich ihn und trug ihm immer ein offenes Herz entgegen und hab' grosse Stücke auf ihn gehalten. Schuft! Hier steh' ich und warte, und wenn du kommst, stürz' ich mich auf dich und steche dich nieder – so! ... Ha, sollst mich kennen lernen! Und in alle Welt schrei' ich dann: Wisst Ihr, wer der Wolf, der Tiger der Macchia ist, wer sein Weib verrückt gemacht, die schöne Nettunerin umgebracht hat und seine Kinder zu Briganten erzieht? Hier liegt er ... Preis her! ich, der dumme Bauer Biagio, habe den feinen Herrn übertölpelt, hab' das grosse Ungeheuer erlegt ...«
»Und dumm, dumm bin ich gewesen. ›Geh' nicht durch die Macchia‹, hat die Kleine gesagt ... hätt' ja doch schon am traurigen Gesichtchen erkennen sollen, dass das arme Kind mehr weiss, als es ertragen kann. Sollst lachen lernen, liebe Kleine! Ich räche auch dich und deine Mutter ... der Schändliche ist nicht werth, dass du ihn Vater nennst. Wirst ihn vergessen, eh' du zum Verständniss kommst und ihm fluchen musst ...«
»Doch muss ich denn auch? – Blut, Blut ist ein furchtbar Ding ... o heilige Madonna, ein furchtbar Ding, ein Flecken, der sich nicht wieder wegwaschen lässt ...«
»Und kann ich nicht noch entfliehen? – Entfliehen ... ha, ha, nachdem sie mich zum Krüppel geschlagen! Ist nicht der Alte wach? Und graben die Buben nicht schon draussen das Loch für mich? ... Feiglinge, Drei gegen Einen!«
»Horch! – Ich will doch erst sehen, ob er mit einem Messer, einer Axt, einem Dolch kommt ... bin ja der Jüngere ... ob er sich aufs Bett stürzen will, den Schlafenden zu morden – Scheusal, den Schlafenden! Horch, horch!«
Und herauf kam's leisen Schrittes und die Thür ging auf.
Biagio zog sich gegen die Angel zurück.
Grauschwarz schaute die Nacht zum Fenster herein.
Beppo kam, das Mordwerkzeug in der Hand – furchtbarer Augenblick!
Zwei Mordgedanken kreuzen sich.
Beppo schleicht vorgebeugt, die Hand zum Mord erhoben, gegen das Bett vor ... da, ein Tigersprung, ein gewaltiger Stoss, und das rächende Messer hat dem mordsinnenden Verräther den Lebensfaden durchschnitten ... das Ach! der Ueberraschung ging in Todesröcheln über. –
Von seiner That überwältigt, brach auch Biagio zusammen, doch der kalte Schweiss bringt ihm die Besinnung wieder. Und es ist ein grauenhaft kaltes Thun, das nun folgt.
»Das Grab ist gegraben, es soll seine Beute haben ... Macht, dass Ihr den Todten verscharrt, eh' ihm der Tag ins Antlitz leuchtet, sonst gehen Euch die Augen über.«
Und Biagio zieht dem Todten und zieht sich die Kleider aus; und er bekleidet sich mit des Todten blutigem Gewand, den Leichnam aber mit seinen Beinkleidern, seiner Weste, seiner Jacke, seinen Gamaschen – Alles mit grausiger Ruhe und Ueberlegung.
Dann öffnet er das Fenster und schiebt durch dasselbe dem Grab seine Beute zu.
»Jetzt sind sie an der Arbeit und der Weg ist frei ... ja, ein Weg ist noch zu thun, dann dürft ihr zusammenbrechen, zuckende Glieder ...«
Am selben Morgen hielt ein Trupp Gendarmen vor der Osteria.
Auf die Frage, wo ihr Vater sei, antworteten die Söhne, sie wüssten es nicht; ein Freund sei gestern Abends in der Macchia angefallen und ausgeraubt worden, und er habe sich hierher geschleppt ... der Vater habe ihm heute früh wahrscheinlich das Geleite gegeben, während noch Alles schlief.
»So ... vielleicht können wir Euch behilflich sein, den Vater zu suchen,« lautete die Antwort des Gendarmenführers.
Und die Söhne mussten das frische Grab aufgraben, und die Sonne, die Alles an den Tag bringt, leuchtete in die Grube, und sie erkannten schaudernd das entstellte Antlitz ihres Vaters, während der Todtgeglaubte, das Opfer ihrer Anschläge, in demselben Augenblick wie ein Rachegeist aus der andern Welt vor ihren Augen stand.
» Misericordia, misericordia!« wimmerte Cecchin auf den Knieen, während Enzio auf die Leiche stierte, über welche kein Witz hinweg half.
Die Wirthschafterin schlug, als sie ihren todten Herrn erblickte, eine grelle Lache des Hohns auf. Der Todte konnte nicht mehr gegen sie zeugen, wohl aber sie gegen ihn.
Die Betta aber, deren sich Biagio annehmen wollte, war nicht aufzufinden. Nach einigen Tagen zog man ihre Leiche aus dem weit ins Wasser vorragenden Ufergestrüpp des Anio. Selbstmord eines Kindes? schrecklicher Gedanke! Zu ungeheuerlich selbst für das schwarze Hirn eines Pessimisten!
*
Dem Erzähler dieser Begebenheiten war es nicht um ein grausiges Nachtstück zu thun; ein solches wäre durch Häufung von Greueln und Verzicht auf psychologische Begründung unschwer zu beschaffen gewesen. Gerade auf die innere Erweisung richtete er sein besonderes Augenmerk, und gelang ihm diese, so fällt von selbst eine beherzigenswerthe Moral ab; denn der Menschen, welche, in ihren Kopf und Witz verliebt, bei ihrer selbstsüchtigen Lebensführung die Regung des grossmüthigen Herzens entbehren und missachten zu können glauben, giebt es leider viele.
Weiter beschäftigte den geschichtsliebenden Erzähler wiederholt die Frage, wie wohl, von den besonderen, drängenden Zeitumständen abgesehen, das Naturell jener kleinen Gewalthaber beschaffen sein mochte, an denen das italienische Mittelalter so reich ist: meist aus der untersten Schichte des Volkes hervorgegangen, mit gewinnenden Eigenschaften ausgestattet, verwegen und verrucht zugleich, haben diese Tyrannchen ebenso kühn gefrevelt als gehandelt. Diesen erfolggekrönten Virtuosen des Frevels gegenüber kann Beppone allerdings nur die Rolle eines kleinlichen Epigonen beanspruchen; aber vielleicht erkennt man denn doch, dass er mit Jenen aus gleichem, noch immer triebkräftigem Holze geschnitten ist.