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Das Aloeblatt.

Und so, – schrieb Signor Baldassare weiter – halte ich die Zeit für gekommen, daran zu denken, wie sich das theure Vermächtniss unseres unvergesslichen Freundes zum Glücke der jungen Leute und zu unserer Freude verwirklichen lasse. Diese unsere Genugthuung ist dann wohl die einzige Entschädigung für den unvermeidlichen Verzicht, zu welchem sich die Eltern verstehen müssen, wenn sie die Kinder von sich abtrennen, indem sie ihnen einen Hausstand gründen.

Der Selige wünscht es ausdrücklich, und es ist auch nur recht und billig, dass wir die Kinder denselben Weg betreten lassen, auf welchem wir einst – freilich hätt' es länger währen können! – selber glücklich geworden sind.

Unser Wunsch muss noch hinter der zu erforschenden wahren Neigung Ihrer Adelina und meines Renzo zurückstehen.

Diese Neigung zu erforschen, das soll mit Ihrer gütigen Erlaubniss zunächst meine Sorge sein. Ich habe einen Einfall, der, wie ich mir schmeichle, nicht übel und zugleich ganz unschuldig ist. Danach liesse sich zwischen den beiden jungen Herzen leicht eine Mauer errichten, welche, wenn sie nichts für einander fühlen, vollkommen ihre Schuldigkeit thut, aber viel zu niedrig ist, als dass aufkeimender Liebe nicht der Gedanke und Muth kommen sollte, erst über dieselbe heimlicher Weise zu schielen und schliesslich wohl gar sie zu durchbrechen, oder kecklich drüber zu setzen.

Sie sollen, verehrte Freundin, mit mir Zeuge dieses rührenden Schauspiels sein, das ganz danach angethan ist, uns an die glückliche Wagniss unserer eigenen Jugend zu erinnern. Daher dürfen Sie die Einladung, mit mir die geräumige Villa zu theilen, nicht ablehnen.

Noch halte ich mit meinem Plan etwas zurück, nicht um Sie danach lüstern zu machen, sondern weil er gar zu einfältig ist, als dass Sie ihn nicht schon durchschaut haben sollten. Wie ich Sie kenne, werden Sie aber, um meinem alten Kopf ein Compliment zu machen, gleichwohl überrascht thun über die Art und Weise, wie ich Ihnen oder vielmehr Ihrem Töchterlein meinen Jungen vorstellen werde. Ein Wort über den Namen hinaus und die Probeschranke ist gezogen. Ohnehin glaube ich in eitler Geschwätzigkeit schon zu viel gesagt zu haben.« –

Baldassare hatte bereits, während er dieses schrieb, behaglich gelächelt. Nun hielt er länger inne und drängte sich selbst: Nur noch eine artige Wendung, dann mag der Brandbrief abgehen und der Zünder an die jungen Herzen gelegt werden. Und er setzte von Neuem an:

»Sollten Ihre Adelina und mein Renzo, was Gott verhüte, für einander kein Verständniss haben, dann freilich bliebe mir, um dem Wunsche Ihres Seligen halbwegs gerecht zu werden, nichts anderes übrig, als jenen Schritt und Fussfall zu erneuern, welcher geeignet wäre, die beiden spröden Herzen trotzdem zu unseren Kindern zu machen, – selbst auf die Gefahr hin, dass alle Welt sagte: Der alte Baldassare hat wiederholt um die Hand der schönen Witwe Marcucci geworben, ist aber abgewiesen worden; dem Gecken mit dem Zipperlein ist recht geschehen.«

Er schloss auf die herkömmliche Weise und rieb sich befriedigt die Hände mit den rundlichen Fingern. Einen so umfangreichen Brief hatte er schon lange nicht geschrieben. Begnügte er sich doch in der letzteren Zeit sogar mit der einfachen Namensfertigung unter den regelmässigen Consulatsberichten.

Der angesehene Livorneser Kaufherr und Consul Baldassare hatte aber auch seit Jahren nicht so viel Musse, als er nun genoss, seitdem er die Villa Cesarini in Frascati bezogen. Er hatte es über sich gewonnen, den Geschäften den Rücken zu kehren, um über einem Lieblingsgedanken brüten zu können, dessen Gelingen ihm um so wahrscheinlicher vorkam, je öfter sein wohlgefälliger Blick den einzigen Sohn und Erben Renzo belauschte.

Die treueste Freundschaft sowie ununterbrochener Geschäftsverkehr hatten ihn mit dem römischen Bankier Marcucci verbunden. Sie hatten zusammen die Lehrzeit durchgemacht und sich die ersten Sporen verdient; sie arbeiteten sodann Einer mit dem Gewinn des Andern, sie bestanden Krisen, indem sie einander rechtzeitig beisprangen; sie hatten einander zum Vertrauten und Förderer in Liebesnöthen und gelangten wie im Wetteifer zu Reichthum und Ansehen.

Marcucci starb und hinterliess eine Tochter; Baldassare verlor seine Gattin, die ihm einen Sohn geboren. Es war des sterbenden Freundes ausdrücklicher und des überlebenden stillschweigender Wunsch, dass Renzo und Adelina ein Paar werden sollten, wenn anders die Gesinnungen der Eltern sich in den Neigungen der Kinder forterben würden.

Die Witwe Marcucci hing zu sehr an dem Andenken ihres Seligen, als dass ihr dessen Wunsch nicht heilig geblieben sein sollte, aber sie konnte sich nur schwer in den Gedanken finden, ihre Tochter zu missen, und mochte sich nicht gern gestehen, dass dieselbe bereits das kindliche Alter überschritten.

Es kam daher dem Freunde zu, an das ungeschriebene Vermächtniss des Geschiedenen zu erinnern, und er that es um so lieber, als Renzo der Schule und Lehre bereits entwachsen war, und als er ihn, eh' er ihn auf ein Jährchen in die weite Welt schickte, gern mit einem das Herz wahrenden Talisman versehen hätte. Was der Vater hatte entbehren müssen, sollte dem Sohne werden: junge Liebe.

Die Kinder, welche für einander bestimmt waren, hatten sich noch niemals gesehen. Um die Gemächlichkeit der Signora Marcucci zu schonen, hatte Baldassare Frascati zum Stelldichein, zum Schauplatz der ersten Begegnung gewählt und daselbst für die Sommerfrische eine der reizendsten Villen gemiethet, die zudem, weil die nächste an der Eisenbahn, an der Porta Romana und am Domplatz, bequemer als jede andere gelegen war.

Baldassare betrieb die Angelegenheit mit jener ihm eigenen wohlwollenden Rührigkeit, welcher des Fremden Vortheil kaum minder als seinen eigenen ins Auge fasste. Er war ein liebenswürdiger Egoist. Er versagte sich keinen der feineren Genüsse, liebte aber auch Gäste, um sie mit ihnen zu theilen. Gesellschaft war ihm ein Bedürfniss, aber er wusste die Kosten der Unterhaltung, wenn nöthig, auch ganz allein zu tragen. Er sah gern heitere Gesichter um sich, dafür strahlte aber auch sein eigenes fast immer nur Sonnenschein. Sein Koch war eine Hauptanziehungskraft seines Hauswesens, er wusste und fand es ganz natürlich. Auf seinen Wangen blühte eine zweite Jugend, welche um so frischer erschien, als sie des Schnees auf seinem Scheitel spottete. Sein bartloser Mund verrieth Feinschmeckerei und Laune. Das vorlaute Bäuchlein stand ihm gut, zumal es der Behendigkeit der Beine wenig Eintrag that, und das Zipperlein plagte ihn nicht so sehr, dass er sich nicht gern selbst darüber lustig gemacht hätte.

Sein Renzo war ein stiller, ernster Jüngling. Völlig anders sich entwickelnd als der Vater, war er nicht nur in Farbe und schlankem Bau, sondern auch in ruhiger Anschauung und tieferem Gefühl der Mutter nachgerathen. Vater und Sohn bildeten Gegensätze, aber nicht ausschliessender, sondern ergänzender Art; der Eine hatte für die Natur des Andern nicht nur Verständniss und Duldung, sondern auch ein gewisses Verlangen danach. Was der Alte mit Glück und Wagniss erworben, das sah er mit Beruhigung der klaren und verständigen Weise des Sohnes überantwortet. Dagegen bewunderte dieser die glänzenden geselligen Tugenden des Vaters und vertraute ihnen in freiwilliger Unterordnung. Wenn daher Baldassare in letzter Zeit häufige Anspielungen machte, welche Renzo's entscheidende Herzensangelegenheiten betrafen, so begegnete er nicht nur keinem Widerspruch, sondern dankbarer Empfänglichkeit. –

Als die Witwe Marcucci in ihrem Palazzo auf der Piazza di S. Luigi Baldassare's Schreiben gelesen, rief sie lachend aus: »Der alte Schäker! Er kann sein Possenspiel nicht lassen. Was er nur wieder mit den Kindern vorhaben mag?«

Darauf aber nahm die Donna eine bescheidene Prise und fuhr in ihrer behäbigen Weise fort: »Im Grunde genommen hat er Recht. Wenn sie sich einst haben sollen, so müssen sie sich erst sehen, und sind sie einige Tage beisammen, so lässt es sich über ihre Neigungen immerhin ins Klare kommen. Allerdings hätt' es damit noch keine Eile; Adelina wurde im Mai vierzehn Jahre alt – wie die Zeit vergeht! – und Baldassare hat fünf Jahre vor meinem Seligen geheiratet. Doch es braucht ja auch nicht gleich Hochzeit gemacht zu werden. Wir haben uns über sechs Jahre früher gekannt. Wie musste sich der arme Mann emporarbeiten, bis meine Eltern nachgaben! Aber es war doch eine schöne Zeit!«

Und wie in Erinnerungen versunken hielt sie inne; es verbreitete sich ein eigenthümlicher Glanz über ihre ruhigen Züge von noch jugendlicher Frische, welche aber des scharf geprägten Stempels römischer Frauenschönheit trotz anwachsender Fülle doch nicht entbehrten.

Wieder nach ihrem schmucken Döschen mit dem Bildniss des Papstes langend, seufzte sie leise: »Ja, ja, heutzutage muss Alles schneller gehen. Renzo soll übrigens ganz seiner Mutter gleichen, während Adelina alles Jähe vom Vater hat. Gott hab' ihn selig! Wir verstanden uns doch ganz gut, und die jungen Leute können von Glück sagen, wenn sie nicht schlechter fahren.«

Und sich selbst verbessernd fügte sie hinzu: »Als ob es auch schon ausgemacht wäre.«

Das Döschen in der Hand der Donna ist charakteristisch für eine zahlreiche Klasse römischer Frauen.

Es bezeichnet im Allgemeinen die Entsagenden, – Frauen, die, obgleich unglücklich verheiratet, nach keinem Freund ausspähen, oder, verwitwet, nach keiner neuen Ehe Verlangen tragen, oder als Mütter sich für ihre Kinder opfern, oder überhaupt vor den Jahren sich eines gezähmten Blutes erfreuen. Meist sind sie auch fromm, diese Frauen, und lassen sich in nonnenhaftem Busskleide häufiger als in festlichem Putze sehen; oft auch wohlthätig, haben sie eine Clientel von Hausarmen und Schützlingen. Eins aber ist sicher: das Döschen vermittelt einen innigeren Pact mit der schnupfenden Clerisei und ist ein untrügliches Anzeichen rechtgläubiger politischer Gesinnung und treuer Anhänglichkeit an die Priesterherrschaft.

Trotz ihrer noch jungen dreissig und etlichen Jahre war die Witwe Marcucci in hervorragendem Grade schon Alles das, was man einer schnupfenden Römerin nachrühmen kann, ohne aber den heiteren Weltsinn völlig eingebüsst zu haben. Sie trug ihre strotzenden Formen mit Würde und wusste Baldassare's verständige Gastfreundschaft zu schätzen.

Sobald Adelina vom Ausfluge nach Frascati hörte, fiel sie der Mutter liebkosend um den Hals. Sie war ein lebhaftes Mädchen und sehnte sich nach Bewegung und Abwechslung. Das schöne, feine Ebenmass der Züge hatte sie mit vielen Altersgenossinnen gemein, aber das grosse dunkle Auge, auf dessen Weiss sogar ein leiser Schatten bemerkbar war, übte einen eigenthümlichen Zauber aus. Es konnte ruhig fragend und lauschend in die Welt blicken, verrieth aber auch zu Zeiten eine Schaar eigenwilliger Geister in noch ungemessener Tiefe. Ungleich der blonden Mutter, hatte sie prächtiges schwarzes Haar von blauem Tiefglanze. Ihre Hautfarbe glich heller Bronze, gedämpft durch einen Anhauch von Olivengrün. Wenn Korallen sich um ihren Hals schlangen, leuchtete dies warme Incarnat, als sollte ihm weder die bräunende Sonne, noch der bleichende Mond etwas anhaben können. Wenn aber Blut in diese, dem reinsten Oval sich schmiegenden Wangen schoss, dann verrieth es sich als dunkles, glühendes Purpurnass.

Adelina kannte den lustigen »Onkel« Baldassare. Sie erinnerte sich all der Scherze, die er, wenn er auf Besuch nach Rom kam, mit ihr getrieben, und gedachte ihm dieselben nun vorzuhalten und mit manchem Schabernack heimzuzahlen. Von derlei Erinnerungen und Plänen schwatzte sie auf dem ganzen Wege nach dem von Oliven und Reben umgebenen villenreichen Bergstädtchen. Und ihre Munterkeit konnte sich um so ungestörter gehen lassen, als die Mutter den bequemen Reisewagen der, was die Stunde der Abfahrt und der Ankunft anbelangt, ziemlich willkürlichen Flügelbahn vorgezogen hatte. Die weite Campagna aber lauschte dem fröhlichen Geplauder eines glücklichen Menschenkindes nicht anders als der jubilirenden Lerche hoch in den Lüften.

Und die Mutter? Sie sprach wenig, horchte aber mit heimlichem Vergnügen auf das unschuldige Zünglein der Tochter. Gewiss, sie bleibt mir noch, dachte sie bei sich, ich werde sie noch ein, zwei Jahre haben; noch streben ihre Gedanken nicht mit unbewusster Sehnsucht aus dem engen Kreise hinaus, sie ist noch ein Kind, mein Kind.

O heiliger, rührender Egoismus des Mutterherzens.

Die Pferde verkürzten die Schritte, auf weit ausholender, gewundener Strasse ging es bergan. Angesichts der ersten Häuser des Städtchens bog der Wagen nach rechts. Das eiserne Gitterthor des Parks stand offen. Diener mit heiteren Gesichtern grüssten ehrerbietig, doch ohne kriechende Katzenbuckelei, zum offenen Wagen hinein, der über den Kiesweg zur Freitreppe des ländlichen Palastes flog.

Hier harrten der Consul Baldassare und sein Sohn Renzo. Ersterer eilte an den Wagenschlag, half seiner Freundin sachte heraus und streckte dann seine Arme vor, wie um Adelina an der Taille zu fassen und sie vom Trittbrett herabzuschwingen.

Aber das Mädchen litt es nicht. Sie ergriff nur leise seine Linke und stieg vorsichtig wie eine Dame ab.

Warum schmetterte sie nicht, wie sie sich's vorgenommen, dem lustigen Onkel eine Schelmerei ins Gesicht?

Weil der Onkel heute ein so feierliches Gesicht machte und weil sein »Willkommen!« aber auch gar nicht lustig klang.

Und dann hatte sie an seiner Seite den fremden, ernsten jungen Mann bemerkt und musste vom Abstieg aus, über die Schulter des Onkels hinweg, unwillkürlich wieder zu ihm hinüberblicken.

Und Onkel Baldassare gestaltete die Begrüssung in der That etwas umständlich. Er fasste, sowie man die Schwelle hinter sich hatte, seinen Sohn an der Hand, führte ihn einen Schritt vor und sprach, zu Adelina gewendet, mit fast stolzem Nachdrucke: »Mein Sohn Renzo, Bräutigam

Ein pfiffiger Seitenblick streifte das Gesicht seiner Freundin.

Signora Marcucci verzog den Mund zu einem säuerlichen Lächeln und aus ihrem Auge blitzte rasches Verständniss.

Von diesem verrätherischen Vorgange ahnten aber die jungen Leute nichts; es hatte ja Eins dem Andern sein untadeliges Compliment zu machen.

Kaum war dieses vollbracht, so trat Signora Marcucci mit Würde vor und sprach zu Renzo gewendet:

– Adelina, meine Tochter, Braut.

Die jungen Leute erneuten ihre Complimente und sahen einander so überrascht und befremdet an, dass das Eine wie das Andere das übliche: »Ich gratulire« vergass.

Doch ja, Renzo holte es nach.

Lebhaft kehrte sich das Mädchen gegen die Mutter mit einem verwundert fragenden Blicke, mit einem »Aber!« auf den Lippen.

Doch der gemessene Ernst auf ihrem Antlitz, das Steife und Beengende des ganzen Auftrittes machte sie verstummen.

Und als wäre des Guten nicht schon genug geschehen, begann Baldassare in der ungewohnten Weise aufs Neue:

– Wenn es Ihnen, verehrte Freundin, und Ihnen, Fräulein Adelina, gefällt, möchte ich mir erlauben, Sie in Ihr Appartamento zu begleiten, und Sie jener Bequemlichkeit zu überantworten, welche Ihnen nach der immerhin langen Fahrt nicht unerwünscht sein dürfte.

Damit reichte er der Witwe mit gespreizter Förmlichkeit den Arm und setzte den Fuss auf die erste Stufe der Marmortreppe.

Renzo blieb zurück.

Adelina folgte zwar, aber der Widerspruchsgeist regte sich in ihr. Wagte sie auch nicht, den unerklärlichen Bann, den lästigen Zwang mit Ungestüm zu durchbrechen, so versuchte sie doch, die unleidlichen Fesseln zu lockern. Sie blieb hinter der Mama zurück, besah sich das Geländer der Stiege, blickte ins Vestibül hinab, stieg dann wieder mehrere Stufen quer hinan und wollte zum mindesten unbefangen scheinen.

Da sich so das Mädchen trotzig fern hielt, flüsterte die Donna zu ihrem Begleiter: »Aber, lieber Freund, Sie rauben den armen Kindern ja alle Ungezwungenheit.«

Baldassare flüsterte zurück: »Täuschen wir uns nicht; wenn ich mich auf meine nicht ungeübten Augen verlassen darf, so haben Beide aufgehört, Kinder zu sein.«

– Aber Adelina?

– Still, ich möchte mich nicht einmal auf meinen viel stilleren Jungen verlassen.

– Und ich will lachen, wenn Ihr Intrigamento zu Schanden wird.

– Wie? gefällt Ihnen mein Renzo nicht?

– Birbante, wie können Sie es so deuten wollen?

Die Alten waren oben angelangt. Adelina eilte ihnen nach, aber nicht, ohne noch einen Blick zurück gethan zu haben.

Sie sah Renzo mit jähem Kehrt vom Fuss der Treppe sich entfernen. Er hatte ihr nachgeblickt.

Sie erröthete; geschah es aus Unwillen darüber, dass er sie bei diesem Heraufschlendern belauert hatte?

Baldassare öffnete seinen Gästen die ihnen zugedachten Gemächer und rühmte die Aussicht von diesem Balkon, von jenen Fenstern. Er wies über die dämmerige Campagna nach der am fernen Horizont einsam aufstrebenden Peterskuppel, auf die weissen Cascatellen, welche in nächster Nähe plätscherten, auf den Hain immergrüner Eichen, der zum Lustwandeln einlud, auf schöne Gruppen von Pinien und Cypressen, auf die nahe Stadt mit ihren übereinander gestapelten Häusern.

So pries er, was rings die Natur an Reizen bot, verschwieg aber, was er selbst herbeigeschafft und angeordnet, um den Gästen den Aufenthalt angenehm zu machen und anheimelnd zu gestalten.

Und doch hatte er gerade in dieser Beziehung Geschmack mit pietätvollster Aufmerksamkeit gepaart. Es konnte kaum ein getreueres Abbild des Salons und der Lieblingszimmer der Donna Marcucci gedacht und herbei gezaubert werden. Sie sollte von ihrer häuslichen Bequemlichkeit Nichts vermissen und Alles an derselben Stelle wie daheim finden. So geschah es denn auch, dass, sowie sie eintrat, ihr Gesicht Ueberraschung und Wohlgefallen spiegelte. »Sie sind ein Hexenmeister,« sagte sie lächelnd, und als sie auch noch das Bild des Seligen am gewohnten Platze bemerkte, drückte sie dem Consul gerührt die Hand, hinzufügend: »und ein treuer Freund.«

Wie um sein eigenes Gefühl, zu verbergen, sah sich Baldassare nach der schmollenden Adelina um und fragte mit Vorwurf: »Und Sie, Fräulein, haben für mich keinen Blick, kein freundliches Wort?«

– Schon wieder Fräulein! Du bist ein garstiger Onkel!« lautete die Antwort; und dabei sah ihn das Mädchen mit einem so grossen, zugleich zürnenden und flehenden Blick an, dass es um die künstliche Zurückhaltung des Onkels geschehen war und er hell auflachte.

– Na wart' nur, Schelmin, sagte er; wir werden bald wieder gute Freunde sein. Aber dir wie damals, da du noch das kurze Röckchen trugst, die Stirn zu küssen, getrau' ich mir denn doch nicht mehr.

– Wohl aber ich mir, dir den bösen Mund zu schliessen. Und sie erhob sich und schlang ihre Arme um ihn.

Der Friede war hergestellt. Baldassare liess Mutter und Tochter allein.

Kaum hatte sich aber die Thür hinter dem Onkel geschlossen, so fiel Adelina die Mutter an, mit Vorwürfen, Liebkosungen, Thränen. Ihrer leidenschaftlichen Natur gemäss wurde sie erregter, je länger sie sprach, und an dem Verdachte, der ihr zuletzt aufstiess, hielt sie am hartnäckigsten fest.

– Aber, Mama, begann sie, warum gabst du mich denn für eine Braut aus? Wie hab' ich mich geschämt vor Renzo, der mir's ganz gewiss ansah, dass ich etwas, wovon ich nichts verstand, vorstellen sollte. Gesteh', du und der böse Onkel habt mich zum Besten haben wollen. Das war recht garstig von dir. Wenn du wusstest, dass er mich wegen der langen Kleider aufziehen wollte, warum hast du mir's auf der Herfahrt nicht mit einer Silbe gesteckt? Ich wäre ihm die Antwort dann sicher nicht schuldig geblieben. An diesen Empfang werde ich denken, so lange ich lebe. Machte er doch ein Gesicht, als wenn ein Unglück geschehen wäre, so steif und trocken, dass mir angst und bange wurde. Und du mit ihm verschworen gegen deine Tochter. Grausame Mutter, das hätte ich von dir nicht erwartet. Diese Beschämung habe ich nicht verdient. Und wenn ich schon Braut sein soll, so nenne mir auch den Bräutigam. Du hattest den guten Vater zum Bräutigam und die Nonnen im Kloster haben den himmlischen Bräutigam, und ich? Soll ich die Luft umarmen, dem Wind süsse Namen geben und vor dem heiligen Antonius die Kerze anzünden. Doch ich errathe schon, wo es hinaus will. Du willst mich einem Manne geben, den ich nicht kenne, nicht liebe, den ich hasse, der mich unglücklich machen wird. Und damit ich, wenn's zum Ernst kommt, nicht mehr den Muth hätte, Nein zu sagen, sollen es die Leute früher als ich selber wissen, soll ich ins Gerede kommen ... o ich Unglückliche!

Obwohl an derartige Ausbrüche gewöhnt, gerieth Signora Marcucci bei diesen Worten und Klagen ihrer Tochter doch in grosse Verlegenheit. Mehr als einmal dachte sie, während sie das Mädchen zu beschwichtigen suchte, bei sich: O, der verwünschte Einfall! Hätte ich doch zu diesem gottlosen Spasse nicht selbst auch mitgewirkt! Der sonst so kluge Baldassare, diesmal war er blind. Das hiess ja doch nichts Anderes, als die guten Kinder mit Gewalt auf die Gedanken bringen, welche ihnen ohnehin zeitig genug kommen.

Und die liebevolle Mutter gedachte der süssen Hoffnungen, welche sich noch vor einer Stunde auf der Fahrt aus dem unschuldigen Geplauder Adelina's neu belebt hatten, und sah sich jetzt in die bittere Nothwendigkeit versetzt, ihnen schnurgerade entgegen zu wirken. Sie musste die Tochter über den ihr angedichteten Brautstand beruhigen, aber konnte sie es, ohne das unselige Spiel aufzudecken und dadurch die Sache nur noch zu verschlimmern, oder überhaupt, ohne dem Mädchen zu Gemüthe führen zu müssen, dass es kein Kind mehr sei? Und doch hing der Mutter Glück und ausschliesslicher Besitz gerade davon ab, dass Adelina möglichst lange in ihrer kindlichen, wunschlosen Unbefangenheit erhalten bliebe.

Die Mutter begann daher ernst und behutsam:

– Liebes Kind, bedenke, dass du nicht bloss die kurzen Kleider abgelegt hast, sondern, dass du auch zum ersten Male heute unter einem fremden Dache schlafen wirst. Du trittst in die Welt, in die Gesellschaft, denn du weisst, dass der Onkel Gäste liebt und vielleicht, obwohl gänzlich unbegründeter Weise, auch uns schuldig zu sein glaubt, solche einzuladen. Nun stelle dir lebhaft vor, welche Figur du vor ihnen machen würdest mit deinem ungebundenen Wesen, welches ich dir durchaus nicht zum Vorwurf mache, welches im Gegentheil dich zu Hause so gut kleidet und in welchem dich zu meinem Troste der liebe Gott noch lange erhalten möge, das aber nicht in die Gesellschaft passt. Wer an der Unterhaltung Erwachsener theilnehmen will, muss ihnen im Benehmen gleichen, und: Die Jungfrau halte sich in der Gesellschaft wie eine Braut! sagt Mutter und Grossmutter. Eine Braut geniesst eben ein ganz anderes Ansehen in der Gesellschaft als ein Kind; sie muss sich dasselbe aber auch durch Würde und Zurückhaltung zu verdienen und zu wahren wissen. Nun frage dich selbst, ob ich klüger und besser für dich und deine Geltung in diesem Hause sorgen konnte, als indem ich, sobald ich erfuhr, dass Renzo verlobt ist, dich als Braut einführte? Ich räumte dir mit diesem einen Worte die gleichen gesellschaftlichen Rechte ein, wollte dich jedoch auch an die entsprechenden Pflichten erinnern, dich nämlich zu halten wie eine Braut. Ich schmeichelte mir dabei allerdings, mein kluges Töchterchen würde mich ganz verstehen.

Und das kluge Töchterlein suchte mit Küssen den rügenden Mund zu verschliessen, aber die Mutter fuhr mit geringerer Selbstbeherrschung fort:

– Auf deine übrigen hässlichen Worte kann ich gar nicht antworten, – so weh haben sie mir gethan. Du solltest doch wissen, was du meinem Herzen bist. Es wird bluten, wenn du dich von ihm losreissest, um dem Manne zu folgen, den dir der Himmel zugedacht hat. Wie, mein Kind, solltest du ihn wirklich kaum mehr erwarten können?

– Nein, nein, Mutter! Sei mir nur wieder gut! Gewiss, ich bin dein, will Niemand Anderem angehören, bin und bleibe deine sposa! schmeichelte das Mädchen.

Aber die Rührung hielt nicht lange vor. Ehe sich's das beruhigte Mutterherz versehen konnte, lachte Adelina über einen neuen Einfall, und platzte mit der Bemerkung heraus:

– Mama, es wäre doch merkwürdig, wenn auch Renzo nur so ein sposo – ich meine nur des Anstands und der Gesellschaft wegen wäre.

Signora Marcucci riss die Augen auf und blickte mit gelindem Entsetzen auf ihr – kluges Töchterlein. Sie schüttelte ihr würdiges Haupt, als wollte sie bekennen: Die ist nicht lange mehr zu wahren und zu halten. Ein leiser Seufzer sollte vielleicht besagen: So möge es Gott und die Madonna zum Besten wenden!

Einen Plan, den der schlaue Baldassare ausgeheckt und dem sie ihre Zustimmung gegeben, ohne Weiteres einzugestehen, dagegen sträubte sich wohl noch ihr Sinn. Sie versuchte Ehren halber die gefährdete Stellung zu vertheidigen:

– Was sind das für närrische Gedanken, sagte sie, Renzo ist um etliche Jahre älter als du; sein Vater ist ein umsichtiger Mann und gedenkt ihn nächstens auf Reisen zu schicken. Warum sollte er sich nicht schon nach einem Magnet umgethan haben, welcher das Herz des Sohnes an die theure Heimath fesselt, es vor Gefahren schützt und die Heimkehr beschleunigt? Uebrigens haben wir kaum mehr anderthalb Stündchen bis zu Tische, und ich möchte, wenn mir's deine Grillen erlauben, doch zuvor noch ein Bischen ruhen.

Adelina wagte keine Widerrede mehr, sie kannte das Ruhebedürfniss der Mutter und begab sich leise ins anstossende Gemach. Selbst auch zu ruhen, hatte sie keine Lust und keine Zeit. Es gingen ihr zu viele neue und widerstreitende Gedanken durch den Kopf.

Sie trat ans Fenster und blickte zerstreut ins Schattendunkel des Parks. Gleichwohl vermeinte sie von unten herauf Schritte zu hören. Sie beugte sich weiter vor und sah auf dem Kies Renzo langsam auf und nieder wandeln. Er las in einem Heft mit Abbildungen.

Ob er heraufspähen wird? Adelina hätte es nicht ungern vermerkt. Sollte sie ihn doch mit einem finstern Blick strafen für seine Unart an der Treppe.

Aber der schlanke Jüngling schien keine Ahnung zu haben von diesem drohenden Strafgerichte und noch weniger gewillt zu sein, es durch eine wiederholte Neugierde herauszufordern. Er spähte nicht herauf.

Das schien aber dem Mädchen schon gar nicht recht zu sein. Sie wurde ungeduldig. Der Onkel hatte sie kurz gehalten, mit der Mutter hätte sie sich bald gezankt, nun schlief diese – das dumme Buch! Konnte er nicht auf den artigen Gedanken verfallen, sie zu seinem Rundgange einzuladen? Sie fühlte sich vernachlässigt, und Renzo spähte noch immer nicht herauf.

Hätte Adelina erst gewusst, in welcher Schrift er vertieft war! Er war mit den grossartigen Abenteurern Jules Verne's auf der Reise nach dem Mond. Und darüber vergass er seine neue Hausgenossin, den reizenden, munteren Gast auf der grünen, blühenden Erde – unverzeihlich!

Und hätte er nicht dort und anderswo Schatten gefunden? Warum muss er gerade vor ihrem Fenster auf und nieder gehen? Das thut er augenscheinlich, um sie zu ärgern. Und Adelina ärgerte sich, aber Renzo spähte doch nicht herauf.

Am liebsten hätte sie ihm ein neckendes Wort zugerufen, hätte dem langweiligen Menschen gesagt, dass sein Buch wohl sehr unterhaltend sein müsse, hätte ihn höflich ersucht, den Kies zu schonen, damit er nicht so knirsche, dieweil die Mutter schlafe. Und es kostete sie in der That nicht geringe Ueberwindung, das spitze Zünglein im Zaume zu halten. Aber rechtzeitig erinnerte sie sich noch an die Ermahnung, sich wie eine Braut zu benehmen. » Wie eine Braut!« murmelte sie und zog sich vom Fenster zurück.

Signora Marcucci hatte aus Adelina's Munde zu oft den Namen Renzo gehört, als dass sie sich bei Tische nicht hätte gelüsten lassen sollen, den jungen Mann ins Gebet zu nehmen. Sie ahnte in ihm denjenigen, der ihr über kurz oder lang das Herz der Tochter entfremden würde, und fühlte eine Art Eifersucht. Ihre Mutterliebe sah ihn für einen Gegner, einen gefährlichen Feind an.

Sie war gegen ihn aufgebracht.

Allerdings dachte sie viel zu edel und war von langer Hand her dem Jüngling zu sehr gewogen, als dass diese Voreingenommenheit hätte mehr sein können denn ein vorübergehender, nicht tief bohrender Aerger. Aber zur Stunde war er vorhanden und hätte es ihr zur Genugthuung gereicht, wenn sich Renzo auf grosser Befangenheit, auf Unbehilflichkeiten in Wort und Geberden, auf unreifen Gedanken oder dergleichen hätte betreten lassen. Dies um so mehr, als seine äussere Erscheinung einen vortheilhaften Eindruck nicht verfehlen konnte. Seine Gestalt war schlank, ohne schwächlich zu sein, seine Haltung bescheiden und sicher, seine Kleidung nett ohne alles Auffällige und Geckenhafte der Mode.

Sein Gesicht war fein in den Verhältnissen, entbehrte aber keineswegs eines entschiedenen Ausdruckes, der jedoch mehr einen geschulten Willen als Leidenschaftlichkeit verrieth. Die noch blanke Stirn wölbte sich günstig, aber man mochte ihr mehr exactes Denken als Schwung der Phantasie abmerken. Der Mund war zart besäumt, aber das Kinn kräftig. Auch der erste Anflug dunklen Bartes zeigte kein Streben ins Buschige und Massige.

Den angenehmen Eindruck dieses geschlossenen Wesens, das von Glätte und Schroffheit gleich weit entfernt war, ergänzte der Blick des braunen Auges. Dieser Blick war aufrichtig und warm, er bezeugte ein reiches, von der Mutter überkommenes Erbe: Gemüth.

Was also die Aussenseite anbelangt, konnte die Donna mit dem besten Willen nichts auszusetzen finden. Daher liess sie sich's desto angelegener sein, auf den Busch zu klopfen, um zu erforschen, wie es mit Renzo's geistigen Gaben und Vorzügen bestellt sei. Sie richtete an ihn verschiedene Fragen nach seinen Studien, nach dem Zweck seiner bevorstehenden Reise, nach seinen Bekanntschaften, seinen Ansichten über Dies und Das; sie spielte auf diese und jene Neigung der modernen Jugend an, sorgte für verfängliche Wendungen, widersprach ihm und liess sich hinwieder scheinbar von ihm belehren. Und dabei schlug sie gegen ihre Natur einen vornehmen, nach Möglichkeit jedes Wohlwollen verleugnenden Ton an.

Gleichwohl erwies sich ihr prüfendes Verfahren bald als ein völlig verkehrtes. Hätte sie Renzo in die Lage versetzt, die Unterhaltung beginnen, den Stoff für dieselbe auffinden, seine eigene Persönlichkeit in den Vordergrund drängen und geltend machen zu müssen, so würde er die Probe kaum glänzend bestanden haben. Denn sein Wesen war mehr ein zurückhaltendes als wagendes, mehr auf Vertheidigung bedacht, als für den Angriff geschickt, war mehr Feuerstein als Stahl. Aber befragt, angeregt, herausgefordert, stellte er vollkommen seinen Mann. Dabei kam ihm die fertige Gedankenarbeit, die gesammelte Kraft zu statten; dabei hatte er den Vortheil, dass der erhitzte Kopf nicht auf seinen Schultern sass.

Renzo antwortete mit Leichtigkeit, obwohl ohne die Gewandtheit eines Klopffechters, klar und bestimmt, artig, ohne Wohldienerei, und vor Allem aufrichtig und wahr; Bekenntnisse wie: darüber habe er noch nie nachgedacht, Das und Jenes müsse ihn erst die Reise, das Leben lehren – liessen seine Bescheidenheit liebenswürdig, seine Jugend achtenswerth erscheinen.

Adelina schenkte seinen Worten die grösste Aufmerksamkeit. Ihr schönes Auge ruhte auf ihm und leuchtete freudig, wenn er mit einer längeren Auseinandersetzung eine glückliche Wirkung erzielt hatte.

Selbstvergessen nickte sie zu Diesem oder Jenem, das er sprach. Sie hatte, ohne es zu wissen, im Vorhinein seine Partei ergriffen und war für ihn, war auf ihn stolz.

Papa Baldassare schmunzelte, und als er seine strenge Freundin halb verlegen, halb befriedigt sah, beugte er sich zu ihr hinüber und flüsterte leise:

– Zwar ein anderes Gewächs, aber ein tüchtiges, nicht wahr?

Der Consul schlug, nachdem er vom Mahle aufgestanden, seiner lieben Gesellschaft eine kleine Bewegung im Park vor. Es dunkelte bereits. Die gleichsam auf den Herzschlag des Menschen horchende Stille, der kühlende Lufthauch, der unaufdringliche Wechsel von mildem Lichte und unterscheidbarem Schatten lud in der That zu traulichem Lustwandeln ein. In den Wipfeln regte sich's nur leise, und die langgestreckten Silhouetten herrlicher Baumgruppen schwankten auf dem gebleichten Wiesengrunde.

Aber eine breitere Schattenmasse wurde vom Eichenhain gebildet, seltsam ausgefranzt an ihren Rändern und von wandelbaren Lichtflecken getigert.

Das Rauschen der Cascatellen liess sich wie der halblaute Traum von etwas geheimnissvoll Schlummerndem vernehmen, zum Lauschen reizend und die sachten Schritte anlockend.

Und trat man näher, so schoss das Wasser hier in zitternden Silberfäden, dort mit jähen Blitzen in die Tiefe. Es brodelte in diesen schaumaufspritzenden Abgründen hörbar, unheimlich, aber das Auge strengte sich vergeblich an, die gährende, stygische Nacht zu durchdringen, welche sie erfüllte. Ja, je mehr der ordnende Blick dem Zauberkessel auf den Grund zu kommen suchte, desto tiefer schien er zu entweichen und den lüsternen Beschauer nach sich zu ziehen.

Doch verschlägt ihm das Element, welches in die Erde sich wühlt, den Athem, so ziehen dafür die Schimmerstrahlen, welche sich im fallenden Wasser glitzernd wiederspiegeln, seinen Blick empor. Wer über sich die Sterne hat, vertraut ihnen und wallt sicher.

Renzo bot nach dem Beispiele seines Vaters Adelina, seiner Begleiterin, den Arm. Diese stutzte unschlüssig, blickte den Jüngling zagend an und eilte wie ein junges Reh durch's Walddunkel zur Mutter vor. Und so angelegentlich und geheimnissvoll, als nur immer möglich, raunte sie dieser fragend ins Ohr:

– Er will mich an der Hand führen – darf ich? – ich meine, ob sich's für eine Braut schickt?

Gerührt antwortete Signora Marcucci:

– Gieb ihm immerhin deinen Arm; aber geht voraus, damit wir uns nicht zu weit von einander entfernen.

Und nachdem sie dem Freunde den wichtigen Zwischenfall mitgetheilt, fügte sie hinzu:

– Müssen Sie nunmehr nicht selbst zugeben, dass Ihr frevelhafter Versuch ein verfrühter ist? So fragt und bangt doch nur die reine Unschuld!

– Oder ein grosser Schalk! entgegnete Baldassare.

Aber diesmal hatte er Unrecht. Obwohl in ihrem magdlichen Gewissen beruhigt, überliess Adelina doch erst nach schüchternem Widerstreben Renzo ihren Arm. Und sie wagte nicht, ihn vorzuschieben, nicht ihn aufliegen zu lassen. Der Arm zitterte. Und als Renzo wie zur Ermuthigung ihn an sich drückte, sah Luna, wie ein jäher, dunkler Blutstrom des Mädchens Wangen röthete, und die aus allen Büschen vorlauernde Nacht hörte ihr kleines Herz klopfen.

Den guten Jungen dauerte Adelina's Befangenheit. Er hütete sich, ihr ins Auge zu blicken; er schritt stumm an ihrer Seite, versuchte, sie auf dies oder jenes eigenthümliche Schattenspiel aufmerksam zu machen, führte sie an die stürzenden Wasser, damit ihr Plätschern die stockende Unterhaltung ersetze, und verfiel endlich auf seine Knaben-Erinnerungen, indem er erzählte, wie er ihren Vater kennen lernte, wie derselbe auf Besuch nach Livorno kam, wie er aussah, wie er den kleinen Renzo liebkoste und beschenkte.

Und in keiner andern Absicht, als um die Begleiterin von der Furcht und Scheu zu befreien, welche er den Schattengespenstern der Nacht zuzuschreiben geneigt war, schloss Renzo seine Mittheilungen mit der Folgerung:

– Da also unsere Väter einander so gut waren, dürfen wohl auch wir Freunde sein und einander vertrauen.

Aber auch dieser wackere Zuspruch verfing nicht oder wirkte wohl gar im entgegengesetzten Sinne. Adelina hatte für Alles nur ein gelegentliches Ja oder Nein, ein So oder Ach. Und selbst dieses war mehr gehaucht als gesprochen.

Zum Glück hatte die gemächliche Mama, gar bald wandermüde, die Schritte zur Schwelle des gastlichen Hauses zurückgelenkt. Man wünschte sich wechselseitig die glücklichste Nacht und trennte sich.

Arme Adelina! Es währte lange, bis ihre unklaren Gedanken und Gefühle zur Ruhe kamen. Es währte lange, bis ihr Herz wieder friedlich schlug. Zum ersten Male in ihrem jungen Leben fühlte sie das Bedürfniss, die Wonne und Qual eines Geheimnisses. Aber für dieses Geheimniss wusste sie noch keinen Namen.

Brachte der Morgen Klarheit?

Während Signora Marcucci sich noch für den Gang in den Dom S. Pietro rüstete, weilte Adelina bereits im Salon. Sie betrachtete die Marmorpilaster mit den vergoldeten Capitälen, den Apollo mit der Leier an der Decke, die florentinischen Mosaiken auf der Tischplatte, die Alabaster-Vasen, die Büsten mit weissen Köpfen und farbiger Draperie nur flüchtig. Sie war diesen Reichthum, diese Kunst gewöhnt.

Sie trat auf die Loggia hinaus und ihr Blick schweifte weit über die grünen Wipfel, über Ebene und Berge hinweg. Es war ihr, als würde ihr leichter, wenn sie recht tief athmete. Dabei gewahrte sie freilich nicht, dass sie mit jedem Athemzuge eine unbekannte Sehnsucht einsog, dass ein fremdes Verlangen ihre Brust schwellte. Sie blickte zum Himmel empor, breitete unbewusst ihre Arme aus – und kreuzte sie dann über ihrem Herzen, und hielt es für Andacht.

Aber es drängte sie bald wieder von der Loggia zurück, und sie hätte den einsamsten und verborgensten Winkel aufsuchen mögen. Sollte die Mama doch mit der Behauptung recht haben, dass die Landluft sie angreifen werde?

Während sie wieder unruhig den Salon durchschritt, gewahrte sie unter den vielen ein eigenthümliches Bild und hielt sinnend davor. Es war eine getreue Copie des deutsamen und mannigfach gedeuteten Fresko: Das Scheibenschiessen. Hoch in der Luft hangt und bangt an den Schnüren eines Gebälkes ein rothes Menschenherz als Zielscheibe. Nackte Jünglinge heben den gespannten Bogen und fassen es scharf ins Auge. Von den abgeschnellten Pfeilen saust der eine drüber hinaus oder drunter hinweg, der andere streift und verletzt es am Rande, bis endlich jener kommt, der es in der Mitte durchbohrt.

Im Anblick dieses seltsamen Gemäldes versunken, hatte das Mädchen den Eintritt Renzo's kaum bemerkt, seinen »Guten Morgen« überhört. Als er aber lächelnd vor ihr stand, kam ihr ein plötzlicher Gedanke und sie sagte zu ihm, nachdenklich:

– Sie sind ein Gelehrter, Renzo; Sie könnten mir daher wohl sagen, was dies vorstellen und bedeuten soll. Und sie wies mit dem Finger auf das Bild hin.

Sei es, dass Renzo keine andere Auslegung kannte, sei es, dass ihm die Deutung so plötzlich wie die Frage kam, er antwortete artig:

– Ich kann mir nichts Anderes darunter denken, als dass dies anscheinend so grausame Bild uns das Schicksal eines vielumworbenen Mädchenherzens vergegenwärtigen soll. Es sind gar Viele, die nach ihm ausblicken und zielen; es sind gute Schützen darunter mit scharfem Pfeil und sicherer Hand. Der Eine sucht dem Anderen den Stand streitig zu machen, Jeder sich vor- und die Anderen zurückzudrängen. Wohl versuchen auch mehrere zu gleicher Zeit von verschiedenen Punkten aus ihr Glück. Manch' Einer ist auch nicht ungeschickt, er trifft, verwundet, aber diese Wunde hat nur einen vorübergehenden Eindruck zu bedeuten. Von den vielen Freiern glückt es eben nur Einem, sich mit einem Kernschuss die schöne Beute herunter zu holen.

– Und das ist der Sposo, und soll es sein, bemerkte Adelina, wie die eigenen Gedanken fortspinnend; die Anderen können das arme Herz zwar verwunden, zerfleischen, aber nicht, aber nicht ...! Sie stockte.

– Aber nimmermehr, ergänzte Renzo mit Wärme, nimmermehr heilen und neubeleben am eigenen Herzen, so dass beide vereint und glücklich schlagen.

Adelina blickte auf, verwundert und erfreut, als hätte sie selbst dies schöne und wahre Wort gefunden. Und ihr Auge begegnete seinem und beide versenkten sich in einander ohne Scheu und Zurückhaltung.

Hätte man nun ihm und ihr gesagt, dass sich vor Kurzem noch ihre Blicke ängstlich gemieden und nur verstohlen gesucht, sie würden es kaum geglaubt haben.

– Adelina! Adelina! erscholl es jetzt wiederholt und nachdrücklich von den Seitengemächern her. Die beiden so tief mit dem Bilde und miteinander Beschäftigten mussten den ersten Ruf überhört haben.

– Die Mutter wird ungeduldig, entschuldigte das Mädchen und eilte leichtfüssig von hinnen.

Bald darauf verliessen Mutter und Tochter den Garten, stiegen die wenigen Schritte zum Marktplatz hinan und begaben sich in den Dom. Sie sprachen auf diesem ihren Kirchgang kein Wort miteinander und hatten keinen neugierigen Blick weder für Rechts noch für Links. Wer sie so still und würdig wandeln sah, musste sich zuvörderst sagen: »Stolze Römerinnen!« Der zweite Theil der Anerkennung galt aber ihrer Schönheit. Schön war noch die blonde Mutter, schön die dunkle Tochter, Erstere eine stattliche Erscheinung von fürstlicher Haltung, Letztere in jeder Form Adel, in jeder Bewegung Anmuth und Jugend. Dass sie auf dem Wege in die Kirche waren, sah man Beiden an. Es ist ein eigenes feierliches Wandeln, dieser Kirchgang der Römerinnen; es ist Stil in ihm, hieratischer Stil.

Signora Marcucci konnte sich daher nicht darüber verwundern, dass ihr Adelina so ruhig, gesammelt und bewusst zur Seite ging. Das gehörte zur herkömmlichen Art dieses Ganges. Wohl aber hätte sie auf ihrem Gesicht eine eigenthümliche Heiterkeit, einen unverkennbaren Schimmer von Frohmuth bemerken können.

Adelina hatte die Lösung für das wichtigste Räthsel ihres Herzens gefunden, sie trug diese Kenntniss heimlich in sich, hätte sie aber in alle Welt jubeln mögen, vorausgesetzt, dass diese Welt weder Augen noch Ohren besässe. Wer darf es dem schönen Kinde verargen, wenn es Gedanken in die Kirche trug, die von dem Zielen nach dem Herzen herstammten? Und wenn auch diese Gedanken sich für Andacht ausgaben, ähnlich wie die Morgensehnsucht vor kaum einer Stunde – Fälscher waren sie darum doch noch immer nicht. Denn der angenehme Opferhauch, der durch alle Andacht zieht, quillt aus dem lebendigen Odem der Liebe.

Die bekannten Schritte auf dem Kies lockten Adelina nach dem Frühstück auf die Loggia. Sie täuschte sich nicht. Wie gestern zog Renzo bedächtig auf und nieder. Wieder hatte er das ärgerliche Buch in der Hand.

Das Mädchen gedachte ihrer gestrigen Stimmung und musste lächeln, über sich selbst mitleidig lächeln. Heute fühlte sie weniger Geduld und mehr Muth; überdies war ihr, als sei ihr die Sprache wieder gekommen, als könne ihr das Wort, das neckende, stachlichte Wort, nicht versagen.

Rasch entschlossen langte sie nach der rothen Nelke in ihrem Haar, und sowie Renzo unten an dem Balkon vorüberschritt, fiel ihm die Blume ins offene Buch.

Er blickte auf, aber Adelina war rechtzeitig zurückgetreten.

– Die unsichtbare Hand sei gesegnet und geküsst! rief er, da er die Loggia verwaist sah. Er durfte wohl annehmen, dass sein gedämpftes Wort ein lauschend Ohr traf.

– Wenn es Blumen regnet, könnte man wohl von den garstigen Klecksen lassen, antwortete es von oben, und das munterste Gesichtchen kam zum Vorschein.

– Ja, wenn man zu jeder Blume sein Auge erheben dürfte.

– Zur Sonne selbst, wenn man ihren Glanz verträgt.

– Und solch' ein Sonnenanbeter steht hier unten.

Sposo, sposo, welche Abgötterei!

Renzo verstand die Anspielung gar wohl, aber sie in der angeschlagenen Metapher zu überbieten, fiel ihm schwer. Dafür erinnerte er sich des Gesprächs vor dem Bilde und erwiederte im Sinne desselben:

– Wer erst zielt, weiss nicht, ob er auch trifft, er kann auch noch vom Stand zurücktreten.

– Aber, lautete die schlagfertige Entgegnung, ein ordentlicher Schütz sucht doch nicht eine zweite Scheibe auf, eh' er weiss, was er auf der ersten getroffen.

– Ich masste mir an, der Königin von Saba das Bild zu erklären? Die Schülerin beschämt den Meister, bekannte Renzo ausweichend und machte Miene, weiter zu schreiten.

Dass er den Kürzeren zog, war offenbar. Er schlug das Buch nicht wieder auf, und eh' er um den Risalit bog, grüsste er noch einmal gegen die Loggia zurück.

Adelina blickte ihm nach, bis er verschwand. »Er brach ab,« bemerkte sie leise für sich. »Vielleicht ist er doch ein wirklicher Bräutigam ...« und über eine Weile seufzte sie: »Mein Gott, was soll denn dann aus mir werden?«

Sie erwartete mit Ungeduld die Siestastunde der Mutter, und kaum wusste sie diese eingeschlummert, so eilte sie hinab auf den Kies und unter die weiten Schirme der Bäume. Sie gestand sich nicht, dass sie Renzo suche, aber hoffte und sehnte sich, ihn zu finden. Was sie ihm sagen wollte, ob sie überhaupt den Muth haben würde, mit ihm zu reden, wenn kein hoher Balkon sie von ihm trennte, das wusste sie nicht, daran dachte sie kaum. Sie fühlte einen Druck auf ihrem Herzen und verlangte nach dem erlösenden Worte, und ahnte, dass nur eins und kein anderes dieses Wort sein könne. Sie achtete nicht darauf, wohin sie zog, als verstünde sich's von selbst, dass an irgend einem Punkte ihre und Renzo's Bahn sich treffen müssten.

Sie kam an blühenden und knospenden Rosen vorüber und pflückte eine der rothen Knospen. Mit grausamen Fingern wühlte sie hinein in den noch geschlossenen, noch nicht von Thau und Sonne aufgeküssten Kelch und spähte funkelnden Auges nach dessen tiefstem Geheimnisse. Sie wusste nicht, was sie that, aber mit derselben Lust hätte sie in ihrem und in jenes Anderen Herzen wühlen und spähen mögen.

Unbefriedigt liess sie ihr Opfer, die verstümmelte Blume, fallen und schien erst dann Reue und Mitleid zu empfinden, als sie deren Blättchen wie Blutstropfen auf dem Sande erblickte.

Schonender griff sie nach einer Knospe, betrachtete sie lange, drückte ihr geschlossenes Heiligthum sanft an die Lippen und steckte sie dann vor die Brust.

Vom Rosenhag wandte sie sich zu des Cactus wunderlichem Geschlechte, das ihr die massigen, mit Dornen bewehrten Blätter starr und feindlich entgegenstreckte. Es war ein Gestrüpp wie von jungen, in Schlummer versunkenen Drachen. Hoch darüber hinaus aber ragte eine blühende Aloe.

Adelina staunte das späte Blüthenwunder an und plauderte, sich selbst beschwichtigend: »Geduld, mein Herz! Auch dieser Pflanze träger, herber Saft vermag Blüthen zu treiben.«

Sie blickte um sich und gewahrte Renzo in einiger Entfernung. Sie erschrak freudig, aber bewegte sich nicht. Sie rief ihn nicht, sie entfloh nicht, als er hastigeren Schrittes auf sie zukam, noch auch ging sie ihm entgegen.

Man erzählt vom Blicke des Basilisken, dass er anziehe, um zu tödten; man sieht den feurigen Blitz durch die Wetternacht zur Erde fahren und weicht nicht zurück, weil von Bewunderung und Grauen festgehalten; man fühlt in entscheidenden Augenblicken das Wehen des Schicksals und harrt in unbewusster Ergebung, im Banne der Notwendigkeit. Und das süsseste und mächtigste Schicksal, die Liebe, sollte nicht ihr Nahen künden, alles Fühlen von den Banden des Willens loslösend und zu ungekannter Hingabe stimmend?

Als sie nahe bei einander standen, suchte Jedes nach dem ersten Worte.

Renzo hatte die Nelke an der Brust.

Adelina erinnerte sich der Rosenknospe an ihrem Herzen, und reichte sie dem Jüngling mit den Worten:

– Nehmt auch diese – für Eure Braut.

– Du bist gut, Adelina! sagte Renzo und griff nach ihrer Hand, die sich nicht zurückzog.

Als dann das Mädchen aufschaute und dem Blicke Renzo's begegnete, fing es an bitterlich zu weinen. Wie verborgene, plötzlich zu Tage brechende Quellen, stürzten die Thränen aus ihren grossen Augen. Und das Schluchzen ward so heftig, dass sie kein Wort hervorbringen konnte.

Der ehrliche Renzo hielt noch immer ihre Hand in seiner. Er begriff ihre Thränen, er zitterte und sah vor sich nieder; endlich sagte er leise und bewegt, aber sein Auge glänzte innig und sein Blick war fest:

– Adelina, hoffen wir!

– Renzo, ist's noch möglich? schrie das Mädchen auf, zweifelnd und beglückt zugleich. Sie blickte ihn mit ihrer ganzen Seele an, während ein paar Thränen in ihrem Lauf über die glühenden Wangen inne hielten.

– Lass mich machen; bei Gott, ich will dir wohl.

– Und o, wie ich dir erst, Renzo, Theurer, Einziger!

Er hatte ihre Hand geküsst, wollte ihr auch rasch einen Kuss auf die Stirn drücken und dann enteilen, aber schon auf halbem Wege begegneten seine Lippen ihren Lippen, und in beseligender Hingabe schmiegte sich das gute, herrliche Mädchen an ihn.

Wie gut ist's, dass die Liebe blind macht! Die schönsten Augenblicke sind diesem holdesten Geschenke der Liebesgötter zu danken. Hätte Renzo auch nur für möglich gehalten, dass sich sein Vater die Siesta verkürzen könnte, um die Schritte der jungen Lustwandler zu verfolgen, welche die Ruhe verschmähten und der vollen Tageshitze trotzten; hätte er einen Blick nach den Fenstern der Villa geworfen: nimmermehr würde er sich der blühenden Aloe genähert haben. Und hätte er, da er zu der Nelke die Rosenknospe empfing und der schönen Spenderin Hand ergriff, ein Auge für die Dinge ausserhalb des Kreises herzinnigen Umfangens gehabt: er würde lieber zu Stein geworden sein, als dass er sich geneigt hätte, Kuss mit Kuss zu erwiedern und das Mädchen, das um ihn die Arme schlang, kräftig an sein Herz zu drücken.

– Aber, Kind, bedenkst du auch, was du thust? fragte er sie, zärtlich besorgt, ihr treuherzig ins Auge blickend. Wirst du es zu Wege bringen, dir deinen – anderen Sposo gründlich aus dem Kopfe zu schlagen?

Mit dem schlauesten und zugleich glücklichsten Lächeln antwortete Adelina, ebenso geheimnissvoll thuend als plauderselig:

– Aber ich habe ja keinen anderen. Wenn du mir gut bist, aber so recht gut, so will ich dir's sagen. Doch die Mama darf es nicht erfahren, und gar der böse Onkel, der würde mich gewiss auslachen. Also, damit du es nur weisst, ich bin keine rechte Braut. Die Mutter sagte mir, ich würde nun, da ich gross bin, viel in Gesellschaft kommen, und da müsste ich an mich halten und recht ernsthaft thun, weisst, wie die Andern. Und damit ich mich anständig betrage, giebt sie mich für eine Sposa aus. Ist das nicht zum Lachen ... aber du siehst ja so finster drein – was hast du denn, Renzo?

Der wackere Jüngling war in der That nachdenklich geworden und biss sich auf die Lippen. Er durchschaute den ganzen Plan der Alten – wie konnt' es auch anders sein? Aber es widerstrebte seinem geraden Sinn, anzunehmen, dass man mit seinem und Adelina's Herzen ein leichtfertiges Possenspiel beabsichtigt haben könnte. Vielmehr vermuthete er eine recht ernste Absicht hinter der doppelten Maske, welche man ihm und dem Mädchen aufgenöthigt.

Und worin anders konnte diese Absicht liegen, als in dem entschiedenen Willen und Bestreben, eine Annäherung ihrer Herzen zu erschweren und zu verhindern? Das eine sollte gegen das andere gewappnet sein. »Ja, das ist's,« sagte sich Renzo; »damit uns nicht das Band der Liebe vereinige, werden wir Beide als bereits gebunden einander gegenüber gestellt. Die Einladung in die Villa war lediglich eine Artigkeitssache. Die Freundschaft der Väter soll sich nicht als Liebe auf die Kinder vererben.« Und Renzo seufzte.

– Hast du mich so wenig lieb? Bist nicht auch du glücklich? drängte Adelina.

– Gewiss, wir werden es werden, tröstete Renzo und lächelte wieder, aber seine Stirn blieb bewölkt. Sachte wand er sich aus den liebenden Armen.

So hatte er den seligsten Augenblick nicht geniessen können. Das Glück hatte ihn übereilt. Er musst' es, um desselben rückhaltlos froh zu werden, erst durch Entschluss und That rechtfertigen. Nicht früher wollte er sich den Streich verzeihen, den das Gefühl dem zurückhaltenden Willen gespielt. Sein Wesen duldete nichts Halbes und Unklares. Mancherlei erwägend, eilte er auf gesondertem Wege dem Hause zu.

Baldassare war heimlicher Zeuge der Begegnung an der blühenden Aloe. Als er Renzo geflügelten Schrittes auf Adelina zukommen sah, lächelte sein Gesicht zufrieden und er begleitete jede Bewegung der Liebenden. »Aha, dachte mir's ja gleich!« murmelte er für sich. »Aber wie unvorsichtig die jetzige Jugend ist ... gerade gegenüber meinen Fenstern! Sie wähnen den guten Alten wohl in den tiefsten Siestaschlummer versunken. Er wär' es wohl auch, hätte er nicht selbst das Netz ausgespannt. Knospenherzen, Blumenpfänder – es ist doch eine schöne Zeit! Doch wie? Der dumme Junge wird ihr doch nicht gesagt haben: Es wird nichts daraus, ich bin schon vergeben? Nun ja, so ist's recht ... auf Weiberthränen Sonnenschein. Aber wie kann man nur so hölzern sein als Liebhaber ... er hält ihr wohl gar einen Sermon. Dass doch! das gleicht ja eher einer Trennung auf Nimmerwiedersehen? ...«

Und Baldassare trat, sowie er Renzo allein und gesenkten Hauptes herankommen sah, vom Fenster zurück und ging, mehr beunruhigt als befriedigt, ein paarmal im Zimmer auf und nieder. Bald aber redete er sich ein: Es ist ja unmöglich, dass sie nicht selbst dahinterkommen, dass sie unsere Absicht verkennen. Der Schabernack muss ein lustiges Ende nehmen. Für alle Fälle aber lassen wir sie noch eine Zeitlang zappeln.

Bei Tische, wo man sich wiedersah, ging es still ab. Signora Marcucci, welche weder von dem Wortgefecht an der Loggia, noch von den Bekenntnissen an der blühenden Aloe Etwas inne geworden, bemerkte nicht ohne Vergnügen, dass die jungen Leute nicht schon zu vertraut thaten.

Baldassare betrachtete seinen Sohn, dessen besorgte Miene, dessen zurückhaltendes, sinnendes Wesen nach dem Vorausgegangenen ihm wenig gefallen wollten. Er selbst war seiner Zeit ein fröhlicher Bräutigam gewesen, und jede andere Art schien ihm mit dem Glücke der Liebe unvereinbar.

Rührend war Adelina's Bekümmerniss; ihr Auge ruhte auf Renzo, lange, liebevoll, angsterfüllt, bittend, aber der junge Mann schien sichtlich beflissen zu sein, diesen Blicken auszuweichen.

Es folgte eine lange und bange Nacht für die liebenden Herzen. Adelina konnte nicht Schlaf und Ruhe finden. Alle Zweifel der Liebe, alle Ahnungen und Möglichkeiten eines Verlustes dessen, was sie noch kaum gewonnen, überfielen sie. Sie sagte sich, dass ihre Liebe Renzo nicht glücklich mache, dass bereits eine andere sein Herz besitzen müsse, dass er mit ihr eben nur zärtlich gewesen, um sie zu trösten; sie sah ihn fliehen, fern von der Heimat, in Gefahren, ohne dass sie ihm beistehen, mit ihrem Angstruf rettende Engel herabbeschwören könne; sah ihn umkommen, einsam sterben! Ihre Liebe war zu gross, als dass sie sich auch nur vorstellen konnte, wie jene beglückte Andere ihm in seinen Nöthen eine Helferin oder Trösterin zu sein vermöchte. Wahre Liebe ist ja auch in diesem Sinne ausschliesslich, dass sie nicht denken kann, wie ein anderes als ihr eigenes Opfer den Geliebten schirmen und retten sollte!

Adelina würde geseufzt, geweint haben, wenn sie nicht gefürchtet hätte, damit den süssen Schlaf der Mutter zu stören.

Und gleichwohl täuschte sie sich in dieser zarten Rücksicht, Donna Marcucci schlief nicht. Sie nahm die Unruhe ihres Kindes wahr und die nie erlöschende Muttersorge hielt sie wach, aller sonstigen Schlummerseligkeit zum Trotze. Aber die Mutterliebe ist zugleich feinfühlig, daher bezwang die Donna ihren mütterlichen Eifer, drängte ihr reges Mitgefühl noch zurück, wohl wissend, dass es einen Schmerz giebt, der schamhaft an sich hält, einen Schmerz, der sein eigener Tröster wird. Sie ahnte, dass der Kummer, das Geheimniss ihrer Tochter noch nicht reif sei zu freiwilliger Mittheilung, und wollte sich durch täppische Eingriffe in das Herz desselben nicht um das ihr sicher entgegenstrebende Vertrauen bringen.

So that jede der beiden Frauen aus Besorgniss für die andere ihrer Unruhe Gewalt an, beide aber sehnten sich nach dem erlösenden Morgen.

Kaum graute es aber, so liess sich Gewieher und Hufschlag auf dem Kies vernehmen. Adelina sprang aus Linnen und Decke ans Fenster. Unbekümmert und unbewusst, dass nur ein weisses Hemd ihren jungfräulichen Leib umwallte, dass Arme und Hals bloss waren, dass der Morgenhauch ihr pochendes Herz küssen durfte, riss sie die Flügel auf und schwang sich auf die Fensterbrüstung empor.

Eben sprengte ein Reiter vorüber.

Das Mädchen erkannte ihn, als hätte sie seinen Aufbruch vorausgeahnt, und schrie ihm zu: »Renzo, Renzo! Ach du entfliehst? Grausamer, Treuloser – o ich Arme!«

Sie rang die Hände, sie hätte sich vielleicht, dem Entfliehenden nach, auf den dämmernden Kies gestürzt, wenn nicht liebevoll die Arme der Mutter sie gefasst und sanft zurückgezogen und das verstörte Antlitz bergend an die Brust gedrückt hätten.

Keine Frage, kein Vorwurf kam aus dem Munde der verständigen Mutter. Sie bezwang den Ausruf der Angst, sie drängte den lähmenden Schrecken zurück und liess nur die beschwichtigende Liebe walten. Aber nicht wie einem thörichten oder fiebernden Kinde sprach sie der Tochter zu, sondern mit jenem sicheren Zartgefühle, welches errathen liess, sie wisse Alles, sie billige Alles, sie hoffe und verbürge Alles.

– Beruhige dich, Adelina! sagte sie. Du fürchtest, ihn zu verlieren; ich weiss, wie weh ein solcher Gedanke thut. Die Aufregung sieht aber alle Dinge falsch und übertrieben. Kann er nicht einen Morgenritt thun wollen, um dir, zurückkehrend, den thaufrischesten »Guten Tag« zu bringen? Das Pferdegewieher spielte ihm einen Streich; daher stutzte er auch, als er sich verrathen sah und dich am Fenster erblickte. Du hast doch bemerkt, wie artig und beschwichtigend er dir zuwinkte. Ein Flüchtling hätte dazu keine Zeit gefunden. Vielleicht sprengt er jetzt über die Campagna, um bei Castellani zu holen, was einer jungen Braut das Liebste ist ... Du blickst mich überrascht und ungläubig an? Schelm, du denkst doch selbst auch schon an das Ringlein, welches seinen dauernden Platz zwischen dem kleinen und Mittelfinger erhält. Also Geduld, liebes Kind! Erwarten wir in würdiger Fassung den holden Flüchtling. Du hast wahrscheinlich bös geträumt, und das hat dich in Aufregung versetzt. Wir werden den verkürzten Schlummer nachholen.

So tröstete und beruhigte die edle Donna ihr zitterndes Kind nach der humanen, praktischen und unter den Völkern romanischer Zunge auch nicht selten praktisch geübten Philosophie, der jene Italienerin aus dem Volke treffenden Ausdruck gab, welche die Angehörigen eines jungen Menschen, der als Rekrut abgeführt wurde, mit den Worten zurechtwies: »Was meint Ihr? Müsst auch Ihr weinen, um dem armen Jungen den Abschied noch schwerer zu machen?«

Und unter dieser Behandlung beruhigte sich in der That Adelina's Gemüth. Es konnte nicht ausbleiben, dass sie, sobald sie nach der leidenschaftlichen Aufwallung zu sich kam, arge Scham empfand. Wie wohl that es ihr da, ihr Gesicht an der Brust der Mutter bergen zu können! Und als sie nun keine Rüge zu hören bekam, als keine Frage ihr verschüchtertes Herz folterte, als sie sich jedes peinigende Geständniss erspart sah, als vielmehr jedes Wort, das sie vernahm, ihr Gefühl billigte, ihre Furcht zerstreute und ihre Hoffnung belebte: da wurde es ihr leicht ums Herz; sie wagte zur Mutter aufzublicken, voll Liebe, Dankbarkeit und Verehrung, und ob ihr gleich noch eine Thräne im Auge stand, ob sie gleich zur Anspielung auf Castellani's goldene Schätze ungläubig das Haupt schüttelte, so gab sie sich doch zufrieden und liess es willig geschehen, dass die Mutter sie ins Bett zurücktrug, ihr die feuchten Augen zuküsste und ihr zuflüsterte: »Schlaf, mein Herz!«

Und der Schlaf stellte sich mitleidig und gehorsam ein.

Und noch schlief Adelina, als in vorgerückter Morgenstunde Baldassare etwas heftig zur Signora Marcucci ins Zimmer trat.

Es gelang ihm schlecht, seine Unruhe zu verbergen.

– Da les't, Freundin, sagte er, was mir der Schlingel, mein Renzo, hinterlassen hat.

Und er reichte ihr ein entfaltetes Briefchen.

Dasselbe enthielt die Worte:

» Carissimo Padre! Lasst es Euch nicht befremden, wenn ich mich ohne Urlaub auf Stunden entferne und vielleicht tagelang ausbleibe. Ihr kennt meine Art und habt noch immer mit ihr Nachsicht gehabt. Nur zu wohl verstand ich Eure Andeutungen über die für mich getroffene Wahl und, bei Gott! ich möchte mich ihr gern und ohne Frage als gehorsamer Sohn unterwerfen. Aber mittlerweile hat trotz aller versuchten Zurückhaltung mein Herz so lebhafte Eindrücke aufgenommen, dass ich fliehen muss, um nicht völlig zu unterliegen, dass ich ferne von Gefahr und Versuchung mit mir zu Rathe gehen muss, was ich zu thun habe. Ich nähre den besten Willen, Eurer gewiss liebevollsten und verständigsten Vorsorge mich dankbar zu fügen. Sollte ich mich aber gleichwohl als Rebell Euch zu Füssen werfen müssen, so verschliesst mir Eure väterlichen Arme nicht. Darum bittet Euch Euer ungerathener Renzo.«

Ohne eine Aeusserung der Leserin abzuwarten, polterte der Consul:

– Gewiss, er ist gefangen, ist im Netz, aber noch sucht er die Maschen zu durchbrechen. Es wird ihm nicht gelingen, darf ihm nicht gelingen. Aber was sagen Sie zu dieser Blindheit? Er ist mein Sohn nicht ...

– Bitten wir Gott, antwortete Donna Marcucci, dass die Sache nicht schlimm ende.

Und sie erzählte dem Freund den Auftritt vom frühen Morgen.

Um den guten Tag des alten Herrn war's geschehen.

Als Adelina erwachte, war ihre erste Frage, ob Renzo zurückgekehrt. Da ihre Mutter schwieg, blickte sie zu ihr auf, als wollte sie sagen: Siehst du, ich habe doch Recht! und um ihren Mund spielte ein trauriges Lächeln.

Aber sie blieb ruhig, und ruhig liess die Mutter sie gewähren. Als herrschte ein stillschweigendes Uebereinkommen, berührte Keines die wunde Stelle. Jedes litt und war sich des tröstenden Mitgefühls von Seite des andern Theils bewusst. Adelina kam und ging. Das Ziel ihrer Schritte war immer die blühende Aloe, deren Loos eine späte, kurze Blüthe und rasches Absterben ist. Mit wehmüthigem Blicke hing das Mädchen an dieser Blüthe, welche den baldigen Tod bedeutet.

Es wurde Abend, es wurde Morgen, Renzo kehrte nicht zurück. Adelina ertrug es schweigend.

Ihre Mutter meinte aber doch:

– Wie wär's, gutes Kind, wenn wir heimzögen? Mich dünkt es schicklicher, wenn Renzo, der ohne Gruss schied, uns bei seiner Rückkehr nicht mehr hier trifft.

Und milder fügte sie hinzu:

– Gewiss, er wird uns trotzdem aufzufinden wissen.

Adelina antwortete nicht sofort, sondern neigte ihr Köpfchen gedankenschwer. Sie stieg in den Garten hinab, wie um sich bei der blühenden Aloe Raths zu erholen.

»Wenn er noch mein gedenkt, so kommt er hieher,« sagte sie sich, und von einem kostbaren Einfall überrascht, fuhr sie fort: »Und eines dieser glatten, dicken Blätter soll ihm mein letztes Addio melden.«

Und sie kniete zu den stachligen Blattungethümen nieder, zog den silbernen Pfeil aus ihrem schwarzen Haar und fing an, mit demselben auf das Blatt, welches sich am willfährigsten ihr entgegenstreckte, ein Herz zu ritzen, mit einem tiefen Punkte in der Mitte, zum Zeichen, dass es bestgetroffen, dass es durchbohrt sei.

Sie seufzte und presste die Hand auf ihr eigenes Herz, das schmerzhaft schlug.

Das Herz nahm sich auf der langen grünen Blattfläche einsam und zu wenig auffällig aus. Adelina setzte daher von Neuem den silbernen Stift an und grub Buchstaben, Worte, Zeile auf Zeile dem widerstrebenden Faserngewebe mit der gleissenden Oberfläche ein.

Wie ein Briefchen, bevor sie es faltete, überlas sie aufmerksam das Geschriebene und nickte zufrieden.

Aber zugleich stürzten ihr Thränen aus den Augen und tropften wie Perlen auf das plumpe, unempfindliche Blatt.

Und auch noch einen heissen Kuss presste sie auf das spröde, blöde Ding, da, wo das darauf gezeichnete Herz die tödtliche Wunde hatte.

Was dieses Kusses Inhalt war? Wohl ein tiefer, schmerzlicher; ein hoffender und doch zugleich unendlich zagender – denn er währte lang, der Kuss, und so glühend er auch war, eine Flut von Thränen suchte gleichwohl seine Spur hinweg zu schwemmen.

Endlich erhob sie sich entschieden, trocknete die Augen und trat vor ihre Mutter, indem sie sprach:

– Mama, ich bin bereit ... je eher, desto lieber.

Der Abschied von Baldassare war nicht wortreich. Der Consul begriff zu gut den Beweggrund seiner Freundin, als dass es erst einer Verständigung bedurft hätte. Er drückte den Frauen die Hand und sagte:

– Verzeihen Sie, Signora, und auch du, Adelina, dass nicht Alles sich so fügte, wie es sollte. Aber, rief er den Scheidenden mit beneidenswerther Schnellkraft, zugleich sich selbst ermuthigend, nach, aber wir werden wieder lachen und hoffentlich recht bald.

Renzo kehrte nach drei Tagen zur selben Stunde zurück, in welcher er Adelina an der blühenden Aloe getroffen. Der irrende Ritter, welcher Monte Porzia, Monte Compatri, Palestrina und Valmontone durchstreift hatte, brachte ein liebendes, sehnendes, muthiges Herz heim.

Eh' er noch Reitgerte und Sporen abgelegt, stürmte er in den Garten. Seine Blicke waren weit den suchenden Schritten voraus. Aber die Geliebte, die er suchte, fand er an keinem der Lieblingsplätzchen. Er sah zur Loggia empor – sie war verwaist. Er spähte nach den Fenstern der Signora – sie standen offen, offen zur Siestastunde.

»O, sie ist fort, zürnend, verzweifelnd, mich preisgebend fort!« rief er schmerzlich aus, und es fiel ihm schwer und vorwurfsvoll aufs Herz.

Seine Freude war dahin, sein Muth geknickt.

Wie ein Träumender irrte er weiter, bis er sich vor der blühenden Aloe befand und zu neuen Gedanken erwachte.

Er sah die hochragende Blüthe an und senkte dann wehmüthig den Kopf, in seliger Erinnerung schwelgend.

Und wie er so dastand, war ihm, als gaukle sich seinem Auge ein in der Mitte getroffenes Herz vor.

Er wollte Gewissheit und stürzte auf das grüne Blatt nieder und las und las, wie ein Dürstender in vollen Zügen den labenden Becher leert, und rief dann, überwältigt von Freude, gerührt und jubelnd aus: »O, du gutes, du himmlisches Wesen!«

Und er küsste das durchbohrte Herz und rannte, wie von einer Tarantel gestochen, spornstreichs davon.

Er eilte zum Vater, ohne Rücksicht auf die Siesta, und als er desselben ansichtig wurde, vergass er Gruss und Entschuldigung, bittend, drängend:

– Vater, bei aller Liebe für mich und meine selige Mutter kommt sofort mit mir!

– Wo brennt's denn? antwortete Baldassare und zeigte nicht übel Lust, den Flüchtling mit Vorwürfen zu überschütten. Aber Renzo's verklärte Miene entwaffnete ihn, zumal er auf die Frage: »Nun, wohin denn?« die ungeduldige Antwort erhielt: »Zur Aloe!«

Dort angelangt, bat und schmeichelte Renzo:

– Les't, Vater, les't.

– Und sonst muthest du mir nichts mehr zu? antwortete dieser, den Sohn seltsam messend.

Gleichwohl liess er sich, zu einigem Ungemach für das Spitzbäuchlein, auf ein Knie nieder, setzte den Stecher auf und las:

»Lieber Renzo! Ich wollte dir schreiben, glaube aber, dass du mich nicht mehr liebst. Was ich dir zu sagen habe, ist, dass du wissest, wie sehr ich dich liebe. Ich kann nichts Anderes mehr thun, als dir tausend glühende Küsse senden. Lebe wohl, Renzo, lebe wohl für immer. Die Stunde meiner Abreise drängt. Deine unglückliche Adelina.«

Derweil stand Renzo zitternd und wagte kaum zu athmen.

Baldassare erhob sich langsam, nachdenkend, mit feuchtem Auge. Er sah Renzo prüfend an und fragte bedeutsam:

– Und willst du auf dieses Biglietto antworten?

– Mit Ring und Kuss, zu ihren Füssen! antwortete der Jüngling frei und entschlossen, glaubte aber doch beifügen zu müssen: Vater, ich kann nicht anders, verzeiht!

– Endlich, endlich! rief der alte Herr aus und rieb sich die Hände. Er hatte seine Laune wieder und zankte: Aber, Junge, wie hast du mir bange gemacht! Ist's denn möglich, dass du dem Spasse nicht auf den Grund kamst?

– Dem Spass? fragte Renzo befremdet.

– Aber wie denn anders konnten wir uns von der Wahrheit Eurer wechselseitigen Neigung besser, rascher und auf beruhigendere Weise überzeugen, als indem wir eine scheinbare Scheidewand zwischen Euren Herzen aufrichteten? Begreifst du nun?

– Verzeiht, Vater! beruhigte Renzo. Ihr habt Recht. Ihr seid gut und klug. Ich nahm die Liebe ernst; und schwerfällig, wie ich bin, mochte ich nicht denken ...

– Basta! wehrte der Consul und fuhr eifrig fort: Und nun morgen nach Rom! Und mit dem Aloeblatt da lass mich machen. Ich will es auf das feinste Marmorpiedestal stellen, will es mit Gold einfassen lassen und einen schützenden Glassturz darüber geben. Es muss ein Familien-Erbstück werden ... Aber eine kleine Rüge bleibt Euch nicht erspart. Der Sockel soll die goldene Inschrift erhalten: Liebende treiben Scherz, verstehen aber keinen.

– Nicht doch! bat Renzo und umarmte und küsste seinen Vater.

Und am nächsten Tage trat der Consul Baldassare, kaum dass noch die Empfangsstunde geschlagen hatte, im Palazzo auf der Piazza di S. Luigi bei Signora Marcucci ein. Sein Gesicht war eine gute Botschaft.

– Unser Flüchtling ist zurückgekehrt, sagte er, und liess wie prüfend und des besten Eindrucks gewiss seine Augen von der Mutter zur Tochter schweifen.

Adelina horchte auf und ihr Herz stand still; sie war keines Wortes mächtig.

Die Donna jedoch fragte, scheinbar gleichgiltig: »Warum haben Sie ihn nicht auch gleich mitgebracht?«

– Verehrte Freundin, erwiederte der Consul schalkhaft blinzelnd, an der Stelle des armen Jungen würde wohl auch mir das Herz klopfen, und ich bin doch öfter als einmal ein kühner Freier gewesen. Uebrigens bringt er aber eine ausreichende Beglaubigung, einen starken Schutzbrief mit ... denken Sie sich auf dauerhaftestem Material, in grösstem Format ein Liebesbriefchen heroischen Stils!

– Willst du schweigen, böser Onkel? rief Adelina dazwischen. Und schon war sie aufgesprungen, um ihm mit schmeichelnder Hand den Mund zu schliessen. Aber auf halbem Wege fühlte sich das Patschchen aufgefangen und mit ausgesuchter Galanterie geküsst, und auch das that der böse Onkel!

Und kaum hatte sie sich von ihm losgemacht, um wieder an der Seite der Mutter Platz zu nehmen, so taumelte sie in freudigster Bestürzung zurück und jubelte: »Renzo, Renzo!« auf.

Der ungeduldige Lauscher, welcher unbemerkt zur Thüre hereingekommen, lag zu ihren Füssen, hielt ein Blumenkörbchen empor und bat und flehte: »Adelina, verzeihst du mir? Adelina, sieh, bekennst du dich zu diesen Zeilen? Sie machen mich unaussprechlich glücklich!«

Das Mädchen warf einen Blick ins Körbchen und suchte Verlegenheit und Scham in den Armen der Mutter zu verheimlichen. Sie hatte das verrätherische Aloeblatt erkannt. Es lag in einer Blumengrotte und glich einem Denkstein, der von zartem Epheu umrankt war.

Signora Marcucci hatte ein begreifliches Verlangen, den Inhalt des räthselhaften Körbchens kennen zu lernen, und der unbarmherzige Consul beeilte sich nur zu sehr, das beschriebene Blatt hervorzuheben und seiner Freundin zu weisen.

Umsonst suchte Adelina, suchte Renzo es ihm zu entreissen. »Lasst, Kinder,« wehrte er, »das ist vorläufig meine einzige Entschädigung dafür, dass Ihr mir so empfindlich zu Gemüthe geführt habt, wie alt mein Kopf und wie lahm mein Witz geworden.«

Und er fing an zu lesen: »Caro Renzo ...« Aber die beiden Liebenden baten so inständig: »Nicht laut lesen, Papa! nicht laut lesen, Onkel!« dass der alte Herr nachgab und sich anschickte, Schrift und Geschichte des Aloeblattes der Donna flüsternd mitzutheilen.

Um ja Nichts davon zu hören, zogen sich Adelina und Renzo in eine Fensternische zurück.

– Wie konntest du so mich verlassen? fragte das Mädchen mit sanftem Vorwurf.

– O theure Adelina, erwiederte Renzo, ich habe über die Massen gebüsst. Als ich dich am Fenster erblickte, hätt' ich am liebsten umkehren und reuig zu dir eilen mögen. Nur falsche Scham trieb mich vorwärts; ich wollte nicht unausgeführt lassen, was ich mir zur Prüfung vorgenommen. Aber glaube mir, mein Herz blieb zurück, und vergebens zog und zerrte ich an ihm. O, ich habe sie durchgekostet, diese drei Tage, sie waren drei qualvolle Ewigkeiten. Weisst du, was ich zu hören bekam, wenn ich wie toll dahinsprengte oder sinnverloren auf dem müden Pferde sass? »Der ist verrückt geworden!« hiess es hinter mir. »Der geht in die Berge zu den Briganten!« »Mit dem reitet ein grosses Weh!« Und als eine Matrone, die zur Madonna nach Velletri pilgerte, mitleidigen Blickes mir zurief: »Gott tröst' Euch, junger Herr!« da konnt' ich nicht weiter, da musst' ich umkehren.

– Und wirst du mich nicht wieder verlassen?

– Niemals, Adelina, ohne deinen Urlaub; nie, ohne dass ich Tage und Stunden bis zur Heimkehr zähle.

– Ich danke dir, Renzo, sagte das Mädchen bescheiden und innig.

Aber als sie aufblickend Onkel und Mutter noch immer in eifrigem Gespräch fand, erwachte ihr alter Muthwille und, Renzo an der Hand nehmend, schritt sie feierlich gemessen vor und sprach, nach Möglichkeit die erste steife Vorstellung parodirend, zum Consul: »Mein Sohn Renzo, Bräutigam.«

Die Wirkung war eine durchschlagende. Baldassare mass mit Bewunderung seine Schwiegertochter in spe.

Renzo aber nahm des Augenblickes wahr und sagte feierlich: »Ja, hier mein Mädchen, meine Braut! Mutter, Vater, gebt uns Euern Segen!«

Nach einem tiefen Blick auf das Bild ihres Seligen schloss Signora Marcucci Braut und Bräutigam in ihre Arme.


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