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Der verpfändete Maler.

Zahlreich sind die Jungen im »Gallinaccio« versammelt. Längs der Mittelnaht des schneeweissen Tischtuches haben sich schon unterschiedliche leere Flaschen aneinander gereiht, doch Marco, der Wirth, holt unverdrossen aus dunklem Versteck einen ehrwürdig bestaubten Fiasco nach dem andern hervor. Es ist hellgoldiger, festlicher Orvieto, dem so wacker zugesprochen wird. Was der französische Schaumwein durch Kunst, das ist dieser von Natur. Er hilft über schwere Stunden hinweg und verwandelt sorgenlose in heitere. Und der köstliche Inhalt wird in einem ebenso eigenthümlichen als zierlichen Gefässe geboten. Wie die Eichel zum Theil im Näpfchen steckt, wie der junge Vogel nur mit dem nackten Hälschen über das Nest sich hinausstrecken kann, so sitzt die Orvietoflasche zur Hälfte in einem aus Stroh geflochtenen Körbchen, wächst aber licht und frei daraus empor. Der Uebergang aus dem Weiten und Vollen ins Schlanke kann nicht gefälliger vermittelt werden. Das oberste Strohschnürchen löst sich vom Geflechte los und schlängelt sich den Hals hinan. Und was das Merkwürdigste, die Flasche braucht nicht entkorkt zu werden, denn als Verschluss dient eine fingerhohe Schichte Öl, das so sicher wie Salomo's Siegel die würzigen Geister in Haft und Bann erhält. Es gehört eine geschickte Hand dazu, die ranzigen Tropfen so fortzuschwenken, dass weder ein fremdartiges Aeuglein zurückbleibe noch zu viel vom edlen Nass verloren gehe. Die heitere Tafelrunde denkt gewiss noch sattsam nüchtern, indem sie die heikelige Verrichtung dem Wirth überlässt und sich an dem seltsam gluchsenden Tone von deren Gelingen überzeugt.

Marco hat in der That alle Hände voll zu thun. Ihm steht kein Garzone zur Seite; er selbst ist Koch und Kellner, kaum, dass noch ein Ganymed als dienstthuender Ragazzo mit Essbesteck und Tellern, Gläsern und Broden flink genug zu hantiren weiss. Heute Abend begnügt sich die übermüthige Gesellschaft keineswegs mit Salat und Eiern oder mit einer Frittata oder mit Risotto und einem beissenden Finocchio zum Nachtisch; zum dritten Male verlangt man von Marco oder schmeichelt ihm vielmehr das Höchste seines culinarischen Vermögens, das Jagdgericht, eine Art falschen Wildprets, ab. Mit dieser Speise rühmt sich der kunstfertige Mann, einem deutschen Diplomaten die Junggesellenjahre bis ins späteste Greisenalter gefristet zu haben. Er besitzt ein lobendes und empfehlendes Dienstzeugniss von der Hand der Eccellenza, und dies Papier hält er desto mehr in Ehren, je weniger er selbst die grossen Schnörkel zu entziffern vermag.

Wieder steht also Marco am Herd; in der weiten, schmalbordigen Pfanne schmort es, lockerer Duft steigt daraus empor. Um die schläfernde Gluth der Holzkohle zu entfachen, zerknittert der Kochkünstler trockenes Röhricht und schiebt es in die lebendige Asche, so dass es bald knistert und hell aufloht. Marco ist nie munterer als wenn er sein Jagdgericht bereitet. Da wandert nicht Salz, noch Kräutlein und Gewürz in die Pfanne, ohne dass er eine alte Arie oder den augenblicklichen Einfall als Ritornell dabei summt und singt. Und man hört und sieht ihm gern zu, wenn er so weihevoll schafft, wenn er den kleinen Blasebalg handhabt, wenn der jähe Gluthhauch ihm über Gesicht und braune Arme gleitet. Für seine rüstige Gestalt ist die Arbeit leichtes Spiel; ist er doch gebaut wie Bernini's herrlicher Triton auf der Piazza Barberini. Marco's Vorliebe für die Deutschen schreibt sich von der alten Eccellenza her, und er hat es noch nie zu bereuen gehabt, wenn er den jungen Künstlern ausgiebigen Kredit gewährte.

Seine Trattoria ist der urwüchsigsten eine, was wohl um so verzeihlicher ist, als noch Gregor XVI. die dreifache Krone auf dem Haupte trägt, er, der strenge, gelehrte Mönch, welcher Neuerungen im Sinne der Reinlichkeit und des grösseren Behagens mit einem unübersetzbaren Kraftworte zurückzuweisen pflegt. In Marco's Wirthschaft sind Küche und Zechstube Eins. Die Wände sind geschwärzt wie die Travertinquadern des Theatrum Marcelli. Der Boden kennt Mosaik so wenig als Dielen. Tisch und Bänke lassen eher auf einen Zimmermann als auf einen Kunsttischler schliessen. Leichte Strohmatten an Thür und Fenstern wehren den Fliegen und Sonnenstrahlen, weichen aber jedem erquicklichen Lüftchen. Der Balken, welcher die Decke durchmisst, verräth eine gefährliche Senkung, gleichwohl will Marco nicht eingestehen, dass auf ihm seine Schatztruhe mit den schweren Scudi laste. In solcher Schenke reiften in manch eines Zechers Kopfe herrliche Kunstschöpfungen, in ähnlicher Kneipe trank Goethe den besten Genzanowein.

Die Gesellschaft hat einen Scheidenden in ihrer Mitte, ist aber nichts desto weniger guter Dinge. So lange man sich selbst in Rom als in der Lehre und auf der Wanderschaft fühlt, trägt man diesen Wechsel von Kommen und Gehen leicht, nimmt fröhlichen und muthigen Antheil daran. Der Kommende bringt Grüsse aus der lieben Heimat, der Scheidende nimmt solche über die Berge mit. Mit frischen Ideen und Idealen langt Dieser an, mit Erfahrungen und Entwürfen scheidet Jener. Man ist dem Neuling ein fördernder Mentor und verjüngt dafür an dessen ursprünglicher Empfänglichkeit sein eigenes Wesen. Anders die Alten, Eingelebten und Eingebürgerten, die sich ihren Weg gebahnt, ihr Ziel gesetzt haben. Sie sind des ewigen Schauspiels von zu- und abziehenden Wandervögeln müde. Was sie brauchen, ist Ruhe und Sammlung. Sollen sie sich irre machen lassen von den neu eingeführten, unreifen Ideen? Diese leichtfertigen, naseweisen Dinger! Statt zu Fuss mit dem Ränzlein auf dem Rücken die Wallfahrt zu vollenden, lassen sie sich gemächlich vom Vetturin über Berg und Thal bringen. In etlichen Monaten glauben sie mit Rom fertig zu sein, das Unsereiner als Lehensaufgabe betrachtet, ohne Aussicht, damit zu Ende zu kommen. Sie bringen Utopien mit und fordern von der Fremde heimatliche Bequemlichkeit. Ueber das Grabmal der Cäcilia Metella kommt selten Einer mehr hinaus, während wir auf der Via Appia die Campagna durchwanderten, in Albano Rast hielten, dann, ohne den Staub von den Schuhen zu schütteln, die Rückkehr antraten und die ganze Fusswanderung als genussreichen, anregenden Spaziergang betrachteten. Und die mit ihrem Urtheile so schnell fertig sind, mit welchen Anliegen kommen sie Einem? Was der Scudo gelte, und wann die farnesianischen Gärten zugänglich seien, und wo man sich einen Permesso für die Katakomben verschaffen könne, und ob man ihnen nicht zu einer billigen Wohnung behilflich sein wollte ... schöne Kunstjünger das!

So greinen die Alten. Kein Wunder, dass der »Cancro«, die Stammkneipe der Letzteren, und der »Gallinaccio« im Allgemeinen getrennte Lager vorstellen.

Anders als seine sesshaften Altersgenossen denkt Adolph, der Bildhauer. Wer sich jung erhalten will, muss mit der Jugend umgehen – Adolph hält sich zu den Jungen. Als Senior nimmt er bei dem Abschiedsschmause den Vorsitz ein. Ihm zur Rechten sitzt Friedrich, der Landschafter, dem eben durch das Liebes- und Ehrenmal gehuldigt wird. Seine Lehr- und Wanderjahre sind um; er will in Deutschlands Norden die erlangte Meisterschaft bethätigen.

– Hörst du, Adolph? Den Nachbar mit dem linken Ellenbogen berührend und ihm zutrinkend, wiederholt Friedrich mit Nachdruck: Es wäre schön von dir, Adolph, und völlig gerechtfertigt, wenn du dich wieder einmal, und zwar mit mir, auf den Heimweg machtest. In den beginnenden heissen Monaten versäumst du hier wenig, kehrst dafür aber mit frischen Kräften in dein Studio zurück. Selbst Antäus, der Riese, war nur so lange unüberwindlich, als er durch erneute Berührung aus seiner Mutter Erde Kraft zog.

– Wo denkst du hin? erwiedert der Angesprochene mit heiliger Entrüstung. Ich soll mein Modell, soll Hektor und Andromache preisgeben? Der Thon braucht jetzt schon täglich zweimal nasse Umschläge. Ich kann so wenig fort als die Amme vom Säugling. Hast du dich erst recht bequem drüben eingenistet, mein Wort darauf, dass ich über kurz oder lang bei dir vorsprechen werde.

– Glaub' ihm nicht, Friedrich, lässt sich ein Dritter vernehmen; so vertröstet er Jeden. Der sieht so wenig Deutschland wieder als er zum Heiraten kommt.

Zitto! herrscht Adolph. Dieser Thersites von einem Propheten meint wohl gar, ich müsste mich in ein deutsches Stumpfnäschen vergaffen, um in Hymens Tempel zu treten.

– Hört, hört den Schmäher! riefs von mehreren Seiten. Und solch ein Vaterlandsverräther erkennt es nicht für die dringendste Notwendigkeit, sich wieder einmal gründlich in den Himmel blauer, deutscher Mädchenaugen zu vertiefen?

– Karger Ersatz für das grosse, ewig blaue Himmelsauge über Italiens Hesperidengarten! Und ist mit der Farbe des Auges der Brunnen der Schönheit erschöpft? Wo bleibt das schöne Profil, die herrliche Büste, die angeborne körperliche Grazie und die Majestät des Ganges? Dafür habt Ihr Farbenkleckser keinen Sinn, bedauerlich genug. Wenn die marmornen Göttinnen wandeln könnten, sie würden schreiten wie die römischen Frauen.

Tedesco italianizzato!

– Was er spricht, ist Frevel!

– Der Mann ist unrettbar verloren!

– Mag er sieh den Dank bei den Römerinnen holen, auf ein deutsches Mädchen ist sein Recht verwirkt!

So scholl es durcheinander. Friedrich beschwichtigte den Sturm und fuhr dann, in ein ruhigeres Fahrwasser einlenkend, fort:

– So in Italien aufzugehen wie du, mein Freund, das wünsch' ich mir nicht. Aber noch das ein- und anderemal italienische Luft zu athmen und Sinn und Auge aufzufrischen an den unerreichbaren Meisterwerken, das ist mein festes Vorhaben, noch ehe ich scheide.

– Ja und bist du geschieden, ergänzte Einer, der aus Erfahrung sprechen konnte, so zeitigt wachsende Sehnsucht gar bald deinen Vorsatz.

– Den Sommer in Deutschland und die übrige Zeit in Italien zubringen zu können, das wäre ein Götterlos, meinte ein Anderer.

– Ich für meinen Theil, fiel ein Dritter ein, möchte mirs so einrichten: in Deutschland die Conception, in Italien die Ausführung.

– So seid Ihr, nahm mit zufriedenem Lächeln wieder der Senior das Wort. Als ich warm wurde, habt Ihr mich verketzert, und jetzt erklärt Ihr, Einer nach dem Andern, dass Euch nichts ferner liege als ein Verzicht auf Italien. Keine Wortklauberei! Lasst uns vielmehr in weihevoller Stimmung zu jenem Akte schreiten, der für unseren Freund die Bürgschaft baldiger Rückkehr, für uns die Hoffnung fröhlichen Wiedersehens abgeben soll. Ganymed ist eingeschlafen und Marco's Humor ist zu Ende, sobald er seine Arme nicht mehr zu rühren braucht.

Die Freunde durchwandern zwischen ruhesamen Häusern mehrere enge Gässchen, ehe sie der Silberflut des Vollmondes theilhaftig werden. Aber mit jedem Schritte vernehmen sie deutlicher das Rauschen eines Wasserfalls. Sie treten auf die kleine, unregelmässige Piazza di Trevi hinaus.

– Wenn mir Einer im Norden so etwas hätte weismachen wollen! ruft überrascht der Jüngste der Künstlerschaar aus; das Licht bläulich, kalt – der Schatten tiefbraun und warm im Ton – oder täuscht mich mein Auge?

– Keineswegs, erwiederte Adolph; du wirst noch über manche ungeahnte Gegensätze zu staunen haben und jähe Übergänge zu fühlen bekommen. Hältst du es für möglich, dass du mit dem ersten Schritte aus der Julisonne in den Schatten nicht das Gefühl der Kühle und Erquickung, sondern das des unbehaglichsten Frierens haben könntest? Du wirst es verspüren.

Man stand vor der grossartigen Brunnenfaçade. Der Mond warf schräg sein Licht auf die Pflaster aus Travertin, auf die marmornen Säulen und Statuen. Jedes Wellchen der zahlreichen Cascadellen, die sich über und durch die scheinbar chaotisch aufgeschichteten Felsenblöcke, auf den von des Künstlers Finger anmuthig vorgezeichneten Wegen, in das weite Becken ergiessen, glitzerte, berückend und tückisch.

Es war, als sei der gebietende Oceanus aus dem Dunkel seiner Grotte eben erst hervorgeschritten und habe vor den Blicken des Beschauers seinen Muschelwagen bestiegen. Die Seepferde bäumen sich auf, aber bändigende Tritonen sind flugs an ihrer Seite. Unter des Gottes Wagen hervor ergiesst sich stromgleich die mächtige Quelle, breit und breiter, in drei Absätzen sich in die schäumende, brandende Tiefe stürzend.

Das Rauschen inmitten der Nachtstille stimmte feierlich. Die Freunde waren allein. Nur an der freieren Ecke der Façade die luftige Bottega, welche frisch von der Quelle ihren Limonetrank schenkt, hatte noch Licht.

Dieses widerstritt erfolgreich dem blässeren Mondenschein und umglühte golden die grünen Guirlanden, an denen Citronen und Orangen ausgehängt waren.

Friedrich unterbrach das Schweigen: Wie oft eilte ich gleichgiltig an dieser Fontana vorüber und schmähte sogar ihren zopfigen Schmuck! Aber jetzt muss ich ihr einen grossartigen Wurf zugestehen. Ich hätte nie vermuthet, dass sie so auf mich zu wirken vermöchte. Wie ganz anders sieht Rom, wer mit überschwänglichen Erwartungen hieher kommt, als wer den Blick des Scheidenden auf dessen Schönheiten wirft!

– Bravo! rief Adolph aus; jetzt hab' ich dich in der rechten Stimmung. Weiss ich's doch seit langen Jahren, dass jedem der Abschied von Rom nahe geht, er hätte denn ein blödes Auge und ein Herz von Stein. Lasst uns denn, fuhr der Bildhauer salbungsvoller fort, zur Opferung schreiten, und lasst mich, den Aeltesten, als Priester walten. Tritt vor, Friedrich, Geliebter, der du in das Land des Frostes und der Nebel ziehst, erkauf dir von den ewigen Olympiern, denen diese Quelle heilig ist, die Gewähr einer baldigen Wiederkehr in dies lichtbegnadete Land, in diese Heimat des Schönen. Was du in der Hand hältst, ist ein plumpes, schmutziges Stück Kupfer, ein Bajocco – wirf den schimmligen Obolus in die Fluten, die so verlockend gleissen, dass man sich am liebsten selbst hineinstürzen möchte. Was dafür deinem Geiste aus der Tiefe emportaucht, ist goldener Hoffnung Bild. Bauscht es nicht herauf wie Orakelruf? Wünsche, glaube, handle! Auf gut Deutsch: wünsche, hieher zurückzukehren, glaube, dass es möglich sei, und mache dich bald wieder auf die Socken: für das Uebrige lass die gütigen Götter sorgen.

Geziemende Andacht und Rührung hatte sich der Umstehenden bemächtigt. Aber man hatte keine Zeit, diesen Gefühlen nachzuhängen. In Adolph war dramatischer Ungestüm gefahren. Er fasste den Neophyten bei der Hand und führte ihn an den vordersten Rand des Beckens.

Hier, dem stolzen Muschelgespann gegenüber, hat das Geländer eine schmale Oeffnung. Ein paar Stufen führen zum Wasserspiegel nieder. Aus der Umfassungsmauer sprudelt ein Seitenbrünnlein der grossen Fontana.

– Bei der Nase des heiligen Vaters, hob Adolph wieder an, welche vor Zeiten Eos' Rosenfinger gestreift haben mag, wir sind kein verlornes Geschlecht ketzerischer Wiedertäufer; noch weniger gedenke ich mich eines schnöden Hyperboreers meuchlings gleichwie einer überflüssigen Katze oder eines jungen Hundes zu entledigen. Drum fasse dir ein Herz, mein Sohn, und steig' die Stufen hinab. Schöpfe, trink von der Acqua Vergine; wie der Brunnen Semsem auf den Mekkapilger, wirkt dieser jungfräuliche Born auf den Abendländer; er erfüllt die Brust mit Sehnsucht, dass dir nicht früher wohl wird, als bis er deine lechzenden Lippen wieder netzt ... Du weisst dir nicht zu helfen, Narr? Mach's wie der heilige Diogenes! Denn Gott gab dem Menschen die Hand nicht bloss dazu, dass er zu unfruchtbarer Faust sie balle ...

Als Friedrich den Trunk gethan, der in ihm den Durst der Sehnsucht wecken soll, liess Adolph das priesterliche Pathos fahren; der sinnige Quellenkultus war zu Ende.

Noch einmal aber gebot der launige Meister Schweigen; er trat vor den scheidenden Kollegen hin und sprach:

– Empfange die höchste Auszeichnung, welche dir von deinen Landsleuten und Zunftgenossen zu Theil werden kann. Ich nadle dir den Bajocco-Orden an die noch unentweihte Brust. Er giebt Zeugniss, dass du in Rom kein Kopfhänger und Leisetreter warst. Es klebt das Verdienst eines tüchtigen Narrenweibels auf unseren Auszügen nach den Cervara-Grotten an ihm, ein Verdienst, wie solches Mancher nicht aufzuweisen hat, der zu seinem zwölften goldenen Kreuz oder Stern den dreizehnten gesellt. In welche Kreise du mit diesem Zeichen trittst, es vermehre Frohsinn und Heiterkeit. In einsamen, grauen Stunden wecke es lichte Erinnerungen. Werde kein Philister, mache unserem schönen Orden keine Schande, das schwöre bei Luna's sanftem Silberblicke!

Von der Corsoseite her drangen Musikklänge ans Ohr. Sie hatten geschwiegen während der Abschiedsfeier an der Fontana und fielen jetzt umso wirkungsvoller ein.

Auf der Piazza Colonna spielte die Capelle der Carabinieri; die schöne Welt lustwandelte um die Marc-Aurelsäule und den Corso entlang; aus den Palästen Chigi, Piombino, Ferraioli ergoss sich gastlicher Schimmer; das Café war mit seinen Stühlen und Tischen ins Freie gerückt; die Limonadehütten glichen lockenden Marktbuden; nur die heidnische Kaisersäule, die den Apostel Paulus trägt und aussen in den Reliefs des Spiralenfrieses kriegerische Thaten erzählt, ragte ernst und starr über das bunte Treiben hinaus.

– Komm, Friedrich, mahnte Adolph, erlab' dein Auge noch einmal an römischer Frauenschönheit!

– Ich wüsst' einen besseren Vorschlag, sprach ein Anderer; bis Mitternacht sind wir zurück, brechen wir nach dem Colosseum auf! Der wachehabende Schweizer lässt uns auch ohne Permess hinein, die ungeheure Weite in der Stille, die jeden Schritt wiederhallen macht, bei Vollmondschein zu durchmessen ...

– Keine grossen, aufregenden Eindrücke mehr! wehrte Friedrich. Ist mir doch, als hätte jedes einfache dunkle Haus, jeder Stein noch ein eindringliches Wort für mich. Bleiben wir auch dem Leben auf dem Corso fern.

Die Künstler lenkten ihre Schritte gegen die Piazza del Popolo. Der Palast der Propaganda zeigte sich in finsterer Majestät; die spanische Treppe, silberübergossen, glich einer Himmelsleiter; vom Obelisken aus warf Friedrich lange Blicke rechts die Terrassen des Pincio hinan, links nach dem Vatikan, nach der blinkenden Peterskuppel.

– Es bleibt dabei, wir sehen uns morgen früh noch einmal, am Ponte Molle draussen. Der Vetturin hat bereits meine Siebensachen. Ich erspare mir bewegte Auftritte, indem ich von meiner Stube, meinem Studio heimlichen Abschied nehme.

Nach diesen Worten reichte Friedrich seinen Freunden die Hand und bog allein in die Gasse seiner Wohnung ein. – –

Wer von Friedrich's Genossen nach kurzer Nachtruhe schon während des Morgengrauens die anderthalb Miglien auf der Flaminischen Strasse zurückgelegt hatte, bereute es sicher nicht. Doch die Frühesten trafen den Scheidenden bereits in der Weinlaube der Osteria neben der Brücke.

Friedrich wollte den letzten kostbaren Augenblick nicht unbenutzt lassen. Er stieg mit den Freunden, die sich bereits eingefunden hatten, die Anhöhe nach dem Tor di Quinto hinan. Das Nahen des Gefährts, sowie das Eintreffen der noch säumigen Kameraden konnte von oben leicht bemerkt werden. Die Sonne tauchte hinter den Sabinerbergen empor, und was ihr Strahl verklärte, wollte Friedrich noch einmal geniessen, das Bild des Morgens mit dem Scheideblick aufnehmen. Rom zeigt sich da zwar nicht in ganzer Breite; aber eine Linie, welche die Riesenkuppel von St. Peter und das Castell St. Angelo umschreibt, die Zacken der Stadtmauer verfolgt, die Bekrönung des Thores aufnimmt und nach allmäligem Falle sich wieder zur doppelthürmigen Trinià de' Monti aufschwingt, ist immerhin ausdrucksvoll. Abwärts bis zur Engelsburg, aufwärts bis gegen Monte Rotondo kann man die schönen Windungen des Tibers verfolgen. Die Monti Parioli links, gegen die Villa Borghese hin, lassen einigermassen errathen, wie die ganze Hügellandschaft ausgesehen haben mag, bevor Romulus auf dem Palatinus die Furchen zur Umgrenzung seiner urbs quadrata zog. Nahe dem Anio, der von Tivoli her durch die Campagna dem Tiber zueilt, liegt der Mons Sacer, und wo zwischen dem Anio und der Stadtmauer das stimmungsvollste Plätzchen ist, die Acqua Acetosa. Rechts aber sind die balsamischen Höhen des Monte Mario mit der einsamen Pinie, deren Schirmdach bereits des jungen Tages Strahlengruss empfangen!

Friedrich darf nicht länger schauen und weilen. Er will mit seinen Freunden zur Brücke hinab. Vor der Osteria hält bereits der Vetturin. Bei demselben sind noch mehrere Kameraden versammelt. Friedrich eilt auf sie zu, ihnen zum letzten Male die Hand zu schütteln. Doch erstaunt hält er inne: Coppo, Giulia, wie kommt denn Ihr hierher?

– Perfido! Traditor! kreischt es ihm aus schmerz- und wuthgepressten Kehlen entgegen.

– Treuloser! Verräther!

Mehr bringt Giulia nicht hervor, so sehr sie nach Worten ringt. In wilder Aufregung, daran Zorn und Zärtlichkeit gleichen Theil zu haben scheinen, stürzt sie auf Friedrich zu, aber von den vielen fremden Blicken eingeschüchtert, kehrt sie sich wieder ab und wirft sich laut schluchzend Coppo, dem Bruder, in die Arme.

Und stösst hinwieder diesen von sich:

– Pazzo, was stehst du so dumm da? Sprich du! – O, ich Unglückliche!

Friedrich ist verwirrt und ergriffen. Adolph, der das zitternde Mädchen kennt, beginnt beschwichtigend: Liebes Kind, was ist dir denn? Lass uns vernünftig sprechen; du kennst mich doch, bist mir ja als Psyche gestanden.

– Hinweg! Ihr seid Alle so wie er, habt Euch Alle verschworen, pfui! gegen ein armes Mädchen!

Die Wirthin war auf den Lärm aus dem Hause herbeigeeilt. Sie zog das Mädchen mit gewinnender Theilnahme an sich, führte es aus dem Kreise der Männer und liess sich mit ihm auf eine Bank unter der Pergola nieder.

Coppo stand drohend und herausfordernd da, einem jugendlichen Athleten nicht unähnlich. Um seine Lippen zuckte es, sein Blick suchte Friedrich's Auge; er erwartete mit Ungeduld das erste Wort aus dessen Munde, um losplatzen zu können. Aber Friedrich schweigt.

Adolph besitzt Erfahrung und befürchtet hinter diesen seltsamen Anzeichen das Aeusserste. Er sucht der Sache auf den Grund zu kommen, ohne sie zu verschlimmern, und wendet sich zu dem jungen Menschen in einem Tone, welcher darnach angethan ist, dem Selbstgefühle zu schmeicheln und den Zorn zu entwaffnen.

– Das ist ein peinlicher Auftritt. Der kluge Coppo hätte uns denselben ersparen können. Es giebt Dinge, die man unter vier Augen ausmacht.

– Aber der saubere Herr dort – Coppo warf einen grimmigen Blick auf Friedrich – wollte uns entwischen.

– Ihr merktet jedoch, wohin er seine Sachen schaffen liess, und Battista, der Vetturin, ist kein Mann, der einen schmucken Burschen und ein braves Mädchen im Stiche lässt. Wie aber, wenn Friedrich in Bälde wiederkehren wollte?

– Der braucht sich nicht heimlich aus dem Staube zu machen, der seinen Verpflichtungen nachkommen will.

– Gut, gut; Eure Mutter weiss gewiss, weshalb und wohin Ihr ausgezogen seid?

– Nein, Signor.

– Ihr wolltet Eurer guten Mutter nicht das Herz schwer machen, nicht wahr?

– Si, Signor.

– Dann sagt sich Coppo gewiss selbst, dass man auch eine gute Absicht dabei haben kann, wenn man ohne Abschied fortgeht. Doch das nur nebenbei; ich will zugeben, dass Ihr im vollen Rechte seid. Aber was wollt Ihr beginnen? Glaubt Ihr, Euren Mann zurückhalten zu können?

– Wir wollen, erwiederte Coppo mit einem spöttischen Lächeln, wir wollen dem Herrn Federigo ungebetene Gesellschaft leisten.

– Und schon in Viterbo, wirft Adolph ein, wird er Euch einen Vorsprung abgewinnen.

– Wir werden ihm nachfolgen; wir werden in Städte ziehen, wo Maler sind, man wird Modelle brauchen, und einen Pifferaro wird man wohl auch hören wollen.

– Und dann? fragte Adolph gespannt und ein gefährliches Lächeln unterdrückend.

– In einer dieser Städte werden wir Federigo treffen ...

– Und dann?

– Dann werde ich ihn gelegentlich lehren, was ein Ehrenmann seiner – Sposa schuldig ist.

Dies entschlossene Wort, welches zudem noch von einer unzweideutigen Handbewegung nach dem Messer begleitet ward, erregte in Allen ein banges, unheimliches Gefühl.

Friedrich wollte sprechen, aber Adolph nahm ihn mit Gewalt beiseite.

Giulia, welche keinen Blick von der Gruppe der Sprechenden gewendet hatte, schrie laut auf, als sie Friedrich aus den Augen zu verlieren fürchtete; sie wollte sich losringen, aber die brave Wirthin umschloss das wilde Kind mit kräftigen Armen und bedeckte die ängstlichen Augen mit Küssen.

Als Adolph sich mit Friedrich allein und unbelauscht sah, sprach er, und seine Stimme klang ernst und bewegt: Friedrich! Mann gegen Mann, hast du – sieh mir in's Auge – hast du das Mädchen unglücklich gemacht? Du verstehst mich ...

– Nein. Adolph, und aber nein! Ich bedaure das Vorgefallene, ich sah es kommen, ich wollt' es verhindern, aber schuldig, wie du meinst, bin ich nicht.

– Ich glaube dir, Freund! Du ahnst nicht, wie wohl mir deine männliche Erklärung thut. Es wäre mir wahrhaftig um meinen Bajacco-Orden leid gewesen. Du glaubst aber auch nicht, wie schief dies alles hätte gehen können. Es war gut, dass du den grimmigen Burschen – übrigens ein Götterkerl – nicht gereizt hast. Hast doch etwas gelernt in Rom, hast dich brav gehalten, Bruderherz! Aber sag' mir nur, wie kam das alles? Wie wurdest du zum Schuldlos-Schuldigen?

– Die Geschichte ist einfach, entgegnete Friedrich, und doch für mich ein lehrreiches Räthsel. Ich bezog vor dritthalb Jahren Zimmer und Studio hei Giulia's Mutter. Giulia war noch ein Kind, ist es nach unsern Begriffen heute noch. Ich gewann die muntere Kleine lieb, die nun über Nacht gross geworden ist. Ich lehrte sie lesen, ich gab ihr alle mir geläufigen Kosenamen, cara mia, amica mia, sposa mia, was und so viel du willst. Bei der vorletzten Befana steckte ich ihr ein bleiernes Ringlein an den Finger, ohne es ungereimt zu finden, ihr gleichzeitig eine Puppe zu bescheeren. Seit einiger Zeit merkte ich allerdings, dass Giulia gefühlvoller wurde und sich Gedanken machte, doch ich wurde in demselben Grade zurückhaltender. Ich beschleunigte, ich verheimlichte meine Abreise und sehe, dass ich daran nicht gut gethan. Was willst du noch mehr? Kurz und gut, für Worte nimmt mich das merkwürdige Kind nun beim Wort.

– Wirklich bloss für Worte?

– Zugestanden, auch für Küsse, wie man solche nach Lessing dem Kinde, der Schwester giebt.

– Nun, nun, ich will dich nicht weiter auf die Folter spannen. In der Hauptsache bin ich zufrieden. Aber gestehe selbst: wo fühlt noch ein Volk so ursprünglich und natürlich, nimmt das Wort für die Sache, fasst das Symbol ernst auf und lebt noch ganz die erste heilige Empfindung aus? Muss man daran nicht seine rechte Herzensfreude haben? Doch nun lass uns zurückkehren; da die Sachen so stehen, gilt es lediglich, die aufgeregten Herzen zu beschwichtigen. Es soll mir nicht schwer fallen. Kannst getrost zu Allem ja sagen. Nachwehen allerdings, Nachwehen wird es geben. Arme Naturmenschen! Doch eben ihre beneidenswerthe Natur überwindet Alles!

– Nur eins, Adolph! Verlange nicht, dass ich mich dem unreifen Burschen gegenüber verantworten solle. Der versteht noch gar nicht, um was es sich handelt. Das zeigt sein Auftreten.

– Und ist doch ein wackerer Valentin, der für die Ehre seiner Schwester ins Zeug geht. Doch sei ausser Sorge.

Adolph trat wieder in den Kreis der Männer zurück, Friedrich hielt sich abseits.

Coppo stand noch auf demselben Flecke, auf welchem ihn Adolph verlassen. Je eindringlicher die Frager ihm zusetzten, desto hartnäckiger war sein Schweigen geblieben. Nur als der Bildhauer sich wieder näherte, richtete der Pifferaro auf ihn einen scharfen, fragenden Blick.

Adolph hielt demselben unbefangen Stand.

– Coppo, begann er, seid Ihr zufrieden, wenn Federigo Euch feierlich verspricht, nach Jahr und Tag hieher zurückzukehren und zu thun, was Ihr als seine Pflicht anseht?

– Nein, erwiederte finster der junge Mann.

– Seid Ihr zufrieden, frug Adolph mit Nachdruck weiter, wenn wir insgesammt, seine Landsleute – seht uns gut an! – Euch Gewähr leisten, dass Federigo längstens nach Jahr und Tag seine Verpflichtung einhalten werde?

– No, Signore, wiederholte Coppo ungeduldig.

– So hört denn, junger Trotzkopf, sprach Adolph erregt; wenn Ihr nach Jahr und Tag Grund habt, darauf zu bestehen, was Ihr heute für Giulia beansprucht – versteht mich wohl –

– Capito, Signore.

– Wenn Ihr also Grund habt, darauf zu bestehen, und Federigo thut Euch nicht Genüge, so sollt Ihr das Recht haben, an einem Beliebigen von uns zu thun, was Ihr im äussersten Falle unserem scheidenden Landsmann zugedacht habt. Verstanden?

– Capisco, Sor Adolfo! Ich bin damit zufrieden.

Ein teuflisches Leuchten der Schadenfreude glitt durch den Blick des Jünglings.

– So geht hin und beruhigt Eure Schwester! herrschte Adolph streng.

Doch zuvor richtete Coppo an Friedrich die trockene Frage: Seid Ihr damit einverstanden?

– Ja, lautete die Antwort.

– Also werden wir uns wiedersehen, Mussiu!

Coppo legte ebenso viel Drohung als Zuversicht in diese Worte. Er warf keinen Blick mehr auf den fortziehenden Hausgenossen.

Adolph bekam von seinen Landsleuten harte Vorwürfe zu hören.

– Das ist ein ebenso feiger als grässlicher Pact.

– Diesem Buben gegenüber!

– Sind wir Männer?

– Ruhig, Freunde! Coppo ist kein Bub', er ist ein junger Herkules. Es ist nicht nothwendig, dass der Ein' oder der Andere das schnelle Messer zwischen die Rippen zu fühlen bekomme. Verlasst Euch drauf, er kann und wird nicht in die Lage gerathen, auf Einen von uns seinen Tigerblick zu heften. Dieser garstige Blick! Schade um den herrlichen Jungen! So wird man unter diesem Volke immer wieder an dessen Amme, die Wölfin, gemahnt.

So beschwichtigte und schwatzte der Bildhauer, während Coppo sich in die Pergola begab und seiner Schwester einige Worte zuflüsterte.

Giulietta stiess einen Freudenschrei aus, sprang auf und eilte auf Friedrich zu, der eben, sichtlich gedrückt, dem Letzten seiner Kameraden schweigend die Hand reichte und daran war, den Wagen zu besteigen. Giulia warf sich ihm um den Hals, blickte innig und feurig zu ihm auf und rief ein- um das anderemal:

– Federigo, caro mio, du kehrst zurück? Du kommst wieder? Kehrst du aber auch ganz gewiss zurück?

Friedrich küsste das Mädchen, er gab ihr zärtliche Namen und Versicherungen, aber ihren Blick konnt' er nicht ertragen, er wich ihm aus. –

Stumm sah Giulia dem fortrollenden Wagen nach; ernst, mit trockenen Augen kehrte sie zur Gesellschaft zurück.

Diese athmete freier auf. Die jüngeren Künstler umschwärmten das Mädchen, nannten es bald Kind, bald Heldin, und gefielen sich in allerlei Ueberschwänglichkeiten.

Da hiess es:

– Was wäre aus uns geworden, wenn uns die schönste Muse verlassen hätte?

– Um meine Ruth als Aehrenleserin wär's wahrhaftig geschehen gewesen.

– In meinem Chorreigen der Horen hätte mir das schönste Gesichtchen gefehlt.

– Und wo hätte ich eine Sta. Catarina für meine heilige Familie finden können?

– Giulia, Ihr müsst meine Clölia werden! Als die Schönste und Muthigste lasse ich Euch an der Spitze der neun Jungfrauen den Tiber herabschwimmen.

– Und ich, bei Gott, hätte Euch eingeholt und den schönen Flüchtling wieder zurück gebracht.

– Und mir hätte es leid gethan um Euch; in Friedrich's Heimat ist's kalt, fast immer Winter.

Giulia antwortete wenig.

Die Gesellschaft hatte sich auf den Rückweg gemacht und die anmuthigere Strasse am rechten Tiberufer, den Fuss des Monte Mario entlang, auf die Porta Angelica zu, eingeschlagen. Hier hatte man Pappelschatten und weniger Staub, links Wiesengrün und rechts die buschige Anhöhe. Am Seitenwege zur Villa Madama hinan trennten sich einige jüngere Künstler. Die Gelegenheit war günstig, in Architektur und Ornamentik eines der wunderbarsten Denkmale der Renaissance zu besichtigen. Die heiteren Namen Giulio Romano und Giovanni da Udine haften an den herrlichen Resten einer nie völlig ausgebauten Pracht, aber auch düstere Erinnerungen an die Pariser Bluthochzeit.

Giulia, die gedankenvoll an ihres Bruders Seite weiter geschritten, hemmte plötzlich den Fuss und sagte düster:

– Coppo, mir scheint, du hast die Sache schlecht gemacht.

– Wieso?

– Zehn Ziegen sind schwerer zu hüten als eine einzige.

Der junge Bursch antwortete nicht.

– Coppo! begann Giulia nach einer Weile wieder.

– Was meinst du?

– Du musst mir einen in's Haus schaffen, den ich selbst überwachen kann.

– Hast Recht, Schwester.

Coppo sprach längere Zeit mit Adolph, welcher erst überrascht aufhorchte und dann nachdenklich dreinschaute.

Ehe man den Thorbogen betrat, wendete sich der Bildhauer zu seinen Gefährten: Freunde, Giulietta will sich nicht eher beruhigen, als bis sie Einen der Bürgen in Friedrich's Stube wohnen und in Friedrich's Studio schaffen sieht.

– Das ist zu toll!

– Ein Künstler als Faustpfand!

– Das kann lustig werden! Vielleicht bekommt er auch Ketten zu tragen.

– Ein freier Künstler als Geissel! Ein Einlager wunderlicher Art! So etwas ist noch nicht dagewesen.

Ohne auf diese Scherz- und Spottreden zu achten, fuhr Adolph fort: Heinrich, du bist, wie du mir neulich sagtest, mit Deinem Atelier unzufrieden und wohnst abgelegen. Bei Coppo's Mutter wärst du gut aufgehoben und hättest Zimmer und Studio unter einem Dache. Ich kenne die Verhältnisse ...

– Einverstanden! erwiederte der Angesprochene.

Es ist derselbe, der gestern die Bemerkung über kaltes Licht und warmen Schatten machte und zum Besuche des Colosseums bei Vollmondschein aufforderte. Er weilt erst seit dem letzten October in Rom.

Bei den geschilderten Auftritten war er weder in erster Reihe gestanden, noch hatte er ein vordringliches Wort gesprochen.

Als den Geschwistern Enrico als neuer Gast vorgestellt wurde, nickte Coppo zufrieden, Giulia aber flüsterte: Wie ein Engel! Aber auch so ein Forestiere!

Adolph jedoch, als er dem Mädchen zum Abschied die Hand drückte, dachte für sich: »Armes verstörtes Gemüth! Sie will sich die Rache sichern, da sie fühlt, dass ihr die Liebe entgeht. – Sie ist kein Kind mehr ...!«

Schönheit ist Adel, und ein Geschlecht, in welchem sich die Schönheit von den Eltern auf Kinder und Kindeskinder vererbt, ist ein bevorzugtes, ein privilegirtes wie kein anderes, ist in Wahrheit ein adeliges zu nennen. Höher als der Adel der Kraft, durch welchen ein Nimrod die Herrschaft an sich riss und der Erde Halbgötter gab, von denen noch altersgraue Lieder und Sagen melden, ist der Adel der Schönheit, höher, wie Licht und Aether edler als Erde und Wasser ist. Höher als jener Adel, welcher aus einem einmaligen, oft fraglichen, oft vergessenen oder längst überbotenen Verdienst um die Gesellschaft auf späteste und verkommenste Enkel forterbt, ist der der Schönheit. Wer ihn besitzt, hat ihn von erster Hand; wer ihn zur Schau trägt, besitzt ihn auch; er ist er selbst und ersetzt jede Ahnenprobe. Er ist ein reines Geschenk und doch von allüberzeugender Würdigkeit. Er ist ein Zufall und dabei der Natur längst vorbereitetes Meisterstück. Wo er auftritt, wird ihm Anerkennung und Huldigung zu Theil. Seine Herrschaft ist die einzige, deren sich kein Usurpator bemächtigen kann.

Sora Violante und ihre Kinder erfreuen sich dieser Auszeichnung, welche mit mehr Recht denn jedes Staatsprivileg als Geburtsadel zu bezeichnen wäre. Schön ist die Mutter; wenn der »Nazarener« die heilige Anna oder die Base Elisabeth malen will, wenn der Historienmaler ein Vorbild für seine Hekuba braucht: beide wenden sich an Sora Violante. Als Putto, als Amorino, als Sacro Bambino ist ihr jüngster Sprössling bereits in den Kreis bildlicher Darstellungen aufgenommen worden. Coppo und Giulietta sind Tag für Tag beschäftigte Modelle, in deren Vormerkbüchlein mehr Namen eingetragen sind als auf der Tanzordnung der gefeiertsten Salonschönheit.

Die ganze Familie stellt Modelle, denn auch der Vater ist als heiliger Josef, als Hirt an der Krippe, als Campagnuolo oder Brigante sehr gesucht. »Die Familie lebt davon« – ja, und lebt für die Kunst. Die schönen Formen, die edlen Züge, in Hunderten von Abbildungen verbreiten sie sich über die Welt, und wo sich ein empfängliches Auge an einem neuen Schönheitstypus erfreut, verdankt es diesen Genuss vielleicht einem Landmädchen aus dem Saccothale.

Als Giulietta's Eltern nach Rom zogen, geleitet vom Stern der Schönheit, nahm sie mit allen ihren Kindern eine ebenerdige Wohnung auf, deren Gassenthüre zugleich das einzige Fenster war. Innen war's finster, unfreundlich; wenn aber die Mutter mit dem splitternackten zappelnden Kleinsten im Schosse und mit dem Spinnrocken an der Seite auf der Schwelle sass und die Mädchen im weissesten Linnen, die braunen Schürzchen mit den heitersten Farben besäumt, sich neben und hinter ihr zu schaffen machten, so war diese Gruppe, welche sich hell vom Hintergrunde abhob, wie ein thaufrischer Morgen anzuschauen.

Die Alten sparten, mietheten alle um die hintere Stiege eines kleinen Hauses gelegenen Räume und vermietheten die Mehrzahl derselben wieder als Monatszimmer und Ateliers. Und die Kinder ahmen den Eltern nach und legen einen – hier buchstäblich genommen – sauer erstandenen Scudo nach dem andern für Ausstattung und künftigen Hausstand zusammen.

Heinrich, der verpfändete Maler – so hiess man ihn viel länger, als sein eigenthümliches Verhältniss dauerte –, zog in Sora Violante's Haus in der Via Sistina. Giulia hatte ihn erwartet; sie führte ihn in Friedrich's Stube und Studio ein. Dabei wurden wenig Worte gewechselt. Das Mädchen schien es als selbstverständlich anzunehmen, dass es dem neuen Hausgenossen hier gefallen müsse.

Ernst lag auf Giulia's Stirn und drückte den sonst so heiteren Bogen der Brauen. Das Auge glich einer theilnahmslosen Leuchte, nur dazu bestimmt, Hand und Fuss zu weisen. Glitt zuweilen ein dunkler Blick über den Gast, so geschah es mehr, um dessen oberflächliche Eigenthümlichkeiten wahrzunehmen, als um in des Menschen Innerstem zu lesen. Es äusserte sich keine Unruhe aus Giulia's Wesen, vielmehr eine Entschlossenheit, eine Sicherheit, als ob sie der ganzen Umgebung fühlbar machen wollte: Ich weiss, was ich zu thun habe.

Man musste sie gewähren lassen.

Vor einigen Tagen noch hatte man in den Zügen des Mädchens eine Art von Unfertigkeit finden können. Der seelische Ausdruck war ein kindlicher, arm an Inhalt; er füllte gleichsam den grossen, schönen Rahmen noch nicht völlig, nicht würdig aus. Nun aber hatte sich das Ebenmass gefunden, trotzdem kein einziger Zug die Fülle einer Leidenschaft verrieth. Ein Zweck, ein Wollen war über Giulia gekommen; der Plan, welcher den Kopf beschäftigte, drängte die Regungen des Herzens zurück. Daher kein Nachzittern des heftigen Trennungsschmerzes, keine dumpf hinbrütende Trauer. Doch der Ernst der Gedankenarbeit hatte sich eingestellt.

Heinrich fühlte, dass hier zudringliche Theilnahme ebensowenig als seichte Neugierde am Platze sei. Er spielte nicht den Gleichgiltigen, denn das hätte ihn die Ueberwindung eines schönen Mitgefühls gekostet. Aber er vermied Alles, was einen unzarten Beobachter hätte verrathen können.

Er wurde zuerst in das ihm bestimmte Zimmer geführt. Dasselbe übte einen wohnlichen Eindruck aus. Ein Baldachin von feinen weissen Vorhängen schützte das Bett vor der Zudringlichkeit von Fliegen und Mücken. Das Fenster konnte durch Läden von aussen und durch Strohmatte und Vorhang von innen gegen das grelle Tageslicht abgeschlossen werden. Tisch und Stühle, das Faulbett für die Stunden der Siesta, Kleiderrechen und Waschbecken mochten wohl aus dem Hausrath eines Monsignore stammen. Der Boden zeigte keine andere Mosaik als die aus rohen Ziegeln, aber er war rein gefegt, um dem Ueberhandnehmen der braunen Insecten möglichst vorzubeugen. Ein kleiner Tafelaufsatz auf dem Tisch war aus mehreren Marmorarten aufgebaut. Auf dem Schubladkasten standen, in's Niedliche verjüngt, die Trajanssäule und die schlanken Schäfte vom Säulenschmuck des Dioskurentempels. Neben dem messingenen Leuchter mit den drei zierlichen Armen und dem Gehänge von Putzscheere und Dochtkäppchen fand sich das hässliche Fläschchen, dessen Inhalt die Schwefelhölzchen entzündete. Unter dem Wandschmuck fiel zumeist die Darstellung in's Auge, wie Gasparone, der Banditenhäuptling, sammt seinen Spiessgesellen durch das eindringliche Wort eines schlichten, alten Landgeistlichen sich zur Unterwerfung und Selbstauslieferung bewegen lässt.

Heinrich war ins Zimmer getreten, hatte einen Blick durch das Fenster geworfen und dies und das mit den Augen eines Menschen betrachtet, dem das neue Heim zu gefallen beginnt. Als er sich wieder gegen die offen gebliebene Thüre wendete, sah er Giulia geräuschlos, aber eifrig mit seinen Sachen beschäftigt. Sie hatte die Fächer des Kastens ausgezogen und vertheilte darein Wäsche und Kleider wie nach einer vorbedachten Ordnung. Sie nahm die Bücher und stellte sie auf, ohne einen Augenblick um den schicklichsten Platz für dieselben verlegen zu sein. Und sie that dies alles mit solchem Bemühen, solcher Aufmerksamkeit, dass sie gar nicht gewahr wurde, wie Heinrich sie belauschte. Kleinigkeiten, deren Gebrauch sie nicht kennen mochte oder für welche ihr kein passender Ort einfiel, legte sie wieder ins Felleisen zurück, aber nicht ohne jedes Ding betrachtet zu haben, als wollte sie es für immer ihrem Gedächtnisse einprägen.

Heinrich lächelte, indem er bei sich dachte: »Gewiss, sie will Alles so einrichten, wie es Friedrich hatte. Sie will sich glauben machen, wenn sie einen Blick ins Zimmer thut, dass er noch hier hause.«

Giulia war mit ihrem Thun zu Ende; sie blickte auf, sah Heinrich und musste merken, dass er sie beobachtet hatte. Gleichwohl zeigte ihr Gesicht nicht die geringste Befangenheit. Es fiel ihr sicherlich nicht ein, zu denken, sie habe eigenmächtig gehandelt. Vielmehr schien sie ebenso natürlich zu finden, was sie that, wie dass es der neue Miethsmann geschehen liess.

Sie griff nach der Thürschnalle, um anzudeuten: Hier sind wir fertig.

Das Studio war im obersten Stockwerk, in dem thurmartig überragenden Risalit des Hauses gelegen. Heinrich fand, als er an Giulia's Seite eintrat, vor dem grossen Bogenfenster die lichtdämpfende Blahe herabgelassen. Die Luft war schwül im geschlossenen Raume. Er schritt aufs Fenster zu, doch das Mädchen kam ihm zuvor, zog den Vorhang auf und spreitete die beiden unteren Fensterflügel aus. Ein würziger Luftstrom drang herein. Das Fenster war hoch angebracht; da das Licht für den Maler an der Staffelei nicht zu schief einfallen durfte, so nahm den vorderen Theil der Bodenfläche ein breiter Auftritt ein.

Heinrich eilte über denselben hinweg, um einen Blick ins Freie zu thun.

Allein, hoch über dem Strassengewirr, Jüngling und Mädchen, schöne fühlende Menschenkinder beide, aus demselben Fenster und so nah, dass Eins des Andern Athemzügen lauschen konnte: so schauten Heinrich und Giulia in eine herrliche Welt hinaus.

Giulia beachtete ihren Nachbar nicht alsogleich.

Wie oft wohl mag sie an Friedrich's Seite da geweilt, hinabgespäht und seinen kosenden Worten gehorcht haben.

»... Siehst du, Giulietta, all diese Bäume – dort die finstere Cypresse, hier den Feigenbaum mit der süssen Frucht und dem breiten, zackigen Blatte, und die Kronen dort mit glänzendem, dunkelgrünem Laub, das vergebens den goldenen Apfel zu verbergen sucht; und die blässere Citrone da, und den Lorbeerbusch, der sich vielleicht um die Marmorbüste deines Tasso wölbt, und die hochragende Aloe mit Zweigen wie die Arme eines Candelabers, und die breiten Blätter des Cactus, so stachelig wie oft dein Zünglein ist – das Alles müssen wir daheim entbehren.«

»›Ist's denn dann noch schön in deinem Paese, Federigo?‹«

»Möchtest du wohl mit?«

»›Und würdest du gewiss wieder nach Italien zurückkehren? ...‹«

Giulia seufzte tief auf und kam, indem sie sich bewegte, mit Heinrich in leise Berührung.

Flüchtiges Roth überflog ihr Gesicht und, wie sich ihrer Aufgabe besinnend, wies sie hinaus und sagte in der trockenen Weise eines Cicerone:

– Diese Wipfel gehören zur Villa Ludovisi; weiter links ist die Villa Medici mit ihrem Garten und das Kirchlein vorn ist S. Isidoro.

Sie zog sich gegen die Thür zurück, Heinrich aber, ohne ihr nachzublicken, blieb noch eine Weile. Von den grossen Villen, ihren Hainen und Laubgängen lenkte er den Blick auf die näheren Hausgärtchen unter ihm. Da bemerkte er nichts von ängstlich abgemessenen und gehüteten Beeten, von Blumen und Bäumchen in Reih und Glied. Er sah kleine Wildnisse, aber dieselben nahmen sich äusserst lieblich aus und standen zu der Terrasse, welche sie umsäumten, zu dem Aufstieg, an welchen sie sich vordrängten, im schönsten Verhältnisse. Sollte des Künstlers Auge nicht seine Freude daran haben, wenn es sah, wie ungesucht der breit ausladende Akanthus und die hochschiessende Canna sich fanden?

Vom Fenster zurücktretend, nahm Heinrich das Gemach, welches ihm zur künstlerischen Werkstätte dienen sollte, näher in Augenschein. Giulia stand noch an der Thür, that aber keineswegs, als ob sie ihn drängen wollte. Der Raum entsprach seiner Bestimmung vollkommen. Vom früheren Inhaber fanden sich noch einige Gegenstände des Handwerks vor: eine Staffelei, eine Palette mit eingetrockneten Farben, Abgüsse einer schönen Hand und eines Fusses, einige Skizzen in Oel und in Zeichnung, eine unvollendete Copie von Claude Lorrain's Mühle im Palazzo Doria-Pamfili und anderes mehr.

Heinrich betrachtete mit Aufmerksamkeit, was von Friedrich's Stift oder Pinsel hier zurückgeblieben. Als er sich endlich von den Gegenständen abwendete, trat das Mädchen vor, wies auf das eben Besichtigte und sagte mit Nachdruck, aber ohne dass der Ton verletzend klang:

– Signor Enrico, das sind Federigo's Sachen ...

– Ich verstehe Euch, Signorina, erwiederte Heinrich sanft; ich werde nicht an ihnen rühren; sie sollen bleiben, wo und wie er sie verlassen hat.

Giulia sagte nicht Dank darauf, sondern händigte dem Maler die Schlüssel ein und entfernte sich schweigend. Und doch schien sie nur deshalb so lange geblieben zu sein, um auf gute Art Friedrich's Habe der zarten Aufmerksamkeit des neuen Insassen empfehlen zu können. –

Die vornehmste Nachbarschaft bildete, wie das Mädchen dem neuen Hausfreunde gewiesen hatte, die Villa Medici – ein Palast, dessen Garten-Façade sieh eines Entwurfs von der Hand Michel Angelo's rühmen darf. Die Zöglinge der französischen Academie bewohnen ihn; ihnen ist des Künstlers Erdenwallen leicht gemacht. Sie können paradiesische Anlagen in der Ausdehnung von anderthalb Meilen durchwandeln, ohne die Gemarkung ihres Wohnsitzes überschreiten zu müssen. Von ihren Fenstern sehen sie sich die Stadt schöner zu ihren Füssen gebettet, als der Papst auf dem gegenüber liegenden Hügel von seinem vaticanischen Palast aus. Kostbare Sammlungen zählen zu ihrem Hausrath. Wie die schönsten Ateliers, stehen ihnen auch die schönsten Modelle zur Verfügung. Kehren sie preisgekrönt nach Frankreich zurück, so sind ihnen neben dem erworbenen Ruhm auch die lohnendsten Aufträge gewiss. Sie können im Carneval neben Geschmack auch Aufwand entwickeln, während die deutschen Künstler ihre bescheidene Narrheit und tiefere Gemüthlichkeit nach den Cervara-Grotten inmitten der Campagna verlegen, wo sie keinen Wettstreit zu befürchten haben. Und diese jungen französischen Meister danken, was sie in Rom geniessen, ihrer Nation, während, wenn unter den Deutschen fünf wirklich von einem Mäcenatenthum wissen, selbe gewöhnlich fünf verschiedenen Herren dafür verpflichtet sind.

Mr. Charles verliess die Akademie, schritt an Trinità de' Monti vorbei in die Via Sistina nieder und hält vor dem uns bereits bekannten Hause. Er ist Zögling der Akademie und gilt in ganz Rom für einen jungen Mann von seltener Schönheit. Und diese Schönheit findet selbst vor Männern Gnade, denn sie hat keinen weibisch-weichlichen Zug, sie ist männlichen Gepräges. Verbindet sich mit dem Ausdruck: Malerkopf eine gewisse Vorstellung, so kann Charles' Kopf wohl als Typus dieser Art angesehen werden. Einen ähnlichen Kopf hat Rafael im Bildnisse eines jungen Mannes verewigt, das sich im Louvre befindet und das gern als des unvergleichlichen Künstlers Selbstporträt angesehen wird. Der Genius hat Charles den Kuss der Weihe aufgedrückt. Aber des Genius Weihe ist zwiefacher Art: den einen Erwählten bestimmt er zu harter Arbeit, so dass sich demselben frühzeitig die Stirne furcht und die Schläfe bleicht, dem andern gewährt er ein müheloses Finden.

Von den Begnadigten der letztern Art einer ist Charles.

Er tritt ins Haus und findet, die er sucht, auf dem ersten Stiegenabsatz in der Kühle sitzen und mit dem Strickzeug beschäftigt.

– Giulietta, begann er, ich erwartete Euch vorgestern, gestern und komme Euch aufzusuchen, und siehe da, ich finde Euch müssig.

– Müssig?

– Wer der Kunst gehört wie Ihr und derselben eine gute Stunde entzieht, treibt unverzeihlichen Müssiggang.

– Wendet das auf Euch an, Signor.

– Wenn der Vorwurf zutrifft, seid eben Ihr daran Schuld. Meine Leinwand ist leer, die Farben sind eingetrocknet, die Inspiration ist dahin, nur die Sehnsucht ist gross geworden.

– Ich kann Euch nicht dienen. Seht Euch nach der Marietta um. Ihr werdet sie auf der spanischen Treppe finden.

– Das hiesse von Göttinnen zu Helotinnen niedersteigen.

– So nehmt die Ghita – doch ja, die kommt Euch nicht wieder; sie hat weder Mutter noch Bruder ... Und bei diesen Worten machte Giulia eine Bewegung nach der Halsgegend, an der Charles eine Narbe hatte.

Der junge Franzose antwortete dreist und treuherzig zugleich:

– Giulia, ich bin zahm geworden.

– Und die Lucia? sagte Giulia in ernstem, vorwurfsvollem Tone. Es ist nicht recht, Signor Carlo, wenn ein Mann sein Mädchen verlässt.

– Seit wann ist denn die muntere Giulietta unter die Fastenprediger gegangen? rief Charles verwundert aus.

Das Mädchen schwieg.

Der junge Künstler aber fuhr fort:

– Also kommt! Ihr habt mich vorgemerkt, seht in Euren Aufzeichnungen nach.

– Ich habe Euch ausgestrichen wie Alle für die nächsten acht Tage.

– Ich verstehe Euch; aber meiner Ariadne, flüsterte Charles lächelnd, wird eine gewisse Blässe zu Statten kommen.

– Ihr versteht mich nicht, rief das Mädchen zurechtweisend.

– In der That nicht, erwiederte der Jüngling und schickte sich an, zu gehen.

Giulia wollte ihn nicht gekränkt ziehen lassen; sie fragte besänftigend: Wie dachtet Ihr doch Euer Bild?

– Nun, Ariadne auf grünen Pfühl gebettet, eben erwachend, das sehnsüchtige Auge aufschlagend; goldener Morgen, der blonde Gott naht ...

– Blond der Gott? fragte das Mädchen nachdenklich.

Als es zum erstenmale des blonden Enrico ansichtig ward, hatte es ausgerufen: »Wie ein Engel!«

– Natürlich, erklärte Charles; blond ist die Farbe der Lockenfülle, welche strahlengleich Helios' Haupt umgiebt, Sonnengold reift die Rebe, Bacchus ist der Gott des Weines ...

– Euer Bild taugt nichts, sagte Giulia, die Auseinandersetzung Charles' unterbrechend, mit grosser Bestimmtheit.

– Taugt nichts?

– Ariadne darf nicht schlafen und träumen, nicht weinen, auch nicht ohnmächtig die Hände ringen. Sie müsste am Ufer stehen mit einem Fluch auf den Lippen, müsste den Enteilenden verfolgen mit Blicken, die des Treulosen Schiff gleich Flammen verzehren sollten, und ein mitleidiger Gott sollte ihren Fluch verwirklichen ... Doch wer erhört sie, was vermag eine Verlassene?

Als Charles das Haus verliess, murmelte er leise vor sich hin: »Ja, ja, auch die Sprödeste ereilt das Stündchen!«

Und weiter schlendernd fühlte er mit dem Finger an seine Narbe am Halse – brannte sie?

»Eine wilde Dirne, diese Ghita,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort, »zieht die Haarnadel ... ich hatte dieselbe immer nur für eine grosse silberne Filigranblume angesehen und bekam sie als Dolch zu fühlen. Und ich wollte ihr nur einen feurigen Kuss rauben ... Doch, doch sie hatte Recht; sie hat weder Eltern noch Brüder, die sie schützen könnten.«

Er ging nicht wieder in sein Atelier zurück, sondern setzte seine Passeggiata in die Vormittags einsamen Büsche des Pincio fort.

»Lucia!«

Der Name kam ihm das ein- und anderemal auf die Lippe und eine Röthe überzog das Gesicht, dunkler als das brennende Roth der Narbe.

» Mais, wer hätte noch Muth, seine Hand nach frischen Blumen auszustrecken, gedächte er immer nur der geknickten und verwelkten? Tant qu'on le pourra, l'on trinquera, chantera, aimera ...«

Doch das » larirette, larira« wollte nicht recht beschwichtigend wirken.

»Es ist nicht recht, wenn der Mann sein Mädchen verlässt – muss ein Kind mich daran mahnen? Freilich, wer selbst im Leid, ermisst am besten fremde Schmerzen ...«

Und Charles ging mit beschleunigten Schritten die Terrassen des Pincio hinab, um in einem der verstecktesten Sackgässchen des Campo di Marte ein ärmliches Haus zu betreten. –

Wie Charles hatte Giulia einen der vorgemerkten Kunden nach dem andern abgewiesen. Sie schien den Musen gänzlich entsagt zu haben, wendete aber dafür dem Haushalt eine umso grössere Sorgfalt zu. So überraschte sie die Magd, welche eben mit einem Korb Wäsche nach dem nächsten Lavatorio sich aufmachen wollte, mit dem Anerbieten, ihr daselbst Gesellschaft zu leisten und beim Ausschwenken behilflich zu sein.

Die Lavatorien sind im wasserreichen Rom öffentliche, aus dem Gemeindesäckel errichtete und unterhaltene Wasserbecken mit stetem Zu- und Abfluss, mit steinernem Aufstieg und steinerner Einfassung; meist sind sie auch durch ein luftiges Dach gegen die Sonne geschützt. Solche Waschanstalten finden sich in sämmtlichen Theilen Roms und bilden nicht selten ein vorzügliches Augenmerk für die Künstler, eine Augenweide für jeden Vorübergehenden.

Man erinnere sich des schönen Gemäldes, wie Rubens die jugendlichen Wäscherinnen am Gestade belauscht und mit schnellen Strichen deren schöne Formen und Stellungen festhält. Aehnliche Scenen spielen sich an den römischen Lavatorien ab. Allerdings schiesst an diesen Gestaden neben blühenden Rosen auch manche dürre Distel empor, und keineswegs jedes Distelblatt bietet ein Motiv, sei's auch nur zu architektonischem Schmucke.

Das Lavatorio, zu welchem sich Giulia mit der Dienerin verfügt, ist in einer stillen, krummen Gasse angebracht, deren eine Seite die den Garten des Quirinals festungsartig umfangende hohe Mauer bildet. Es ist dies kein heiteres Plätzchen; kaum dass das hoch oben überragende oder die Mauer durchbrechende und überziehende Grün den Ernst und die Aermlichkeit der Umgebung mildert. Aber das rührige Völklein, das sich hier versammelt, ist gar heiter. Das schwatzt wie nur irgendwo die Mädchen am Brunnen oder überbietet sich gegenseitig in Ritornellen, der zwanglosesten Form, den Eingebungen des Augenblicks Wort und Weise zu geben. Wenn aber die »Nachtigall« zu schlagen anhebt, dann verstummen selbst die zungengewandtesten Gefährtinnen am Becken, und wer von ferne den klagenden, schmelzenden Tönen lauscht, erriethe wohl schwerlich, dass dieselben aus der Kehle eines Mädchens kommen, das bei seinem seelenvollen Gesange Strümpfe wäscht.

Was aber sucht Giulia hier? Lediglich um der Magd die Arbeit zu erleichtern, kam sie gewiss nicht hieher. Ihr Blick ist in der That ein suchender, forschender. Er schweift zwar nicht in die Höhe, dafür mustert er aber die Häuserzeile entlang jedes ebenerdige Fenster. Und dies eine an der Ecke des Seitengässchens ist vor allen anderen Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit. Es steht offen; die Sonne, wenn auch bereits auf ihrer Mittagshöhe, findet diesen Winkel so seltsam umstellt, dass ihr Strahl fast nur auf Schmuggelwegen hier Eingang finden kann.

Durch's offene Fenster bemerkte Giulia ein Kommen und Gehen, bald auch vernahm sie Hin- und Widerreden in einer ihr fremden und doch nicht mehr gänzlich unbekannten Sprache. Aber je reicher ihre Wahrnehmung, desto ungeduldiger wurde ihr Blick. Sie zählte zu den Letztangekommenen und fast alle Mägde hatten das Becken bereits verlassen. Wieder blickte sie vom bewegten Wasserspiegel auf, und nun schien sie befriedigt zu sein.

Hinter dem offenen Fenster, unter einem breitkrämpigen Künstlerhute war ein Goldstreif schlichter, blonder Locken sichtbar geworden.

Im »Gallinaccio« also speist er! Das wollte das Mädchen wissen, welches sich vorgenommen hatte, den Bürgen für den Entflohenen selbst zu überwachen.

Warum liess Heinrich nicht einen Blick hinübergleiten zum Lavatorio?

Allerdings war es draussen bereits ruhig geworden. Doch selbst wenn alle Seiten des Beckens besetzt und alle Zünglein herum in Thätigkeit gewesen wären, so dass seine Aufmerksamkeit hätte geweckt werden müssen: er hätte eben nur in Giulia die schönste der Wassernymphen erkannt. Einen Zusammenhang zwischen seinem Hier- und ihrem Dortsein hätte er wohl kaum geahnt. –

Am andern Tage, etwa eine halbe Stunde vor der Essenszeit im »Gallinaccio«, lenkte Giulia ihre Schritte zum Grosskrämer in der Via dell' Angelo Custode. Sie kaufte eine Kleinigkeit, und selbst um diese hätte es keine Eile gehabt. Es war sonach dieser Gang eher als Vorwand denn als letztes Ziel zu betrachten. In der That schlug das Mädchen den Rückweg gegen den Quirinal ein. Sie näherte sich der Trattoria und ihr Schritt verkürzte sich.

Ist der Wirth mit der Zurüstung des Mahles fertig, so schöpft er vor der Anstrengung des Auftragens und Bedienens gern ein paar Athemzüge frischer Luft und erwartet die erst ankommenden Gäste vor der Thür. Auf diese Gewohnheit hatte Giulia sicher gerechnet, denn ihr Auge glänzte, als sie Marco erwartungsvoll am Eingange seiner Wirthschaft gewahrte.

Sie schritt auf ihn zu, so dass derselbe kaum Zeit fand, den linken Zipfel seines Fürtuches rechts aufzustecken, damit als Dreieck wenigstens die Hälfte der reineren Innenseite zum Vorschein komme.

Sein heiteres braunes Gesicht legte sich in die freundlichsten Falten.

– Schöne Giulietta, womit kann ich dienen?

– Ihr habt viele Gäste, Signor Marco, dunque va bene?

Non c'è male. Meist Künstler, Deutsche.

– Und wie seid Ihr mit ihnen zufrieden?

– Brave Leute. Zahlen ihre Sache, steht Einer für den Andern ein. Nicht so reich wie die Franzosen, dafür aber auch keine Ciarlatani. Trinken gern, etwas viel Lärm, wir sind's aber schon gewohnt.

– Sie trinken gern, folglich habt Ihr gute Weine.

– Erst gestern wieder ein paar Fässchen aus Marino erhalten. Köstlich!

– Lasst uns einen Fiascone zur Probe zukommen. Ihr könnt ja Euern Piccolo schicken; er ist flink und hat nicht weit hinauf.

– Er hat nichts zu versäumen, bellissima Giulia.

Mit sichtlichem Wohlgefallen blickte Marco dem enteilenden Mädchen nach.

– Wo denn doch meine Gäste ihre Augen haben? Die käme eben ins rechte Alter. Hat doch ihr grosser Meister Cornelio Eine aus Albano heimgeführt ...

Warum Giulia Marco's Piccolo, den Ganymed, zu sich bestellte? Derselbe versteht bereits einige Worte Deutsch über Chenedel und Craut (Knödel und Kraut) hinaus. Der Knabe braucht nur ein aufmerksames Ohr zu haben und Giulia ist von Enrico's und seiner Landsleute Thun und Treiben, Schritten und Plänen unterrichtet.

Noch waren nicht acht Tage um und das Mädchen kannte bereits die ganze Lebensweise des ihr verpfändeten Malers. Die heisse Jahreszeit, welche weite Sprünge nicht gestattete, war ihr dabei zu Statten gekommen. –

Für alle, welche Rom selbst in der Zeit der Malaria festhält, wird die Villa Borghese zum ausgiebigem Ersatz einer ländlichen Sommerfrische. Nach der Siesta beginnt die Wanderung zur Porta del Popolo hinaus; Schatten und Erquickung nimmt die Kommenden auf, sobald dieselben das jonische adlergeschmückte Thor hinter sich haben. Man lustwandelt durch die alten Alleen, naht den sprudelnden Quellen und springenden Brunnen, welche Kühlung hauchen, oder blickt in das stiere Auge des tempelumfangenden Aesculapsees; hier ein Obelisk, dort ein Ehrenbogen, der sich über eine antike Statue wölbt, oder ein heidnisches Heiligthum in schönen Ruinen unweit einem christlichen Kirchlein: Alles bietet Anregung, ohne durch Ueberladung zu verwirren oder durch groben Prunk den feineren Sinn zu verletzen.

Eine Rennbahn nach antikem Zuschnitt! Die Arena liegt tief, grüne Terrassen umgeben amphitheatralisch das ansehnliche Rechteck. Und grüner Rasen hat auch den Kampfplatz staubaufwirbelnder Wagenlenker und den mit Gladiatorenblut getränkten Sand überzogen. In den Ottobraten, den Festen nach überstandener Sommerhitze und erdetränkender Regenzeit, kommen Tänzerpaare in den blumenfrischen ländlichen Trachten auf diese sammtene Arena gehüpft und schwingen nach dem Tacte des Tamburins die schmeidigen Glieder.

Und wer den waldumrauschten Palast betritt, der sich bescheiden eine Villa nennt, wird überrascht durch Säle mit antikem Mosaikboden, mit Säulen aus rothem orientalischem Granit, mit Pilastern aus Alabaster, die Capitäle vergoldet. Nach dieser Villa und einem ihrer siebzehn Säle hat der borghesische Fechter seinen Namen.

In diesen herrlichen Gemächern findet sich selbst nach dem grossen Raube, den die Franzosen Napoleon's I. ausgeübt, noch das Basrelief mit den Troja zu Hilfe kommenden Amazonen, das Winckelmann beschreibt, der tanzende Faun, Dionysos mit Ampelos, die schöne Pansherme, eine Porphyrurne aus dem Mausoleum Hadrian's, der schlafende Hermaphrodit und die wunderbaren Jugendarbeiten Bernini's: Apollo und Daphnis – Aeneas, seinen Vater Anchises tragend.

Und wie das Besitzthum, so ist auch der Besitzer wahrhaft fürstlich. Es geht beispielsweise ein Zug antiker Grösse durch die wenigen Worte, mit welchen der Fürst Marc-Anton Borghese einen ihm begegnenden Künstler, der durch widrige Umstände sichtlich herabgekommen ist, gekränkt und tadelnd anspricht:

»Wie, Freund, lebt Don Antonio nicht mehr?«

Sobald die Sonne hinter der Peterskuppel zu verschwinden droht, verlassen die Lustwandler die gastlichen Pinienschirme der Villa Borghese und eilen heimwärts. Die »erste Stunde der Nacht«, d. h. die erste nach Sonnenuntergang, ist malariaträchtig. Da weht es wie ein Gifthauch von dem durchglühten östlichen Steppenboden der Campagna über die Siebenhügelstadt. Die Fenster halten sich verschlossen, während noch am Abendhimmel in wunderbarem Schmelz das farbige Nachspiel des Sonnenuntergangs leuchtet. Allmälig überwindet aber eine kühlende Seebrise den schwülen Luftstrom, den die Campagna ausathmete. Thüren und Fenster thun sich wieder auf, man trifft sich auf dem Corso, auf dem spanischen Platz, in der Via Condotti, um sich » bona sera« zuzurufen und einen Theil der Sternennacht noch im Freien zu geniessen.

Noch ist aber der Park Borghese nicht leer; noch streben Schaaren von Lustwandlern der Adlerpforte zu. Alle Pfade münden aber zuvor in den düsteren Pylon altägyptischen Stils ein, welcher die Verbindung bildet zwischen dem älteren östlichen Theil der Anlagen und dem jüngeren Zuwachs, um welchen Don Antonio dieses sein Besitzthum durch den Architekten Canina vergrössert hat.

Hier am ägyptischen Thor holt ein junger Mann einen älteren Landsmann ein; er hat ihn schon von weitem erkannt, das bezeugt die Ungeduld und Hast, mit welcher er sich zu ihm vordrängt. Die sich treffen, sind Heinrich und Adolph. Sie wandern Arm in Arm weiter und suchen aus dem Gewirre sich seitwärts zu stehlen.

Begegnen sich die Freunde auch häufig im »Gallinaccio«, so behält doch Jeder manch ein Wort in der Brust, das er in dem allgemeinen, wenn auch noch so unumwundenen Gespräche nicht preisgeben mag, es für ein vertrauliches Stündchen zu Zweien aufsparend.

– Alles ginge gut, begann Heinrich nach wechselseitigem Grusse, wenn ich nur Muth zur Arbeit fände. So aber schwindet mir täglich mehr der Glaube in meine Kraft, meinen Beruf. Man schickt uns nach Rom als auf die Hochschule der Kunst; man beglückwünscht uns, wenn wir das Bündel schnüren zur grossen Fahrt über die Alpen; man knüpft an unsere Rückkehr grosse Erwartungen ... ich werde keine derselben erfüllen. Wessen ich mich vermessen wollte, das ist bereits gethan; wo ich freie Bahn zu finden hoffte, da begegnet mir ein unübertrefflicher Meister und weist auf ein längst gestecktes Ziel; Richtungen, von denen ich glaubte, dass sie sich weiter verfolgen liessen, haben hier oder anderwärts längst endgiltigen Abschluss gefunden. Glückliche Zeit der Renaissance! Jeder Fund war fruchtbringender Gewinn, jedes Wagniss ein Gelingen, jeder Schritt führte den einzelnen Meister wie die gesammte Kunst weiter. Unbewusst traf man das Rechte, und Begeisterung befähigte zum Wettkampf mit den Besten. Benvenuto fühlte sich durch Michel Angelo keineswegs in den Schatten gedrängt. Ich kam mit Begeisterung hieher und werde mit lähmenden Zweifeln heimkehren. Schreiben könnt' ich über Rom, aber hier schaffen, malen ...

– Muth, Muth, mein Freund, entgegnete Adolph unterbrechend; so haben die Besten gelitten und sich zur Verklärung durchgekämpft. Es ist immer dieselbe Erfahrung; Rom enttäuscht, wenn man es betritt; Rom wirkt erdrückend, wenn es Einem allmälig seinen Reichthum entfaltet, und Rom wird für den, der aushält, Alles: Schule, Kampfplatz, Ruhm. Der Boden, auf dem wir wandeln, ist fruchtbar wie kein anderer, und was ein guter Wein werden will, hat seine Gährung zu bestehen.

Als hätte er diese beruhigenden Worte gar nicht gehört, fuhr Heinrich fort:

– Ja, wenn man sich einer so glücklichen Selbsttäuschung gefangen geben könnte wie diese Neu-Nazarener mit ihrem johannessanften Apostel aus Lübeck! Sie lassen Rafael allenfalls bis zur sixtinischen Madonna gelten; die Sibyllen, die Galatea, Amor und Psyche sind in ihren Augen einfach ein Rückgang, eine Profanirung der Kunst. Ob es wohl auch einem Astronomen einfiele, nach Kepler und Newton auf den Ptolemäus und seinen Almagest zurückzugehen?

– Warum denn nicht, wenn bei ihm noch unentwickelte, gesunde Keime zu finden sind? wendete der Bildhauer ein. Lass den Nazarenern ihren Wahn, ihre Freude; Schaffensfreude gehört einmal zum künstlerischen Handwerk, und auch der gute Glaube, dass man etwas Rechtschaffenes leiste ... wenigstens so lange die Arbeit währt. Hinterher mag der Zweifel kommen; er wird zum Ansporn werden, es nächstens besser zu machen. Du sprachst von der Astronomie; vergiss nicht, dass es die Aufgabe der Wissenschaft sein mag, Neues zu finden; der Bildner hat darauf zu sehen, dass er etwas Schönes, Gutes schaffe. Ob alt, ob neu, das hängt von der Anregung ab. In der Wahl des Stoffes ist er frei; die Alten hatten keine andere Welt und auch kein anderes Auge als wir. Wir Männer vom Meissel greifen noch weiter zurück als die Nazarener, um den verzopften Menschen wieder gegen den normalen auszutauschen.

– Und dürft Ihr Euch einbilden, mit Eurer Venus, Eurem Apollo die Griechen übertreffen zu können?

– Ich für meinen Theil denke nicht daran. Sieh meine Marmorgruppe für Amor und Psyche an, ich habe nichts dagegen. Ich wollte in ihr nur zwei schöne Menschenkinder darstellen, die sich in erster reiner Liebe umfangen. Wird einmal diese Allegorie nicht mehr verstanden, kommt wieder die Zeit, wo das keusche Nackte anstössig wirkt, so sehe sich dann der Künstler nach entsprechenderen Trachten und Ausdrucksmitteln um. Altri tempi, altri costumi.

– Doch die unerreichbaren Vorbilder ...

– Wenn unerreichbar, so stehen sie ausser aller Vergleichung. Strebe die Lebenden, die Mitstrebenden zu überbieten; das ist gesunder Ehrgeiz. Dieser Ehrgeiz beseelte und förderte auch die Alten. So standen sich Rafael und Buonarroti gegenüber. Neben Sternen erster giebt es auch solche zweiter und dritter Grösse. Sie erst machen den Nachthimmel reich. Nicht nur Kirchen und Prunksäle, auch das bürgerliche Gemach soll seinen Schmuck haben. Schaffe Schönes ... muss es immer auch etwas Bedeutendes sein?

Während sich Adolph so in Eifer redete, schweifte sein Blick von ungefähr zum nahen Pincio hinan.

Der brave Meister stutzte.

An der Mauerbrüstung droben stand, die blaue Jacke über die Achsel geworfen, den Hut eines Campagnuolen auf dem Kopfe, stand wahrhaftig Niemand Anderer als Coppo. Sein scharfes Auge spähte unverwandt nach den beiden Peripatetikern, die sich der Adlerpforte näherten.

Adolph gab seinen Gedanken eine andere Richtung. Hatte er doch den verpfändeten Maler zur Seite. Er lenkte die Schritte an Sta. Maria del Popolo vorbei zur grossen Terrasse empor, und wendete sich zu seinem Gefährten mit der Frage:

– Du sagst mir nicht einmal, wie es dir in Sora Violante's Hause gefällt?

– Ich bin sehr zufrieden, erwiederte Heinrich, und dir insbesondere zu grossem Danke verpflichtet. Ich war in der Fremde noch nie so gut versorgt und aufgehoben.

– Wirklich?

– Ich hatte früher einen unzuverlässigen Schlingel zum Atelierdiener. Jetzt bedient mich Coppo ohne viel Lärm und Störung. Das Felleisen hat mir Giulia ausgeräumt, und um Friedrich's willen lasse ich mir die ihr zusagende Ordnung gern gefallen. Die Wäsche wird im Haus besorgt. Auch brauch' ich nicht mehr mit schmutzigen Stiefeln auszugehen ...

– Und fühlst du dich nicht einigermassen beengt, beargwöhnt, überwacht, da du dich nun einmal als Pfand im Hause befindest?

– Nicht im Geringsten. Du willst doch sicher am allerwenigsten den schlechten Spass weiter fortgesponnen sehen? Giulia traf ich, seit sie mich eingeführt, kaum wieder.

Die Beiden waren auf der Pinciohöhe angelangt.

Wie Adolph richtig geahnt, war Coppo von seiner Warte verschwunden.

Die Abendglocken begannen zu läuten. Der hellen Glocke hier antwortete eine dumpfe dort. Bald klangen ihrer viele zusammen und nun war's, als ob ein klingendes Wehen und Wogen über die ganze Stadt hinzöge.

Die beiden Freunde schritten schweigend die breite Strasse niederwärts, dem düsteren Häusergewirr zu.

In Adolph's Kopfe bekämpften sich verschiedene Gedanken.

»Er hat Coppo nicht bemerkt,« sagte er sich. »Er weiss nicht, dass er auf Schritt und Tritt bewacht wird. Den Auftritt am Ponte Molle hält er für eine längst verrauchte Sache. Und doch bleibe ich noch heute dabei, dass der wilde Coppo von seinem Messer einen schnellen Gebrauch gemacht hätte, wenn Friedrich nicht so zurückhaltend gewesen wäre ... Coppo wähnt noch immer die Ehre seiner Schwester verloren. Wer soll ihn aufklären? Solange aber das nicht geschehen, ist mein Freund nicht ausser Gefahr. Soll ich Heinrich die Augen öffnen? Er würde mir nicht glauben; er wäre, um mich vom Gegentheil zu überzeugen, wohl gar im Stande, einen unbesonnenen Schritt zu thun. Es ist das Beste, ich lasse der Sache ihren Lauf. Seltsam, gerade dieser richtige deutsche Ideologe muss es mit einem Paare so kluger Kinder Italiens zu thun haben! Was wird da noch herauskommen? Ihn rettet eben nur seine Schlichtheit. Aber kenn' ich meine Italiener? In jedem Kinde steckt ein Verschwörer. Macchiavelli konnte nur italienischem Geblüte entspriessen ...«

Von diesem Gedankengange verrieth Adolph nichts, als die Beiden die wirthliche Halle Marco's betraten. Und aus dem Gallinaccio wanderte die Gesellschaft erst noch ins Café »del Greco« in der Via Condotti zu einem » mezzo caldo«.

Es war daher später denn gewöhnlich, als Heinrich die Via Sistina hinanstieg.

Jetzt bemerkte er überdies erst, dass er in seinem Zimmer den Hausthorschlüssel vergessen. – War es dieser Umstand, welcher Coppo bewogen, den Ausgang des Verpfändeten zu überwachen?

Heinrich war zum erstenmal genöthigt, vom Klöpfel am Thor Gebrauch zu machen. Er liess ihn zweimal schwer aufs Eisenplättchen niederfallen, wohnte er ja doch im zweiten Stocke. Ueber eine Weile riefs mit glockenheller Stimme vom Fenster herab:

Chi è?

– Enrico! antwortete der Harrende; er hatte Giulia's Stimme erkannt.

Der Riegel wich zurück und Heinrich tappte sich bei karg einbrechendem Sternenschimmer in seine Stube.

Kaum hatte er mühsam die Dochte seiner Lampe in Brand gesteckt, so klopfte es an die Thür.

Giulia trat ein, noch völlig angekleidet. Hatte sie ihn erwartet?

Sie überreichte ihm einen Brief mit den Worten: Er ist von Federigo.

Wie genau das Mädchen sich doch die Schriftzüge des treulosen Freundes gemerkt hatte!

Leggete! rief Giulia ungeduldig, als Heinrich mit dem Erbrechen des Briefes zu zögern schien.

Lebhafte Röthe färbte ihre Wangen; der Brief konnte ja doch nur sie betreffen.

Heinrich entfaltete das Papier, das Mädchen sah zitternd vor Aufregung über seine Schulter auf die unverständlichen Zeichen nieder. Sie suchte nach einem Namen; sie musste ihn ja finden, wenn derselbe Giulia lautete.

Aber Heinrich schlug das Blatt um; auf der ersten Seite fand sich Giulia's Name nicht.

Heinrich überflog schweigend die zweite Seite.

Plötzlich rief Giulia freudig aus:

Ecco, ecco! Les't, les't!

Und sie wies mit dem Finger auf eine Stelle gegen Ende des Briefes.

Heinrich las und übersetzte:

– Und schreib mir, wie's der Giulia geht ...

Er las und stockte.

– Nichts Anderes? sagte das Mädchen, bitter enttäuscht.

Wohl standen noch die Worte: »dem närrischen Kinde« auf dem Papier, aber Heinrich unterdrückte sie. Statt aller Antwort warf er der Armen einen unendlich beredten, mitleidigen Blick zu.

Giulia verstand ihn nur zu gut.

Sie richtete sich hoch auf; schmerzverstört war der Ausdruck des Gesichts.

L'ingrato, der Undankbare! presste sie hervor.

Und mit einem tonlosen » Felice notte« entfernte sie sich, in der Haltung stolz wie eine Königin. –

Heinrich hatte schlimme Nächte und faule Tage.

Adolph's entschiedene Weise hatte seine Zweifel keineswegs völlig entwaffnet.

Mit ihnen lag er in Fehde die langen Stunden der Nacht hindurch.

Soweit machte sich aber auch der erquickungslose Halbschlummer geltend, dass er sich nicht zu klaren Gedanken und Entschlüssen durchkämpfen konnte.

Hirngespinnste und Traumbilder verflochten sich zu quälenden Schrecknissen. Und richtete er sich mit Gewalt auf, wollte er wachen und denken, um aus den verlorenen Stunden doch einigen Gewinn zu ziehen, so fielen ihm doch wieder licht- und schauensmüde die Augen von selber zu und die Glieder logen ihm Schlummerbedürftigkeit vor.

Gern überliess er sich diesem wohligen Gefühle, endlich sollte sich gesunder Schlaf einstellen.

Arge Täuschung! Wieder fand er es unbehaglich auf dieser, unerträglich auf jener Seite des Bettes; juckende Calori überzogen seinen Körper, Gedanken und Phantasie begannen den alten Veitstanz.

Er lernte sie kennen, die römischen Mittsommernächte.

Erst wenn der Tagesanbruch grauäugig in die Fenster glotzte, wenn der Fittig der Morgenfrische sich zu regen begann und die gefiederten Sänger in den Wipfeln und Büschen der Villa Ludovisi versuchsweise den ersten Ton ausstiessen, jetzt erst, da die Zeit zu einer herrlichen Morgenwanderung gekommen sein sollte, überkam Heinrich's gefolterten Geist und erschöpften Körper Ruhe und Schlummer.

Der späte Schlaf, der doch die Wohlthat der Nacht nicht ersetzte, brachte ihn dann um die schönste, die schaffensfreudige Zeit des Tages.

Er fühlte sich geistig und körperlich herabgestimmt; die Esslust schwand, aber ungebührlich dehnte sich die Siesta aus. Er verdämmerte drei, vier Stunden, eh' er, in Schweiss gebadet, völlig zu sich kam und nach einem Glas Limonade brennendes Verlangen trug.

Den blonden Maler hatte die Malaria angeweht.

Eine that- und widerstandskräftige Natur erwehrt sich ihrer – das aber war er nicht.

Für ihn musste der Antrieb von aussen kommen, sollte er seines Willens Zähigkeit, seine glänzenden Fähigkeiten entfalten.

Eines Vormittags – draussen brütete schwüler Scirocco und Heinrich hatte noch keine Lust empfunden, auszugehen – trat Giulia ins Zimmer.

Sie hatte ein offenes Buch in der Hand und schritt auf Enrico zu, wie eine Declamatorin vor's Publikum treten mag.

Ohne ein einleitendes Wort zu sprechen, fing sie ausdrucksvoll zu lesen an:

Cercò di refrigerio e di riposo
All' arse labbra, al travagliato fianco,
E trasse ove invitollo all rezzo estivo
Cinto di verdi seggi un fonte vivo ...

Held Tancred schleppt die kampfesmüden Glieder
Ins Wäldchen, das ihm Schatten beut und Kühle,
Die duft'ge Matte wählt er sich zum Pfühle,
Zur muntern Quelle steigt er lauschend nieder.

Doch plötzlich hält er, eilt und zaudert wieder;
Es wird ihm heisser als in Mittagsschwüle,
Selbst heisser noch als in dem Schlachtgewühle –
Tief athmet er und öffnet weit die Lider.

Clorinda steht, die Heidin, an dem Born;
Die Maid, die stolze, trägt die Panzerhülle,
Doch reich umringelt sie des Haares Fülle.

Nun schaut sie her und blickt auf ihn voll Zorn,
Und sieh, die Jungfrau-Heldin sprengt von hinnen,
Indess der Held noch staunt mit allen Sinnen ...

– Schöne Verse! rief Heinrich aus. Und aus welch' schönem Munde! musste er beifügen.

Er blickte auf das Mädchen mit Staunen und Wohlgefallen. Vom Feuer ihrer Begeisterung fühlte er einen Theil auf sich übergehen. Stand sie nicht vor ihm wie selber eine Heroine?

– Aber was sollen mir die Verse Tasso's? fragte er, als Giulia noch immer fest und erwartungsvoll den Blick auf ihn gerichtet hielt.

Malen sollt Ihr sie! rief die Römerin mit eindringlichem Ungestüm. Wie Tancred und Clorinda sich zum erstenmale begegnen, ist das nicht ein herrlicher Vorwurf?

– Aber wo find' ich eine richtige Clorinda? entgegnete er, indem ihm angesichts der bezaubernden Erscheinung kein besseres Wort einfiel.

– Ich werde Euch als Modell stehen, sagte Giulia mit Selbstgefühl.

Und das Auge des Malers musste befriedigt werden, indem es einen prüfenden Blick auf diesen stolzen Adel der Züge, auf diese Fülle nachtschwarzen Haares warf, obgleich Tasso ausdrücklich von » le chiome dorate al vento sparse«, also von goldblondem Gelock, spricht.

– Doch wie wird Euch, gute, schöne Giulietta, der Blick »voll Zorn« gelingen? fragte er lächelnd.

– Ich werde an Federigo denken, lautete die dumpfe Antwort.

– Und Tancred?

– Zu dem kann Euch Coppo stehen, sagte das Mädchen wieder lebhafter; er sieht mir nicht zu ähnlich, da er mein Stiefbruder. Er ist gut gewachsen und kann sich schon einen kriegerischen Ausdruck geben.

– Da fehlten uns also, fuhr Heinrich mit immer grösserer Antheilnahme fort, nur noch die Kleinigkeiten: das Gehölz mit dem Kühle und Labung spendenden Quell, das Schlachtfeld und im Hintergrunde die heiligen Mauern von Jerusalem.

– Zu dem Allen findet Ihr die schönsten Studien im Vallericcia draussen am Fusse des Albanergebirges. Als Brunnen kann Euch die Quelle der Egeria dienen, für das Gehölz werden Euch die reizendsten Baumgruppen die Wahl schwer machen; als Schlachtfeld nehmt die Campagna, und die Mauern Rom's können füglich einmal die von Jerusalem vorstellen ... Signor Enrico, sprach Giulia weiter, und ihre Stimme nahm einen ungemein weichen, wohlthuenden Klang an: Enrico, Ihr müsst arbeiten, das viele Denken thut nicht gut; Ihr müsst aufs Land hinaus ...

– Ich habe allerdings selbst schon daran gedacht, erwiederte der Maler kleinlaut; aber wo ist jetzt noch eine Wohnung zu finden?

– Lasst das meine Sorge sein, sagte das Mädchen entschlossen; in Ariccia lebt eine alte Verwandte, die tritt Euch ein Kämmerlein ab, und für meine Unterkunft braucht Ihr nicht besorgt zu sein.

– Wie, Giulia, rief Heinrich auf das Freudigste überrascht aus und getraute sich die Frage kaum zu vollenden: wie, Ihr wolltet mich begleiten?

Voi state poco bene, Ihr seid unwohl, Herr! erwiederte das Mädchen erröthend. Ich dächte, bis Ihr Euch wieder kräftiger fühlt ...

Heinrich ergriff dankgerührt ihre Hand, und sie wehrte sie ihm nicht.

Als die Beiden schieden, sagte Giulia für sich: Er ist aber auch gar nicht stolz.

Und Heinrich rief, indem er lebhaft das Zimmer durchschritt, das ein- und anderemal aus: Ein gutes, ein herrliches Geschöpf!

Die Vorbereitungen zur Uebersiedelung ins Albanergebirge wurden rasch getroffen.

Wo Giulia's Hand mitthat, ging Alles wohl von Statten.

Adolph war glücklich über den Einfall und Einfluss des wackeren Mädchens. Er wäre am liebsten selbst mit hinausgezogen; so sagte er wenigstens. Aber sein Thonmodell brauchte jetzt schon täglich dreimal nasse Umschläge.

Am Vorabend der Abreise fand noch ein kurzes, aber inhaltreiches Gespräch statt zwischen Coppo und Giulia. Letztere hatte vermuthlich noch einmal den festen Entschluss, den Fieberkranken zu begleiten, ausgesprochen, denn der Bruder wendete finster ein:

– Bedenk deinen eigenen Zustand ...

– Was Zustand? Bist du verrückt? Denkst du nicht besser von deiner Schwester?

– Verzeih, Schwester, aber ich dachte, Federigo ... du warst noch ein unerfahrenes Mädchen ...

– Und du?

– Lass dir sagen ...

– Basta! Ich gehe mit!

Coppo schlug sich mit der Faust vor die Stirn und brummte: War ich ein Narr! Jetzt versteh' ich den Vecchierello ... falls ich Grund hätte ... da giebts freilich keinen Grund ... doch es ist besser so als so.

Mit dem Vecchierello war wohl Adolph und dessen seltsamer Pact gemeint.

Als Heinrich schied, war Coppo gegen ihn weicher als gewöhnlich.

Perdono, Signor Enrico, sagte er, wenn ich nicht immer so artig und aufmerksam war, als ich sein sollte. Kommt uns nur bald und recht gesund zurück.

Heinrich wusste sich die Rührung des schönen, trotzig selbstbewussten Burschen nicht zu erklären.

Als der blonde Maler und seine schöne Begleiterin das Gefährt bestiegen, war es früh am Morgen. Man wollte die vierzehn Miglien noch vor Eintritt der drückendsten Tagesschwüle zurücklegen.

Kaum näherte sich der Wagen der Ruinenstätte des Forums, des Colosseums, des Palatins und des Circus Maximus, so holte Heinrich aus seinem Ueberrock ein beschreibendes Buch hervor, steckte tiefe Blicke in dasselbe und warf flüchtiges Augenmerk auf die ehrwürdigen Trümmer zur Seite. Es war, als wollte Jedes der beiden Wanderer die Reise völlig für sich machen, obgleich auf einem und demselben »Legno«.

So kam man vor die Porta S. Sebastiano, auf die Via Appia. Wo möglich zog sich die sonst so stattliche Gestalt mit dem Buche noch igelmässiger zusammen; dieselbe wollte auf der Fahrt in die freie, schöne Natur ganz Studium sein ...

Auf einmal fühlte Heinrich aber einen schallenden Klaps, das unartige Buch lag, den Händen entglitten, in seinem Schooss.

Er blickte auf und sah in Giulia's Gesicht, das herzinniglich lachte über den ausgeführten Streich.

Er sah das Mädchen zum erstenmale lachen.

Und wie erfrischend, wie ansteckend lachte der An- und Uebermuth aus diesen Zügen!

Wie hell die Zähne zwischen den Purpurlippen hervorblickten!

Jetzt merkte Heinrich auch erst, dass der sonnige Morgen angebrochen; er warf einen trunkenen Blick in die Weiten und die ganze Natur schien ihm entgegenzulächeln.

– Seid Ihr ein Gelehrter oder ein Künstler? sagte Giulia, und der reizende Unwillen musste selbst den Gram aufheitern. Wenn Ihr ein Maler seid, so haltet die Augen für die Welt offen und les't allenfalls Dichter ...

– Ihr habt Recht, schöne Giulia, und recht unhöflich war ich noch überdies. Doch seht, das schuldige Buch wird in den hintersten Winkel verbannt, und der schuldige Mann ...

– Wird mit mir schwatzen, damit uns Beiden die Zeit nicht lang werde.

Und so geschah es auch. Dem Maler ward leicht um's Herz wie schon seit Langem nicht mehr. Seine Lippen wurden sogar beredt; aber lieber, als er selber sprach, lauschte er doch dem süssen Geplauder seiner Gefährtin. Er liess sich von ihr die Legende vom Kirchlein »Domino, quo vadis« erzählen: wie Petrus sich aus Rom flüchten wollte; wie ihm da, wo jetzt die Capelle steht, der Heiland begegnet sei, mit dem Kreuze beladen; wie der Jünger ihn gefragt habe: Herr, wo gehst du hin? und wie Jesus mit vorwurfsvollem Blicke darauf zur Antwort gegeben, er wolle sich abermals kreuzigen lassen, da seine Sendboten nichts taugten; Petrus sei darauf muthig in den Tod gegangen.

Dann verfolgten Beider Augen die lang sich durch die Campagna hinstreckenden Bogen der Wasserleitungen, deren Ernst da und dort von einer wahren Cascade Epheus unterbrochen wird. Heinrich verglich sie mit den Kameelreihen einer die Wüste durchziehenden Karawane.

Giulia stellte die unschuldige Frage, ob er schon Kameele gesehen, und der Deutsche ertappte sich bei der peinlichen Wahrnehmung, wie viel er lediglich nach dem Buche zu beurtheilen und zu vergleichen gewohnt sei.

Als man zu dem Grabmal der Cäcilia Metella hinankam, diesem Quaderrundbau, der schimmernd weithin die Ebene beherrscht, blickte man nach Rom zurück – es war wie versunken, nur wenige Spitzen tauchten auf; die Peterskuppel aber durchbrach gross und mächtig die Linie des Horizonts.

Heinrich war heute besonders glücklich; wohin er sich wendete, entdeckte er werthvolle Motive. Jetzt eben blickte er einem Sechsgespann von dunklen Büffeln ins wildschöne Auge. Sie schleppten einen grossen Paperinblock, der, von eisernen Ketten unterfangen, kaum spannhoch über der Erde unter der Wagenbank hing.

Da die Sonnenstrahlen schief einfielen und bereits empfindliche Kraft entwickelten, machte man von dem drehbaren, schellenbehangenen Baldachin Gebrauch, mit welchem das ländliche Fuhrwerk versehen war. Man wendete ihn gegen die Sonne und hatte Schatten wie in einer Tempel-Cella. Schmal allerdings war der Raum unter dem Schirmdach, aber die beiden Reisenden waren sich nicht mehr so fremd, dass sie sich nicht willig aneinandergeschmiegt hätten.

Heinrich's Auge leuchtet; ihm ist, als flüstere ihm eine Stimme zu: Du ziehst durch die alte Gräberstrasse neuem Leben entgegen.

Ob er den Grabhügeln der Horatier und Curiatier wohl die gebührende Aufmerksamkeit zuwendete?

Angesichts des »Casale Rotondo«, eines antiken Rundbaues, auf dem ein Bauernhaus mit Stallungen und ein Olivengarten Platz gefunden, richtet er an die muntere Gefährtin die Frage:

– Würde es Euch in dieser Einsamkeit gefallen, Giulia?

– Warum denn nicht? lautete die Antwort; wenn man sich sonst glücklich fühlt.

Man langte noch zeitig vor der Mittagsstunde in Ariccia an. Als Giulia den Gast ihrer Verwandten, einer schlichten Matrone, vorstellte, entfuhr auch dieser der Ausruf:

Par' un angelo! Wie ein Engel!

Vergessen wir nicht, wie selbst Fiesole das blonde Haar der höchsten Ehre würdig erachtete. – – –

Er hatte geschlafen, lange und gesund geschlafen. Mit süssem Nachempfinden sagte sich's Heinrich am Tage nach seiner Ankunft.

Er fühlte sich schwach, gleichwohl war sein Zustand ein anderer als die zunehmende Mattigkeit in Rom.

Früher waren Körper und Geist in Trägheit verfallen, hatten jede Auffrischung eher abgelehnt als begehrt, hatten gleichsam sich selbst aufgegeben. Jetzt war neuer Hunger und Durst über beide gekommen und nur die zögernde Sättigung liess noch ein Schwächegefühl übrig. Schon ragte der Muth über die Kraft hinaus, und letztere hatte dagegen das Begehren, nicht länger zurückzubleiben. Die Umwandlung war eine ebenso sichtliche als erfreuliche. Denjenigen wird sie nicht Wunder nehmen, der weiss, dass selbst die gefährlichste Fieberform, die Perniciosa, nicht selten wie ein verscheuchtes Gespenst weicht, sobald der Patient die Thore Roms und die Campagna hinter sich hat.

Der erste Gang beschränkte sich auf das Weichbild des Bergstädtchens.

Der Palazzo baronale der Familie Chigi mit dem mächtigen Erdgeschoss übte einen stolzen Eindruck aus. Die Kirche, welche die Abendseite des Platzes einnimmt, täuschte durch die Grossartigkeit der Formen zu ihrem Vortheile über die räumlichen Verhältnisse. Das nördliche Albano liegt so nahe, dass man hinüberrufen könnte und verstanden werden müsste, aber eine wilde, tiefe Bergschlucht trennt die beiden Schwesterstädte.

Das Auge blickt in diesen Spalt wie in einen finsteren Abgrund, denn was ihn, von der östlichen Berglehne sich herabziehend füllt, ist eine Waldwildniss, der Orto di Mezzo, darin laut letztwilliger Verfügung kein Stamm oder Stämmchen gefällt werden darf.

»Seltsamer Einfall«, dachte sich Heinrich, »hier einen Urwald züchten zu wollen.«

Wie die meisten Akropolen, scheint auch Ariccia aus dem Felsenkegel, der es trägt, emporgewachsen, aus ihm herausgemeisselt worden zu sein.

So etwa haben sich an der Oberfläche eines Steines Krystalle angesetzt.

Die Häuser haben einfache Linien, stehen eng aneinander gedrängt und übergiebeln eines das andere. Ihre Farbe ist, als hätten sie mit dem Berge gleichmässig gealtert.

Heinrich verfolgte die Höhen, welche allmälig zum Monte Cavo ansteigen, und sah dann wieder zum Waldgürtel nieder, welcher den Fuss des Bergkegels umsäumt. Formen und Farben versprachen dem Landschafter reichliche Ausbeute.

»Ich pflichte dem Plutonismus bei,« philosophirte er für sich, »schon aus Schönheitsrücksichten. Nur Feuersgewalt kann diese schöne Höhenwelt emporgetrieben haben. Allerdings«, berichtigte er sich selbst wieder, »musste auch Neptun das Seinige beitragen. Als die Krater ausgebrannt waren, füllte er die leeren Becken mit Höhe und Himmel spiegelnden Wassern«.

Als Heinrich in seine Herberge zurückkehrte, standen Schweisstropfen auf seiner Stirn; die Wangen waren noch bleich, aber die Lippen waren es nicht mehr.

Giulia hatte für einen leichten Imbiss mit kräftigem Vino de' Castelli gesorgt.

Während desselben stellte das Mädchen mit wirthlichem Sinn die Frage an den Gast, wie er es wohl mit dem Frühstück oder dem Mittagsmahl zu halten gedenke, wenn er einmal da oder dort, entfernt von der Osteria, mit Aufnahmen nach der Natur beschäftigt sein würde und die günstigen Stunden, das gute Licht ausnützen müsste.

Heinrich gestand, daran noch gar nicht gedacht zu haben. Allerdings könne er von der Arbeit, wenn sie im besten Zuge sei, nicht ablassen, um eine halbe Stunde nach einem Schluck Wein oder Bissen Brod zu wandern. Er werde sich wohl mit etwas Mundvorrath versehen müssen, wie er dies bei ähnlichen Gelegenheiten auch sonst gethan.

Aber Wein und Wasser, meinte Giulia, werde warm, Brod und Käse ungeniessbar werden. In den nächsten Tagen werde er seine Studien schwerlich schon beginnen können; sobald dies aber geschähe, wäre sie gern bereit, ihm zur rechten Zeit etwas Rechtes zukommen zu lassen.

Es kommt alles auf den richtigen Anstoss an. Heinrich überholte das fürsorgliche Mädchen mit der Bitte, es möchte den Haupttheil der Wirthschaftssorgen, der so ziemlich Alles, mit Ausnahme von Kaffee und Knaster, umfasste, auf sich nehmen. Und Giulia sagte zu. –

Mit dem nächsten Morgen brach ein Sonntag an, der noch überdies ein Liebfrauentag war. Da strömte viel festliches Volk auf dem Platze des Städtchens zusammen.

Es kamen Gäste aus dem Norden von Grotta Ferrata, Marino, Gandolfo und Albano; aus den südlichen Nachbarorten Genzano, Nemi, Civitá Lavigna und Velletri; selbst Monte Campatri, Rocca Priore im Rücken des Monte Cavo hatte seine Leute entsendet, um der Assunta in Ariccia und der Madonna di Galloro auf dem nahen sammtgrünen Bühl, der sich mit seinem Kirchlein vom Kastanienhain im Hintergrund so einsam-feierlich abhebt, einen Besuch abzustatten.

Alle die theils lieblichen, theils trotzigen Ortschaften, welche im engeren und weiteren Kreise, einer doppelten Perlenschnur vergleichbar, den merkwürdigen Gebirgsstock umschlingen, schienen sich hier ein Stelldichein gegeben zu haben.

Und zu denen von den Bergen gesellten sich kleine Schaaren, die, von den Küstenstädtchen Nettuno und Porto d'Anzo kommend, die Campagna durchzogen hatten, der schaulustigen Römer gar nicht zu gedenken.

Da brachte ein kleines Wägelchen junge fröhliche Gestalten, die sich, theils sitzend, theils stehend und sich umschlingend oder an den Armen haltend, zur lieblichsten Gruppe aufgebaut hatten.

Und auf eines Eseleins Rücken hält ein Paar Geschwisterchen seinen Einzug, das Büblein vorne, das Mädchen, gleichfalls rittlings, hinter ihm – wie nur die kleinen Wesen hinaufkommen konnten?

Heinrich sass im Caféhaus und blickte aufs bunte Leben des Platzes hinaus.

Er hatte das Skizzenbuch aufgeschlagen, und nicht minder beschäftigt als sein Auge war der Stift in seiner Hand.

Erst suchte er typische Gestalten und Trachten festzuhalten: hier das Mädchen aus dem Saccothale mit den aufgenestelten Sandalen, dort die Küstenbewohnerin mit dem Käppchen, dem Kopf- und Halsschmuck einer Saracenin; dann die Schöne aus Albano drüben mit dem brennendrothen Leibchen und dem Kopftuche, das gleich weissen Schwingen den Nacken beschattet; dann die behäbige Pächtersfrau, deren blendendes Umhängtuch ebenso reich gestickt als Hals und Finger mit schwerem Golde überladen ist; oder jene Tochter der Abruzzen, die an die Hexe von Endor erinnert und deren Kleid aus einem einzigen, seltsam um den Körper geschlagenen, dunkelstreifigen Stück Zeug zu bestehen scheint.

Aber die Mannigfaltigkeit, der Wechsel ermüdete bald des Malers Hand.

Er gab es auf, nach dem Eigenartigen zu spähen, und vereinigte alle Aufmerksamkeit auf das Schöne.

Im Vordergrunde standen drei Mädchen in lebhaftem Geplauder begriffen.

»Wahrhaft ländliche Grazien!« sagte sich Heinrich und wendete das Auge nicht mehr von ihnen.

Zweien konnte er ins Antlitz sehen, und Züge und Gestalt dem Buche einzuverleiben, liess sich der dienstfertige Griffel angelegen sein.

Aber die Dritte hielt sich hartnäckig abgewendet. Kaum dass unter dem schneeigen, weit auf den Nacken niederreichenden Schirmtuch eine der vollen, dunklen Flechten sichtbar wurde.

»Nur ein Bischen Profil!« schien des Künstlers Blick zu flehen.

Aber es blieb ihm versagt. Und doch, wie schön musste das Antlitz sein, sollte es mit der Gestalt im Einklange stehen! Er zog die Linien sorgsamer, er glaubte es der Fürstin unter den Dreien schuldig zu sein. Sie überragte die Andern, sie übertraf sie an edlem Wuchs, an Würde der Haltung. Der rechte Arm war leicht in die Seite gestemmt, die Hand von der Hüfte ab zierlich nach auswärts gebogen. Das tiefgrüne Kleid, das dunkelkirschrothe Mieder, die hellere Schleife an dem gestickten Achselblatte des bauschigen Hemdärmels, Verbrämung und Aufputz, Wahl und Mass der Farben, Alles zeugte von einem feineren Geschmacke.

Heinrich besah das Blatt, aber die Zeichnung wollte ihn nicht befriedigen.

Er blickte wieder durchs Fenster, und unwillig wie freudig überrascht rief er aus: »War ich denn blind bis zur Stunde?«

Die schöne Unbekannte hatte sich zum Gehen gewendet – es war Giulia.

Erst nachdem der Hausgenosse hinter den Künstler zurückgetreten, wurde Heinrich völlig der äusseren Erscheinung des Mädchens gerecht, in dessen Herz er schon manchen Blick gethan hatte und dessen Gesicht selbst der Neid schön finden musste.

Es litt ihn nicht länger im Café. Er eilte nach Hause, ins Zimmer der Matrone, er wollte Giulia sehen, so wie sie draussen stand als die Herrlichste der Schönen. Er war sich eines Unrechts, eines langen Versäumnisses bewusst und ahnte zugleich freudig, wie lieb und theuer seinem Herzen werden könnte, was gleichsam sein künstlerischer Blick erst entdeckt hatte. In seine artistische Bewunderung strömte Herzenswärme über.

Er traf die Gesuchte; sie war noch im vollen festlichen Schmucke, sie schien ihn erwartet zu haben.

Zu jeder anderen Stunde hätte er ihr Artigkeiten über ihr Aussehen sagen können, wohlverdiente.

Jetzt aber fühlte er zu tief. Es hätte denn ein ganzes, volles Wort sein müssen. Das war aber noch nicht gereift. Daher mochten seine Blicke wohl beredter sein als seine Lippen.

Giulia machte den Vorschlag: falls er sich an dem Treiben auf dem Platze satt gesehen habe und davon nicht zu ermüdet sei, könne man vor Mittag noch einen Spaziergang ins Thal hinab unternehmen; es wehe frische Seeluft, sie wolle ihm den Weg an der Schlucht hinunter zeigen, welchen, als den kürzeren, er oft werde betreten müssen, wenn er einmal seinen Studien nachginge; es könne ihm leicht schon auf diesem Gange etwas Rechtes aufstossen, und wenn man den Rückweg auf der Fahrstrasse antrete, so könne man bequem einen Blick nach der Fiera werfen, die ihren Kram auf dem grünen Anger hinter dem Palazzo ausgelegt habe.

Heinrich ging hocherfreut darauf ein.

Durch schmale, russige Gässchen kam man bald zu Häusern, die mit der grösseren Hälfte im lebendigen Felsen stecken geblieben zu sein schienen.

Von da schlängelte sich der Fusspfad steil hinab zwischen emporragendem Gestein und halb verdorrtem Gesträuch.

Giulia schritt voran, leicht wie ein Hirtenmädchen der Berge. Der Wind verfing sich in ihrem Kopftuche und wehte dessen blendende Enden dem nachfolgenden Maler zu. Wo der Steig einen Absatz bildete oder eine jähe Wendung machte, streckte die Führerin weisend und wie sie zur Stütze darbietend ihre schöne Hand aus. Was sich dem Auge des Künstlers früher als edle Haltung, schöne Ruhe dargeboten, war hier zu anmuthiger Bewegung, zu herrlichem Rhythmus geworden.

Das Wäldchen, welches die Beiden nun betraten, besäumt die Strasse zwischen Albano und Ariccia. Es ist ein bevorzugtes Fleckchen Erde.

Für den Wanderer ein lieblicher Schattengang, zeigt es dem Alterthumsfreunde ein uraltes, mächtiges, mit fünf stumpfen Kegeln gekröntes Quaderndenkmal, lässt ihn die Cella eines Dianentempels finden, führt ihn auf den Hügel, welchen, seit Virbius von seinen Rossen ins Verderben gerissen worden, keines Pferdes Huf betreten durfte, und leitet ihn zu sagenumsponnenen Quellen.

Der Naturforscher gelangt auf diesem Wege knapp an eine Bodenbildung, welche einen alten Krater verräth, der später, wie dies noch an dessen jüngeren Brüdern in der Nähe zu sehen ist, in einen See überging, welch' letzterer hier aber längst einer fruchtbaren Ebene gewichen ist.

Die reichste und frischeste Ausbeute aber gewährt dieses kleine Waldthal dem Künstler, dem Landschafter. Es ist für ihn ein Schatzkästlein von Motiven, sowohl was den Baumschlag, als auch was das einfallende Licht, das Gestein, die wechselnde Stimmung, Staffage und Hintergrund anbelangt.

Heinrich betrat zu guter Stunde dieses kleine Tempe. Alle seine seelischen und geistigen Kräfte hatten ja heute Schwung gewonnen, seine Empfänglichkeit war eine gesteigerte. Was den Künstler zum Schaffenden, zum Schöpfer macht, sind diese seltenen Augenblicke geistiger Empfängniss. Geburt und Reife des Werkes hängt später von Zeit und fördernden Umständen ab.

Kein Wunder also, dass der junge Meister an der Seite des kundigen Mädchens bald da, bald dort hielt und Bilder aufdämmern sah, in welchen diesem Licht, diesem Stamme, dieser Gruppe ihre Stelle angewiesen war. Viele Festgäste zogen vorüber, er bemerkte sie kaum.

Er hat auch kein Auge für das eleganteste Pärchen, das von Albano her naht, steht er doch eben vor einer Felsenhöhle, die eine abenteuerliche Staffage im Geschmack Salvator Rosa's geradezu herauszufordern scheint.

Giulia aber hatte verwundert auf die Kommenden geblickt; sie breitete die Arme aus und rief:

– Lucia, du hier?

Den Begleiter des Mädchens kennen wir ... es ist der französische Akademiker Mr. Charles.

– Ja sieh, flüsterte Lucia während der Umarmung ihrer Freundin zu; er ist wieder zu mir zurückgekehrt. Wie bin ich glücklich. Und das ist dein Werk; du hast ein gutes Herz, Giulia, du hast ein gutes Wort für mich eingelegt; die Madonna segne dich dafür ... ich weiss Alles.

Nun näherte sich auch Charles flüsternd, und mit einem Seitenblick auf Giulia's sinnenden Gefährten bemerkte er lächelnd:

– Hab' ich's Euch, schöne Ariadne, nicht gesagt? Blond ist der Gott, blond muss er sein!

Giulia erröthete, nahm aber den Scherz nicht unwillig auf. Sie war munter genug, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten, indem sie sprach:

– Ei, was seh' ich, Signor Carlo? Die Narbe am Halse ist ja so gut wie verschwunden! Aber vor dem Witterungswechsel nehmt Euch in Acht! fügte sie hinzu und erhob warnend den Finger.

Die beiden Künstler kannten sich nur oberflächlich; das hinderte gleichwohl nicht, dass sie gemeinsam das Wäldchen durchkosteten.

Die Freundinnen liessen die Männer voranschreiten.

Lucia hatte Heinrich gemustert und that die unverblümte Frage:

– Giulia, ist das der Deine?

– Was fällt dir ein? war die abwehrende Antwort, welche der Vorlauten gleichwohl nicht das Zünglein band. Dieselbe fuhr vielmehr fort:

– Ei, warum denn nicht? Er ist ein hübscher Mann, sieht aus, als wenn er gar nicht alt werden könnte. Allerdings ein Bischen zu fromm, wenigstens nach meinem Geschmack. Es lässt sich gewiss gut auskommen mit ihm, aber ich mein', er könnte mir weder angst noch heiss machen.

– Wie du nur so reden kannst ...

– Geh, du bist doch auch kein Kind mehr. Carlo kann mich bodenlos unglücklich machen, aber dafür auch, o, du ahnst gar nicht ...

– Und wenn er dich wieder verlässt?

– So werd' ich meine Augen trocknen und mir mit Stolz sagen: Zweimal war er mein, und ich habe ihn länger besessen als alle Uebrigen zusammengenommen.

– Du bist leichtfertig geworden, Lucia, sagte Giulia verlegen und verletzt.

Als man zur Stelle kam, wo sich der Weg zum Städtchen aufwärts windet, gingen die Mädchen voraus.

Heinrich sah ihnen nach und hatte in diesem Augenblick kein Ohr für die Worte des Franzosen.

»Ist sie doch«, dachte er für sich, »neben der Andern gleich einer Lilie im Thale, in reiner Thau- und Morgenfrische!«

Die würdige Matrone hatte für den Festtagstisch unerwartet zwei Gäste mehr bekommen. – –

Heinrich begann seine Aufnahmen im Wäldchen unten, nahe bei der Schlucht, aus welcher der Bergkegel mit dem Städtchen emporsteigt.

Schon der erste Tag seiner Studien brachte ihm eine liebliche Ueberraschung.

Er blickte um die Stunde, da er die Zeit zur Collazione gekommen glaubte, erwartungsvoll den Fusspfad hinan. Er sah Giulia kommen mit einem kleinen Handkorbe. Ohne Zweifel, sie selbst wollte das wohlthätige Wesen sein, welches in seine Einsamkeit Gruss und Labsal brachte. So hatte er das hauswirthschaftliche Uebereinkommen keineswegs gedeutet; er sah sich überlistet und zwar auf die zarteste, opferwilligste Art.

Giulia lächelte des Künstlers ablehnende Bedenken hinweg und meinte, wer einen sicheren Boten schicken wolle, müsse selber gehen.

Sie brachte Schinken mit frischen Feigen, eine Foglietta Wein, Brod und Wasser. Sie hatte sich theilnahmsvoll nach seinem Befinden erkundigt, sie blickte aufmerksam auf die begonnene Arbeit, sie sprach bescheiden von ihren eigenen Verrichtungen, lauschte seinen Worten, ob sie denselben nicht doch noch einen Wunsch abzumerken vermöchte, und schied freundlich, wie sie gekommen war.

Heinrich blickte ihr nach; er hätte ihr nachrufen mögen.

Wenigstens noch einen ihrer grossen, ihrer so ruhig heiteren Blicke hoffte er zu erhaschen – doch sie zog ihres Weges frei und magdlich zugleich.

Es kostete ihn einen moralischen Ruck, um wieder Sammlung für die Arbeit zu gewinnen.

Von nun an erwartete er die Labestunden mit Ungeduld; eine Erregtheit bemächtigte sich seiner, deren er sich geständig sein musste, so gern er sie in Abrede gestellt hätte. Er bewegte sich unruhig auf seinem Feldsessel und irrte vom Reissbrett seitwärts ab mit seinen Blicken, bis das Mädchen nahte und die einfallenden, spielenden Lichter, jedes für sich, der lieblichen Erscheinung habhaft zu werden suchten.

Giulia blieb sich gleich; ihr Auftreten war ebenso gefällig als sicher. Sie gab sich nicht als Magd, noch weniger liess sie fühlen, dass sie Wohlthaten spende.

Schied sie, so folgten ihr wieder lange des Meisters Gedanken nach.

Deutsche Frauen, deutsche Treue!

Das ging ihm oft durch den Kopf und mancherlei Betrachtungen knüpften sich daran.

»Treue! Muss sie nicht jeder Mann selbst erproben? Und auch verdienen, wenn er sie beansprucht. Was die Frauen ziert, was sie uns werth macht, im Wesen ist's doch überall dasselbe. Was hätte ein deutsches Mädchen vor Giulia voraus? Sie ist sittsam ohne Ziererei, sie hat ein gutes Herz, ein heiteres, starkes Gemüth. Und was für ein gesundes, welch herrliches Urtheil! Dazu der echt weibliche Zartsinn, diese Feinfühligkeit, die uns erräth, ohne sich einzubilden, uns zu überschauen, die unseren Wünschen zuvorkommt und sich nichts darauf zu Gute thut, und die selbst das Erwartete in angenehme Ueberraschungen kleidet ... Bildung? Sie liest ihren Tasso, fühlt und versteht seine Schönheiten. Und vor jener Bildung, die das Herz leer lässt und noch viel weniger in körperlicher Anmuth ausklingt, möge sie der gütige Himmel bewahren.

Puh, gedenk' ich jener Landsmännin, die Schiller und Lessing im Munde führte und dabei so widerlich eckig mit Messer und Gabel hantierte und so schlingend frass, wie eine Aeffin! ... Genügsamkeit ist unter diesem Himmelsstrich heimisch. Eines Künstlers Weib muss Sinn und Empfänglichkeit für sein Planen und Schaffen haben. Und welche hätte hierfür mehr Verständniss als Giulia? Die Kunst ist kosmopolitisch; wo Schönheit blüht, ist ihre Heimat. Ich bin zudem frei, und das weiss Gott, kein blaues Auge blickte sonderlich mildthätig und liebreich in mein Leben, seit sich das meiner Mutter geschlossen hat. Giulia ist schön, sie ist die Anregung, die Inspiration, die Muse selber, und sie ist, was mir vielleicht am meisten fehlt, beherzten Wesens ...«

Das Alles sagte sich Heinrich. Bis zu diesem Punkte führte ihn folgerichtiges Denken. Darüber kam er aber auch nicht hinaus, denn dazu hätte es zweier Schritte bedurft: vom Denken zum Entschluss, vom Entschluss zur That. –

Die Ausflüge erstreckten sich weiter und weiter. In Albano finden sich Jahrtausende alte Trümmer, zwischen welchen sich die Hütte des bescheidensten Bedürfnisses, der genügsamen Alltäglichkeit hineingeflickt hat.

Im Laubgang, welcher nach Castel Gandolfo hinanführt, stehen Patriarchen von Steineichen, unter deren Schatten, wie jetzt rothe Eminenzen, einst weltgebietende Cäsaren vorüberzogen.

Im Albanersee spiegelt sich das päpstliche Landschloss und die niedliche, blanke Kuppel der Pfarrkirche von Gandolfo, während gegenüber der Monte Cavo ansteigt.

Während Heinrich am schattigen Gestade arbeitete, hatte sich Giulia unter dem riesigen gastlichen Laubdache vor der Capuzinerkirche niedergelassen. Sie war diesmal nicht, nachdem sie den Imbiss gebracht, schnellfüssig wieder nach Hause geeilt; sie konnte dem friedlichen Farbenspiele des Wassers, den frühlingsgrünen Ufern, der feierlichen Ruhe ringsum nicht sobald den Rücken kehren.

Des Malers Blicke hatten ebenso weit, wie zur schönen Kuppel, zum schönen Antlitz des Mädchens hinüber, und sie waren oft unterwegs von jener zu diesem.

Des Papstes weisse Gestalt wandelte im Schatten der oberen Allee vorüber; ihm zur Seite schritten Prälaten, ein Reitertrupp der Nobelgarde folgte; der einsame Wanderer, welcher dem Zuge begegnete, sank in die Kniee.

Giulia hatte wohl bemerkt, dass auch Heinrich dem heiligen Vater die übliche Verehrung bezeigte; auf dem gemeinsamen Heimwege begann sie daher:

– Signor Enrico, Ihr seid also ein Christ?

– Ja, schöne Giulia.

– Ihr macht das Kreuz, glaubt an die Madonna und geht in die Messe wie wir?

– Ja, erwiederte der Maler lächelnd, wenn's auch nicht zu oft geschieht.

– Federigo that dies Alles nicht.

– Er ist Protestant.

– Dacht' ich mir's doch gleich, dass er kein Christ ist, folgerte das Mädchen.

Heinrich fand diese Beschränktheit des sonst so klugen Mädchens allerliebst.

Wie hätte er je denken sollen, dass er so nahe bei der päpstlichen Residenz auf so unvergleichlichen Pfaden Veranlassung finden würde, einem schönen Kinde die Unterschiede zwischen den christlichen Bekenntnissen darzulegen?

Der schulgerechte Denker ging freudig daran, erlitt aber eine völlige Niederlage. Denn nachdem er haarscharf die Grenzen gezogen und die aufmerksamste Zuhörerin gehabt, langte Letztere gleichwohl wieder bei ihrem Ausgange an:

– Also ist er doch kein Christ!

Ja, wenn er zum Gefühl gesprochen oder seine Gedanken mit anschaulicher Bildlichkeit umkleidet hätte! – –

Ueber die herzens- und schaffensfreudige Idylle legte sich allmälig ein trübender Schatten.

Heinrich stellte seine weiteren Ausflüge ein und zog sich auf sein Stübchen zurück, indem er vorgab, er wolle seinen Studien nachhelfen, so lange die empfangenen Eindrücke noch frisch seien.

Er konnte eine eigentümliche Verlegenheit nicht verbergen, so oft er Giulia und der Hauswirthin unter die Augen trat. War er allein, so fuhr er manchmal unwillig auf und brummte vor sich hin:

– Dass mir so etwas geschehen muss! Und gerade jetzt, und gerade diesen guten Leuten gegenüber!

Häufiger als früher eilte er ins Café hinüber, wo bisher die an ihn gerichteten Briefe abgegeben worden; aber Tag auf Tag verging und immer verdriesslicher legte er diesen Weg zurück.

Und Giulia? Sie, die so Feinfühlige, schien kein Auge für den Kummer des Gastes zu haben. Sie war heiter und freundlich wie sonst, sie versah den Tisch wie sonst, sie besorgte die Wäsche wie sonst, und ihre Aufmerksamkeit hatte bei alledem nichts Aufdringliches oder Zutäppisches.

Aber gerade diese schonende Zurückhaltung, welche dennoch um nichts die frühere Theilnahme verminderte, steigerte noch für Heinrich das peinliche Unbehagen. Eine klare Auseinandersetzung, selbst eine etwas heftige, wäre ihm lieber gewesen; doch selbe durch ein beschämendes Geständniss herbeizuführen, das konnte er nicht über sich gewinnen.

Il poveretto, sagte Giulia gelegentlich zur Matrone; er grämt sich, als ob dies, so fern von den Seinen, nicht Jedem begegnen könnte. Er kennt uns doch noch nicht recht.

Aber für den Beunruhigten selbst hatte sie kein derartiges Wort; sie hätte gefürchtet, ihn damit zu verletzen.

Endlich sollte Heinrich wieder erleichtert aufathmen. Ein Schreiben war angelangt, das ihn lebhaft befriedigte.

Gleichwohl entsiegelte es keineswegs seine Verschlossenheit. Die Unruhe hatte sich eher gesteigert, als verloren. Er sass wenig über seinen Studien, sondern durchmass sein Stübchen mit raschen Schritten, was er meist that, wenn sich für seine Gedanken kein rechter Abschluss finden wollte.

Bei dem nächsten Morgengrauen sehen wir ihn heimlich das gastliche Haus verlassen.

Er schaut sich besorgt das ein und anderemal um, eh er aus dem kleinen Gässchen biegt.

Als er den Felsenpfad betritt, auf dem Giulia seine Führerin gewesen, seufzt er auf und sein Schritt hält wie reuig-zögernd inne.

Aber weiter, weiter treibt es ihn, wie ein gehetztes Wild. Er fürchtet den verrätherischen Sonnenstrahl; eh purpurn sich der Osten säumt, will er bereits ein Stück Weges auf der staubigen Via Appia zurückgelegt haben und den Nachspähenden als ein unkenntlicher Punkt erscheinen. Was hat er vor, der Flüchtling?

Er schreitet wacker aus.

Der Ueberrock, den er aufknöpft, lässt den Salonfrack gewahren.

Schnurgerade führt ihn die Strasse Rom entgegen; aber bis er das nächste Thor erreicht, ist die Augustsonne längst herauf. Wie wird er schwitzen, der arme Läufer.

Welchen Eindruck aber wird Heinrich's Flucht auf Giulia ausüben.

Sie ist sich über ihre Gefühle für ihn noch gar nicht klar geworden. Vor Monaten, in ihrer krankhaften Ueberreiztheit, hatte sie ihn in Wahrheit als Bürgen für den treulosen Friedrich betrachtet. Sie hielt ihn für so schlecht als Jenen, sie umgab ihn mit Argwohn; als Opfer der Rache wäre ihr sein Haupt kaum zu theuer gewesen, wenn nicht bereits sein erstes Erscheinen auf sie versöhnend und gewinnend gewirkt hätte.

Er hatte ihr Rachegefühl mit Mitleid versetzt; dafür suchte sie ihm zu grollen, ihn geringschätzig zu behandeln. Aber seine Arglosigkeit, sein edles, zartes, zufriedenes Wesen entwaffnete sie.

Nicht nur das, sie sagte sich, dass sie unschön an ihm gehandelt habe, und das wollte sie ihn durch Theilnahme und Eifer für sein Wohl entgelten lassen.

Als er krank wurde, war ihre Sorge eine aufrichtige, und seine Unbeholfenheit rührte sie. Um ihn aufs Land begleiten zu können, überredete sie sich und die Ihrigen, dass sie noch ein Recht auf ihn habe.

An seiner Seite lernte sie Friedrich verschmerzen und die erste Herzensverwirrung unbefangen beurtheilen; sie gewann ihre Heiterkeit wieder, sie hatte eine Thätigkeit, eine Aufgabe, darin sie ein Genüge fand; sie fühlte, dass sie einem braven, tüchtigen Manne etwas sei.

Ob sie ihn liebe, ob er sie wieder liebe: diese Frage hatte sie sich noch nicht gestellt; aber sie waltete an seiner Seite in der stillschweigenden Voraussetzung, dass es nicht anders werden sollte. Gesunde, schöne Naturen wirken aufeinander, noch eh' sie sich's bewusst werden.

Und nun?

Als Heinrich zur gewöhnlichen Stunde nicht zum Vorschein kam, als es noch immer ruhig blieb in seiner Stube, als Giulia endlich eingetreten war und das Geräthe ohne den Meister, die Habe ohne den Herrn fand, da stand sie wie erstarrt; ihr war, als öffne sich ein dunkler Abgrund vor ihren Augen, als erfasse sie der Schwindel, um sie hinab zu stürzen.

– Auch er? stöhnte sie, und herb und schmerzhaft zuckte es um ihre Lippen.

– O, Madonna, sind sie denn Alle falsch? schrie sie auf und schlug die Hände zusammen und blickte empor mit dem Ausdrucke masslosen, bittersten Erstaunens.

Nicht Wuth, nicht Zorn befiel sie; ihre Augen brannten, aber keine Thräne entrang sich ihnen. Ihre Füsse zitterten; sie liess sich nieder, sie griff sich an die Stirn, aber sie konnt' es nicht fassen.

Ihr that's so weh im Herzen, so weh; sie hätte sich's am liebsten herausreissen mögen.

– Ist's denn möglich? fragte sie sich und wollte denken, aber sie hatte keine Gedanken.

Sie stand auf und musterte mit verlornen Blicken Heinrich's Sachen.

Sie kamen ihr alle fremd vor; die schönen Bäume, die er aufgenommen, sie kannte sie nicht wieder, und das Licht, welches so golden durch die Zweige brach, däuchte ihr bleich und traurig. Jetzt horchte sie auf, und eilig, als fürchte sie überrascht und beschämt zu werden, brachte sie die Sachen wieder, wie sie meinte, in die alte Ordnung; sie schloss sachte die Thür und trat wie erwartend vor's Haus.

Die Luft wehte ihr frisch entgegen und sie fühlte kalte Schweisstropfen auf der Stirn. Aber die Sonne that ihren Augen weh.

Bescheiden, gesenkten Hauptes ging sie in die Stube der Matrone und setzte sich still in den dunkelsten Winkel. Er konnte ja von einem Morgenspaziergange zurückkommen und sollte nicht merken, wie bange sie ihn erwartet habe.

Sie nahm das Strickzeug. Es entglitt ihren unthätigen Händen und fiel ihr in den Schoss; doch sie gewahrt' es nicht.

Ueber eine Weile machte sie sich über das Körbchen her, aber ebenso plötzlich hielt sie wieder inne, als ob sie sich erst fragen wollte:

»Was lege ich wohl heute dem Freunde zurecht und wohin bringe ich es ihm?«

Die alte Frau hatte lange dem Gebahren Giulia's voll Mitleid und Schonung zugesehen.

Jetzt trat sie auf das Mädchen zu, schloss die Erschrockene in ihre Arme, zog sie zu sich auf einen Stuhl nieder und begann mütterlich sanft:

– Giulietta, figlia mia, ich weiss, wie es dir ums Herz ist, und verdenk' es dir nicht. Bin auch einmal jung gewesen, und da machen einem Herz und Augen viel zu schaffen. Wollte Gott, die armen Dingerchen von Mädchen hätten es immer mit so braven jungen Männern zu thun, wie Sor Enrico einer ist! Ich selber könnt' ihm nicht anders als gut sein, und mir sind doch viele Menschen untergekommen ... Warum denn gleich so kleinmüthig, Närrchen? Du wirst ihn wieder sehen, das ist die geringste Sorge. Er ging mit leeren Taschen nach Rom und kehrt mit vollen zurück. Hättest dir's selber denken können, du weisst ja, wo ihn der Schuh drückte. Aber so ist das junge Volk. Wenn das Herz wächst, geht der Verstand durch. Das Herz ist mit seinem Vertrauen ein Verschwender oder ein Geizhals – beides am unrechten Fleck. Ich hörte ihn, wie er sich anzog, wie er leise die Thür öffnete, wie er sich davon schlich; es kam ihm schwer genug an, dem guten Jungen. Unsereins schläft wenig, dafür kommt es aber auch mit den Gedanken weiter.

Also, dass ich dir's sage, das ist die geringste Sorge. Du wirst ihn wieder sehen. Was aber dann, mein liebes Kind? Er ist nicht mehr leidend, er kennt Weg und Steg; wirst du ihm auch dann noch das Essen zutragen, warten bis er die Arbeit beendet, und durch Busch und Wald mit ihm heimkehren?

Das ist kein Vorwurf, mein Engel. Du bist ein braves, standhaftes Mädchen, ich weiss es. Du thatest es aus gutem Herzen und die Madonna wird es dir lohnen. Aber wie das Sprichwort sagt: Wer viel mit Fremden verkehrt, verliert daheim den Markt!

Du weisst doch nicht, wer dir beschieden ist. Du bist schön, bist gut und brav und wirst glücklich werden. Aber durch wen? Das weiss Gott und die Madonna. Das Mädchen muss sich wahren und harren, bis der Rechte kommt. Enrico wird wissen, was er zu thun hat. Wenn er nun aber käme und sagte: Ich dank' Euch für alles Liebe und Gute, es sei Euch droben gut geschrieben; aber ich sehe, dass es so nicht länger gut thäte, und will der Sache ein ehrliches Ende machen – was thäte dann wohl meine liebe Giulietta? Sie würde stark und verständig sein, das weiss ich ...

So sprach die Matrone.

Es klang nicht durchweg wie eitel Trost, aber es brachte Giulia auf richtige Gedanken.

Sie sah nun nicht mehr lediglich Lug und Trug in der Welt und sich ohne Halt darin. Ihr ahnte von einem Scheiden durch Notwendigkeit und ohne Schuld, und von schmerzlindernden Thränen flossen ihre Augen über.

Dann trocknete sie sich die Wangen, küsste die alte Frau und sagte, sie wolle zur Madonna di Galloro hinaus.

Die Matrone nickte liebreich und zufrieden.

Und so wanderte Giulia, in sich gekehrt, zum Kirchlein auf dem grünen Bühl. Vor dem Altare warf sie sich auf die Kniee, ihr Herz war so voll – voll Hoffnung und Zweifel, voll Verlangen und Entsagung. Um was sollte sie flehen, um Glück oder Ruhe?

Sie betete mit den Augen, die bald glänzten, bald sich trübten, mit Seufzern aus des Herzens Tiefen; ihre Lippen bewegten sich wenig.

Sie stellte ihre Sache ganz der Madonna anheim. Die heilige Einsamkeit that ihr wohl, gefasster und muthiger trat sie wieder ins Freie.

Smaragden glänzte der Bühl, die Sonne auf ihrem Niedergange verklärte die stille Höhe.

Giulia sagte sich, wenn Enrico wiederkehre, so müsse er wohl schon nahe sein, und wenn er ankäme, könne er gewiss am Felsenpfad nicht vorüber, ohne einen Blick emporzuwerfen. Dort wolle sie ihn erwarten, aber ihm keinen weiteren Schritt entgegenthun; erlaufen lasse sich das Glück ja doch nicht.

So steht denn Giulia hoch auf dem Felsenkegel Ariccia's, da wo der Fusssteig sich ins Thal zu schlängeln beginnt.

Die ganze Campagna seewärts lag offen da; ein wundersames Farbenspiel zog darüber hin, erst in anschwellenden helleren Tönen, dann allmälig verklingend und verschwimmend, bis, ein Goldsaum, nur noch das ferne Meer aufleuchtete.

Giulia hatte heute kein Auge für diese Herrlichkeit; ihr Blick war auf die Lichtung des Wäldchens gerichtet, das über die Strasse immer dichtere Schatten breitete.

Aber je mehr es dunkelte, desto lichter hob sich von den düsteren Häusern im Hintergrunde die Gestalt des hoffenden, harrenden Mädchens ab.

Wo weilt der Ersehnte?

Heinrich war nach der beschwerlichen Wanderung zunächst bei Adolph eingefallen und nahm dessen Bürste, Waschbecken und Handtuch in Anspruch. Statt weitläufiger Erörterungen liess er den Freund einen Blick in das erhaltene Schreiben thun. Letzteres berief ihn in den Palazzo Caffarelli auf dem Capitol. Dort hatte er eine Unterredung mit dem Gesandten seiner Heimat, worauf ihm in dessen Kanzlei eine runde Summe Geldes und ein ehrenvoller Auftrag eingehändigt wurden. Im »Gallinaccio« sah Heinrich manchen seiner Freunde, im Café Greco las er die jüngsten Nummern der Augsburger Allgemeinen, in der Via Sistina begrüsste er seine Hausleute, welche über sein Aussehen sehr erfreut waren, und gönnte sich ein Stündchen Rast.

Kaum fühlte er sich wieder munter, so trat er in eines Goldschmieds Laden in der Via Condotti.

Daselbst wählte er sich ein feines goldenes Kettlein aus, daran ein Kreuz hing. Dieses war eine saubere Mosaikarbeit in goldener Fassung. In der Kreuzung der Balken standen die drei Buchstaben A E J; aus der Höhe und von den Seiten blickten und lächelten drei Engelsköpfchen auf diese Zeichen. Der Maler steckte den schönen Kauf zu sich wie ein süsses Geheimniss, dann miethete er sich, ohne viel zu feilschen, einen Zweispänner, und gab ihm die Weisung:

– Um eine bona mano ist's mir nicht zu thun – frisch zu, nach Ariccia!

Er dünkte sich heute reich; wie schwer waren ihm die Tage und Wochen geworden, da Giulia und die gute Alte den Tagesbedarf für ihn bestritten und dabei thaten, als merkten sie nicht einmal seine Geldverlegenheit!

Aber wie langwierig kam ihm die Fahrt vor! Er hatte kein Auge für die seltsamen Mauerreste von Grabdenkmälern zur Rechten und Linken. Seine Gedanken schweiften voraus, sein Herz pochte fieberhaft vor Ungeduld. Es dunkelte bereits, als das Gefährt Albano erreichte; als es ins Gehölz einbog, lagerten sich schon Nachtschatten über den Weg. Er naht der Schlucht, er naht dem Felsenpfad, er wirft vom offenen Wagen einen Blick empor, und freudig-bewegt ruft er aus:

– Sie ist's!

– Enrico! ruft es ihm nicht minder freudig von der Höhe entgegen.

Giulia hat den Ankömmling erkannt, sie eilt, eine Lichtgestalt, auf nachtdunklem, fährlichem Steige zu ihm nieder.

Heinrich hat den Kutscher entlassen, er steht in der Tiefe und schaut schreckerstarrt des Mädchen kühne Wanderung.

Piano, um des Himmels Willen! Und Halt und Rettung bietend breitet er seine Arme aus.

Er fängt sie auf, er drückt sie an seine Brust, Giulia, die leuchtende Elfe im Dunkel der Nacht, in der Tiefe der Schlucht.

Aber sie hat sich ihm entwunden, sie steht hoch aufgerichtet vor ihm und sagt in zärtlich vorwurfsvollem Tone:

– Enrico, wie konntet Ihr uns das thun?

Auf ihren Wangen glänzten Thränen, aber ihre Augen lachten.

– Verzeiht, Giulia, erwiederte Heinrich herzlich; wie aber konntet Ihr Euch in diesen nächtlichen Abgrund stürzen und mich in solche Angst versetzen?

– Ich kenne jeden Stein, sagte das Mädchen, die Sache leicht nehmend; aber lasst uns zur Base gehen, fügte sie ernster hinzu.

– Nur noch einen Augenblick! bat Heinrich. Nehmt diese Kleinigkeit als versöhnende Erinnerung an diesen bösen Tag.

Giulia konnte Kette und Kreuzlein nicht zurückweisen, sie musste es sogar geschehen lassen, dass der Freund selbst ihr das glückliche Gold um den schönen Hals legte. Wie zitterten seine Hände, als beim Zudrücken der Schliesse der eine und der andere Finger mit dem vollen Nacken in Berührung kam!

Heinrich blickte auf die herrliche Büste nieder; da lag das Kreuzlein, weiss gebettet, und hob und senkte sich ... er konnte sich nicht enthalten, einen feurigen Kuss darauf zu drücken.

Es galt dem Kreuz, sagte er entschuldigend, und glaubte doch selbst nicht daran.

Giulia erschauderte.

Abwehrend streckte sie die Hände von sich, streng und flehend zugleich mahnte sie:

– Lasst uns nach Hause gehen.

Und sie gaben einander die Hand, schlenkerten mit den vereinigten Armen, wie fröhliche Kinder, blickten sich selig an, sprachen wenig und hüpften nach Hause, Jedes mit einem Himmel in der Brust. –

Der Süden gestattet kein langes Zwielicht der Gefühle.

Am Tage nach dem erzählten Wiederfinden trat Giulia in Heinrich's Stube. Sie sah reisefertig aus und sprach fest und ergeben:

– Ich komme, um Euch Addio zu sagen. Ich muss fort, Coppo kommt mir auf halbem Wege entgegen, ich hab' ihm heute früh durch den Vetturin Nachricht zukommen lassen.

– Was soll das? Was ist Euch, Giulia? Wie seht Ihr aus? rief Heinrich erschreckt.

– Redet nicht so, Enrico; sprecht hart zu mir, fällt's mir doch ohnehin so schwer ...

– Aber süsses, gutes Mädchen, wer will, wer darf dich mir entreissen?

– Es ist besser so. Zum zweitenmale ...

Sie vollendete den Satz nicht, sondern fuhr mit bewegter Stimme fort:

– Ich ertrüg' es nicht, bei Gott, lieber ins Kloster! Damals ging's ins Blut, jetzt würde es mir mit eisiger Hand in die Seele greifen.

Heinrich zog das Mädchen an sich, sah ihm mit treuen, warmen Blicken in die Augen und sagte:

– Wie wär's, Giulia, wenn wir Coppo einfach kommen liessen und ihm dafür, dass er sich müde gelaufen, eine hübsche Ueberraschung bereiteten?

– Wie meint Ihr das?

– Müsste der gute Junge doch Augen machen, wenn er neben seiner Schwester einen Schwager fände!

– Enrico?!

– So müsst' er heissen, jedenfalls.

– So bist du mir denn wirklich gut? jubelte das Mädchen auf.

– Von ganzem Herzen, Giulia, meine Giulia! Wie konntest du noch daran zweifeln? – –

Herzlichen Antheil an dem Glücke seines Freundes nahm Adolph.

– Das giebt ein prächtiges Paar, schwatzte er; evviva, Liebe und Schönheit sterben nicht aus!

– Jetzt wirst du doch endlich auch Ernst machen, schrieb ihm Heinrich, nachdem es selbst ein so Unschlüssiger wie ich fertig gebracht hat.

Adolph antwortete:

– Ja, wenn ich meine Jugend nicht versäumt, verloren hätte! Aber in eine morsche Bretterhütte nimmt man keine hymenäische Fackel mehr – höchstens ein verschämtes Nachtlämpchen. –

Marco bekam eine Festtafel zu rüsten und Ganymed rechnete auf ein nettes Trinkgeld; als findiger Mitverschworener der schönen Braut war er sich seiner Verdienste bewusst.

Am Hochzeitstage selbst liess Friedrich durch einen Freund und Landsmann der Braut ein niedliches Andenken überreichen. Dasselbe sollte sühnen, was er durch unbesonnene Liebelei verschuldet.

Giulia wies aber das Geschenk sanft zurück und sagte mit einem Blick voller Seligkeit und Hingabe auf Heinrich:

– Ich habe seiner vergessen.

Das klang nicht verletzend für den Fernen, sondern deutete nur ein Glück, ein Genüge an, darein einstige Bitterniss nicht einmal mehr einen Schatten zu werfen vermochte.

Coppo trank auf das Wohl Adolphs, des deutschen Meisters, der den Italienern 'was aufzugeben verstehe.


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