Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Greller konnten sich keine Gegensätze stoßen, als es dann geschah. Wie losgelöst von der Wirklichkeit, aus meinem eigenen Grund und Boden, eingelullt in das Scheingefühl unbeschränkter Freiheit des Handelns, gab ich mir keine Rechenschaft über das, wozu mich mein Gefühl leitete. Als ich in jener herrlichen Nacht, die mir mein Liebstes vernichtet hatte, kaum zu mir gekommen war, weckte ich auch schon den Gärtner und seinen Burschen. Sie sollten mir oben am Gartenende das Grab bereiten helfen, in das ich Djayi selber betten wollte. Rieke, die nur immer weinen konnte, tat in ihrer naiven Gutherzigkeit der toten Heidin all jene Ehren an, die einer Christin gebührten. Sie war zu hingenommen von Entsetzen und Schmerz über Djayis Tod, als daß sie klar hätte denken und überlegen können. Sobald aber der Gärtner, der noch halb im Schlafe dastand, begriffen hatte, um was es sich handele, da legte der Alte den Spaten auch schon wieder hin.

»Verzeihen der gnädige Herr, aber das geht nicht. Das Gesetz untersagt, daß man seine Toten beerdige, wie und wo man will!«

Ich stand noch immer wie betäubt; die schmerzvolle Poesie der vergangenen Stunden hatte mich völlig berauscht. Langsam nur ernüchterte ich mich, während Mond und Sterne allmählich verblichen und ein stumpfes Grau des dämmernden Morgens bereits aufstieg. Fröstelnd zog ich den Rock enger um mich.

»Nein? Warum? Ich will doch. War sie nicht eine Heidin? Was geht die Christen deren Grabstätte an?«

»Kommen Sie zu sich, gnädiger Herr! Ihre Zähne schlagen zusammen im Frost, und Sie sehen jammervoll aus. Legen Sie sich noch ein paar Stunden schlafen. Morgen werden Sie ruhiger denken und überlegen können. Man muß auch den traurigen Vorfall anzeigen. Aber das will ich schon besorgen, wenn der Tag erst da ist. Schlafen Sie nur jetzt, gnädiger Herr!«

Soviel hatte in Monaten der stumpfe Alte nicht geredet. Was er aber sagte, tat mir merkwürdig wohl, und seine Stimme beruhigte mich. Seine schwielige Hand fühlte ich auf meiner Schulter, als er mich langsam dem Hause zuführte. Wie ein Betrunkener taumelte ich hinauf. Rieke kniete neben der Toten und betete rastlos, während die Kerzen rastlos in den Leuchtern flackerten, die sie unten vom Kamine genommen. Einen Strauß dunkelroter Rosen, in deren Kelchen noch der Nachttau glänzte, legte ich auf Djayis stumme Brust, dann warf ich mich über diesen toten Leib und schluchzte wild und fassungslos. Wie ich aus mein Bett gekommen bin, weiß ich nicht. Als ich daraus aus tiefem, und seltsamerweise traumlosem Schlaf erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Schüchtern, die rotgeweinten Augen voll Kummer auf mich gerichtet, und noch an einem rasch umgebundenen schwarzen Halstüchelchen knüpfend, gestand mir Rieke, daß sie dem Postillon einen Brief an Fräulein Ursula mitgegeben habe. Wäre diese erst im Hause, so würde alles leichter sein! – –

– – Ratlos stand ich dann in wilder Verzweiflung an der Leiche der Geliebten. Ich hatte umsonst die katholische Gemeinde – Protestanten gab es so wenig mehr im Orte wie einen Juden, – außer hier heroben Herrn Hochheimer – angefleht, der toten Fremden ein Eckchen ihres Gottesackers zu gönnen. Man hatte mich entrüstet fortgewiesen. Der alte Pfarrer war gütig und milde gewesen, aber ungefähr so, wie man einem Irrsinnigen begegnet, der Unmögliches verlangt.

»Aber wo, um des Himmels willen, soll denn diesem armen Leibe Ruhe werden, wenn die Gesetze mir sogar verbieten, ihn auf meinem eigenen Grund und Boden zu beerdigen?« hatte ich mit heiß aufsteigendem Zorne ausgerufen.

Die Blicke des Greises waren traurig über mich hingeglitten. Leise hatte er dann gemeint:

»So mußte es kommen! Habe ich Sie nicht gebeten und geraten. Sie möchten diese arme Seele der einzigen, ewigen Heimat zuführen? Unsere geweihte Erde kann keine Heidin aufnehmen!«

Befangen und heiß errötend hatte er noch leise fortgefahren:

»Draußen aber, hinter den Weiden« – ich kannte den trüben, schaurigen Platz recht wohl – »da können Sie allerdings die Tote –«

Ich aber war in ein rauhes, schrilles Lachen ausgebrochen, daß der alte Mann wich entsetzt angeblickt hatte.

»Hinter den Weiden, – wirklich? Bei den Verbrechern, bei den Selbstmördern, – hinter den Weiden? Ha! Ha!« –

Ich war draußen, ehe noch ein weiteres Wort des Pfarrers kommen konnte. Damals war ich ein Rasender und unbillig. Das weiß ich längst. Er, – sie alle, – waren ja im Rechte. Man muß es nur verstehen, und davon war ich weit entfernt. Ohne Gesetze, ohne Ordnung, – was wäre unsere große, weite Welt? Aber auch ohne Liebe?! Diese aber schien mir damals völlig erstorben zu sein unter den Menschen. –

Die Leiche, – geschmückt, und von Blumen ganz bedeckt, war in einem weiten eiskalten Kellerraume aufgebahrt worden. Ich aber, in tödlicher Angst, sie könne dennoch in Verwesung übergehen, suchte und fand in Djayis Sachen Öle und Salben, die sie mir so oft gezeigt und deren Anwendung den furchtbaren Prozeß um vieles zurückzuhalten vermochte. Eine Nacht und ein Tag war mir noch gegeben. Würden diese verstrichen sein, ohne daß eine andere Lösung gefunden wäre – und das war eigentlich ausgeschlossen –, so würden gedungene Männer kommen, die Leiche zu holen, um sie einzuscharren – hinter den Weiden!

Als ich schon im Begriffe war, die Einbalsamierung vorzunehmen, kam Ursula an.

»Mein armer, armer Gottlieb!«

Wir hielten uns umschlungen, und unsere rechten Hände bildeten dabei ein schwebendes Kreuz über der Brust der Toten. In Ursulas Gesicht zuckte es, dann brach sie in Schluchzen aus. An der Seite Djayis knieend, deren eisige, starre Hände fassend, rief sie unter Tränen:

»Du arme Sonnenblume, bist dahin! Unser schönes Prinzeßchen – Gottliebs Traum!«

Das letzte kam nur geflüstert heraus. Trotzdem verstand ich es so gut. Das Herz Ursulas lag so klar erhellt vor mir. Nicht nur als das süße, göttliche Geschöpf, das Djayi gewesen, hatte sie dieses Mädchen geliebt; einen Teil meines eigenen Ichs hatte sie damit umfaßt!

Da stand nun die Liebe wieder auf meinem Wege! Ich aber hatte nur Steine statt Brot für sie! Allein sie heischte gar nichts. Sie war nur da, ein eiserner Bestand von je, an dem nichts zu rütteln vermochte. Ich aber kam mir unselig, wie verflucht zu ewig irrender Verdammnis, vor.

Ursula erhob sich, trocknete ihre Tränen, gab mir noch einmal die Hand und wollte mir dann helfen, die Leiche einzubalsamieren. Noch zögernd, standen wir vor der Toten, die so wunderschön festlich gekleidet und mit Blumen geschmückt, vor uns lag. Da kam Rieke und meldete mir den Besuch Josua Hochheimers.

Ich ging hinauf. Stumm gab er mir die Hand und drückte sie fest.

»Darf ich sie noch einmal sehen?«

Ich erhob mich sofort und führte ihn hinunter. Tief ergriffen legte er bescheiden einen Jasminstrauß an das Fußende der Bahre. Ich aber nahm ihn dort weg und vereinte ihn mit dem bereits welkenden Büschel roter Rosen, mit dem ich Djayi in ihrer Sterbenacht geschmückt. Josua Hochheimer sah mit seinen tiefen Augen, die mich jetzt mehr als je an die der Toten mahnten, dankbar und gerührt zu mir auf. Helle Tränen standen darin.

»So liegt das herrliche Geschöpf, und die Erde scheint für die Tote noch weniger eine Heimstätte zu haben als für die Lebende,« klagte ich.

»Ich habe davon gehört. Und eben deshalb komme ich zu Ihnen.«

Wir verließen den traurigen Raum, stiegen hinauf und traten in mein Zimmer. Erstaunt blickte ich dann auf diesen Mann, der vor mir saß und in einfacher Güte sprach:

»Würden Sie von einem Juden annehmen, was Ihnen die Christen versagen, mein lieber Herr Peerls? Ich könnte Ihnen in Ihrer Bedrängnis und Not wohl helfen. Zur Vorsicht erkundigte ich mich genau bei der Behörde: es stünde nichts mehr im Wege, Ihre teure Tote zu beerdigen.«

»Wie wäre das aus einmal möglich?«

»Es ist so, lieber Freund! Oder wäre es Ihnen ein unangenehmer Gedanke, Djayis Leib in jene Erde zu betten, in der vor langer Zeit meine Glaubensgenossen Ruhe fanden?«

»Sie könnten – Sie würden –?«

»Die Ecke bei den Jasminbüschen ist frei. Sie stößt dicht an Ihr Gehege, das sie später darum schließen könnten. Darf ich sie Ihnen als Ruhestatt anbieten für die arme Fremde?«

Ich konnte nicht sprechen; eine ungeheure Last schien von mir zu fallen, und wenn man im tiefsten Schmerze von Freude sprechen kann, so empfand ich eine solche. Stumm zog ich den edeldenkenden Mann an mein Herz als Freund, und das ist er geblieben bis zu seinem Tode. – –

Gemeinsam begruben wir dann Djayi am Abend des kommenden Tages, nachdem ich beruhigt alles über mich hatte ergehen lassen, was Recht und Ordnung verlangten. Niemand war anwesend als der Doktor aus der Stadt, Herr Hochheimer, Rieke, der Gärtner, sein Bursche und Ursula. Ich nenne sie – die Seele unseres traurigen Kreises – absichtlich zuletzt. Wie verstand sie es, einfach und schlicht, die kurze Handlung zu einer unvergeßlichen Feier zu gestalten. Keiner schämte sich seiner Tränen, als Ursula, während sie langsam eine Hand voll Erde auf den Sarg warf, mit ihrer schönen Altstimme in feierlichem Klang den kurzen Vers sprach:

»Was vergangen, kehrt nicht wieder!
Aber, ging es leuchtend nieder,
Leuchtet's lange noch zurück!«

Und so ward meiner geliebten Toten die herrlichste Grabrede! Die scheidende Sonne sandte ihre letzten Strahlen zu uns; sie legten sich über die Stätte des Friedens und über das Haupt Ursulas, die von ihnen mit einer Gloriole umwoben wurde. Das westliche Firmament war völlig überflammt, der Rhein von rosigen Wellen umrieselt, und flimmernde Fäden schienen sich von den Felsen zu spinnen.

»Aber, ging es leuchtend nieder, leuchtet's lange noch zurück,« flüsterte ich und konnte keinen Blick von dem frisch aufgeworfenen Erdhügel wenden, den die Freunde nun mit Blumen schmückten. »Gott schenke ihr die ewige Ruhe,« betete Riekchen inbrünstig, und der Gärtnersjunge vollendete laut weinend: »Und das ewige Licht leuchte ihr in Ewigkeit. Amen!«

»Amen!« sprachen wir wie aus einem Munde.

*

Es wollte mir keine innere Ruhe mehr werden auf Rheinerhaus. Bis zum Herbste blieb ich noch, um dann, nachdem ich alles Wohl geordnet hatte, aufs neue kaufmännische Verbindungen im Auslande anzuknüpfen und abermals in die weite Welt zu gehen. Die Felsenburg sollte so viel als möglich meiner lieben Schwester, die sich ganz der Erziehung ihrer Kinder widmete, und Ursula als Heimat dienen. Garten und Weinberge würden sich ihrer besten Fürsorge freuen können.

Und so schied ich wieder vom Vaterlande. Die erste Nachricht, die ich in der Fremde erhielt, war die vom Tode meines Vaters.

Friede seiner Asche!

Tante Luise und Karoline lebten ein Leben, das sie ihren Mitmenschen völlig entfremdete, sie aber nach ihrer Meinung der Kirche enge verband.

Das ›Sonnenland‹ habe ich aus meinen weiten Reisen nie wieder betreten. Mag man mich feige und schwach schelten – ich vermochte es nicht.

Als ich abermals in die Heimat zurückkam, da waren viele, viele Jahre vergangen und alles schien mir anders geworden, nur Rheinerhaus nicht und auch nicht Binchen und Ursula. Die Kinder waren groß und blühend herangewachsen. Aber die Erinnerung peitschte mich wieder quälend von hinnen. Wie ich aber dann den vaterländischen Boden betrat, hatte ich graue Haare, und Binchens Älteste ließ eben ihren ersten Sohn taufen. Ich kam gerade zu diesem Feste und ich fühlte mich wohl. Ich wohnte auf meiner Felsenburg und lud mir der heitern Gäste aus dem Kreise meiner Lieben so viele ein, als es mich gelüftete. Ursula, deren ganzes Leben nur dem Wohltun und ihren Mitmenschen galt, besuchte mich oft und lange, aber mir nie oft und lange genug.

An einem Sommerabend, nahe am Todestage Djayis, bot ich der treuen Jugendfreundin meine Hand an. Sie aber blickte mir ruhig und unendlich gut ins Gesicht und reichte mir die Hand:

»Nicht doch, Gottlieb! Das nicht! Sind wir nicht alte Freunde? Und Djayi lebt noch, und wird immer leben, und das ist das Herrliche. Aber bei dir will ich gern bleiben, solange du mich haben willst, wenn du mit deiner Schwester Binchen zu teilen geneigt bist.« –

Ursula blieb bei mir bis zum heutigen Tage, und sie wird wohl nicht mehr von mir gehen, so lange sie lebt. Viel mußte ich sie der Schwester überlassen. Mein armes, armes, tapferes Binchen! Dein Maß des Leidens ward dir gehäuft! Der Tod kam wieder und wieder und mähte mit unbarmherziger Sense da und dort. Dem Vaterlande zollte sie auch reichen Tribut. Und sie kämpfte mit Kraft und Mut, tröstete noch andere und litt ohne Ende. Es kam ein grausamer Tag. Da war ihr nichts mehr geblieben als ein kleiner Enkel; sie erzog ihn, wie einst die eigenen Kinder, klug, gut und zärtlich zugleich. –

Es liegen dicke Bücher vor mir, in denen ich eingetragen, was ich gesehen und erlebt, was ich geworden bin und was mir zu leisten vergönnt war. Darin mag jeder lesen. Nicht aber in diesem Buche. Das ist meines Herzens Schrein, zu dem nur zwei Menschen den Schlüssel haben: meine liebe Schwester und Ursula!

Djayi, du herrliches Mädchen, sei bedankt! Tausendmal bedankt! Ja, wahrlich, meines Lebens Kranz und Krone bist du gewesen! Aus Grün und Blüten hebt sich der Tempel, den ich über deinem Grabe errichtet. Nur ein einziges Wort steht auf der Tafel deiner Ruhestatt: ›Djayi!‹ Der Name schließt mir alles ein!

Eines Mittags kam das Enkelkind meines Binchens, der kleine Otto, gelaufen, mit heißen Wangen und glänzenden Augen. Der liebe Junge, der mir ans Herz gewachsen ist, fragte begierig nach dem Tempelchen, das er erst eben entdeckt hatte. Keiner antwortete ihm, und mich erfaßte schmerzend das alte Weh. Aber in derselben Nacht begann ich für ihn die Geschichte meiner Liebe niederzuschreiben, denn ich glaube fest, aus ihm wird einmal ein ganzer Mann nach meinem Sinne werden. Er soll dann durch diese Blätter erfahren, was dem unreifen Knaben zu wissen versagt war. Mäht auch ihn noch der Gewaltige, Unbarmherzige hinweg, so wird dieses Buch vernichtet wie vieles andere auch. Rheinerhaus aber soll dann eine Stiftung werden. Ein Erholungsheim für Bedürftige, ohne Ansehen der Konfession, mag es vielen Segen bringen. Ich aber hoffe von ganzem Herzen, daß mein Großneffe Otto Magnus hier einstens Herrscher sein wird.

Nun bin ich zu Ende. Den Schluß dieses Buches schreibe ich, indem ich oben auf dem Steinbänkchen des Tempelchens sitze.

Wie an jenem Abend, da wir Djayi begruben, sendet die Sonne ihre lodernden Abschiedsgrüße. Das Wasser des Rheines flammt aus, die Ufer sind golden davon überspielt. Sonne, – Sonne! Der Tag geht zur Rüste! Auch der meinige! Vielleicht aber währt mein Abend noch lange, lange! Wie warm die Sonne mich jetzt einhüllt, mich und mein Grab! Wie der Metallkranz flirrt und flimmert und der liebe Name leuchtet: ›Djayi!‹ In feuriger Schrift stehst du auf der Tafel meines Herzens und meiner Seele! –

Das Gestirn ist versunken. Ich blicke auf die geliebte Stätte, und die Rosen strömen ihre Düfte aus, wie einst:

›Was vergangen, kehrt nicht wieder!
Aber, ging es leuchtend nieder.
Leuchtet's lange noch zurück!‹

*

Als wolle er den Turm und das ganze Rheinerhaus vom Felsen wehen, so tost und braust der Märzsturm. Aber Otto Magnus hört es gar nicht. Langsam klappt er endlich das graue Buch zu und schließt es wieder ein. Dann sagt er leise vor sich hin:

»Hab du Dank, alter Ohm! Auch du gingst leuchtend nieder und auch du leuchtest lange noch zurück.«

*

 


 << zurück