Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Blaue und gelbe Riesenwellen rollten eiskalt über mich hin und wollten mich erdrücken. Dann wieder loderten mir haushohe Flammen entgegen, mich in ihren feurigen Mantel hüllend, und dabei meinte ich zu fühlen, wie meine Haut Blase auf Blase zog und endlich in Fetzen an mir herabhing. Bis zum Wahnsinn schmerzten die Stellen bloßgelegten Fleisches. Aber nein! Ich rannte ja über endlose Eisfelder, und der starre Frost fraß mir am Mark meiner Knochen, während ich weiter und weiter lief, um die bunten Räder zu fangen, die vor mir herrollten. Dann stürzte ich hin. Ich fiel und fiel, immer tiefer, in eine unabsehbare Unendlichkeit. Darauf war's Nacht, und als ich erwachte, war ich an Bord der Mercedes, die sich sanft auf den murmelnden Wellen schaukelte. Neben mir saß Djayi und sang mit süßer Stimme ihre kleinen Lieder. Über uns glitzerten Milliarden von Sternen, und auf der weißen Straße, die sie durchzog und sich tiefer und tiefer schräg, herabneigte, wandelte ernst, mit leuchtenden Augen Onkel Hersebrook im samtnen Schlafrock mit dem Käppchen auf den weißen Locken. An feiner Hand führte er meine junge Mutter im Brautschmuck. Lauter weiße Rosen schmückten diese. Dazu sang sie: »Von meinem Grabe sind sie, von meinem Grabe, dem stillen, tiefen.«

Dann sagte sie:

»Komm, Djayi, spiel' auf deiner kleinen Harfe, das ist so schön, und mein Gottlieb liebt es so sehr, mein Junge, mein guter Junge!« Mit einem Male war sie älter und älter; jetzt saß sie im Lehnstuhle und hatte ihr Nachtgewand an. »Hörst du, Gottlieb, wie sie beten, beten, beten, immerzu? Spiele, Djayi, lauter, immer. Tanze und schreie, damit ich es nicht hören muß!«

»Mutter!« schrie ich gellend, und: »Hilf, Djayi!« Das Mädchen sang lauter, aber jetzt schwollen Gebete und Litaneien zu einem Strome an. Leise nur, als kämen sie aus weiter Ferne, tönten dazwischen arabische Worte, während es endlos schrill mit hundertfachem Echo um mich ertönte: ›Herr erbarme dich unser! Christus, erbarme dich unser! Heilige Jungfrau, bitte für uns!‹

»Allah ist Allah, sein die Welt, –«

»Goldenes Haus, elfenbeinerner Turm, – heilige Jungfrau, bitte für uns!«

Blut, – Blut, – da, dort, – die ganze Wüste voll Blut. Es stießt bis zu der weißen Stadt, von deren Turm ich ausluge nach Khaim Haar Salanda. Er kommt nicht, aber Blut ohne Ende. Sie haben Djayi getötet, und ihr Blut ist es. Da aber sehe ich das teuflische Antlitz Theresens, das die Heuchlermiene trägt, die vollkommene Maske! Sie setzt ihren Fuß auf die Leiche Djayis. »Fort, Fort!« Bin ich es, der diese brüllenden Laute ausstößt?

»In unsern Trübsalen, in unsern Anfechtungen –«

»Hilfe, Hilfe!

»Das ist der Teufel!« »Spital«, »graue Schwestern«, – »Herr erbarme dich seiner und seiner armen Seele!«

»Hinaus, hinaus! Alle haben sofort das Zimmer zu verlassen und sich ruhig zu Verhalten.«

Eine klare, ruhige und feste Männerstimme. Ob es die Onkel Hersebrooks war? Und dann Nacht. Eine lange, lange, wohltätige. Daraus ein seltsames Erwachen. Es konnte ja kein wirkliches sein, sondern nur ein stillseliger Traum, den ich aber nimmermehr weggewünscht hätte. Weit öffnete ich die Augen. Ja, das war Onkel Hersebrooks Schlafstube, und ich lag in seinem Bette. Das heißt, mir war mehr, als schwebte ich in der Luft. Leicht und froh war mir, meinen Kopf, meine Glieder spürte ich gar nicht. Ich blickte mich rund um. Wo war denn aber der alte Mann?

»Arvid! Sieh her, – er hat die Augen offen. Hell und klar. O Arvid!«

»Binchen, fasse dich, gewinne deine Ruhe, ehe er dich erkennt. Er darf uns nicht weinen sehen. Nun ist er gerettet!«

Das war Ursula.

Dann fühlte ich's wie leisen Blumenodem, ein sanftes Klirren, mir so wohlbekannt, wie im Hauche berührte etwas Weiches meine herabhängende Hand. Stärker wurde der Duft, kühl, feucht und erquickend lag es auf meinen Schläfen. Wo – wo – und wann hatte ich diesen herrlichen Geruch schon genossen? Djayi! Wieder das Schiff und der kranke Matrose! Oder war ich denn selbst dieser sieche Mann, den das Arabermädchen pflegte? Alles drohte sich mir aufs neue zu verwirren. Ich bemühte mich, scharf und klar zu sehen. »Djayi!« stieß ich schwach hervor. Da beugte sie sich schon über mich.

»Allah sei gepriesen! Herr, o Herr, du wachst! Hier ist Djayi!«

Sie kniete an meinem Lager und küßte meine Hände, auf die heiße Tränen fielen, die sie nicht mehr zurückzuhalten vermochte. Ich versuchte, meinen Kopf dem ihren näher zu schieben, bis er auf dem dunkeln Lockengewirr ruhte, So war mir wohl. Ich sah und sah. Es war und blieb Onkel Hersebrooks Stube und Bett, und ich wähnte immer noch zu träumen. Ich mühte mich zu denken. Dann öffnete sich die Tür, und ein Strom von Harzgeruch, wie ihn die Tannen in des Alten Garten auszuströmen pflegten, drang herein. Dann standen mit einem Male Arvid, Binchen und Ursula um mein Lager, und letztere legte, sich herabbeugend, in warmer Aufwallung ihre Hand auf des Arabermädchens Nacken.

»So, – soweit wären wir also nun endlich!« sagte mein Schwager und versuchte, seiner gedämpften Stimme einen festen und heitern Klang zu geben. »Du hast uns ja schöne Geschichten gemacht! Nun sag ihm noch jedes recht schön Guten Tag! und dann wird schleunigst abgezogen. Um sechs Uhr kommt unser Düsseldorfer Arzt. Er wird große Augen machen!«

»Mein Gottlieb, – Bruderherz!«

»Binchen – du Gute, sage bloß, was –«

»Nicht jetzt, alles später!«

»Und wo ist Ursula?«

»Hier – hier, Gottlieb, bin ich! Sei bloß ganz ruhig jetzt. Wir sind so glücklich, daß du die Krisis überstanden hast. Sei nur nicht bange, keine fremde Seele kommt ins Haus, – in das Onkel Hersebrooks, – jetzt das meinige!«

»Das alte, – Rote –« murmelte ich, schon wieder halb im Schlummer. »Djayi, bleibe – singe – leise, leise –«

Und sie blieb und sang. – –

– – Wochen vergingen noch, bis sie mich eines Tages hinaustrugen auf den Altan. Von dort aus konnte ich sehen, wie auf der Straße die Wagen schwankten, hoch beladen mit dem Korn, das sie einbrachten und das früh gereift war dieses Jahr. Muntere Zurufe und Gesang hörte ich, Hundegekläffe und Kinderjauchzen. Meine Schwester war inzwischen eine Zeitlang zu ihrer kleinen Schar zurückgekehrt und Arvid zu seiner Fabrik. Trotz der Mühsal der Reise waren beide nun wieder auf Tage hier, um nach mir zu sehen und vor allem nicht nur meine endgültige Genesung zu feiern, sondern mir auch klar zu berichten, was mit mir vorgegangen war. In meinem nun wieder völlig hellem Kopfe tauchte jetzt auch die Erinnerung auf, bis zu dem Punkte, wo sie mich urplötzlich so völlig verlassen hatte. Ich lag weich gebettet auf dem kühl umschatteten Altan und genoß so recht das herrliche Gefühl neugewonnener Gesundheit und wiedereroberter Kraft, die mir mit frischem Blut durch Adern und Knochen zu rieseln schien. Arvid und Ursula saßen am Fußende des Lagers. Sabine neben mir, meine Hand in ihrem Schoße haltend. An meiner linken Seite aber kauerte Djayi und schmiegte ihr Gesicht, aus dem die Augen wie zwei Sterne leuchteten, an meine Kissen. Keiner wehrte und mißgönnte ihr den Platz, den sie, wie alle bewundernd und übereinstimmend sagten, sich hundertfältig verdient hatte. Mit den Kristallkelchen, die beschlagen waren von dem eisigen Brunnenwasser, das mit Fruchtsaft gemischt war, stießen wir an, und das Arabermädchen freute sich wie ein Kind über diese ihr schon von der Reise her bekannte Sitte: »Kling – kling – kling!« ahmte sie nach. Dann machte sie ein komisches Mäulchen, und unter unsäglicher Mühe kam es stockend und etwas undeutlich aber immerhin deutsch daraus hervor: »Auf – deine – Genesung – Herr!« Das hatte ihr natürlich Ursula beigebracht, der ich die Hand reichte, im heißen Danke für all die Liebe, mit der sie meinem fremden Vogel ein Nest zu bereiten gewußt hatte.

»Nun, Gottlieb, wenn du wirklich wohl genug bist, so erzähle du uns zuerst, soviel du selber weißt,« forderte mich Arvid auf.

»Das ist wenig genug, ihr Lieben. Auf jener qualvollen Reise im Postwagen war ich mir lange nicht klar darüber, daß mein seltsames körperliches Unbehagen und die Fieberschauer, die dann während des Übernachtens in dem primitiven Gasthause eintraten, einen andern Grund haben könnten als den der furchtbaren seelischen Erregung. War ich doch in all den Jahren trotz der vielen klimatischen Veränderungen und all der Mühseligkeiten und Entbehrungen niemals ernstlich krank gewesen. Nach und nach aber fiel mir doch auf, daß ich mich schon vor der Reise zu euch nicht ganz so wohl wie sonst befunden hatte. Allein, das war kein Wunder zu nennen bei den mir so ungewohnten, anhaltenden Gastereien und den unaufhörlichen Festen bis in den Morgen hinein. Vielleicht mag dann der schreckliche Schlag, der mich betroffen, noch meiner Widerstandskraft den Rest gegeben und diese Krankheit völlig zum Ausbruche gebracht haben. Typhus, sagt ihr? Was es auch war, nun ist mir wohl, ich bin genesen! Wie mir bedünken will, genesen von zwei schweren Krankheiten!«

Binchen drückte mir fest die Hand, und Ursulas Gesicht übersonnte ein liebes Lächeln.

»Zerschlagen an allen Gliedern, wirr und wüst im Kopfe, fieberig, elend an Leib und Seele, war ich wieder am Tor meines väterlichen Hauses angelangt. Niemand erwartete mich, denn, man hatte mich nicht so rasch zurückerwartet. Weit und gähnend stand es auf, und ich konnte hinblicken auf das trostlose Bild, das unser feucht-kalter Hof stets gewährt hatte. Das erste, was ich sah, war eine seltsam jämmerliche Gestalt. Allmählich nur konnte ich darin Djayi erkennen, die schauernd, aber in emsiger Hast, und unaufhörlich scheue, furchtsame Blicke nach oben werfend, mit einem Reisigbesen und einem Schrubber den Boden reinigte, der mächtige Kohlenspuren trug. Ihr Haar war fest in ein kattunenes Tuch eingedreht. Ihre Kleidung bestand aus einem elend verwaschenen und zerrissenen Kleide, das von einer Magd, die einmal davongejagt werden mußte, zurückgelassen worden war. Sogar dieser war es zu schlecht gewesen, um es mitzunehmen. ›Djayi!‹ rief ich. Mir drehte sich alles im Kreise, und der Moderduft benahm mir den Atem. Ein Jubelschrei – Besen und Schrubber flogen in eine Ecke. Da kauerte sie schon zu meinen Füßen und küßte in heißer Freude meine Kleider. Namenloser Zorn hatte mich erfaßt und drohte mir alle Ruhe zu nehmen. Ich weiß noch, daß Tante Luise die Treppe herabgestürzt kam und Karoline, die Apfelkraut einkochte, aus der Küche herauslief. Ich glaube, daß ich ihnen noch irgend eine Schmähung zugerufen habe. Dann aber weiß ich nichts Klares mehr. In einem Nebel sah ich später noch Vaters und auch Theresens Gesicht über mich gebeugt, und sich weiß bestimmt, daß ich nach letzterem geschlagen habe. Dann hörte ich: ›Er phantasiert, er tobt, aber das ist ja schrecklich, ich kann das nicht sehen und hören!‹ – Und dann ich: ›Nein, nein. Elende, weg von mir, fort, fort!‹ Darauf hörte die Wirklichkeit für mich auf. Meine weitere, recht qualvolle Erinnerung besteht nur noch in wirren Bildern, Vorstellungen und Träumen, in die sich wohl oftmals dies oder das, was sich tatsächlich um mich begab, gemischt hat. Weiter kann ich euch nichts sagen. Nun erzählt ihr mir, bitte, wie und was sich zugetragen hat, und wie es kam, daß mir die unerquicklichsten Auseinandersetzungen so einfach erspart geblieben sind.«

»Einfach? Na, danke,« meinte Arvid trocken, so daß ich trotz des Ernstes der Sache lächeln mußte.

»Eine volle Woche lagst du schon krank in deines Vaters Haus, und wer weiß, wie lange wir noch ahnungslos geblieben wären in unserm bangen Erwarten, wenn nicht die bucklige Riekchen Trewes, die Ursulas Besitztum so sauber im Stande hält und ihr so anhänglich ist, diesen Zettel ihrem Vetter, dem Postillon, mitgegeben hätte. Lies ihn: ›Sehr geöhrter Herr Roosemann und Fräulein Ursula! Hilf der liebe Herrgott, aber Herr Gottlieb Peerls liegt Halbdod int Haus er sterbt so sicher und war als ich bihn ihnen irichte geliebte Friederieke Trewes.‹«

Ich fuhr schon mit der nächsten Post hierher. Die Pferde schienen uns zu schleichen und der Weg endlos zu sein. Als sich eines der Tiere in den Sielen verschlug, glaubten wir reinweg verzweifeln zu müssen. In deines Vaters Haus ging's zu, als wenn es Irre bewohnten. Herr Peerls erstarrte zuerst bei unserm Anblicke, dann rollte er die Augen und schloß sich stumm ein, ohne selbst seiner Tochter auch nur einen Blick zu gönnen. So sah das arme Binchen Vater und Heimat wieder. Weihrauchduft durchzog das ganze Haus, Beten und Singen frommer Lieder klang, und Therese Meinhardt fuhr, sich höchst theatralisch gebärend, mit aufgelöstem Haar im Hause herum. Alle Augenblicke warf sie sich auf einen Betstuhl und den Rosenkranz ließ sie nicht mehr aus den Fingern. Zwei harmlose Nönnchen saßen an deinem Bette und schielten mit wohlgefälligen Blicken auf dieses gottesfürchtige und so unglückliche Mädchen. Djayi sah ich nirgends. Ich saß dann in der Dämmerung und erwartete den Düsseldorfer Arzt, den ich in einem Landhause zwei Stunden Wegs entfernt tätig wußte und an den ich einen reitenden Boten geschickt hatte. Die Krankenstube hatte ich so gründlich gesäubert, daß kein Mensch sich mehr blicken ließ. Zuletzt war ich Aug' in Auge Therese Meinhardt gegenüber gestanden. Ganz ruhig, absichtlich langsam, hatte ich aus meiner Brieftasche einige Briefe ihrer Hand genommen, die ich mir zu verschaffen gewußt hatte und die ich der Erbleichenden nun vor die Augen hielt.

»Fräulein Therese Meinhardt, verlassen Sie dies Haus sofort, womöglich auch die Stadt. Kommen Sie uns nicht mehr unter die Augen; nicht nur wir, auch Gottlieb weiß alles. Alles bis aufs kleinste. Mein Schwager hat sich in Köln und Düsseldorf an Quellen zu unterrichten gewußt, die so lauter und sicher sind, wie diese Briefe echt. Also« – ich wies nach der Tür. »Ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, wie es schien immer kleiner werdend, zog sich das elende Mädchen vor mir zurück, drückte sich an die Wand und eilte zur Tür hinaus. Niemand hat sie mehr wiedergesehen. Ich habe erfahren, daß sie mit ihrer Mutter die Gegend verlassen hat und daß ihr tüchtiger und ehrenwerter Vater sein Geschäft verkaufen und ins Ausland gehen wolle. Er sei zuerst ahnungslos, nachdem er aber alles erfahren, ganz gebrochen gewesen. Schulden hätten Frau und Tochter auch noch gemacht, und viel neuer Schmutz wurde dann zu diesem alten aufgewühlt. Während ich das überdachte, was wie ein erlösender, befreiender Sturm dahergebraust war, krachten draußen die Zweige des großen Birnbaumes, der seine Äste dicht an die Fenster reckte. Ein mächtiger, schwarzer Schatten glitt am Fensterkreuz vorbei. Ich trat an die weitgeöffneten Flügel, und, kalter Schweiß brach mir auf der Stirn aus, lähmendes Entsetzen erfaßte mich! In furchtbar gefahrvoller Stellung klebte förmlich eine Erscheinung an der Mauer. An das Dunkel mehr gewöhnt, erkannte ich die Gestalt eines Weibes. Blitzartig kam mir der Gedanke, daß es nur Djayi, das Arabermädchen sein könne. Mit katzenartiger Gewandtheit mußte es den Baum herauf, auf den Mauervorsprung und diesen entlang geklettert sein, um das Fenster erreichen zu können. Als Djayi mich gewahrt hatte, war sie weiter nach rechts geflüchtet, wo ihr ein geschlossener Laden, vor welchem ein etwas breiteres Blumenbrett befestigt war, Halt bot. Halblaut, mit klopfenden Pulsen, in größter Angst um die Waghalsige, rief ich ein Paar Mal ihren Namen. Zuerst zögernd, dann Zutrauen gewinnend, vollkommen sicher wie ein Akrobat, schob sie sich die Mauer entlang, schwang sich ans Fenster und ins Zimmer herein. Sogleich kniete sie in tiefster Verzweiflung an deinem Bett nieder. Sie schien mir so erschöpft, daß ich ihr zu allererst ein Glas goldgelben Weines gab. Gierig trank sie, und ebenso gierig verschlang sie dann förmlich ein Stück des Rosinenbrotes, das ich ihr hinhielt. Wirr und ungepflegt war ihr Haar, und das schauderhafte Lumpengewand, das dich so entsetzt hatte, schlotterte ihr am Leib. Es bestand für mich kein Zweifel, daß man das arme Geschöpf einfach eingeschlossen und dann vergessen hatte. Auf diesem halsbrecherischen Wege hatte es sich zu seinem Herrn zu stehlen gewußt.

»Der Arzt kam und wetterte gegen die Behandlung, die dem Schwerkranken bis jetzt geworden war. ›Ins Spital muß der Patient sofort gebracht werden, wenn es schon keinen andern Platz als diesen für ihn gibt. Aber es liegt so weit ab, und spät ist es auch.‹ Er fuhr sich in die Haare. ›Hier jedoch wird's nimmermehr gut tun.‹

»›Das Rote Haus‹, kam es mir in den Sinn. Und während der Arzt bei dir blieb, suchte ich Riekchen Trewes auf, besprach mit ihr alles und bereitete dann in Onkel Hersebrooks Schlafgemach für dich das Lager. Ein Paar handfeste Kerle trieb ich auch noch auf, die mit einer Tragbahre kamen. Dann vollzog sich noch den gleichen Abend, ohne daß ein Mensch Widerstand geleistet hätte, der Umzug. An meiner Hand verließ Djayi, die unbegreiflich schnell und gut verstanden und, in eine Ecke des Krankenzimmers gekauert, die Vorgänge beobachtet hatte, den Schreckensort und betrat mit mir diese neue Heimstätte. Kränker und kränker wurdest du. An deinem Aufkommen zweifelnd, hatte ich längst meine Frau und Ursula kommen lassen; daheim hatten wir treue Dienstboten, und so befahlen wir unsere Kinder deren Schutz. Meine Fabrik, die mir damals ganz gleichgültig geworden war, ließ ich auch im Stiche, in zutrauendem Verlaß auf meine Leute. Unsere Kleinen sind wohl und munter geblieben, und mein Geschäft hat auch nicht gelitten. Dem Himmel sei Dank, daß wir nun auf gutem Wege da angelangt sind, von wo du nun selbst, hoffentlich wohl und munter, auf neuer Straße weiterschreiten kannst. Allein morgen, mein lieber Gottlieb, müssen Binchen und ich zurück. Wir lassen dir aber Ursula, und Djayi bleibt dir auch. Besser und treuer als die beiden könnte niemand auf der Welt für dich sorgen.« – –

Freundliche Tage folgten nun in einer Abgeschlossenheit, bei der mir die Welt ganz abgelegen schien und ich sie völlig vergaß. Aber sie vergaß uns nicht. Tausend Züngelchen leckten und reckten sich, tausend Augen versuchten durch Ritzen und Spalten zu sehen. Rieke kam nur noch mit rotgeweinten Augen ins Haus. Wenn Ursula und ich sie dann fragten, was sie habe und warum sie beständig Tränen vergieße, während sie wusch, scheuerte oder kochte, brach sie los:

»Nee, nee, nit zu sage, wat se alle schlecht sin. Et wär en Schandal, wi et in dat Hus zujonn würd'. Ein reiner Haa-Halem-Hem oder wie s'et nömen, hätt Herr Peerls sich in et Rote Hut injericht. Die Wilde, die er sich metjebreit hätt, und van wegen der dat schöne, fromme Frölen Meinhardt de Verlobung uffjelöst hätt, wär jerad Sönd jenoch. Aber dat sich dat Frölen Ursula nit schämt, im Hus vom Ohme so'n – so'n, – nee, ich mag et nich utsprechen, wat se alles seggen! So'n Lewen to führen, dat wär doch 'ne Schand für det Rennommerje von't janze Ort. Och nee, ech dürf och seggen, wat ech will, – et nützt alles nix. Jott, den Willem, – et is nu all an de verzig Johr, – dat er geboren is, – dat werfen se mer jetz noch vor, un dat ech ja früter selfst net angers jewesen wär. Och, och nee!«

Wir trösteten Riekchen, so gut wir konnten, und endlich schlug ihr Ursula, die völlig ruhig und gelassen, mit lächelnder Miene, wenn auch unter heißem Erröten zugehört hatte, vor, doch ganz ins Rote Haus zu ziehen. Das tat die Bucklige auch, und war selig, denn jetzt warf ihr keiner mehr das Dasein ihres ›Wilhelm‹ vor.

Während ich hin und her überlegte, wie ich fortan mein Leben gestalten wollte, wurde mir klar, daß ich das Hamburger Geschäft unter diesen Umständen nicht übernehmen könnte. Ich schrieb an Herrn Roosemann deshalb, der mich förmlich anflehte, für die nächsten drei Jahre, bis der Sohn eines seiner Freunde dazu imstande wäre, wenigstens eine Art Oberaufsicht, wenn auch aus einiger Ferne, darüber zu behalten. Er selbst fühle sich nicht mehr kraftvoll genug dazu. Ich gab mein festes Versprechen.

Eines Tages trat mein Vater, der sich all die Zeit über nicht um mich bekümmert hatte, brutal bei mir ein. Er forderte Rechenschaft über die Vorgänge in seinem Hause und mit Therese. Ruhig, als spräche ich über längst Abgetanes, setzte ich ihm die Geschehnisse auseinander.

»Ein infames Lügengewebe! Verleumdungen, von Arvid Roosemann und dessen Frau erfunden.« Er sagte nicht ›Meiner Tochter‹ oder ›Sabine‹.

Ich zog die Briefe hervor und hielt sie ihm an die Augen. Auch verwies ich ihn an allerlei Quellen und vor allem an die Tatsachen, wie Arvid sie mir berichtet hatte. Da wurde er plötzlich bleich und schlug die Hände vors Gesicht. Mir wurde weich ums Herz, und ich legte meine Hand auf diese alte, hängende Schulter. Aber schon sah er wieder auf, kalt und streng, wie immer.

»Du kommst nun sofort in mein Haus zurück. Schicke diese Frauen – es ist ein öffentlicher Skandal – weg, wohin ist mir einerlei. Ich fordere das als dein Vater!«

»Niemals, niemals!«

»So gehst du den Weg deiner Schwester!«

»Ich gehe ihn, so, wie du auch sie ohne allen Grund darauf getrieben hast!«

»Du – du – du bist gar nicht mein Sohn; ich habe es stets geahnt, Tag und Nacht hat es mich verfolgt, und ich habe mich gepeinigt in Zweifeln. Nicht nur in Erinnerungs-Gedanken hat sie gesündigt. Sie muß auch – –«

»Vater, du rasest heute noch wie einst. Beschimpfe nicht jetzt noch das Andenken meiner Mutter nach langen, langen Jahren! Das Andenken an eine reine, engelgleiche Unschuldige, die du doch so sehr geliebt.«

Mit einem irren Blick fuhr er auf, ein sinnloser, ohnmächtiger Zorn überkam ihn. Er schlug nach mir, aber er traf nur die Lehne des Sessels. Nicht mehr kraftvoll wie einst war sein Arm. Nur leicht schwankte der Stuhl, früher hätte er zertrümmert gelegen. Ich blieb ruhig und kalt. Bloß Mitleid fühlte ich mit dem Manne, dessen Erdenzeit nur noch kurz sein konnte.

»Es wäre gut,« murmelte ich, »wenn du zurückkehrtest, von wannen du gekommen!«

Da ging er, ohne noch ein einziges Mal aufzusehen.

Spät abends kamen Leute, die alles brachten, was Djayi und ich noch an Eigentum drüben hatten. – –

Ruhig und fest regierte Ursula ihr Haus, in dem wir Gäste waren. Gegen mich wie gegen das Kind war sie von immer gleichmäßiger Freundlichkeit. Unermüdlich gab sie sich mit Djayi ab, und diese hing mit glühender Verehrung an ihr.

»Liebe Ursula, wie soll ich dir danken?«

Sie lachte hell auf.

»Danken? Wofür? Das Haus ist mein und stand leer; meine brach liegenden Kräfte aber widme ich so gern allen, die ihrer bedürfen. Ich denke doch, daß du, mein Jugendfreund, größeres Anrecht auf sie hast, als diese oder jene Menschen.«

»Ursula, du tust mehr,« sagte ich zaghaft und tiefernst; »du – du opferst mir deinen Ruf!«

Wieder lachte sie. »Meinen Ruf? O Gottlieb, den können die hier mir nicht nehmen.«

Stolz richtete sie sich auf und sah mich an. »Siehst du, da fühle ich mich ganz als Mond, der hoch oben am Himmel steht und den tief unten die Hunde anbellen!«

»Du hast wohl recht, allein dennoch, es ist meine Pflicht, – – wir – Djayi und ich – müssen fort. Ich habe einen Brief von Herrn Roosemann in Hamburg erhalten; er meint, ich solle mich an der Elbe ankaufen. Hier ist er, lies ihn.«

Da fiel etwas zu Boden. Djayi sprang eilig herbei und hob es auf.

»Sieh da, sieh da, ein Haus, Herr! Lieblich gemalt.«

Mit großer Neugierde betrachtete sie das kleine Aquarell, das meiner Brieftasche entfallen war.

»Rheinerhaus!« rief ich laut. Und plötzlich wußte ich, was ich zu tun hätte. In derselben Stunde noch schrieb ich an meinen Reisegenossen jener schrecklichen Fahrt. Bereits ein paar Tage später fuhr ich zur Besichtigung des Landgutes den Rhein hinauf, und da es mich entzückte, war der Handel bald geschlossen.

Heimlich und wohl vorbereitet ging unsere Abreise von statten, bei der uns Rieke begleitete; und dennoch hatte man davon erfahren. Trotz der frühen Morgenstunde spähte alles aus Fenstern und Türen, und Steine sausten über unsern Wagen hinweg. Einer aber flog sogar durch die geschlossenen Scheiben herein und streifte meine Hutkrempe. Riekchen Trewes erzählte mit nimmermüder Zunge, wie man im Orte die Ereignisse auffaßte. Ich stand als Verbrecher und als ein Scheusal da, das ich in den fernen Ländern mit ihren wilden Sitten völlig geworden sei. Therese Meinhardt war immer fromm gewesen, und die Peerls wußten wohl genau, warum sie dieser Herz und Haus stets offen gehalten hatten. Sie war nur das Opferlamm und hätte geäußert, ins Kloster gehen zu wollen.

Ich kümmerte mich wenig um das, was die Leute wohl sagen und glauben mochten. Jenes Stück der Vergangenheit lag schon so unendlich weit hinter mir.

Die reiche Obsternte droben aus dem romantischen Felsennest brachten wir schon selber ein, und Ursula, bereits unser lieber Gast, jubelte mit Djayi um die Wette dabei. Wir genossen diese heilige Einsamkeit, hoch über dem Rheinstrom, der breit und voll seines Weges zog, mit Entzücken. Aber nicht lange, und die Menschen des Städtchens, das unten lag, begannen zum Rheinerhaus zu wallfahrten. Nur von einer Seite konnten sie, wenn sie einen kleinen Weinbergpfad nahmen, in ein Stück des Gartens sehen, aber das Wegelchen wurde bald breit ausgetreten. Das an der Straße gelegene, in den Felsen eingefügte Tor, durch das man erst aus die Stufen gelangte, die herausführten, hatte wahre Belagerungszustände durchzumachen. Ich hatte viel zu tun in der Überwachung des Anbaues, der das Asyl Djayis – ein Wintergarten – werden sollte. Mein Schwager Arvid hatte mir mit Rat und Tat kräftig beigestanden und mir auch Leute geschickt, die ihr Handwerk verstanden und emsig schafften. Wenn diese dann Feierabend gemacht hatten und, um ihren Schoppen zu trinken – denn sie nächtigten hier oben – ins Städtchen hinabgestiegen waren, da mochten sie wohl allerlei da unten erzählt haben. Hatten sie doch mit weit aufgerissenen Augen Djayi nachgeblickt, wenn diese, die klirrenden Reifen an den nackten Armen und mit fliegenden Gewändern, wie eine Gazelle durch den weiten Garten gejagt war, oder tiefgebeugten Hauptes gen Osten knieend, halblaut in irgend einem Winkel Gebete verrichtet hatte. Noch ließ ich das Kind gewähren in allem und freute mich seines Wesens und seines oft so komisch wirkenden Bemühens, in allem möglichst Ursula nachzuahmen. Es gelang ihm natürlich gar nicht; aber einiges sah es ihr dennoch ab, und natürliche Intelligenz und Gelehrigkeit gewannen ihm Schritt für Schritt des neuen Bodens, in den es verpflanzt worden war. Stundenlang saß Djayi zu meinen Füßen, um mir zu lauschen. Besonders dann, als es kühler wurde und wir in dem großen Kamin ein sachtes Herbstfeuerchen angezündet hatten. Ich unterrichtete sie, so gut ich es vermochte, damit sie die deutsche Sprache lernte und sich nach und nach auch mit ihrer Umgebung etwas verständigen könnte.

Als der erste Schnee in leichten Flocken fiel, führten Ursula und ich Djayi in ihr Reich, das fix und fertig stand, und das sie niemals vorher hatte besichtigen dürfen. Der Wintergarten, von unten geheizt wie die übrigen Gelasse, stieß an unser großes Wohnzimmer, nur durch ein kleines Gängchen davon getrennt. Zweierlei Räume rechts und links des Treibhauses hatte ich mit schönen Dingen, die ich von meinen Reisen mitgebracht, für das Arabermädchen bereitet, ganz so, wie sie es lieben mußte. Blühende Blumen, grünende Pflanzen überall, Orchideen schwankten von oben herab in Ampeln, saftig üppige Palmwedel lachten ihr aus dem eigentlichen Gärtchen entgegen. Ihr Schlafraum, worin die Blumen fehlen mußten, glich den Zelten, unter deren Schutz sie geschlummert, als sie noch mit dem Nomadenvolke durch die Wüste gezogen war. Djayi schien ganz fassungslos.

»Das – das soll – wie kann das für Djayi sein, o Herr?«

Sie war ganz bleichgrau geworden, als ob alles Blut ihr zum Herzen geströmt sei. Zufällig sah ich auf Ursula. Mit einem seltsamen Blick umfing sie das Mädchen und mich. Ein lieber Zug, dem etwas leise Schmerzliches beigegeben war, ruhte auf ihrem Antlitz. Aber sie hielt sich stumm im Hintergrunde. Dann wieder die leise, wie singende Stimme:

»Ich bin ja arm – bin bloß Djayi – habe nichts.«

Dann setzte sie deutsch hinzu: »Nicht Königin – nur Djayi!«

» Doch Djayi! Du bist eine Königin, du bist es geworden, ein ganzes großes Reich hast du zu beherrschen!«

Laut hatte Ursula es gerufen: dann war sie plötzlich verschwunden, ehe ich noch ein Wort hatte sagen können. Allein, das arabische Mädchen schien mir eher traurig, statt daß es sich einem der wilden Freudenausbrüche hingegeben hätte, die ich bestimmt erwartet hatte.

»Nun, Kind, du freust dich nicht?«

»O Herr, wie soll ich? Kann man immer nur empfangen? Was vermag ich dir für all das zu geben? Wie dir jemals danken für das, was du für mich getan? So arm, so arm ist ja Djayi!«

Sie weinte und schluchzte nun.

»Du weißt es nur nicht, Djayi, daß und was du mir gibst! Du erfreust mich schon allein durch dein Dasein. Siehst du die schöne Blume dort, die mit dem süßen Duft? Ist sie nicht herrlich? Erfreut sie nicht dein Auge? Und sie blüht nur!«

»Aber Djayi ist gar nicht schön! Braun und schwarz ist sie und – und – und –«

Sie drehte und wandte sich vor den blanken Fensterscheiben, bis ich sie dicht vor den Spiegel führte, der in ihrem Schlafgemache hing. Sie stand wie tief erschrocken davor und blieb wie gelähmt.

Ich konnte kein Auge von ihr wenden, und meinen wunden Herzen, das noch immer blutete, tat die Schönheit dieses fremdartigen Wesens so wohl.

Ende November kam ein Brief meiner Schwester, der trübe klang und meldete, daß all ihre Kinder an den Masern krank lägen. Ursula packte einfach ihre sieben Sachen und reiste noch am selben Tage ab. Beim Abschied schmiegte sich Djayi fest an sie und hatte Tränen in den schönen Augen. Da sah Ursula wieder von ihr auf mich, umschlang das Mädchen und führte sie zu mir.

»Eine Königin!« – –

Eis und Schnee hielten die Erde umfangen in erstarrender Umarmung. Nur in den sonnigsten Mittagsstunden führte ich Djayi, nachdem ich sie wohl eingehüllt, hinaus, und sie blickte mit weit aufgerissenen Augen um sich.

»Wer hat das Grün gestohlen und die Blumen alle geraubt und zerstört?«

»Das hat unser alter Winter getan. Du kennst ihn noch nicht. Aber ganz darfst du auch nicht seine Bekanntschaft machen. Sein eisiger Hauch soll nimmermehr meine zarte Blume knicken und erstarren machen, wie die da draußen. Komm wieder herein, mein Kind, ins Warme, die Sonne scheidet, und kalt zieht es den Berg herauf!«

In vielen kleinen Häusern, auch in den zerstreuten Hütten, lebten genug bedürftige Leute, denen der harte Winter Pein und Qual war. So einsam, so von aller Welt abgeschlossen ich auch lebte, dennoch, hörte ich durch Rieke, den Gärtner und dessen Burschen genug davon. So ging eines Tages die Bucklige dick eingemummelt aus, um diese Armen und ihre Kinder zu laden, zur Christfestfeier aus Rheinerhaus. Aber betrübt kehrte Riekchen heim. Was sie alles zu hören bekommen habe! Die einen hätten sie nur blöde angegrinst und sich angestoßen, andere hätten gesagt, sie würden schon von gut christlichen und ehrlichen Leuten unterstützt. Wieder andere gestanden offen, daß sie wohl gern die Kinder bringen möchten, allein der Pfarrer erlaube es gewiß nicht. Der Herr vom Rheinerhaus hielte ein braunes Heidenmädchen dort verborgen, die er als seine Sklavin mitgebracht hätte. Er sei ein Ketzer, und kein Mensch wisse Rechtes und Gutes von ihm.

Als aber das Fest näher und näher rückte, kamen dennoch, jeden Tag Leute, die baten, ich möge ihren Kindern bescheren. Dann lud ich die Alten auch mit ein. Oftmals mußte nun Rieke ins Städtchen hinunter, einzukaufen, und endlich schlug ich eigenhändig in meinem Garten eine mächtige Tanne. Alles half mit, sie zu schmücken, während Djayi unter ihren Blumen saß und mit geschickten Fingern an einem weißen, warmen Festgewande für sich nähte. Das sollte so werden, wie ich es mir ausgedacht. Ich versuchte auch, ihr den Sinn unseres Christfestes zu erklären, aber sie konnte ihn nicht begreifen. Nur die Idee des Schenkens an die Armen als Feier dieses Tages erschien ihr herrlich. Ob es nun Habgier war oder wirkliche Not, die jene moralischen Bedenken der Leute hinfällig gemacht, war mir gleichgültig. Jedenfalls war am Christabend Rheinerhaus mit seltsamen Gästen angefüllt. Mir fehlten nur meine drei Lieben mit den Kindern, die ich, da ich Djayi nicht allein lassen und ihr doch auch die Reise nicht zumuten konnte, zu missen gezwungen war. Weder die Tanne, die Djayis ganzes Entzücken bildete, noch Geschenke und Süßigkeiten konnten solches hinnehmendes Interesse erwecken, wie die fremdartige Erscheinung des Mädchens. In sein weißes Gewand gehüllt, mit Schmuckwerk behangen, schien es, einer Lichtgestalt gleich, von einem zum andern zu schweben:

»Nimm, nimm – hier, hier – da!«

Sie gab und gab, strahlend in einer ihr neuen Seligkeit. Als die Geschenke zu Ende, die Lichter herabgebrannt waren, auch das letzte der Weihnachtslieder verhallt war, ließ sie nur zögernd einen kleinen, dicken Bengel aus ihren Armen, den seine Mutter fast ängstlich zurückforderte. Diese betastete und untersuchte dann ihren Jungen und schlug schleunigst ein Kreuz über dessen Stirn. Benommen wie in einem Traume, verließen die Leute fast stumm mein Haus. Dann aber hörte man noch lange das Durcheinander alter und junger Stimmen durch die klare Winterlust heraufdringen. Wir verließen den Saal, um Rieke lüften und Ordnung machen zu lassen.

Grüne, milde Dämmerung herrschte im Palmengärtchen, in das sich Mondstreifen stahlen. Man hörte die feierlichen Glocken läuten. Still war Djayi geworden, ganz, ganz still. Unsäglich schön leuchtete mir ihr blasses Gesicht aus der Dämmerung entgegen. Düfte, jenem fremden Sonnenlande gehörig, das sie verlassen hatte, umschwebten uns. Der Blick ihrer dunkeln Augen schien mir schmerzvoll. Ich trat zu ihr.

»Djayi, sehnst du dich?«

»Ja, – ja!«

»Nach dem Sonnenlande?«

Sie schüttelte das Haupt.

»Ich lebe ja darin.«

»Nach einem Menschen? Nach einem?« –

Sie schwieg. –

»Sprich Djayi, – nach einem?«

In meinem Innern brach ein heimlicher Sturm aus. Und er riß manches mit sich fort, aber nichts Gutes, Großes und Schönes. Er riß Therese Meinhardts Bild völlig mit fort, daß es zerschellte an den Felsen, die über dem Rheinstrom sich erhoben. Alles Ungemach, alle Enttäuschung, alles Erlittene! Er pfiff mir um die Ohren: »Diese da, – die Fremde, sie ist tausendfältig mehr wert als jene. Sie liebt dich wahr, sie ist ehrlich, lauter und treu, und schön, schöner als eine auf der Welt!«

Ich hatte meine Arme um diesen schlanken, bebenden Leib geschlossen und ihn fest an mich gedrückt. Der feine, schmale Kopf ruhte auf meiner Schulter, die Nasenflügel zitterten, und der purpurne Mund war leicht geöffnet. Als dunkler Saum lagen die Wimpern unter den festgeschlossenen Augen.

»Djayi, – mein süßes Mädchen!«

»O Herr! Es kann nicht Wahrheit sein,« murmelte sie wie im Traum.

Immer wieder küßte ich die brennenden Lippen, die sich dürstend den meinigen boten.

»Djayi, – ich liebe dich!«

Langsam entwand sie sich meinen Armen.

»Du sagtest damals, Herr, Allah sei nicht über eurer Erde und nur der Christengott sehe darauf herab. Ich erschrak so sehr,« murmelte sie. Dann schmiegte sie sich wieder an mich, und mit feuchten, seligen Augen blickte sie hinauf zum Firmament. Ein großer Stern leuchtete hell und klar gerade über unsern Häuptern.

»O nein, Herr, glaube das nicht, Allah ist auch hier, ich fühle ihn.«

Die Glocken waren verstummt, die aus dem Tale erklungen waren. Feierliches, nächtliches Schweigen lagerte über dem Felsenhause, das wie in Silber gebettet lag.

*

 


 << zurück weiter >>