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Wilde Gegend des Kiölgebirges
(Cäcilia und Graf Skiold, von ihr geführt, treten auf.)
Skiold.
      Das Kiölgebirg wird immer grausger – ich
      Verzweifle!
Cäcilia.
      Nordstern! Sirius! wo seid ihr?
      Tauch aus den Wolken, Mond, du Silberschwan
      Der Nacht!
Skiold.
      Vergebens rufst du ihm!
      Er schwebt vielleicht
      Jetzt über Gräcias Blumenhügeln, sieht
      Die Liebenden im Myrtenhaine wallen, und
      Vergißt uns Wanderer der Eisflur! – Was
      Bewegt dich so?
Cäcilia.
      Ich weiß nicht, wie's
      Mir grade hier, im kalten Kiöl-
      Gebirge einfällt; ich denke an
      Die schönen Sommerabende auf deiner Burg
      Zu Lund!
Skiold.
      Wo du als hochbeglückte Braut
      Mit Gothland auf der Berghöh standest?
Cäcilia.
      Damals
      Bedurfte unsre Seligkeit
      Des Mondes nicht; doch ungerufen stieg
      Er aus der Meerflut auf und schmückte Wald
      Und Au mit zauberischem Schimmer!
Skiold.
      Damals
      War Gothland noch der Herrliche;
      Mit Freuden segnete ich euren Bund!
      Und heute möcht ich ihn ver –
Cäcilia.
      O, verfluche ihn
      Auch heute nicht! Ich war die glücklichste
      Der Frauen!
Skiold.
      Ja, du warest es!
Cäcilia.
      Ich bin
      Es noch! . Die Wirklichkeit, und wäre sie
      Die glücklichste, ist rauh! Erst das vergangne ist
      Das wahre Glück! – – Hu, es beginnt
      Zu schneien! Hüll dich fest in deinen Mantel.
      Bald, hoff ich, sind wir in bewohnten Hütten
      Und sitzen froh am wärmenden Kamine!
Skiold.
      Du kannst noch hoffen?
Cäcilia.
      Wehe dem,
      Der nicht mehr hoffen könnte! Hoffnung
      Ist ja die einzge Seligkeit des Lebens! Denn
      Von allem Großen und Erhabenen,
      Von Gott, Unsterblichkeit und Tugend, weiß
      Der Mensch nicht, daß es ist, – er hat
      Es nie gesehn, er hat es nie erlebt –
      Er kann nur hoffen, daß es da ist;
      Drum laß uns hoffen in
      Des Lebens Finsternissen, laß
      Uns hoffen in den Wüsteneien!
Skiold.
      Du
      Bejammernswürdige! – du willst mich täuschen!
      In deinem dünnen, seidenen Gewande rauscht
      Die Nachtluft rauh und schneidend kalt –
      Ist dir auch wirklich wohl?
Cäcilia (mit unterdrücktem Seufzer).
      Gewiß – ja – mir
      Ist wohl! – – Komm! laß uns weiter eilen!
Skiold.
      Ja,
      Wir wollen eilen! (Sie gehen, aber er steht plötzlich still.) Gott!
Cäcilia.
      Was ist dir, Vater?
Skiold (bitterlich weinend).
      Ach,
      Mich hungert sehr! (Sinkt auf die Erde.)
Cäcilia (stürzt in die Kniee und beugt sich jammernd über ihn).
      Es ist
      Doch grausam, daß ich hier nicht helfen kann!
      – Hätt ich nur Milch in dieser Brust,
      Doch statt der Milch brennt Fieberglut
      In ihren innern, qualdurchzuckten Räumen! –
      Steh auf, mein Vater! stehe auf! du mußt
      Hier ja erfrieren! Vater! ich
      Beschwöre dich! steh auf! – Umsonst! er hört
      Mich nicht! Und immer dichter fällt der Schnee,
      Und immer kälter wird die Nacht, und niemand
      Hört unsren Hülferuf! (Betend.) Zwei müde Wanderer,
      Ein alter Vater und sein krankes Kind,
      Flehn aus der Wildnis und dem Schneegestöber zu
      Euch auf, ihr schützenden Gewalten in
      Den Himmelshöhen! – Menschen und Natur
      Verfolgen uns mit allen ihren Schrecken, –
      Ihr laßt den Nordstern durch
      Die Wolken brechen, wenn der Schiffer auf
      Der sturmdurchtobten See verzagen will, –
      Wir sind zu schwach, um uns zu schirmen, –
      Wir haben nie an euch
      Gezweifelt – Rettet! rettet uns!
(Sie blickt spähend umher; auf einmal entzückt in die Ferne deutend.) Ha!
      Ich seh ein Licht! ich höre Hunde bellen!
Skiold (sich aufrichtend).
      Ein Licht?
Cäcilia.
      Ja, hell und freundlich, wie
      Ein Genius des Trostes, strahlt
      Es aus dem Fenster einer Hütte!
Skiold.
      Gott
      Hat sich erbarmet!
Cäcilia.
      Sagte ich nicht, daß
      Du hoffen solltest?
(Sie gehen ab. Pause.)
Gothland (tritt verstört auf).
      Hab mich verirrt! – mein Pferd hat unter mir
      Den Hals gebrochen! – Schneebedeckt
      Und pfadlos, wie ein Abbild meines Lebens, starrt
      Mich das Gebirge an! Wildkrächzend, als
      Wenn ich schon eine Leiche wäre,
      Umflattern mich die Raben,
      Wolfsherden jammern aus der Ferne,
      Dumpfschallend kracht das Eis
      Der stehenden Gewässer,
      Des Kiölen Täler widerhallen – laut
      Sind alle Stimmen der Natur! Huhu!
      Da rieselt Blut! – Nein, nein! es ist
      Des Waldstroms Brausen! tobend stäubt
      Er durch den Bergforst!
(Er geht einige Schritte; dann steht er still und blickt um sich her.) Sieh,
      Der Südwind hat die Wolken fort-
      Getrieben, und der nächtge Himmel schaut
      Mit seinen tausend Augen wieder auf
      Die Erde; – Einen anderen
      Als ich bin, könnte das erfreuen;
      Mir aber frommt es nichts,
      In meinem Innern bleibt es trübe wie
      Zuvor!
(Pause. Sternschnuppen fallen; Gothland bemerkt es.) Ha, was erblicke ich?
      Wo berge ich mein banges Haupt? Weh, Weh,
      Dort oben unter den Gestirnen ist
      Es Herbst geworden!
      Des Firmamentes leuchtendes
      Gewölbe schüttelt sich wie eine sturm-
      Durchsauste Eiche und die Sonnen fallen ab
      Wie gelbe Blätter! Ei, Arktur!
      Orion! Abendstern! ihr welket also auch?
      Ho, das hat mir geahnet! immer, wenn
      Ich euren falben Glanz sah, dachte ich
      An welkes Laub! Nun, Sirius? Herunter!
      Was zauderst du?
(Nach einer kurzen Pause.) Wie? er fällt nicht? – Hätten
Sternschnuppen mich getäuscht? –
(Er will weiter; ein Nordlicht steigt flammend empor; er springt zurück.) Doch – was ist das?
      Ist schon die Stunde kommen? Ist
      Es schon so weit gediehn? Die Zinnen
      Der Himmelsveste lodern! Weltbrand! Weltbrand!
      Der jüngste Tag ist da! schon heulen die
      Posaunen! Gott, der Rächende,
      Setzt sich auf seinen Thron, sein Antlitz rot
      Vor Grimm! O wär ich nur ein Wurm, daß ich
      Mich in der Erde Schoß verkriechen könnte! – (Pause.) Narr, der
      Ich bin! Des Nordlichts freundliche
      Erscheinung für die Schrecknisse
      Des jüngsten Tags zu halten! – Ich will sehn,
      Ob ich hier in der Nähe nicht
      'Ne Hütte finden kann, – Erholung tut
      Mir not! (Geht ab.)