Christian Dietrich Grabbe
Herzog Theodor von Gothland
Christian Dietrich Grabbe

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Der alte Gothland (tritt auf, laut rufend).
Meinen ältsten Sohn
Ruf ich zum Zweikampfe!

Gothland (mit verstellter Stimme).
Gereuts dich, daß
Du ihn gezeugt?

Der alte Gothland.
Wohl reut' es mich, – er sei verflucht!

Gothland.
Den Fluch auf dich! Wer hatte dir das Recht
Verliehn, das Leben ihm zu geben?! Fluch der Geilheit,
Die dich antrieb!

Der alte Gothland.
Gut mach ich meinen Fehler,
Indem ich ihn vertilge!

Gothland.
Darfst du das?

Der alte Gothland.
Hab ich ihn nicht erzeugt, ernährt, erzogen?

Gothland.
Ho, dafür braucht dein Sohn dir nicht einmal zu danken!
Verdammte Schuldigkeit ists, daß
Ihr die Geschöpfe, welche ihr zu eurer Lust
In diese Welt der Qual setzt, auch ernährt!

Der alte Gothland.
Wes ist die Zunge, die hier leugnet, daß
Der Vater richten darf den Sohn?

Gothland.
Und wenn
Du ihn vertilgen darfst, kannst du es auch?

Der alte Gothland.
Verspottest du mein graues Haar? Wer du
Auch bist, wahr dich vor meiner Faust! Noch fühlt
Sie ihre alte Kraft!

Gothland.
So raffe denn
Die alte Kraft zusammen, und versuch es doch,
Vertilge seine Seele, du Gewaltiger!
– Ohnmächtiger, vermagst du's nicht? – Wer einmal
Geboren ist, muß ewig leben, er
Mag wollen oder nicht, denn von
Dem ersten Augenblicke seines Seins
Gehöret er der Hölle zu!
Drum Fluch der Welt, wo jeder Bauerlümmel
Mit Hülfe einer Viehmagd
Etwas Unsterbliches verfertgen kann!
Drum Fluch den Vätern! Jammer und
Unfruchtbarkeit den Müttern! Wehe den
Gebornen!

Der alte Gothland.
Lästrer! Hochverräter!
Verschworen scheints, bist du
Mit meinem Sohne, um
Zu rebellieren wider mich! Ist denn
Die Erde seit der vorgen Nacht
Aus ihrem tausendjährgen Gleis geworfen?
Und nehmen unsre Kinder jetzt
Die Rute in die Hand? Nein, ehe ich das dulde,
Fall ich im Kampfe für das älteste
Der Rechte, für das Vaterrecht!

(Er geht auf Gothland los.)

Gothland (weicht rasch zurück).
Ich will
Mit dir nicht kämpfen, retten will ich dich!

(Kriegerische Musik; Berdoa, Rossan, Usbek und andere ziehen im Hintergrunde mit Heerhaufen vorbei. Die Schlacht beginnt von neuem und scheint sich zu entfernen.)

Gothland.
Siehst du's?
Der Finne ist verstärkt zurückgekehrt;
Willst du nicht abgeschnitten sein, so eile fort
Von hier; – dort durch den Hohlweg schleich; er wird
Dich vor des Feindes Blick bedecken
Und führt auf einem Umwege zum Heer
Des Königs.

Der alte Gothland.
Ich begreif dich nicht, – indes
Du machst dein Reden gut durch deine Tat.

(Geht ab.)

Gothland (zieht die Kappe vom Gesicht).
Mit meinem Vater bin ich wett; er gab
Ein Leben mir, ich rettete ihm eins;
Begegne ich ihm noch einmal, so weich
Ich vor ihm nicht! – Keinen Vater mehr?
(Schmerzlich, die Hand auf der Brust.) O hier
Sind traurige Ruinen!

(Die Schlacht kommt wieder näher; abermalige Flucht der Finnen; waffenlose Soldaten stürzen herein; dann kommt Usbek; Gothland tritt auf die Seite und beobachtet das Vorfallende.)

Usbek (verzweiflungsvoll)
Alles ist
Verloren! Unsre Erschlagnen decken das
Gefild! Geh unter Sonne! und beschein
Es nicht!

(Irnak kommt, den Arm in einer Binde.)

Usbek.
Verwundet?

Irnak.
Kaum gestreift. (Ihm ins Ohr.) 's ist aus
Mit uns! – Wo ist Berdoa?

Usbek.
Im Schlachtreihn, –
Fruchtlos sah ich ihn Sturm auf Sturm versuchen, –
Der Widerstand verdoppelt seine Kraft!

(Berdoa, Rossan und Finnen.)

Berdoa.
Trompeter, blast den Kampf zu neuen Flammen,
Den Mut der Finnen blaset wieder an!

Rossan.
Das hilft Euch nichts. Das Volk ist zu verzagt.
Zweimal wards nun an diesem Tag geschlagen.

Berdoa.
So will ich denn zum letzten Mittel greifen:
Ich lasse sie verzweifeln! Finnen! Wir
Sind hoffnungslos verloren! (Wehgeheul.) Nimmer seht
Ihr eurer Heimat Küsten, nimmer seht
Ihr eure Weiber, eure Kinder wieder;
Auf dieser fremden Erd, wo heute schon
So viele Kameraden fielen, werdet
Ihr unbeweint verwesen!

Die Finnen.
Rette uns!
Errette uns!

Berdoa.
Die Schweden treiben uns
Wie 'n Rudel Wild zusammen, – rings sind wir
Umzingelt; auf dem Meere (länger darf
Ichs nicht verschweigen) kreuzt die Feindesflotte
Und droht mit einer Landung unsren Rücken; auf
Dem Lande dringen, wie vier fürchterliche Schnitter,
Der König Olaf, der Graf Holm, der Graf
Arboga, dem der Pferdeschweif den Helm
Umflattert, und der alte Herzog Gothland,
Mit ihren Schwertern Finnlands Jugend un-
Barmherzig niedermähend, auf uns ein!
Schon harren über uns die Krähn Auf unsren Tod,
(nahende Trommeln und Geschrei) schon nahn mit Siegsgejauchz
Die Schweden –

Die Finnen.
Rette! rette uns!

Berdoa.
– und nichts
Als nur Verzweiflung kann uns retten!

Ein finnischer Hauptmann (tritt ein).
Ein schwedscher Herold ruft: sein König sichre
Den Finnen einen freien Abzug zu, wenn
Sie das verfemte Haupt des Herzogs Gothland
Freiwillig überliefern würden.

Berdoa (boshaft).
Was
Verhindert uns, es auszuliefern? (Zu Usbek.) Schlags
Ihm ab!

Erik.
O Gott! mein armer Herr!

Gothland (leise und dringend zu Rossan).
Hast du
Getan, was du versprachest?

Rossan.
Meine Scharen
Sind Euch gewonnen.

Gothland.
Kann ich mich darauf
Verlassen?

Rossan.
Als wärs auf Euch selbst!

Gothland.
So sei
Gewärtig!

Usbek (zu Gothland, das Schwert erhebend).
Bück dich!

Berdoa (zu Usbek).
Haue doch nur zu!

Gothland.
Mohr, mäßge dich! Gefallen ist der Trug,
Der mir das Haupt umfing; ich weiß es, wie
Du mich betört!

Berdoa (mit unmäßigem Hohn).
Weißt du's, Dummkopf? Das freut mich!
Was ich befohlen, hast du wohl erfüllt:
Den Bruder, welcher dir noch lebte, hast
Du totgeschlagen, – schade, daß ich dich nun nicht
Mehr brauchen kann – du hast ja keine Brüder mehr!
Merkt Finnen! so bestraf ich die, die mich
Verhöhnen; dieser Schwede wollte einst
In seinem Übermut mich peitschen lassen –
Heut lasse ich den armen Sünder köpfen!
– Beinah erbarmt mich sein; der Tropf erwürgte
Den Bruder, weil ich – Seht, wie er vor Furcht
Erbleicht!

Gothland (mit dem schrecklichsten Ausbruche seiner Wut).
Du irrst dich! er erbleicht vor Zorn!
– Zurück du Hund, und knurre nicht!

(Er stößt ihn von sich weg; große Bewegung unter den Finnen.)

Usbek (mit Finnen auf Gothland eindringend).
Erschlagt ihn!

Rossan (mit andren Finnen dem Usbek entgegentretend).
Wir schützen ihn!

Usbek.
Das ist Empörung!

Gothland (zu Berdoa).
Plaudre
Kein Wort von dem, was zwischen mir und dir
Geschehn ist! Schweig, schweig! Du bist bös,
Doch dreifach bös bin ich, denn vorher war
Ich gut; drum hüt dich!

Berdoa (wütend auf ihn eindringend).
Hüte du dich selber;
Sehr blutbegierig sind die Tiger!

Usbek.
Ich bin
In Tod und Leben dir zur Seite!

(Rossan hält mit seinen Leuten den Anhang der Beiden auf.)

Gothland.
Haltet; hört
Mich erst, eh fruchtlos Blut vergossen wird!
Womit hat dieser Schwarze eure Liebe
Verdient?

Berdoa.
Schlagt doch die Trommeln!

Gothland.
– Vielleicht, weil er
Die Ersten eures Volks hinrichten ließ,
Um ihre häupterlosen Rümpfe zu
Den Stufen seiner Macht zu machen?

Berdoa.
Trommeln!

Einzelne Stimmen.
Nein, hört ihn, hört!

Berdoa.
Verdammtes Finnenpack!

Gothland.
Vernehmet ihr sein Schmähn? So lohnt ers jetzt,
Daß ihr ihn, als er barfuß, bettelnd in
Eur Land kam, wie 'nen König aufnahmt und
Mit Purpur seine Blöße decktet!

Ein Finne.
Ja, er
Kam barfuß in das Land; ich weiß es noch.

Gothland (zu Berdoa).
All diese vielen tausend Finnen, die
Hier stehn, die sich auf deinen Mut und Witz
Verlassend, dich zum Feldherrn wählten und
Dir folgten, hast du hergeführt auf dieses
Schlachtfeld, wie auf 'ne Schlachtbank, hast sie prahlrisch
Mit Siegsverheißungen getäuscht und nun
Durch deine Einfalt sie im Garn des Tods
Verstrickt! – Wo bleibt jetzt deine Kriegskunst? Hast du
Schon ihren ganzen Vorrat aufgebraucht?
(Auf die Finnen deutend.) Errett sie doch! Zweimal hast du's bereits
Versucht und zweimal haben dich die Schweden
Wie 'nen begoßnen Pudel wieder
Zurückgejagt; nicht wert bist du ein Feldherr
Zu sein; ich setz dich ab, und fortan dienst
Du als Gemeiner unter Rossans
Bataillonen!

Berdoa.
Gift und Hölle!

(Er geht auf Gothland los.)

Rossan und Finnen (ihn abhaltend).
Nieder mit
Dem Neger !

Usbek und Finnen.
Nieder mit dem Gothland!

Gothland.
Usbek! hör noch ein einzig Wort! Du kennst
Die Sitte deines Volks, die Blutrache?

Usbek.
Wie ich mich selbst!

Gothland.
Ward nicht dein Vater meuchlings
Erschlagen?

Berdoa (schnell und heftig einfallend).
Rührt die Trommeln!

Gothland.
Dieser Mohr
Erwürgte ihn!

Usbek.
Das lügst du!

Rossan (gibt dem Usbek ein Papier).
Hier ist der Beweis.

Usbek (in das Papier blickend).
O Mörder! Teufel! Teufel! Gothland,
Ich bin der Dein'ge! Nieder mit dem Neger!

Alle Finnen (indem nun auch die Letzten dem Beispiele Usbeks folgen).
Nieder, nieder mit dem Neger!

(Irnak, der bisher schweigend auf Berdoas Seite gestanden hat, verläßt ihn jetzt ebenfalls. – Berdoa, da er sich von allen verlassen sieht, will racheglühend auf Gothland zuspringen, aber plötzlich stürzt er besinnungslos, niedergeworfen von seiner inneren Erschütterung, an den Boden.)

Usbek (zu Gothland).
Wenn du ihn willst getötet haben, so
Trag mir es auf – laß mich den Vater rächen!

Rossan (leise zu Gothland).
Treibt es fürs erste nicht zu weit; schon wird
Der Pöbel nach der alten Weise wieder
Mitleidig, – immer hält er es mit dem,
Der unterliegt!

Gothland.
Wie wahr das ist, mein lieber Rossan!
(Für sich.) – Erst Grausamkeit zur Folie und dann
Ein bißchen Großmut drauf geflickt – das wirkt,
Das muß zu Tränen rühren – jetzt
Die Großmut! (Laut.) Usbek, wie mich dünkt, ist er
Für jetzt genug bestraft; bewahr mich Gott,
Daß ich an dem Ohnmächtigen mich räche! – Wenn
Er wieder sich erholt hat, dann soll
Dich niemand hindern, es mit ihm
In offnem Kampfe auszufechten. – Irnak,
Berdoa ward von dir am wenigsten
Beleidigt; beim Erwachen, denk ich, sieht er
Dich lieber als uns andre; bringe ihn
In Sicherheit, und wenn dir meine Gnade auch
Nur etwas gilt, so pfleg ihn wie 'nen Freund.

(Irnak und Soldaten bringen den Neger von der Bühne.)

Rossan.
Ist das nicht edel?

Die Finnen.
Ja, großmütig ists
Gehandelt!

Gothland (schnell ein flüchtiges Lächeln unterdrückend).
Lobt mich nicht; ich tat ja nur,
Was jeder Mensch tun würde. – Wie es mit
Euch steht, das wißt ihr selbst; Berdoa hats
Euch schon gesagt; – die schwedsche Landarmee
Umzieht uns enger stets und enger, –
Die schwedsche Flotte macht sehr drohende
Bewegungen – Neunhundert Reiter könnten euch
Bequem zusammenhaun! – Was gebt
Ihr mir, wenn ich eur Leben rette?
– Daß ich es kann, das glaubt ihr schon; ihr kennt
Den Herzog Theodor von Gothland aus
Den Schlachten, die er siegreich gegen euch
Gefochten hat!

Rossan.
Sehr billig ist es, für
Das Höchste auch das Höchste dir zu bieten:
Rett uns und Finnlands Krone sei dein Lohn!

Die Finnen.
Errett uns und sei König!

Gothland.
Ist
Das euer Ernst?

Die Finnen.
Ja, du bist unser König!

Gothland.
Ists so?

Rossan, Usbek und Finnen.
Wir alle sind dir untertänig!

Gothland.
So schwört, mir treu zu sein in Glück und Not!

Rossan, Usbek und Finnen.
Wir schwören, dir zu folgen in den Tod!

Gothland.
Den straf ich Hochverrats, der dieses log!

Rossan, Usbek und Finnen.
Der König Finnlands, Gothland lebe hoch!

(Tusch.)

Gothland (laut gebietend).
Wohlan, so reißet aus die finnischen Paniere
Und pflanzet auf die Banner meines Hauses!
(Es geschieht.) – Fortan ist Rossan euer Obergeneral,
Usbek bleibt Kommandeur der Reiterei! –
– Der schwedsche König hat 'nen Preis
Von tausend Stücken Goldes auf mein Haupt
Gesetzt, – ich setze funfzigtausend auf
Das seinige! – Herold, sitz auf und rufs
Den Feinden zu – (indem er in seine Brieftasche schreibt) mach dich zugleich
An ihren Oberfeldherrn, an
Den Grafen von Arboga, grüße ihn
Von Gothland, laß ihn dieses lesen, und
Meld mir, was er darauf beginnt! (Der Herold geht ab.) Wo ist
Mein Sohn?

Ein Finne.
Ich sah ihn bei der Vorhut.


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