Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Gothland.
      Weil es verderben soll
      Ist das Erschaffene erschaffen!
      Deshalb ist unsers Leibes kleinster Nerv so
      Empfänglich für den ungeheursten Schmerz,
      Deshalb sind unsre Glieder so gebrechlich,
      Deshalb sind wir so fasernackt geboren!
      Daß die Verführung sichrer uns
      Beliste, wurden wir
      Mit Dummheit reichlich ausgestattet, und
Unsterblich sind wir für – – die Höllenstrafen!
      – Weil es verderben soll, ist das Erschaffene
      Erschaffen! Wie ein riesges Henkerrad
      Kreist dort der sogenannte Himmelsbogen;
      Die Tage und die Nächte, Sonne, Mond
      Und Sterne sind
      Wie arme Delinquenten draufgeflochten, und
      Mit ausgesparten Gnadenstößen
      Zerrädert und zermalmt er sie!
Berdoa.
      Hoho! ich weiß, weshalb er allenthalben Rad
      Und Galgen nur und arme Sünder sieht!
Gothland.
      Pfui, pfui! wie ekelt mich die Schöpfung an!
      Der Jahreszeiten wechselnde
      Erscheinungen, die immer wiederkehrenden
      Verwandlungen an dem
      Gestirnten Firmament – Was sind sie anders, als
      Ein ewges Fratzenschneiden der Natur?
(Er blickt mit suchenden Augen umher, – seine Stimme wird bewegt.)
      Weh! Weh! Wie hat sich alles doch verändert!
      Wie labte gestern noch der Anblick der
      Natur mein krankes Herz! Wie lächelte
      Die Sonne!
Berdoa.
      O des Toren! die Natur
      Ist noch so herrlich wie sie war, allein
      Sein Busen ist der gestrige nicht mehr!
Gothland.
      – Zwar habe ich gemordet, doch – (Er fährt auf und sieht die Sonne.) Wie mich
      Die Sonne angrinst! – Was will sie? Meint sie
      Ich wär ein Brudermörder? Oder lacht sie
      Mich aus? Sie lacht und lacht, bei Freud und Leid,
      Sie kennet keinen Schmerz! – Ha, Sonne! könnt
      Ich dich einmal bei deinem Strahlenhaare packen –
      Am Felsen wollt ich dein Gehirn zerschmettern,
      Und dich, was Schmerz heißt, fühlen lassen!
(Die Sonne tritt wieder hinter die Wolken; Gothland beginnt abermals.)
      – Zwar habe ich gemordet, doch – (Donner und Blitz.) Wem drohet ihr,
      Ihr Blitze? Etwa mir? O, ich
      Bin nur ein Mörder, aber
Mordbrenner seid ihr!
      – Zwar habe ich gemordet, doch –
(Kriegsmusik der anrückenden schwedischen Armee; aber Gothland fährt, ohne sich zum dritten Mal unterbrechen zu lassen, fort.) doch Morden ist
      So schlimm nun grade nicht!
      Vom Morden lebt ja alles Leben; wenn
      Du atmest, mordest du! – ein Ding, das nichts
      Ist, einen Menschen, machte ich zu etwas, sei's
      Auch nur zu Mist! Bei einem Mastschwein
      Bedenk ich mich eh ich das Messer zücke,
      (Sein Dasein hat 'nen Zweck – es wird
      Gefressen –) doch bei einem Menschen
      Bedenke ich mich nicht; sein Leben
      Nützt weder anderen, noch ihm, und dazu
(indem er unwillkürlich an Berdoa und an sich denkt)
      Ist er so negerartig – oder auch so weiß,
      Und so verderbt, daß es unmöglich ist,
      Sich an 'nem Menschen zu versündgen: was
      Für Leid 'eh auch ihm antu – er hat es
Verdient!
Berdoa.
      Wart, damit will ich mich
      Entschuldgen, wenn ich dir den Hals umdrehe!
      Ich werde –
(Laute, nahe, schwedische Kriegsmusik.) Ha, die Schweden sind schon nah!
(Er geht mit seinem Gefolge schnell ab.)
Gothland.
      Vor wem sollt ich erröten?
      Ei! mordet jene schwörende, gift-
      Geschwollne, aufgebrochne, eiternde
      Pestbeule, die ihr Sonne nennt, und als
      Das Ebenbild der Gottheit ehrt, nicht auch?
      Wie an der Amme Brust das Kind, so liegt
      An ihr das durstge All, – boshaft tränkt
      Sie es mit ihrer fieberheißen Milch;
      Daß sie zum Mord aufgären mögen, tropft
      Sie Feur in unsre Adern,
      Und zärtlich, wie 'ne Mutter, brütet sie
      Die lieben Krokodile aus den Eiern!
      – Vor wem sollt ich mich fürchten?
      Du Himmel! darfst mich nicht verdammen;
      Du selber schmiedest aus des Sommers Flammen,
      Dicht unter deinem blaugewölbten Sitz,
      Den schwefelsprühnden Blitz!
      Du tust ihn an mit rotem Prachtgefieder,
      Du lehrst ihn seine Donnerlieder,
      Du leihst ihm turmeinschmetternde Gewalt,
      Räumst ihm das Weltrund zum Versengen ein:
      Da flammt die Stadt! die Feuerglocke schallt!
      Und lachend jauchzt der Donner hintendrein!
(Schwedische Kriegsmusik; die Finnen erwidern sie mit der ihrigen; Schlachtgeschrei; Gothland fährt empor.) Ha, was ist das?
Erik (kommt atemlos).
      Herr, rettet Euch, wenn Ihrs
      Noch könnt! Die Finnen fliehn, die Rächer nahn,
      Und Euer eigner Vater führt sie an!
Gothland.
      Scheu fliehe ich dem Vatermorde aus
      Dem Wege, und entrinne übers Meer!
(Er wirft sein Schwert von sich und stürzt auf die Ostseeküste zu; – auf einmal taumelt er zurück.) Ha!
Erik.
      Dort kreuzt die königliche Flotte und
      Versperret Euch die See!
Gothland.
      Die Hölle hält
      Mit festen Stricken mich gefangen, – nicht
      Einmal der Weg der Flucht ist mir vergönnt!
      So muß ich denn aus Notwehr sündgen! Um
      Sein Leben wehrt sich auch das Lamm!
      Horch!
Erik.
      Was?
Gothland.
      Bist du denn taub? Der Satan wiehert!
Erik.
      Die Ostsee hört Ihr um die Klippen brausen.
Gothland (für sich).
      – Sieh! ringsum wirds mir Nacht – ausgelöscht
      Sind mir die Leuchttürme des Lebens:
      Die Liebe, die die Gegenwart umglänzt,
      Die Hoffnung, die die Fernen rosig schmückt,
      Des Ruhmes Kränze, welche funkelnd an
      Den Sternen hangen, Tugend, die
      Den Märtyrer im Sterben noch verklärt,
      Die Sonnenberge der Unsterblichkeit,
      Auf die der Erdenwandrer blickt
      Im Unglückssturm – – sie alle leuchten mir nicht mehr! – – Und
      Ich weine nicht? So stürzet euch
      Ihr Felsen, die ihr um mich her steht,
      Zermalmend auf mein ehrnes Herz,
      Bis daß es Weh empfindet!
      Zerschmelzet es, ihr Flammen des Gewissens
      Und läutert es zu einer Träne!
      Hilf du mir weinen, Meer! – Wenn Liebe, Seligkeit
      Und Tugend je der Träne wert gewesen,
      So muß ich jetzo weinen – (Nach einer Pause.) Sie sind es
      Nicht wert gewesen! –
Irnak (kommt).
      Herzog,
      Der Neger läßt Euch sagen, daß
      Der Schwedenkönig mit 'nem Heer
      Von achtzigtausend Mann uns angefallen hat;
      Wenn Ihr der große Feldherr wirklich wäret,
      Als welchen man Euch rühmt, so möchtet Ihr
      Nicht länger als ein Feigling zaudern, sondern
      Den Finnen beistehn in den Drangsalen
      Der Schlacht.
Gothland (beiseit).
      Wie tückisch mich der schwarze Bube
      Durch seines Dieners Mund verhöhnt! Die Schafsseel
      Die das vergeben kann! (Zu Irnak.) Verkünde laut
      Dem Finnenheer, nie würd ich es verlassen,
      Und kommen würd ich, wenn die Schlacht
      In meiner Brust geschlagen ist.
(Irnak ab.)
Gothland.
      – Mein Vater
      Will mich ermorden. Meine Freunde sind
      Nun meine Feinde. Zum Schafotte hat
      Mein König mich verdammt. Mein Vaterland
      Verstößt mich. Mit dem Blut des Bruders
      Ist diese Hand befleckt – die Freude kann
      Mich nie erfreun! – – Ich selbst verachte mich und
      Deshalb auch das, was außer mir noch da ist –
      Glück, Freundschaft, Vaterliebe, Vaterland
      Sind hin – Was bleibt mir noch? Was anders, als
      Die Wollust, an dem Neger, welcher mich
      Verderbt hat, volle Rache mir
      Zu nehmen, jede Höllenpein zwiefach
      Mit Höllenpein ihm zu bezahlen, mich
      Zu sättigen in seinem Blute, Glied
      Vor Glied von unten auf mit eigner Hand
      Ihm zu zerbrechen, und mit giergem Ohr
      Sein Winseln einzusaugen! (Rossan kommt.) – Der kommt mir
      Gelegen. – – Hab ich keine innre Größe mehr,
      So muß ich sie mit äußerer ersetzen;
      Weil ich mich selbst verachte, müssen mich
      Die Völker achten: wenn die Königskronen
      Finnlands und Schwedens um mein Haupt sich schlingen,
      So duld ichs schon, daß um mein Herz sich Nattern ringen.
Erik.
      O teurer Herr! der innre Seelenfrieden
      Bedarf der Kronen nicht zu seinem Glück,
      Doch jede Kron ist ohne Frieden nichts
      Als eine goldne Last!
Gothland.
      Wie du, so denkt
      Ein Knecht, wie ich, so denkt ein König. (Zu Rossan.) Nun,
      Was bringst du mir, mein lieber Rossan?
Rossan.
      Wann Ihr denn endlich kommen wolltet, fragt
      Der Neger, der mich schickt.
Gothland.
      Ei, das laß mich
      Nicht glauben, Rossan!
Rossan.
      Was nicht?
Gothland.
      Daß der Neger
      Dich schicken soll! Des Negers Botenläufer
      Ist Rossan nicht!
Rossan.
      Höhnst du mich, Schwede?
Gothland.
      Wie? Bist
      Du nicht der älteste der Finnenfeldherrn?
      Bist du der klügste nicht und mutigste
      Von ihnen? Und du kannst es dulden, daß der
      Verlaufne Afrikaner dich hochmütig
      Wie seinen Knecht behandelt? Wem gebührt
      Denn eigentlich das finnische Kommando?
Rossan.
      Mir, mir, mir! mir! Der Teufel mag es wissen,
      Wie dieser Mohr aus seinem Afrika
      Nach Finnland kam!
Gothland.
      Sprich nicht so ungerecht;
      Der Teufel weiß es nicht, der Himmel, der
      Allwissend ist, hat es gewußt!
Rossan.
      Was Himmel?
      Den Neger haß ich wie die Höll! Er stahl
      Mir meine Rechte!
Gothland.
      Rossan, nimm sie ihm
      Doch wieder ab!
Rossan.
      Kann ichs? Der Pöbel ist
      In ihn vernarrt! – Mich frißt die Galle, er
      Wird fett und mästet sich!
Gothland.
      Ich wüßte wohl
      Den Weg ihn zu verderben.
Rossan.
      Zeig ihn mir!
Gothland.
      Rings haben euch die Schweden eingeschlossen –
      Das Finnenheer ist in Gefahr – Wählt mich
      In dieser Not zum Könige –
Rossan.
      Bist du verrückt?
Gothland.
      Dann mach ich dich zum Obergeneral
      Der finnischen Armee, den Neger setz
      Ich ab und als Gemeiner dien er unter dir!
Rossan.
      Ei,
      Das wär so übel nicht! Dann könnte ich
      Ihn necken, wie er mich geneckt hat und
      Ihn Galle schmecken lassen?
Gothland.
      Und dabei
      Würd ich mit meiner Königsmacht dich schützen!
Rossan.
      Und dürft ich ihm und Usbek, seinem Lieblinge,
      Zuletzt auch noch die Häls abschneiden?
Gothland.
      Mit Golde würd ich deine Tat belohnen!
Rossan.
      Herzog, Ihr seid mein König! Ich eile
      Zu meiner Schar und spreche dort für Euch!
(Geht ab.)
Gothland (ihm nachsehend).
      Tor, aus dem Regen kommst du in die Traufe –
      Ein Schlimmrer werd ich sein als dieser Neger!
      – So ist der Mensch; die Gegenwart beherrscht ihn
      Und schon das bloße Wechseln hat für ihn
      Was Reizendes! Die kleinre Qual, die für
      Den Augenblick ihn quält, vertauscht er gern,
      Um sie nur loszuwerden, mit der größten;
      Wer Zahnweh hat, wünscht, daß es Kopfweh wär,
      Und wär es Kopfweh, würd er Zahnweh wünschen;
      Demjenigen, den ein Despot bedrückt,
      Scheint Anarchie etwas Willkommenes,
      Und wer gehenkt wird, wünscht, daß man
      Ihn rädre! – Irr ich mich? Erbebte nicht
      Der Boden?
Erik.
      Wie
      Von fernem Hufschlag dröhnt die Heide.
Gothland.
      Ha,
      Gewiß versucht die schwedsche Reiterei
      'Nen Ansturm auf die Finnen! Ja! So ists!
      Dort stäuben schon die lückenvollen Reihen
      Des Finnenheeres durch das Feld!
Finnen (hinter der Szene).
      Flieht! flieht!
      Wir sind geschlagen! Fluch dem Mohren, der
      Uns hergeführt!
Gothland.
      So höre ich es gern!
(Von der rechten Seite der Bühne kommen flüchtige Finnen; gleich darauf Irnak, Usbek und andere.)
Usbek.
      Wohin, ihr Memmen?
      Noch schwankt der Sieg! Stellt euch in Reih
      Und Glied!
Flüchtige (trotzig).
      Erst wolln wir ruhn!
Irnak.
      Dort kommt
      Der Oberfeldherr!
Berdoa (tritt auf).
      Panther und Hyänen!
      Wir sind zurückgedrängt! Von Europäern!
Gothland (für sich).
      Auf Europäer hast du lang genug
      Geschmäht!
Berdoa.
      Noch einmal drauf und dran!
Ein Finne.
      Wir haben keine Waffen mehr!
Berdoa.
      Erkämpft
      Euch welche von dem Feinde!
(Zu Gothland.) Schlecht, Herzog! ziemts Euch müßig hier
      Zu stehen und das Maul weit aufzusperren,
      Wie 'n Gassenjunge! Wisset Ihr nichts Beßres
      Zu tun? Seid dankbar gegen Eure Retter
      Und helft den Finnen, wenn Ihrs könnt!
(Gothland hat ihn mit zurückgehaltenem Grolle lächelnd angehört. – Berdoa wendet sich zu den Finnen.) Ihr steht
      Auf einem Schlachtfelde: hier ist der Mord
      Ein Ruhm und wird belohnt! Ihr habt die Wahl,
      Selbst umzubringen oder umgebracht
      Zu werden! – Wollt
      Ihr von des Feindes Rossen euch
      Zertreten lassen oder wollt ihr ihn zertreten?
      Wenn ihr das Letztre wünscht, so streitet brav;
      Der Tapfre lebt am längsten!
      Die blassen Schweden fürchtet ihr doch nicht?
      Wie Hunde werdet toll von ihren Hieben!
      Stoßt sparsam zu, doch wenn ihr stoßt, so trefft auch!
      Bauch, Brust, Gesicht, das sind die Stellen
      Wonach ihr zielen müßt!
      Ist euer Schwert zerbrochen,
      So habt ihr Nägel an den Fäusten; hat
      Der Gegner euch die Hände abgehackt,
      So habt ihr Zähne in dem Maule;
      Auf! »Europäerblut« das Feldgeschrei!
(Er geht mit den Finnen auf die rechte Seite der Bühne zu.)
Rossan (kommt ihnen eilends entgegen).
      Zurück! die schwedschen Reiter kommen!
      Hier auf der offnen Heide können wir
      Nicht widerstehn!
Berdoa.
      Das ist verdammt!
(Zu den Finnen.) Zieht bis an jene Höhen euch zurück
      Und ordnet dort von neuem euch zur Schlacht!
      In zehn Minuten sind wir wieder hier!
(Die Finnen ziehen linkerhand ab.)
Irnak.
      Herr, auf dem Meere schifft
      Die Schwedenflotte und sie droht zu landen!
Berdoa.
      Still!
      Schon seit 'ner Stunde hab ich sie im Auge!
      Mich freut, daß sie das Volk noch nicht bemerkte;
      So lang es gehn will, wollen wirs
      Verhehlen!
(Berdoa, Irnak und die letzten Nachzügler des Finnenheeres ab.)
Gothland (deutet rechts hin).
      Erik, siehst du dort
      Den Graugelockten auf dem Hügel stehn?
Erik.
      Es ist der Herzog, Euer Vater.
Gothland.
      Sieh!
      Der Wind weht ihm das Haar wie Sturmgewölk
      Ums Haupt, und wie ein Geier, welcher hoch
      Von seiner Felsenwarte Beute späht,
      Blickt er mit rollnden Augen durch die Heide –
      – Erik! nach wem sieht er wohl so umher?
      Weh! er erblickt mich! Weh, er kommt! er kommt!
      Verbirg dich, Antlitz! (Er zieht eine Kappe übers Gesicht.)