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Gott

Herr Gott, Weltengeist, wenn ich dich denken will, verzehret eine Ahnung von dir meinen Sinn und Verstand, wie die ferne Sonne den Tropfen Wassers verzehrt, der in ihrem Strahle zu einem Spiegel für Himmel und Erde geworden ist.

Allmächtiger! Wie bestehet vor deinem alles erfüllenden, unendlichen, allgegenwärtigen Schöpfergeiste der leere Raum, der tote Stoff und das Nichts? Wie vor deiner ewigen Gotteskraft, vor deiner Weltewigkeit der Anfang und das Ende, wie in deiner göttlichen Natur der Zwiespalt von Einheit und Mannigfaltigkeit, von Freiheit und Notwendigkeit, das Auseinander von Ursache und Wirkung?!

Deine schaffende Kraft erfüllet von Ewigkeit den unendlichen Weltenraum, und wandelt das Nichts in eitel Welten und diese Welten zurück in das Nichts, und befruchtet jegliches Sonnenstäubchen, und erwecket im Wassertropfen so viele Geschöpfe, wie im Weltmeer, und zweiget ohne Aufhören Seelen von Seelen, und zeuget in jeglicher Seele die Empfindung, die Freiheit und Gesetzlichkeit der ganzen Natur, und im Menschensinn, im Gedanken, die sich wissende Vorstellung, die Spiegelung der ganzen Welt.

Und so wird jeglicher Augenblick deiner unendlichen Gotteswelt fort und fort eine wiedergeborne Weltewigkeit für sich selbst. Und wo des Menschen Sinn und Verstand endet und ohnmächtiglich nur ein Nichts anzuschauen und zu ergründen vermag, da woget und schlummert, da träumet und reifet, unvernommen von erschaffenen Sinnen, die Weltseele, die unendliche Lebenskraft, und über ihr, wie über den Urwassern am ersten Tage der Schöpfung, brütet und schaffet dein heiliger Geist, und ist die Seele deines Weltenkörpers und doch ein Gottes-Ich, die freibewußte Kraft, die da schaffet, weil sie in Liebe will, und nicht weil sie muß.

Herr meiner Seele, du alles Lebens Quell, dich such' ich nicht, denn ich atme und lebe durch dich!

Ich ergrüble und beweise dich nicht mit toten Worten, denn du erfüllst mir lebendig alle meine Sinne und Gedanken, und wohnest in meinem Gemüte und lastest auf meinem Gewissen und bist meines Herzens Kraft und Fröhlichkeit.

Wenn ich jubiliere, wenn ich lebens- und todesmutig bin, so schwellst du, o Gott, mir die Brust, und wenn ich traurig, wenn ich verzweifelt bin, so geschieht es, daß ich dich nicht fühle, dich nicht vernehmen kann, obwohl du bei mir bist.

Wenn du nicht wärst, so wär' ich nimmermehr, wenn du nicht zu mir stündest, so fühlt' ich nicht, und siehe, meiner Seele Schmerzen wie ihre Freuden bezeugen deines Daseins heil'ge Kraft in mir!

So bleibe uns denn gegenwärtig, du aller Seelen Seele, du aller Gedanken Geist! Wo dein Odem weilet, da entweichen die Schatten und die Beängstigungen des Todes, und die Lichtstrahlen des Lebens durchblitzen die Welt und das Gemüt,

So weile denn, Weltenschöpfer, bei deinem Geschöpfe, so bleibe auch mir nahe, auf daß ich mein Leben behalte und empfinde in deinem Geist, und rühre von ferne meinen irrenden Menschengeist an mit deiner ewigen Wahrheit, und regiere meine taumelnden Sinne und meine stammelnden Gedanken, und gängle sie, daß sie dich allein denken, und die unausdenkbare Herrlichkeit deiner Welt! und spiele auf meiner armen Seele, wie du auf Engel- und Kinderseelen spielst; und wie der Morgen- und Abendwind die Wetterharfe durchtönt, so durchhauche mich mit der Harmonie deiner Sphären, so durchzittre mich mit deinem ewigen Geist!

O Herr, du dünkst mir wie des Himmels Atherbläue fern und nahe. Puls um Pulsschlag fühl' ich dich, und fühl' dich nicht und weiß dich nimmer: denn deine volle Nähe sprengt mir Herz und Hirn und wandelt mich zu Staub. Und dein lebendiger Begriff ist ew'ge Liebe und Weltenschöpfung, und deine Weltenkreise, deine Ewigkeiten, deine Gottesliebe auf einem Punkte nenne ich »mein Glauben und mein Lieben«, nenne ich mein Herz! und doch ist alles, alles dein und du selbst!


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