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Das Wort.

Ein jegliches Wort, das im treu gläubigen Gemüte gegründet und einem liebenden Herzen entsprossen ist, zündet in einem zweiten Herzen. Es beschwört wiederum Glaube, Liebe und Treue; es wächst und gipfelt in den Himmel, es verkehrt unter den Sternen und holt das Rätsel des Lebens zur Erde herab.

Aber eben, weil das Wort der Hauptschlüssel des Geistes und der Seele zu sein vermag, darum verschließt es auch alles Leben so leicht, wie es dasselbe erschließt. Diese Menschenworte sind entweder Worte des Lebens oder des Todes, eine Sünde oder eine Entsündigung.

Es verlohnt nicht, zum Volke zu reden, oder die Feder zur Hand zu nehmen, wenn dieser Red- und Schreibestil nicht Spiegelbild wird natürlicher und übernatürlicher Geschichten, eines Prozesses, in welchem Himmel und Erde, in welchem Zeit und Ewigkeit in ein Zusammenspiel gebracht sind. Worte haben keinen Sinn, wenn sie nicht zeichenreden und hieroglyphieren. And eine Zusammenstellung von Worten ist ein Unfug, eine garstige Wortmacherei und ein gotteslästerlicher Aberwitz, wenn sie nicht von innen heraus vor sich geht, wenn sie nicht Notdurft, Notschrei, Offenbarung, Prophezeiung. Gebet, Gesicht, wenn sie nicht Natur- und Gottesgeschichte ist.

Worte sind nach dem Willen Gottes und der Natur heilige und allmächtige Zeichen; Sprache eine Manifestation des Innersten der Seele, eine Enthüllung des Heiligtums, der Zeugung und Schöpfungskraft des Geistes.

Segen und Fluch hat die Natur überall an dasselbe Lebens- und Bildungsprinzip, an dasselbe Sein und Dasein gebannt. Schönheit, Wahrheit, Liebe, Andacht, Poesie habenden Menschen wechselsweise zum Halbgott und zum Teufel gemacht, ihn in den Himmel erhoben und im Erdenkot geschleift.

So ist denn auch das Wort bald die Macht, die allen andern Mächten gebietet, und bald die Unmacht, die jede Geistes- und Manneskraft vernichtet und entmannt; der gute, heilige Genius, der allen Lebens- und Bildungsenergien zum Dasein und Bewußtsein hilft, die Wehmutter alles vollkommensten Menschentums, und dann wieder der heillose Dämon, der die Stimmen der Menschen noch bis zum heutigen Tage verwirrt, und aus der sublimsten Dialektik einen Aberwitz, aus dem Weisen einen Narren macht.

Es gibt Worte, die größer, und somit solche, die schlimmer als Taten sind. Es gibt Dinge, die man ohne Schuld stillschweigend ins Werk richten, aber nicht ohne Entheiligung und Greuel besprechen und ins Selbstbewußtsein übersetzen kann.

Alle Unzucht in Worten ist noch schmählicher als die in Werken, weil sie eben eine reflektierte, also instinktlose, gemachte Unzucht, und somit eine Untat, eine widernatürliche Missetat ist.

In der schlimmsten Tat ist wenigstens eine plastische Kraft, ein Impuls, in der zügellosen Leidenschaft immer noch eine Naturnotwendigkeit, eine brutale Energie. Was ist aber das gedanken- und seelenlos gemißbrauchte Wort, die ausgeschwächte Redensart, die herzlose, totgeborene Phrase anders, als die scheußlichste Umacht und Unheiligkeit, eine Knechtschaft mit Absicht und Selbstgenugtuung, ein Verrat des Heiligtums des Geistes?!

Verflucht ist, wer das heilige Tor seiner Seele, wer seinen Mund zur Lügenhölle, ein Narr, wer ihn zur Buhldirne macht! Wer seinen unsterblichen Geist und das Heiligtum seiner Innerlichkeit und Seele, wer seine göttlichen Pulse und Kräfte mit unnützlichen und aberwitzigen Worten, in leidiger formbuhlender Geschwätzigkeit zur Schau stellt und entblößt! Solcherlei Schamlosigkeit und Narretei ist aber heute der Antrieb des Geistes, sein Wetteifer, sein bester Witz und sein köstlichster Schmuck -- das ist die Gemeinheit und der Fluch der unheiligen Verstandesbildung dieser Zeit,

Unsere Altvordern hatten ein Gefühl und Gewissen von der Heiligkeit und Unheiligkeit des Wortes, das uns entwichen ist. Sie übten und erfuhren seine bannende und lösende Kraft, sie achteten auf Segen und Fluch, sie fürchteten den gebrochenen Schwur. Sie beschworen Geister und Krankheiten mit Zauberworten. Und derselbe Schatz, den das rechte Wort im Märchen sichtbar werden läßt, versinkt tausend Klafter tief bei dem ersten unheiligen und überflüssigen Wort.

Sicherlich heben wir keine Schätze mehr, weil wir so entsetzlich viele und heillose Worte machen. And um dieser Wortmacherei auch keine Literaturschätze mehr, wenn man anders nicht jeden Witz, der seine Frechheit in Variationen zu sehen versteht, zur glücklichen Schatzgräberei zählen will. Bei den Vorvätern galt ein Wort einen ganzen Mann, und Wort halten hieß ein Mann sein. Heute halten die Worte einander selbst keinen Augenblick über Wasser, geschweige denn ihren Mann, oder der Mann seine Worte.

Es geht von Zeit zu Zeit bei den von Kunst- und Literaturgnaden Geborenen eine Redensart spuken, und so hat man jüngst die von der Tat, die in einem Worte vollbracht zu werden vermag. Wenn aber kein Mittel gefunden wird, diese Neutaten und Literaturtaten zu beseitigen, und die uralten Taten in Worten wie in Werken wieder zu erwecken, mit einer herzenseinfältigen Seele und mit dem Glauben und Lieben, das an jene Worte und Werke gebunden war: so werden die eiteln hohlen Redensarten den Rest unseres Mutterwitzes und unserer Tatkraft fressen, wie sie bereits mit unserer Seele getan haben. Und wir werden ganz und gar umkommen -- eben am falschen, am unheiligen, am schamlosen und toten Wort!

Darum wisse dieses und beherzige es, Jünger der Wissenschaft, als ein Geheimnis des Stils:

»Eine herzgeborene Begeisterung, eine hehre Liebe und Heiligung gibt allen Worten eine neue, eine unerhörte Bedeutung und Kraft

Dieselben Worte, die keinen Sinn haben und ein Ärgernis sind im gemeinen Redeverkehr, in verbrauchter Redeseligkeit, die entzünden ein himmlisches Fühlen und Denken, die werden Worte des ewigen Lebens, Worte, denen die ursprüngliche Seele wieder innewohnt, wenn sie die Wellen sind auf dem Wasser, welches dem göttlichen Urquell entströmt.

Wo der Odem neu ist, da macht er die Worte auch neu! Mit einer neuen Seele feiert auch der Leib seine Wiedergeburt. Wenn zweie dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe.

Im Prophetenmunde, im Munde der Liebe und Begeisterung deutet sich alle Rede wieder heilig und ewig jung; der heilige Gebrauch des Wortes macht seinen heiligen und sinnigen Verstand.

Eine rechte Rede ist wie eine Schlacht, eine Hunnenschlacht, in der die Geister noch fortkämpfen, wenn bereits die Leiber erschlagen worden. Die am Boden liegenden Leichname sind die toten, die kämpfenden Geister sind die lebendigen Worte; die Feldherren sind der Genius der Sprache und der Genius des Sprechenden. Der lebendige Sinn und Geist des Redners ringt mit dem fertigen, gerüsteten Formenverstande der Sprache auf Leben und Tod; und wenn sich erst die eiteln Redensarten totgeschlagen haben, kämpft jegliches Wort im Geiste mit allen andern Worten, bis der Genius des Redners und Schriftstellers, wiedergeboren in dem der Sprache, als lichter Sieger dasteht.


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