Nikolai Gogol
Furchtbare Rache
Nikolai Gogol

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9

Am Tisch in seiner Stube sitzt Danilo. Er stützt den Kopf und spinnt trübselige Gedanken. Frau Katherina sitzt träumend auf der Ofenbank und summt ein Lied.

»Ich weiß nicht, was ich habe, Weib!« spricht Herr Danilo. »Mir tut der Kopf weh und das Herz weh. Kann es dir selber nicht erklären, was mich drückt. Ich spüre meinen Tod. Er wird wohl unterwegs sein.«

– O du mein liebster Mann! Schmieg deinen Kopf an meinen und jag die schwarzen Gedanken fort! denkt Katherina. Doch wagt sie nicht, es laut zu sagen. Sie fühlt sich schuldbeladen, – da schaffen ihr Danilos Küsse bittre Gewissenspein.

»Hör, was ich dir jetzt sage, Katherina!« spricht Herr Danilo ernst. »Verlasse meinen Sohn nicht, wenn ich nicht mehr da bin! Gott wird dir nie ein Glück mehr gönnen in dieser und der andern Welt, wenn du das Kind verläßt. Keine Ruhe fänden im Grab meine modernden Knochen, keine Ruhe fände meine unsterbliche Seele!«

»Was sprichst du, Herr Danilo? Hast sonst uns schwache Weiber ausgelacht! Und sprichst auf einmal heute selber wie ein schwaches Weib! Du lebst noch lange!«

»Nein, Katherina, meine Seele hört schon den Schritt des Todes. Traurig wird's auf der Erde, und schlimm sind diese Zeiten. Ach, ich gedenke meiner vergangenen Jahre, – sie kommen nicht wieder! Da führte noch er den Befehl, Konaschewitsch, der Alte, der Ruhm und die Ehre unseres Volkes! Ich seh', als wäre es gestern gewesen, die Regimenter vorbeiziehn! Das war eine große, goldene Zeit, Katherina! Auf rabenschwarzem Gaul saß der Hetman im Sattel, den blanken Stab in der Hand, umringt von seinem Gefolge. Von Hügel zu Hügel erfüllte die Mannschaft das Tal, – ein rotes Meer von Kosaken. Der Hetman sprach, und alles stand an den Boden geschmiedet. Der Alte weinte, da er der früheren Taten und Kämpfe gedachte. – Du weißt ja nicht, Katherina, wie herrlich wir da mit den Moslim rauften! Hier trag' ich am Kopf noch heute die Narbe von damals. Vier Kugeln schlugen vier Löcher in meinen Leib, und keine der Wunden ist je wieder völlig verharscht. Und wieviel Gold wir erbeutet! In ihre Mützen schöpften gemeine Kosaken die edeln Steine! Und wieviel Rosse wir mit uns geführt, – Katherina, wenn du das wüßtest . . .! – Ach, solche Kämpfe erleb' ich nie wieder! Ich bin ja nicht alt, und die Glieder sind rüstig, aber mir glitt das Schwert aus der Hand. Tatlos leb' ich dahin und weiß kaum selber, wozu ich lebe. Keine Ordnung herrscht mehr im Grenzland. Die Obersten knurren sich an wie die Hunde. Kein Haupt mehr über alle ist da. Unsere Junker folgen dem polnischen Brauch und lernten die polnische Tücke. Sie haben ihre Seelen verkauft, da sie sich fügten in die vermaledeite Union. Die Juden drücken den kleinen Mann. – O, du große vergangene Zeit! Wo sind meine Jahre geblieben? – Lauf in den Keller, Bursch, und hol mir vom besten Met eine Kanne! Ich will eins trinken zu Ehren des früheren Lebens und auf die Jahre der Jugend!«

Stetzko trat in die Stube und sprach:

»Herr, wir müssen Gäste empfangen! Das Tal herauf zieht ein Haufe Polacken!«

»Ich kann mir denken, weshalb sie kommen!« brummte Danilo und stellte sich auf die Füße. »Sattelt die Gäule, getreue Knechte! Rüstet euch und zieht blank! Vergeßt auch die bleiernen Pflaumen nicht, – Ehre, wem Ehre gebührt, dem Gast vor allem!«

Aber noch waren die braven Kosaken nicht aufgesessen, noch hatten sie nicht die Büchsen geladen, da wimmelten auch schon am Berg die Polacken so dicht, wie im Herbstwind die gelben Blätter zur Erde rieseln.

»Gäste genug, die wir grüßen müssen!« sagte Danilo und faßte die dicken Junker ins Auge, die sich an der Spitze der Feinde auf goldgeschirrten Gäulen gewichtig im Sattel wiegten. »So ist uns mit Gottes Hilfe doch noch ein fröhlicher Tanz beschieden! Freu dich noch einmal zum Abschied, Kosakenseele! Munter, Burschen, das Fest hat begonnen!«

Schon ist am Berge oben der Tanz im Gang. Der Schlachtrausch glüht in den Köpfen. Die Säbel dröhnen, die Kugeln schwirren, es wiehern und stampfen die Gäule. Man weiß nichts mehr vor Geschrei, man kann nichts sehen vor Rauch. Ein wildes Getümmel . . .! Doch der Kosak hat's in der Nase, wer Feind und wer Freund ist. Es pfeift die Kugel, – ein Reitersmann stürzt aus dem Sattel. Es saust der Pallasch, – ein Kopf ohne Leib rollt in den Staub, und wirre Reden lallt sein verzerrter Mund.

Doch über der Menge leuchtet der rote Boden von Herrn Danilos Mütze, es glänzt der goldene Gurt auf seinem blauen Rock. Wie ein Wirbelwind saust seinem Rappen die Mähne. Gleich einem Vogel im Flug ist Danilo bald hier und bald dort. Er schmettert den Schlachtruf, er schwingt den türkischen Pallasch und haut nach rechts und nach links. Hau zu, Kosak! Nur munter, Kosak! Berausche im Kampf dein tapferes Herz! Verschau dich nicht in goldene Panzer und Röcke von kostbarem Tuch! Tritt unter die Füße Gold und Gestein! Stich zu, Kosak! Nur munter, Kosak! Schau dich nicht um, – schon setzt der ehrvergessene Feind den roten Hahn auf deine Hütten und treibt das Vieh aus deinem Stall. In wildem Laufe sprengt Herr Danilo hinab; nun taucht der rote Mützenboden dicht vor dem Hof aus dem Gewühl. Und wo er dreinschlägt, lockert sich bald der Feinde Ring.

Schon eine Stunde, zwei Stunden schon und länger tobt die Schlacht. Wenig Krieger sind es geworden bei Freund und Feind. Doch Herr Danilo wird nicht müde. Mit seiner Lanze sticht er die Reisigen aus dem Sattel, das Fußvolk stampft er unter die Hufe des wackeren Gauls. Schon ist der Hof gesäubert. Schon wenden die Polacken sich zur Flucht. Danilo denkt an die Verfolgung, er sieht sich nach den Seinen um und will sie rufen, – da packt ihn eine tolle Wut. Dort auf dem Berg steht Katherinens Vater und zielt mit der Muskete her. Danilo spornt den Rappen und sprengt bergan . . . – Kosak, du reitest in den Tod! – Die Büchse kracht, der Zauberer verschwindet hinter dem Berg. Danilo wankt im Sattel, er stürzt, er liegt am Boden. Der treue Stetzko eilt herzu. Sein Herr liegt langgestreckt. Geschlossen sind die hellen Augen. Es kocht das rote Blut aus seiner Brust. Allein er spürt die Nähe des Getreuen, – matt öffnet er die Lider, in seinen Augen steht ein matter Glanz.

»Stetzko, leb wohl! Sag Katherinen, daß sie mir nicht den Sohn verläßt. Verlaßt auch ihr ihn nicht, ihr meine Treuen!«

Sprach's und verstummte. Gen Himmel schwang sich aus dem edeln Leib die rüstige Kosakenseele. Blau wurden Herrn Danilos Lippen. Er schlief den Schlaf, daraus kein Kosak erwacht.

Herzbrechend schluchzte der getreue Knecht und winkte Frau Katherinen mit der Hand.

»Komm, Herrin, eile schnell herbei! Der Rausch der Schlacht hat deinen Herrn gefällt. Da liegt er trunken an der feuchten Erde. Lang' wird er brauchen, bis er nüchtern wird.«

Frau Katherine rang die Hände und sank gleich einer abgemähten Garbe über den Leichnam hin.

»O mein Gemahl! Du liegst dort mit geschlossnen Augen? Steh auf, mein Falke, reich mir deine Hand, mein Augentrost, steh auf! Sieh mich noch einmal an, sag mir ein einziges Wort! Du schweigst, du bist so stumm, mein Herr und Gemahl! Blau ist dein Antlitz wie das Schwarze Meer. Dein Herz steht still! Warum bist du so kalt, Danilo? Sind meine Tränen denn nicht heiß genug, dich zu erwärmen? Ist denn mein Schmerzgeschrei nicht laut genug, dich zu erwecken? Wer führt hinfort dein Regiment, wer reitet vor der Front auf deinem schwarzen Hengst, wer feuert die Kosaken mit hellem Schlachtruf an, wer stürzt sich jetzt, den Pallasch in der Faust, als erster auf den Feind? Kosaken! Wo ist eure Ehre? Und wo blieb euer Ruhm? Bleich auf der feuchten Erde liegt euer Ruhm. Für ewig die Augen zugedrückt hat eure Ehre! – Begrabt mich! Legt mich zu ihm ins Grab! Schüttet mir Erde in die Augen! Preßt mir Bretter von Ahorn auf die weißen Brüste! Ach, meine Schönheit, – was ist sie mir nütze!«

Katherina weint und schlägt sich mit den Fäusten die Stirn.

In der Ferne hebt sich ein Staubgewölk, – Gorobetz, der Alte, der Oberst, sprengt in gestrecktem Lauf heran und bringt Entsatz . . .

 


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