Nikolai Gogol
Furchtbare Rache
Nikolai Gogol

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

In Herrn Danilos tiefem Keller sitzt hinter einer Tür, die mit drei Schlössern wohlverwahrt ist, der alte Zauberer. Danilo hat ihm Eisenfesseln um Arme und um Beine schmieden lassen. Und drüben auf der Felsenzunge, die in den Dnjepr vorspringt, brennt lichterloh die Teufelsburg. Blutrote Flammen lecken am alten Mauerwerk empor. Nicht Hexerei und Satansdienst hat den Gefangenen in das Verlies geworfen, – darüber soll Gott richten. Er sitzt im Kerker für schändlichen Verrat. Er hat sich insgeheim verschworen mit dem Feind des rechten Glaubens, er hat das Volk des Grenzlandes an die Katholischen verkaufen und ihm den roten Hahn auf seine Kirchen setzen wollen.

Trübsinnig sitzt der Zauberer im Verlies. Schwarz wie die Nacht sind die Gedanken in seinem Kopf. Den einen Tag nur hat er noch zu leben. Morgen heißt's Abschied nehmen von der Welt. Morgen wird über ihn Gericht gehalten. Nicht leicht wird seine Strafe sein, – er darf sie gnädig nennen, wenn er lebendigen Leibes gebraten oder geschunden wird. Trübsinnig sitzt der Zauberer da und läßt die Ohren hangen. Mag sein, daß ihn jetzt vor dem Tod die Reue packt. Doch seiner Sünden sind zu viele, – niemals kann ihm Gott vergeben.

Zu Häupten des Gefangenen ist eine schmale Luke, mit daumendicken Eisenstangen übergittert. Kettenrasselnd erhebt der Alte sich. Kommt seine Tochter nicht vorbei? Sie ist sanftmütig und jeder Rachsucht bar, wie eine Taube. Vielleicht erbarmt sie sich des Vaters . . .

Doch niemand kommt. Da unten läuft ein Weg, aber kein Fuß beschreitet ihn. Noch weiter unten fließt der Dnjepr, – seine Wogen sind blind und taub für Menschenleid. Er gleitet ruhig durch die Wiesen, und seines Rauschens dumpfer Klang gießt Trauer in das Herz.

Da rührt sich etwas auf dem Weg, – es ist nur ein Kosak. Ein schwerer Seufzer hebt des Gefangenen Brust . . .

Nun aber klingt in der Ferne leise ein Schritt . . . Im Winde weht ein grünes Kleid . . . Ein goldener Kopfschmuck blitzt . . . Sie ist's! Er drängt sich dichter an die Gitterstäbe. Schon ist sie nah.

»Kind! Katherina! Sei barmherzig! Hab Mitleid mit dem Vater!«

Stumm bleibt die Schöne. Sie horcht nicht auf sein Flehen und schenkt dem Kerker keinen Blick. Sie ist vorbei. Er kann sie nicht mehr sehen. Leer ist die Welt. Der Dnjepr singt sein trübes Lied. Wehmut ergreift das Menschenherz . . . Doch weiß ein Zauberer, was Wehmut ist?

Zur Nacht neigt sich der Tag. Die Sonne sinkt. Schon ist sie fort. Kühl wird es. Dumpf in der Ferne brüllt ein Rind. Verlorene Laute klingen durch die Luft, – dort ziehn wohl Schnitter gemächlich plaudernd von der Arbeit heim. Ein Kahn schwimmt auf dem Dnjepr . . . – Wer fragt nach dem Gefangenen! – Silbern hebt sich die Mondessichel ins Firmament empor . . .

Und wieder schurrt auf dem Weg ein Schritt . . . Es sieht sich schlecht im Dunkeln . . . Ja, es ist Katherina. Sie geht heim.

»Kind! In des Heilands Namen . . . Selbst der blutgierigen Wölfin Brut zerreißt die eigene Mutter nicht! Kind, Kind, vergönne deinem sündigen Vater einen Blick!« Sie stellt sich taub und bleibt nicht stehen.

»Kind, beim Gedächtnis deiner unglückseligen Mutter . . .«

Sie hemmt den Schritt.

»Kind, hör mein letztes Wort!«

»Was rufst du mich, du Gottesleugner! Nenn mich nicht dein Kind! Ich hab' mich losgesagt von deiner Sippschaft. Warum beschwörst du das Gedächtnis meiner elend dahingefahrenen Mutter herauf?«

»Katherina! Ich steh' vor meinem Ende. Dein Mann wird mich, an eines wilden Rosses Schweif gebunden, über das Blachfeld schleifen lassen, – des sei gewiß. Wenn meine Strafe nicht noch härter wird . . .!«

»Keine Strafe in der Welt kommt deinen Sünden gleich. Nimm deine Strafe auf dich! Niemand wird für dich bitten.«

»Katherina, es ist ja nicht die Strafe, die mich schreckt, – mich schreckt die Qual in jener andern Welt . . . Du, Kind, bist ohne Schuld. Und deine Seele fliegt einst ins Paradies empor zu Gottes Thron. Die Seele deines gottvergessenen Vaters aber wird in dem ewigen Feuer brennen, das nie verlischt. Kein Tropfen Tau wird zu ihm niedersinken, kein Windhauch seine Stirne kühlen . . .«

»Die Strafe Gottes dir zu lindern, hab' ich nicht die Gewalt,« sprach Katherina und wendete sich ab.

»Kind, bleib und hör nur noch ein einziges Wort! Wohl hast du die Gewalt, – erretten kannst du meine Seele. Du weißt nicht, wie über alle Maßen groß des guten Gottes Gnade ist. Hast du denn vom Apostel Paulus nicht gehört? Kind, seiner Sünden Zahl war wie der Sand am Meer . . . Und da er Buße tat, ist er ein Heiliger geworden.«

»Was soll ich tun, damit ich deine Seele rette?« sprach Katherina. »Ich bin ein schwaches Weib . . .«

»Wenn ich nur aus dem Kerker könnte, – ich würfe alles hinter mich. Gib mir die Freiheit, – ich will Buße tun! Ich geh' ins Höhlenkloster, ich gürte das härene Gewand um meinen Leib, ich liege Tag und Nacht auf diesen Knien vor dem barmherzigen Gott. Nicht nur des Fleisches, – auch der Fische enthalt' ich mich. Und kein Gewandstück breit' ich zum Schlafen unter mich! Ich werde beten, beten, nichts als beten! Und nimmt die Gnade Gottes mir auch dann noch immer kein Quäntchen meiner Sündenlast vom Rücken, so lass' ich bis zum Hals mich in die Erde graben, lass' mich einmauern in die Klosterwand! Nicht Trank noch Speise soll über meine Lippen kommen, bis daß ich Hungers sterbe! Und all mein Hab und Gut geb' ich den Mönchen, auf daß sie durch vierzig Tage und durch vierzig Nächte die heilige Messe für mich lesen.«

Frau Katherina stand in bangen Zweifeln.

»Und sperrte ich die Schlösser auf, – die Fesseln kann ich dir nicht lösen.«

»Ich fürchte keine Fesseln,« sagte er. »Du sprichst von Fesseln? Ja, sie wollten sie mir um die Arme und die Beine schmieden. Ich aber machte ihnen einen Nebel vor die Augen, – statt meiner Arme lag auf ihrem Amboß ein Stück Holz. Sieh her, ich trage keine Fesseln!« Frei stand er mitten im Verlies. »Auch diese Mauern würde ich nicht fürchten und würde frei durch sie hindurchgehn. Aber dein Mann weiß nicht, was das für Mauern sind. Ein heiliger Büßer hat sie in alter Zeit gebaut, und keine Höllenkraft kann den Gefangenen aus diesem Kerker führen, wird nicht die Türe mit dem gleichen Schlüssel aufgesperrt, mit dem der Heilige in seinen Tagen die Zelle schloß. Solch eine Zelle will auch ich mir bauen, wenn du mir armem Sünder noch einmal in die Freiheit hilfst.«

»Gut denn: ich lass' dich frei!« sprach Katherina und schritt zur Tür. »Doch wenn du mich betrügst, wenn du, anstatt zu büßen, wieder zur Bruderschaft des Teufels schwörst . . .?«

»Nein, Katherina, kurz gemessen ist meine weitere Lebenszeit. Auch ohne Todesstrafe ist mir das Ende nah. Glaubst du, ich will mich selbst dem ewigen Feuer überliefern?«

Der Schlüssel klang im Schloß.

»Leb wohl! Gott der Barmherzige soll dich schirmen, Kind!« Der Zauberer drückte auf Katherinens Stirne einen Kuß.

»Rühr mich nicht an, verruchter Sünder! Hebe dich fort von mir!« rief Katherina.

Doch er war schon verschwunden.

»Ich hab' ihn freigelassen!« sprach sie in jähem Schrecken, und ihre Augen irrten scheu von Wand zu Wand. »Wie tret' ich vor Danilo hin? Ich bin verloren! Lebend begraben muß ich mich, sonst weiß ich keinen Weg!« Sie sank mit bitterem Schluchzen auf den Klotz, wo ihr gefangener Vater gesessen hatte. »Ich habe eine Menschenseele errettet vom Verderben,« sprach sie zu sich. »Ich hab' ein gottgefälliges Werk getan . . . – Doch mein Gemahl, – zum erstenmal war ich ihm ungehorsam. Wie furchtbar kommt's mich an, ihm ins Gesicht zu lügen! – Horch, waren das nicht Schritte? Ja! Er ist es! Mein Gemahl!« schrie sie verzweifelt. Die Sinne schwanden ihr, sie schlug zu Boden.

 


 << zurück weiter >>