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Erster Akt

(Monumentaleinfahrt in einen Lustgarten mit herrlichen Baumgruppen, Teichen, Wasserfällen, Springbrunnen und stattlichem Kiosk; im linken Flügelbau des Portals eine gewölbte Nische mit Bank, rechts eine gleiche mit Brunnen, von der Mauer her von einem Feigenbaume überhangen, – Abenddämmerung.)

Ali und Suleika treten auf.

Suleika. Ah – hier – dies Plätzchen! – Wie zur Rast geschaffen!
Komm, laß uns etwas ruhn – ich bin zu müde –
Eh wir noch weitergehn, zur Stadt hinein.
Hier kühlen doch die dichten Lorbeerbüsche
Des Tages Schwüle, dessen ganze Sonne
Noch in den langen, weißen Mauern glüht,
Die häßlich diese Zauberwelt uns sperrten.
Und wie die Zedern da herüberduften!
Jetzt kommt ein Lüftchen auch – ah – wie das labt! –
(Erschreckend) Was war das?

Ali.                                                 Nichts, die Feige nur, die dort
Herniederklatschte – 154

Suleika (auf sie zueilend).   Und das nennst du nichts?
Das ist mir viel genug bei diesem Hunger!
Da hängt noch eine schwer hernieder, sieh,
Und platzt vor Süßigkeit und Reife. – Du!
Ob man wohl darf? (Sieht sich um)

Ali.                                   Der Wächter wird dir's sagen!

Suleika (die Hand am Munde, gedämpft rufend).
He, Wächter! Darf man? – Keine Antwort, siehst du,
Das ist auch eine! (Hascht hinauf) Oh, zu hoch! – Komm du!

Ali. So soll ich wohl mich mit dir hängen lassen!
        (Hebt sie hoch; sie bricht einige Früchte. Im Tore erscheint)

Ibrahim (stutzt, und späht nach ihnen, tuschelnd).
Ah – das Gesindel! – schau! – Na, soll ich dir
Ein wenig Salz auf deine Feigen – –
        (Schleicht ein paar Schritte mit winkendem Stecken näher, besinnt sich dann)
                                                              – bscht! –
Versalz dir deine eigenen nicht! – Sicher
Gibt's da was Leckeres für Aug und Ohr
        (Blickt nach der Ruhenische)
Und für ein menschenfreundliches Gemüt!
        (Zieht sich behutsam zurück und erscheint dann oben auf der Mauer hinter dem Busche) 155

Ali. Auf wieviel Tage nimmst du Vorrat ein?

Suleika (noch Blätter brechend).
Ich weiß nicht, wann der nächste Winkel kommt,
Wo wir so sicher wieder stehlen können!
Doch mag's genügen! – Ein paar Blätter noch – –
        (Ali läßt sie nieder, sie trägt den Raub nach der Bank, breitet die Blätter aus, legt die Früchte darauf)
Nun ist gekocht und unser Tisch gedeckt!
(Spielend) Wo nur der Mann so lange bleiben mag?
Gewiß hielt ihn der Meister so zurück,
Den letzten Abendschein noch auszunützen!
Nun wird's schon Nacht, und je – so lang der Weg,
Und furchtbar viele Straßen wird es geben
In dieser großen Stadt. Wenn nur mein Männchen
Sich nicht verirrt! Er ist so fremd noch hier
Und auch ein bißchen dumm – gottlob, da ist er!
(Eilt ihm entgegen) Ei guten Abend, Männchen, bist du da?
Gott, wie ich mich um dich geängstigt hab!
Doch komm herein und steh nicht so im Zug,
Und wasch und kühle dich von Schweiß und Glut!
Der Tag war lang und wohl die Arbeit schwer
Für wenig Lohn! Wieviel hast du verdient?
Ich brauche Geld für zwanzig Dinge! – Zeig!
        (Sie zieht ihn zur Laube, drückt ihn auf die Bank; er umschlingt sie mit einem Lachen, in dem Schmerz zittert) 156

Ibrahim. Dies sind doch nicht gemeine Heckenschmätzer!

Ali. Ja läut nur so das neue Leben ein,
Mein silberstimmig Glöckchen du! – Und doch:
Wie süß der Ton auch ist, er klingt so seltsam!
Fast schreckhaft in die dunkle Welt vor uns!
Was werd ich morgen abend sagen können,
Wenn du mich morgen so im Ernst empfängst?
Und wird dein schalkhaft Lachen nicht vergehen,
Wenn ich dir traurig leere Hände zeige?
        (Zieht ein kleines Buch aus dem Gürtel)
Wenn dieses Buch hier recht hat, so verdient
Der Fleiß an einem Tage einen Dirhem –
Die Schönheit hundert – Klugheit hunderttausend –
Die Gottergebenheit – ein Königreich!
Mit welcher Tugend soll ich es versuchen,
Mit welcher kann ich es? Denn ich bin faul,
Vom langen Leiden häßlich, dumm und gottlos!

Suleika. Wir Frauen sind ein unbescheiden Volk –
Drum rat ich dir, versuch es mit dem letzten!
Es ist am leichtesten und führt zum besten!

Ibrahim. Sie führen philosophische Gespräche – 157

Ali. Du töricht Kind! So weißt du also nicht,
Daß Gottergebenheit das Schwerste ist?
Das kann man nicht erzwingen! Das muß kommen
Wie Tau am Morgen und wie Abendkühle.

Suleika. Doch kann man sich auch Gott ergeben müssen,
Wenn uns der Sturm den Mast nahm, und die Wellen
Die Ruder brachen! – Aber das ist Torheit!
Fang lieber mutig mit dem ersten an!
Das andre folgt gewiß von selber nach,
Und du wirst wieder schön und klug und fromm –
Du weißt, ich bin das schon!

(Kleine Pause)

Ibrahim.                                           Ei – ist ja zum –!

Ali. Fast glaub ich dir! ich hab es selbst verspürt:
Seit langem war ich nicht so frisch wie heute,
Und hält es an, so denk ich, wird sich's machen!
Wie, weiß ich noch nicht! Bis auf diesen Säbel
Hab ich kein ander Werkzeug noch geregt –
Doch will ich morgen gern den Spaten nehmen,
Oder im Hafen Säcke tragen, Mädchen,
Von früh bis spät um einen – unsern! – Dirhem! 158

Suleika. Erlaube: ja – den du verdienst! – Doch ich,
Ich kann auch manches: nähen, weben, sticken –
Wir schlagen uns schon durch, bis du den Weg
Zurückgefunden hast –

Ali.                                           Du hoffst noch immer?

Suleika. Wie wär ich mutig, könnt ich nicht mehr hoffen!

Ali (kopfschüttelnd). Zurückgefunden?

Suleika.                                                   Besser: vorwärts durch!
Ich glaub an dich, mein Freund, und an dein Leben!

Ali (schwermütig). Seltsame Menschen ihr, du und die andern!
Wo nehmt ihr nur die Rosenfarben her?
Und seltsam auch, nicht diese Schwere ist's,
Die bleiern mich umwölkt, nein, euer Hoffen!
Es drückt mich nieder und mir graut vor dem,
Auf das ihr hofft! – –
                                      Weh! sind die Fledermäuse,
Die überm hellen starken Tag wie tot
In ihren Winkeln hingen, wieder wach?
O Abend! – Abend! stiller Hafen einst, 159
In den ich meine heißen Tage lenkte,
Die Anker warf und meine Segel strich –
Wo bist du hin mein Abend, stiller Abend,
Und welchen Alp schickst du mir heut zu Gast?
Bäche geschmolzenen Bleis, rastlosen Sturzes
Zerwühlen mir der Seele schwanken Grund!
Es brechen alle Wunden wieder auf
Und alle Schulden strecken wildverlangend
Die starken hagern Arme nach mir aus
Und wollen Tilgung, Sühnung, Heilung, Schlaf!
Wo find ich den – vor dem – wo berg ich mich!
        (Birgt sein Antlitz an ihrer Schulter)

Ibrahim. Bei meinem Bart! Das ist ein Fall für mich!
        (Verschwindet oben in Eile)

Suleika. O Freund, o Freund, wenn du dich selbst verlierst,
So weiß ich keinen Ort – –

(In diesem Augenblick ruft von einer Moschee ein Gebetsrufer zum Gebete; sie hält betroffen inne)

                                              Wie sonderbar!
In diesem Augenblick? – Ist dies ein Zeichen?
O Ali, wenn du wieder beten könntest!

Ali (bitter). Wie? – beten! – beten! – keinen Hauch dazu! 160

Suleika. So laß mich ein Gebet zum Himmel schicken,
So heiß und tief ich kann! (Sie will auf die Kniee sinken)

Ali (heftig).                                   Doch nicht für mich!
Nicht wie ein Hund kriech ich zu meinem Gott!
Aufrecht! so schuf er mich – so hab er mich!
(Sich besänftigend) Doch um des rauhen Tones willen – bete!

Suleika (sich versuchend, dann lächelnd).
Das Glühen ist vorüber und mit kalten
Gebeten will ich seinem Thron nicht nah'n!

Ibrahim (inzwischen vorgekommen, tritt unter sie).
Sagt's nicht zu laut in dieser frommen Stadt!
Der Friede sei mit Euch! – Vergebt das Lauschen,
Doch ist das hier mein Recht – wie meine Lust
In diesem Falle, meine höchste Lust!
Sonst zwitschert hier nur flachverliebtes Volk,
Ihr aber kost in Donnern, schweren, schwülen –
Es ist Musik für mich, und – keine Scheu
Im Weiterspiel! Gern spiel ich selber mit!
Ich bin kein schlechter Musikant! – Mein Sohn,
Ich seh, du leidest sehr an deiner Seele!
Der blasse Mond dort, der sein silbern Licht 161
Auf dieses Schweigen gießt, scheint hell genug,
Daß ich auf deinem Antlitz sehen kann
Wie sie entzündet aus dem Aug dir drängt –
Mein Sohn, ich kenne das – doch halt, nicht hier!
Die Wände haben Ohren in Bagdad,
Und alles ist 'mal nicht für alle Ohren!
Kommt mit herein und seid heut meine Gäste!

Ali. Wer bist du, würdiger Greis, daß ich dir's danke!
Denn nötig ist ein Dach uns für die Nacht –
Wir sind hier fremd, und dieses Mädchen müd –
Wir hätten wohl auf dieser Bank geschlafen –
Und sieh, wir haben auch schon zugegriffen!
        (Deutet auf das Feigenmahl)

Suleika. Verzeih es uns!

Ibrahim.                           Pah, nicht der Rede wert!
Gott ließ sie mir zur leichten Freude wachsen
Und mich macht's glücklich, wenn ich dieses Zeug
In blühendes Menschenleben wandeln kann.

Suleika. So folgen dankbar wir dem lieben Gruß
Der uns in dieses Paradies hier lädt –
        (Tritt unter die Einfahrt) 162
Nein, welche Pracht! – Schön war Ismalieh
Zum springen, schwärmen, weinen oder lachen,
Hier kann man staunend nur die Hände falten!
Dies ist zu schön – so schön um Angst zu machen –
Und alles das, ehrwürdiger Greis, ist dein?

Ibrahim (für sich). Ha, Teufel! merkst du, wie die Lüge zieht:
Kaum log ich still, nun muß ich es schon laut!
        (Zu Suleika)
Pah! welch ein Wort! – Was will das schwüle »mein«?
Es hat nur für den Toren Wucht, nur ihm
Wird es Verhängnis: was er greift, packt ihn,
Macht ihn zum Häftling seiner Habe! Wir,
Wir gehn nur leicht hindurch und drüber hin,
Und haben unsern Reichtum nur spazieren!
Doch du bist Weib und hast des Weibes Hand
Und wirst das schwer verstehn!

Suleika.                                               Wie, hat das Weib
Denn eine andre Hand?

Ibrahim.                               Als wie der Mann? (Kichert)
Was hat das Weib nicht anders als der Mann?
Gieb Acht: Das Männchen greift, das Weibchen hält!
Sie sitzt so fest, wie jener ruhlos schweift! 163
Sie lebt frisch weg, er sucht das Leben – ewig!
Sie ist und hat, er irrt und will! – Nun sieh:
Dem unbeweibten Manne schlottert alles
Die Kleidung, wie das Haus und das Gebein –
Ich bin ein solcher, ach! und darum lottert
Dies Alles nur so leicht an mir herum!

Suleika. Warum hast du kein Weib?

Ibrahim.                                             Kind, das ist bös!
Man hat zu tief die Platte mir geschoren –
Es ging hindurch!
        (Trommelt auf seiner Glatze)
                              Des Lebens ganze Süße
Und seine Kraft hab ich hinweggedacht,
Und starb nicht dran! – Jetzt wo die Reue kommt –
Und seh ich dich, so kommt sie voll und stark –
Ist es zu spät! Ein unfruchtbar Bedauern
Umfröstelt nun das kahle Denkerhaupt
In einsam leeren, schweren Frühlingsnächten –
Das heißt: Das schmerzlichste ist nun vorbei!

Suleika. Doch schmerzen muß es sicher, dieses Eden
So ganz allein zu haben, das vom Jubel
Von soviel Frohen wiederhallen möchte! 164

Ibrahim. Was heißt allein? Der Mensch ist nicht allein,
Und ist er's, gibt es auf die Dauer zwei!
Es steckt ein wunderlicher Bursch in uns,
Der erst zum Worte kommt, wenn wir allein –
Dann aber angenehm und unterhaltend!
Doch hab ich Freunde auch, oft Gäste, Schüler,
Von denen ich, wenn ich erschöpft bin, lerne –
Kurz Volk, mehr als genug – wenn es nur heute
Uns ferne bleibt!

Suleika.                       Nicht doch, du guter Wirt!
So Störenfriede möchten wir nicht sein!
Wenn deine Freunde kommen, zeigst du uns
Den stillen Winkel, wo wir schlafen können,
Denn wir sind gräßlich müde – –

Ali.                                                         Nein, Suleika!
Mir ist nun alle Müdigkeit vergangen!
Aus diesem Munde kamen schwere Worte
Und liegen heiß auf mir, und tausend Fragen
Verkohlen mir im Herzen, luftverlangend!
Doch lege du dich schlafen, wenn du willst –
Ich komme nach, sobald der Durst gestillt – 165

Suleika. Dann kommst du nie! – und lieber bleib ich hier!
Ich bin auch nicht so schläfrig wohl, als müde,
Und nicht so müde, als ich hungrig bin,
Und nicht so alles, daß ich nicht gern bliebe!

Ibrahim. So kommt herein zur Rast und auch zum Mahl,
Bescheiden wie ich's bieten kann – du lachst?
So halt ich mir die üppigen Gäste fern,
Die nur als Bäuche kommen, nicht als Stirnen,
Und lieber sich auf eine Schöpsenkeule,
Als eine harte, dunkle Frage werfen!
Ich hab nur Wasser, Brot und Obst und – Sprüche!

(Sie lachen)

Ali. Ein gut Gespräch macht satt beim ärmsten Mahl –

Ibrahim. Das wissen aber nur die Wüstensöhne,
Und Menschen, die am Tier genug nicht haben!
Sie haben unersättliche Gehirne,
Die hungrig sich die Welt zusammenfressen,
Und eh sie diese ganz verdaut, schon gierig
Die andre in den heißen Augen haben.
Viel fressen und nichts denken – dieses ist
Die Seligkeit der Säue! Mensch und Schwein 166
Sind unersättlich – bis zum Übelwerden!
Vom Denken er, – vom Fressen es – –

Ali.                                                                     Wie, Vater!
Vom Denken, sagst du, kann uns übel werden?

Ibrahim. Du Kindskopf du, ist dir nicht schlecht davon?
Hat dein Gehirn noch nie sich überfressen?
Und deiner Seele war nie sterbensübel?
Das kommt nur von der Denksucht! – kommt nun Kinder!
        (Wendet sich)

Ali (hält ihn fest, heiser).
Halt – Vater! – meine Krankheit nanntest du!
Doch jetzt: Gibt es ein Mittel, nenn es mir,
Den Brand zu löschen, der mich hier (Stirn) verzehrt!
Kann man nicht denken! Sag mir, ist es möglich,
Nicht denken, und daran nicht zu verhungern,
Kann man nicht leben, ohne daran zu sterben?

Ibrahim. Ei freilich kann man das!

Ali.                                                     Ich faß es nicht!
Wie wütend rang ich schon dies wilde Heer,
Das mir die Tage schwer und unfruchtbar,
Die Nächte graunvoll macht, zurückzuzwingen, 167
Und zwang es nicht! denn immer kehrt es wieder
In ewig martervoller Wiederkehr.
Was einmal mich ergriff, das hielt mich fest,
Das hält mich fest, ich muß es denken – denken –
Hinein mich wühlen – denken – wühlen – denken –
Und du nennst möglich, nicht zu denken! möglich,
Daß man nicht leben kann und nicht dran sterben!

Ibrahim. Hätt ich das alles nicht an mir erlebt,
Ich glaubte nicht, daß ein vernünftiger Mensch
Sich so verrücken könnte, nicht zu denken,
Daß man auch – schlafen kann! (Tippt sich an die Stirne)
                                                      Der Schlaf, mein Sohn,
Das ist die Rast, der Schirm, der Trost des Lebens!

Ali. Schlaf! – Schlaf! – Begegnest du auch hier mir wieder!
Stets du und wieder du! – Ja – schlafen – schlafen!
Wenn ich es könnte! schlafen könnte! – Vater!
Ich kann es nicht – ich hab den Schlaf verloren!

Ibrahim. In deinem Alter? – ei, das ist bedenklich!
Du mußt ihn wiederfinden – suchen! suchen!
Und Wege gibt es noch genug für dich:
Der erste ist: steh auf und tu etwas! 168
Arbeite! sag ich dir, kannst du nicht schlafen!
Denn ist Müßiggang aller Laster Anfang,
So ist müßig liegen – aller Laster Siegen!

Ali (ächzend). Arbeiten! – ach – arbeiten! – ja – ich will's!
Doch kann ich es? – Der Leib ist mir zerschlagen!

Ibrahim. Die Seele ist's, du spürst es nur am Leihe!
Frisch jene auf, so lacht dir dieser wieder!
Und weißt du, was die Seele frischt? – Gebet!
Ja so! das willst du nicht! Du bist, ich weiß,
Vom Stamme der Empörer! Nun – so fluche!
Denn frisch geflucht frischt mehr als lahm gebetet!

Ali. Ich habe mehr geflucht als sonst ein Mensch,
Und alle Sterne blieben fest am Himmel,
Und nichts erweckte meine zornige Stimme
Als nur den Hohn des Widerhalls – im Leeren!

Ibrahim. Mein Sohn, so gibt es immer noch ein Mittel:
Du mußt – Geduld entwickeln – braus nicht auf!
Gedulden mußt du dich, und ruhig halten,
Und Honig schwitzen, daß die Schmetterlinge
Und Bienen dich besuchen und befruchten! 169

Suleika. Ja, dies sagt ich auch immer: hab Geduld!

Ali. Ich weiß nicht, ob es möglich, daß ein Mensch
Noch mehr Geduld als ich entwickelt hat,
Ich schäme mich darum! Ich hab Geduld
Mit mir gehabt, für Dinge und für Zeiten,
Die ich vielleicht nicht überleben durfte!
Und leb ich noch, so ist noch immer möglich,
Daß sie – noch hab ich sie – mir schwände! Dann?

Ibrahim (sich lange unter dem Bart kratzend).
Mein Sohn! dann – ist's – ein – eigentümlich Ding!

Ali. Was dann? – sprich's aus und foltre mich nicht lang –
Drück mir den Stachel nicht so zögernd ein –
Nein lieber gleich mit raschem Stoß ins Herz!
Geh – sei barmherzig! – sag es – sprich es aus – –
Was frag ich noch, was gibt es noch zu fragen?
Dann – – stirb!!! – – Doch ist dies Sterben Lösung
Des Ungelösten? Ist der Saite Sprung,
Wenn sie beim Spannen springt, Erfüllung – oder
Verwerfung nur? Im schönen Sturm der Töne,
Den lustberauschte Finger ihr entwühlen,
Im höchsten Aufschrei des verzückten Liedes – 170
Da mag sie springen! – denn das ist Erfüllung –
Das ist gelebt – nun mag sie – springen!

Ibrahim.                                                             Recht so! –
Du ahnst ein tief Geheimnis! denn du fühlst:
Nicht jedes Leben darf sich Leben nennen,
Nicht jedes Sterben kann Erfüllung heißen,
Und Tod ist nicht gleich Tod! – – So bist du also –
Auf einen angenehmen Punkt gelangt:
Du kannst nicht wachen, schlafen, schaffen, beten,
Und die Geduld fängt an dir auszugehn –

Ali (verzweifelt).
Ist ausgegangen!

Ibrahim.                     Also ausgegangen –
Du kannst nicht leben und du darfst nicht sterben – (Hält an)

Suleika. Wie magst du so uns quälen, Grausamer!
Gibt es ein Drittes zwischen Tod und Leben,
Wenn es der Schlaf nicht ist!

Ibrahim.                                           Ei freilich, Täubchen!

Suleika. So sag es, Quäler du, wenn es ein Trost ist. 171

Ibrahim. Wenn es ein Trost ist! Liebes, liebes Kind –
Es gibt auch säuerliche Tröste – und –
Es kommt bedeutend auf den Magen an!

Ali. Nur her damit, was möchte mich verbrennen!
Ich bin geglüht, gebeizt, mit jedem – Gift!

Ibrahim. Nun gut, gib acht: wenn's also ist, wie's ist:
Wenn du nicht wachen, schlafen, schaffen, beten,
Nicht fluchen kannst und die Geduld dir ausgeht –
Dann – dann – doch kannst du's auch vertragen? –

Ali (wild).                                                                           Her!

Ibrahim (zuerst die Hand sinnend über die Augen).
Wie präg ich's, um dich gut damit zu impfen?
(Laut) Dann – tu – etwas – Ver – rücktes!
        (Beide schreien auf)

Suleika. Wie kannst du nur – Entsetzlicher! – Seit Monden –
        (Überläßt Ali das Wort)

Ali (gleichzeitig). Wie kommt dir dies – – Seit Monden –
Ist es wie trüber Rausch, durch den ich taumle,
Und nur im tollen Frevel Leben spüre – 172
Nicht wissend, ob ich mich zerstöre, oder –
Ausweiche der Zerstörung – –

Suleika.                                               Wüßtest du
Was wir getan, du sprächst nicht so zu ihm,
Um ihn zu reizen – –

Ibrahim.                             Kind, will ich ihn reizen?
Will ich ihm schaden? nein, ich möcht ihn heilen,
Und weiß nicht, ob ich's kann – doch im Vertraun:
Er riecht mir nicht nach einer Leiche! Aber –
Was habt ihr denn Verrücktes so getan?

Suleika. O Vater, frage nicht! was soll ich nennen!
Vor wenig Monden, Wochen, Tagen fast
War er ein Fürst noch, heut, du siehst, ein Bettler!

Ibrahim. Er wird sein großes Haus vergeudet haben,
Wie tausend reicher Väter Söhne auch –
Ist das Verrücktheit?

Suleika.                             Vater, aber wie!
Daß ich nur eins dir sag: Ismailieh,
Sein schönes Gut, ein kleines Fürstentum,
Hat er verschenkt – für einen Vers – 173

Ibrahim.                                                       Schau – schau!

Suleika. An einen Buben, den er sonst verachtet!

Ibrahim. Du machst neugierig mich! Wie hieß der Vers –

Suleika. Ach, Vater – jetzt?

Ibrahim.                               Was schadt's, mein Töchterchen!

Suleika /(nestelt ein Täfelchen ans dem Mieder).
Ich steckt es ein in lachender Verzweiflung!
        (Reicht es ihm)

Ibrahim (liest).
        Ali, den Glücklichen preis ich dich!
        Mich haßt Gott, sein Liebling bist du:
        Er gab Ismailieh dir und dies Mädchen,
        Und – das größte Herz dazu! (Setzt ab)
Hm, hm!

Suleika (aufnehmend).
                Und dieser Kindskopf hier wirft hin:
        Sawi! dies große Glück drückt mich!
        Hilf mir's tragen, so haben wir Ruh: 174
        Laß mir mein Herz und dies Mädchen
        Und – nimm Ismailieh du! (Sieht ihn hilflos an)

Ibrahim (sieht Ali kopfwackelnd an; Pause, dann wackelt er zu Suleika, sieht sie an und gibt ihr das Täfelchen zurück).
Steck's wieder ein! – In lachender Verzweiflung
So sagtest du?

Suleika.                   Was hab ich machen wollen!
Mich nahm er und sein Herz, und ließ – das Reich!
Er war verrückt, doch groß, wohl krank an Größe!
So lacht ich mit, auch wenn es mich zerriß!

Ibrahim (zieht sie sacht mit zu Ali, hält sie an der Hand, klopft mit der andern Ali auf die Schulter und sagt nach einer Weile zärtlich).
Kinder, nur Mut! ihr seid auf bestem Wege!
Kommt jetzt! (Wendet sich zum Gehen)

 

Der Vorhang fällt.

 


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