Johann Wolfgang von Goethe
Zur deutschen Literatur. Rezensionen
Johann Wolfgang von Goethe

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Bekenntnisse einer schönen Seele
Melanie das Findelkind
Wilhelm Dumont

1) Berlin, b. Unger: Bekenntnisse einer schönen Seele, von ihr selbst geschrieben. 1806. 384 S. gr. 8.
2) Ebendaselbst: Melanie das Findelkind. 1804. 252 S. kl. 8.
3) Lübeck, b. Bohn: Wilhelm Dumont, ein einfacher Roman von Eleutherie Holberg. 1805. 340 S. kl. 8. (1 Rtlr. 12 gr.)

Nicht um diese drei Schriften, deren jede wohl eine eigene Betrachtung verdient, nur kurz bei Seite zu bringen, nehmen wir sie hier zusammen; sondern weil sie manches Lobenswürdige gemein haben, und weil sich auch an ihnen einiges gemeinsam zu tadeln finden wird. Sie sind sämtlich mehr verständig als passioniert geschrieben; keine heftigen Leidenschaften werden dargestellt; die Verfasser wollen weder Furcht noch Hoffnung, weder Mitleiden noch Schrecken erregen, sondern uns Personen und Begebenheiten vorstellen, welche uns interessieren und auf eine angenehme Weise unterhalten. Die beiden ersten Werke haben viel Ähnlichkeit in der Fabel. Alle sind gut geschrieben, und es herrscht in allen, obgleich mehr oder weniger, eine freie Ansicht des Lebens.

1) Der Heldin dieses Romans gebührt insofern der Name einer schönen Seele, als ihre Tugenden aus ihrer Natur entspringen, und ihre Bildung aus ihrem Charakter hervorgeht. Wir hätten aber doch dieses Werk lieber Bekenntnisse einer Amazone überschrieben, teils um nicht an eine frühere Schrift zu erinnern, teils weil diese Benennung charakteristischer wäre. Denn es zeigt sich uns hier wirklich eine Männin, ein Mädchen wie es ein Mann gedacht hat. Und wie jene aus dem Haupte des Zeus entsprungene Athene, eine strenge Erzjungfrau war und blieb; so zeigt sich auch in dieser Hirngeburt eines verständigen Mannes ein strenges, obgleich nicht ungefälliges Wesen, eine Jungfrau, eine Virago im besten Sinne, die wir schätzen und ehren, ohne eben von ihr angezogen zu werden.

Hat man das einmal zugegeben, so kann man von dem Buche nicht Gutes genug sagen. Das Ganze ist durchaus tüchtig, vernünftig und verständig zusammenhangend; das Romaneske darin besteht in einer wenig erhöhten, geläuterten Wirklichkeit; die Schilderungen zeigen viel Einsicht in die Welt und ihr Wesen; die Reflexionen sind meistens tief, geistreich, überraschend.

Hatte der Vf. sich den Charakter, den er schildern wollte, fest vorgezeichnet, so hat er die Umgebungen und Begebenheiten gehörig erfunden und klug gestellt, daß teils durch Übereinstimmung, teils durch Konflikt eine solche Natur sich nach und nach entwickeln und bilden konnte.

Die Heldin ist unbekannten Ursprungs, wird einem Geistlichen in der französischen Schweiz zur Pflege übergeben, der unverheiratet ist und mit seiner Schwester lebt. Diese halb fremden und halb nahen Verhältnisse, diese Neigung ohne Innigkeit, womit die drei Personen zusammen leben, ist so glücklich gedacht als ausgeführt. Die Erziehung fängt von Reinlichkeit und Ordnung an, woraus Schamhaftigkeit und Gesetztheit entstehen. Das Kleeblatt wird in eine deutsche große Residenz versetzt, und der Zögling wächst zum Frauenzimmer heran. Von der Musik wird sie abgeschreckt, weil der Meister einen kriechenden, schmeichlerischen Charakter hat; vom Tanz, weil die Art wie der Meister ihren Körper technisch behandelt, ihre Schamhaftigkeit verletzt. Die französische Sprache tritt ein, Lafontaine, Corneille und Racine bemächtigen sich ihrer, von Shakespeare will sie nichts wissen. Eine stille Mildtätigkeit sieht man gern in der Nachbarschaft des Religionsunterrichts. Sie wird konfirmiert, und tritt in die Welt ein.

Ihre Verhältnisse zu Alten und Jungen sind sehr gut geschildert. Sie wird ihre eigenen Vorzüge gewahr, die man einer höheren Abkunft zuschreibt. Sie wird neugierig zu erfahren, woher sie entsprungen. Die Entdeckung gelingt ihr nicht; ja die Möglichkeit einer solchen wird ihr abgeschnitten, und es gehört mit zu dem Charakter dieser Geschichte, daß ein so romanhaftes Motiv nicht weiter gebraucht wird, und weder die Heldin noch der Leser über diesen Punkt aufgeklärt werden.

Was unsere Neigung gegen die Heldin, ohne daß wir es merken, erregt, ist daß sie, ungeachtet ihrer Selbstständigkeit, sich immer an Freundinnen anschließt, und sich ihnen gleichsam subordiniert. Sie findet sich mit Adelaiden zusammen, einem von den Mädchen der neueren deutschen Zeit, die an Talente und an ein Romantisches im Leben Ansprüche machen. Ein sehnlich erwarteter, hochgelobter Bruder dieser Freundin kommt an, die ganze kleine Frauensozietät bewirbt sich um ihn, ihm ist keine Neigung einzuflößen, sein Eigentümliches bleibt verschlossen, doch erweckt er in beiden Freundinnen die Lust an italiänischer Poesie. Sie werden hingerissen, und mit viel Glück ist die Liebe durch das Element einer so liebevollen Dichtkunst eingeleitet. Doch können die Frauen aus dem verschlossenen Jüngling nicht klug werden, bis sich endlich zeigt, daß ihm Friedrich der Zweite als Idol vorschwebt, und daß er keinen Wunsch hat, als unter einer so großen Natur mit tätig zu sein.

Der siebenjährige Krieg, und wie der große König in jener Epoche die Welt zu Neigung und Abneigung aufregt, steht als ernstes Bild innerhalb des weiblichen Kreises. Der junge Held und die Amazone nähern sich auf eine würdige Art, erklären sich wechselseitig, machen ein Bündnis auf die Zukunft und scheiden.

Nach kurzen Äußerungen aus der Ferne, nach gedrängter Darstellung der Kriegsbegebenheiten wird die Schlacht bei Zorndorf geliefert, und der Geliebte fällt. Die Gefühle der Amazone, die Entwickelung ihrer Äußerungen, die Folgen des Verlustes sind bedeutend und befriedigend vorgetragen.

Zu Anfang des zweiten Buchs kehrt unsere Heldin zur Gesellschaft zurück. Sie findet sich da in einigem Mißverhältnis, weil sie etwas Besseres besessen. Adelaide, reich durch den Tod ihres Bruders, ist vielen Bewerbungen ausgesetzt, ihre Gesinnungen bestimmen ihr Schicksal. Wie sie irrt, fehlgreift und endet, ist flüchtig aber sicher gezeichnet.

Nun wird unsere Freundin an einen kleinen deutschen Hof zu einer jungen Prinzessin berufen. Hier wird schon merklicher, wie sie ihre Individualität durch alle Ausbildung hindurch zu erhalten sucht. Sie entfernt sich von Tanz und Spiel, qualifiziert sich zur Unterhaltung, und wirkt auf die Prinzessin durch Gesinnungen und Kenntnisse.

Das Hofwesen ist überhaupt sehr läßlich behandelt, und die Oberhofmeisterin mit wenigen Zügen lebhaft dargestellt.

Der Pflegevater stirbt, und die Prinzeß wird verheiratet. Die Freundin folgt ihr an den neuen Hof. Hier sieht es schon nicht so heiter aus, als an dem ersten. Vater und Mutter sind beide bigott und abergläubisch; doch mit umgekehrten Tendenzen. Der Erbprinz hat eine frühere Verbindung mit einem liebenswürdigen Frauenzimmer, die er nicht aufgibt. Die Charaktere und die Stellungen derselben gegen einander zeigen von vieler Welt- und Menschenkenntnis des Vf. Der Ursprung des Mißklangs, der zwischen dem Erbprinzen und seiner Gemahlin entsteht, ist wohl entwickelt. Eben so glücklich ist das Motiv, daß die vertrauten Freundinnen in einer Art von stiller Übereinkunft leben, über gewisse Dinge nicht zu sprechen, wodurch sie aber, bei fortschreitenden Verhältnissen, beide eingeklemmt werden.

Wir sehen hier einen kleinen deutschen Hof, gerade nicht fratzenhaft, doch von einer unerfreulichen Seite geschildert. Der Hofkapellan und der Kammerherr des Erbprinzen, Intrige und Intriganten, das Verhältnis der jungen Eheleute, alles gut entwickelt und bedeutend aufgestellt.

Die Freundinnen erklären sich, gewinnen Luft bei einem einsamen Sommeraufenthalt auf dem Lande. Sie führen eine Art Idyllenleben. Die spanische Literatur gesellt sich zur italiänischen. Sie werden zur Betrachtung des Kunstschönen hingezogen. Sie suchen es sich anzueignen. Es entsteht in der Seele der Erbprinzessin ein idealer Zustand, der sich nicht mehr als billig gegen das Phantastische hinneigt. Der Winter ruft sie zur Stadt zurück.

Wohlmeinend, aber mit gewaltsamer und roher Hand, entfernt der fürstliche Vater die erste Geliebte des Erbprinzen, und verlangt nun die Annäherung der Prinzessin. Die Amazone und der Kammerherr sollen dies bewirken. Da aber jene eine höhere, dieser eine niedere Ansicht hat, so verstehen sie sich einander nicht. Der Plan mißlingt, die Schuld fällt auf die Amazone zurück. Alles Gemeine und Niederträchtige setzt sich in Bewegung, und sie entfernt sich. Die Darstellung dieser ganzen letzten Epoche ist besonders gut gelungen.

Unsere Heldin bleibt auch in der Ferne mit ihrer Freundin in Verbindung. Sie nimmt sich in ihrer Einsamkeit eines Kindes an, und deutet im Vorbeigehen auf einiges Erziehungstalent. Die Erbprinzessin nähert sich ihrem Gemahl. Die Geburt eines jungen Prinzen erfreut den Hof. Der Herzog stirbt, die Amazone kehrt zur jungen Herzogin zurück, schlägt eine Stelle als Oberhofmeisterin aus, und entfernt sich wieder. Das Mißverhältnis zwischen dem jungen Herzog und seiner Gemahlin wächst, und diese weiß einen Reiseplan durchzusetzen.

Zu Anfang des dritten Buchs reisen die Freundinnen nach der Schweiz. Wir erwarten eine Fortsetzung des behaglichen Idyllenlebens, und werden durch eine paradoxe Invektive gegen die Schweizer überrascht. Nun geht es nach Italien, und hier hat der Vf. den glücklichen Gedanken, bedeutende wirkliche Menschen in Verhältnis zu seinen erdichteten Personen zu bringen; welches um so eher geschehen konnte, als er sich schon früher dieses Mittels bedient hatte, und überhaupt nicht so weit aus der Wirklichkeit hinausgeschritten war, daß er sich nicht mit wirklichen Personen, die etwas Romantisches in ihrem Charakter und Lebensweise hatten, recht gut begegnen konnte.

Alfieri tritt in seinem bekannten Charakter bedeutend herein, und man mag ihn recht gerne auch in dieser Gesellschaft noch einmal leben und wirken sehen. Genuß und Betrachtung wechseln ab. Nation, Kunst und besonders Raphael kommen an die Reihe. Die Herzogin kränkelt und stirbt.

Unsere einsame Freundin macht in Pisa eine neue weibliche Bekanntschaft. Man reist nach Wien, kommt in ein gefährliches Verhältnis zu Emigrierten, zieht sich glücklich aus der Schlinge, begibt sich auf einen Landsitz, und beschließt seine Bildung durch deutsche Literatur.

Einem Roman, der eigentlich romantisch geschrieben, und auf Überraschung berechnet wäre, würde man einen schlechten Dienst erzeigen, wenn man seine Fabel auszöge, wie wir es bei diesem getan. Wenn wir aber versichern können, daß dieser zwar einfache, doch kunstreiche Kanevas mit verständigen, glücklichen, oft ungemeinen Details von dem Vf. belebt worden: so werden wir das Verlangen derer, die dieses Buch noch nicht kennen, gewiß aufregen, und der Beistimmung solcher, die es gelesen, nicht ganz ermangeln.

Da die Wirkung des Buches gar nicht pathologisch, vielleicht auch nicht ganz ästhetisch sein kann; so ist um desto mehr ein Wort über die verständige und sittliche Wirkung dieser Arbeit am Platze.

Wenn man die Erfahrungen seines eigenen Lebens durchgeht, so erinnert man sich wohl solcher Frauenzimmer, deren Bild man jener Amazone unterlegen könnte, aber nur weniger. Die Hauptfrage, die das Buch behandelt, ist: wie kann ein Frauenzimmer seinen Charakter, seine Individualität gegen die Umstände, gegen die Umgebung retten? Hier beantwortet ein Mann die Frage durch eine Männin. Ganz anders würde eine geist- und gefühlvolle Frau sie durch ein Weib beantworten lassen. Aber das gegenwärtige Buch ist nun einmal da. Die Mädchen, die Frauen werden es lesen. Was werden sie daraus nehmen? – Gar manches werden sie daraus nehmen. – Wozu sie es aber, nach Rez. Rat, nutzen könnten und vielleicht sollten, wäre, sich zu überzeugen, daß das Problem auf diese Weise nicht zu lösen ist. Der Vf., um seine Amazone selbstständig zu erhalten, muß sie ohne Vater und Mutter entspringen lassen. Er kann sie zu allem dem, wozu das Weib von Jugend auf bestimmt ist, nur annähernd, nicht aber darin zum Genuß, nicht zur Tätigkeit, zum Erlangen, zum Leisten hinbringen. Sie ist weder Tochter, noch Schwester, noch Geliebte, noch Gattin, noch Mutter, und so kann man in ihr weder die Hausfrau, noch die Schwiegermutter, noch die Großmutter voraussehen. Da sie denn aber doch zuletzt nicht allein sein kann, sich irgendwo anschließen, und ihrer Natur nach zugleich dienen und herrschen muß: so läuft ihre ganze Existenz auf eine Gesellschaftsdame und Hofmeisterin hinaus, auf ein Dasein, das sich ein Frauenzimmer nicht leicht wünschenswert vorstellen möchte.

Scheinen wir durch diese Betrachtung ein Buch, das wir bisher gepriesen, gleichsam zu vernichten: so glauben, wir durch folgende Erklärung die Sache wieder ins Gleiche zu bringen. Jeder Mensch, das Weib so gut als der Mann, will seine Individualität behaupten, und behauptet sie auch zuletzt, nur jedes auf seine Weise. Wie die Frauen ihre Individualität behaupten können, wissen sie selbst am besten, und wir brauchen sie es nicht zu lehren. Es ist aber immer angenehm und nützlich, und gibt zu den interessantesten Vergleichungen Anlaß, wenn uns einmal im Bilde gezeigt wird, wie eine Frau jenen Zweck zu erreichen suchen würde, wenn sie männlich gesinnt wäre. Wir empfehlen also dieses Buch den Frauen, nur um der Idee willen, um des Ziels willen, welches zu erlangen jeder angelegen ist; aber keinesweges, daß sie daraus die Mittel lernen sollen, um dazu zu gelangen. Vielmehr mag sich jede nach diesem Bilde selbst prüfen und examinieren; sie mag mit sich über die Mittel ratschlagen, deren sie sich in ähnlichen Fällen bedienen würde, und sie wird sich meist mit der Amazone im Widerspruch finden, die eigentlich nicht als ein Muster, sondern als ein Zielbild am Ende einer Laufbahn steht, die wir alle zu durchlaufen haben.

2) Melanie hat in der Fabel Ähnlichkeit mit dem vorhergehenden. Hier ist ein Findelkind. Das Geheimnis seiner Geburt wird aber zur Verwickelung gebraucht, und die Entdeckung entwirrt den Knoten. Wir dürfen daher die Fabel nicht erzählen, weil auf Unbekanntschaft des Lesers mit derselben vorzüglich gerechnet ist.

Charaktere und Begebenheiten sind im guten Sinne romanhaft. Jene sind immer in dem Zustande, in welchem sich die wirklichen Menschen selten befinden; diese sind aus der Wirklichkeit ausgewählt und zusammengedrängt.

Das Dargestellte ist sich nicht durchaus gleich. Die Charaktere der oberen Stände sind wie aus der Ferne mit einer Art von Respekt, doch ohne eigentlichen guten Willen, weich und nebulistisch gezeichnet; dagegen die der mittleren und unteren Stände scharf und ohne Neigung umrissen sind, oft überladen, ins Häßlichste und Gemeinste übergehend. Aus dieser Behandlung entsteht ein Zwiespalt in der Seele des empfindenden und teilnehmenden Lesers.

Doch zeigt die Verfasserin im Ganzen genugsame Weltkenntnis, und man kann nicht leugnen, daß ihr die irdischen Dinge mitunter hinlänglich gegenwärtig sind. Manche Figuren und ihr Betragen kann man als wohlgeraten ansprechen, wie die alte Gräfin und ihr Benehmen gegen Melanie ein Beispiel gibt. Unter den mehr poetischen Figuren findet sich auch eine zweite Philine, die man nicht ungern sieht; nur fehlt es ihr an dem Ingrediens von Geist, durch den sich die erste eigentlich bei uns einschmeichelt.

Das Ganze ist im Romanen-Sinne geschickt genug aufgebaut und gefügt; die Exposition prägnant und vielversprechend; der Einschritt gefällig; das Interesse nimmt zu, die Erwartung wird gespannt und die Auflösung überrascht. Als Buch ist es nicht ausgedehnt; man kann es auf einmal auslesen; und es wird jeden, der diese Art von Schriften liebt, unterhalten und vergnügen.

3) Dümont verdient den Namen eines Romans, doch in einem anderen Sinne als das vorhergehende Werk, auch nennt ihn die Verfasserin auf dem Titel einen einfachen Roman. Die Figuren sind mehr ideell als phantastisch, die Charaktere glücklich gezeichnet, mannichfaltig und einander gut entgegengesetzt. Egoismus in einer nicht unangenehmen Hülle; Liebe, Ergebung, Aufopferung in anmutigen Gestalten. Der Hauptfiguren sind drei. Die Umgebung ist nicht überhäuft und gut in Abstufungen verteilt. Von der Fabel läßt sich soviel sagen:

Ein Hof- und Weltmann schon in gewissen Jahren fühlt Neigung zu einem wohlerzogenen einfachen Mädchen. Sie nimmt seine Hand an, ohne recht zu wissen, was sie tut. Ihr Hauptbewegungsgrund ist eines Bruders Glück zu befördern, für den allein sie bisher gelebt. Unglücklicher Weise macht in eben dem Augenblick ein junger liebenswürdiger aufopferungsfähiger Mann ihre Bekanntschaft. Das gute Herz des neuen Weibchens findet nichts arges darin, sich diesem Umgang hinzugeben. Sie treiben es aber doch in aller Unschuld so weit, daß der alte Herr verdrießlich wird, die Liebenden trennt und bis an seinen Tod durch allerlei Künste aus einander hält. Bruder und Liebhaber verlieren sich indessen in der weiten Welt, und die Schöne macht sich auf, sie zu suchen.

Schade, daß dieses glückliche Motiv nicht hinlänglich genutzt worden! Adelaide reist zu ruhig, sie zieht fast nur Erkundigungen ein, und läßt sich die gehofften Freunde mehr vom Schicksal und Zufall entgegen bringen, als daß sie solche durch Bemühung und Tätigkeit erreichte und erränge. Darzustellen wäre gewesen ein leidenschaftliches Bemühen, ein Hin- und Widereilen, ein Verfehlen und Vergreifen, ein unbewußtes Nahen, ein zufälliges Entfernen und was sonst noch alles auf der Situation herfließt. Das ist aber leider nicht geschehen. Demungeachtet begleitet man Adelaiden und ihre Reisegesellschaft, so wie ihre neueren Bekanntschaften, recht gern, und läßt sich die Zeit nicht lang werden, bis der Bruder endlich mit dem Geliebten erscheint.

Dieser Roman hat manchen Vorzug. Die Begebenheiten, besonders in der ersten Hälfte, entwickeln sich aus den Charakteren; durchaus herrscht ein liebenswürdiger Sinn, der nur nicht genug mit sich selbst einig ist, und also auch den Leser mitunter in Verwirrung setzt.

Nachdem wir also manches Gute, das an diesen Werken teils gemeinsam, teils im besondern zu rühmen ist, angezeigt haben: so müssen wir zum Schluß eines Mißgriffs erwähnen, dessen sich alle drei Verfasser schuldig machen, und der also wohl mehr auf Rechnung der Zeit geschrieben werden muß, als daß man ihn den Individuen zur Last legte. Und gewiß werden sie künftig, wenn sie nur einmal erinnert sind, diese Abwege gern vermeiden.

Seitdem wir in Deutschland Kunstromane schreiben, das heißt solche, in welchen die Kunst, teils nach ihren tieferen Maximen, teils nach ihrer Einwirkung aufs Leben, symbolisch dargestellt wird: so haben die Romanschreiber angefangen, Betrachtungen über Literatur und mitunter wohl auch Kritiken durch ihre Personen aussprechen zu lassen, und sie haben nicht wohl daran getan. Denn ob wir gleich gern gestehen, daß die Literatur sich in das Leben eines Deutschen mehr verwebt, als in das Leben anderer Nationen: so sollte doch der Romanschreiber immer bedenken, daß er als eine Art von Poeten keine Meinungen zu überliefern, ja, wenn er seinen Vorteil recht kennt, nicht einmal darzustellen hat.

Wir tadeln daher unsere Amazone gar sehr, daß sie auf ihrer Reise nach der Schweiz den Arm gerüstet aufhebt und gewaltig ausholt, um einem wackern Eidgenossen im Vorbeigehen eins zu versetzen.

Wenn sie sodann am Ende die höchste Stufe ihrer Bildung dadurch erreicht, daß sie sich von ihrer vaterländischen Kultur durchdrungen fühlt, sie zu schätzen und zu genießen lernt: so ist dieses eine sehr glückliche Wendung und nach der Anlage des Ganzen ein würdiger Schluß. Daß aber der Vf. Goethens natürliche Tochter gleichsam an die Stelle der ganzen Literatur setzt, können wir nicht billigen. Denn ob wir gleich eingestehen müssen, daß gewisse Werke mehr als andere den Punkt andeuten, wohin eine Literatur gelangt ist, und wenigstens eine Epoche derselben symbolisch vorstellen: so hätte doch der Vf. zu seinem eigenen Vorteile sicherer gehandelt, wenn er den geistigen Sinn der Werke seiner Zeit dargestellt und, wie die besseren selbst tun, auf einen unendlichen Fortschritt hingedeutet hätte, als daß er sich an ein besonderes Gedicht hält; und dadurch den Widerspruch aufreizt, da er am Schlusse seines Werks Jedermann befriedigen, und, wo es nötig wäre, mit sich versöhnen sollte.

So haben wir denn auch nicht ohne Kopfschütteln bemerken können, daß die anmutigen und liebevollen Naturen, die in dem Roman unserer Freundin Eleutherie ihr Spiel treiben, sich als Anti-Naturphilosophen ankündigen, und bei dieser Gelegenheit immer außerordentlich verdrießlich werden. »Sollte man sich mit so einem Gesichtchen von Politik unterhalten?« sagte der Herzog Regent zu einer seiner Geliebten, indem er sie vor den Spiegel führte; und so möchte man auch zu Adelaiden dieses Romanes sagen: sollte man mit soviel Liebenswürdigkeit, Gefühl und Lebenslust an Philosophie überhaupt, geschweige an Naturphilosophie, denken? Das Beste bleibt dabei, daß sie selbst fühlt, wie wenig dergleichen Äußerungen einer weiblichen Feder geziemen.

Eine Neigung, welche sie gegen Wilhelm Meister gefaßt, wollen wir derselben weniger verargen; doch wünschten wir, die Verfasserin hätte, anstatt des Buches zu erwähnen, gedachten Romanhelden selbst, etwa mit seinem größer gewordenen Felix, auftreten lassen, da sich denn wohl Gelegenheit gefunden hätte, ihm etwas Liebes, Gutes oder Artiges zu erzeigen.

Mit der Verfasserin der Melanie haben wir wegen ähnlicher Punkte gleichfalls zu rechten. Sie ist überhaupt ein wenig ärgerlicher Natur, und stört ihren wohlwollenden Leser ohne Not, wenn sie unversehens irgend ein Gänschen von Leserin anredet, sich einen abgeschmackten Einwurf machen läßt, und ihn auf eine nicht freundliche Weise beantwortet.

Aber das Schlimmste kommt zum Schlimmen, wenn zuletzt bei Hofe über deutsche Literatur heftige Debatten entstehen. Fürstin Aurora ist von der älteren Schule. Uz, Hagedorn, Kleist, Matthisson und Hölty werden ausschließlich mit Enthusiasmus genannt, wohl gar gesungen; wobei denn freilich scheint, daß die gute Fürstin in einer gewissen Epoche aufgehört hat, ihre Handbibliothek zu komplettieren, und ihre Musikalien anzufrischen. Zunächst nehmen ältliche Damen unseren Wieland in Schutz, lesen Testimonia für ihn ab, und es wird einer übrigens ganz hübschen jungen Prinzessin, weil sie ihn nicht fleißig studiert, sehr übel mitgespielt. Die Baronesse hingegen, seine Gönnerin, wird unmittelbar darauf zur Oberhofmeisterin erklärt. – Den Dekan des deutschen Parnasses könnte es denn doch wohl freuen, wenn er seinen großen Einfluß auf Besetzung der ersten Hofstellen vernähme.

Sollten denn aber geistreiche und talentvolle Frauen, nicht auch geist- und talentvolle Freunde erwerben können, denen sie ihre Manuskripte vorlegten, damit alle Unweiblichkeiten ausgelöscht würden, und nichts in einem solchen Werke zurückbliebe, was dem natürlichen Gefühl, dem liebevollen Wesen, den romantischen herzerhebenden Ansichten, der anmutvollen Darstellung und allem dem Guten, was weibliche Schriften so reichlich besitzen, sich als ein lästiges Gegengewicht anhängen dürfte.

 


 


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