Johann Wolfgang von Goethe
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Johann Wolfgang von Goethe

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Heinrich Joseph von Collin: Regulus, eine Tragödie in fünf Aufzügen

Berlin, b. Unger: Regulus, eine Tragödie in fünf Aufzügen von Collin. 1802. 184 S. mit den Anmerkungen. 8.

Die lebhafte Sensation, welche dieses Stück bei seiner Erscheinung erregte, ist zwar nach und nach verklungen, doch möchte es nicht zu spät sein, noch ein ruhiges kritisches Wort darüber auszusprechen.

Der Vf. hat bei der Wahl dieses Gegenstandes sich sehr vergriffen. Es ist darin Stoff allenfalls zu einem Akt, aber keinesweges zu fünfen, und dieser eine Akt ist es, der dem Stücke Gunst erweckt.

In dem ersten ist Attilia, die Gattin des Regulus, vorzüglich beschäftigt, die Lage der Sache und sich selbst zu exponieren, jedoch weiß sie sich unsere Gunst nicht zu verschaffen.

Wer den Entschluß des Regulus als groß und heldenmütig anerkennen soll, muß den hohen Begriff von Rom mit zum Stücke bringen; die Anschauung dieser ungeheueren spezifischen Einheit einer Stadt, welche Feinde, Freunde, ja ihre Bürger selbst für nichts achtet, um der Mittelpunkt der Welt zu werden. Und solche Gesinnungen sind es, die den einzelnen edlen Römer charakterisieren; so auch die Römerinnen. Wir sind die Lucretien, und Clölien, Porcien und Arrien und ihre Tugenden schon so gewohnt, daß uns eine Attilia kein Interesse abgewinnen kann, die als eine ganz gemeine Frau ihren Mann für sich und ihre Kinder aus der Gefangenschaft zurückwünscht. Indessen möchte das dem ersten Akt hingehen, da von dem Kollisivfall, der nun sogleich eintritt, noch nicht die Rede ist.

Der zweite Akt enthält nun den interessanten Punkt, wo Regulus mit dem carthagischen Gesandten vor dem Senat erscheint, die Auswechselung der Gefangenen widerrät, sich den Todesgöttern widmet und mit seinem ältesten Sohne Publius, der für die Befreiung des Vaters arbeiten wollte, sich auf echt römische Weise unzufrieden bezeigt.

Mit dem dritten Akt fängt das Stück sogleich an zu sinken. Der punische Gesandte erscheint wirklich komisch, indem er den Regulus durch kosmopolitische Argumente von seinem spezifischen Patriotismus zu heilen sucht. Hierauf muß der wackere Held durch Frau und Kinder gar jämmerlich gequält werden, indessen der Zuschauer gewiß überzeugt ist, daß er nicht nachgeben werde. Wie viel schöner ist die Lage Coriolans, der seinem Vaterlande wieder erbeten wird, nachgeben kann, nachgeben muß und darüber zu Grunde geht!

Der vierte Akt ist ganz müßig. Der Konsul Metellus bringt erst einen Senator höflich bei Seite, der sich des Regulus annehmen will, ferner beseitigt er einen stockpatrizisch gesinnten Senator, der zu heftig gegen Regulus wird, und läßt zuletzt den Publius, man darf wohl sagen, abfahren, als dieser ungestüm die Befreiung seines Vaters verlangt, und da Überredung nicht hilft, auf eine wirklich lächerliche Weise den Dolch auf den Konsul zuckt, welcher, wie man denken kann, unerschüttert stehen bleibt, und den törichten jungen Menschen gelassen fortschickt.

Der fünfte Akt ist die zweite Hälfte vom dritten. Was dort vor dem Senat vorgegangen, wird hier vor dem Volke wiederholt, welches den Regulus nicht fortlassen will, der, damit es ja an modern dringenden, dramatischen Mitteln nicht fehle, auch einen von den durchs Stück wandelnden Dolchen zuckt und sich zu durchbohren droht.

Wollte man dieses Sujet in einem Akt behandeln, indem man auf geschickte Weise den dritten und fünften zusammen schmölze, so würde es ein Gewinn für die Bühne sein: denn es ist immer herzerhebend, einen Mann zu sehen, der sich aus Überzeugung für ein Ganzes aufopfert, da im gemeinen Lauf der Welt sich niemand leicht ein Bedenken macht, um seines besonderen Vorteils willen, das schönste Ganze, wo nicht zu zerstören, doch zu beschädigen.

Hätte dieser Gegenstand unvermeidlich bearbeitet werden müssen, so hätte die große Spaltung der Plebejer und Patrizier zu Einleitungs- und Ausfüllungsmotiven den Stoff geben können. Wenn Attilia, eine recht eingefleischte Plebejerin, nicht allein Gatten und Vater für sich und ihre Kinder, sondern auch für ihre Nächsten, für Vettern und Gevattern, einen Patron zu befreien und aufzustellen im Sinne hätte, so würde sie ganz anders, als in ihrer jetzigen Privatgestalt auftreten. Wenn man alsdann dem Regulus, der nur die eine große unteilbare Idee von dem einzigen Rom vor Augen hat, dieses Rom als ein gespaltenes, als ein den Patriziern hingegebenes, als ein teilsweise unterdrücktes, seine Hülfe foderndes Rom, in steigenden Situationen dargebracht hätte: so wäre doch wohl ein augenblicklich wankender Entschluß, ohne Nachteil des Helden, zu bewirken gewesen. Anstatt dessen bringt der Vf. diesen wechselseitigen Haß der beiden Parteien als völlig unfruchtbar und keinesweges in die Handlung eingreifend, weil er ihm nicht entgehen konnte, durch das ganze Stück gelegentlich mit vor.

Wir können daher dem Vf. weder wegen der Wahl des Gegenstandes, noch wegen der bei Bearbeitung desselben geäußerten Erfindungsgabe rühmen, ob wir gleich übrigens gern gestehen, daß das Stück nebst den Anmerkungen ein unverwerfliches Zeugnis ablege, daß er die römische Geschichte wohl studiert habe.

Unglücklicherweise aber sind eben diese historischen Stoffe mit der Wahrheit ihrer Details dem dramatischen Dichter das größte Hindernis. Das einzelne schöne, historisch wahre macht einen Teil eines ungeheueren Ganzen, zu dem es völlig proportioniert ist. Das historisch wahre in einem beschränkten Gedicht läßt sich nur durch große Kraft des Genies und Talents dergestalt beherrschen und bearbeiten, daß es nicht dem engeren Ganzen, das in seiner Sphäre eine ganz andere Art von Anähnlichung verlangt, als störend erscheine.

So sieht man aus den Anmerkungen, daß der Vf. zu dem unverzeihlichen Mißgriff des Publius, der den Dolch gegen den Konsul zuckt, durch ein geschichtliches Faktum verleitet worden, indem ein junger Römer schon einmal einen Tribunen, der einen Vater zur Klage gezogen, durch Drohung genötigt, seine Klage zurückzunehmen. Wenn nun ein Hauptargument dieser Klage war, daß der Vater den Sohn übel behandle, so steht diese Anekdote gar wohl in einer römischen Geschichte. Aber hier im Drama der junge Mensch, der gegen den Konsul Lucius Cäcilius Metellus den Dolch zieht, begeht doch wohl den albernsten aller Streiche!

Wie die Einsicht des Vf. in die römische Geschichte, so sind auch seine geäußerten, teils römischen, teils allgemein menschlichen Gesinnungen lobenswert. Sie haben durchaus etwas rechtliches, meist etwas richtiges; allein aus allen diesen einzelnen Teilen ist kein Ganzes entstanden.

So ist uns auch noch nicht bei dieser Beurteilung die Betrachtung der Charaktere dringend geworden: denn man kann wohl sagen, daß keine Charaktere in dem Stück sind. Die Leute stehen wohl durch Zustände und Verhältnisse von einander ab, und meinen auch einer anders als der andere, aber es ist nirgends ein Zug, der ein Individuum, ja auch nur im rechten Sinn eine Gattung darstelle. Da dieses Stück übrigens Figuren hat, die den Schauspielern zusagen; so wird es wohl auf vielen deutschen Theatern gegeben werden, aber es wird sich auf keinem halten, weil es im Ganzen dem Publikum nicht zusagt, das die schwachen und leeren Stellen gar zu bald gewahr wird.

Wir wünschen daher, wenn das Stück noch eine Weile in dieser Form gegangen ist, daß der Teil, der dramatisch darstellbar und wirksam ist, für das deutsche Theater, das ohnehin auf sein Repertorium nicht pochen kann, gerettet werde, und zwar so, daß der Vf. oder sonst ein guter Kopf aus dem dritten und fünften Akte ein Stück in einem Akte komponierte, das man mit Überzeugung und Glück auf den deutschen Theatern geben und wiedergeben könnte.


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