Johann Wolfgang von Goethe
Briefe von Goethe an Johanna Fahlmer
Johann Wolfgang von Goethe

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Dritte Abteilung.
Weimar.

XXXVIII.

*
(Nr. 1 F.)Von jetzt an hat Johanna eine Reihe Briefe wieder nummeriert. Dieser heitere mit Postscripten angefüllte Brief ist wohl neben den gleichzeitigen Zeilen an Auguste S. 109 der älteste aus Weimar geschriebene, 15 Tage nach der Ankunft.
(Bei Frau Schröder.)
Siegel: Oblate.
Einfaches Quartblatt.

(22. November 1775.)

Adresse:

Msll. Fahlmer.

Lieb Täntgen! Wie eine SchlittenfahrtEins der Lieblingsbilder Goethes, so 1770 bei Schöll, Briefe u. Aufs. S. 50 (auch bei O. Jahn, Br. an Leipz. Freunde S. 168). geht mein Leben, rasch weg und klingelnd und promenirend auf und ab. Gott weis wozu ich noch bestimmt bin, daß ich solche Schulen durchgeführt werde. Diese giebt meinem Leben neuen Schwung, und es wird alles gut werden.Ueber die tiefe Verstimmung wegen der Frankfurter Verhältnisse vgl. an Merck (Wagner a 25.) Ich kann nichts von meiner Wirtschaft sagen, sie ist zu verwickelt, aber alles geht erwünscht, wunderlich Aufsehn machts hier, wie natürlich. Schreiben Sie mir ein Wort. Wielandmit dem sich G. gleich am ersten Tage ausgesöhnt hatte. ist gar lieb, wir stecken immer zusammen, und gar zu gerne bin ich unter seinensieben Kindern. Sein Weib ist herzebrav, und gleicht der la Roche. Adieu. Bitten Sie die Mama alle Briefe mit französchem Couvert aufzubrechen. Hier kommt einer zurück. Geben Sie ihn dem Papa, mit der Bitte das benötigte in meinem Namen zu besorgen, mit den H. Diakres (sich, durchstrichen) über die Sache (zu, durchstrichen) handeln zu lassen und das Trumbachische Geld zu sich zu nehmen, hier ist ein Brief an sie, den er ihnen schicken mach.Man sieht, daß Goethe eine keineswegs unbedeutende Praxis erlangt hatte. Seine juristische Bildung kam ihm in Weimar zu gute. Ausführliche Mittheilungen gibt Kriegk in der schätzbaren Abhandlung »Goethe als Rechtsanwalt« Deutsche Kulturbilder 1874. S. 263 ff. Hier handelte es sich um die Hinterlassenschaft des Frl. v. Klettenberg, welche den Kindern des Freiherrn von Trümbach vermacht war und von der Diakonie der deutschreformierten Gemeinde verwaltet wurde. S. a. a. O. S. 513–17. Ich habe daher das Wort Diatres der Abschrift in Diakres verändert, den Eigennamen nicht zu ändern gewagt. Adieu. Grüßen Sie die lieben Gerocks und die Max. Schreiben Sie mir etwas (sic) von den Schicksaalen dieser unglücklichen,Sie fühlte sich in ihrer Ehe mehr und mehr unglücklich, vgl. Frau Rath Nr. 30. Später meint G., das Unglück sei nur eingebildet gewesen. (W. 22, 169.) Adieu. Es wird uns doch noch wohl zusammen auf dieser Erde – –

Lassen Sie nur obige Bestellung an Papa ich will ihm selbst schreiben. Fritz war krank hör ich die holde Seele.Jacobi selbst schreibt über seine überstandene Krankheit erst am 23. (a. Br. Nr. 80.) Wieland hat ihm viel geschrieben.Der Brief fehlt; die am 2. u. 10. stehen a. a. O. Nr. 78 u. 79. Ich schreib ihm auch wohl noch heut. d. 22. Nov. 75.

Geben Sie den Brief an Mama zu lesen.

G.

XXXIX.Der erste dieser Brandbriefe verfehlte sein nächstes Ziel. Die arme Frau Rath war wirklich genöthigt Mercks Hülfe, die Goethe am 5. Januar eventuell in Anspruch genommen hatte (Wagner a Nr. 30), nachzusuchen. Das Geld erhielt G. am 19. Januar (ebd. Nr. 50; die Jahreszahl 1778 berichtigt Riemer II, S. 21 Anm.). Er bezahlte es am 8. März zurück (Nr. 36). Zum J. 1777 schreibt er wieder: »Geld durch Merck« (Gödeke 2, S. 885.) Auch Jacobi hatte er, wahrscheinlich im J. 1775, angepumpt (vgl. Br. Nr. 9 und 15). Nach des Vaters Tode berichtigte er die Schuld 1782.

(Nr. 2 F)
Quartblatt. Siegel zerstört. Außen:

(5. Januar 1776.)

An (sic)

Liebe Tante, ich sollt an meine Mutter schreiben, drum schreib ich an Sie dass ihr zusammen meinen Brief geniesst und verdaut. Ich bin immer fort in der wünschenswerthsten Lage der Welt. Schwebe über all den inersten größten Verhältnissen, habe glücklichen Einfluss, und geniesse und lerne und so weiter. Iezt nun aber brauch ich Geld – denn niemand lebt vom Winde – so wollt ich nur sagen Täntgen überleg sie's mit der Mutter, ob der Vater Sinn und Gefühl, ob all der abglänzenden Herrlichkeit seines Sohns hat, mir 200 f zu geben oder einen Theil davon. Mag das nicht gehn so soll die Mutter Mercken schreiben dass der mir's schickt. Das schicklichste wär, in Golde mit dem Postwagen, unter andern Sachen – Nimm Sie liebe Tante das auf die Schultern. Und macht mir's richtig. Denn ich muss seyn in dem was meines Vaters ist. Ich kann nichts einzeln schreiben. Die Zeit mags lehren. Schreiben Sie mir manch mal was, ich bitte, denn so wohl mir's geht, ists doch manchmal noth. Addio. Grus an Frizzen.

Eben krieg ich die Schachtel mit dem Vorrat.Zu Neujahr sandte die Mutter Leckereien, später auch an die Herzogin Amalie (Frau Rath Nr. 30.) Mama soll mir mit Gelegenheit die Schriften Hamans schicken die von Reich gekommen sind.Sie waren am 2. November bestellt worden (Jahn, G. Briefe an Leipz. Freunde S. 226).

XL.

(Nr. 3 F.)
Octavbriefbogen.

(14. Februar 1776.)

Liebe Tante, ich höre nichts von Ihnen, wie Sie nichts von uns, doch sie müssen bey der Fr. AyaBekanntlich Goethe's Mutter. manches vernehmen, und ich dächte, Sie schrieben mir manchmal aus Ihrem Herzen, dass ich nicht so ganz fremd würde mit euch. Ich richte mich hier in's Leben, und das Leben in mich. Ich wollt ich könnt Ihnen so vom innersten schreiben das geht aber nicht, es laufen so viel Fäden durch einander, so viel Zweige aus dem Stamme die sich kreuzen, dass ohne Diarium, das ich doch nicht geschrieben habe, nichts anschaulich's zu sagen ist. Herder hat den Ruf als Generalsuperintendent angenommen.Am 12. Dec. 1775 erhielt er die erste Anfrage; am 21. Dec. schreibt G. an Lavater, er habe ihn dem Herzog genannt, am 19. Februar 1776 Wieland an Merck: »Der Messias Herder wird an Palmarum – – hier einziehen.« Wagner a Nr. 35.

Ich werd auch wohl dableiben und meine Rolle so gut spielen als ich kann und so lang als mir's und dem Schicksaal beliebt.Und doch bewegten ihn während dieser Zeit mehrfache Zweifel (an Auguste Nr. 11, an Frau v. Stein 23. Februar.) Wär's auch nur auf ein paar Jahre, ist doch immer besser als das untätige Leben zu Hause wo ich mit dem grössten Lust nichts thun kann. Hier hab ich doch ein paar HerzogtümerWeimar und Eisenach. Ebenso an Merck (Wagner a Nr. 50. vor mir. Iezt bin ich dran das Land nur kennen zu lernen, das macht mir schon viel spaas.An Merck 8. März (Wagner a Nr. 36.) Und der Herzog kriegt auch dadurch Liebe zur Arbeit, und weil ich ihn ganz kenne bin ich über viel Sachen ganz und gar ruhig. Mit Wieland führ ich ein liebes häusliches Leben, esse Mittags und Abends mit ihm wenn ich nicht bey Hofe bin. Die Mägdlein sind hier gar hübsch und artig, ich bin gut mit allen. Eine herrliche Seele ist die Fr. von Stein, an die ich so was man sagen mögte geheftet und genistelt bin. Louise und ich leben nur in Blicken und Sylben zusammen. sie ist und bleibt ein Engel.An Fr. v. Stein 27. Januar u. a. m. Mit der Herz. Mutter hab ich sehr gute Zeiten, treiben auch wohl allerley Schwänck und Schabernack. Sie sollten nicht glauben wie viel gute Jungens und gute Köpfe beysammen sind, wir halten zusammen, sind herrlich unteris [wohl unter eins] und dramatisiren einander,Die Matinées (Riemer II, S. 22.) und halten den Hof uns vom Leibe. Schicken Sie mir doch bald möglichst von den grosen Dames Federn, Sie wissen ia solche Hahnen kämme 2 Rosenrothe. 3 Weise so schön sie sie haben können, und den Preis Sie sollen das Geld gleich haben.für Fr. v. Stein? 23. Februar. Friz u. alle meine Freunde klagen über mich!

d. 14. Feb. 76.

XLI.Dieser Brief gibt den Schlüssel zu der gedrückten Stimmung, in welcher sich G. bis zum 23. während 14 Tage gefunden hatte (an Fr. v. Stein I, S. 11). Wahrscheinlich war es der Besuch des Conseils am 11. (ebd. S. 9), welcher die Unzufriedenheit der Hofpartei besonders schärfte, des Ministers v. Fritsch, des Grafen Görtz und wie aus diesem Briefe hervorgeht, auch des Mannes der vortrefflichen Frau, an die sich G. »genistelt« hatte. »Wanderers Nachtlied« (am 12. Februar) ist ein Ausfluß dieser Stimmung Goethe's. Der Entschluß in Weimar zu bleiben wurde während dieser Tage gefaßt, die beschlossene Anstellung Goethe's als Geh. Assistenzrath im Geh. Conseil Hn. v. Fritsch vom Herzog mündlich eröffnet (Beaulieu-Marconnay, Anna Amalie S. 145.)

*
(Nr. 4 F) Gerändertes Octavblatt.
(Bei Frau Schröder.)

(19. Februar 1776.)

Liebe Tante ein politisch Lied!Aus Faust, den also Johanna gekannt zu haben scheint. Wären Sie hier, könnten Sie die Ehre alle Tage haben. Es ist nun wohl nicht anders ich bleibe hier und nun muß ich euch auf einen Besuch vorbereiten. Beherzigen Sie diesen Brief mit der Mama.

Der Oberstallmeister v. Stein geht ehstens durch Frankfurtwohl auf einer Sendung an den Darmstädter Hof. und wird Vater und Mutter besuchen. Es ist ein braver Mann, den ihr wohl empfangen mögt, nur muss man über meinen hiesigen Zustand nicht allzu entzückt scheinen. Ferner ist er nicht ganz mit dem Herzog zufrieden, wie fast all der Hof weil er ihnen nicht nach der Pfeife tanzt, und mir wird heiml. und öffentlich die Schuld gegeben, sollt er so was fallen lassen, muß man auch drüber hingehn. Ueberhaupt mehr fragen als sagen, ihn mehr reden lassen als reden das übrige lasse ich euren Klugheiten.Wie sich Frau Aja als Diplomatin geberdet haben mag! Ich wollt die Geschichte meiner vier letzten Monate lies sich schreiben, das wär ein Fras für ein gutes Volk. Lebt wohl und schreibt mir dass Euer Andenken erhalten war [?werde?] für und für.

19 Febr. 76.

G.

XLII

(Nr 5 F.)
Gerändert.

(16. März 1776.)

Liebe Tante. Schreibt mir und liebt mich. Sorgt nicht für mir. Ich fresse mich überall durch wie der SchwärmersUndeutlich geschrieben; etwa Kaufmann? sagt. Jezt bitt ich euch beruhigt euch ein vor allemal, der Vater mag kochen was er will,Wahrscheinlich waren unbezahlte Rechnungen eingegangen. ich kann nicht immer darauf antworten nicht immer die Grillen zurecht legen. So viel ists: Ich bleibe hier, hab ein schön Logis gemieth,Das sog. kleine Jägerhaus an der Belvedereschen Allee. aber der Vater ist mir Ausstattung und Mitgift schuldigG. verlangt dasselbe, was seine Schwester Cornelia bei ihrer Heirath erhalten hatte. Nach dem Auszuge aus Schlossers Erbreceß-Theilung hatte sie an Geschenken und Mobilien einen Werth von 1355 Fl. 50 Xr., an Mitgift ein Kapital von 10000 Fl. empfangen. Letzteres blieb aber bei den Eltern zu 4% verzinslich stehen. Das mag die Mutter nach ihrer Art einleiten, sie soll nur kein Kind seyn, da ich Bruder und alles eines Fürsten bin. Der H. hat mir wieder 100 Dukaten geschenckt. Gegeben Wie ihr wollt – ich bin ihm was ich ihm seyn kann, er mir was er seyn kann – das mag nun fort gehn wie und so lang das kann. Ich bin noch alles bey LeukenUndeutlich geschrieben. schuldig das thut mir nichts – Aber die Mutter soll nur ihre Schuldigkeit thun, und sehn was auf den Vater möglich ist ohne sie zu plagen! – Wenn sie allenfalls Geld braucht und kanns vom Vater nicht haben: so will ichs ihr schicken.

d. 6. Merz.

G.

(Am Rande:) Das Geld für die Federn schick ich nächstens.

XLIII.

(Das Papier schlug durch, daher die 2. Seite leer).
(Nr. 6 F)
Gerändert.

(18. März 1776)

Liebe Tante übermorgenDa G. am 19. erkrankte (an Fr. v. Stein I, S. 16), wurde die Reise erst am 24. angetreten (ebd. S. 17. Wieland an Merck, Wagner b Nr. 24). reisen wir ab nach Dessau, ich sehe also Leipzig wieder, wird wunderbaare Empfindung seyn. Sagen Sie niemand nichts. Die Mama mag wenn der Vater sich erklärt hat was er mir zur Ausstattung geben will, vorzüglich mich mit grosem Geräthe und noch einigen guten Manschetten, (:versteht sich recht guten:), versehen. Alle meine Meubles hat der Herzog heimlich befohlen mir machen zu lassen um mir ein Geschenck mit bey unsrer Wiederkunft zu machen. Das braucht aber der Vater auch nicht zu wissen. Lebt wohl ich schreib noch von Dessau aus vielleicht.

d. 18 Merz 76.

G. Weimar.

Die Mama soll nur auch an ihre Casse dencken ich hab sie rasend ausgeben gemacht. Es ist auch noch ein Conto an Schneider Eberhard zu bezahlen.Also war der Schneider des neuen Rocks, »den ich mir hab in Lion sticken lassen, grau mit blauer Bordüre« (Br. an Auguste Nr. 9, vom 21. September) noch nicht bezahlt. Ferner soll sie nur alle Kleider die von mir zurück sind verkaufen.

XLIV.

(Nr. 7 F.) Gerändert.

(April 1776.)

Liebe Tante lohn euch alles Gott. Mir ist wieder hierMan war am 4. April von Leipzig zurückgekehrt. Der Brief muß vor dem 21. geschrieben sein, weil der Garten nicht vorkommt. ganz wohl. NB. Brauchte ein schön Duzzend Holländische Schnupftücher recht gros, und (sic) ein Paar recht gute Manschetten – Mittel sorte hab genug.Die Ankunft des Kastens »mit der Wäsche und denen Manschetten« meldet der Kammerjunker von Kalb in dem wichtigen Schreiben an G's Eltern, worin er ihnen die Absicht des Herzogs, G. als geh. Legationsrath mit 1200 Thlr. in das Ministerium zu berufen, meldet. Dies ist also nicht, wie Riemer II, S. 25 datiert, und Keil, Frau Rath S. 51 wiederholt, am 16. März, sondern, wie Düntzer, Frauenb. S. 460 richtig vermuthet, am 16. Mai geschrieben. Lebt wohl und froh.

Von Lili nichts mehr, sie ist abgethan, ich hasse das Volck lang im tiefsten Grunde. Der Zug war noch der Schlussstein. Hol sie der Teufel. Das arme Geschöpf bedaur ich dass sie unter so einer Race gebohren ist. Adieu Tante du bist immer die liebe, gleiche!Lili lag dem Dichter noch am 23. December im Herzen (s. das Gedicht bei Düntzer, Frb. S. 370, Viehoff 2, S. 229). Im Februar hatte er Wieland seine letzte Jahresgeschichte erzählt (an Fr. v. Stein I, S. 8.) Hier gedenkt er ihrer zum letztenmale. Vielleicht hatten ihre Verwandten jetzt, als G's Loos sich glänzend gestaltete, durch Johanna das abgebrochene Verhältniß anknüpfen wollen. Am 9. Juli erhielt er die Nachricht von ihrer Verlobung (an Fr. v. Stein I, S. 46). Hier übermannt ihn die rührende Erinnerung so, daß er Johannen dutzt. – Grüs Frizzen. Nächstens einen Brief von mir an den Vater von erhabner Composition.mit der Nachricht von seiner bevorstehenden Anstellung.

XLV.

(Nr. 8 F.)
Foliobogen.

(6. November 1776.)

An Frau Aya, Tante Fahlmer und Freund Bölling gesamt.

Mittwoch d. 6. Nov. Abends 6 Uhr. Ich sizze noch in meinem Garten,den er seit dem 21. April besaß. – Ueber die Beschäftigungen darin während des Novembers Notizen bei Riemer, II, S. 55. Anm. Am 22. November wohnte er noch darin und schrieb an Merck in der heitersten Stimmung (Wagner b Nr. 37), welche Lenzens »Eselei« bald (26. November) stören sollte. es ist das schönste Wetter von der Welt, pflanze und mache allerley Zeugs das künftig Jahr soll schön aussehn und uns in guten Augenblicken Freude machen. Heut hab ich einen neuen Gang machen lassen, hab auf die Arbeiten getrieben, denn ich hatte einmal Ruh, es waren wenig Menschen da, nun hab ich die Expedition der letzten Session signirt, und will euch nur mit wenig Worten sagen dass ich so vergnügt und glücklich bin, als es ein Mensch seyn kan. Von Geschäfften bin ich eben nicht gedrückt, desto mehr geplagt von dem was den Grund aller Geschäffte macht: von den tollen Grillen, Leidenschafften und Thorheiten und Schwächen und Stärken der Menschen,Aehnlich an Lavater Nr. 10 (8. Januar 1777.) davon hab ich den Vorteil dass ich nicht über alles das Zeit habe an mich selbst zu dencken, und wie sich Frau Aja erinnert: dass ich unleidlich war da mich nichts plagte, so bin ich geborgen da ich geplagt werde. – Übrigens hab ich alles was ein Mensch sich wünschen kan; und bin freylich doch nicht ruhig, des Menschen Treiben ist unendlich bis er ausgetrieben hat. Lebt wohl und schreibt mir mehr, denn ich kann nicht schreiben. Hier habt ihr ein klein Blümlein vergiss mein nicht.Die Geschwister, welche nach Riemer a. a. O. am 26. Oktober erfunden und am 31. vollendet waren. Leßts! lassts den Vater lesen, schickts der Schwester und die soll mir's wiederschicken, niemand solls abschreiben. Und das soll heilig gehalten werden so kriegt ihr auch wieder was.

G.

Der Treu und Glauben der Tante Fahlmer sind die Geschwister empfohlen.

XLVI.

(Halber Foliobogen)
Außen: Msll Fahlmer
Siegel: G.

(21. Februar 1777.)

Ihr Brief l. Tante hat mir recht wohl in meiner verwirrten Einsamkeit gethan. Schreib sie mir irgend wenn's Ihr wohl macht. Ich bin beschränckter als jemals, sizze im Schnee im Thal, und brüte über mir selbst, die bunte, dumme, und tolle Wirthschafft um mich fühl ich gar kaum.Die ernste Stimmung und Zurückgezogenheit des Dichters bezeugen die übrigen Briefe der Zeit. Toll nennt er die Welt auch an Merck am 5. Januar (Wagner a 40); dumm die Wirtschaft nur hier. »Daß es sich in Weimar um den Frieden trübt«, erzählt Bölling am 17. Januar (Wagner b 39); Lenzens Eselei mag den ersten Anstoß gegeben haben. G. gedieh dies »Brüten über sich selbst« zur heilsamen Läuterung. Sag sie der Fr Aya sie mag mir mit dem Frühjahr wieder Flaschen Alten Weins schicken. Der erste Transport ist kaum die Hälfte getruncken, ich halt ihn werth.Am 20. war alter Wein an Frau v. Stein geschickt worden. Der Herzog, der auch nicht »in den besten Umständen« war, wollte dort speisen (I, S. 87).) Ihr sollt manchmal von mir hören. Adieu grüs sie die Mädels.»Die Samstagsmädels«, von denen Frau Rath am 5. Januar 8 zählt, »2 Demoisellen Clermondt (von der Jacobi'schen Verwandtschaft), Mingen Stark u. s. w.« namhaft macht. Die Gerocks gehörten natürlich zum engsten Kreise. Des Sohnes Sorgen kennt Frau Rath nicht; sie hält am 1. Februar das »Gewäsch, Geträtsch, Lügen u. s. w.« für überwundene Standpunkte (Frau Rath N. 7. 8). Grüs sie Frizzen und lebt wohl. d. 21 Febr 77.

G.

XLVII.

Großer Octav-Briefbogen.
Siegel: Weibliche Figur vor einem offenen Gefäß mit Feder.
Adresse von anderer Hand
an
Mamsell Fahlmer.

(19. März 1777.)

Sagen Sie doch der Mama ich bäte sie, mir, wenn die schöne Zeit kommt, wieder einige Krüge alten WeinDie nächste Bestellung im J. 1778 besorgt der Diener Seidel (Frau Rath Nr. 13). Denn dieser Brief ist wesentlich ein Abschied. G. gerieth in den »Zustand des Schweigens gegen alle Welt« (an Kestner 28. Sept. 77. Nr. 110). Auch Schlosser beklagt sich am 3. Mai, daß G. ihm neulich durch seinen Bedienten habe schreiben lassen (Wagner a Nr. 4). Von der dumpfen Stimmung G's geben die gleichzeitigen Billets an Fr. v. Stein I, S. 91, 93 weitere Kunde. Nach der schmerzlichen Kunde vom Tode seiner Schwester (8. Juni) erhielt G. die überraschende Nachricht von Johannens Verlobung mit Schlosser, die ihn bewog, die Correspondenz, wenn sich ein gelegentlicher Anlaß bot, wieder aufzunehmen. zu schicken. Auch wär mir's sehr lieb wenn sie den Vater disponirte dass er mir ein Geschenck von ein Paar Ohm (: nicht aus seinem Keller :) machte. Es müsste so etwa ein 62 od. 66ger seyn, aber was extra feines, wenn man sich umthut muss man ihn wohl bey euch gut kriegen können.

Georg Jakobi war bey uns, ich hab ihn nur den lezten Abend bey Wiel. gesehen, er ging ungerne weg.

Schreib sie mir doch wieder einmal Täntgen! Mir ist so wohl und so manichfaltig dass nun kein Mensch mehr von mir hört. W. d. 19 März 77.

G.

XLVIII.

*(bei Frau Schröder)
Klein Quart. Doppelbogen; war ohne Zweifel in
den versiegelten an die Mutter eingelegt (Frau Rath Nr. 13.)

(November 1777.)

Adr: Schwester Fahlmer

Gott seegne dich, und lasse dich lang leben auf Erden, wenn dir's wohl geht. Mir's ists wunderlich auf deinen Brief, mich freuts und ich kans noch nicht zurecht legen. Ich bin sehr verändert, das fühl ich am meisten, wenn eine sonst bekannte Stimme zu mir spricht, ich eine sonst bekannte Hand sehe.

Dass du meine Schwester seyn kannst, macht mir einen unverschmerzlichen Verlust wieder neu, also verzeihe meine Thränen bey deinem Glück. Das Schicksaal habe seine Mutterhand über dir und halte dich so warm, wie's mich hält, und gebe dass ich mit dir die Freuden genieße, die es meiner armen ersten versagt hat. Leb wohl grüse Schlosser und sag was leidlichs Frizzen ich bin gar stumm. Nov. 77.

G.Abgedruckt im Briefw. zw. G. u. F. H. Jacobi S. 42.

XLIX.

* (bei Hn. Direktor von Halm)
Briefbogen.

Luzern d 16 Nov. 79.

Da ich in Genf l. Schwester von Philippen auseinander ging,Philipp Seidel wird mit Hrn. v. Wedel und den Pferden durchs Waadtland nach Wallis gegangen sein. trug ich ihm auf er solle dir abschreiben einige Blätter die ich von unsrem Seitenweg auf die Dole dicktirt hatte.Die berühmte Reisebeschreibung, welche, für Fr. v. Stein bestimmt, später den Briefen aus der Schweiz einverleibt wurde. Hier fand ich's fertig und noch einen Brief von ihm in dem er dir eine andre Tour auf seine Weise erzählt.wohl die ins Berner Oberland Br. an F. v. Stein I, S. 257 ff, wo freilich Philipp und Goethe zusammen erscheinen. Ich schicke dir's zusamm und sage dir nur noch dass wir von Genv durch die Savoyer Eisberge und Wallis auf den Gotthart dann herab über den 4Waldstätter See hier glücklich angekommen sind. Grüse Schlosser und die Mädgen;»einige Freundinnen« (ebd. S. 247.) G. hatte »einen guten Tag mit Schlossers und den Mädels« (Wagner a Nr. 83). Er war am 27. September angekommen, (s. S. 11); statt 23. muß in dem Briefe des Herzogs bei Beaulieu-Marconnay (S. 198) gelesen werden: 28. Eh ich aus der Schweiz gehe hörst du noch von mir. Gezeichnet habe ich keine Linie. Adieu! Ich habe nun des großen fast zu viel. Seit ich euch verlassen habe ist kein unbedeutender überflüssige Schritt geschehen. Lass es uns wohl bekommen und Kindelein [: sagt der heil. Johannes :] liebt euch!

G.

Der Herzog lässt Schlossern und Euch schönstens grüsen.

L.

(bei Frau Schroeder)
Siegel roth: G.
Großes Quartformat. Doppelblatt.
Adresse: An Frau Hofrath Schlosser
nach
Emmedingen
fr. Rheinh.

(10. Januar 1781.)

Für Dein liebes Andenken und die überschickten Elsheimer danke ich herzlich. Sie sind mir noch so schön, und noch von so viel Werth als ehmals,Dennoch schenkte sie Goethe alsbald dem Herzog (Wagner c Nr. 79.) obgleich meine Augen sich in der Kunst und in manchem aufgeklärt haben. Gebe euch Gott ruhigen Genuß eueres Erbtheils.Es war recht bedeutend: 79415 Fl. 17 Xr, »er besitzt durch seine jetzige Frau ansehnliches Vermögen« schreibt der Herzog über Schlosser Beaulieu-Marconnay S. 200.). Grüß den Bruder recht schön und die Mädgens und die Kinder. Willst Du mir manchmal ein Wort schreiben so ist's eine Wohlthat.Der kühle Ton dieses Schreibens ließ es wohl nicht dazu kommen, und die Korrespondenz mit Johanna hat ein Ende; sie selbst zürnte ihm (Jacobi bei Zöppritz I, Nr. 50). Doch gedenkt ihrer G. am 2. Okt. 1782 an Jacobi Nr. 15 freundlich, Schlossers nimmt er sich sogar gegen Jacobi an (31. März 1784.) ebd. Nr. 23. Mit Schlosser wechselte er noch einige Briefe; ungedruckt dürfte folgender sein.

Ich treibe meinen Handel zu Wasser und Lande, und hoffe nicht bankrot zu werden. Adieu. Weimar d. 10 Jan. 81.

Goethe.

LI.

nart. Ruhige Züge.

Rom d. 11 Jan. 86.

Schon so lang ich hier bin gedencke ich auch dir l. Br. ein Wort zu schreiben das erst jetzt aufs Papier kommt. Endlich seh ich meine Wünsche erfüllt und gehe auf dem Boden herum, der aus tausend Gesichtspunkten merckwürdig ist. Noch weiß ich nicht wie lang ich bleiben kann, wenn ich schon sehe wie lang ich bleiben müßte, um mehr als ein Durchreisender zu sehen und zu erkennen. Es ist eine Welt in Trümmern in allem Sinn, und wo man genießen möchte, findet man zu dencken.

In diesen dritthalb Monaten hab ich schon fast alles gesehen und fange wieder von vorne an und wie oft müßte man diese Operation wiederhohlen. Lesen kann ich nur wenig und wie nötig, wie angenehm wäre es hier die alten Schrifftsteller mit lebendigem Sinne zu studiren.

Es ist das schönste Wetter, ein Winter wie sich hier niemand erinnert, hell und rein der Himmel, kühle auch wohl kalte Luft und warme Sonne.

Lebe wohl! Ich kehre nicht zurück ohne dich zu besuchen. Grüse die deinigen! Wie viel Freude wird es mir seyn euch zu sehn!

G.

LII.

(Abgedruckt im Gedenk-Buch zur vierten Jubelfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst begangen zu Frankfurt am Main am 24. und 25. Junius 1840. Der Seltenheit dieser Schrift wegen folgt er noch einmal.)

Fremde Hand.

(30. August 1799.)

Du hast sehr wohl gethan, mein lieber Bruder, daß du mir eine umständlichere Beschreibung deines Gartens zusendetest. Sie sieht freylich ganz anders aus, als deine erste, allzu bescheidene Ankündigung. Du hast einen großen Raum, der noch erst anzulegen ist, dabey kannst du also viel brauchen und ich werde dir mit Vergnügen von unserer Seite was ich kann beytragen.

Du erhältst hiermit zuerst den Catalog der Jenaischen neuen Anlage. Da er 1797 gedruckt ist, so haben wir freylich gegenwärtig viel mehr. Vielleicht kann ich dir bald einen Nachtrag schicken. Hiervon wähle du aus was dir fehlet, und es soll entweder im Herbst oder Frühjahr, wie du es verlangst, und wie es sich schicken will, aufwarten.

Ferner haben wir des Herzogs Anlagen; ich weiß aber nicht ob ein vollständiger Catalog, der darinn befindlichen und vorräthigen Pflanzen, gemacht ist. Sodann einen Hofgärtner Reichardt, der mit Sämereyen und Pflanzen handelt dessen Catalog du in kurzem auch erhalten sollst.

Von beyden ersten kann ich dir die Exemplare unentgeltlich und von dem letzten, in meinem Verhältniß, um billige Preise schaffen. Laß uns die Sache von Anfang etwas eifrig betreiben! Ich will dir in kurzem hinter einander was ich von diesen Verzeichnissen habhaft werden kann, übersenden. Schreibe mir was du brauchst und wünschest und an der Besorgung soll es nicht fehlen.

Sind wir alsdann so weit, so wünschte ich daß sich auch über die Wissenschafft selbst zwischen uns eine kleine Kommunikation eröffnete. Da es, wie man zu sagen pflegt, viele Wege ins Holz giebt, so habe ich den Weg der Metamorphose sehr vortheilhaft gefunden; die Ansicht ist geistig genug und da man die Idee immer durch die Erfahrung sogleich ausfüllen und bewähren kann, so hat mir diese Vorstellungsart immer viel Zufriedenheit gegeben. Ich weiß nicht ob du meinen kleinen Aufsatz über die Metamorphose der Pflanzen gesehen hast? Ich besitze selbst kein Exemplar mehr, kannst du aber keins in deiner Nähe finden, so will ich es allenfalls schaffen. Es kommt alsdann darauf an ob du dieser Art die Sache zu nehmen ein Interesse abgewinnest, da ich denn gar gern zu jenen kurzen Sätzen einen fortlaufenden Commentar, aus meinen bisherigen Erfahrungen, mittheilen könnte. Ich habe viel zu diesem Zwecke gesammelt und es sollte mich freuen wenn ich, ohne es zu erwarten, oder zu ahnden, etwas für dich vorgearbeitet hätte, und ein solcher Anlaß würde für mich selbst eine Wohlthat seyn. So viel hiervon für heute.

Ich wünsche daß die gute Laroche gesund und ohne physischen Unfall nach Hause kommen möge! alsdann ist es für ihr Alter wirklich eine schöne Expedition die sie zurückgelegt hat. Ihr Verhältniß zu Wieland ist einzig, und sich nach so viel Jahren, bey noch ziemlich bestehenden Geistes und Leibeskräfften wieder zu sehen, ist ein sonderbarer und angenehmer Fall. So wie man sagen kann daß es auch zwey einzige Naturen sind. Ich glaube nicht daß es unter bedeutenden Menschen, ein schuldloseres Paar geben kann.

Ich wünsche dir Glück daß du deinem Knaben noch einen guten Gesellen so nahe gefunden hast. Suche nur, wenn es möglich ist, sie viel unter ihres Gleichen zu bringen. Da setzt sich das was man thun kann, will, darf und soll am besten ins Gleichgewicht.

Wie sehr du in dem großen Frankfurth allein seyn magst, kann ich mir recht gut vorstellen, unser kleiner Kreis, wenn ich besonders Jena mit dazu nehme, ist dagegen ein wahres Feenmährchen. Die Masse von interessanten Menschen, die hier einander so nahe sind, und von denen ich dir nur einmal die Silhouetten zeichnen möchte, ist, wie du dir leicht denken kannst, in einer immerwährenden Gährung und in einem Conflict, dem man gerne zusieht und worinn man allenfalls, entweder vernünftig, oder leidenschaftlich gern auch einmal mitspielt.

An Gerning will ich Deinen Auftrag ausrichten. Er macht alle Anstalten berühmt zu werden. Ich wünsche daß es gut ablaufe.

Du bist bey uns unvergessen und jeder wird sich freuen dessen du gedenkst.

Was Fichten betrifft, so thut mir's immer leid daß wir ihn verliehren mußten, und daß seine thörige Anmaßung ihn aus einer Existenz hinauswarf, die er auf dem weiten Erdenrund, so sonderbar auch diese Hyperbel klingen mag, nicht wieder finden wird. Je älter man wird je mehr schätzt man Naturgaben, weil sie durch nichts können angeschafft werden. Er ist gewiß einer der vorzüglichsten Köpfe; aber wie ich selbst fürchte für sich und die Welt verlohren. Seine jetzige Lage muß ihm zu seinen übrigen Fratzen noch Bitterkeit zufügen. Uebrigens ist es, so klein die Sache scheint, ein Glück daß die Höfe in einer Angelegenheit, wo eine unverschämte Präoccupation, wie du weißt, so weit ging, einen Schritt thun konnten, der, wenn er von der einen Seite gebilligt wird, von der andern nicht getadelt werden kann. Und ich für meine Person gestehe gern, daß ich gegen meinen eignen Sohn votiren würde, wenn er sich gegen ein Gouvernement eine solche Sprache erlaubte.Vgl. O. Jahn, Goethe's Briefe an Voigt. 1868. S. 56 ff.

Lebe wohl und laß uns, wie ich schon sagte, in dieser ersten Zeit unsere Correspondenz etwas lebhafter treiben, damit wir gleichsam in den Erholungsstunden, wo du von deinen Geschäfften ausruhst, zusammen seyn. Ist alles einmal eingeleitet, dann mögen denn auch unsere Briefe einen gemächlichem Gang gehen, der wie ich hoffe bis an das Ende unseres LebensSchlosser starb am 17. Oktober 1799. Ein Trostbrief von Goethe liegt nicht vor, dagegen schöne von Klinger, Pfeffel und Roth. gemüthlich bleiben soll. Weimar am 30 Aug: 1799.

G. (eigenhändige Unterschrift)


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