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Bild: Karl Mahr

Marie-Savinien Eugène de Théry. Vierundvierzigster Abt. 1792.

An Herrn Chevalier de Versalis in London.

Nein, lieber Adrian, so traurig bin ich nicht,
Wie Ihre Freundschaft meint. Mir liegt ein schwer Gewicht
auf meiner Seele, doch ich leiste Widerstand.
Inmitten aller Not – was brauch' ich noch zu sagen! –
fühl ich mich wohl besorgt, doch keineswegs geschlagen.
Dem Schwimmer gleich ich, der sich auf der Woge hält,
und ob er auch mit ihr in dunkle Tiefen fällt,
leicht wie ein Strohhalm taucht er wieder doch herauf.
Das Schauspiel, schaurig frech, gespielt in diesen Tagen,
ist nicht nur dafür da, uns Schrecken einzujagen,
Dort, eine Mauer stürzt, die zweite, Krach auf Krach,
des alten Königtums Grundfesten schüttern nach,
dahin der Thron, das Recht, die Scham, der reine Glaube,
in Trümmern eine Welt – liegt vor der Welt im Staube,
Nichts ist mehr heilig, nichts zu hoch unheiligen Händen.
Ja – Gipfel aller Schmach! – auch edler Mut muß enden!
Geliebter Namen Klang wird noch im Grab zum Spott,
Die Priester wie die Herr'n, man schleppt sie zum Schaffot.
Die Kleinsten, die wir sind, auch wir sind obdachlos.
Der Sturm ist ohne Maß, das Unheil riesengroß,
als ob die Gottheit selbst die Flammengeißel schwänge.
Ich fühl' es, daß sie naht! Den Menschen nie gelänge
solch eine Wüstenei aus einer Welt zu schaffen.
Das ist Gomorrah's Zeit, ist Sodom's Werk. Da raffen
des Himmels Strafen auch das letzte Staubkorn fort,
was einst Jesaias sprach, was Daniel, Wort für Wort,
sie haben sich erfüllt, der alten Seher Klagen,
wir stehen allesamt schon in den letzten Tagen.
Und glauben Sie, daß den, der solche Bilder schaut,
noch vor dem Ungemach der nächsten Stunde graut?
Die Größe dieser Not reißt ihn gewaltig mit,
er hat zuviel erlebt, was ihm das Herz zerschnitt,
er hat zuviel gefühlt von Schicksals leid'gen Schärfen,
nichts kann ihn fürderhin erschreckt zu Boden werfen.
Er blickt um sich, er mißt die Trümmer, er vergleicht,
wie überall der Grund unter den Füßen weicht,
die Gipfel stürzen rings, der Blitz schlägt um ihn ein –
wie sollt er da nicht blind für seine Nöte sein?
Er denkt nicht mehr an sich, er klagt nicht um das Seine,
sein Herz erfüllt allein Mitleid für's Allgemeine.
Eh'r glückt's, daß ein Kamel durch's Nadelöhr sich wand,
als daß ein Einz'ger hier ertrinnt des Todes Hand.
Nein, ich bin ohne Furcht! Ich bin nicht mehr der Meister.
Daß ich behütet ward durch Gnaden ew'ger Geister,
Welch großes Wunder dies, wo Mächtigste ihr Leben
rettungslos jeden Tag dem Abgrund preisgegeben!
So daß ich selber mich Verräter heißen müßte,
wenn eigensücht'ge Angst ich nicht zu zähmen wüßte.
Ich seh', ich hör', ich frag' um Lehre überall:
wie das Jahrhundert kam zu solchem tiefen Fall?
Wie hat es das verdient? Wie ist die Schuld zu nennen?
Das Klagen taugt zu nichts, man muß die Ursach kennen.
Wenn alles Bösen Macht entfesselt, wenn der Himmel
in hellem Zorn entflammt, von teuflischem Gewimmel
die Hölle überschwillt – wer hat es je gesehen,
daß Satan schlägt und beißt – wie könnte das geschehen
ohn' einen Strafbefehl aus göttlich heil'gem Willen,
der ihm die Kraft verlieh, die Wut an uns zu stillen?
Verweichlicht waren wir, verfault beinah, versumpft,
durch falsche Lehren wirr der Geist, das Herz verschrumpft,
die Sinne freuten sich an aufgeputztem Nichts,
die Tugend ward ein Ding des Scheines, statt des Lichts.
Anstand war lächerlich, der Glaube schämte sich,
denn alles traf der Spott und aller Ernst entwich.
Das ist die Ursach! Gut! So ward sie offenbar,
was feindlich, ist getrennt, der Unterschied ist klar.
Mit offnem Hasse tritt das Leben mir entgegen,
wie hat es sich beeilt den Liebreiz abzulegen,
der mich an ihm entzückt, wie anders nun es spricht!
Die wilde Wut im Blick, das ist nun sein Gesicht.
Im Siegeswagen kommt es doch dahergefahren;
wir mögen achtsam sein, wie wir uns davor wahren.
Es ist im Gang. Nun ist mein Weg mir keine Frage:
ich prüfe wohl mein Blut, ich will nicht, daß man sage,
ich habe allzu scharf – – In diesem Augenblick,
da ich dies schreibe, schon erfüllt sich mein Geschick –
der Klosterhof erdröhnt von Stimmen wild und hohl:
»Nieder den König! Tod den Priestern!« – Lebewohl! –
Geschrei der Trunkenheit, unsauberer Masse Wut
entzündet die Geduld der kühlsten Seelen! Gut,-
ich geh hinaus – ich ruf': »Es lebe der König!« – Nein!
Ich habe nicht das Recht, ein Märtyrer zu sein.
Betrachten wir das Volk nur mit Gelassenheit,
den Feind in seinem Rausch, im Wahnsinn seiner Zeit:
versuchen mit Geduld wir alles zu verstehen
und fest nur auf dem Weg des Einen fortzugehen,
auf dessen ew'ges Wort der Unreine gewiß
auch seinen Tempelbau so schändlich niederriß. –

Mannheim, 7. März 1793.

Gefallen ist es nun, das alte Heiligtum!
Mein Auge sah von Brand den hohen Bau gefressen.
Das Dach zerbrach und stürzt auf das Sanktuarium,
Alles, was war, ist tot, und alles vergessen.
Ein Jud war's, der erschloß mir meines Kerkers Pforte,
und ein Soldat war's, der mich brachte über'n Rhein,
welch Mitleid bei dem Volk von so verschiedner Sorte?!
Ich hielt der Leute Herz nur als von Erz und Stein!
Gast eines Ketzers bin – eines Pastoren – ich,
der gibt mir nun mein Brot, das sonst mir ganz verwehrt.
Kein andrer lebt, kein andrer Schutz für mich
als dieser Lügner, den ehrwürd'ger Glanz verklärt.
Mit schwerer Sorge hat mein Gemüt zu quälen,
nichts steht mehr aufrecht, nichts mehr fest, auch in den Seelen.
Allein man muß hindurch durch diese Flammenwelt,
was man von seinem Recht, von seinem Gut behält,
frag' ich Verstand und Herz – das Wort wird ihnen fehlen. –

Benediktinerkonvent in Preßburg, 4. August 1894.

Dem wunden Krieger gleich, aus langer Schlacht gerettet,
zerfetzter Fahne Tuch an starrer Brust gebettet,
todmüd, erschöpft von Durst und Hunger, frostbereift,
beträuft vom eignen Blut, die Waffen abgestreift,
nicht achtend aller Qual, der Mühe seiner Wege,
nur weiter, daß er treu das teure Zeichen hege,
bis sicher vor der Hand des Feindes er's bewahrte,
und fest auf Freundesgrund erhebt sich die Standarte –:
so meine Fahne auch, in wilder Flammen Massen,
nicht auf der Mörder Feld hab' ich sie liegen lassen,
bis zu den Füßen trag' ich sie des Meisters hin.
Erzengel, nimm mich auf, der ich dein Krieger bin!
Von Zweifeln oft gequält, mit Reue schwer beladen
betrat ich manchen Weg, schritt ich auf vielen Pfaden,
wo fremden Glaubens Lied aus Busch und Hecken klang,
wie manche Hoffnung blieb zurück auf diesem Gang!
Mein Glaube ist allein von allem mir geblieben,
der wachsend überstrahlt mein Hoffen und mein Lieben,
das ich im Kampf verlor, mit ruhig mildem Schein.
Wer Sieger ist, der soll nicht harten Herzens sein. –
In ihrer Wüstenei voll Lärmen und Geschrei
zieht einer Mißwelt Bild an meinem Blick vorbei;
dem Elefanten gleich, von gähr'nden Säften trunken,
vor dessen Tritt zerknickt Buschwälder hingesunken;
der Inder, der gebannt vor seiner Höhle stand,
wirst seinen nackten Leib blind vor ihm in den Sand,
und der Koloß zerstampft ihn gleich wie Busch und Strauch –
die Bonzen steh'n beiseit und schau'n das Schrecknis auch,
beraten unter sich, entscheiden dann und sprechen:
»Ein Gott schickt dieses Tier, um dunkle Schuld zu rächen!«
So dies Jahrhundert! Wild im Rausche tobt's daher,
Verderben dräut sein Schritt, zermalmend hart und schwer;
so drängt das Ungetüm erbarmungslos heran,
doch nur vergänglich ist, was es vernichten kann.
Nur Wahn mag in dem Weh nach andern Quellen suchen,
als deren eklem Gift der Opfer Stimme fluchen. –
Und doch: Die Seele lebt darüber leuchtend fort;
ein kleines Fünklein hier, doch ew'ge Flammen dort.
Niemals wird über sie das Nichts Beherrscher sein:
sie bringt allein hervor, was irgend schön und rein
ob Leiden bis zum Tod das Leben hier durchdringen,
sie wird aus Fremde sich empor zur Freiheit schwingen,
so eilt beflügelt sie zum sel'gen Ort der Gnaden,
dort, wo der Bräutigam zur Hochzeit sie geladen. –

Als ich viel jünger war, wie schrecklich schien mir's da,
daß ich in Glut und Schutt mein Kloster sinken sah!
Im Herzen blieb mir noch sein Bildnis wie zuvor;
ich sah den Glockenturm, das feste Dach, den Chor,
dies alles spricht zu mir – und aller Trost entflieht! –
Nun denk' ich lächelnd wie an ein verklung'nes Lied:
nein, alte Mauern nie verehrte St. Avit!
Die Trauer ist verstummt. Fern haben sich verzogen
die Wolken, die ich längst verjagt, sie sind verflogen,
sie bleiben Dunkelheit, der Glanz hat nur gelogen!
Die Zeit vergeht – verweht – die Formen wie die Mächte,
was ein Erfolg einst hieß, was gern sich ewig dächte:
hohl innen sind und morsch die altverjährten Rechte,
die Throne wanken rings, Weltsäulen stürzen ein,
was glanzvoll, mächtig, groß, der Erde falscher Schein –
dahin, dahin! – dahin! – Zum großen Strom hinein!
So sei's denn, lassen wir's! Uns ist kein Teil daran.
Was Torheit träumen mag, was Klugheit wähnen kann,
die Seele bleibe frei! Sie wählt den Weg hinan,
allein lebendig, stark, den Himmelspfad zu schreiten,
allein die Siegerin, weit außer allen Zeiten,
hoch über dieser Welt zerbroch'ner Nichtigkeiten! –


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