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Bild: Karl Mahr

St. Andiol, vierter Abt.

An einem schönen Fastenmorgen,
dem Tag des heil'gen Adrian
berief der Abt uns ohne Sorgen,
um seine Lehren zu empfahn,
als plötzlich durch den Hain von Eichen,
der uns'res Klosters Bau umringt,
schon nahe Stimmen uns erreichen,
die laut das Echo weiterschwingt.
Thibaut, der Graf war's von Campagne,
der zog durch Tal und Berge hin,
und mit ihm seiner Edlen manche
in Rittermut und heitrem Sinn.
Als dieser Zug nun aus den Schatten
zur Lichtung vorgedrungen war,
dort, wo wir uns gelagert hatten –:
»Seht da, die fromme Brüderschar,
die uns, den Sündern die wir sind,
das heil'ge Paradies gewinnt!«
so riefen, froh dahergesprengt,
die übermütigen Jagdgenossen
und schwangen sich von ihren Rossen.
Doch wir, in einen Trupp gedrängt,
wir blickten stumm, in Staunens Bann,
die herrlichen Gestalten an. –
»Wie, meine Väter,« rief der Graf,
»in diesem Wald wie lebt ihr wohl?!«
»Ich bin beschämt,« sprach Andiol,
»daß man uns so verweichlicht traf.
Dort uns're Hütten – welch Gebäude
kernfesten Holzes, dichten Stroh's,
und unsre Betten – welche Freude,
so weich vom Gras, so kühl vom Moos!
Ja freilich haben unsre Alten
noch heilig das Gesetz gehalten,
wie streng es war und unbequem,
solang die erste Glut noch brannte,
solang man St. Avit noch kannte, –
doch lässig wurden wir seitdem.« –
»Und mich, bei Gott, mich ärgert just,
was euch erfüllt mit frommer Lust! –
Sagt, meine Edlen, ob ein Land,
so groß und schön wie unser Lehen
es dulden kann mit anzusehen,
daß, was dem Höchsten uns verband,
daß unsre heil'ge Religion
hier ruhen soll in solchen Betten,
erfrieren darf an diesen Stätten?
Euch dünkt's ein Heil, mich dünkt's ein Hohn!
Uns trifft der Fluch für alle Zeit,
den Geiz und Undank sich verdienen,
uns, weil wir unbekümmert schienen
um das, was die Natur befreit
aus ihrer Grundverdorbenheit,
und was im Kampf und im Gebet
uns gnadenreich zur Seite steht.
Auf welche Lager hingestreckt,
von warmen Wämsern wohlbedeckt,
in starken Mauern schön geborgen,
Kaminglut jeden Wintermorgen –
bei meinem Bart! – hielt' ich nicht gar,
wenn Tag für Tag ich, Jahr für Jahr
den Wanst gefüllt, den Krug geleert,
mehr als den St. Avit mich wert?! –
Nein! Nein! Der Schande Maß ist voll!
Mein lieber Vater, fürder soll
dein Fuß auf glatte Fliesen treten,
du sollst in hohen Chören beten,
dein heil'ges Haus soll würdig sein,
daß nichts ihm zur Verehrung fehle,
an allem reich, was schön und fein:
ein edler Leib der ernsten Seele!«

Fortfuhr der Graf sodann mit herrischer Gebärde:
»Ich will, daß unserm Gott ein Haus errichtet werde.
Erbauen wir – daran setz ich all meine Macht
und Arbeit fordre ich dafür bei Tag und Nacht –
erbauen wir, ich will's! ohn' Aufschub – schnell – sofort –
ein wahres Heiligtum an diesem selben Ort,
dahin man pilgern soll aus aller Lande Fernen.
Des Heil'gen Geistes Macht soll man erkennen lernen!« –
Die Edlen um ihn her begeisterte sein Wort.
Bald eilten Maurer schon herbei in vollem Strome:
der Grundstein ward gelegt, und rasch erhoben dort
die Türm' und Mauern sich zum wundervollen Dome,
emporstieg die Abtei, es wuchsen die Kapellen,
das Kloster selbst erstand mit allen seinen Zellen.
Schon hallte Lobgesang frohlockend durch die Gänge,
von Meistern jeder Kunst – Skulptoren hier, dort Maler
Vergolder und was sonst – da gab es ein Gedränge;
denn unser edler Graf war gar ein guter Zahler!
So schmückten sie den Bau mit Künsten aller Art,
wie's ihnen einst gelehrt von ihren Vätern ward. –
Hier in dem Raum, wo noch mit seinem grauen Steine
das schlichte Grab bedeckt des Heilgen Mann's Gebeine,
da schwebt auf dem Gerüst, da wirkte an der Wand
ein Meister aus Byzanz von glänzendem Geschick,
den uns Alexis selbst, der Raffer hergesandt,
und schuf zu reicher Zier das schönste Mosaik.
Dort zauberte zu zweit mit sichern Meiselschlägen
ein Italienerpaar ein Doppelheiligtum:
die Jungfrau mit dem Herrn. Da, wo das Haupt gelegen
des heiligen Maclou im Reliquarium,
dem Schrein aus purem Gold, Rubinen ringsherum,
drei Flamänder zugleich, ganz in ihr Werk verloren,
sie schufen, der Gott trägt, den heil'gen Christoforen. –
Mit Zettelschreiben nur vom Morgen bis zur Nacht
wird vom Schatzmeister nun der Tag dahingebracht:

»Heute als am 9. Tag der Kalenden des August haben Guillaume und seine Frau Alberarde ihr Haus und Leben in Libarde mit Zins und Renten und allen Gefällen, eingeschlossen Tiere und Hintersassen, nebst zwei dressierten Falken, hingeben für eine Seelenmesse, um ihre Seelen der heiligen Genossenschaft zu empfehlen, den Mönchen und Nachfolgern des St. Avit.«

Und weiter:

»Am 6. Tag der Iden des September hat Arnold de la Forté mit seiner Verwandtschaft am Altar seine ganze Freiheit abgeschworen und sich zum Sklaven gegeben in den Dienst des St. Avit.«

Fürwahr, ein edler Drang und wundervolle Gaben!
So hob und hob sich rasch das heil'ge Gotteshaus.
Der Himmelsonne gleich, so leuchtend, so erhaben,
auf alle Lande goß sein Wunderglanz sich aus.
Der Kön'ge Seelen all, der Fürsten und Prälaten
entbrannten hell und heiß an diesem hehren Strahl,
der Päpste Lob erklang in Briefen ohne Zahl.
So irden Tag beschenkt durch fromme Opfertaten,
mit Kostbarkeiten reich wie eine Braut geschmückt,
stand St. Avit's Abtei, bedient, verehrt, beglückt,
das Weltall rief: Seht da, Jerusalem auf Erden!
Das ist der Tempel, dem die höchsten Ehren werden:
denn Gott und unsre Frau, die Auserwählten alle,
die fühlen sich daheim in dieser heil'gen Halle!
Auf Knien dankt den hochehrwürd'gen Eremiten,
die uns den Himmel selbst gerufen in dies Land,
wo aus der Segensmacht, die sie den Gläub'gen bieten,
seltenster Tugend Reich vor aller Welt erstand! –

Was war's, daß Ernst und Weh in Andiols Blicken lagen,
und niemand sah, daß er dem Werke Beifall zollt?
Wenn aus der Brüderschaft ihn einer mochte fragen,
sprach er: »Nein, das ist nicht, was St. Avit gewollt.«


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