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Fünfzehnte Nacht.

Zukunft.

1. Kor. 13.

»Am vorigen Sonntag hat sich in der elterlichen Wohnung ein zwölf Jahre alter Knabe aus Furcht vor dem Schulbeginn erhängt!« – »Ein kurzer, trockener Zeitungsvermerk, und welcher Abgrund, der sich zwischen den dürftigen Zeilen öffnet!

»Eine Zeitung, die über diesen traurigen Fall Mitteilung macht, setzt den betreffenden Zeilen folgende Marke vor: »Nettes Bürschchen.« Da weiß man wahrhaftig nicht, worüber man mehr erschrecken soll! Ob über das tiefbetrübende Symptom einer fieberwunden, durch und durch kranken Zeit, oder über die Frivolität dieser selben Zeit. Hat der Schreiber jener Zeilen wohl eine Ahnung gehabt, wie es in der Kindesseele eines zwölfjährigen Knaben aussehen mag, der die Vernichtung seines jungen Lebens brütet? – Armer Junge, was mag dich getrieben haben, daß du deiner Mutter diesen Schmerz bereitet hast! Gewiß, es wird kluge Leute geben, die deine unglücklichen Eltern damit zu trösten suchen, daß du ein Taugenichts gewesen seiest, ein kleiner Faulenzer, um den es nicht schade für diese Welt sei. So sagen natürlich diese Neunmalklugen, und die große Menge derer, die überhaupt kein eigenes Urteil zu bilden imstande sind, betet es stumpfsinnig nach. Höchstens zuckt der eine oder andere voll würdevollen Bedauerns mit den Achseln, und dann geht man über den Fall zur Tagesordnung über und die Sache ist vergessen. Was regt uns auch heutzutage im Strudel des großstädtischen Lebens, im Wirbelwind der sich jagenden Ereignisse noch ein armseliger alltäglicher Selbstmord auf, und ists auch zur Abwechslung einmal ein krankes Kind, das da die junge Mörderhand gegen sich selbst gerichtet hat.

»Ja, ein krankes Kind – da ist es ausgesprochen! Freilich, das erklärt und entschuldigt nichts! Wie ist es möglich, wie ist es psychologisch denkbar, daß die überhandnehmende krankhafte Selbstmordmanie nun gar schon unter Kindern ihre Opfer findet?! Der hier erwähnte Fall steht ja nicht vereinzelt da, gerade in den letzten Wochen berichteten die Zeitungen in verschiedenen Fällen von Kindesselbstmord. Da ist ein Mädchen von – acht Jahren, das sich aus Furcht vor Strafe ertränkt, da ist ein anderes Kind, das aus Scham wegen eines begangenen Unrechtes Hand an sich selbst legt, da ist der Schüler eines Gymnasiums, der eine dem Ehrgeiz nicht genügende Zensur nach Hause bringt und seinem Leben ein jähes Ziel setzt, und so mehr. In den meisten Fällen aber war es die Furcht, die die Kleinen in den Tod trieb, die Furcht vor Strafe.

»Da sind wir auf den Krebsschaden, die fressende Wunde unsrer heutigen Erziehungsweise geraten. Schule und Erziehung sind nicht mehr organische, den Gesetzen frei entwickelter, gesunder Natürlichkeit entsprechende Einrichtungen, die sich luft- und lichtatmend wie ein stolzer, lebensfreudiger Baum zum Himmel erheben, sondern es sind künstliche Drillanstalten, in denen Maschinen aber keine Menschen gebildet werden. Fabriken, deren Aufgabe und Betrieb die Vermaschinierung des Geistes und der Sittlichkeit ist. Wie tief, wie unendlich tief steht hierin doch das Deutschland des 19. Jahrhunderts, das kulturvoranschreitende Deutschland, unter dem alten, längst »überwundenen« Griechenland! Vergleiche man doch nur ganz äußerlich die Stätten der Erziehung – welcher Unterschied! Dort weitgeöffnete hohe einladende Hallen, Gärten und säulengetragene Wandelgänge, alles Licht, Luft und Farbenfreude, und darüber ein ewig blauer, wolkenloser Himmel! Hier düstere, stil- und seelenlose Zuchtkasernen, in denen das Gemüt nicht aufatmet, in denen die zarte Pflanze verkümmern muß.

»Und nun erst das Erziehungsprinzip! Nicht die reine edle Menschlichkeit, die da waltet; nicht die wunderwirkende, zaubergewaltige Liebe, die da weht – nein, eiserne Disziplin, Lineal, Stock und Knute, starrer Despotismus! Pauken und prügeln! Und auf solchen Stätten sollen Menschen gedeihen! Ja, die heutige Schule trägt viele Schuld, wenn in der Welt so wenige Menschen zu finden sind, darum aber um so viel mehr Philister- und Sklavenseelen, Heuchler, Duckmäuser und dergleichen schöne Menschenexemplare. Erinnern wir uns doch der eigenen Schulzeit! Sind wir mit Lust und Liebe zur Schule gepilgert? Haben wir nicht unserm Schöpfer gedankt, als wir endlich ihr den Rücken kehren durften? – Und nun frage sich jeder selbst auf sein Gewissen: Sind das naturgemäße Zustände und Erscheinungen? ... In diesen Tagen lief durch die deutschen Blätter ein kleiner bezeichnender Witz. »In der langen Schulzeit hat das Kind nur zwei große wahrhafte Fest- und Freudentage. Der eine ist der erste Schultag, an dem es die Zuckertüte bekommt, und der andere ist der letzte Schultag, der ihm das Entlassungszeugnis bringt.« Das ist zwar nur ein Witz, aber er ist bedeutungsvoll.

»Und gerade die Schule! Zu welchem Faktor des modernen sozialen Lebens könnte sie heranwachsen, wie unendlich Gutes und Gewaltiges könnte sie stiften, würde sie zur Erkenntnis ihrer Mängel gelangen, mit rücksichtsloser reformatorischer Hand zunächst sich selbst erziehen zur Erfüllung ihrer hohen, idealen Mission. Ist doch der Beruf des Lehrers unter allen Berufen dieser Welt unleugbar der wichtigste, denn er ist grundlegend. Weit mehr als der Beruf des Geistlichen, der höchstens noch begießen kann (und in der Regel zu viel begießt!), der aber nicht pflanzt wie der Lehrer. Daß der Lehrberuf so manchmal noch von Ungeeigneten gemißbraucht wird, kann daran nichts ändern. Aber der Lehrer muß den Schulmeister ablegen und den Unteroffizier! Die schroffe, rücksichtslose Drillmeisterei, die vielleicht noch für halbgebildete zwanzigjährige Burschen von Dorf und Land mitunter ganz und gar an ihrem Platze sein mag, diese ist doch nicht auch für das zarte Gemüt des Kindes geeignet. Das will mit Liebe gepflegt sein, das verlangt Verständnis und Berücksichtigung seines innersten Wesens – individualisieren soll der Lehrer, nicht alle Kinder über einen Leisten schlagen! Mit Liebe ist unendlich mehr zu erreichen als mit roher Gewalt, brutalen Strafen, die zwar anfänglich das empfindsame, leichtbeschämte Gemüt des Kindes um so fühlbarer treffen, die es aber mit der Zeit abstumpfen und verrohen. Erzieht es lieber mit einem guten Vorbilde, das mehr anfeuert als alle trocknen und salbungsvollen Ermahnungen zusammen, wirkt durch Vernunft und Liebe auf die Herzen der Kleinen, und nicht durch die Furcht, die jeden freien Aufschwung der kindlichen Seele im Fluge lähmt und erstickt, die charakterlose Sklaven züchtet, aber nicht sittliche, freigeborne Menschen, die das Haupt tragen zum Himmel erhoben!

»Ihr seht es ja und erntet ja die Früchte eurer ›Zucht‹! Wie weit kommt ihr denn mit Stock und Knute? Zum Erschrecken wachsende Verrohung der Jugend mit den Giftblüten des Verbrechertums – das ist die Frucht! Oder die Demut der Heuchelei, die Tugend des spanischen Rohres – Knutenerfolge! Freilich, was vor Jahrtausenden sich schon bewährte – wie kann das fruchten noch in unsrer Zeit! ... O, daß ihr das Kindesgemüt wieder verstehen lerntet! Das braucht, was ihm heute nur noch die Auserwählten geben: einen Freund! Einen Freund, dem es kindlich vertrauen kann, aber keinen würdekalten Kathederbüttel, vor dem es stete zittern muß. – Und dann, ihr Führer der Jugend: Führt nicht zu viel das Kind, laßt es auch finden! Streut Samen und Segen allenthalben, aber überfüttert nicht die zarten Geister! Gebt den Kleinen Blut und Leben, Natur und Anschauung, warme Gestalten; aber nicht toten Gedächtnisballast, unfruchtbares Spruchwerk, schwülstige Gesangbuchlieder und elenden mathematischen Formelkram. Und vor allem: sucht in erster Linie gute Menschen heranzubilden, und dann erst – gescheite Menschen. Heute freilich gilt leider nur der letztere als brauchbar für das Leben. Seid selber ganze Menschen, ihr Lehrer, wahrhafte Priester eures heiligen Berufes – und die Schule wird wieder werden, was sie sein soll und was sie in alten Zeiten längstversunkenen Völkern war – eine Pflanzstätte der Menschheit. Dann werden die kleinen Bürger dieser Welt mit Stolz und Freude zu den heute so gefürchteten Stätten wandeln, und traurige Fälle wie der eben mitgeteilte ausgeschlossen sein, wo ein Kind von kaum zwölf Jahren sein junges Leben hinwirft, nur, um nicht mehr in die düstere verhaßte Schule zu müssen.« –

Das war eine Nacht vor Jahren, in der ich jene Zeilen geschrieben hatte. – Wie ich heute morgen daheim, fast ohne Acht und Absicht, in der Zeitung blätterte, fiel mein Blick auf eine Anzeige, die mir in ihrer Kürze doch ein ganzes Gemälde entrollte, mit einem tiefen Grund und Ausblick. Der Wortlaut war ganz schlicht: »Fritz, komm zurück! Es soll alles wieder gut sein! Deine betrübte Mutter und Vater.« – Gegen Mittag führte mich mein Weg an der Druckerei des betreffenden Blattes, die nur wenige Straßen von meinem Hause entfernt liegt, vorüber, und es fiel mir ein, hineinzugehen und mich nach dem Einsender des sonderbaren Aufrufs zu erkundigen. Ich erfuhr, daß es arme Leute in der Nachbarschaft waren, die seit zwei Tagen ihren neunjährigen Jungen suchten. Der kleine Bengel hatte einen übermütigen, doch harmlosen Streich begangen, und da ihn in der Schule von seinem Lehrer eine strenge Bestrafung erwartete, hatte ers zum Kummer seiner Eltern vorgezogen, sich durch schleunige Flucht der drohenden Züchtigung zu entziehen.

Dieser Vorfall rief in meinen Gedanken unwillkürlich die Erinnerung an die längst vergessene Geschichte von jenem kleinen Selbstmörder wach, und heute abend, als ich in meinem Stübchen wieder allein war, kramte ich in alten Papieren nach den damals geschriebenen Zeilen.

Ich hatte sie grade gefunden, als sich die Tür öffnete, und zu meinem Erstaunen die Sehnsucht bei mir eintrat, die ich schon lange nicht mehr erwartet hatte.

Ich erzählte meiner Freundin von dem kleinen Ereignis und war erfreut, daß die Sehnsucht daran Gedanken knüpfte, die mir auf manche stillgeheime Fragen an mich selbst Antwort gaben.

Sie winkte mir und ich setzte mich zu ihren Füßen und öffnete meine Sinne ihren Worten.

Du sagtest, mein Freund, begann sie mit leiser, gedämpfter Stimme: von allen Berufen der ganzen Welt erscheine dir der Lehrberuf des Erziehers als der bedeutsamste. Ich meine, daß du der Wahrheit nahe kommst. Nur einen wüßt' ich, der mir noch höher und herrlicher dünkt, und das ist der Beruf der Mutter! Aber ist es nicht das Allerherrlichste, das sie verbindet? das beide gemein haben?

Mutter und Lehrer! Das müßten die Künstler über alle Künstler sein; denn lebendiger als Schein und Stein, herrlicher als Bild und Marmor, leuchtet ihrer Hände Werk – der werdende Mensch! Das Kind des Menschen, dessen Herz, Seele, Geist, Gemüt noch weich und bildsam sind, wie in des Meisters Hand das warme gefügige Wachs. O glaube mir, mein Freund! was Mutter und Lehrer an solcher jungen Menschenblume versäumen, versündigen – das wendet zum guten kein Pfarrer mehr! Sie sind die Säer, die in jungen fruchtbaren Herzen das Erdreich der Zukunft bestellen, die tagtäglich den Samen des Kommenden streuen, und in ihrem Garten wurzelt der Baum der Entwickelung des menschlichen Geschlechtes.

Doch wer erziehen will, muß der nicht erzogen sein? Ein Selbsterzogener? Und die berufen sind zu Führern in die Zukunft, müssen sie nicht die Erwählten der Zukunft sein und einen Hauch des Kommenden schon von ihren Lippen getrunken haben? Müssen sie nicht ein gutes Stück Zukunft in sich tragen, wenn sie den Grund für das zukünftige Geschlecht errichten wollen? Müssen sie nicht Suchende und Sehende sein, Wegweiser und Pfadfinder? ... Siehe, mein Freund, das wär' ein Zwerg und schlechter Hirte, dessen Haupt nicht die Herde überragte, die er lenken soll! Und der wohl wäre ein schlimmer Wegweiser und Pfadsucher, der niemals den Mut fände, über das Lächeln der Menschen hinaufzusteigen zu den Zinnen der freien Berge – dort, wo die Morgenröte erwacht und die Frühlingswinde in die Täler brausen.

Die Sehnsucht schwieg. – Doch nach einer Weile begann sie abermals:

Wenn ein Baum welke Blätter hat, und in manchen Zweigen abstirbt vor seiner Zeit, so ist noch wenig getan, wenn wir das, was morsch und mürbe an ihm ist, mit der Schärfe des Messers schneiden. Aber nach den Wurzeln laßt uns schauen, ob ihnen nicht das Erdreich mangle, oder ob sie dürsten, oder ob da unten ein Wurm sitzt und an ihrem Mark frißt. Wenn ich aber den Wurzeln nachspüre an dem großen Entwickelungsbaum der Menschheit, so führt mein Weg immer und immer zurück in die Tage menschlicher Kindheit, in die Tiefen kindlicher Seelen und Herzen hinein, wo das Gemüt noch empfänglich ist für die Keime alles Großen, Wahren und Ewigschönen zwischen Himmel und Erde!

Darum sag' ich euch, die ihr Blätter seid am Weltbaum des Menschengeschlechtes: Euer Stamm und Krone gedeihen nicht zur Herrlichkeit, es sei denn, sie gesunden von den Wurzeln an!

Ihr habt Kinder! Erziehet ein Geschlecht, gesund an Leib und Seele, gesund an Geist und Gemüt, gesund bis ins Herz und Mark hinein – dann werdet ihr Zukunft pflanzen!

Ihr achtet so hoch das Weib, das deutsche Weib, die Mutter eurer Kinder! Das ist der Zukunft Hoffnung! Aber ist es billig und vernünftig, wenn ihr den Gärtner geringschätzt? den Hüter und Bildner, den getreuen Eckart eurer Kleinen? Und ehret ihr euch selber, wenn ihr ihm, dem ihr euer Kostbarstes vertrautet, mit schmachvollem Hungerlohne dankt, das ihm kein Tagelöhner neidet –? Der Lehrer ist der Pförtner der Zukunft! Und wenn ers nicht ist, so soll ers werden! Aber darin geb' ich dir recht, mein Freund: der Lehrer muß den Schulmeister überwinden! Stockstümper oder Künstler ist die Wahl!

Und siehe, – das Evangelium der Liebe, das er den Kleinen kündet, das soll er ihnen darbieten, unverfälscht und rein, ungetrübt von Dogma und blutlosen Satzungen, unbelastet von totem, erdrückendem Formelkram: so wie der Quell vom Felsen springt, und wie der Herr sein Wort gespendet hat. Der Lehrer selbst aber lehre und handle nach dem Evangelium: er sei ein milder Mann, ein Liebender, ein Strenggerechter, ein ganzer Mensch! Und eines sage er sich früh und abend aller Tage: Die beste Lehre ist das Vorbild!

... Lieben – ohne schwach zu sein, züchtigen – ohne hart zu sein, lehren – ohne lehrhaft zu sein: das ist das Geheimnis des rechten Lehrers!

Und wohl eine gute Gehilfin wüßt' ich ihm – das wäre des Kindes Mutter! Die über die Schule unsrer Tage gesetzt sind: noch sind es einzig Männer. Aber eine aufgeklärtere Zeit wird kommen, die der Mutter unveräußerliches Recht erkennen wird und ihr Sitz und Stimme geben in dem Rate, der über ihres Kindes Wohl und Weh entscheidet. Denn wer kennt besser ein Kind als die eigene Mutter? Wer lauscht so liebevoll den geheimsten Regungen der kindlichen Seele, dem leisesten Pulsschlag eines kleinen Herzens als des Kindes Mutter? Der Jüngling rankt sich am Mann empor, am Vater. Das Kind gehört der Mutter!

Aber siehe, mein Freund, das Kind eignet auch der Menschheit an, denn es ist eine Knospe am Baum der Menschheit: es ist ein Mitmensch. Darum streut in dem Kindesherzen das Samenkörnlein der Demut aus, auf daß ihr von frühe anfangt, euern Mitmenschen lieben und achten zu lernen als euch selber. Aber eure Demut sei nicht die des Knechtes, sondern eine stolze Demut, die zu einem Jeden spricht: Sei stolz, weil du Mensch – demütig, weil du Mitmensch bist! Darum lasset in diesen jungen Jahren das Kind des reichen Mannes neben dem armen Kinde sitzen und das Prinzenkind neben dem geringen des Tagelöhners. Auf daß ihr von Kindesbeinen an inne werdet, daß ihr Alle Brüder seid und wahrhaftige Menschen.

Und noch Eines möcht' ich in euer Gemüt legen! Stellt vor die Bildungsstätten eurer Kinder keine Schlagbäume und Zöllner hin, die schon das Frühlicht des goldenen Tages verschränken und verschachern. Denn wie es ein Unding ist, des Menschen Lebensluft abzusperren und für gleißend Gold zu verhandeln, so ist es ein Widersinn in sich, das Licht des Lebens, das unentbehrliche Licht, das ein Jeder haben soll und muß, für schnödes Geld zu messen und verfeilschen. Das Licht, das Allen wiederleuchtet!

So sprach die Sehnsucht und schwieg. Aber als ich sie ansah, erhob sie ihre Stimme noch einmal:

Für das Gemüt eines Kindes ist das Beste noch kaum gut genug. Darum sag' ich dir, mein Freund: die schönsten Paläste muß ein Volk für seine Kinder bauen! Pflanzstätten der Menschheit! Der Tag wird kommen, an dem ihr – vielleicht zu spät! – schreien werdet. »Fort mit jenen nüchternen Narren, jenen Überklugen und verknöcherten Verächtern der blühenden Freude, in deren trostlos steinigtem Gemüte für das arme Blümchen der Phantasie kein Sonnenwinkel blinkt! Und keiner für das Immergrün der Liebe!« – Die düsteren Zuchthausmauern der Schule unsrer Tage, was lehren sie die Kinder –? Reißet nieder! ... Die Paläste der Zukunft aber, in denen die Liebe lehrt, werden mit steinernen Zungen also reden: Schafft und bauet auf! ... Wahrlich, ihr werdet es noch begreifen lernen: die Schule der Gegenwart brütet Revolutionäre aus, die Schule der Zukunft aber wird Reformatoren erziehen!

Revolution oder Reformation! Das sind die Wind- und Sturmsegel, die das Schiff der Menschheit durch die Ewigkeit führen. Heil dem Schiffe, wenn es in den Nächten der Stürme und tiefen Dämmerungen ein weiser Steuermann lenkt! Ein Helläugiger, der weiß, daß er nur eine Wahl hat – Wind oder Sturm! ... Der Weise wird wählen ...

Die Sehnsucht erfaßte meine Hand: Und erahnest du, mein Freund, wie die rettende Insel heißt, auf die das Schiff der Menschheit in unseren Tagen richtet? ... Blicke hinaus in die Finsternisse und Fernen ... es winkt und grünt: das Eiland der Großen Sozialen Reformation ...

Wir Menschen sind Meerfahrer. Ein Halt und Zurück giebt es nicht im Donnergang der Weltgeschichte. Der Sturm der Zeit braust ewig – wer will mit seines Atems Hauch dawider blasen? Für die, die sehen können, giebt es nur eine Wahl ...

Und für die, mein Freund, die lieben können!

Wer nicht mit der Zeit geht und Schritt hält, über den fegt der Zeiten Sturm hinweg – hinüber zu den Inseln der Zukunft ...

... So sprach die Sehnsucht heute in einer sternhellen Frühlingsnacht zu mir und verließ mich in schweigender Stunde. – –

Wie kam es! Meine Gedanken folgten ihr noch lange im Traume – sie schweiften über ein weites, weites Wasser ... hinüber zu seligen Inseln –

Inseln der Zukunft!


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