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Zwölfte Nacht.

An den Wassern Babylons.

In dem Hause, worin ich wohnte, sah ich öfters ein kleines jüdisches Mädchen von auffallender Schönheit, das ich wegen seines stillen Wesens auch schon längst in mein Herz geschlossen hatte. Schlank wie eine Zeder des Libanons war die Kleine gewachsen, und auf dem schimmernden Nacken, der aus der jungfräulichen Knospe gleich einer Lilie blühte, ruhte umrahmt von glanzvollem Schwarzhaar, ein wunderbar feines Köpfchen. Was aber meine Blicke fast mit geheimnisvoller Macht zu der Kleinen hinlenkte, war ein rätselhafter stiller Zug der Traurigkeit, der über dem schönen, sanften Gesicht wie ein trüber Schleier lag. Wenn ich in die dunkle Glut der feuchten Sehnsuchtsaugen blickte, die unter der reinen Stirn zu träumen schienen wie zwei schwarze, unergründliche Bergseen, dann war mirs manchmal, als stünde vor mir fragend ein schönes Märchenkind, ein fremdgeartet Wesen aus Tausend und Einer Nacht. Und manchmal glaubt' ich auch die wehmutstumme Frage, die in den dunklen Gestirnen ihrer Seele zitterte, deuten zu können ... »An den Wassern Babylons saßen wir und weinten, und unsre Harfen hingen wir an die Weiden ...«

... Ich kannte auch die Eltern des Mädchens. Sie hielten einen kleinen Spezereiladen im Erdgeschoß und waren ruhige Leute, die von früh bis abend fleißig ihrem Geschäft oblagen und niemandem etwas in den Weg legten. Nur ein-, zweimal erst hatte ich sie gesehen, aber sofort den Eindruck empfangen, als müßten diese Leute früher bessre Tage erlebt haben. Woher sie eigentlich stammten, wußte man nicht im Hause; erst vor einigen Jahren waren sie zugezogen, und ein fremdländischer Klang in ihrer Aussprache ließ auf ihre ferne Herkunft schließen. Auch diesen beiden Alten haftete eine gewisse Gedrücktheit an; um ihren Mund prägte sich derselbe schmerzliche Zug, der mich in dem jungen Gesicht ihres schönen Kindes rührte, und den ich mir vergebens zu erklären versuchte.

Die Leute waren trotz der wenig judenfreundlichen Gesinnung in der Nachbarschaft keineswegs unbeliebt; man kaufte gern bei ihnen und nie hört' ich anders von ihnen sprechen als mit Achtung. Namentlich rühmte man allgemein ihre Wohltätigkeit, die für die kleinbürgerlichen Verhältnisse, in denen sie lebten, recht beträchtlich war. Um so eigentümlicher mußt' es erscheinen, daß man jede außergeschäftliche Berührung mit ihnen auffallend vermied; es machte den Eindruck auf mich, als habe man vor den Leuten eine unerklärliche Scheu. –

Wie ich heute abend, eben heimgekommen, die Mutter des schönen Mädchens im Schneegeriesel eilig über die Gasse gehen sah, erinnerte ich mich eines Vorganges, dessen Augenzeuge ich vor wenigen Wochen gewesen war. Gegenüber in einem Keller wohnte eine arme Handwerkerfamilie. Die Leute, die früher ihr gutes Brot gegessen, waren seit einiger Zeit durch die Schuld des Mannes in bittre Not geraten. Meister Gottfried war unlängst zu der Erkenntnis gekommen, daß er ein großer Volksredner sei; und das aus dieser Entdeckung ihm mächtig emporgeschossene Selbstgefühl verdrehte ihm so völlig den Kopf, daß er Knieriemen und Ahle, Weib und Kind darüber vernachlässigte und von früh bis abend zumeist in den Gastwirtschaften auflag. In der armen, kinderreichen Familie wuchs von Tag zu Tag das Elend, und schon seit mehreren Wochen hatte ich durch mein Fenster beobachtet, wie jeden Mittag die kleine Esther einen Korb mit Speise zu der armen Frau und ihren Kindern hinübertrug. An einem der letzten Sonntage aber wäre dem guten Mädchen sein Liebesdienst bald übel bekommen. Der Meister war gerade aus einer großen Volksversammlung, in der er mit Feuer und Flamme wider die Juden geeifert, etwas angetrunken heimgekehrt, als er Esther bei seiner Frau traf. Da er dem Mädchen und seinen Wohltaten schon einmal die Tür gewiesen hatte, geriet der Mann dermaßen in Wut, daß er das Essen auf die Gasse schüttete, nach einem Riemen griff und das flüchtende Mädchen mit Schlägen bedrohte. Seit diesem Vorkommnis schlich sich Esther nur noch heimlich in den Dämmerstunden hinüber; oder wenn sehr die Not trieb, schickte auch die arme Mutter eines ihrer Kinder in den Spezereiladen.

Seit den Weihnachtsfeiertagen nun war mir Esther nicht mehr zu Gesicht gekommen, und heute abend dachte ich eben darüber nach, was mit ihr sein möchte, als ich im Mondenschein bemerkte, daß unten vor dem Hause ein Auflauf entstand. Wie ich näher hinblickte, sah ich, daß sich aus dem Menschenknäuel zwei Träger mit einem Siechkorb lösten, den sie in das Haus trugen. Schnell eilte ich die Treppe hinunter und fand den ganzen Flur voll Menschen. Vor der Tür zu Esthers Wohnung aber stand eine lichte Gestalt, die den Neugierigen den Eintritt wehrte. Ich kannte sie wohl – meine Freundin, die Liebe! Wie sie mich sah, lächelte sie schmerzlich, und ohne ein Wort zu sagen, öffnete sie ein wenig die Tür und ließ mich allein hineintreten. Da lag die kleine Esther blaß wie eine Lotosblume auf ihrem Bett, und sie erwachte gerade zum Leben und schlug verwundert die schönen, glänzenden Augen auf. Dann griff sie nach ihrem weichen, schwarzseidenen Haar, das sich noch immer so garstig kalt und naß anfühlte und in dem Myriaden tropfende Perlen schimmerten.

Auch ihre Eltern weinten und streichelten ihre kleine weiße Hand ... »Liebes Kind, warum wolltest du Vater und Mutter solches Herzeleid zufügen?« – Das Mädchen schwieg. Wie verschämt wegen ihres Tuns schloß sie nur die sehnsüchtigen Augen, und ihre junge Brust hob ein tiefer Seufzer. – –

Und das »Warum«? Ich glaube nicht, daß ihre Eltern und jemals einer das Geheimnis entschleiern werden, das keusch in dem jungfräulichen Busen schlummert. Vielleicht hat es draußen vor der Stadt die schwarze Welle mit hinfortgespült in unbekannte Meere. – Ich wußte nicht, welche Macht es war, die mich noch in dieser sternlosen Nacht hinaustrieb an das einsame, schilfbestandene Ufer. Doch keine Stimme wollte sich regen – die Welle fließt und schweigt. Aber daheim in später Stunde war mirs, als könnt' ich draußen über den Winden eine Melodie vernehmen, und was der Fluß von ferne murmelte, das war eine uralte Weise ... »An den Wassern Babylons saßen wir und weinten, und unsere Harfen hingen wir an die Weiden ...«


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