Friedrich Gerstäcker
Der Wilddieb
Friedrich Gerstäcker

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I.

Das Wirtshaus zur Krone in Hollendeik, einem ziemlich großen Grenzdorf in Mitteldeutschland, war heute tüchtig besucht, und die Schenkmädchen hatten kaum Hände genug, die aus der weiten Nachbarschaft zusammengeströmten ungewöhnlich zahlreichen Kunden zu bedienen. Und doch war die Krone eigentlich nicht das beste Wirtshaus im Dorf, denn der Rote Hirsch schenkte ebenso gutes Bier und hielt anerkannt eine weit bessere Küche als jene. Nirgends bekam man nämlich einen besser zubereiteten Wildbraten als im Roten Hirsch, und die Frachtfuhrleute, die unterwegs außerordentlich gut verpflegt sein wollen, hatten denn auch den Hirsch besonders protegiert, und der Wirt stand sich vortrefflich dabei.

Wenn aber die Frachtfuhrleute bei ihm einkehrten, mochten die Förster und Forstbeamten der Gegend desto weniger mit ihm zu tun haben. Kerdelmann, wie der Wirt hieß, stand nämlich in dem Verdacht, das viele Wild, das er verbrauchte, nicht immer aus der rechten Quelle zu beziehen, sondern – wenn er auch nicht selber wilderte, doch mit den Wilderern in der Nachbarschaft in gefährlicher Verbindung zu stehen. Es war aber außerordentlich schwer, ihn darin zu überführen, denn er kaufte auch ziemlich viel herrschaftliches Wild, und was er außerdem von über der Grenze herüber bezog, konnte ihm gar nicht nachgerechnet werden. Ob er also mit Wilderern direkt verkehrte oder nicht, ließ sich nicht beweisen, wenn man ihn nicht eben einmal auf frischer Tat ertappte, und dazu war Kerdelmann zu gescheit, hatte sich wenigstens bis jetzt, trotz allen Aufpassens, noch nicht die mindeste Blöße gegeben.

Daß das die Forstleute ärgerte, läßt sich denken, und während Kerdelmann fortwährend außerordentlich freundlich und höflich gegen sie blieb, haßten sie ihn nur desto offener, und manche von ihnen gaben sich nicht einmal die Mühe, ihren Groll zu verheimlichen.

So standen die Sachen, als der erste Sonntag im November eine große Zahl von Forstbeamten in Hollendeik versammelt hatte, um örtliche Forst- und Jagdinteressen zu besprechen, wie auch zugleich einen alten Streit über die Jagdgrenze mit dem Nachbarrevier beizulegen. Das Geschäftliche ward im Laufe des Nachmittags größtenteils erledigt, und was sonst noch zu tun übrig blieb, auf den nächsten Tag verschoben. So saßen denn die grünröckigen Gäste jetzt um die Dämmerungszeit plaudernd mitsammen im Wirtshaus, alte Bekanntschaften erneuernd oder neue knüpfend, und das Bier, oder auch hier und da eine Flasche Wein, machten bald die Köpfe warm.

Die Forstleute hatten sich im Wirtszimmer der Krone so nahe zusammen und dadurch auch von den übrigen so abgesondert wie möglich gesetzt. Jäger haben es nicht gern, daß die Bauern hören, was sie miteinander sprechen, und wenn es selbst gleichgültige Dinge wären. Es fällt doch hier und da einmal ein Wort, das ein Lauscher aufschnappen und sich zu nutze machen könnte. Indessen konnten sich die Förster heute nicht so streng abgetrennt halten. Mehrere der Gutsbesitzer waren herübergekommen, auch der Pfarrer hatte sich eingefunden, und das Gespräch drehte sich, nachdem erst die gewöhnlichen Jagdgeschichten erschöpft waren, bald um dies und jenes.

Am letzten Tisch, zwischen dem Fenster und einer kleinen schmalen Tür, die in ein Schenkzimmer daneben führte, unterhielt jedoch der Förster Müller von Hollendeik mit dem Forstrat Brauer, dem Förster Wentzel vom benachbarten Herslinger Revier, sowie einigen Forstgehilfen ein vertrauliches Gespräch, das keine fremden Hörer duldete.

»Ihr müßt besser drüben aufpassen,« sagte Müller. »Hol's der Teufel, es wird mehr Wild von dort heimlich hier herüber geschafft, als wir das ganze Jahr hindurch auf unserem Revier abschießen dürfen, und wir haben alle Hände voll zu tun, um die Schufte nur von unserem eigenen Wald entfernt zu halten.«

»Das ist leicht geredet,« brummte Wentzel, »aber gerade auf unserer Seite liegen die großen Dickungen, und darin soll der Geier einem Halunken von Wilderer nachspüren. Übrigens glaub' ich gar nicht, daß bei uns so viel geschossen wird, denn in den dichten Kieferbeständen kann man nicht birschen. Ich bin fest überzeugt, das meiste, was gestohlen wird, holen die Kerle aus Euren offenen Hölzern.«

»Ja, warum denn nicht?« spottete der Forstgehilfe Meier, der mit am Tisch saß. »Von dem, was sie bei uns holen, sollen sie nicht fett werden, dafür sitzen wir ihnen zu fest auf den Hacken. Sie da drüben aber sind zu wenig Leute, und Ihren Kreisern trau' ich gerade am allerwenigsten. Dem einen rotköpfigen Burschen sieht der Spitzbube aus den Augen heraus.«

»Wenn nur alle so ehrlich wären wie der,« sagte der Forstgehilfe Scholz; »er war früher allerdings ein Wilderer, aber seit wir ihn angestellt haben und er mit der Flinte herumlaufen darf, können wir uns fest auf ihn verlassen.«

»Er kriecht doch fortwährend an der Grenze herum,« murrte Meier, »und ein paarmal hab' ich schon schießen gehört, wo ich sicher wußte, daß er in der Nähe war.«

»Der wildert nicht,« verteidigte den Verdächtigen auch der Förster Wentzel, »und daß er nicht gerade hübsch ist, dafür kann er eben nichts; das ist eine Gottesgabe.«'

»Schöne Gottesgabe,« brummte der Forstgehilfe, »der Galgen steht ihm auf dem Gesicht geschrieben, und für solch ein Himmelsgeschenk möchte ich danken. So viel ist übrigens sicher, daß ihn hier auf unserer Seite jeder Bauer für einen Wilddieb ansieht.«

»Papperlapapp,« brummte der Förster, »auf das Geschwätz geb' ich nicht so viel, und kenne meine Leute. Wenn die Schufte übrigens nur keine Hehler hätten, bei denen sie ihr Wild jeden Augenblick mit Leichtigkeit unterbringen könnten, so sollten sie ihr Handwerk wohl von selbst aufgeben. So aber, das ist überall bekannt, brauchen sie es ja nur nach Hollendeik zu schaffen, und die Ware ist gut und sicher aufgehoben. Den Hehlern solltet Ihr hier besser auf die Finger sehen, nachher wären die Wilderer auch leichter heraus zu bekommen, und unsereiner brauchte sich drüben nicht immer auslachen und an der Nase herumführen zu lassen.«

»Das ist leider Gottes wahr,« sagte Müller mit einem derben, zwischen den Zähnen zerdrückten Fluch, »und ein Stück von meinem kleinen Finger wollt' ich hergeben, wenn wir dem Halunken, dem Kerdelmann hier, das Handwerk legen könnten. Die Kanaille ist aber mit allen Hunden gehetzt und schlauer als der ärgste Fuchs, der je im Wald auf vier Läufen herumgekrochen. Einmal, denk' ich, aber versagt's ihm doch, und dann Gnade ihm Gott, denn er hat mehr auf der Kreide als alle Wilderer zusammen.«

»Und schießt er denn nicht selber etwa?« frug der Forstrat.

»Wild gewiß nicht,« lachte Müller. »Er hat wohl eine Scheibenbüchse und ist mit auf allen unseren Scheibenschießen – aber auch immer bar Geld dabei. Er schießt erbärmlich, unter fünfmal fehlt er zweimal die Scheibe. Nein, das Wilderern in Person muß er sich schon vergehen lassen, aber desto gefährlicher ist er dafür in seiner Küche.«

»Wenn man ihm nun einmal ein Stück Wild durch jemand ins Haus schickte, auf den man sich verlassen kann,« sagte der Forstrat leise.

»Nun, dann kauft er's,« sagte Müller – »er braucht ja nicht zu wissen, wo es her ist.«

»Aber der Überbringer müßte ihm gestehen, daß er's gestohlen hat, und es ihm zu einem Spottpreis anbieten. Nimmt er das, so haben wir ihn, und das andere kriegen die Gerichte aus ihm heraus. Wenn man nur erst einmal einen Haken hat, an dem man ihn fassen kann.«

»Donnerwetter,« flüsterte Meier, »das ginge am Ende. Wir haben Order, ein paar Stück Wild abzuschießen, und als ich heute morgen hier herunterkam, traf ich am Rotenstein-Eck ein Rudel an, aus dem ich ein feistes TierUnter »Tier« oder »Alttier« wird stets die Hirschkuh verstanden, die im November feist und jagdbar ist. herausschoß. Da das kleine Birschhaus nicht weit von dort war, schafft' ich's da hinein. Das Wild hätten wir also, aber wo finden wir einen Kerl, auf den man sich verlassen kann und den der Hirschenwirt nicht schon kennt.«

»Ich wüßte einen,« sagte Scholz – der Forstgehilfe vom Herslinger Revier – ebenso leise. »Der Herr Förster hat unsern Kreiser auf heut abend herüberbestellt, weil er einen Brief erwartet, der gleich beantwortet werden soll. Wenn wir den an Kerdelmann schickten?«

»Den roten Schöffel etwa?« fuhr Meier auf.

»Jawohl,« sagte Scholz, »und daß Schöffel ehrlich ist, darauf wollt' ich meinen eigenen Hals zum Pfand setzen. Außerdem hat er mit dem Kerdelmann früher einmal einen Streit gehabt, und ich weiß, daß er ihm blutig gram ist. Kann er ihm einen Streich spielen helfen, so tut er's gewiß.«

»Bleibt mir mit Eurem Schöffel vom Leibe!« brummte Müller. »Und zudem kennt ihn der Hirschenwirt zu gut.«

»Eben darum,« beharrte Scholz auf seinem Vorschlag. »Da wird er sich über dessen Rückfall ins Wilderern nicht wundern. Und Schöffel ist schlau genug, seine Rolle gut durchzuführen.«

»Kerdelmann ist ebenfalls schlau,« bemerkte Müller. »Riecht er Lunte, können wir uns heillos blamieren.«

»Die Gelegenheit kommt uns aber so bald nicht so glücklich wieder,« unterstützte Wentzel den Vorschlag. »Kerdelmann hat gerade jetzt viele Gäste zu erwarten und ist knapp an Wild. Er hat wenigstens bei mir anfragen lassen, ob's etwas für ihn gäbe.«

»Schöffel muß schon zur Hand sein,« drängte Scholz zur Entscheidung – »soll ich ihn rufen?« Und der Forstrat schlug sich endlich mit den Worten zu seiner Partei, daß Förster und Forstgehilfe doch ihren Mann kennen müßten, da sie ihren Kreiser so nachdrücklich in Schutz nähmen. Schließlich ergab sich auch Müller.

»Jede Person,« sagte er, »soll mir recht sein, die dem Kerdelmann die Larve der Ehrlichkeit vom Gesicht reißt, selbst der Schöffel, – und bringt er es dahin, daß der Hirschenwirt verurteilt wird, so soll er von mir fünf Taler haben, und ich will's ihm vor allen Leuten abbitten, daß ich ihn für einen Wilderer gehalten habe.«

»So treffen wir denn unsere Anstalten,« mahnte Wentzel. »Aber hier darf sich Schöffel nicht blicken lassen – das muß an einem Ort mit ihm abgemacht werden, wohin kein Auge und Ohr reicht, das für Kerdelmann spionieren könnte.«

»Ich will alles besorgen,« versicherte der Forstgehilfe Meier. »Den verdammten Hund in die Patsche zu bringen, dafür lief ich die ganze Nacht durch, wenn nur der Rotkopf – hallo – was ist da los?« unterbrach er sich plötzlich, als er Gretchen, die Wirtstochter, gewahrte, die, hinter dem Stuhl des Förster Wentzel gebückt, zu schaffen gehabt hatte.

Die Jäger sahen sich überrascht nach der vom Boden auftauchenden Gestalt des Mädchens um. »Was gibt es, Gretchen?« rief sie Meier an.

»Was es gibt, Herr Forstassistent? Ein Geldstück war mir entfallen und hierher gerollt. Da ist es schon wieder. Kein Bier hier nötig? Bitte, reichen Sie mir das Glas des Herrn Forstrats herüber. Ich kann so weit nicht hinüberlangen.«

Meier gab ihr, mit eifriger Bemühung um ein galantes Auftreten, die leeren Gläser. Das Mädchen mit den hellen Augen und der flinken, elastischen Bewegung entfernte sich damit.

»Wenn die Dirne nur nichts von dem davongetragen hat, was wir hier miteinander gesprochen,« sagte der Wentzel. »Ich habe gar nichts von ihrem Herankommen bemerkt.«

»Und wenn sie uns wirklich gehört hätte,« sagte Meier, »so hat das keine Gefahr. Der Wirt hier und der Hirschenwirt sind die ärgsten Feinde, und die Tochter würde sich überhaupt hüten aus der Schule zu schwatzen. Das ist ein prächtig Mädchen und gar keine von den unbesonnenen Plaudertaschen.«

»Aha,« schmunzelte der Forstrat, »für das schöne Gretchen bürgt unser Meier. Nun, kein schlechter Geschmack. Aber – was wollten Sie denn jetzt besorgen?«

»Daß der Schöffel das Wild bekommt. Scholz geht wohl mit, der Instruktion wegen. Ich möchte mit dem widerwärtigen Kerl weiter nichts zu tun haben, und glaube auch nicht, daß er mir recht gehorcht.«

Scholz erklärte sich bereit, indem er sein Bier austrank, seine Pfeife in die Tasche steckte und den Hut vom Nagel nahm.

»Die anderen brauchen übrigens von unserem Vorhaben nichts zu wissen,« erinnerte Meier mit einem Blick auf die übrigen mit Forstleuten besetzten Tische.

»Versteht sich,« sagte der Forstrat, »reinen Mund vor allem andern, und ich denke, wir fassen ihn diesmal.«

»Ja, wenn der Rotkopf ehrlich ist,« bestätigte Meier. »Ist das aber nicht der Fall – na, meinetwegen – den Versuch wollen wir wenigstens mit ihm wagen.«

Damit verließen die beiden Forstgehilfen das Zimmer und schlossen sich nun die von ihrer Gesellschaft Zurückbleibenden wiederum den anderen Gruppen von Gästen an.

 


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