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Dieselbe Dekoration. Spuren von Verwüstung; Der Schenktisch umgeworfen, die Gefäße am Boden verstreut. An der Pforte zur Linken zwei römische Legionäre als Wachen. In dem Augenblicke, wo der Vorhang aufgeht, tritt Torquatus aus dieser und geht dem Massinissa entgegen, der, von numidischen Hauptleuten umgeben, aus dem Hintergrunde vorschreitet.
Massinissa. Torquatus. Hauptleute. Wachen. Später Hiram.
Massinissa. Pflanzt auf den Wall den Adler! Glücklich ist
      Vollführt, was ich dem Scipio gelobt,
      Wir sind in Cirta.
                                Dago, du besetzest
      Palast und Burg mit meinen Libyern
      Und läßt in Eile das zerstörte Tor
      Sturmfest erneuern. Du, Torquatus, rückst
      Indes mit den italischen Kohorten,
      Sobald sie ausgerastet, langsam vor,
      Den Weg uns deckend, der nach Morgen führt.
      Ich selber bleibe. Denn Gewicht'ges noch
      Zu schlichten gilt's. Wo ist die Königin?
Torquatus (auf die Pforte zur Linken zeigend).
      Im Turmgemach. Ich hab' dafür gesorgt,
      Daß sie uns nicht entrinnt.
Hiram (stürzt aus der Pforte und wirft sich vor Massinissa nieder).
                                              Erbarmen, Herr!
      Barmherzigkeit!
Massinissa. Was willst du, Knab'?
Hiram.                                                     Erbarmen
      Für meine Herrin! Laß mich nicht umsonst
      Zu deinen Füßen flehn! Du gleichst ja nicht
      Den Männern dort von Erz; dein Antlitz trägt
      Die Züge unsres Stamms: so rett' und hilf!
      Denn sie erliegt dem Jammer –
Torquatus.                                     Weibertränen!
      Sie trocknen schon –
Hiram.                           O, weinte sie, Barbar!
      O raste sie und riss' ihr Kleid in Stücke!
      Doch dieses stumme Leid ist schrecklicher.
Erloschnen Auges, blutlos, tränenlos
      Wie eine Tote sitzt sie da und starrt
      Auf ihre Fesseln; unbewegter starren
      Die Felsenbilder in der Wüste nicht.
Massinissa. Gefesselt, sagst du?
Torquatus.                               Ja. So will's der Brauch
      Bei Kriegsgefangnen, die der Republik
      In offnem Kampf getrotzt –
Massinissa.                               Sie ist ein Weib,
      Und dir nicht fremd, daß ich sie einst gekannt.
Torquatus. Der Römer kennt nur Freund und Feind. Indes
      Wenn du gebietest –
Massinissa.                     Geh zu deiner Schar
      Und tu, was ich befahl!
              (Torquatus ab.)
                                          Auf eure Posten!
      Die Sorg' um dieses Weib ist mein. Ich selbst
      Entscheid' ihr Los.
              (Die Hauptleute gehen, auf einen Wink Massinissas auch die Wachen.)
                                  Nimm, Knabe, diesen Ring,
      Das Zeichen meiner Vollmacht; eil und löse
      Die Fesseln deiner Königin und sag ihr,
      Daß Massinissa ihres Grußes harrt.
Hiram. Hab Dank!
(Geht ab durch die Pforte links.)
Massinissa (allein).   Vergessen wähnt' ich's und verschmerzt,
      Mich selbst im neuen Lebensstrom gehärtet
      Und das Vergangne machtlos hinter mir.
      Und nun – o wir sind schwach! – nun stürmt das Blut
      Unruhig aufgewiegelt mir zum Herzen
      Und vor der Überwundnen bangt mir fast,
      Als wäre sie die Siegerin. – Wie anders
      Dacht' ich mir dies Begegnen! Stolz gefaßt
      Ein kühles Mitleid wollt' ich ihr bezeigen,
      Gleichmütig ihr erleichtern, was sie traf;
Die Rache des Verschmähten sollt' es sein –
      Umsonst, mir glückt's nicht. Der Gedanke bloß,
      Ins Antlitz ihr zu schaun, entwaffnet mich,
      Und wie erstarrte Schlangen, angerührt
      Vom Strahl der Frühlingssonne, regen plötzlich
      Die alten Wünsche sich in meiner Brust.
      Werd' ich sie zügeln können? – Will ich's nur?
      Was frommt das Grübeln! Mag der Augenblick
      Entscheiden!
Massinissa. Sophonisbe, auf Thamar gestützt, erscheint in der Pforte zur Linken.
Massinissa.         Sophonisbe! Ja, du bist's!
      Und bei den ew'gen Göttern schön wie sonst!
      Sei mir willkommen! Welch ein fremd Gestirn
      Uns auch zusammenführt, als deinen Freund
      Sollst du mich sehn.
Thamar.                         Zurück, Entsetzlicher!
      Und gib der grausam bis ins Herz Getroffnen
      Zeit zur Besinnung. – O, was tatest du!
Massinissa. Wild ist der Krieg und vieles muß ein Feldherr
      Geschehen lassen –
Thamar.                       Muß? Willkommnes Wort,
      Mit dem der Frevler stets die Schuld von sich
      Abwälzt ins Leere, jeden Übermut
      Und jeden Treubruch –
Massinissa (drohend). Thamar!
Thamar.                                           Drohe nur!
      Ersticken kannst du meinen Vorwurf, nicht
      Dich reinigen. O, wenn kein andrer Arm
      Sich fand, als deiner, um die Zeichen Roms
      Auf deiner Väter heil'ge Burg zu pflanzen:
      Sag an, Herzloser, wie vermochtest du's,
      Dies teure Haupt, das du gefährdet wußtest,
      Die Freundin deiner Jugend der Gewalt
      Des tückisch blinden Zufalls preiszugeben,
      Daß auch kein Tropfen ihr im Kelch der Schmach
Erspart blieb, du, von dem ein Wort genügte –
      Und jene trotz'gen Schergen krochen zahm
      Zu ihren Füßen –
Sophonisbe. Schweig!
Thamar.                                   Nur noch das eine
      Laß mich ihm sagen, daß sein treulos Herz
      In Scham vergehn mag! Ja, vernimm's, Unsel'ger,
      Wenn du noch atmest, ihrer Gnade nur
      Hast du's zu danken. – Zweifelst du? – Schau her!
      Hier war's, schau her! Als du vor wenig Stunden
      Umbraust vom Jubelrufe deines Heers
      Auf stolzem Roß dort drüben schon als Sieger
      Dich blähtest, lag dein Los in ihrer Hand.
      Dein Leben hing an ihres Pfeiles Spitze,
      Doch sie, großmütig eurer Jugendzeit
      Gedenkend, schenkte dir's –
Massinissa.                               Was sagst du, Weib!
      Sie hätte hier –?
Sophonisbe.           Wer hieß dich reden, Thamar?
      Dies ist die Stunde nicht zu müß'gem Wort.
      Kehr heim in deinen Kerker oder geh,
      Dafern sie dir's gestatten, zum Altar
      Und sieh zur Göttin, daß sie deine Freundin
      Zu hart nicht prüfe. – Dieser Mann, ich seh's,
      Bringt mir mein Schicksal. Gönn ihm nicht den Wahn,
      Ich sei zu schwach, allein dem Schlag zu stehn. –
      Geh!
(Thamar geht ab durch die Mittelpforte.)
Massinissa. Sophonisbe.
Massinissa.   Sophonisbe, welch ein Wiedersehn
      Voll Pein und Irrsal! Glaube mir, ich hätte
      Dir diese Schrecken gern erspart. Doch wer
      Bezähmt den siegestrunknen Schwarm, wer ist
      Allgegenwärtig, seine Wut zu zügeln?
      Jetzt ist der Sturm verbraust, jetzt bin ich hier.
      Sei denn getrost! Du fielst in eine Hand,
Bereit, wie sie vermag, dein Los zu mildern.
      Nur stoß mich nicht zurück, nur gönne mir
      Ein freundlich Wort!
Sophonisbe.                   Was könnte die Besiegte
      Dem Sieger sagen! Tu was dir gefällt!
      Mein Wunsch nicht war's, der dies Gespräch gesucht.
Massinissa. Bist du so starr und bist dieselbe doch,
      Die mein geschont? Hast du dem Todespfeil
      Sein Ziel verwehrt um unsrer Jugend willen:
      Warum denn jetzt verleugnen, daß in dir
      Das Angedenken jener Zeit noch lebt?
      O, wohl bekämpft' auch ich's, im Sturm der Schlacht,
      Im Lärm des Lagers rang ich's zu ersticken
      Und log mir endlich selbst, vernichtet sei's.
      Vergeblich Mühn! Du nahst, du läßt wie einst
      Dein Auge still und dunkel auf mir ruhn
      Und alle Narben der Erinnrung brechen
      Wollüstig blutend auf. Ich seh' uns wieder
      In deines Vaters Halle, wo mein Ohr
      Zuerst den Zauber deiner Stimme trank,
      Seh' uns am Meer auf feuchtgeripptem Sand
      Der flücht'gen Antilope Spur verfolgen.
      Und dort im Hain der Zedern – weißt du noch,
      Wie ich dich dort am Springborn fand, den Flaum
      Des purpurfarbigen Flamingos streichelnd? –
      Doch ich erschoß ihn, weil ich's ihm mißgönnt.
Sophonisbe. Was soll das alles der Gefangnen?
Massinissa.                                                     Nur
      Dir sagen soll's, was damals ich empfand,
      Und was ich heut aus Aschen auferweckt
      Gedoppelt heiß empfinde. Fragen soll's,
      Was du gefühlt, eh' schlaue Staatskunst dir
      Das Herz verwirrt und jener greise Fürst,
      Dem deine Jugend aufgeopfert ward,
      Mich dir entfremdet. – O zerbrich dies Eis
      Des allzu scheuen Stolzes! Sprich es aus,
      Daß dir des Jünglings Werben nicht mißfiel,
      Und was du seinem stummen Wunsch vielleicht
      Einst weigern mußtest, gönn' es jetzt dem Manne,
      Der, höher nur von deiner Not entflammt,
Freimütig seine Glut bekennt!
Sophonisbe.                               Du sprichst
      Zu Syphax' Witwe. Unterm offnen Himmel
      Liegt noch sein Haupt, die Wunde blutet noch,
      Aus der sein Leben strömte, und du wagst,
      Verblendeter –
Massinissa.             Die einz'ge Hilfe dir
      Zu bieten wag' ich, die dich retten kann.
      O sei nicht du verblendet! Muß ich dich
      Noch mahnen an das eiserne Gesetz,
      Das hier jetzt waltet? Unerbittlich bist
      Du ihm verfallen, wenn du mich nicht hörst.
      Das Schicksal der entthronten Fürstin wird
      Von Rom verhängt, mein Weib nur kann ich schützen.
Sophonisbe. Dein Weib? Weib eines Römers? Lieber tot!
      Geh hin und such am Tiber dein Gemahl!
      Vor des Verräters Bett –
Massinissa.                           Halt ein und häufe
      Das Maß nicht deiner Ungerechtigkeit!
      Verräter schiltst du mich, weil ich mein Reich,
      Mein heilig Erbteil, das man mir entriß,
      Nicht ruhig preisgab? Weil ich, den als Bettler
      Das Vaterland von seiner Schwelle stieß,
      Die einz'ge Hand, die hilfreich mir sich bot,
      Die Hand des Römers faßte? O, du hast
      Nie der Verbannung herben Kelch geschmeckt!
      Mit den Harpyien hätt' ich damals mich,
      Mit jedem Geist des Abgrunds mich verbündet,
      Der mir den schnöden Raub zurück verhieß.
      Mein Recht und meine Rache heischt' ich nur
      Und tat's mit leichtem Sinn und festem Herzen,
      Und niemals kam ein Zweifel mir – bis heut.
      Doch, was verleugn' ich's? – nun ich endlich hier
      Der langentbehrten Heimat Grund betrete,
      Nun dieser Heimat leibgewordnes Bild
      In dir so strahlend schön und doch so feindlich
      Mir gegenübersteht, nun schwankt das Herz
      Erschüttert und verwirrt mir in der Brust,
      Und meiner Jugend Sterne sehn bezaubernd
      Mich an und winken –
Sophonisbe.                       Hättest du dich nie
      Von ihnen abgewandt!
Massinissa.                       Und wenn ich nun
      Dem Winke folgte? Wenn ich meinen Groll
      Wie einen Schild, der aus den Fugen ging,
      Hinter mich würfe? Wenn der Ausgestoßne
      Der reichen Hoffnung, die er draußen fand,
      Den Ehren Roms, dem Freunde selbst entsagte,
      Und Sühnung bietend an der Mutter Herd
      Heimkehrte, jetzt, zur Stunde der Gefahr,
      Ein Sohn, ein Hort, ein Retter ihr zu werden?
Sophonisbe. Wenn – wenn –
Massinissa.                           Sprich, daß du's willst, und ich vollführ's!
      Befiehl und bei des Himmels Pforten schwör' ich's:
      Unwiderstehlich Weib, ich folge dir.
      Du bist mein Schicksal. Wider dich zu stehn
      Vermag ich nicht, und wenn ich meine Schuld
      Nach deinem Maß nicht messe, so erkenn' ich
      Doch, was ich tun muß, deiner wert zu sein.
      Nicht bloß dich zu befreien gilt's, es gilt
      Auf aller Ehren Gipfel dich zu heben.
      Ein großes Reich vom Atlas bis zum Meer
      Steigt vor mir auf, das Afrikas Geschlechter
      Ruhmreich versammelt unter einem Haupt.
      Die Völker alle schließt es ein, so weit
      Des Sonnenwagens diamantnes Rad
      Senkrecht dahinrollt über unsrer Scheitel,
      Den Neger, der den Elefanten zähmt,
      Den stolzen Wüstensohn mit seinen Rossen,
      Den Kananiter, dem die Flut gehorcht.
      O welch Gebiet! Und alles, was es hegt
      An Segensfülle, Pracht und Kriegsgewalt,
      In einer Krone güldnen Reif beschlossen,
      Und diese Krone dein! Wirst du dem Mann
      Dich auch versagen, der als Sieger naht,
      Sie auf dein Haupt zu drücken?
Sophonisbe.                                   Du fliegst hoch
      In deinen Träumen. Wahr dich, daß dir nicht
      Die Flügel schmelzen! Leichter freilich ist's,
      Ein Reich mit Worten in die Luft zu baun,
Als nur den kleinsten Schritt auf festem Grund,
      Nur den notwendigsten zu tun.
Massinissa.                                   Du sollst
      Auf ihn nicht warten. Diese Stunde noch,
      Dafern du's billigst, sei das Werk begonnen.
      Den störrischen Torquatus hieß ein Gott
      Mich weitersenden. So vertrau' ich dich
      Dem Schutze meiner Libyer an, und fliege
      Auf schnellem Roß ins Lager selbst zurück,
      Um mein numidisch Volk dir zuzuführen.
      Mein Name, der die wilden Herzen leicht
      Für Rom gewann, gewinnt sie leichter noch
      Der blutsverwandten Fürstin. Diese Burg
      Ist fest und wohlversorgt, und legte Scipio
      Mit ganz Italiens Rüstzeug sich davor,
      Wir trotzen ihm, bis Gisgon Hilfe bringt.
      Zehn Jahr hielt Troja stand um Helena
      Und hatte kein Karthago zum Entsatz.
      Bist du's zufrieden?
Sophonisbe. Wohl, es sei!
Massinissa.                                       Hab Dank
      Auch für dies karge Wort! Ich fühle mich
      Mit Kraft gerüstet, Größres zu verdienen.
      Der Preis ist's, lern' ich, der den Helden macht.
      Für jetzt fahr wohl! Was Cirtas Schutz erheischt,
      Sei rasch geordnet; dann im Flug hinüber
      Zu den Numidern, und wer weiß, du rufst mir
      Ein Wort der Hoffnung noch beim Scheiden zu!
(Er geht rasch durch die Mittelpforte ab.)
Sophonisbe. Später Thamar.
Sophonisbe (allein).
      Ihr ew'gen Mächte, wozu treibt ihr mich!
      In welchen Strudel unentrinnbar reißt
      Ihr mich hinunter! Laßt mich nicht versinken!
      Kann ich die einz'ge Hoffnung für mein Volk
      Nur so erkaufen, o so tilgt denn hier
      Auch jedes andre leise Glückverlangen,
      Des Weibes letzten Anspruch tilgt hier aus,
Und fühllos wie des Tempels eh'rne Bilder
      Nur euer Werkzeug laßt mich sein!
Thamar (kommt).                                 So hat
      Die Göttin gnädig mein Gebet erhört!
      Das Auge leuchtend, mit entwölkter Stirne
      Begegnet auf den Stufen mir der Fürst.
      Ihr seid versöhnt!
Sophonisbe (schmerzlich). O Thamar!
Thamar.                                           Hätt' ich mich
      Getäuscht? Nein, nein! So gütig blickt nicht der,
      Der uns Verderben brütet. Nein, du hast
      Sein Herz besiegt. Er kehrt zu uns zurück.
Sophonisbe. Er kehrt zurück. Vielleicht sind wir gerettet,
      Ich hoff's – und doch – O welchen Kelch hab' ich
      Geleert, den mir mit aller Bitterkeit
      Mißachtung würzte!
Thamar. Rede!
Sophonisbe.                           Einen Sieger
      Halt' ich erwartet, einen Feind vielleicht;
      Auf ernste Großmut oder eisige
      Zurückhaltung war ich gefaßt, nur nicht
      Auf diesen willenlosen Unbestand,
      Der jedem Trieb gehorcht, auf dies Geflacker
      Verworrner Leidenschaft. O, sein Gemüt
      Ist wie der Sand der Wüste, den der Wind
      Nach Abend jetzt und jetzt nach Morgen stürmt,
      Und keine Spur von gestern haftet drin.
      Vergessen konnt' er uns in unsrer Not,
      Und plötzlich nun, von diesem armen Reiz
      Entzündet, möcht' er wie ein trunkner Knabe
      Des Himmels Sterne mir zu Füßen streun.
      O, was ist Mannheit!
Thamar.                         Und du ließest ihn
      Gewähren, Schwester?
Sophonisbe.                     Mußt' ich's nicht? Es galt
      Nicht mein, es galt das Schicksal meines Volks.
      Durft' ich das Schwert, das sich ihm bot, verwerfen,
      Weil mir die Hand mißfiel, in der es lag?
Thamar. Doch wenn ich nun die Glut auf seinen Wangen
      Mir recht gedeutet, wenn auf einen Preis
Er hofft, den niemand zahlen kann, als du:
      Hast du dein Herz geprüft? –
Sophonisbe.                               Ich hab' dereinst
      An Lieb' und Glück und Mannesherrlichkeit
      Geglaubt und doch getan, was mir die Götter
      Der Heimat strenge fordernd auferlegt.
      Jetzt seh' ich, jener Glaube war ein Wahn,
      Und zaudern sollt' ich, für Karthagos Heil
      Sein leeres Schattenbild dahinzugeben?
Thamar. Du könntest –?
Sophonisbe.                   Auch das letzte, muß es sein.
      Fast scheint es ja, daß mein Geschick dazu
      In harter Trübsal mich bereiten wollte.
      Denn nichts mehr hoff' ich für mich selbst und habe
      Nur eine Pflicht noch für das Vaterland.
Die Vorigen. Batu.
Batu. Gebietrin!
Sophonisbe.       Batu! Seh' ich recht? Du lebst?
      Sag an, woher?
Batu.                     Ich komm' aus Feindes Hand,
      Grad aus dem Feldherrnzelt des Römerlagers.
      Gefangen ward ich bei dem toten Herrn
      Und dachte kaum dein vielgeliebtes Antlitz
      Auf dieser Welt des Jammers noch zu schaun.
      Doch Scipios menschlich Herz erbarmte sich
      Des alten Waffenknechts; er hieß mich ziehn,
      Daß ich des Königs letzten Gruß dir brächte. –
      Du weißt, wie Syphax fiel?
Sophonisbe. Ich weiß.
Batu.                                                       So laß
      Mich eins nur melden, daß sein letzter Hauch
      Dein eigen war. Als er verzweifelnd schon
      Aufs eingepflanzte Schwert sich niederbog,
      Da sprach er: Batu, grüß mein Weib daheim
      Und bring ihr diesen Stahl zum Angedenken!
      Er sei ihr Freund, wenn alles treulos wird.
      Dann starb er ohne Laut. – Hier ist die Waffe.
(Reicht ihr einen Dolch hin.)
Sophonisbe. Bewahr sie mir! Du sollst fortan mich nie
      Verlassen, hörst du? – daß der letzte Trost
      Mir immer nah sei.
Batu.                           Möge dich ein Gott
      Behüten, Königin!
Sophonisbe.               Jetzt aber gilt's
      Noch nicht hinabzuflüchten, denn noch einmal
      Nach fürchterlicher Todesstille schwellt
      Ein günst'ger Hauch die Segel unsres Glücks.
      Fürst Massinissa, unser Feind bis heut,
      Tritt zu uns über und verheißt die Scharen,
      Die er befehligt, aus dem Römerheer
      In diese Mauern rettend herzuführen.
      Geborgen sind wir, wenn sein Anschlag glückt. –
      Du schweigst? – Was denkst du?
Batu.                                                 Euer Plan ist kühn,
      Nicht unausführbar. Die Numider lagern
      Gesondert von den Römern am Gebirg,
      Und viel vermag, wer überraschend wagt;
      Nur eines fürcht' ich –
Sophonisbe. Was?
Batu.                                         Den Adlerblick
      Des Scipio und den Geist, der in ihm wohnt.
Sophonisbe. Dünkt dir der Römer, weil ein launisch Glück
      Den Sieg ihm zuwarf, unbezwinglich schon?
Batu. Du kennst ihn nicht. Er ist von andrer Art,
      Als die ich sonst sah. Ein geborner König
      Herrscht er im Lager wie im Schlachtgewühl,
      Gemeine Kraft besteht ihn nimmermehr.
      Ich hass' ihn, doch er hat mich Furcht zugleich
      Gelehrt und Ehrfurcht.
Sophonisbe.                     Seine Großmut fiel
      Auf guten Boden, merk' ich. Sprichst du nicht,
      Als wär' Achill erstanden? Beim Adonis!
      Ich möcht' ihn sehn, den Zauberer –
Batu.                                                     Auch geht
      Im Volk die Sage, seine Mutter habe
      Ein Gott besucht, und oft um Mitternacht
      Erscheint, im Mondlicht aus dem Boden wachsend,
Ein uralt Schlangenhaupt in seinem Zelt,
      Mit dem er sich berät.
Sophonisbe. Geschwätz!
Batu.                                                   Mag sein!
      Doch das steht fest, daß ihn ein Dämon schützt.
      Ich sah ihn in der Elefantenschlacht,
      Wie er dem letzten Stoß der Unsern sich
      Entgegenwarf. Da rauschten von den Türmen,
      Wie wenn ein Wolkenbruch sich niedergießt,
      Wurfsteine, Feuerpfeile, siedend Öl
      Auf ihn herab. Zerschmettert ringsumher
      Sank Haupt an Haupt, sein schimmernd Tigerroß
      Brach in den Staub, der Bannerträger fiel
      An seiner Seite, doch emporgerafft,
      Den Adler fassend, vorwärts unaufhaltsam
      Durch alle Schrecken stürmt' er in den Sieg.
      Und kein Geschoß versehrt' ihn. Das ist mehr
      Als bloßer Zufall.
Sophonisbe.             Nimm's, wie du's verstehst!
      So viel ist freilich klar: hier ist ein Gegner,
      Dem Massinissas blindes Ungestüm
      Nicht standhält, wenn der erste Wurf mißlingt.
      Sein hast'ger Anlauf wird vor jedem Hemmnis
      Zusammenbrechen, wenn die sichre Hand
      Ihm mangelt, die ihn zügelt oder spornt.
Batu. Ich fürcht' es, Herrin.
Thamar.                             Und so lischt das Bild
      Der Rettung, kaum vor uns emporgestiegen,
      Wie ein Phantom der Wüste trostlos aus!
      Auf wen noch hoffen wir, wenn nicht auf ihn?
      O sendet Rat, ihr Himmlischen!
Sophonisbe.                                   Mut! Mut!
      Noch haben sie das Haupt nicht abgewandt:
      In dieser Stunde wechselvollem Drang
      Ist mein Entschluß gereift. Nur wer verzagend
      Das Steuer losläßt, ist im Sturm verloren.
      Wir sind's noch nicht.
Die Vorigen. Massinissa tritt ein, von seinen Hauptleuten umgeben.
Massinissa.                     Noch einmal tret' ich vor dich,
      Zur Fahrt gerüstet, um, wie dir's gebührt,
      Als Cirtas Herrin wieder dich zu grüßen.
      Mein treuer Dago, der die Libyer führt,
      Wird deiner Winke jedem ehrfurchtsvoll
      Gehorchen bis zu meiner Wiederkehr.
      Leb wohl! Du weißt, was diese Brust bewegt,
      Laß im Vertrauen denn auf deine Huld
      Mich scheiden, Königin!
Sophonisbe. Wir scheiden nicht.
Massinissa. Wie? – Hättest du –
Sophonisbe.                               Denn mit dir zieh' ich hin.
      Entschlossen bin ich, dein Geschick zu teilen.
Massinissa. Du mit ins Lager?
Sophonisbe.                           Soll ich qualvoll hier
      Die Stunden zählen, während drüben sich
      Mein Los entscheidet? Nein, mit eigner Hand
      Mir greifen will ich's. Die Numiderfürsten
      Sind mir nicht fremd. Ihr afrikanisch Blut
      Wird in den tapfern Herzen sich empören
      Beim Anblick der beraubten Königin.
      Siegreichen Zauber übt die Gegenwart,
      Und mächt'ger als dein überlegtes Wort
      Dringt die beredte Stimme meines Unglücks
      In ihre Seele. Kein Bedenken drum!
      Beschlossen ist's.
Massinissa.               Du willst es so. Wohlan!
      Wer hemmte dich in deinem Adlerfluge!
Thamar. Der Gottberatnen widerrat' ich nicht,
      Doch laß mich mit dir gehn!
Sophonisbe.                             Was willst du, Treue,
      Dort im Gewühl? Nein, von den Meinen folgt
      Mir dieser Alte nur, er weiß, warum.
      Dein Platz ist hier; in deine Hände leg' ich,
      Da unser tapferer Methumbal fiel,
      Die Schlüssel dieser Burg; ich weiß, du wirst,
      Was immer kommt, sie für Karthago wahren.
Thamar. Nimm meinen Eid! Mit diesem Leben nur
      Geb' ich sie hin.
Sophonisbe.           So ist denn alles hier
      Bestellt. Und jetzt, bevor des Zelters Flug
      Mich dem verhüllten Ziel entgegenträgt,
      Noch einmal, Thamar, üb an deiner Schwester
      Dein heilig Priesteramt und segne mich!
Thamar (bewegt).
      Zieh denn hinaus, Geliebte, zieh beglückt!
      Ich segne dich, als stünd' ich am Altar,
      Und ihr dort oben laßt als Weiheguß
      Das Opfer dieser Tränen euch gefallen!
      Dich, hoher Sonnenjüngling, ruf' ich an
      Und die du nächtlich übers Waldgebirg
      Mit Silberrossen jagst und Tau des Lebens
      Herniederträufst, Astarte dich, und dich,
      Gewalt'ger Melkart, unsres Stammes Ahn!
      Umschirmt dies teure königliche Haupt
      Und vor ihr her in Sturm und Säuseln wandelnd
      In Wolk' und Glut, bereitet ihr die Bahn!
      Ihr habt das heil'ge Feuer, das sie treibt,
      In ihrer Brust entzündet, lehrt sie denn
      Nach eurem Rat ihr kühnes Werk vollenden!
      Und wie sie lautern Sinns und willig ist,
      Ihr Alles für der Heimat teuren Herd,
      Für euch und euer Volk dahinzugeben:
      So seid ihr gnädig, Götter Afrikas!
Sophonisbe. So seid mir gnädig! Ja, von eurem Hauch
      Ergriffen fühl' ich mich, und ungeduldig
      Schwillt mir das Herz von hoher Zuversicht.
      Zu Roß denn, Massinissa! Laß den Wind
      Uns überreiten! Keine Ruhe mehr,
      Bis ich mein Schicksal weiß, und wer ich bin,
      Ob eine Sklavin jener stolzen Römer,
      Ob eines freien Volkes Königin.
(Indem sie sich zum Gehen wendet, fällt der Vorhang.)