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Chamäleons, Eidechsen und Elstern.

Ich weilte an der Bucht von Cadix, in dem kleinen Dorfe Puerto de Sancta Maria, das sich zwischen dem Indigo des Meeres und dem tiefen Azur des Himmels ausnimmt, als wäre es aus Blöcken von Schlämmkreide gehauen. Es war Mittag und die Sonne brannte mit unerträglicher Glut auf die Erde herab.

Vor diesem Feuerregen flüchtete ich mich in den Patio des Wirtshauses zu den » Tre Reyes moros«. Ein Patio ist ein innerer, von Bogengängen umgebener Hof, in der Höhe des Daches mit einem hellfarbigen, gestreiften Leinenzelt überspannt, das größerer Kühlung halber, öfters begossen wird. In der Mitte des Patio rieselt in einer Marmorschale der dünne Strahl eines Springbrunnens, der als feiner Sprühregen auf Myrten-, Granaten- und Oleanderbäumchen herabfällt, die in Kübeln um das Becken aufgestellt sind; unter den Arkaden stehen Roßhaarkanapees und Rohrstühle verstreut.

Nachdem ich eine Karaffe frischen Wassers geleert, zog ich mich, um mein Mittagsschläfchen zu halten, in eines der Zimmer zurück, die auf den Patio gingen. Ehe sich meine Augen schlossen, streiften sie an der Decke des niedrigen Gemaches hin, die, wie alle spanischen Zimmerdecken weiß getüncht war und in der Mitte als Verzierung eine Rosette aufwies, die aus roten, gelben und schwarzen Feldern, gleich Apfelschnitten, bestand. Von der Mitte dieser Rosette hing ein Bindfaden oder eine Kordel herab, an der wahrscheinlich eine Lampe gehangen hatte; nun aber bewegte sich an dieser Schnur entlang beständig ein Gegenstand, aus dem ich nicht recht klug werden konnte. Ich setzte meinen Kneifer zurecht und nun sah ich, daß das, was sich so mühsam an der Deckenschnur hinaufbewegte, eine Art Eidechse war: gelblichgrau und von einer ungeheuerlichen Gestalt, die im Kleinen an die Formen der großen ausgestorbenen Saurier aus vorsintflutlicher Zeit mahnte.

Die Wirtstochter wurde zu Rate gezogen und belehrte mich, daß es »ein Chamäleon« wäre und setzte in schulmeisterlichem Tone hinzu:

»Diese Tiere verändern ihre Farbe je nach dem Orte, wo sie sich befinden und sie leben von Luft.«

Während dieses kurzen Gespräches setzten die Chamäleons (es waren ihrer zwei) ihren Aufstieg an der Kordel fort. Man konnte sich nichts Komischeres vorstellen. Das Chamäleon ist nicht schön: die Augen treten fast gänzlich aus dem Kopfe hervor wie bei den Kröten, und sind in eine Art äußerer Kapseln eingefügt, wo sie sich einer völligen Unabhängigkeit der Bewegung erfreuen. Eines schaut nach links, während das andere nach rechts schaut; ein Blick hebt sich zur Zimmerdecke, der andere senkt sich nach dem Fußboden – kurz, sie schielen auf alle nur erdenkliche Art, was dem Tier ein höchst wunderliches Mienenspiel verleiht. Unter der Kinnlade verläuft eine kropfartige Tasche, die dem armen Geschöpf einen Ausdruck stumpfsinnigen Behagens und dünkelhafter Aufgeblasenheit gibt, wofür es gewiß nichts kann. Die ungeschickt eingerenkten Beine, die mit den eckigen Ellbogen über die Rückenlinie hinausragen, bewegen sich unschön und ruckweise.

Eines der Chamäleons war nun ganz oben an der Schnur, im Zentrum der Rosette, angelangt und betastete die Decke mit der einen Vorderpfote, um zu sehen, ob es ihm nicht möglich wäre, sich daran festzuklammern und auf diese Weise zu entfliehen.

Während es, vielleicht zum hundertsten Male, diesen Versuch anstellte, schielte es auf ganz verzweifelte und rührende Weise, von der Erde und vom Himmel zugleich Hilfe heischend. Da es aber einsah, daß es auf dieser Seite keinen Ausweg gab, machte es sich traurig und ergeben, mit kläglicher Miene, wieder an den Abstieg. Auf halbem Wege begegneten sich die beiden Leidensgefährten und warfen einander Blicke zu, die vielleicht freundschaftlich gemeint, durch ihre auseinanderlaufende Richtung aber fürchterlich anzusehen waren. Dann gab es während einiger Minuten etwas wie eine greuliche Verknotung auf der senkrechten Bindfadenlinie, worauf die Gruppe sich mit den lächerlichsten Verrenkungen auseinanderwickelte und jedes Chamäleon seinen Weg fortsetzte. Als das abwärtskletternde am Ende seines Hängefadens angekommen war, streckte es eine Hinterpfote aus und tastete vorsichtig, in dem leeren Raum herum; da es nirgends einen Stützpunkt fand, zog es sie entmutigt wieder an sich. Das war sehr komisch anzusehen, und doch wurde mir weh ums Herz dabei: so hoffnungslos mühten sich die armen Tiere ab!

Um sie von ihrer Marter zu erlösen, kaufte ich sie um einen Duro das Stück; sie wurden bequem in einem geräumigen Käfig untergebracht, wo ihnen die akrobatischen Übungen, die ihnen sehr zu mißfallen schienen, hinfort erlassen waren. Was aber ihre Ernährung anbelangt, so schienen mir die Mahlzeiten aus Luft ungenügend, und das mit Recht. Denn die Chamäleons fressen Fliegen, die sie auf sehr merkwürdige Art fangen: sie schnellen nämlich aus dem Grunde ihres Rachens eine lange, mit zähem Speichel überzogene Lanze hervor, woran das Insekt mit den Flügeln kleben bleibt, so daß es mitsamt der Zunge in den Schlund zurückgezogen wird.

Ich wollte meine Chamäleons nach Frankreich mitnehmen und segelte mit ihnen der sonnig warmen Küste entlang, die sich von Tarifa über Gibraltar, Valencia und Barcelona bis Frankreich hinzieht. Allein die Jahreszeit rückte vor, und je weiter wir nach Norden hinauffuhren, desto elender wurden die armen Tiere, die zusehends dahinsiechten. Die Augen quollen ihnen mehr und mehr aus dem abgemagerten Kopfe; sie schielten täglich stärker und unter ihrer welken und runzeligen Haut zeichnete sich ihr zartes Gerippe von Station zu Station deutlicher ab. Sie boten wirklich einen ergreifenden Anblick, diese schwindsüchtigen Echsen, die sich sterbensmatt dahinschleppten und nicht einmal die Kraft hatten, ihre klebrige Zunge nach den Fliegen auszustrecken, die ich ihnen aus der Schiffsküche holte. Sie starben, eines wenige Tage nach dem andern; das blaue Mittelmeer wurde ihr Grab.

Von den Chamäleons ist der Übergang zu den Eidechsen nicht schwer. Meine jüngste Tochter erhielt ein solches in der Umgebung von Paris gefangenes Tier zum Geschenk, das ihr sehr anhänglich wurde. Jakob war vom schönsten Veronesergrün, das man sich nur denken kann; er hatte lebhafte Äuglein, seine Schuppen lagen wie die Dachziegel in vollkommener Regelmäßigkeit übereinander und seine Bewegungen waren von einer Hurtigkeit ohnegleichen. Nie verließ er seine Herrin und hielt sich gewöhnlich in einem Haarknoten neben ihrem Kamme versteckt. Solchermaßen eingenistet, begleitete er sie auf ihren Spaziergängen, ins Theater, in Gesellschaften, ohne jemals seine Gegenwart zu verraten. Nur wenn das junge Mädchen Klavier spielte, ließ er seinen Posten in Stich, kam auf ihre Schulter herab, schlüpfte auf den Armen herunter, und zwar öfter nach der rechten Hand, die die Melodie, als nach der linken zu, die die Begleitung spielt, und bekundete auf solche Weise seine Vorliebe für die Melodie.

Jakob bewohnte eine mit Moos ausgepolsterte Glasschachtel. Er war also in seinen vier Wänden durchaus nicht vor neugierigen Blicken geschützt. Seine Nahrung bestand aus Milchtröpfchen, die er von den Fingerspitzen seiner Herrin ableckte.

Nun bleibt nur noch Margot, die Elster, zu beschreiben: eine witzige Schwatzbase, wohl würdig, mit Quarkkäse gefüttert zu werden und einen im Fenster eines Hausmeisters hängenden Weidenkäfig zu bewohnen. Vergebens hielt ich ihr Hilfslehrer für die toten Sprachen, man konnte sie nie dazu bringen, das lateinische Guten Tag richtig auszusprechen. Doch wenn sie auch nicht Ave sagte – sie sagte genug anderes. Sie war ein rechter Spaßvogel und Possenreißer, spielte Versteckens mit den Kindern, führte Kriegstänze auf, griff dreist die Katzen an und lief ihnen nach, um sie hinterrücks in den Schwanz zu zwicken; dann wollte sie sich ausschütten vor Lachen über ihre wohlgelungene Tücke. Sie war die diebische Elster, wie sie im Buch steht und wohl imstande, zehn Mägde auf falschen Verdacht hin an den Galgen zu bringen. Im Handumdrehen hatte sie von einem Tische alle Löffel, Gabeln und Messer wegstibitzt. Sie ergriff eine Münze, eine Schere, einen Fingerhut oder sonst etwas Glänzendes, flog plötzlich damit auf und trug es in ihren Schlupfwinkel. Da man den Ort kannte, wo sie ihren Raub aufspeicherte, ließ man sie gewähren. Aber eines Tages drehten ihr die Dienstboten eines Nachbarhauses den Hals um und beschuldigten sie, »ein Paar ganz neue Leintücher« gestohlen zu haben. Die Herrschaft glaubte kein Wort von diesem Märchen und setzte die Schelme vor die Tür. Aber was half das! Margot war nichtsdestoweniger tot. Sie wurde von der ganzen Nachbarschaft betrauert, die sie mit ihrer guten Laune und ihren tollen Streichen erheitert hatte.

 


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