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Alte Geschichte.

Ich habe mein Leben lang außerordentliches Gefallen an allen Tieren, besonders aber an Katzen gehabt. Diese Vorliebe zeigte sich bei mir schon lange, bevor ich das Abc konnte.

Meine früheste Erinnerung dieser Art geht auf unsere Übersiedlung nach Paris zurück. Wir kamen von Tarbes und ich war damals drei Jahre alt. Ein Heimweh, wie man es bei einem Kinde nicht für möglich halten sollte, bemächtigte sich meiner. Ich sprach nur unsere Mundart, und diejenigen, die sich auf französisch ausdrückten, zählten nicht zu den Unsern. Oft wachte ich mitten in der Nacht auf und wollte wissen, ob wir nicht bald abreisen und heimkehren würden.

Keinerlei Naschwerk lockte mich, kein Spielzeug zerstreute mich. Trommeln und Trompeten vermochten nichts über meinen Trübsinn. Unter den heimischen Dingen und Wesen, die ich schmerzlich vermißte, war auch ein Hund namens Cagnotte, den wir nicht hatten mitnehmen können. Seine Abwesenheit betrübte mich dermaßen, daß ich eines Morgens meine Bleisoldaten, mein Nürnberger Dörfchen mit den buntbepinselten Häuschen und meine knallrote Geige zum Fenster hinauswarf und mich eben anschickte, auf demselben Wege nachzufolgen, um schneller nach Tarbes, zu den Gascognern und Cagnotte zurückzugelangen. Man erwischte mich noch rechtzeitig am Schlafittchen, und Josefine, meine Wärterin, hatte den Einfall, mir zu sagen, daß Cagnotte, dem ohne mich die Zeit zu lang geworden sei, noch am selben Tage mit der Diligence eintreffen werde. Alle Viertelstunden fragte ich nun, ob denn Cagnotte noch immer nicht angekommen sei. Um mich zu beruhigen, kaufte Josefine von der Straße weg ein Hündchen, das meinem ersehnten Freunde ein wenig ähnlich sah. Ich wollte ihn zuerst nicht recht anerkennen, aber man sagte mir, daß Reisen die Hunde stark verändere. Mit dieser Erklärung gab ich mich zufrieden, und so hielt der Pariser Straßenhund als echter Cagnotte seinen Einzug. Er war sehr sanftmütig, sehr nett und brav. Er leckte mir die Backen und sogar nach den Butterbroten, die man mir zur Vesper zurechtschnitt, streckte sich bisweilen seine Zunge aus. Wir lebten im besten Einvernehmen. Allein nach einiger Zeit wurde mein falscher Cagnotte traurig, beklommen und gar unbeholfen in seinen Bewegungen. Er konnte sich nur noch mit großer Mühe zum Schlafen zusammenrollen, verlor all seine flinke Munterkeit, wurde kurzatmig und fraß zuletzt nicht mehr. Da fühlte ich eines Tages, als ich ihn streichelte, eine Naht bei seinem stark aufgetriebenen Bauche. Ich rief meine Josefine. Sie kam, nahm die Schere, zerschnitt den Faden, und siehe da! – aus seinem Balg herausgeschält – einer Art Überzieher aus krausem Lammfell, in das die Verkäufer ihn gesteckt hatten, damit er wie ein Pudel aussähe –, enthüllte sich unser Cagnotte als ganz gemeiner, wertloser Straßenhund in all seiner jämmerlichen Häßlichkeit. Er war bei uns dicker geworden und seine Zwangsjacke wollte ihn ersticken; nun aber, aus dem engen Panzer befreit, schüttelte er die Ohren, dehnte die Glieder und fing an, in Freudensprüngen durchs Zimmer zu tollen; er machte sich wenig daraus, daß er häßlich war, wenn er sich nur behaglich fühlte. Er bekam wieder Appetit und machte in der Folge seinen Mangel an Schönheit durch innere Vorzüge wett. Im kameradschaftlichen Umgang mit Cagnotte, der ein echtes Pariser Kind war, verblaßte mir nach und nach die Erinnerung an Tarbes und an die hohen Berge, die man dort aus unseren Fenstern erblickte; ich lernte Französisch und wurde selber ein rechter Pariser.

Bild: Herbert E. Sellen

Nach dem Tode Cagnottes richtete sich mein Sinn auf Katzen, die so hübsch eingezogene und häusliche Tiere sind. Ganze Katzengeschlechter, so zahlreich wie die Dynastien der ägyptischen Könige, folgten in unserer Wohnung aufeinander. Ich will es nicht unternehmen, ihre ausführliche Geschichte zu schreiben. Durch Unglücksfälle, durch Flucht und Tod wurde eine nach der andern dahingerafft. Alle wurden sie geliebt und nach ihrem Hinscheiden betrauert. Aber leben heißt vergessen, und das Andenken der Katzen schwindet dahin wie das der Menschen.

Vorübergehend erwähne ich nur eine alte, graue Katze, die gegen meine Eltern für mich Partei ergriff und meine Mutter in die Waden biß, wenn sie mich auszankte oder Miene machte, mich zu züchtigen. Auch von Hildebrand will ich ein Wort sagen, einem prachtvollen Gassenkater mit kurzhaarigem, gelb und schwarz gestreiftem Fell. Mit seinen großen, grünen, mandelförmigen Augen und seinen regelmäßigen Samtstreifen war er das verkleinerte Ebenbild eines Tigers, weshalb er mir besonders gefiel.

Nun kommen wir zu »Madame Theophil«, einer rotgelben Katze mit weißem Brustlatz, mit rosiger Nase und blauen Augen. Sie schlief auf dem Fußende meines Bettes, saß träumend auf der Armlehne meines Sessels, wenn ich schrieb, stieg in den Garten hinab, um mich auf meinen Spaziergängen zu begleiten, leistete mir bei den Mahlzeiten Gesellschaft und fing zuweilen die Bissen ab, die ich von meinem Teller zum Munde führte.

Dieses zartsinnige, allerliebste Wesen hatte eine wahre Leidenschaft für Wohlgerüche. Über Patschuli, über das Vetiver in den Kaschmirstoffen konnte sie in Verzückung geraten. Auch an der Musik fand sie Gefallen. Wenn Sängerinnen an unserm Klavier eine Probe ihrer Kunst ablegten, so kletterte sie auf einen Stoß Partituren und hörte ihnen mit gespannter Aufmerksamkeit und sichtbaren Zeichen des Vergnügens zu. Aber die durchdringenden oberen Töne machten sie unruhig und beim hohen A versäumte sie nie, den Mund der Sängerin mit ihrer Pfote zu schließen. So oft wir sie auch zum Spaß auf die Probe stellten, – es war unmöglich, meine musikliebende Katze in bezug auf jene Note zu täuschen.

Eines Tages gab mir ein Freund, der auf kurze Zeit verreiste, seinen Papagei in Verwahrung, damit ich während seiner Abwesenheit für ihn sorge. Der Vogel, der sich nicht heimisch fühlte, war mit Hilfe seines Schnabels auf die oberste Stange seines Gestells geklettert; dort saß er mit bestürzter Miene, rollte seine wie Tapeziernägel aussehenden Augen und zwinkerte mit den weißen Häutchen, die ihm statt der Lider dienten. Madame Theophil hatte noch nie einen Papagei gesehen, und dieses neue Tier setzte sie augenscheinlich in Erstaunen. Regungslos, mit dem Ausdrucke tiefen Nachdenkens, betrachtete sie den Vogel und durchmusterte alle die naturgeschichtlichen Begriffe, die sie sich auf den Dächern, in Hof und Garten hatte aneignen können. Der Widerschein ihrer Gedanken zog in ihren schillernden Augen vorüber und am Ende ihrer Beobachtungen konnte ich darin folgendes zusammenfassendes Urteil lesen: »Das ist entschieden ein grünes Huhn.«

Nachdem die Katze zu diesem Ergebnisse gelangt war, sprang sie vom Tisch herunter, auf dem sie ihren Wachtposten aufgeschlagen hatte und zog sich in eine Ecke des Zimmers zurück; den Bauch platt auf der Erde, die Ellbogen herausgedrückt, den Kopf auf dem Boden vorgestreckt, die Schnellkraft des Rückgrats angespannt, so kauerte sie wie ein schwarzer Panther, der den Gazellen auflauert, wenn sie an den See kommen, ihren Durst zu stillen. Der Papagei verfolgte die Bewegungen des Raubtiers mit fieberhafter Unruhe; er sträubte die Federn, klirrte mit seiner Kette, hob einen Fuß und spreizte alle Zehen daran, wetzte den Schnabel am Rande seines Futtertrogs. Sein Instinkt warnte ihn vor dem Feinde, der nichts Gutes im Schilde führte.

Bild: Herbert E. Sellen

Der Blick der Katze aber, der mit bannender Gewalt auf den Vogel geheftet war, sagte in einer unzweideutigen Sprache, die der Papagei recht wohl verstand: »Wenn es auch grün ist, das Huhn schmeckt sicher gut!«

Ich verfolgte den Auftritt mit Spannung und hielt mich bereit, im Notfälle einzugreifen. Madame Theophil war allmählich näher geschlichen; ihre rosige Nase bebte, sie hatte die Augen halb geschlossen und ließ die einziehbaren Krallen spielen. Leichte Schauder liefen ihr den Rücken entlang, wie einem Feinschmecker, wenn er sich vor einer Trüffelpoularde zu Tische seht: sie labte sich schon in Gedanken an der saftigen und auserlesenen Mahlzeit, die ihr winkte.

Plötzlich krümmte sich ihr Rücken wie ein Bogen, den man spannt, und mit einem kräftigen Satze schnellte sie gerade auf die Vogelstange hinauf. Der Papagei erkannte die Gefahr, und unverzüglich schrie er mit feierlicher Baßstimme: »Hast du schon zu Mittag 'gessen, Köberle?«

Bei dieser Frage sprang die Katze, von unbeschreiblichem Schrecken gepackt, rücklings von der Stange herab. Ein plötzliches Trompetengeschmetter, ein auf dem Boden zerschellender Stoß Teller, ein dicht an ihrem Ohr abgefeuerter Pistolenschuß hätten ihr kein so besinnungraubendes Entsetzen eingejagt. All ihre vogelkundlichen Begriffe waren auf den Kopf gestellt.

»Feinen Fisch –
Von des Königs Tisch«,

fuhr der Papagei fort.

Die Miene der Katze gab deutlich zu verstehen: »Das ist kein Vogel, das ist ein Herr, – er spricht ja!«

»Trink' in der Schenke roten Wein,
Dann tanzt die Welt und dreht sich fein«,

sang der Vogel mit ohrenzerreißender Stimme, denn er hatte begriffen, daß der durch seine Worte verursachte Schrecken sein bestes Verteidigungsmittel war. Mieze warf mir einen fragenden Blick zu, und da meine Antwort sie nicht befriedigte, kroch sie unters Bett, wo sie sich den ganzen Tag geduckt hielt und auf keine Weise hervorzulocken war. Am nächsten Tage hatte sich Madame Theophil ein wenig beruhigt und versuchte einen zweiten Angriff, der auf dieselbe Art zurückgewiesen wurde. Damit ließ sie sich's gesagt sein: sie ergab sich darein, den Vogel hinfort für einen Menschen anzusehen.


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