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Weiße Dynastie.

Nun wollen wir zu neueren Zeiten übergehen. Von einer Katze, die ein junger Tiermaler aus Havanna mitgebracht hatte, erhielt ich ein Junges – ein allerliebstes Dingelchen, wie eine Puderquaste aus Schwanenflaum anzusehen. Wegen seiner makellosen Weiße erhielt es den Namen Pierrot, der sich, als sein Träger groß geworden, zu Don Pierrot von Navarra auswuchs, was unendlich viel majestätischer klang und nach Grandezza roch. Don Pierrot entwickelte, wie alle Tiere, mit denen man sich abgibt und die man verwöhnt, eine bezaubernde Liebenswürdigkeit. Als echte Hauskatze fand er sein Glück darin, am traulichen Familienleben teilzunehmen. Wenn er an seinem gewohnten Platze, ganz nahe beim Kaminfeuer, saß, sah er wirklich aus, als ob er der Unterhaltung mit Interesse und Verständnis folge. Er ließ seine Augen von der einen sprechenden Person zur andern wandern und gab von Zeit zu Zeit ein kurzes Miau von sich, als ob er Einwendungen erheben und auch seine Meinung zum Besten geben wollte. Bücher liebte er sehr, und wenn er eines offen auf dem Tische liegen fand, so legte er sich darauf, schaute die Seite aufmerksam an und blätterte mit den Krallen darin. Zuletzt schlief er darüber ein –, ganz wie wenn er wirklich einen langweiligen Roman gelesen hätte. Sobald ich zur Feder griff, sprang er auf mein Pult, sah mit dem Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit zu, wie der Stahlschnabel das Papierfeld mit Krakelfüßen besäte und nickte bei jedem neuen Zeilenanfang mit dem Kopfe. Manchmal versuchte er, sich an meiner Arbeit zu beteiligen und bemühte sich, mir die Feder aus der Hand zu ziehen – gewiß, um selber auch seine Gedanken und Erlebnisse niederzuschreiben.

Don Pierrot von Navarra pflegte sich nicht zur Ruhe zu begeben, bevor ich heimgekommen war. Er erwartete mich innen an der Türe, und kaum hatte ich das Vorzimmer betreten, so rieb er sich schon mit freudigem Schnurren an meinen Beinen, wobei er den freundschaftlichsten Katzenbuckel machte. Dann schritt er wie ein Page vor mir her, und ich hätte ihn nur darum zu bitten brauchen, so hätte er mir auch den Leuchter vorangetragen. Solchermaßen geleitete er mich ins Schlafzimmer, wartete, bis ich entkleidet war, sprang dann auf mein Bett, nahm meinen Hals zwischen die Pfoten, tupfte mit seiner Nase an die meine, leckte mich mit seinem rosigen Zünglein, das rauh wie eine Feile war und stieß dabei hin und wieder einen leisen Schrei aus – kurz, er drückte auf die deutlichste Art seine Freude darüber aus, mich wiederzusehen. Wenn er seiner Zärtlichkeit genug getan hatte und es Schlafenszeit war, so setzte er sich mir zu Häupten auf meine Bettstatt und schlief dort oben, sich im Gleichgewicht haltend, wie ein Vogel auf dem Zweig.

Mitternacht war die Stunde, die ich beim Nachhausekommen nicht überschreiten durfte. Pierrot hatte darüber die reinsten Hausmeisteransichten. Es begegnete mir dann und wann, daß ich bei lebhafter Unterhaltung im Freundeskreise die vorgeschriebene Zeit vergaß. Pierrot wartete zwei- oder dreimal bis zwei Uhr morgens auf mich; aber auf die Dauer mißfiel ihm meine Aufführung, und er ging ohne mich zu Bett. Diese stumme Einsprache rührte mich, und ich kehrte hinfort wieder regelmäßig um Mitternacht heim. Allein Pierrot grollte mir noch lange; er wollte erst sehen, ob die Reue auch echt sei. Als er sich jedoch von der Aufrichtigkeit meiner Bekehrung überzeugt hatte, geruhte er, mir seine Gunst wieder zuzuwenden und trat aufs neue seinen nächtlichen Posten im Vorzimmer an.

Don Pierrot von Navarra ward eine Gefährtin von gleicher Rasse zuteil, die nicht weniger weiß war als er. Neben ihrem makellosen Fell wäre der Pelz des Hermelins gelb erschienen. Seraphita – wurde sie genannt – hatte einen träumerischen und beschaulichen Charakter. Sie verharrte stundenlang unbeweglich auf einem Kissen, ohne zu schlafen und starrte in die leere Lust, wo sie die merkwürdigsten Dinge zu sehen schien. Liebkosungen waren ihr angenehm, doch gab sie sie nur sehr bedächtig zurück und nur solchen Leuten, die sie mit ihrer Achtung beehrte; die war aber nicht leicht zu erlangen. An Putz und Pracht fand sie großen Gefallen: man konnte sicher sein, sie auf dem saubersten Polstersessel, auf dem Stoffe, von dem sich ihr Schwanenkleid am besten abhob, zu finden. Zu ihrer Toilette brauchte sie eine endlose Zeit. Jeden Morgen glättete sie sorgfältig ihren Pelz; wusch sich mit der Pfote; und wenn sie sich mit ihrer rosigen Zunge gebürstet hatte, glänzte jedes Haar an ihrem Leib wie neues Silber. Wenn man sie anfaßte, verwischte sie auf der Stelle die Spuren der Berührung, den sie konnte es nicht leiden, zerzaust auszusehen. Ihre Eleganz, ihr vornehmes Benehmen machten den Eindruck von etwas Adligem; und in ihrer Welt war sie auch gewiß nichts Geringeres als eine Herzogin. Sie schwärmte für Wohlgerüche, steckte ihre Nase in jeden Blumenstrauß, knabberte mit Wonneschauenr an parfümierten Taschentüchern, spazierte aus dem Waschtisch unter den Essenzfläschchen herum und beschnüffelte die Pfropfen; und hätte man sie gewähren lassen, sie würde sich am liebsten gepudert haben. Das war Seraphita; und keine Katze hatte jemals mit größerem Recht einen so poetischen Namen getragen.

Am diese Zeit ungefähr kamen zwei jener vorgeblichen Matrosen, die buntscheckige Decken, Tücher aus Ananasfaser und andere ausländische Waren feilbieten, durch unsere Straße gezogen. In einem kleinen Käfig hatten sie zwei weiße norwegische Ratten mit den hübschesten rosa Äuglein, die man sich nur denken kann. Damals hatte ich gerade eine Vorliebe für weiße Tiere und sogar mein Hühnerhof war ganz mit weißen Hennen bevölkert. Ich kaufte die beiden Ratten und es wurde ein geräumiger Käfig für sie gebaut, mit Treppen inwendig, die zu den verschiedenen Stockwerken führten, mit Futtertrögchen, Schlafzimmern und Schweberecken zum Turnen. Sie waren da sicherlich noch bester aufgehoben als die Ratte aus der Fabel in ihrem Holländer Käse.

Diese hübschen Tierchen, vor denen die meisten Leute, ich weiß nicht warum eine kindische Furcht haben, wurden ganz erstaunlich zahm, sobald sie sich nur vergewissert hatten, daß man es gut mit ihnen meinte. Sie ließen sich streicheln wie die Katzen und leckten einem liebevoll den Finger, wobei sie sich mit ihren wunderzarten, rosigen Händchen daran festhielten. Wir ließen sie gewöhnlich am Schlusse der Mahlzeiten frei; dann kletterten sie uns auf die Arme, auf die Schultern, auf den Kopf, krochen durch die Ärmel unserer Schlafröcke und Jacken hinein und heraus, alles mit einer eigentümlichen, flinken Gewandtheit. Durch diese zierlichen Übungen verdienten sie sich die Erlaubnis, die Überbleibsel des Nachtischs einzuheimsen: man setzte sie auf den Tisch und in einem Hui hatte der Ratz und die Rätzin Nüsse, Haselnüsse, Rosinen und Zuckerstückchen abgeräumt. Gar lustig war es anzusehen, wie sie eilfertig und verstohlen herumwirtschafteten und dann plötzlich wie ertappte Diebe nicht ein noch aus wußten, wenn sie am Rande des Tischtuchs angekommen waren. Dann schlug man ihnen mittels eines Brettchens eine Brücke zu ihrem Käfig hinüber, und sie speicherten ihre Schätze dort in der Speisekammer auf.

Das Pärchen vermehrte sich rasch; und zahlreiche Rattenfamilien immer eine so weiß wie die andere, kletterten auf den kleinen Leitern des Käfigs auf und nieder. Ich sah mich also an der Spitze eines etwa dreißig Stück starken Rattenvölkchens und alle waren sie so zutraulich, daß sie sich bei kaltem Wetter in meine Taschen verkrochen, wo sie sich in der Wärme hübsch ruhig hielten. Manchmal ließ ich die Türen der Rattenstadt öffnen und stieg in das oberste Stockwerk unseres Hauses hinauf, wo ich einen leisen Pfiff ertönen ließ, den meine Zöglinge wohl kannten. Sie folgten ihm sogleich; aber da die Ratten die Treppenstufen nur schwer überspringen können, so kletterten sie an einer Geländersäule empor, klammerten sich oben am Geländer fest und stiegen nun wie die Seiltänzer im Gänsemarsch diesen schmalen Weg hinan, auf dem die Schulkinder zuweilen rittlings hinabgleiten. So kamen sie zuletzt bei mir an und begrüßten mich mit zärtlichem Pfeifen und allen Zeichen lebhafter Freude. Dabei muß ich gestehen, daß ich einmal eine rechte Dummheit beging: da ich so oft hatte hören müssen, daß der Schwanz der Ratten wie ein roter Wurm aussähe und die Niedlichkeit des Tieres beeinträchtige, wählte ich eines der jungen Geschöpfchen aus und trennte ihm mit einer rotglühenden Schaufel das so sehr bekrittelte Anhängsel vom Leibe. Die kleine Ratte ertrug die Operation sehr gut, entwickelte sich günstig und wurde ein Prachtratz mit großem Schnurbart; allein er zeigte sich, obwohl er um das Gewicht der Rückenverlängerung leichter war, weniger hurtig als seine Kameraden; er wagte sich nur mit Vorsicht an die Turnübungen und kam oft zu Falle. Bei den Höhentouren dem Treppengeländer entlang war er immer der Letzte. Er sah aus wie ein Seiltänzer ohne Balanzierstange, der das Seil bei jedem Schritt behutsam prüft. Da begriff ich, von welchem Nutzen der Schwanz der Ratten ist; er dient ihnen, sich im Gleichgewicht zu halten, wenn sie an Gesimsen und schmalen Vorsprüngen entlang laufen. Sie halten ihn nach rechts oder nach links, um sich damit ein Gegengewicht zu schaffen, je nachdem sie sich auf die eine oder die andere Seite überneigen. Daher das fortwährende Schwänzeln, das auf den ersten Blick zwecklos scheint. Aber wenn man die Natur aufmerksam beobachtet, so sieht man, daß sie nichts überflüssiges hervorbringt, und daß man sich hüten muß, sie voreilig verbessern zu wollen.

Ihr wundert euch gewiß, wie es nur möglich war, daß Katzen und Ratten, zwei einander so feindliche Tiergattungen, von denen die eine der anderen zur Beute dient, zusammen leben konnten? Sie vertrugen sich aufs allerbeste.

Die Katzen machten den Ratten Sammetpfötchen und diese hatten jedes Mißtrauen abgelegt. Niemals kam ein Vertrauensbruch von Seiten der Raubtiere vor und die Nager mußten kein einziges Mal den Mord eines Kameraden beweinen. Don Pierrot von Navarra hegte die zärtlichste Freundschaft für sie. Er ließ sich neben ihrem Käfig nieder und sah ihnen stundenlang bei ihren Spielen zu. Und wenn zufällig die Türe des Zimmers geschlossen war, kratzte und miaute er so lange, bis man ihm aufmachte und er seine kleinen, weißen Freunde wieder aufsuchen konnte, die sich oft dicht neben ihn zum Schlafen hinlegten. Die etwas hochmütigere Seraphita, welche der allzu starke Moschusgeruch der Ratten nicht zusagte, nahm nicht an ihren Spielen teil; doch tat sie ihnen niemals etwas zuleide und ließ sie ruhig an sich vorbeihuschen, ohne die Krallen nach ihnen auszustrecken.

Diesen Ratten war ein seltsames Ende beschieden. An einem schwülen, gewitterschweren Sommertage, da das Thermometer nahe daran war, wie im heißen Afrika vierzig Grad zu zeigen, hatte man ihren Käfig in den Garten unter eine mit Reben umkränzte Laube gestellt, denn sie schienen sehr unter der Hitze zu leiden. Endlich brach das Unwetter los mit Blitz und Donner, Regen und heftigen Windstößen. Die großen Pappeln am Ufer des Flusses beugten sich wie Schilfrohre. Mit einem Regenschirme bewaffnet, den mir der Wind sogleich umklappte, schickte ich mich an, unsere Ratten holen zu gehen, als ein blendender Blitz, der die Tiefen des Himmels zu öffnen schien, mich auf der obersten Stufe der Gartentreppe festbannte.

Ein entsetzlicher Donnerschlag, stärker als das Krachen von hundert Kanonen, folgte fast augenblicklich auf den Blitz, und so heftig war die Erschütterung, daß ich beinahe zu Boden geworfen wurde.

Nach diesem fürchterlichen Ausbruch beruhigte sich das Gewitter ein wenig; aber als ich die Laube erreichte, fand ich die zweiunddreißig Ratten starr und steif, die Pfötchen gen Himmel gestreckt, – von jenem Blitz erschlagen.

Ohne Zweifel hatten die Drahtstäbe ihres Käfigs den elektrischen Strom angezogen und geleitet.

So waren sie alle vereint gestorben, wie sie gelebt hatten, die zweiunddreißig norwegischen Ratten. Ein beneidenswerter Tod, den das Schicksal selten gewährt!


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