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Die Einigung

Zu seinen Lebzeiten gab der alte Glauber den Talleuten nicht vielen Redestoff. Als er in seinem zweiundvierzigsten Jahre Witwer wurde, warteten sie gespannt auf seinen ersten großen Narrenstreich. Aber er verübte den nicht. Wie leid das den Talleuten tat, das durften sie schandenhalber nicht sagen. Aber wer nur halbwegs das Recht dazu besaß, der fragte ihn mehr oder weniger unschuldig, warum er nicht mehr heiratete.

Der Glauber hatte eine höfliche Ausrede. »Weil ich halt wegen einer nicht viele beleidigen kann«, sagte er. Darüber gaben ihm nun insgeheim die meisten Witwen und alten Jungfern des Tales unrecht. Aber öffentlich schalt ihn doch keine einen Feigling oder einen Allerweltswohldiener, die sich nicht in Verdacht bringen wollte. Mit einer Wirtschafterin, die ihn schon als Kind betreut hatte, hauste er bis an sein Lebensende. Die Kathl hielt ihm länger die Treue als alle seine Lieben. Die Augen drückt sie ihm noch zu. Als damit ihr Dienst bei ihm aus war, legte sie sich gleich zur Ruhe. Es sah gerade so aus, als ob sie nur seinetwillen vierundachtzig Jahre alt geworden wäre. Das schöne, einschichtige Landhaus im oberen Firnecktale blieb dann lange unbewohnt. Nicht einmal eine Maus siedelte sich darinnen an. Die Finkschneider Resl, welche dem alten Glauber immer bei seiner Feldarbeit geholfen hatte, beaufsichtigte nun den hinterbliebenen Besitz. Und wo die befahl, dort tanzte kaum eine Mücke in der Luft. Zu dem Landhause gehörte ein sehr schönes Stück Feld. Das hatte der Alte immer auf das Sorgsamste betreut. Er lebte auch ausschließlich vom Grundstücksertrag.

Jetzt lag der wertvolle Acker brach. Derselbe durfte laut der letztwilligen Verfügung des Erblassers bis zum Eintreffen gewisser Ereignisse nicht bebaut werden. Was wild darauf wuchs, das gehörte der Resl. Die konnte früher nur eine Ziege halten. Und auch da musste sie noch fleißig Gras stehlen. Jetzt hielt sie drei Kühe. Elf volle Jahre genoss die Resl das Weiderecht. Sie wurde dabei nahezu reich, fett aber nicht. Sie hatte immer zu viele Sorgen, dass ihr von der Weide etwas gestohlen werden könnte. Sicherlich hätte sie sogar die Brennnesseln lieber selbst gegessen als verschenkt. Nach den elf Jahren begann auf dem Glaubergute der Erbantritt. Erben des Glaubers waren die drei Söhne seiner seligen Schwester. Er hatte die drei niemals gerne gehabt. Sie waren dem einfachen Manne zu hoffärtig und er ihnen schier zu minder. Aus dem, was er von ihnen wusste, schloss er, dass es ihnen noch einmal recht schlecht gehen würde. Darum sicherte er ihnen, vielmehr ihren Nachkommen für den Fall ihrer gänzlichen Verarmung einen Unterstand. Es sollte ihnen freistehen, in das Landhaus zu ziehen und sich von dem Ertrage des Grundstückes zu ernähren, sobald sie das nötig hätten. Er wusste, dass er sie mit dieser Verfügung zunächst tödlich beleidigen würde, denn zur damaligen Zeit waren sie noch in ihrem höchsten Stolze. Aber er gab ihrem Hochmute mit Vergnügen diesen Streich.

Den Frauen seiner Neffen war er besonders abhold. Die drei Schwägerinnen übertrumpften einander fortwährend im Großtun. Keine versuchte es anders als mit vielem Glanzentfalten zu beweisen, dass das Glück bei ihr wohnte und bei demjenigen der drei Brüder, den sie geheiratet hatte. Der alte Glauber wünschte es diesen Damen von Herzen, dass sie sich dereinst in seinem Landhause demütig vertragen lernen müssten. Jahrelang »pfiffen« sie nur immerfort auf dieses Landhaus. Dann hauste der jüngste der drei Brüder ab. Er war Gutsbesitzer gewesen. Man kannte ihm seinen Stand noch an, als er in das Landhaus zog, denn es waren ihm die Reitpeitschen und die englischen Stiefelhosen geblieben. Das Reitpferd und die Sporenstiefel hatte man ihm genommen. Aber er schickte sich mit seiner jungen Kraft im Landhause gleich zum Rechten an. Schon am ersten Tage pfiff er aus Freude, dass er nun doch noch ein Heim hatte. Die Resl musste ihm ihre Kühe borgen, mit denen ackerte er das Brachfeld um. Faul war er niemals gewesen. Aber seine Vornehmheit und seine Frau hatten ihm bisher das Arbeiten verboten. Jetzt wurde es ihm erlaubt. Das machte ihn so glücklich, dass ihn seine Freu zunächst gar nicht verstand. Es blieb ihr dann nichts übrig, als seine Arbeitslust für einen Beweis dessen zu nehmen, dass seine Vornehmheit niemals eine echte gewesen war. Sie selbst verzichtete, um nur nicht arbeiten zu müssen, sogar auf ihre beiden Kinder. Diese waren zu reichen Verwandten in die Pflege gekommen.

Die Dame dachte nun ernstlich darüber nach, ob es nicht schicklich sein würde, diesen Mann zu verlassen, sobald es ihm möglich geworden war, ihr einige neue Kleider zu kaufen, in denen sie sich sehen lassen konnte. Aber ehe er es so weit brachte, wurde sie alt. Er lachte darüber, und sie weinte.

Aber eines Tages verging ihm das Lachen, und sie trocknete ihre Tränen. Das war, als der ältere der drei Brüder mit seiner Gattin in das Landhaus kam. Der war ein Knopffabrikant gewesen. Man sah es ihm nicht an. Sogar seine Rockknöpfe waren abgerissen. Er war ein alter, völlig vernichteter Mann. Zum Glücke brachte er nicht auch seine vier Kinder mit. Deren hatten sich gute Menschen angenommen.

Dem einstigen Gutsbesitzer passte es nicht, dass er für diesen Bruder arbeiten sollte. Aber als er dann sah, wie wenig der schon brauchte, empfand er Barmherzigkeit. Die Frau des »Gutsbesitzers« fühlte zunächst nur eine rechte Genugtuung. Als sie selbst in das Landhaus kam, musste sie sich von der Schwägerin noch ganz erstickend viel Beileid gefallen lassen. Jetzt konnte sie das mit Zinseszinsen zurückerstatten. So glücklich wie jetzt hatte sich die gute Dame hier noch nicht gefühlt. Sie vergaß zunächst völlig, dass sie selbst durch die Ankunft der Schwägerin auf halbe Kost und Wohnung gesetzt wurde. Aber die Schwägerin dachte daran und aß vorderhand wirklich als wie aus Rache. Es kamen dann gleich schwere Tage für sie. Der Knopffabrikant hielt die Luftveränderung nicht mehr aus. Er hatte in dem Landhause kaum ein Lot Salz gebraucht, als er starb.

Eine Zeit lang hatte der »Gutsbesitzer« für zwei Frauen zu sorgen und dann für drei. Die Witwe des zweitältesten Bruders kam auch in die Villa. Der Zeitälteste war ein Tondichter gewesen. Abgewirtschaftet hatte der nicht, denn er besaß niemals viel. Aber er war stolzer gewesen als seine Brüder zusammen, und seine Frau war noch stolzer als er. Der »Gutsbesitzer« ward immer herzlich belustigt, wenn er die drei Damen recht betrachtete. Seine Schwägerinnen hielten es für selbstverständlich, dass er für sie arbeitete. Er blieb auch lange vornehm genug, um ihnen ihre gute Meinung von ihm nicht zu widerlegen. Auf die Meinung seiner Frau gaben sie nicht viel. Aber dann spürte der brave Mann, dass ihm die vermehrte Pflege und die vermehrte Aufmerksamkeit nicht gut taten. Und es war nicht seine Absicht, sich aufzureiben. Die Damen hätten ihm alles etwas leichter machen können. Wenn sie sich nur ein wenig vertragen hätten, wäre er für sie unentwegt am Joche geblieben. Und wenn sie ihm nur ein Bisschen geholfen hätten! Was ihn der weibliche Dienstbote kostete, hätten sie ihm ganz leicht ersparen können. Aber sie ersparten ihm nichts. Weil die Schwägerinnen seine Freu nichts arbeiten sahen, arbeiteten sie auch nichts. Keine von ihnen hätte die weniger Vornehme sein mögen. Hie und da hätten sie nicht ungerne zugegriffen. Aber sie blieben stark genug, um sich nichts zu vergeben. Die »Gutsbesitzerin« hetzte ihren Mann gegen die Schwägerinnen, und die beiden hetzten ihn gegen seine Frau. Aber er ließ sich keine Unhöflichkeiten zu Schulden kommen. Um desto unhöflicher wurde aus diesem Grunde seine Frau zu ihm. Sie verlor alle Achtung vor ihm, weil er nicht grob werden wollte. Aber es war nun einmal nicht seine Absicht, sich aufreizen zu lassen. Er liebte seinen Seelenfrieden und sehnte sich danach, einmal so recht auf sich selbst sehen zu können. im Grunde seines Herzens fühlte er sich keinem Menschen verpflichtet, seinen Kindern ausgenommen. Es kam ihm beinahe so vor, als ob er für seine Frau schon viel zu viel getan hätte. Darum war es auch ganz begreiflich, dass er oft darüber nachdenken musste, wie es wäre, wenn er die drei Damen auf dem Landhause allein ließe. Seiner Meinung nach müsste es ganz lustig sein. Er eignete sich eigentlich auch gar nicht mehr in die Gesellschaft dieser Damen. Sie waren vornehm geblieben, und er war ein Ackerknecht geworden. Eines schönen Tages war er aus der Gegend verschwunden. Lachend war er abgefahren. Einer seiner reichen Freunde hatte jetzt in Amerika eine Farm. Bei dem wollte er dienen. Er vergab sich nichts damit. Der Freund hatte ihm einen hübschen Lohn angeboten. Wenn er dort drüben so sparte, wie er es nun schon gewohnt war, konnte er einmal sogar seinen Kindern etwas heimbringen.

In dem Landhause gab es nun vielen Lärm. Die verlassene Gattin behauptete zuerst steif und fest, dass der Mann in den Tod gegangen sein, und zwar deshalb, weil ihm die Schwägerinnen zu zuwider waren. Die Schwägerinnen aber sagten, dass er sich nur seiner Freu wegen das Leben genommen haben könnte. Dann fiel es ihnen ein, dass man in seinem Schreibtisch nach irgendeiner Aufklärung suchen könnte. Die Verlassene fand tatsächlich eine solche Aufklärung. Sie zeigte dieselbe keinem Menschen. Aber sie weinte nun nicht mehr um diesen Mann, und den Schwägerinnen gegenüber blieb sie bei der besagten Behauptung. In dem Landhause war nun nach einer Zeit der Tränen eine des Zornes. Die drei Damen stritten wahrhaftig fürchterlich. Es war nur gut, dass das Haus keine Nachbarschaft hatte.

Lange wollte durchaus keine Einigung zwischen den Dreien zustande kommen. Sie stimmten zunächst mit darin überein, dass ein Beisammenbleiben unmöglich sei. Die Tondichterwitwe machte hernach den Vorschlag, dass eine von ihnen hier bleiben und dann die beiden anderen für Wohnung und Kost entschädigen sollte, aber sie selbst wollte diese Zurückbleibende nicht sein. Die beiden anderen hüteten sich auch, solche Verpflichtungen einzugehen. Es fand sich kein Rat, der allen annehmbar schien. Drei Tage und drei Nächte stritten sie ununterbrochen. Nur so viel sahen sie nach dieser Zeit ein, dass das Landhaus für sie alle wertlos war. Sie hätten hier selbst arbeiten müssen, und das wollten sie nicht. Oder sie hätten einen Arbeiter finden müssen, der sich für sie opferte. Der einzige, der sich dazu hergegeben hatte, war für sie verloren. Sie gerieten schließlich in einen Art von Wahnsinn.

»Wisst Ihr was!« rief die Tondichterswitwe, »Sprengen wir dieses verfluchte Haus in die Luft.« Dieser Gedanke zündete.

»Ja, Du hast recht«, sprach die Knopffabrikantenwitwe. »Für unsere Nachkommen würde diese teuflische Hinterlassenschaft des alten Spitzbuben auch nur immer eine Ursache des Zwistes sein.«

»Gut«, sagte darauf die verlassene Frau, »weg mit der Stätte dieser Erinnerungen! Schafft nur Pulver!«

Pulver war nun nicht im Hause. Aber die Tondichterswitwe riss ein brennendes Scheit aus dem Kamine. Und die beiden anderen folgten ihrem Beispiel. Als das einschichtige Haus lustig brannte, sahen die drei zu und lachten. Es verbrannte ihnen nichts. Nur ein Teil des Zornes ging in den Flammen auf. Beinahe fröhlicher als sie in dieses Tal gekommen waren, zogen sie wieder fort. Im nächsten Jahre lag der schöne Ankergrund wieder brach, und die alte Resl hütete darauf drei magere Kühe. Wenn sich die bis zum Herbste recht leibten, wollte sie am Allerseelentag ein Licht auf das Grab des alten Glaubers stellen.


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