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103. Der Erlöser der Welt Groteske phallische Bronze. Vatikanisches Museum, Rom

Das Altertum

Weil wir in den Religionen niemals die Offenbarungen eines die Dinge in ihrer Gesamtheit überschauenden und sie durchdringenden Wesens vor uns haben, sondern weil im Gegenteil sämtliche Religionen in ihrem letzten Grunde nichts anderes als der geistige Niederschlag der Lebensinteressen der einzelnen Völker sind, so kommt es, daß die Lebensphilosophie der Völker ihren ersten erschöpfenden Ausdruck immer in dem religiösen Kultus findet, den sie sich schaffen, in der Art, wie sie sich den Grundgedanken ihrer Religion ausgestalten.

In den Religionen des Altertums ist die Basis überall dieselbe. Es ist bei allen die Personifikation der befruchtenden und gebärenden Natur. Die Zeugung und die immerwährende Erneuerung alles dessen, was lebt und das Leben erhält, war für alle Völker das größte und mächtigste Wunder, das ihnen stündlich vor Augen trat. Sie sahen, daß es in jedem lebenden Geschöpf wirkt und tätig ist, daß der andauernden Sehnsucht, die es in jedem Lebewesen auslöst, keine andere gleichkommt, und daß die Erfüllung dieser Sehnsucht für beide Geschlechter mit den höchsten Lustempfindungen, die das Leben kennt, verknüpft ist. Aus allen diesen Gründen mußte es ihnen naturgemäß als das oberste und wichtigste Prinzip der Welt erscheinen, und darum vergöttlichten sie dieses Gesetz.

Da es überall die weibliche Natur ist, die nach der befruchtenden Berührung mit der männlichen Natur sich entfaltet und gebärt, so wurden es überall Mann und Weib, die man mit den bezeichnenden Attributen ihres Geschlechtes zu Göttern erhob. Die Männer schufen den Venuskultus, die Weiber errichteten den des Adonis. So verschieden die Namen waren und so mannigfaltig die Formen des Kultus, unter denen man ihm diente: Melitta, Astarte, Urania, Isis, Mitra, Anaïtis, Venus – sie alle bargen im Wesen denselben Kern. Und nicht nur die Götterwelten des einstigen Ägyptens, des alten Orients und des klassischen Griechenlands und Roms entstammten derselben Wurzel. Wenn wir die etwas zungenverrenkenden Namen Macuilxochitl und Teteoinnan aussprechen, so kennzeichnen wir für die Ureinwohner Mexikos dasselbe zur Gottheit erhobene Prinzip: die befruchtende männliche und die gebärende weibliche Natur.

In der Vergöttlichung des lebenerhaltenden Prinzips offenbart sich übrigens zugleich die tiefste und die erhabenste religiöse Anschauung. Denn es gibt in der Tat kein schwerer zu ergründendes, kein rätselvolleres, aber auch kein wunderbareres, mit so viel heiligen Schauern und so gewaltigen Offenbarungen verknüpftes Geheimnis in der Natur als das der Zeugung und der ewigen Erneuerung. Darum ist es aber auch gar nicht verwunderlich, daß die von diesem Kultus befruchteten Kulturen dort, wo sie ausreiften, die vollendetsten und reifsten Kulturblüten erschlossen haben. Dieser Kultus ist übrigens noch lange nicht ausgestorben, sondern umspannt auch heute noch ungeheure Gebiete und zahlreiche Völker und Volksstämme. Der Kultus der Inder z. B. ist ein reiner Phalluskultus. Ein englischer Gelehrter hat darum nicht mit Unrecht bemerkt, das der christliche König von England immer über dreimal soviel Phallusverehrer als Christen regiere. Auch im Kultus der Japaner nimmt der Phallusdienst heute noch einen großen Raum ein, ebenso in dem der Chinesen und der Perser.

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104. Jupiters Besuch bei Alkmene. Erotisches Vasengemälde aus der Zeit Alexanders des Großen. Vatikanische Bibliothek. Rom

Sowohl am Inhalt wie an den äußeren Formen dieses Kultus erkennt man unschwer, welche Bedeutung die materielle Versinnbildlichung des befruchtenden und gebärenden Prinzips für unser Thema hat: das Erotische herrschte erstens immer vor, und zweitens, jede figürliche und bildliche Verkörperung der Symbole dieses Kultus zwang dazu, die Karikatur zu Hilfe zu nehmen. Das letztere ist besonders augenfällig und kommt für uns in erster Linie in Betracht. Natürlich handelte es sich hier beim Indienststellen des karikaturistischen Prinzips nicht um Erreichung einer komischen Wirkung, sondern einzig um ein Hilfsmittel zur Herausarbeitung des Charakteristischen. Es dürfte angebracht sein, gleich hier an das Wesen der Karikatur zu erinnern: daß nämlich Karikatur, wie wir in der schon weiter oben (S. 130) angezogenen Einleitung des ersten Bandes der »Karikatur der europäischen Völker« nachgewiesen und durch zahlreiche Proben demonstriert haben, nicht schlechtweg mit Verspotten verwechselt werden darf, sondern daß letzteres nur eine der verschiedenen Tendenzen ist, die mit Hilfe des Karikierens erreicht werden können. Karikatur ist an sich nur Mittel zum Zweck, es ist die bewußt pointierende Tätigkeit, wodurch das Charakteristische einer Sache, eines Vorganges oder einer Idee auffällig gemacht wird und dadurch förmlich in die Augen springt (Bild 6, 8, 12, 22-24; Beilage »Der Mörser«). In dieser Tendenz wurde die Karikatur auch im Dienste der Religion verwendet.

Man sollte an das Wunderbare glauben. Die zeugende Kraft sollte sinnenfällig als übernatürliches und weltbeherrschendes Prinzip in der Anschauung offenbar werden. Das war aber bei einer materiellen, von einer Verinnerlichung absehenden Auffassung der Dinge und vor allem bei der bildlichen und plastischen Darstellung der Symbole dieses Kultus nur auf dem Wege des Vergrößerns und des Vergröberns derjenigen Attribute möglich, deren sich die zeugende Kraft als Werkzeug bedient. So entstand aus Adonis allmählich Priapus (Bild 114, 115 u. 117). Und noch mehr: der Phallus, als Symbol der Männlichkeit, wurde zu einem Wesen, das ein eigenes Leben für sich lebte, er vermenschlichte, und wuchs schließlich vom Menschen zum Gott empor. Selbstverständlich bot er sich als solcher immer strotzend von Kraft und in stolzester Gebärde den Blicken dar, denn die göttliche Verehrung galt ja nur dem befruchtenden Prinzip. Indem bei diesem Vergottungsprozeß alles mithalf, gelangte man schließlich zu jenen an Zahl und Variationen unerschöpflichen grotesk-phallischen Gebilden, die uns, die späte Nachwelt, zwar nicht mehr mit religiösen Schauern, wohl aber mit grenzenlosem Staunen erfüllen (Bild 103-106, 108-111, 118-125, 127 u. 130).

Das gilt für alle Völker, bei denen das personifizierte Prinzip der Männlichkeit zum Kultus erhoben wurde. Der Bal-Phegor, der Hauptgott der Midianiter, zu dem nach Moses auch die Juden eine Zeitlang beteten, war dargestellt bald als ein riesiger Phallus, bald als Bildsäule mit über dem Kopf aufgehobener Kleidung, »als ob sie ihre Schamgegend zur Schau stellen wollte.« Im Osiriskultus der Ägypter kehrt der Phallus in grotesker Darstellung beständig und in allen möglichen Formen wieder.

Die seltsamsten Berichte sind uns dafür überliefert:

Athenäus erzählt, daß bei einer feierlichen Festlichkeit Ptolemäus Philadelphas den Ägyptern einen Phallus zeigen ließ, der aus reinem Golde gefertigt, kostbar bemalt und mit goldenen Kronen verziert war. Er war 120 Ellen (Kubitus) lang, hatte einen goldenen Stern auf der Spitze und maß 6 Ellen im Umfang. Er wurde gleich den anderen Göttern auf einem goldenen Wagen umhergefahren, und die staunende Menge zollte dem Symbol göttliche Verehrung. (Lingam-Yoni oder die Mysterien des Geschlechtskultus usw. Berlin 1906.)

Bei den Ureinwohnern Mexikos findet man zahlreiche sogenannte »Phallophoren«, Dämonen, deren Phallus in grotesk-vergrößerter Gestalt sich präsentiert. Welche gigantisch-kühne Dimensionen die Indier herausentwickelt haben, dafür bieten die Höhlen von Elephanta heute noch die zwingenden Beweise. In dem Buche »Lingam-Yoni« heißt es:

Das Symbol wird außer aus Basalt und Stein aus zahlreichen anderen Materialien hergestellt, wie z. B. aus Holz, Metall, Ton usw., und in den verschiedensten Größen, variierend von der Größe von kaum einem Zoll bis zur Größe von einem Meter und mehr. Manchmal sieht man solche von ganz enormer Größe, wie z. B. in den Höhlen von Elephanta, woselbst man auch den unzweifelhaften und unwiderleglichen Beweis findet dafür, daß die Symbole ebenso alt sind wie der Tempel selbst, denn sie sind gleich wie der Tempel aus dem Stein der Höhle herausgemeißelt. Der Boden, die Decke, die Säulen und die zahlreichen Figuren und Skulpturen sind alle aus dem Granit der Höhle gemeißelt, geschliffen und ziseliert und werden heute noch als eine der größten Sehenswürdigkeiten der Welt bewundert und angestaunt. Die ungeheure Größe der konischen Linga-Säulen (indischer Name für Phallus) schließen die Möglichkeit aus, daß selbe zu einer späteren Zeit in den Tempel erst hineingebracht worden wären … Die Götter sowie die Linga-Säulen sind im Tempel aus dem Gesteine des Felsens gemeißelt worden und dokumentieren dadurch ihr eigenes Alter und das Alter des Kultus, dessen Symbol sie sind. Aus Berichten von Forschern geht hervor, daß in manchen Tempeln die Linga 40 Fuß hoch sind und 25 Fuß im Umfange messen.

Die phantastischen Formen dieses Kultus illustriert besser als jede Beschreibung eine Skulptur, die aus einer dieser heiligen Höhle stammt und die hier in genauer

Nachbildung wiedergegeben ist (Bild 101). Diese Darstellung bedeutet ein Symbol der Erneuerung; daß das eine Geschlecht sich am anderen stärkt und erfrischt, soll diese groteske Art der Liebkosung darstellen. Eine ähnliche Form der grotesken Entwicklung dieses Kultus zeigten die phallischen Grotesken der klassischen hellenistisch-römischen Kultur (Bild 6 u. 102). Über den Tempel von Hierapolis gibt ein alter Bericht folgende Auskunft:

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105. Priap als Wolf. Groteske phallische Lampe aus Bronze Museo nazionale, Neapel

Zwei große Phalli stehen im Torweg und tragen folgende Inschrift: ›Ich, Bacchus, widme diese Phalli meiner Stiefmutter Juno.‹ Die Griechen errichteten dem Bacchus kleine Phalli, welche kleine aus Holz gemachte Männer darstellen, bene nasatos und neurospasta genannt wurden. Auf der rechten Seite des Tempels ist ein kleiner Mann aus Bronze, dessen enormes membrum ganz außer allem Verhältnis zu seiner eigenen Größe ist … Der Tempel steht auf einem Hügel in der Mitte der heiligen Stadt Hierapolis (in der Nähe des heutigen Aleppo) und ist von einer doppelten Mauer umgeben. Das Haupttor des Tempels liegt gegen Norden und hat einen Umfang von 200 englischen Yards. Innerhalb dieses Torweges stehen die oben erwähnten zwei Phalli, von denen jeder ungefähr 180 Fuß hoch ist. Zweimal im Jahre steigt einer der Priester auf die Spitze der Säulenphalli und bleibt sieben Tage und sieben Nächte oben. Das Volk nahm an, daß der Mann dort oben zu den Göttern und mit den Göttern rede, für die Prosperität von ganz Syrien bete, und daß die Götter, dem Symbol nahe, diese Bitten erhörten.

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106. Fisch und Priap. Groteske phallische Lampe aus Bronze Museo nazionale, Neapel

Das Phallussymbol findet sich selbst in der christlichen Symbolik … Und zwar, wie verschiedene Forscher behaupten und begründen, in der Form des Kreuzes, das freilich kein erst vom Christentum geschaffenes Symbol ist, sondern schon Tausende von Jahren vor der Entstehung des Christentumes in der religiösen Symbolik figurierte, und zwar als phallisches Symbol. Der senkrechte Balken des Kreuzes sollte das aktive Element, das männliche Reproduktionsorgan, der Querbalken dagegen das passive Element, das weibliche Reproduktionsorgan darstellen. Die Vereinigung von beiden wäre demnach die Vereinigung von aktiv und passiv, von männlich und weiblich.

Die Verwendung des Phallus als religiöses Symbol herrscht zweifellos sehr stark vor, man begegnet diesem in grotesker Darstellung ungleich häufiger als dem weiblichen Reproduktionsorgan. Aber auch das weibliche Prinzip findet sich sehr oft in grotesker Vergrößerung dargestellt oder symbolisiert, vor allem im indischen Kultus. Höhlen und eigentümlich geformte Risse in Felsen oder Bäumen wurden zu Symbolisierungen des weiblichen Reproduktionsorgans gestempelt. Da der Berührung dieser Symbole Heilkraft zugeschrieben wurde, so entwickelte sich die Übung des Durchziehens von Kranken durch solche geheiligte Risse und Spalten, und sie sind nicht selten stark besuchte Wallfahrtsorte gewesen. Auch groteske Nachbildungen aus Gold wurden gemacht, in die die Kranken eingeschlossen wurden, um dadurch geheilt, oder wenn es alte Leute waren, um wieder verjüngt zu werden. Die Anschauung, daß das weibliche Reproduktionsorgan eine verjüngende Wirkung ausübe, war weit verbreitet und hat in Europa noch weit in unsere Zeit herein ihren Einfluß ausgeübt und entsprechende Kultusformen entwickelt.

Alles dies zusammenfassend muß man sagen, daß das zum Kultus erhobene erotische Prinzip zum eigentlichen Ausgangspunkte der Groteske wurde und zugleich zu ihrem ersten Höhepunkte führte. Dieser Kultus war es, der dieses wichtigste Mittel der Karikatur entwickelte, und indem er es ständig zu seinen Zwecken nützte, bildet schon dadurch diese Kulturperiode die erste wichtige Etappe der erotischen Karikatur …

Die emsige Altertumsforschung hat aus dem Schutt, unter dem alle diese alten Kulturen begraben liegen, allmählich von einer jeden die bezeichnenden Dokumente hervorgewühlt. Für die eingehendere Würdigung wollen wir uns jedoch ausschließlich auf die hellenische Kultur beschränken und uns hinsichtlich Ägyptens, des alten Orients und Indiens mit diesem allgemeinen Hinweise begnügen. Die hellenistische Kultur hat überdies den reichsten Schatz an Tatsachenmaterial für unsere Zwecke hinterlassen, in ihr hat der Kultus der Venus und des Adonis die höchste künstlerische Entwicklung erlebt, außerdem aber ist sie zugleich die Basis, auf der sich unsere moderne europäische Kultur aufgebaut hat.

 

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Was in Asien, von wo dieser Kultus nach Griechenland kam, sich in wenigen Personen kristallisierte und auch in relativ sehr wenig komplizierter Weise sich entwickelte, das reifte in der griechischen Götterlehre zu einem Reichtum an Gestalten und Formen voll Größe und Harmonie. Als ob Griechenland an den beiden Liebesgöttern Venus und Adonis nicht genug gehabt hätte, »vervielfältigte es dieselben unter einer Menge verschiedener Namen, so daß Venus fast überall ihre Tempel und Statuen hatte. Die Priester und die Dichter, die es sich angelegen sein ließen, übereinstimmend die Geschichte ihrer Götter zu erfinden und zu beschreiben, entwickelten nur ein einziges Thema, das der sinnlichen Lust. In dieser kunstvoll aufgebauten und entzückenden Mythologie erschien Amor jeden Augenblick mit verschiedenem Charakter, und die Geschichte jedes Gottes und jeder Göttin war weiter nichts als ein wollüstiger Hymnus zu Ehren der Sinne.«

Ein Volk, dessen Kultus nur eine Summe erotischer Sagen war, mußte in seiner Lebensanschauung und Lebensgestaltung sinnlich in höchster Potenz sein, die Sinnlichkeit mußte in seinem täglichen, privaten, gesellschaftlichen und staatlichen Leben die bedeutendste Rolle spielen. Das ist auch der Fall gewesen; die Faktoren, die dazu geführt haben, haben wir bereits im ersten Teile dieses Buches beschrieben. Aber diese Sinnlichkeit war zugleich durch die erhabenste Schönheit veredelt. Die Schönheit war im klassischen Altertum zum Hauptinhalte der Religion geworden; sie galt als heilig und anbetungswürdig, weil sie als die sinnliche Erscheinungsform der Idee des Göttlichen galt.

Schönheit war im hellenistischen gleichbedeutend mit Vollkommenheit. Und vollkommen wollte damals jedermann sein. Jeder wollte bei dem Wettkampf auf dem Gebiete der Schönheit Sieger sein, Männer und Frauen. Schönheitskämpfe fanden daher bei jeder Gelegenheit statt, und alle Art Spiele und Feste dienten diesen Kämpfen. Der griechische Rhetor Akyphron hat uns in seinen Briefen eine plastische Schilderung eines Hetärenfestes aufbewahrt, bei dem Tänzerinnen und Flötenspielerinnen unter sich um die Palme der Schönheit, aber auch um die der Wollust stritten. Das Richterkollegium bildete »ein reizender Gerichtshof halbnackter Frauen«. In der schwelgerischen Schilderung dieses Festes heißt es:

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107. Groteske phallische Karikatur auf Paris Freskogemälde aus Pompeji

»Bald erhob sich ein Wortstreit, welcher unser Vergnügen noch vergrößerte. Es handelte sich darum zu entscheiden, ob Thryallis oder Myrrhina reicher mit jener Schönheit ausgestattet wäre, welche Venus den Namen Kallipyge beilegen ließ. Myrrhina ließ ihren Gürtel fallen, ihre Tunika war durchsichtig, sie drehte sich, und man glaubte, Lilien durch einen Kristall schimmern zu sehen. Sie gab ihren Lenden eine zitternde Bewegung und lächelte rückwärts schauend, über die Enthüllung dieser wollüstigen Formen, um die es sich handelte. Dann begann sie, wie wenn Venus selbst ihre Huldigungen empfangen hätte, ich weiß nicht welch süßes Ächzen auszustoßen, das mich heute noch bewegt. Doch Thryallis erklärte sich noch nicht für besiegt, sie trat ohne Scheu hervor und sagte: ›Ich kämpfe nicht hinter einem Schleier, ich will so wie bei einer gymnastischen Übung erscheinen; dieser Kampf läßt keinerlei Bekleidung zu!‹ Mit diesen Worten läßt sie ihre Tunika fallen, so daß sie ganz nackt vor uns stand, und spricht zu ihrer schönen Rivalin gewendet: ›Betrachte, o Myrrhina, diese Schwellung der Lenden, die Weiße und Feinheit dieser Haut und diese Rosenblätter, welche die Hand der Wollust auf ihre zierlichen Umrisse hingestreut hat, die ohne Dürftigkeit und Übertreibung gezeichnet sind; bei ihrem schnellen Spiel, bei ihren wollüstigen Zuckungen haben diese beiden Halbkugeln nicht das Zittern derjenigen der Myrrhina, ihre Bewegung gleicht dem süßen Rauschen der Wogen‹ Allmählich verdoppelte Thyrallis die lüsternen Zusammenziehungen mit solcher Behendigkeit, daß ein allgemeiner Beifall ihr die Ehren des Sieges zuerkannte. Man ging dann zu anderen Kämpfen über: man stritt über die Schönheit des Bauches, aber keine von uns wagte sich gegen den festen, gleichmäßigen und glatten Bauch der Philumene in einen Kampf einzulassen. Die Nacht verstrich unter diesen Vergnügungen, wir beendigten sie durch Verwünschungen gegen unsere Liebhaber und ein Gebet an Venus, die wir beschworen, uns jeden Tag neue Anbeter zu verschaffen, denn die Neuheit ist der packendste Reiz der Liebe. Wir waren alle trunken, als wir uns trennten.«

In Griechenland wurde ein Schönheitskodex für jede einzelne körperliche Vollkommenheit aufgestellt. Von dem Busen der junge Laïs rühmte Aristenatus als Vollkommenheit, »sie besaß eine Brust, welche – kydonischen Äpfeln gleich – im Schwellen das Busenband sprengte und den Malern zum Modell für Helenabüsten diente!« Die wollüstige Pracht der kallipygischen Reize der Frauen standen bei den Römern in gleich hohem Ansehen wie bei den Griechen, und die besten Federn entwarfen schwelgerische Loblieder zu ihrem Ruhme. Callicratidas bricht bei Lucian in den folgenden, nach einer französischen Übersetzung zitierten Hymnus aus:

Grands dieux! quelle belle chute de reins! que ces hanches arrondis remplissent agréablement les mains d'un amant! quelle heureuse proportion dans cette croupe rebondie: elle n'est point fixée sur des os arides, et elle n'offre pas non plus un embonpoint excessif où dégoutant! il n'est point d'expression qui peigne les graces répandues sur les moelleux conturs de ces cuisses, et qui puisse dignement louer les proportions heureuses de ces belles jambes, et du joli pied qui les termine si amoureusement!

Die Schönheit vergöttlichte alles und alle, selbst die gemeinste Hetäre. Eine Hetäre, wenn sie schön war, genoß die höchste Ehrerbietung; nicht nur ihre zahlungsfähigen Liebhaber, ihr huldigte ganz Griechenland, wie der Göttin selbst. Ein zeitgenössischer Autor beschreibt die Ehrung der berühmten Phryne in folgender Weise:

Am bemerkenswertesten an Phryne war, daß sie sich keusch allen Blicken entzog, selbst denen ihrer Liebhaber, welche sie nur im Dunkel besaßen. Aber bei den eleusinischen Mysterien erschien sie wie eine Göttin unter der Tempeltür und ließ ihre Kleidung in Gegenwart der vor Bewunderung staunenden Menge fallen, dann erst hüllte sie sich in einen Purpurschleier. Beim Feste der Venus und des Neptun warf sie gleichfalls ihre Kleidung auf den Tempelstufen ab und hatte als einzige Hülle für die Blöße ihres Leibes, der in der Sonne schimmerte, ihr langes Ebenholzhaar; sie schritt mitten durch das Volk, das ihr achtungsvoll Platz machte, zum Meere. Phryne trat in die Wogen, um ihre Huldigung Neptun darzubringen, und schritt wie Venus bei ihrer Geburt daraus. Man sah sie einen Augenblick auf dem Sande die salzigen Tropfen abschütteln, welche an ihren üppigen Lenden herabrieselten, und ihre feuchten Haare auswinden: man sagte dann, Venus sei eben ein zweites Mal geboren worden. Nach diesem Augenblicke des Triumphes entzog sich Phryne den Zuschauern und hüllte sich in ihr gewöhnliches Dunkel. Aber der Erfolg ihrer Erscheinung wurde dadurch nur wunderbarer, und der Ruhm der Hetäre war in aller Munde. Jedes Jahr mehrte sich daher die Zahl der Neugierigen, welche zum Venus- und Neptunfest und zu den eleusinischen Mysterien kamen, nur um Phryne zu sehen.

Der Kultus, der mit der Hetäre getrieben wurde, war bis zu einem gewissen Maß ein Kultus der Schönheit. Die berühmten Hetären waren die Modelle zu den unsterblichen Statuen der Venus (Bild 184), der Juno; jene Zeit aber ehrte, indem sie die Göttin ehrte, auch die, die ihr die Gestalt geliehen hatte. Weil die Schönheit zur Religion geworden war, ist wohl auch nicht zuviel behauptet worden, wenn gesagt wurde, daß viele Zuschauer bei solchen öffentlichen Schaustellungen, wie sie von Phryne bekannt sind, von heiligen religiösen Schauern ergriffen wurden; es ist das im Wesen ebenso begreiflich wie die bekannte Tatsache der Ekstase aus der Gegenwart, in die gläubige Katholiken beim Anblick einer Reliquie oder des Sanktissimum geraten.

Dem Gesetz oder der Religion der Schönheit folgend, hat die hellenistische Kultur aus allem Erleben, Tun und Genießen ein Kunstwerk gemacht. Als die Kultur in Rom im Niedergange war, die politische Tatkraft erlahmte und alles im reinen Genußleben aufging, hat sie aus dem »Liebegenießen« das Höchste der Kunstwerke gemacht. Man gedenke z. B. nur des Rates, den Ovid in seiner berühmten Ars amandi den Frauen gab:

Jegliche kenne sich selbst. Nach dem Körper wählet die Weise.
Ein und die nämliche Art schicket für alle sich nicht.
Ist sehr schön ihr Gesicht, so muß auf dem Rücken sie liegen.
Die, der ihr Rücken gefällt, lasse von hinten sich schauen.
Sich auf die Schultern hob Atalantas Schenkel Milaneon;
Lasset sie so empfahn, sind sie von schöner Gestalt,
Sitze die Kleine zu Roß; nie saß die Thebaïsche Gattin,
Weil sie die größte war, auf dem Hektorischen Roß.
Knien auf den Polstern muß mit zurückgebogenem Nacken
Eine Frau, die hervorraget durch Länge des Leibs.
Sind untadlig die Brust und jugendkräftig die Schenkel,
Stehe der Mann, sie selbst lieg' auf geneigetem Pfühl.
Nicht auch verschmäh es, den Schopf, wie Phylleïsche Weiber, zu lösen,
Und mit fliegendem Haar beuge den Nacken zurück …
Tausend Weisen wohl gibt's; ganz einfach ist es und mühlos,
Wenn auf der rechten Seit' halb auf dem Rücken sie liegt.

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108. Phallische Amulette und Zieraten aus Bronze, religiösen und mystischen Sinnes

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109. Groteske phallische Bronze In London ausgegraben

Und nach dem bekannten Lehrsatz aller Erotomanen: »jede Frau ist schön« vermag man allen Frauen ohne Ausnahme einen faszinierenden Reiz abzugewinnen. Ovid sagt:

Eine bestimmte Gestalt ist's nicht, die zur Liebe mich einlädt,
Hundert Gründe, warum immer ich liebe, bestehn!
Sei es, daß eine beschämt auf sich niedersenket die Augen,
Sie entflammt und berückt mich durch die sittige Scham.
Oder ist eine keck, mich besticht's, daß blöde sie nicht ist,
Und sich im weichen Bett wacker zu halten verspricht.
Wenn sie spröde sich zeigt und rauh die Sabinerin spielet,
Glaub' ich, sie wolle, jedoch heimlich verstelle sie sich.
Bist du gelehrt, so gefällst du, begabt mit seltenem Wissen –
Dich Unwissende macht lieb dein natürlich Gemüt …
Diese, gelenk, nimmt ein durch den Gang. Fest schreitet die andere,
Aber sie könnt' in des Manns Armen gelenkiger sein.
Der, weil lieblich sie singt und geschmeidig beuget die Stimme,
Gäb' ich Küsse so gern, bei dem Gesang ihr geraubt …
Jene gefällt durch Gebärden und zeigt Armwendungen zahllos,
Und mit geschmeidiger Kunst dreht sie den zierlichen Leib …
Du, weil lang du von Wuchs und den alten Heldinnen gleichest,
Kannst auch das ganze Bett füllen, in welchem du liegst.
Die ist klein und gewandt. Durch beide werd' ich verführet,
Meinem Verlangen sind Große wie Kleine genehm …
Kurz, was einer für Frau'n in der ganzen Stadt auch empfehle,
Meine Liebe bewirbt sich um der sämtlichen Gunst.

Der Genußkodex kannte alle damals erdenkbaren Delikatessen. Den Männern gab Ovid, Vers 706-728, die folgende zynisch-historische Anleitung:

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110. Phallisches Votiv Relief

Und nicht müßig im Bett lässet die Linke man ruhn,
Werden die Finger zu tun an jenen Teilen doch finden,
Welche geheime Kraft Amors Geschossen verleihn.
An der Andromache tat dies einst der tapfere Hektor,
Und er zeigte sich nicht bloß für die Kriege geschickt,
Auch von dem großen Achill geschah's der gefangenen Lyrnesis,
Als er im weichen Bett ruhete, müde vom Feind …
Glaube man mir, nicht ist der Liebe Lust zu beeilen,
Sondern allmählich hervor locke sie langer Verzug.
Wenn die Stellen du fandst, die das Weib gern lässet berühren.
Halte nimmer die Scham, sie zu berühren, dich ab.
Schimmern in zitterndem Glanz wirst dann du sehen die Augen,
Wie vom Wasser zurückstrahlen die Sonne man sieht.
Klagen werden dazu, dazu wird liebliches Murmeln
Kommen und süßes Geseufz, Worte zum Kosen geschickt.
Doch laß weder du selbst, dich größerer Segel bedienend,
Ab von der Herrin, noch sie komm' im Laufe dir vor,
Eilet zugleich zum Ziel; dann ist vollkommen die Freude,
Wenn besieget zugleich liegen der Mann und das Weib.

Auch alle Posituren des Geschlechtsgenusses hat man ausgedacht und hat sie nach ihren Vorzügen dithyrambisch verherrlicht. Das Kapitel der »Posituren« nimmt einen sehr großen Umfang in den Werken der meisten Schilderer der Liebe ein, und man schilderte gleich eifrig die für den Genuß wollüstigste, wie die für den Gattungszweck den meisten Erfolg versprechende Umarmung. Von der Stellung, der angeblich die Spartanerinnen den Vorzug gaben, sagte nach einer französischen Übersetzung des Petronius eine Schöne zu ihrer Freundin:

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111. Geflügelter Löwe Phallische Bronze. Pompeji

» Emportée par la voluptée, je me jettai au col de mon amant, je le pressai étroitement, et ayant passé mes jambes sur ses reins, je les y croisai de façon, que je paraissais clouée avec lui. J'entrai dans le même instant dans un delire, et hors de moi-même, par la vivacité du plaisir qui approchait, je m'écriai avec transport: ah cher! ah cher amant; je me meurs, je fonds, j'entre dans le Ciel, le Temple du bonheur est devant moi.«

Aber nicht nur in Worten, sondern auch in Bildern, Skulpturen, Bronzen und Gemmen wurden die Schönheiten und Wonnen der verschiedenen Stellungen beim Liebesgenuß verherrlicht, wie wir schon im ersten Teile dieses Buches gezeigt haben (Bild 10, 11, 15-21, Beilage »Liebespaar«).

Adonis mußte bei dieser sinnlichen Potenz nicht nur zum Gott Priapus werden, sondern Priapus mußte zum obersten der Götter emporsteigen, zu demjenigen Gotte, der überall mitwirkte, der überall auftrat, dessen Mysterien sozusagen stets die Grundakkorde bildeten, die unausgesetzt mitklangen. Gewiß, man hat dem Priapus als einzigem Gotte keine eigenen Tempel errichtet. Aber dafür opferte man ihm an jedem Straßeneck, an jedem öffentlichen Platz, in jedem Winkel, in jedem Garten stand die Säule des Gottes von Lampsackus, strotzend vor Übermut, und grinste frech jedes Alter an, Kind und Jungfrau, Jüngling und Mann. Und, seltsamerweise: zu seinen eifrigsten Dienerinnen zählte dieser freche Gott nicht etwa die Dirnen, sondern – die biederen Ehefrauen.

Eigenartigerweise machten sich die hinsichtlich des Venuskultus so keuschen römischen Weiber keine Gewissensbisse, ihre Scham bei Ausübung anderer unanständiger und schimpflicher Kulte bloßzustellen, welche sie doch nur als Götter und Göttinnen zweiten Ranges betrachteten. Sie boten Opfer dem Kupido, vor allem dem Priap, dem Mutinus, der Tutana, der Protunda und anderen Gottheiten derselben Art. Die Opfer wurden nicht nur am häuslichen Herde, sondern auch in öffentlichen Tempeln und vor den an den Straßenecken und auf den Plätzen der Stadt ausgestellten Statuen dargebracht. Nicht etwa die Dirnen wendeten sich an diesen geheimnisvollen Olymp der sinnlichen Liebe, Venus genügte ihnen mit ihren verschiedenen Namen und mannigfaltigen Gestalten, sondern die Matronen und selbst die Jungfrauen erlaubten sich die Ausübung dieser geheimen und unzüchtigen Kulte; überließen sich ihm zwar nur verschleiert vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang, aber sie scheuten sich doch nicht, beim Anbeten des Priap und seines unsauberen Gefolges gesehen worden zu sein.

So Dufour in seiner Geschichte der Prostitution. Priapus war also sozusagen der Hausgott der bürgerlichen Wohlanständigkeit. Und welch sinnige Ehrung wurde ihm gar von den Damen der Gesellschaft zuteil! Die Kränze, die man seinem Ruhme spendete, setzte man ihm nicht etwa aufs Haupt, sondern man hing sie kühnlich an dem stolz emporgerichteten Phallus auf – an »seiner Würde Amtssymbol«. Was übrigens ganz richtig war, man ehrte doch im Meister nur das Werkzeug.

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112. Erotisches satirisches Wandgemälde auf den Sieg Oktavians über Mark Antonius bei Aktium Freskogemälde, Pompeji

Solche Statuen haben sich, wie bereits im ersten Abschnitte gezeigt wurde, in ziemlicher Anzahl erhalten, am häufigsten freilich, wie es der Natur der Sache auch entspricht, solche in grotesker Gestalt (Bild 115 und 117); von ihnen wird jedoch erst weiter unten eingehender zu sprechen sein …

 

Zur Ehre keines Gottes sind so viel Ruhmeslieder gesungen worden, als zu der des Priapus: »Hättest du so viele Äpfel, als du Verschen hast, Priap, Wärst du reicher als der alte Krösus und Alcinous« wird ihm nachgerühmt. Die Priapea, die zum Ruhme des Gottes Priapus gesungenen Verse, deren uns eine große Zahl erhalten geblieben sind, sind überaus wichtig für die Sittengeschichte des antiken Lebens. Sie sind so wertvoll wie der gewiß unschätzbare Roman des Petronius. Zur Charakteristik seien aus der vor einigen Jahren bei Schuster & Löffler in Berlin erschienenen von Bernus übertragenen Sammlung die folgenden Stücke zitiert. Warum Priapus sich so schamlos nackt den Blicken zeigt, ließ ein Dichter den frechen Gartengott selbst in folgenden Versen verteidigen:

Alle haben wir Formen am Körper kennzeichnender Art:
Herkules sehnige Muskeln, Phöbus ist schönbehaart, zart
Von jungfräulichem Bau ist Bacchus; die aus dem Hirne
Jupiters stammt, Minerva, blickt ernst und Venus verliebt;
Den arkadischen Faunen schmücken Hörner die Stirne,
Und Merkur hat zierlich geschwungene Sohlen. Es gibt
Keinen mit breiterer Brust als Mars in den himmlischen Hallen.
Der Beschützer von Lemnos ist lahm, der hinkende Schmied;
Niemals rasiert Äskulap – Ihr seht, da bleibt denn von allen
Merkmalen mir nur eines, um in die Augen zu fallen:
Keiner der Götter besitzt wie Priap solch riesiges Glied.

Denselben Gedanken drückt das folgende Gedicht aus:

Blitze gehören dem Jupiter, mit dem Dreizack bewehrt
Ist Neptun, mit der Lanze Minerva, und Mars mit dem Schwert;
Bacchus schlägt seine Schlachten, in Händen das Thyrsusgeflechte,
Von Apollo wird weithin der schnellende Pfeilschuß entsandt.
Die unbesiegliche Keule schwingt hoch des Herkules Rechte,
Und mich selber macht schreckbar mein Glied, das immer gespannt.

Zeitphilosophie im Munde Priaps, die der Zyniker freilich nicht bloß für das alte Rom gelten lassen wird, drückt das folgende Liedchen aus:

Ich muß gestehn, daß ich nicht schöngestalt bin,
Doch ich besitze fürwahr ein prächtiges Glied,
Was ein Mädchen mit einem natürlichen Sinn
Lieber wie all die genannten Gottheiten sieht.

Die Prüderie der Frauen wird durch den Mund Priaps so verspottet:

Du, die du gegen den Anblick des Phallus dich wehrst.
Wie es sich für ein züchtiges Mädchen gehört,
Wundern muß ich mich, daß dich zu sehen empört.
Was du zwischen den Beinen zu haben begehrst.

Aber ebenso oft findet sich bei den würdigsten Damen Roms lüsterne Neugier, ihnen gilt:

Gehet fort von hier, züchtige Frauen,
Euch besudelt solch schmutziges Lied. –
Glaubst du, sie gingen, die Tugendsamen?
Nicht um alles! Auch würdige Damen
Reizt bisweilen ein riesiges Glied.

Besonders zahlreich sind die Stücke, die Priap als Flurenhüter, denn das ist ja auch sein Beruf, behandeln. Als Probe diene:

Ich, Perspektus, der vormals Schatzmeister war und zurzeit
Gärtner ist, habe dir, Priapus, diesen Platz hier geweiht.
Dafür beding' ich mir aus – wenn's erlaubt ist, du Heiliger – daß
Du ein unermüdlicher Hüter des Grundstückes seist
Und den Ruchlosen, der unserm Gärtchen ein Leid antut, dreist
Selber … aber ich schweige davon – du weißt ja wohl, was.

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113. Karikatur auf Merkur. Groteske phallische Lampe aus Bronze. Pompeji

 

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Die wichtigsten und künstlerisch wertvollsten Huldigungen, die man dem Gotte der sinnlichen Liebe darbrachte, sind jedoch unstreitig die objektiven phallischen Grotesken gewesen. Diese bildlichen und figürlichen Huldigungen dürften nach den vorstehenden Ausführungen in ihrem Zusammenhange mit der Gesamtkultur jetzt ohne Zweifel voll verständlich sein.

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114. Priapsstatue. Groteske Bronze. Pompeji

Die Zahl dieser phallischen Grotesken und ebenso die Mannigfaltigkeit ihrer Formen ist unerschöpflich. Überall, wo der Römer seinen Fuß hinsetzte, wanderten sie mit, denn wo immer auch der Altertumsforscher heute nachgräbt, stets fördert er auch sie aus dem Schutt in reicher Fülle zutage. Die erstaunlichsten Denkmäler, die diesem Gott errichtet wurden, gab freilich der Boden Roms und Pompejis zurück. Aber einzigartige Stücke fand man auch in verschiedenen römischen Niederlassungen, so vor allem in Nîmes in Südfrankreich, dem alten Nemansus der Römer, das in seinem Kolosseum eines der am besten erhaltenen Baudenkmäler der Antike besitzt, ebenso in Arles, in Paris, dann in verschiedenen Niederlassungen an der Donau und dem Rhein. Es ist sicherlich kein übertreibendes Wort, wenn man sagt: In diesen Darstellungen hat die groteske Phantasie wahrhafte Orgien gefeiert, denn jede Gemme, jede Bronze, jede Skulptur, die wir hier als Probe geben, bestätigt das. In erster Linie ist auf die bereits oben genannten grotesken Priapsstatuen hinzuweisen. Der Phallus war das Wichtigste, das, was dem Priap den ihm zukommenden Begriff verlieh, das Symbol, die Kraft, die man verehrte, – also vergrößerte man ihn. Eine zwar nicht allzu groteske, aber eine gute künstlerische Probe besitzen wir in der schon im ersten Teile des Buches beschriebenen Priapsstatue, die anscheinend als Brunnen gedient hat (Bild 22). Viel häufiger sind jedoch die wirklich grotesken Steigerungen. Die Größe des Phallus wurde dabei bis ins Ungeheuerliche getrieben. Dies zu beweisen, genügt, auf die hier abgebildete Priapsstatue aus Rom (Bild 117) zu verweisen. Aber diese Probe zeigt noch nicht einmal die höchste Steigerung, zuweilen begegnet man Darstellungen, bei denen der Phallus viel größer ist als der ganze übrige Körper, der förmlich als nebensächlich erscheint. Und auch dieses Verfahren entspricht den inneren Gesetzen der Karikatur. Um das Charakteristische einer Person oder Sache zu betonen, verfährt die Karikatur nicht nur positiv, indem sie das, worauf es ankommt, vergröbert, sondern auch negativ, indem sie das Nebensächliche in seinen Maßen und Linien reduziert. Merkur wurde sehr oft in dieser Form karikiert, denn Merkur war bekanntlich der Kuppler des Olymp; ihn beauftragte Jupiter mit zahlreichen seiner galanten Bestellungen. Eine solche Karikatur Merkurs zeigt Bild 113. Diese phallische Groteske hat einstmals als Lampe gedient. Mitunter war alles Phallus an ihm. Das Museo nazionale besitzt eine phallische Groteske von Merkur, die diesen nicht nur mit einem riesigen Phallus ausgerüstet vorführt, sondern auf seinem Hute ragen auch noch nach verschiedenen Seiten vier – selbstverständlich eregierte – Phalli hinaus, außerdem trägt er in der Hand einen großen gefüllten Geldbeutel: Merkur als Glücksbringer. Der Phallus ist auch Symbol des Segens, des Reichtumes, der Fruchtbarkeit, daher seine Vervielfältigung. Hierher gehören auch noch einige andere pompejanische Bronzen in Neapel. Ein Mann mit einer langen Nase und Mephistozügen hat auf der Stirn einen Phallus in der Art eines Auswuchses. Eine zweite zeigt einen Mann mit einem großen eregierten Phallus, über den er ein Füllhorn ausgießt; vielleicht um ihn unermüdlich »im Glück bringen« zu machen. Ein dritter trägt aus seinem majestätisch aufgerichteten Phallus einen großen mit Früchten überladenen Korb: ein starker Phallus bringt immer reichen Segen.

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115. Priapsstatue. Groteske Bronze. Pompeji

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116. Das Glücksrad. Nach einem Steinschnitt

Aber das Groteske kennt keine Grenzen, und darum war ein weiterer Schritt überall dort unausbleiblich, wo man im Phallus die höchste Kraft und das stolzeste Symbol des Schöpferischen verehrte. Dieser Schritt war seine Vermenschlichung. Dadurch war der Phallus hinfort nicht mehr bloß Attribut, wenn auch das wichtigste, sondern Subjekt selbst, das ein Eigenleben für sich allein führt. Erst damit hatte sich die Phantasie ihren unbegrenzten Spielraum geschaffen, und die absonderlichsten und kühnsten Gebilde aus allen Zeiten – nicht nur aus der Antike, wie wir in späteren Abschnitten noch sehen werden – bezeugen, wie fruchtbar und unerschöpflich sie sich betätigte. Eine geradezu geniale Schöpfung in dieser Richtung ist die vatikanische Bronze, die in griechischen Lettern die stolze Inschrift »Der Erlöser der Welt« trägt. Auf starken Männerschultern reckt sich ein kecker Hahnenkopf, der sich zu einem Phallus statt zu einem Schnabel auswächst: das Symbol der geschlechtlichen Energie und der Kraft des Eros (Bild 103). Ein in Marmor ausgeführtes Seitenstück findet sich im Neapeler Museo nazionale. Eine ebenso große Beachtung verdient das in Nîmes aufgefundene Relief: Ein als Geier symbolisierter Phallus, der auf den geschlechtlichen Symbolen des Weibes in seinen verschiedenen Altersstufen – Mädchen, Jungfrau, Weib, Greisin – brütet. Der symbolische Sinn dieses Reliefs ist unseres Erachtens einfach und durchsichtig: kein Lebensalter des Weibes gibt es, über das nicht das männliche Prinzip triumphiert. Aber das reife Weib aber ist sein Triumph der größte, denn ihre Symbole umklammert er zugleich mit seinen Krallen, aus denen es kein Entrinnen gibt; das Triumphieren kennzeichnen in der alten Symbolik die Glöckchen, die dem Phallusadler um den Hals hängen (Bild 120). Die entgegengesetzte Auffassung symbolisiert anscheinend ein ebenfalls aus Nîmes stammendes und in Bild 119 wiedergegebenes Relief. Hier ist es das Weib, das als Herrscherin über die drei Altersstufen des Mannes charakterisiert ist. Sie inspiriert die Jugend, sie lenkt die wilde Kraft des reifen Mannes ganz nach ihrem Belieben und ihrer Laune, und sie macht das Alter von ihrem guten Willen abhängig. In dem ehemaligen Nemansus muß der Phalluskultus außerordentlich stark geblüht haben. Man traf bei den Ausgrabungen überall auf Phallusdarstellungen, besonders viele fanden sich an den Wänden des Amphitheaters, aber auch an profanen Gebäuden, und eine Reihe ist heute noch in dem zu einem Museum umgewandelten herrlichen antiken Tempel ( Maison carrée) aufbewahrt. Nach den phallischen Grotesken zu urteilen, eignen dem Gotte, den sie versinnbildlichen, alle Tugenden. Vor allem die Kraft des Löwen und die Schnelligkeit des Adlers, und darum triumphiert er stets. Mit der Schnelligkeit des Adlers fliegt er in das Reich der Venus und siegt mit der Kraft des Löwen, darum wurde er unter der Hand des Künstlers zum geflügelten Löwen (Bild 111). Mit Pfoten und Krallen ist er versehen, um anzudeuten, daß er zertritt, zerreißt, zerstört, Gewalt braucht. Alles ist aber vor allem zeugende Kraft an ihm, denn alles ist Phallus an ihm; dafür ist die in York in England gefundene Terrakottafigur ein interessanter Beleg (Bild 130). Die letzte Steigerung in dieser Richtung dürften die oben schon genannten, in den Tempeln aufgestellten Phallussäulen gewesen sein.

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117. Groteske Priapsstatue. Bronze. Original in Rom

Sinn, Zweck und Bedeutung dieser phallischen Grotesken sind mancherlei Art gewesen. In der Mehrzahl waren sie zweifellos religiösen Charakters. In hunderterlei Formen weihte man dem Gotte Priapus sein Abbild und groteske Darstellungen seines Attributes, um ihn in irgendwelcher Weise günstig zu stimmen. Religiös-mystisch war auch die Anwendung von phallischen Grotesken als Amulette. Die Zahl dieser Stücke und ihre Anwendung muß allem Anscheine nach ganz ungeheuer gewesen sein, denn gerade sie findet man heute noch überall, wo in ehemaligen griechischen und römischen Niederlassungen Ausgrabungen vorgenommen werden. Der Volksglaube schrieb ihnen geheimnisvolle Kräfte verschiedenster Art zu, Schutz gegen den bösen Blick, gegen bestimmte Krankheiten, Heilwirkung bei Krankheiten und vor allem Liebeswunder. Sie sollten imstande sein, die Potenz des Gatten zu steigern, und ihn zugleich mit unermüdlicher Liebeslust erfüllen. Sie galten auch als wirksam zur Hebung der Sterilität, wirksam zur Erleichterung des Gebärens usw. Es gibt Tongefäße, aus denen ein eregierter Phallus hervorragt, wahrscheinlich tranken sterile Frauen aus solchen, um schwanger zu werden. Auf Grund dieser Anschauung trugen jung und alt, Kinder, Jünglinge, Männer, Jungfrauen, Verheiratete und Greise offen vor den Blicken aller Welt diese phallischen Amulette. Ein Kenner schreibt: »In Ägypten, Griechenland und Italien trugen zahlreiche Frauen phallische Amulette ganz öffentlich, vornehmlich sterile Frauen, oder solche, die schwierig gebaren.« Man gab diesen Amuletten zu diesem Zwecke die Form von Zieraten; von solchen in der Form von Schmuck getragenen grotesken phallischen Darstellungen zeigt Bild 108 über zehn verschiedene Variationen.

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118. Phallische Tonlampe. In London ausgegraben

Neben diesen phallischen Grotesken religiös-mystischen Charakters gab es noch solche sozusagen rein weltlicher Art. Als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand. Das Priapszeichen wurde als figürlicher Schmuck nachweisbar an einer Menge von Gegenständen im Privatgebrauche verwendet. In grotesker Ausgestaltung vornehmlich als Leuchter und Lampen; diese Art Verwendung und Anwendung muß ebenfalls ganz außerordentlich stark gewesen sein. Das Museum in Neapel besitzt eine ganze Anzahl von Prachtexemplaren dieser Art, sowohl aus Bronze als auch aus Ton. Vorne aus der Öffnung ragte der Docht hervor, der Phallus selbst diente als Ölbehälter. Daß auch die phallischen Grotesken von Merkur häufig diesen Zwecken dienten, darauf ist schon hingewiesen worden (Bild 113). Die bekannten flachen antiken Tonlampen sind ebenfalls sehr häufig phallisch verziert; hier findet sich auch das weibliche Prinzip verwendet, und die Löckchen, die den Venusberg zieren, sind dann dekorativ als Henkel zum Halten verwendet (Bild 118). Außerdem hatte der Phallus auch instruierenden, wegweisenden Charakter, sozusagen als Firmenschild, wenn er nämlich in riesigsten Dimensionen über den Türeingängen der römischen Lupanare angebracht war. Jeder, der früher einmal das ausgegrabene Pompeji durchwandert hat, hat schon von ferne dieses eigenartige Firmenschild der klassischen Liebespriesterinnen in die Straße hinausragen sehen. Der einstige Besucher dieser Gassen brauchte demnach nicht zu fürchten, eine falsche Tür zu betreten, das Wahrzeichen war allzu sichtbar angebracht. Seit einigen Jahren sind diese Wahrzeichen entfernt und nach dem Museum in Neapel gebracht worden. Auch der Eintritt in die Lupanare, an deren Wände sich, wie oben schon beschrieben, eine ganze Anzahl erotischer Wandgemälde befindet, ist nur mehr noch mit besonderer Erlaubnis der italienischen Kultusverwaltung zu erlangen. Im Museum in Neapel befindet sich eine ganze Reihe riesiger Phallen teils aus Ton, teils aus Stein. Die große Mehrzahl aller dieser Stücke hat einst als äußerer Häuserschmuck gedient. So befindet sich dort ein riesiges Exemplar in der Form eines Tonreliefs, und darunter steht die ziemlich deutliche Unterschrift: Hane eco cacavi. Grotesken Phallusmotiven begegnet man ebenfalls sehr häufig auf Gemmen. Ein viel benütztes und endlos variiertes Motiv ist die Darstellung des Opfers vor Priap: Frauen bringen dem Priap Früchte dar und zünden ihm duftende Feuer an; Frauen umtanzen in lüsternen Posen eine Priapsstatue (Bild 16); junge Mädchen geben sich, verführt von dem überwältigenden Anblick, in allen möglichen Stellungen vor der Priapssäule dem Geliebten hin. Wieder andere erküren sich die Priapssäule selbst zum Geliebten und schenken ihm ihre Jungfräulichkeit. Sehr oft ist auch ein Priap allein mit den Attributen der Kraft in der Gestalt eines Herkules dargestellt. Ein ebenfalls sehr oft auf Gemmen vorkommendes Motiv ist die Darstellung des personifizierten Phallus. Er marschiert auf Hahnenfüßen (Bild 124), wird zum gefügigen Reittier Amors (Bild 123), oder flüstert einer aufmerksam horchenden Frau verführerische Dinge ins Ohr. Usw. usw. (Vergl. auch Bild 105, 106, 109, 110, 114 115, 121, 125, 127.)

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119. Phallisches Basrelief. In Nîmes, Südfrankreich, gefunden

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120. Basrelief. An der Außenwand des antiken Theaters in Nîmes (Südfrankreich) gefunden

Überschaut man diese unendlich reiche Fülle von Anwendungsformen und Anwendungsgelegenheiten des phallischen Motivs in grotesk-karikaturistischer Gestaltung und bedenkt dabei, daß selbst die züchtigsten Blicke bei tausend Gelegenheiten diesem Gegenstande begegnen mußten, indem er ihnen ständig unter die Augen trat, und daß ein Ausweichen einfach ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, so ergibt sich daraus der Schluß, daß die öffentliche Darstellung dieses Motivs in jenen Zeiten als etwas ganz Natürliches angesehen worden sein mußte. –

Ebenso wie die phallischen Grotesken sich ganz natürlich in den allgemeinen Kulturrahmen einfügen und nichts weniger als Extravaganzen darstellen, so auch die zahlreichen anderen erotischen Bilder und Karikaturen. Freilich, ganz denselben Schluß wie bei den phallischen Grotesken darf man hier nicht ziehen, sie verfolgten zweifellos zu einem nicht geringen Teile stimulierende Tendenzen. Der erotische Scherz ist, wie schon oben gesagt wurde, als vortreffliches Stimulansmittel voll von den Alten erkannt worden. Es war deshalb die stets und lustig klingende Note in dem wilden bacchantischen Taumel des skrupellosen Genießens. Die Potenz wurde zu diesem Zweck auf das groteskeste verherrlicht: ein kräftiger Wasserträger trägt seine schwere Last nicht mit den Armen, sondern mit dem mächtig und stolz aufgerichteten Phallus. Das Gegenteil der Potenz wurde natürlich auch nicht vergessen, es existiert eine ganze Reihe von karikaturistischen Verspottungen impotenter Männer in Ton, Bronze, auf Gemmen, Münzen, auf Vasen und auf Wandgemälden (Bild 9, 21, 104, 114).

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121. Satirische Gemme auf Alcibiades

Einer der häufigsten Gegenstände der erotischen Satire war der Spott auf die Götter, die pikante Darstellung der erotischen Sagen aus dem Heroenzeitalter. Den Beginn dieser Darstellungen darf man wohl aber erst in die Zeiten des beginnenden Niederganges verlegen. Als die alten Völker in dieses Stadium eingetreten waren, vergnügte man sich mit Wonne damit, die zahlreichen Götterliebschaften möglichst naturgetreu darzustellen. Wie sich Herkules wacker mit Iole und Hebe vergnügt und von der langweiligen Omphale erholt, wie Mars Frau Venus verführt, wie Jupiter der keuschen Kallysto, Fräulein Danae, Jungfer Europa, Alkmene und verschiedenen anderen Schönheiten des Olymps und der Erde galante Besuche abstattet (Bild 104) und seine göttlichen Kräfte offenbart – das stellte man in zahlreichen Variationen dar, und natürlich stets den entscheidenden Moment. Daß Merkur, der Götterbote, mit Vorliebe erotisch karikiert wurde, ist bereits mehrfach erwähnt worden (Bild 113). Im Hause Vettii in Pompeji wurde ein Wandgemälde aufgefunden, durch welches bewiesen wird, daß ein großer Phallus schwerer wiegt als ein Beutel voll Gold (Bild 107). Dieses Bild hat aber noch einen speziellen Sinn, es ist eine rühmende Karikatur auf Paris; – von dieser Eigenschaft hat sich die Königstochter Helena verführen lassen. Ein Mosaik aus Pompeji zeigt, wie Apoll als Satyr die Daphne vergewaltigt. Verschiedene Gemälde zeigen Pans lüsterne Neugierde bei den Nymphen. Solche Dinge fand man jetzt am interessantesten, denn gerade darin suchte man ja selbst so wacker als nur möglich nachzustreben. –

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122. Satirische Gemme auf Messalina

In diesem Nachstreben erreichte die antike Welt ebenfalls die Spitze. Keine Kultur nach ihr hat ihre erhabene Höhe wieder erreicht, keine hat aber auch diese taumelnde Höhe der Laster und der Sittenverwilderung je wieder erstiegen. Alles ging in der hellenistisch-römischen Kultur auf die höchste Spitze und in den tiefsten Abgrund hinab. Man muß daher immer wieder sagen: so unvollkommen unsere Vorstellung von dem Triumph der Schönheit in der antiken Welt ist, so unfähig sind wir, mit unseren Maßstäben von Gut und Böse, von Moral und Unmoral den Zusammensturz dieser Kultur in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit zu verstehen. Sinnengenuß ist das einzige Lebensprogramm, wahnsinniger Luxus die Folge. Petronius sagt über den Römer seiner Zeit:

Der Luxus machte morsch die Mauern Mars'.
In deinem Gaumen wird der Pfau begraben,
Der festlich prangt im bunten Federschmuck.
Numidiens Henne auch und der Kapaun,
Ja selbst der Storch, der stets willkommene Gast,
Baut ein verruchtes Nest im Küchenkessel!
Wozu die Edelsteine, Indias Perlentand?
Damit die reichgeschmückte Frau vom Stande
Auf fremdem Lager ihre Schenkel hebe.

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123-125. Groteske phallische Gemmen

Das Weib ist für den Mann nur noch ein Gefäß, um daraus sinnliche Wollust zu trinken, der Mann ist für die Frau nur Instrument des Genusses, nur Phallus, danach allein bewertet sie ihn. Die reiche Dame sucht sich auf dem Sklavenmarkte mit Kennermiene den Sklaven aus, der ihrem Begehren neue Abwechslung verspricht, und nicht selten winken einem solchen Sklaven Macht und Reichtum, wenn es sich nachher zeigte, daß ihn die Natur wirklich in besonderem Maße kräftig und unermüdlich gemacht hat. Dieses Bild des Niederganges, über das die Schönheit wie eine im Verlöschen qualmende Riesenfackel düster hinschwelte, hier im Detail aufzurollen, ist nicht möglich, aber es genügt auch, ihren allgemeinen Charakter kurz anzudeuten.

Dieser allgemeine Charakter bestand darin, daß der Genuß auf allen Gebieten zum Übergenuß geworden war, so daß man schließlich nur noch im Ungeheuerlichen eine Befriedigung der Sinne fand. Die Sinne aber zu befriedigen, und sei es auf die raffinierteste Art, war der einzige Lebenszweck, alles andere trat demgegenüber zurück, und darum galt sogar jedes Verbrechen, um zu diesem Ziele zu gelängen, als berechtigt. Des Weibes und der Tochter Schönheit waren kurante Handelsartikel, um zu Stellung und Einkommen zu gelangen, genauer: um die Mittel zu erlangen, ebenfalls allen Lastern frönen zu können. Bacchus und Ceres, die einst edlen Freunde, waren zu wüsten Kupplern geworden. Laszive Tänze peitschten bei den Schwelgereien die Sinne auf, und stete Trunkenheit zerbrach die letzte der Fesseln. Scham und Zurückhaltung wurden geradezu komische Begriffe. Selbst der Keuscheste mußte darum der schwülen Atmosphäre erliegen. Die Tatenlosigkeit, ewige Tafelfreuden voll raffiniertesten Gaumenkitzels, blutige Zirkusspiele, kurz, müheloses Genießen alles dessen, was die antike Welt zu bieten vermochte, verbreitete sich über das gesamte Leben. Umgeben von einem Troß von Dirnen und Lustknaben erfüllte sich das Dasein des vornehmen Römers, und die einst so stolze Römerin blieb darin nicht zurück. Livia galt noch als treu, weil sie dem Grundsatze huldigte: » De ne recevoir jamais un passager dans sa barque, qu'elle ne fût déjà remplie.« Mit anderen Worten: Livia gestattete ihren Liebhabern nur dann die letzte Gunst, wenn sie sich von ihrem Gatten schwanger wußte. Der mächtige Gastgeber huldigte offen und ohne Scheu den schönen Frauen seiner Gäste, und willig löste sich der Gürtel der Tunika der schönen Römerin, um seine verliebten Spiele nicht zu hindern. Der ergebene Hofmann fand es selbstverständlich, daß seine schöne Gemahlin sogar in seiner Gegenwart darin einwilligte, ihre Reize der Geilheit des kaiserlichen Herrn preiszugeben, und auch, daß sie ihm jederzeit willig von der Tafel ins Nebengemach folgte, um dort auf vorbereitetem Lager seinen raffiniertesten Launen sich würdig zu zeigen. Freilich, es war ja auch nicht weniger sein Ruhm, wenn der kaiserliche Herr bei der Rückkehr rühmend und eingehend der ganzen Gesellschaft die intimsten Reize seiner Gattin und ihre besonderen Delikatessen in den Kämpfen der Venus schilderte und pries. Um sich des Besuches des allmächtigen Gebieters würdig zu erweisen, führte man ihm die liebeskundige Gattin oder die noch jungfräuliche Tochter nackt entgegen, auf daß er sich an ihren Reizen nach Belieben ergötze (Bild 129). Als ein hoher Grad von Sittlichkeit galt es noch, daß Mäcenas bei einem Besuche des Augustus in dem Augenblick einschlief, in dem seine schöne Gattin sogar in seiner Gegenwart sich anschickte, dem zärtlichen Augustus die letzte Gunst zu gewähren (Bild 128). Die Reize der eigenen Mutter, Schwester oder Tochter wurden im Genußkodex des Wüstlings immer eifriger begehrt, und dieses naturwidrige Begehren fand auch immer willigere Gewährung. Für eine einzige raffinierte Kaprize hatte man jederzeit ungezählte Summen bereit, für das Gemeinwohl dagegen keine Sesterze mehr übrig. Jeder Tag war schließlich nur eine neue Gelegenheit, die Zahl der begangenen Ausschweifungen zu mehren …

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126. Messalina schmückt sich zum Besuche des Bordells der Licisca. Satirische Gemme

Das ist die fortschreitende Tendenz der niedergehenden antiken Welt bis zu ihrem völligen Zusammenbruch und der Ablösung durch die neue von der Masse getragenen Kultur des Christentums. Hier mag eingeschaltet sein, daß dieser allgemeine Sinnentaumel freilich nur deshalb sich über ganze Generationen erstrecken konnte, weil, wie neuere Forschungen ergaben, das Altertum die Syphilis nicht kannte.

 

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War die Gesamtkultur der antiken Welt auch in unaufhaltsamem Niedergange begriffen, so bargen sich in ihrem Schoße doch schon die regenerierenden Kräfte. Es wäre darum durchaus falsch, wollte man glauben, daß die große anklägerische Satire keine würdige Note in der Karikatur gefunden hätte. Ihre literarischen Taten sind weltberühmt und längst zu unschätzbaren Dokumenten der Sittengeschichte erhoben worden; man erinnere sich nur der sechsten Satire Juvenals, der Frauenherrschaft Juvenals usw. Auch manche Taten, die der satirische Geist strafend mit Pinsel, Ton und Grabstichel geschaffen hat, verdienen wenn nicht die gleiche Berühmtheit, so doch die größte Beachtung. Gewiß wäre es vermessen, zu sagen, ihre anklägerische Wucht reiche an das heran, was ein Juvenal mit dem Schreibstifte geschaffen hat. Aber es ist nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß sie zu der literarischen Satire der Zeit ein überaus bedeutsames Ergänzungsstück bieten.

Welcher Deutlichkeit man sich gemeinhin befleißigte, und daß man mit großer Vorliebe alles aufs erotische Gebiet hinüberspielte, dafür findet man ein bezeichnendes Beispiel in einem erotischen satirischen Wandgemälde, das in Pompeji aufgefunden wurde und die Niederlage Mark Antons in der Schlacht bei Aktium zum Gegenstande hat. Das ungefähr einen Quadratmeter umfassende Gemälde zeigt den päderastischen Angriff eines Esels auf einen Löwen: Esel Oktavian Augustus päderastiert den Löwen Markus Antonius. Der Esel wird für den Erfolg seines Bemühens von Athene mit einem Lorbeerkranze geschmückt (Bild 112).

Wenn die Satire in der Form der Wandmalerei eher häufig als selten ist, so konnte sie auf diese Weise gleichwohl verhältnismäßig nur wenigen zu Gesicht kommen, und ihre Bedeutung wird darum doch untergeordneter Natur gewesen sein. Eine viel größere Rolle konnte und mußte die Verwendung der Spottmünze und der Gemme zur Verbreitung erotischer satirischer Darstellungen spielen. Denn nur auf diesem Wege konnte damals eine Darstellung in Hunderten von Exemplaren in Kurs kommen, und jede einzelne wiederum leicht von Land zu Land wandern. Von beiden Formen, der Spottmünze sowohl als auch von der Gemme und besonders von der letzteren, haben sich zahlreiche Stücke erhalten. Und es zeigt sich, daß hier alle Motive, gesellschaftliche und politische, ausgebeutet wurden. Alles, was die dichterisch veranlagten Satiriker in Worten aussprachen, wurde auch kühn und keck in Stein geschnitten. Von der Unersättlichkeit der Frauen in der Liebe spottet das Glücksrad. Mit gierigen Händen greifen sie nach der Liebe wie nach verlockenden Früchten, und da es bei jeder vieler Männer bedarf, ihren Liebeshunger zu stillen, so ist Amor immer dabei, das Glücksrad zu drehen (Bild 116). Über den Liebeshunger der vornehmen Damen spotten die Bilder, die ihre heimlichen Besuche bei Priap verraten, über ihre perversen Begierden jene, die die zärtlichen Liebkosungen zeigen, die sie der mit der stolzesten Zierde versehenen Priapssäule zuteil werden lassen. Wieder andere behandeln das Abwechslungsbedürfnis der Frauen, ihre Untreue usw. Von den Männern erzählten die Steinschneider ähnliche Sünden: ihren Verkehr mit Jünglingen und Lustknaben, ihre Verführungen keuscher Bräute, Vergewaltigungen von Mädchen, die noch kaum dem Kindesalter entwachsen sind, Orgien, die sie bei Gelagen oder bei Hetären feiern, sodomitischen Verkehr mit Tieren usw. Kurz, eben alles, was auf der langen Sündenliste der Zeit stand.

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127. Phallus als Wolf. Groteske phallische Bronze. Pompeji

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128. Augustus umarmt die Gattin des sich schlafend stellenden Mäcenas. Satirische Gemme

Am offenkundigsten ist der ernst-satirische Charakter in den politischen erotischen Karikaturen auf Gemmen. Auch hier gilt, daß alles, was der satirische Dichter den Großen zum Vorwurf machte oder was der Straßenwitz ihnen nachrief, auch der Steinschneider auf den Markt brachte. Hier ist auch zu erwähnen, daß eine Reihe derartiger Steinschnitte aus den Händen der berühmtesten griechischen Steinschneider der Zeit stammte.

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129. Otho führt Nero seine Gattin Poppaea nackt entgegen. Satirische Gemme

Von Alcibiades wurde gehöhnt, daß er der flatterhafteste Liebhaber seiner Zeit sei und, gleichwie später Cäsar, der Mann aller Frauen. Der Satiriker stellt ihn darum einfach als einen wandelnden Phallus dar, der von einem Schmetterling – der Liebe der Frauen – umgaukelt ist (Bild 121). Von Cäsars Ausschweifungen erzählen zahlreiche Steine. Für das Witzwort: er sei der Gatte aller vornehmen Römerinnen und die Gattin aller seiner Freunde gibt es einen viele Nummern umfassenden Kommentar: Der junge Cäsar am Hofe des Nikodemus, Cäsar und Kleopatra, Cäsar im Verkehr mit seinem Onkel Augustus, Cäsar mit Mucia, der Gattin des Pompejus, Cäsar und Postumia, Cäsar und Tertulla, die Gattin des Markus Crassus – das sind nur einige wenige den Inhalt der aufgefundenen Stücke kennzeichnende Titel. Von des Kaisers Augustus Ausschweifungen, von denen Mark Antons, von denen des schrecklichen Tiberius erzählen ebenso viele erotische satirische Steine: Augustus und Livia, Augustus mit der Gattin des Mäcenas, Augustus mit seiner Tochter Julia, Mark Anton mit Kleopatra, Mark Anton als Herkules mit der Buhlerin Cytheris, Tiberius mit seinen Lustknaben, Tiberius und Mollonia, Tiberius mit Kindern im Bade – auch das sind nur einige wenige den Inhalt der Stücke kennzeichnende Titel. And so könnte man noch lange fortfahren, denn keiner fehlt: Nero nicht, Caligula nicht, Otho nicht, Titus nicht, Vitellius nicht – keiner. Aber auch die berühmten Gattinnen fehlen nicht: die Steinschneider erzählen wie Pompeja, Cäsars Gattin, ihrem buhlerischen Gemahle Catos Schwester, die brünstige Servilia, zuführt, wie Livia ihrem Gemahl Augustus denselben Kupplerdienst mit zwei schönen Jungfrauen tut, und wie sie sich beide ihrerseits mit jungen Römern schadlos zu halten wissen. Der umfangreichste satirische Kommentar ist unter den Frauen der berüchtigten Messalina gewidmet worden. Was Juvenal in seiner berühmten sechsten Satire von dieser »Kaiserin-Metze« sagt, alles das haben auch die Steinschneider dargestellt. Und es ist sehr treffend, wenn der satirische Stift Messalinas Unersättlichkeit in der Wollust derart charakterisiert, daß er sie als Schnecke zeichnet, die nach der Wissenschaft beide Geschlechter in sich vereinigt, und wenn diese Schnecke außerdem von sieben phallischen Symbolen angegriffen wird (Bild 122). Eine andere Gemme zeigt, wie Messalina sich für den Besuch des Lupanar schmücken läßt (Bild 126), wo sie in der Kammer Liciscas jedem zu Willen ist, dem raffinierten Wollüstling und noch lieber dem brutalen aber stämmigen Wasserträger. Eine dritte Gemme zeigt, wie Messalina dem gnädigen Gotte Priapus, den sie um Beistand angefleht hatte, zum Danke – vierzehn Kränze weiht; denn nicht weniger als vierzehn Männer haben in der verflossenen Nacht ihre Zelle betreten und ihre Wollust an ihr gestillt …

Was wir bis jetzt genannt oder beschrieben haben, ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was von den bis jetzt zutage geförderten satirischen Dokumenten schon heute richtig gedeutet ist. Wie endlos dieser satirische Reigen gewesen sein muß, läßt sich daraus ermessen, daß noch lange nicht alles richtig gedeutet ist, und daß andererseits das, was zutage gefördert ist, sicher nur ein kleiner Bruchteil von dem ist, was damals an solchen Dokumenten geschaffen wurde. Man mag vielleicht einwenden, daß viele dieser Darstellungen rein aus Behagen am Stofflichen, an der Skandalsucht oder auch aus nachkläffender Rache entstanden sind. Das mag zweifellos in vielen Fällen stimmen, aber bei einem großen Teil ist der anklagende Charakter doch deutlich zu erkennen.

 

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Die Sittengeschichtschreibung hat in Hunderten von Schilderungen Kraft, Größe, Höhenflug und Niedergang des antiken Lebens plastisch vor unseren Sinnen wieder aufzubauen unternommen. Dieses Bild aber wird erst an dem Tag annähernd vollständig sein, an dem der große Reichtum an erotischen Kunstwerken, den die antike Welt in jeder ihrer Epochen aufweist, rückhaltlos diesem nachschaffenden Bild eingefügt ist. Dazu bedarf es freilich eines gestaltungskräftigen Bearbeiters mit gesunden Sinnen und tapferem Wagemut; denn mit »einerseits und andererseits« wurden noch niemals Kulturtaten vollbracht.

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130. Geflügelter Löwe. In York (England) ausgegraben


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