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Noch immer bedauern wohlmeinende Männer, daß große Schäden ihrer alten Kirche zu so großem Abfall geführt haben, auch der aufgeklärte Katholik sieht in Luther und Zwingli noch die eifrigen Ketzer, deren Zorn ein Schisma verschuldete. Möge solche Ansicht in Deutschland schwinden. Alle Confessionen haben Ursache, auf Luther zurückzuführen, was heut in ihrem Glauben innig, seelenvoll und segensreich für ihr Leben ist. Der Ketzer von Wittenberg ist Reformator der deutschen Katholiken gerade so sehr wie der Protestanten. Nicht nur deshalb, weil im Kampf gegen ihn auch die Lehrer der katholischen Kirche aus der alten Scholastik herauswuchsen und mit neuen Waffen, welche sie seiner Sprache, Bildung, sittlichen Tüchtigkeit entnommen hatten, für ihre Sacramente kämpften; auch nicht nur deshalb, weil er in der That die Kirche des Mittelalters in Trümmer schlug und Ursache wurde, daß seine Gegner zu Trient scheinbar ganz in den alten Formen und Maßen ein festeres Gebäude aufführten; sondern noch mehr deshalb, weil er dem gemeinsamen Grunde aller deutschen Bekenntnisse, unserer tapfern, frommen, ehrlichen Innerlichkeit so gewaltigen Ausdruck gegeben hat, daß in Lehre und Sprache, in bürgerlicher Ordnung und Sittlichkeit, in den gemüthlichen Neigungen des Volkes, in Wissenschaft und Dichtkunst sehr viel von seinem Wesen übrig geblieben ist, woran wir alle noch jetzt Theil haben. Was der trotzige Streitkopf Luther's gegen Reformirte und Katholiken verfocht, davon ist Einzelnes durch die freie Erkenntniß der Gegenwart verurtheilt worden. Seine Lehre, eine leidenschaftliche, hochgespannte, in erschütternden Kämpfen einer ehrfurchtsvollen Seele abgerungene Lehre, traf in einigen wichtigen Punkten nicht das Rechte, zuweilen war er gegen seine Gegner herb, ungerecht, ja grausam; aber dergleichen soll keinen Deutschen mehr irren, denn alle Beschränktheiten seiner Natur und Bildung verschwinden gegen die Fülle von Segen, welcher aus seinem großen Herzen in das Leben seiner Nation eingeströmt ist.
Aber er hätte doch nicht abfallen sollen, seine That hat Deutschland in zwei Heerlager getheilt, unter wechselndem Schlachtgeschrei tobt der alte Streit bis in unsere Tage. Die so meinen, mögen mit gleichem Recht behaupten, daß jener heilige, geheimnißvolle Abfall vom Judenthum nicht nöthig gewesen sei; warum besserten die Apostel nicht das ehrwürdige Hohepriesterthum von Zion? Sie mögen behaupten, daß der Engländer Hampden besser gethan hätte, das Schiffsgeld zu zahlen und die Stuarte friedlich zu belehren, daß Oranien frevelte, als er nicht wie Egmont Kopf und Degen in Alba's Hände legte, daß Washington ein Verräther war, weil er sich und sein Heer nicht den Engländern überlieferte, sie mögen jedes große Neue in Lehre und Leben, das je im Kampfe gegen Altes hervorgebrochen, als eine Missethat verdammen.
Wenig Sterblichen ward eine gleich große Wirkung auf Zeitgenossen und Nachwelt vergönnt. Aber wie jedes große Menschenleben macht auch das Leben Luther's den Eindruck einer erschütternden Tragödie, sobald man die Hauptmomente desselben zusammendrängt. Dreigetheilt erscheint es uns, wie die Laufbahn aller geschichtlichen Helden, denen das Schicksal ward, sich auszuleben. Im Anfange bildet sich die Persönlichkeit des Mannes, mächtig beherrscht von dem Zwange der umgebenden Welt. Auch unvereinbare Gegensätze sucht sie zu verarbeiten, aber in dem Innersten der Menschennatur erhärten sich allmählich Gedanken und Überzeugungen zum Willen, eine That bricht hervor, der Eine tritt in den Kampf mit der Welt. Darauf folgt eine andere Zeit kräftiger Action, schneller Fortbildung, großer Siege. Immer größer wird die Einwirkung des Einen auf die Vielen, mächtig zieht er die ganze Nation in seine Bahnen, er wird ihr Held, ihr Vorbild, die Lebenskraft von Millionen erscheint zusammengefaßt in einen Mann.
Aber solche Herrschaft einer einzelnen geschlossenen Persönlichkeit erträgt der Geist der Nation nicht lange. Wie stark eine Kraft, wie groß die Zielpunkte seien, Leben, Kraft und Bedürfnisse der Nation sind vielseitiger. Der ewige Gegensatz zwischen Mann und Volk wird sichtbar, auch die Seele des Volkes ist endlich und vor dem Ewigen eine Persönlichkeit, aber dem Einzelnen gegenüber erscheint sie schrankenlos. Den Mann zwingt die logische Consequenz seiner Gedanken und Handlungen, alle Geister seiner eigenen Thaten zwingen ihn in eine fest eingehegte Bahn, die Seele des Volkes bedarf zu ihrem Leben unvereinbare Gegensätze, ein unablässiges Arbeiten nach den verschiedensten Richtungen. Vieles, was der Einzelne nicht in seinem Wesen aufzunehmen vermochte, erhebt sich zum Streit gegen ihn. Die Reaction der Welt beginnt. Zuerst schwach von mehreren Seiten, in verschiedener Tendenz, mit geringer Berechtigung, dann immer stärker, immer siegreicher. Zuletzt beschränkt sich der geistige Inhalt des einzelnen Lebens in seiner Schule, es krystallisirt zu einem einzelnen Bildungselement des Volkes. Immer ist der letzte Theil eines großen Lebens erfüllt mit einer heimlichen Resignation, mit Bitterkeit und stillem Leiden.
So auch bei Luther. Von diesen Perioden aber reichte die erste bis zu dem Tage, an welchem er die Theses anschlug, die zweite bis zur Rückkehr von der Wartburg, die dritte bis zu seinem Tode und zum Beginne des schmalkaldischen Krieges. Es ist hier nicht die Absicht, sein ganzes Leben zu beschreiben, nur wie er wurde und was er uns war, soll kurz gesagt werden. Manches an ihm erscheint fremd und unhold, so lange man ihn aus der Ferne betrachtet, aber dieses Menschenbild hat die merkwürdige Eigenschaft, immer größer und liebenswerther zu werden, je näher man herantritt. Und es würde auch einen guten Biographen mit Bewunderung, Rührung und einiger guten Laune erfüllen vom Anfang bis zum Ende.
Aus dem großen Quell aller Volkskraft, aus dem freien Bauernstande kam Luther herauf. Sein Vater zog von Möhra, einem Waldort des thüringischen Gebirges, wo seine Sippe die halbe Umgegend füllte Paene regionem occupant. Brief Luther's an Spalatin vom 14. März 1521., zu Bergmannsarbeit nordwärts in das Mansfeldische.
Der Vater war von kurz gedrungener Kraft, fest im Entschluß, begabt mit einem ungewöhnlichen Maß klugen Menschenverstandes, und arbeitete sich nach hartem Kampfe zu einiger Wohlhabenheit durch. In seinem Hause hielt er strenge Zucht, noch in späten Jahren dachte Luther mit Wehmuth an die harten Strafen, die er als Knabe erlitten, und an den Schmerz, den sie seinem weichen Kinderherzen gemacht. Der alte Hans Luther hatte doch bis zu seinem Tode im Jahre 1530 Einfluß auf das Leben des Sohnes. Als sein Martin mit 22 Jahren heimlich in das Kloster gegangen war, zürnte er heftig, er hatte damals schon daran gedacht, den Sohn durch gute Heirat zu versorgen. Und als es endlich Freunden gelang, den empörten Vater zur Versöhnung zu bringen, als er dem flehenden Sohne wieder gegenüber trat und dieser gestand, daß eine furchtbare Erscheinung ihn zum stillen Gelübde des Klosters getrieben hatte, warf ihm der Vater die bekümmerten Worte entgegen: »Gott gebe, daß es nicht ein Betrug und teuflisch Gespenst war.« Und noch mehr erschütterte er das Herz des Mönches durch die zürnende Frage: »Du glaubtest einem Gebot Gottes zu gehorchen, als du in das Kloster gingst, hast du nicht auch gehört, daß man den Eltern gehorsam sein soll?« Tief stach dies Wort in den Sohn. Und als er viele Jahre darauf auf der Wartburg saß, aus der Kirche gestoßen, vom Kaiser geächtet, da schrieb er an seinen Vater die rührenden Worte: »Willst du mich noch aus der Möncherei reißen? Du bist noch mein Vater, ich noch dein Sohn, auf deiner Seite steht göttliches Gebot und Gewalt, auf meiner Seite steht menschlicher Frevel. Und sieh, damit du dich vor Gott nicht rühmst, ist er dir zuvorgekommen, er selbst hat mich herausgenommen.« Von da ab war dem Alten, als wäre ihm sein Sohn wieder geschenkt. Der alte Hans hatte einst seine Rechnung auf einen Enkel gemacht, für den er arbeiten wollte; auf den Gedanken kam er starrköpfig zurück, unbekümmert um die übrige Welt. Und bald mahnte er den Sohn eifrig zur Ehe, und es war nicht am wenigsten sein Zureden, dem Luther nachgab. Und als der Vater hoch an Jahren, zuletzt Rathsherr von Mansfeld, in den letzten Zügen lag, und der Geistliche sich über ihn neigte und den Scheidenden frug, ob er auch sterben wolle im gereinigten Glauben an Christum und das heilige Evangelium, da raffte der alte Hans sich noch einmal kräftig zusammen und sprach kurzab: »Ein Schelm Der Ausdruck war »Lauer«., der nicht dran glaubt.« Wenn Luther später dies erzählte, setzte er bewundernd hinzu: »Ja, das war ein Mann aus der alten Zeit.« Der Sohn aber erhielt die Nachricht vom Tode des Vaters auf der Veste Koburg. Als er den Brief ansah, dem seine Frau das Bild seiner jüngsten Tochter Magdalena beigelegt hatte, sagte er seinem Gefährten nur die Worte: »Wohlan, mein Vater ist auch tot,« stand auf, ergriff seinen Psalter, ging in seine Kammer, betete und weinte so sehr, daß ihm, wie der treue Veit Dietrich schrieb, der Kopf am andern Tage ungeschickt war, und kam mit gefaßter Seele wieder hervor. Und an demselben Tage schrieb er in tiefer Rührung an Melanchthon von der herzlichen Liebe des Vaters und von dem innigen Verkehr mit ihm. »Nie habe ich den Tod so sehr verachtet als heut; so oft sterben wir, bevor wir einmal sterben. Jetzt bin ich Senior in meinem Geschlecht, und ich habe das Recht ihm nachzufolgen.«
Von solchem Vater bekam der Sohn für das Leben mit, was Grundzug seines Wesens geblieben ist, die Wahrhaftigkeit, den beharrlichen Willen, treuherziges Zutrauen und doch umsichtige Behandlung der Menschen und Geschäfte. Rauh war sein Kinderleben, viel Herbes hat er in der lateinischen Schule und als Chorsänger erfahren, aber auch Wohlwollen und Liebe, und ihm blieb, was in den kleinen Kreisen des Lebens leichter bewahrt wird, ein Herz voll Glauben an die Güte menschlicher Natur und voll Ehrfurcht vor allem Großen dieser Erde. Auf der Universität Erfurt vermochte der Vater ihn schon reichlicher zu unterstützen, er fühlte sich in Jugendkraft und war ein fröhlicher Kamerad bei Saitenspiel und Gesang. Von seinem innern Leben in jener Zeit wissen wir wenig, nur daß der Tod ihm nahe trat, und daß er bei einem Gewitter mit »erschrecklicher Erscheinung vom Himmel gerufen wurde«. In Angst des Todes gelobte er in ein Kloster zu gehen, schnell und verstohlen führte er seinen Entschluß aus.
Von da beginnen unsere Nachrichten über seinen Seelenzustand. Zerfallen mit seinem Vater, voll Schrecken vor einer unverständlichen Ewigkeit, gescheucht durch den Zorn Gottes, begann er in krampfhafter Anstrengung ein Leben der Entsagung, der Devotion und Buße. Er fand keinen Frieden. Alle höchsten Fragen des Lebens stürmten mit einer furchtbaren Gewalt auf seine haltlose abgeschiedene Seele. Merkwürdig stark und leidenschaftlich war bei ihm das Bedürfniß, sich im Einklang zu fühlen mit Gott und der Welt, der Glaube gab ihm nur Unverständliches, Bitteres und Abstoßendes. Seiner Natur waren die Räthsel der sittlichen Weltordnung am wichtigsten. Daß der Gute geplagt, der Böse glücklich sei, daß Gott das Menschengeschlecht verdammte mit dem ungeheuren Fluch der Sünde, weil ein unerfahrenes Weib in einen Apfel gebissen, und daß wieder derselbe Gott unsre Sünden mit Liebe, Nachsicht und Geduld trage; daß Christus einmal ehrbare Leute mit Härte von sich wies, ein ander Mal Huren, Zöllner, Mörder annahm, – »menschliche Vernunft mit ihrer Weisheit wird darüber zur Närrin.« Dann klagte er wohl seinem Gewissensrath Staupitz: »Lieber Herr Doctor, unser Herrgott geht ja so gräulich mit den Leuten um, wer kann ihm dienen, wenn er so um sich schlägt«; aber wenn ihm die Antwort ward: »Wie könnte er sonst die harten Köpfe dämpfen?« so konnte dies verständige Argument den Jüngling nicht trösten. In dem heißen Drange, den unverständlichen Gott zu finden, prüfte er selbstquälerisch alle seine Gedanken und Träume. Jeder irdische Gedanke, alle Wallungen des Jugendblutes wurden ihm ein abscheuliches Unrecht, er fing an über sich selbst zu verzweifeln, rang in endlosem Gebete, fastete, kasteite sich. Einmal mußten die Brüder seine Zelle aufbrechen, in der er tagelang in einem Zustand gelegen hatte, der von Wahnsinn nicht weit entfernt war. Mit warmer Theilnahme sah Staupitz aus solche erschütternde Qualen und suchte ihn wohl durch derben Trost zur Ruhe zu bringen. Einmal als ihm Luther geschrieben hatte: »O meine Sünde, Sünde, Sünde!« gab der Gewissensrath zur Antwort: »Du willst ohne Sünde sein, und hast doch keine rechte Sünde. Christus ist die Vergebung rechtschaffener Sünden, als: die Eltern ermorden u. s. w. Soll dir Christus helfen, so mußt du ein Register haben, worin die rechtschaffenen Sünden stehen, und mußt ihm nicht mit solchem Trödelwerk und Puppensünden kommen und aus jedem Bombart »Junker Bombart« crepitus ventris. eine Sünde machen.«
Es wurde entscheidend für das ganze Leben Luther's, wie er sich allmählich aus solcher Verzweiflung erhob. Der Gott, welchem er diente, war damals ein Gott des Schreckens, sein Zorn war nur zu stillen durch die Gnadenmittel, welche die alte Kirche angab, zunächst durch fortwährende Beichte, für welche es endlose Vorschriften und Formeln gab, welche dem Gemüth leer und frostig schienen. Durch vorgeschriebene Thätigkeit und die Übung der sogenannten guten Werke war dem Jüngling nicht das Gefühl wirklicher Versöhnung und innerer Friede gekommen. Da endlich traf ihn ein Wort seines geistlichen Rathgebers wie ein Pfeil. »Nur das ist wahre Buße, die mit der Liebe zu Gott anfängt. Liebe zu Gott und innere Erhebung ist nicht die Folge der Gnadenmittel, welche die Kirche lehrt, sie muß ihnen vorausgehen.« Diese Lehre aus Tauler's Schule wurde dem Jüngling die Grundlage für ein neues gemüthliches und sittliches Verhältniß zu Gott. Sie war ihm ein heiliger Fund. Die Umwandlung des eigenen Gemüths war die Hauptsache. Dafür hatte er zu arbeiten, aus dem Innern jedes Menschenherzens mußte Reue, Buße, Versöhnung kommen. Er selbst, jeder Mensch konnte sich allein zu Gott erheben. Erst jetzt ahnte er, was freies Gebet sei. An die Stelle der entfernten göttlichen Macht, die er bis dahin in hundert Formeln und kindischem Beichten vergebens gesucht hatte, trat ihm jetzt das Bild eines allliebenden Schützers, zu dem er selbst jede Stunde freudig und in Thränen sprechen konnte, dem er alles Leid, jeden Zweifel klagen durfte, der einen unablässigen Antheil an ihm nahm, für ihn sorgte, seine herzlichen Bitten gewährte oder abschlug, er selbst herzlich wie ein guter Vater. So lernte er beten, und wie feurig wurde sein Gebet! Jetzt lebte er in der Stille mit seinem lieben Gott zusammen, den er endlich gefunden hatte, täglich, stündlich; der Verkehr mit dem Höchsten wurde ihm vertrauter als mit den liebsten Wesen dieser Erde. Wenn er seine ganze Seele vor ihm hingegossen hatte, dann kam ihm Ruhe und ein heiliger Frieden, ein Gefühl von unaussprechlicher Lieblichkeit, er empfand sich als einen Theil Gottes. Und dies Verhältniß blieb ihm von da ab sein ganzes Leben lang. Jetzt bedurfte er nicht mehr die weiten Außenpfade der alten Kirche, er konnte mit seinem Gott im Herzen der ganzen Welt trotzen. Schon wagte er zu glauben, jene lehrten falsch, die so großes Gewicht auf die Werke der Buße legten, daß außer diesen nur eine kalte Genugthuung und eine umständliche Beichte übrig blieb Brief an Staupitz vom 30. Mai 1518, und mehrere Stellen der Tischreden.. Und als er später durch Melanchthon erfuhr, daß das griechische Schriftwort für Pönitenz: »Metanoia« schon sprachlich die Umwandlung des Gemüths bedeute, erschien ihm das als eine wundervolle Offenbarung. Auf diesem Grunde wurzelt die gläubige Sicherheit, mit welcher er die Worte der Schrift den Vorschriften der Kirche gegenüberstellt.
Auf solchem Wege arbeitete sich Luther im Kloster allmählich zu innerer Freiheit durch. Seine ganze spätere Lehre, der Kampf gegen den Ablaß, seine unerschütterliche Festigkeit, seine Methode der Schrifterklärung beruhen auf dem innern Prozeß, durch den er als Mönch seinen Gott gefunden hat. Und man darf wohl sagen, mit Luther's Klostergebeten begann die neue Zeit der deutschen Geschichte. Bald sollte ihn das Leben unter seinen Hammer nehmen, das reine Metall seiner Seele zu härten.
Ungern nahm Luther 1508 die Professur der Dialektik an der neuen Universität zu Wittenberg an, er hätte lieber die Theologie gelehrt, die er schon damals für die wahre hielt. Es ist bekannt, daß er 1510 in Ordensgeschäften nach Rom ging, wie devot und fromm er in der heiligen Stadt verweilte und welches Entsetzen ihm das heidnische Wesen der Romanen, die Sittenverderbniß und Verweltlichung der Geistlichen einflößte. Dort war es, wo dem Messelesenden die Andacht durch ruchlose Scherze gestört wurde, die ihm seine römischen Ordensbrüder zuriefen. Er hat die teuflischen Worte nicht vergessen, so lange er lebte Sie sind durch seine Tischgenossen lateinisch überliefert: cite, remitte matri filiolum, und lauteten im Italienischen etwa: rispedisci'l figliuolo alla madre.. Aber wie tief ihn das Verderben der Hierarchie erschütterte, sie umschloß doch auch sein ganzes Hoffen, außer ihr gab es keinen Gott und keine Seligkeit. Die erhabene Idee der katholischen Kirche und ihre fünfzehnhundertjährigen Siege fesselten den Sinn auch der Stärksten. Und als er im römischen Priesterkleide mit Lebensgefahr die Trümmer des alten Roms betrachtete und erstaunt vor den riesigen Säulen der Tempel stand, welche der Sage nach einst die Gothen zerbrochen hatten, da ahnte der streitbare Mann aus den Bergen der alten Hermunduren noch wenig, daß sein eigenes Schicksal sein werde, die Tempel des mittelalterlichen Roms zu zerschlagen, gründlicher, grimmiger, großartiger, als in der Vorzeit die Vettern seiner Ahnen gethan » Fecit (Lutherus) et hic mentionem ritus Romae, quam per 4 hebdomadas in summe periculo perlustrasset, et in illo loco, ubi esset: das alt Rom, optima aedificia a Gothis devastata esse«. – Familiaria colloquia r. viri D. D. Mar. Lutheri. Pap. Handschr. des XVI. Jahrh. in 8º, Bl. 80 b in Hirzel's Bibliothek zu Leipzig.. Noch kam Luther aus Rom zurück als getreuer Sohn der großen Mutter, alles Ketzerwesen, z. B. der Böhmen, war ihm verhaßt. Warmen Antheil nahm er nach seiner Heimkehr an dem Streit Reuchlin's gegen die Cölner Ketzerrichter, und um 1512 Brief an Spalatin ohne Datum (de Wette I. 3). Der Brief ist schwerlich vor dem Erscheinen der Cölner Articuli de judaico favore geschrieben, vielleicht erst im folgenden Jahre. steht er auf Seite der Humanisten. Aber schon damals empfand er, daß ihn ein Etwas von dieser Bildung trenne. Als er einige Jahre später in Gotha war, besuchte er den würdigen Mutianus Rufus nicht, obgleich er ihm einen sehr artigen Entschuldigungsbrief schrieb. Und bald darauf verletzte ihn in den Dialogen des Erasmus die innere Kälte und der weltliche Ton, in welchem die theologischen Sünder bespottet wurden. Die profane Weltlichkeit der Humanisten wurde der glaubensfrohen Seele Luther's nie recht heimlich, und der Stolz, mit dem er später in einem Briefe, der versöhnlich sein sollte, den empfindlichen Erasmus verletzte, lag wohl schon damals in seiner Seele. Auch die Formen der literarischen Bescheidenheit Luther's machen in dieser Zeit den Eindruck, daß sie durch den Zwang christlicher Demuth einem festen Gemüth abgerungen wird.
Denn in seinem Glauben fühlte er sich sicher und groß; schon 1516 schrieb er an Spalatin, der die Verbindung zwischen ihm und dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen darstellte: der Kurfürst sei in Dingen dieser Welt der allerklügste Mann, aber wo es sich um Gott und das Seelenheil handle, sei er mit siebenfacher Blindheit geschlagen.
Und Luther hatte Grund zu dieser Äußerung, denn der hausväterliche Sinn dieses maßvollen Fürsten erwies sich auch dadurch, daß er die Gnadenmittel der Kirche mit kluger Sorgfalt einzuheimsen bemüht war. Unter Anderem hatte er besondere Liebhaberei für Reliquien, und gerade damals war Staupitz, Vicar der Augustiner-Eremiten von Sachsen, am Rhein und anderswo thätig, dem Kurfürsten Reliquienschätze zusammenzubringen. Für Luther wurde diese Abwesenheit seines Vorgesetzten wichtig, denn er hatte seine Stelle zu vertreten. Er wurde ein mächtiger Mann in seinem Orden; obgleich Professor – seit 1512 der Theologie – wohnte er doch in seinem Kloster zu Wittenberg und trug in der Regel seine Mönchskutte. Jetzt visitirte er in den dreißig Klöstern seiner Congregation, setzte Priore ab, erließ strengen Tadel gegen schlechte Disciplin, und mahnte zur Strenge gegen gefallene Mönche. Von der gläubigen Einfalt des Klosterbruders war ihm aber noch etwas geblieben.
Denn in solchem Sinne schrieb er am 31. October 1517, als er die Theses gegen Tetzel an der Kirchenthür angeheftet hatte, vertrauend und mit deutscher Ehrlichkeit an den Protektor des Ablaßkrämers, den Erzbischof Albrecht von Mainz. Voll von dem guten Volksglauben an den Verstand und guten Willen der höchsten Regenten, meinte Luther, – er hat es später oft gesagt, – es komme nur darauf an, daß man den Fürsten der Kirche aufrichtig den Nachtheil und die Unsittlichkeit solcher Mißbräuche vorstelle Zu vergleichen ist die schöne Stelle aus den Tischreden: »Hätte ich in der Erste, da ich anfing zu schreiben, gewußt, was ich jetzt erfahren habe, so wäre ich nimmermehr so kühn gewesen, den Papst und schier alle Menschen anzugreifen und zu erzürnen. Ich meinte, sie sündigten nur aus Unwissenheit und menschlichem Gebrechen. Aber Gott hat mich hinangeführt wie einen Gaul, dem die Augen geblendet sind. Selten wird ein gutes Werk aus Weisheit oder Vorsichtigkeit unternommen, es muß alles in Unwissenheit geschehen.« Darauf antwortete Ph. Melanchthon, er hätte mit Fleiß in den Historien observirt, daß keine großen sonderlichen Thaten von alten Leuten geschähen, des großen Alexander's und St. Augustini Alter, die thäten es, – später werde man zu weise und bedächtig. Da sprach D. Martinus: »Ihr jungen Gesellen, wenn ihr klug wäret, könnte der Teufel nicht mit euch auskommen, weil ihr's aber nicht seid, bedürft ihr unser auch, die wir nun alt sind. Ja, wenn das Alter stark und die Jugend klug wäre! Da sind diese Rottengeister, eitel junge Leute, Icari, Phaëthones, die in den Lüften flattern, Gemsensteiger obenan und nirgendsaus, die zwölf Kegel auf dem Boßleich umschieben wollen, da doch nur neun drauf stehen.«. Wie kindisch aber erschien dem glatten und humanen Kirchenfürsten dieser Eifer des Mönches. Was den ehrlichen Mann so tief entrüstete, war vom Standpunkt des Erzbischofs längst abgethan. Der Ablaßhandel war ein hundertmal beklagter Übelstand der Kirche, er war aber unvermeidlich, wie dem Politiker viele Einrichtungen sind, die, an sich nicht gut, um eines großen Interesses willen erhalten werden müssen. Das größte Interesse des Erzbischofs und der Curie war ihre Herrschaft, die durch solchen Gelderwerb gewonnen und erhalten wurde. Das große Interesse Luther's und des Volkes war die Wahrheit. So schieden sich die Wege.
Und so trat Luther in den Kampf, gläubig, ein treuer Sohn der Kirche, voll deutscher Devotion gegen Autoritäten. Aber wieder in sich trug er, was ihn festigte gegen zu starke Einwirkung solcher Autorität, ein festes Verhältniß zu seinem Gott. Er war damals 34 Jahre alt, in der Blüte seiner Kraft, von mittlerer Größe, noch magerem aber kräftigem Leibe, der neben der kleinen zarten Knabengestalt des Melanchthon hoch erschien. In einem Antlitz, dem man Nachtwachen und innere Kämpfe ansah, glühten zwei feurige Augen, deren mächtiger Glanz schwer zu ertragen war. Ein angesehener Mann nicht nur in seinem Orden, auch an der Universität; kein großer Gelehrter, er lernte erst im nächsten Jahre bei Melanchthon das Griechische, gleich darauf das Hebräische; er besaß keine umfangreiche Buchweisheit und hatte nie den Ehrgeiz gehabt, in den lateinischen Versen, die er zuweilen machte, als Dichter zu glänzen. Aber er war erstaunlich belesen in der heiligen Schrift und einzelnen Kirchenvätern, und was er in sich aufgenommen, hatte er mit deutscher Gründlichkeit verarbeitet. Er war ein unermüdlicher Seelsorger seiner Gemeinde, eifriger Prediger, ein warmer Freund, damals schon wieder mit ehrbarer Fröhlichkeit, von sicherer Haltung, höflich und gewandt, im Verkehr von innerlicher Sicherheit, welche als heitere Laune oft sein Antlitz verklärte. Wohl konnten ihn kleine Ereignisse des Tages bewegen und stören, er war reizbar, er weinte leicht; aber wenn eine große Forderung an ihn herantrat und er die erste Aufregung seiner Nerven überwunden hatte, – die ihn z. B. bei seinem ersten Auftreten auf dem Reichstage zu Worms noch befangen machte, – dann war er von einer wundervollen Ruhe und Sicherheit. Er kannte keine Furcht, ja seine Löwennatur fand ein Behagen in den gefährlichsten Situationen. Zufällige Lebensgefahr, in die er gerieth, tückische Nachstellungen seiner Feinde waren ihm damals kaum der Rede werth. Der Grund solches, man darf sagen, übermenschlichen Heldenmuths war wieder das feste, persönliche Verhältniß zu seinem Gott. Er hatte lange Zeiten, wo er sich das Martyrium wünschte, lächelnd und innerlich froh, um der Wahrheit und seinem Gott zu dienen. – Noch standen ihm furchtbare Kämpfe bevor, aber es waren nicht solche, in welchen ihm Menschen gegenüberstanden. Den Teufel selbst hatte er niederzuschlagen, jahrelang, immer wieder; er überwand auch die Angst und Pein der Hölle, die geschäftig arbeitete seine Vernunft zu verdüstern. Ein solcher Mann war vielleicht zu töten, aber schwerlich zu besiegen.
Die Periode des Kampfes, welche jetzt folgt, vom Beginn des Ablaßstreites bis zur Abreise von der Wartburg, die Zeit seiner größten Siege, einer ungeheuren Popularität, ist vielleicht am meisten bekannt, und doch wird sein Wesen, so scheint uns, auch darin nicht immer recht beurtheilt.
Nichts ist in dieser Zeit merkwürdiger als die Weise, in welcher Luther allmählich der römischen Kirche entfremdet wurde. Er war im Leben bescheiden und ohne Ehrgeiz, mit tiefster Ehrfurcht hing er an der hohen Idee der Kirche, der Gemeinschaft der Gläubigen seit fünfzehn Jahrhunderten. Und doch sollte er in vier kurzen Jahren geschieden sein von dem Glauben seiner Väter, hinweggeschleudert von dem Boden, in dem er so fest gewurzelt war. Und in dieser ganzen Zeit sollte er allein in dem Streite stehen, allein, oder doch mit wenig treuen Gefährten, – seit 1518 mit Melanchthon. Alle Gefahren des grimmigsten Krieges sollte er bestehen, nicht nur gegen zahllose Feinde, auch gegen das sorgenvolle Abmahnen ehrlicher Freunde und Gönner. Dreimal versuchte die römische Partei, ihn zum Schweigen zu bringen, durch das Amt des Cajetan, die Überredungskünste des Miltitz, die unzeitige Geflissenheit des streitsüchtigen Eck; dreimal sprach er selbst zum Papst in Briefen, welche zu den werthvollsten Documenten jener Jahre gehören. Dann kam die Scheidung, er wurde verflucht und gebannt, nach altem Universitätsbrauch verbrannte er den feindlichen Fehdebrief, zugleich mit ihm die Möglichkeit der Rückkehr. Mit freudiger Zuversicht zog er nach Worms, damit die Fürsten seiner Nation entschieden, ob er sterbe oder hinfort unter ihnen lebe ohne Papst und ohne Kirche, allein nach der Schrift.
Zuerst, als er die Theses gegen Tetzel im Druck herausgegeben hatte, erstaunte er über das ungeheure Aufsehen, das sie in Deutschland machten, über den giftigen Haß seiner Feinde und über die Zeichen freudiger Anerkennung, die er von vielen Seiten erhielt. Hatte er denn so unerhörtes gethan? Was er ausgesprochen, glaubten ja alle besten Männer der Kirche. Als der Brandenburger Bischof den Abt von Lehnin zu ihm schickte, mit der Bitte, Luther möge den Druck seines deutschen Sermons von Ablaß und Gnade unterdrücken, wie sehr er auch Recht habe, da rührte den Frater des armen Augustinerkonvents tief, daß so große Männer freundlich und herzlich zu ihm redeten, und er wollte lieber den Druck aufgeben, als sich zu einem Wunderthier machen, das die Kirche störe. Eifrig suchte er das Gerücht zu widerlegen, als ob der Kurfürst seinen Streit mit Tetzel veranlaßt hätte. »Sie wollen den unschuldigen Fürsten in den Haß verflechten, der mich trifft.« Alles wollte er thun, um den Frieden zu erhalten, vor Cajetan, mit Miltitz; nur das eine wollte er nicht, nicht widerrufen, was er gegen die unchristliche Ausdehnung des Ablaßhandels gesagt hatte. Aber der Widerruf allein war es, was die Hierarchie von ihm begehrte. Lange noch wünschte er Frieden, Sühne, den Rückzug zur friedlichen Thätigkeit seiner Zelle, und immer wieder jagte ihm eine unwahre Behauptung der Gegner das Blut in Flammen, und jedem Widerspruch folgte ein neuer, schärferer Streich seiner Waffe.
Schon in dem ersten Brief an Leo X. vom 30. Mai 1518 ist die heldenmüthige Sicherheit Luther's auffallend. Noch ist er ganz der treue Sohn der Kirche, noch legt er sich am Schluß dem Papst zu Füßen, bietet ihm sein ganzes Leben und Sein dar, und verspricht seine Stimme zu ehren wie die Stimme Christi, dessen Stellvertreter der Herr der Kirche sei. Aber schon aus dieser Ergebenheit, die dem Ordensbruder ziemte, blitzt das heftige Wort hervor: »Habe ich den Tod verdient, ich weigere mich nicht zu sterben.« Und in dem Briefe selbst, wie stark sind die Ausdrücke, in denen er die Rohheit der Ablaßkrämer darstellt! Ehrlich auch hier die Verwunderung, warum seine Theses doch so viel Aufsehen machen, die schwerverständlichen, nach altem Brauch zu Räthselformen verschränkten Sätze. Und gute Laune klingt durch die männlichen Worte: »Was soll ich thun? Widerrufen kann ich nicht. In unserem Jahrhundert voll Geist und Schönheit, das einen Cicero in den Winkel drücken könnte, ich ungelehrter, beschränkter, nicht fein gebildeter Mann! Aber die Noth zwingt, die Gans muß unter den Schwänen schnattern.«
Im Jahre darauf vereinigten sich fast alle, welche Luther verehrten, die Versöhnung herbeizuführen. Staupitz und Spalatin, hinter diesen der Kurfürst, schalten, baten und drängten. Der päpstliche Kammerherr von Miltitz selbst rühmte Luther's Gesinnung, raunte ihm zu, daß er ganz Recht habe, flehte, trank mit ihm und küßte ihn. Zwar glaubte Luther zu wissen, daß der Höfling den heimlichen Auftrag habe, ihn womöglich gefangen nach Rom zu führen. Aber die Vermittler trafen glücklich den Punkt, wo der trotzige Mann mit ihnen von Herzen übereinstimmte, daß der Kirche Respect erhalten werden müsse und ihre Einheit nicht zerstört. Luther versprach, sich ruhig zu halten und die Entscheidung über die Streitpunkte drei achtbaren Bischöfen zu überlassen. In dieser Lage wurde er gedrängt, einen Entschuldigungsbrief an den Papst zu schreiben. Aber auch dieser Brief vom 3. März 1519, gewiß von den Vermittlern begutachtet und dem Schreiber abgerungen, ist charakteristisch für die Fortschritte, die Luther gemacht hatte. Demuth, die unsre Theologen herauslesen, ist wenig darin, wohl aber durchweg eine vorsichtige diplomatische Haltung. Luther bedauert, daß ihm als Mangel an Ehrfurcht ausgelegt sei, was er doch gethan habe, die Ehre der römischen Kirche zu schützen, er verspricht, über den Ablaß fortan zu schweigen, – im Fall nämlich seine Gegner dasselbe thun wollen, – er verspricht, eine Schrift an das Volk zu richten, worin er ermahnet der Kirche rechtschaffen Ecclesiam romanam pure colant. Die Zweideutigkeit scheint absichtlich, und sieht aus wie eine Schlauheit des Miltitz. zu gehorchen und ihr nicht fremd zu werden, weil die Gegner frech, er selbst rauh gewesen sei. Aber alle diese ergebenen Worte verdecken nicht die Kluft, die jetzt schon sein Gemüth vom römischen Wesen scheidet. Und wie kalte Ironie lautet, wenn er schreibt: »Was soll ich thun, heiligster Vater? mir fehlt aller Rath. Die Gewalt deines Zornes kann ich nicht ertragen, und doch weiß ich nicht, wie ich herauskommen soll. Man verlangt von mir einen Widerruf. Wenn er bewirken könnte, was man durch ihn beabsichtigt, ich würde ohne Zweifel widerrufen. Aber der Widerstand meiner Gegner hat meine Schriften weiter verbreitet, als ich je gehofft hatte, zu tief haften sie in den Seelen der Menschen. In unserm Deutschland blühen jetzt Talente, Bildung, freies Urtheil. Wollte ich widerrufen, ich würde die Kirche vor dem Urtheil meiner Deutschen mit noch größerem Schimpf bedecken. Und sie, meine Gegner, sind es, die die römische Kirche bei uns in Deutschland in Schande gebracht haben.« Zuletzt schließt er höflich: »Sollte ich mehr thun können, so werde ich ohne Zweifel sehr bereit dazu sein. Christus erhalte Ew. Heiligkeit. M. Luther.«
Viel ist hinter dieser gemessenen Zurückhaltung zu lesen. Auch wenn der eitle Eck nicht gleich darauf die ganze Wittenberger Hochschule in den Harnisch gedrängt hätte, dieser Brief konnte schwerlich zu Rom als Zeichen reuiger Ergebenheit gelten.
Der Bannstrahl war geschleudert, Rom hatte gesprochen. Da schrieb Luther, wieder ganz er selbst, noch einmal an den Papst, jenen berühmten großen Brief, den er auf die Bitte des unermüdlichen Miltitz zum 6. September 1520 zurückdatirte, um die Bannbulle ignoriren zu können. Es ist der schöne Abdruck eines entschlossenen Geistes, der vom hohen Standpunkt seinen Gegner übersieht, zugleich so großartig in seiner Aufrichtigkeit und von edelster Gesinnung! Mit aufrichtiger Theilnahme redet er von der Person und schwierigen Stellung des Papstes, aber es ist der Antheil eines Fremden; immer noch beklagt er mit Wehmuth die Kirche, aber man empfindet, er selbst ist ihr bereits entwachsen. Es ist ein Scheidebrief, bei schneidender Schärfe doch sichere Haltung, stille Trauer; so trennt sich ein Mann von dem, was er einst geliebt und als unwürdig erkannt hat. Den Vermittlern sollte dieser Brief die letzte Brücke sein, für Luther war er innerliche Befreiung.
Luther selbst war in diesen Jahren ein anderer geworden. Er hatte zunächst kluge Sicherheit im Verkehr mit den Höchsten dieser Erde erworben und um theuren Preis Einsicht in Politik und Privatcharakter der Regierenden erlangt. Der friedlichen Natur seines Landesherrn war im Grunde nichts peinlicher als dieser erbitterte theologische Streit, der zuweilen seiner Politik nützte, ihn immer gemüthlich beunruhigte. Fortwährend suchte man vom Hofe die Wittenberger zurückzuhalten, und immer sorgte Luther dafür, daß es zu spät war. So oft der treue Spalatin von der Ausgabe einer neuen kriegerischen Schrift abmahnte, kam ihm die Antwort, daß da nicht zu helfen sei, die Bogen seien gedruckt, schon in vielen Händen, nicht mehr aufzuhalten Daß das planmäßig geschah, verräth der Brief Luther's an Melanchthon vom 13. Juli 1521: »Ich beschwöre euch, kommt den Einfällen des Hofes immer zuvor und folget nicht seinen Rathschlägen. So habe ich's bis jetzt gehalten. Nicht die Hälfte wäre geschehen, wenn ich mich von seinem Rath abhängig gemacht hätte.«. Auch im Verkehr mit seinen Gegnern erwarb Luther die Sicherheit eines erprobten Streiters. Noch empfand er bitter, als ihn im Frühjahr 1518 Hieronymus Emser in Dresden hinterlistig zu einem Abendessen geführt hatte, bei dem er gezwungen wurde, mit zornigen Feinden zu streiten, zumal als er erfuhr, daß ein terminirender Dominicaner an der Thür gehorcht und am andern Tage in der Stadt umhergetragen hatte, Luther sei vollständig zugedeckt worden und der Lauscher habe sich mit Mühe enthalten, in die Stube zu springen und Luthern in's Gesicht zu speien. Noch sank er bei der ersten Zusammenkunft mit Cajetan demüthig zu den Füßen des Kirchenfürsten, nach der zweiten erlaubte er sich schon die Ansicht, daß der Cardinal zu seinem Geschäft passe wie ein Esel zur Harfe. Den artigen Miltitz behandelte er mit entsprechender Höflichkeit. Der Romanist hatte gehofft, den deutschen Bären zu zähmen, bald kam der Hofmann selbst in die Stellung, die ihm gebührte, er wurde von Luther benützt. Und in der Leipziger Disputation gegen Eck war der günstige Eindruck, welchen das ehrliche und feste Wesen Luther's hervorbrachte, das beste Gegengewicht gegen die selbstgefällige Sicherheit des gewandten Gegners.
Aber höhere Theilnahme fordert das innere Leben Luther's. Es war doch für ihn eine furchtbare Periode, dicht neben Erhebung und Sieg lagen ihm tötliche Angst, quälender Zweifel, schreckliche Anfechtung. Er allein mit Wenigen gegen die ganze Christenheit in Waffen, immer unsühnbarer verfeindet mit der gewaltigsten Macht, die noch alles in sich schloß, was ihm seit seiner Jugend heilig war. Wenn er doch irrte in einem und dem andern? Er war verantwortlich für jede Seele, die er mit sich fortriß. Und wohin? Was war außerhalb der Kirche? – Untergang, zeitliches und ewiges Verderben. Wenn ihm Gegner und bange Freunde das Herz zerschnitten mit Vorwürfen und Warnungen, unvergleichlich größer war seine Pein, das heimliche Nagen, die Unsicherheit, die er niemand gestehen durfte. Ja, im Gebet fand er Frieden; so oft seine Seele Gott suchend in mächtigem Aufschwunge erglühte, kam ihm Fülle der Kraft, Ruhe und Heiterkeit. Aber in den Stunden der Abspannung, wenn sein reizbares Gemüth unter widrigem Eindruck zuckte, dann fühlte er sich befangen, getheilt, im Bann einer andern Macht, die seinem Gott feind war. Aus der Kinderzeit wußte er, wie geschäftig die bösen Geister um den Menschen weben, aus der Schrift hatte er gelernt, daß der Teufel gegen den Reinsten arbeitet, ihn zu verderben. Auch auf seinem Pfade lauerten geschäftige Teufel, ihn zu schwächen, zu verlocken, durch ihn Unzählige elend zu machen. Er sah sie arbeiten in der zornigen Miene des Cardinals, in dem höhnischen Antlitz des Eck, ja in Gedanken seiner eigenen Seele, er wußte, wie mächtig sie in Rom waren. Schon in der Jugend hatten ihn Erscheinungen gequält, jetzt kehrten sie wieder. Aus dem dunklen Schatten seiner Studirstube erhob das Gespenst des Versuchers die Krallenhand gegen seine Vernunft, selbst in der Gestalt des Erlösers nahte der Teufel dem Betenden, strahlend als Himmelsfürst mit den fünf Wunden, wie ihn die alte Kirche abbildete. Aber Luther wußte, daß Christus den armen Menschen nur in seinen Worten erscheint, oder in demüthiger Gestalt, wie er am Kreuz gehangen. Und er raffte sich heftig auf und schrie die Erscheinung an: »Hebe dich, du Schandteufel!« da verschwand das Bild Tischreden. Walch S. 501.. – So arbeitete das starke Herz des Mannes in wilder Empörung, jahrelang, immer auf's neue. Es war ein unheimlicher Kampf zwischen Vernunft und Wahn. Aber immer erhob er sich als Sieger, die Urkraft seiner gesunden Natur überwand. In langem, oft stundenlangem Gebet glättete sich das stürmische Wogen der Empfindung, sein massiver Verstand und sein Gewissen führten ihn jedesmal aus dem Zweifel zur Sicherheit. Als eine gnadenvolle Eingebung seines Gottes empfand er diesen befreienden Prozeß. Und von solchem Augenblicke an war er, der erst so angstvoll gebangt hatte, gleichgültig gegen das Urtheil der Menschen, unerschütterlich, unerbittlich.
Ganz anders erscheint seine Persönlichkeit im Streit mit irdischen Feinden. Hier bewährt er fast immer sichere Überlegenheit, am meisten in seinen literarischen Fehden.
Riesengroß war die schriftstellerische Thätigkeit, welche er von dieser Zeit entwickelte. Bis zum Jahre 1517 hatte er wenig drucken lassen, von da wurde er auf einmal nicht nur der fruchtbarste, auch der größte populäre Schriftsteller der Deutschen. Die Energie seines Stils, die Kraft seiner Beweisführung, Feuer und Leidenschaft seiner Überzeugung wirkten hinreißend. So hatte noch keiner zum Volke gesprochen. Jeder Stimmung, allen Tonarten fügte sich seine Sprache; bald knapp und gedrungen und scharf wie Stahl, bald in reichlicher Breite ein mächtiger Strom drangen die Worte in's Volk, bildlicher Ausdruck, schlagender Vergleich machten das Schwerste verständlich. Es war eine wundervolle, schöpferische Kraft. Mit souveräner Leichtigkeit gebrauchte er die Sprache; sobald er die Feder ergriff, arbeitete sein Geist mit höchster Freiheit, man sieht seinen Sätzen die heitere Wärme an, die ihn erfüllte, der volle Zauber eines herzlichen Schaffens ist über sie ausgegossen. Und solche Gewalt ist nicht am wenigsten sichtbar in den Angriffen, die er einzelnen Gegnern gönnt. Und eng verbunden ist sie mit einer Unart, die schon seinen bewundernden Zeitgenossen Bedenken verursachte. Er liebte es, mit seinen Gegnern zu spielen, seine Phantasie umkleidet ihm die Gestalt des Feindes mit einer grotesken Maske, und dies Phantasiebild neckt, höhnt und stößt er mit Redewendungen, die nicht gemäßigt und nicht immer anständig klingen. Aber gerade in seinem Schimpfen wirkt die gute Laune in der Regel versöhnend, freilich nicht auf die Betroffenen. Fast nie ist eine kleine Gehässigkeit sichtbar, nicht selten die unverwüstliche Gutherzigkeit. Zuweilen geräth er freilich in einen wahren Künstlereifer, dann vergißt er die Würde des Reformators und zwickt wie ein deutsches Bauernkind, ja wie ein boshafter Kobold. Wie hat er alle seine Gegner gezaust! Bald durch Keulenschläge, die ein zorniger Riese führt, bald mit der Pritsche eines Narren. Gern verzog er ihre Namen in's Lächerliche. So lebten sie im Wittenberger Kreise als Thiere, als Thoren. Eck wurde Dr. Geck, Murner erhielt Katerkopf und Krallen, Emser, der sein Wappen, das Haupt einer gehörnten Ziege, den meisten Streitschriften vordrucken ließ, wurde als Bock mißhandelt, dem abtrünnigen Humanisten Cochläus wurde sein lateinischer Name zurückübersetzt, und Luther begrüßte ihn als Schnecke mit undurchdringlichem Harnisch und – es ist schmerzlich zu sagen – sogar als Rotzlöffel. Noch ärger, selbst den Zeitgenossen erschrecklich, war die heftige Rücksichtslosigkeit, mit welcher er gegen feindliche Fürsten losfuhr. Zwar dem Vetter seines Landesherrn, dem Herzog Georg von Sachsen, gönnte er häufig eine unvermeidliche Schonung. Beide hielten einander für eine Beute des Teufels, aber heimlich achtete jeder in dem andern eine männliche Tüchtigkeit; immer wieder geriethen sie in Zwist, auch in literarischen, aber immer wieder betete Luther herzlich für die Seele des Nachbars. Dagegen war die ruchlose Willkür Heinrich's VIII. von England dem deutschen Reformator in innerster Seele zuwider, ihn hat er greulich und unendlich ausgeschimpft; und noch in der letzten Zeit verfuhr er mit dem heftigen Heinrich von Braunschweig wie mit einem bösen Schulbuben, Hanswurst war der harmloseste unter vielen dramatischen Charakteren, in denen er ihn aufführte. Sah ihn später solcher Erguß übermüthigen Eifers aus der Druckschrift an und klagten die Freunde, dann ärgerte er sich wohl selbst über seine Rauhheit, er schalt sich und bereute aufrichtig; aber die Reue half ihm wenig, denn bei der nächsten Gelegenheit verfiel er in denselben Fehler. Und Spalatin hatte einige Ursache, auch dann mißtrauisch auf eine projectirte Druckschrift zu sehen, wenn Luther sich vornahm, recht sanft und zahm zu schreiben. Seine Gegner konnten es ihm darin nicht gleich thun. Sie schimpften eben so eifrig, ihnen aber fehlte die innere Freiheit. Leider wird nicht zu leugnen sein, daß gerade dieser Zusatz zu der sittlichen Würde seines Wesens zuweilen das Salz war, welches seine Schriften den treuen Deutschen des 16. Jahrhunderts so unwiderstehlich machte.
Im Herbst 1517 war er mit einem verworfenen Dominicanermönch in Streit gerathen, im Winter 1520 verbrannte er die päpstliche Bulle; im Frühjahr 1518 hatte er sich noch dem Papst, dem Statthalter Christi, zu Füßen gelegt, im Frühjahr 1521 mußte er auf dem Reichstage zu Worms vor Kaiser, Fürsten und päpstlichen Legaten erklären, daß er weder dem Papst noch den Concilien allein glaube, nur den Zeugnissen der heiligen Schrift und vernünftigem Ermessen.
Seit dem December 1520 wußte Luther, daß seine Sache auf dem Reichstage, der nach Worms ausgeschrieben wurde, verhandelt werden sollte, er wußte auch, daß der Kardinallegat Alexander den Kaiser unablässig zur Strenge gegen ihn mahnte, daß der Kaiser dem dreisten Mönch abgeneigt war und bereits in den Niederlanden seine Bücher als ketzerisch hatte verbrennen lassen. Anfang Januar traf der Kurfürst von Sachsen zu Worms ein, wo er den Kaiser bereits vorfand; säumig und langsam kam die Mehrzahl der großen Herren des deutschen Reiches zusammen, erst Ende Februar 1521 konnte der Reichstag eröffnet werden.
Die Botschaften, welche von Worms nach Wittenberg zogen, – sie bedurften zu der Reise so lange Zeit, wie jetzt ein Brief nach Nordamerika – wurden ungünstiger. Bald erschien dem Kaiser und den Feinden Luther's ungehörig, daß der Gebannte überhaupt vor dem Reichstage zugelassen werde, und Kurfürst Friedrich mußte mit den andern Reichsfürsten, welche eine Verurtheilung ohne Verhör für unrecht oder wegen der Aufregung im Volke für unklug hielten, große Anstrengungen machen, um durchzusetzen, daß der Ketzer überhaupt noch gefragt wurde, ob er widerrufen wolle, und daß er dafür freies Geleit erhielt.
Deshalb war es für Luther kein Geheimniß, daß die Reichsacht ihm drohe und daß sein Tod wahrscheinlich sei. Solche Aussicht wird, sollte man meinen, auch der stärksten Manneskraft die Freudigkeit und die Reichlichkeit des literarischen Schaffens einigermaßen beeinträchtigen. Bei ihm war das Gegentheil der Fall. Er hat kaum jemals in seinem Leben in der gleichen Zeit so Vieles und so Verschiedenartiges geschrieben, als gerade in diesen Monaten. Er nahm seinen alten literarischen Gegner, den Ambrosius Catharinus beim Schopf, und noch eifriger den langweiligen Leipziger Emser, den er in einer ganzen Reihe von Büchlein abstrafte, verspottete und knuffte. Den Papst selbst, die Legaten und Curtisanen ließ er in herber Laune durch seinen Freund Lucas Cranach in Holzschnitten abschildern, welche die Demuth des leidenden Christus und die Pracht der Clerisei einander gegenüberstellten. Aber auch für Unterricht und Seelsorge war er unermüdlich bemüht. Neben einzelnen Predigten, und dem »Unterricht für Beichtkinder«, erschien in dieser Zeit der erste Theil der Postille, eines seiner Hauptwerke, er schrieb ferner an seiner Erklärung des Psalters und an dem schönen und warmen Buche »Auslegung von Maria's Lobgesang«.
Endlich brachte der kaiserliche Herold Caspar Sturm, der in der Wappensprache der Welschen »Germania« hieß, den Geleitsbrief nach Wittenberg und ritt dem Wagen Luther's voraus, als dieser am 2. April mit Amsdorf und zwei anderen Begleitern nach Worms aufbrach. In den Städten Thüringens kamen die Leute glückwünschend an den Wagen; zu Erfurt holten ihn die Humanisten, die herrschende Partei der Universität, in großem Reiterzuge ein und veranstalteten eine glänzende Festfeier.
Aber diese beistimmenden Zurufe übertönte ein schriller Mißklang. Der Kaiser hatte ihm zwar freies Geleit für Hin- und Rückfahrt zugesagt; ebenso hatten die Fürsten, durch deren Gebiet er reisen mußte, Schutzbriefe gesandt, aber der Kaiser wollte doch nicht, daß der gebannte Mönch in Worms eintreffen sollte, und um ihn zu schrecken, ließ er schon jetzt vor dem Verhör ein Edict ausrufen und in den Städten anschlagen, daß alle Bücher Luther's der Obrigkeit ausgeliefert werden sollten. Den Anschlag fand Luther in den Städten. Seine Freunde zu Worms waren bestürzt. Spalatin sandte ihm eine Warnung entgegen, ihm drohe das Schicksal von Huß, sogar der Herold frug, ob er jetzt noch weiter reisen wolle. Auch Luther war erschrocken, aber er ließ sich nicht beirren und sandte an Spalatin die Antwort voraus: Huß sei verbrannt, die Wahrheit nicht verbrannt, er werde nach Worms kommen und wenn dort so viel Teufel wären, als Ziegel auf den Dächern.
Auch mildere Ablenkung wurde versucht. Der Beichtvater des Kaisers, Glapio, kam wie aus eigenem Antriebe zu Sickingen nach der Ebernburg, sprach viel Wohlmeinendes und Anerkennendes und rieth dringend, daß Luther Worms vermeiden und nach der Ebernburg kommen möge, um dort mit ihm eine Verständigung zu suchen.
Ging Luther darauf ein, so war es unmöglich, die Frist einzuhalten, während welcher er durch den Geleitsbrief geschützt war. Luther antwortete dem wohlmeinenden Überbringer dieser Mahnung, habe der Beichtvater des Kaisers mit ihm zu reden, so sei er in Worms zu finden.
Als er am letzten Tage der bewilligten Reisefrist in Worms einfuhr, geleitete ihn ein Reiterzug auf 100 Rossen, meist sächsische Herren, welche ihn eingeholt hatten, das Volk füllte neugierig die Straßen, und in seine Herberge, die ihm im Johanniterhause zugewiesen war, kam bis in die Nacht viel vornehmer Besuch, neugierig und theilnehmend. Schon am nächsten Tage wurde er vor den Reichstag geladen.
Daß Luther doch gewagt hatte zu kommen, war der päpstlichen Partei eine widerwärtige Überraschung; es war auch dem Kaiser sehr ungelegen; daher galt es jetzt, die Aufregung, welche seine Anwesenheit unter den Deutschen hervorbrachte, durch schleunige Entscheidung sobald als möglich zu beseitigen. Auf der andern Seite hatten seine Gönner und die Mehrzahl der deutschen Fürsten, welche einen Ausgleich und gütliches Beilegen des gefährlichen Handels wünschten, das entgegengesetzte Interesse, die Angelegenheit nicht über das Knie zu brechen. Vor anderen Kurfürst Friedrich der Weise, dessen vorsichtiger Art das heftige und ungründliche Verfahren ganz zuwider war und der dadurch dem Reiche gegenüber in die übelste Lage kommen mußte. Er bedurfte Zeit, damit seinem Gewissen genug gethan wurde und er einen Entschluß fassen konnte. Seinen vertrauten Räthen war längst bekannt, daß die Frage nur auf Widerruf gestellt werden würde, und daß an Erörtern und Disputiren vor dem Reichstag gar nicht zu denken sei; Luther aber hatte ihnen bestimmt erklärt, daß er nichts widerrufen werde Rede und Gegenrede in der großen Versammlung des Reichstags waren vorbereitete Staatsactionen und wurden damals viel sorgfältiger im Voraus zurecht gelegt, als jetzt in ähnlichen Versammlungen. Die kursächsischen Räthe und Luther wußten ganz sicher vorher, was und wie gefragt werden würde.. Er sollte also seinem Herrn und Allen, welche Neigung hatten, zu vermitteln, zunächst dadurch genugthun, daß er sich in der ernsten und schweren Sache Bedenkzeit ausbat. Es galt, die letzte Entscheidung hinauszuschieben, und Luther mußte sich gern oder ungern diesem Zwange fügen.
Am 17. April Nachmittags 4 Uhr wurde Luther durch den Reichsmarschall Ulrich von Pappenheim und den Herold in den Reichstag abgeholt. Auf den Straßen drängten die Leute und kletterten auf die Dächer, den Luther zu sehen, sodaß er auf Seitenwegen nach dem Bischofshofe, wo der Reichstag sich versammelte, geleitet wurde. Der Hof war nach altem Volksglauben einst der Königssitz des Burgunden Gunther gewesen, dort hatte dieser mit dem finstern Hagen den heimlichen Anschlag gegen das Leben des Helden Siegfried gemacht. Seitdem haben die Franzosen den berühmten Bau völlig zerstört. In dem großen Saale, der auf der Seite nach einem Vorraum geöffnet war, saßen die Fürsten und Herren des Reichstages, so daß sie von außen gesehen, die gesprochenen Worte wohl auch gehört werden konnten. Aber die Fürsten selbst pflegten in den Sitzungen nicht zu reden, das thaten ihre Räthe für sie, und die Herren zogen sich zu gesonderter Berathung zurück, wenn sie einen Beschluß zu fassen hatten.
Als Luther eingeführt wurde, ermahnte ihn Pappenheim, daß er vor der hohen Versammlung nichts reden dürfe außer zur Antwort auf gestellte Fragen. Bei seinem Eintritt kniete er nicht nieder, wie damals von einem Mönch vor der Hoheit des Kaisers und der päpstlichen Legaten erwartet wurde, sondern blieb strack stehen. Er sah vor sich das bleiche Antlitz und den düstern Blick des jungen Kaisers, nahe bei diesem die rothen Legaten des Papstes; er sah den besorgten Ausdruck in dem gutherzigen Gesicht seines Kurfürsten und fand sich in Gegenwart all der hohen Fürsten und Herren, von deren Sinn und Meinung er in den letzten Jahren so Vieles vernommen hatte. Der Official des Erzbischofs von Trier begann als Sprecher des Kaisers von seinem Platz: »Des Kaisers Majestät hat euch, Martinus Luther, Mandat und Ladung zu dem gegenwärtigen Reichstag geschickt, damit ihr zuerst Antwort gebt, ob ihr euch zu den Schriften und Büchern bekennt, welche unter eurem Titel und Namen allenthalben im heiligen römischen Reich erschienen sind, und ob ihr dieselben so geschrieben habt, wie sie hier vor Augen liegen.« Er wies auf einen Haufen Bücher, der auf einer Bank lag. Da rief Hieronymus Schurf, der mit fünf andern Doktoren Rechtsbeistand Luther's war: »Man lese die Titel« und Luther wiederholte das Gesuch.
Der Official las die Titel der Bücher, welche seit vier Jahren die Nation aufgeregt hatten, wie niemals vorher und seitdem die Druckwerke eines Mannes. Dann fuhr er fort: »Ferner aber, wenn ihr euch zu den Büchlein bekennt, begehrt Kaiserliche Majestät von euch, daß ihr dieselben jetzt hier widerrufen sollt, und läßt euch deshalb fragen, ob ihr das thun wollt oder nicht, dieweil in sie viel böse irrige Lehren gemischt sind, die in dem gemeinen einfältigen Volk Aufregung und Unzufriedenheit erregen können. Das bedenket und nehmt euch zu Herzen.« Darauf antwortete Luther ungefähr also: »Allerdurchlauchtigster Kaiser. Nachdem ich auf gnädige Ladung gehorsamst erschienen bin, antworte ich diesem Vorhalt zum ersten: Zu den Büchlein, deren Titel jetzt gelesen sind, und zu mehreren anderen, die zur Lehre und Unterweisung des Volkes geschrieben wurden, bekenne ich mich, und will bis an mein Lebensende auf diesem Bekenntniß beharren. Zum zweiten aber, da Kaiserliche Majestät von mir begehrt, ich soll den Inhalt widerrufen, so antworte ich: Dies ist fürwahr eine große Sache, denn es handelt sich dabei um das ewige Leben und geht Einen an, der mehr ist als irgend Jemand unter den Anwesenden, Sein ist die Sache und Handlung. Damit ich nun das arme Christenvolk und mich selbst nicht verführe, so begehre und bitte ich, Kaiserliche Majestät wolle mir des Widerrufs wegen gnädig Termin und Bedenkzeit stellen.«
Der Kaiser trat mit den Fürsten zu einer kurzen Berathung zusammen. Die Mehrzahl bestand auf Bewilligung der Frist, und der Official verkündete Luther, daß die Milde des Kaisers ihm Bedenkzeit verstatte bis zum nächsten Tage um 4 Uhr. Luther schied mit den Worten: »Ich will mich bedenken«. Er hatte in dieser Sitzung demüthig und leise gesprochen und, wie seine Feinde behaupteten, undeutlich. Es mag sein, daß der erste Eindruck der Versammlung ihn befangen machte, sicher lag ihm schwerer auf der Brust, daß er nicht Alles, wie er wollte, frei heraussagen durfte.
Durch das Temporisiren war nur kurze Frist gewonnen. Allzugroß war der Eifer der Gegner, den Unruhstifter fortzuschaffen; es kam jetzt darauf an, welche Wirkung die Weigerung Luther's hervorbringen würde. Denn daß er nicht einen Strich widerrufen werde, hatte er nach der Rückkehr in die Herberge aufs neue erklärt. Am 18. April wurde er wieder um 4 Uhr abgeholt und mußte wohl zwei Stunden im Gedränge harren. Als er jetzt aber in die Versammlung trat, war er ganz er selbst, unbekümmert um alle Menschenmeinung. Diesmal grüßte er die Versammlung nach Hofbrauch, indem er beide Kniee ein wenig beugte, er sprach ehrerbietig, aber fest, und seine Stimme, die hell und hoch war, wie die Karl's des Großen, wurde überall im Saale verstanden. Mit wohl überlegter Rede begrüßte er den Kaiser und die Versammlung, und er bat zuerst um Verzeihung, wenn er in Wort, Geberde und Haltung wider die Hofsitte verstoße, da er nicht an Fürstenhöfen erzogen sei, sondern in Mönchswinkeln heraufgekommen. »In Einfalt des Gemüthes habe ich bis jetzt geschrieben und gelehrt und auf Erden nichts anderes gesucht, als die Ehre Gottes und die Unterweisung der Christgläubigen.« Dann fuhr er fort: »Auf die beiden Fragen, welche mir gestellt sind, antworte ich so: Ich bekenne wie gestern, daß die aufgezählten Büchlein von mir sind und in meinem Namen an den Tag gegeben sind. Es müßte denn entweder durch Betrug oder durch ungefüges Wissen Anderer in einem Druck etwas geändert oder verkehrt ausgezogen sein, denn ich bekenne mich nur zu dem, was von mir selbst ist. Nun sind aber meine Bücher nicht von einerlei Art, denn in etlichen habe ich von Glauben und Sitten ganz evangelisch und schlicht gehandelt. Diese Büchlein müssen auch meine Gegner für nützlich halten und allerwege für werth, daß sie von Christen gelesen werden. Auch die grimmige und grausame Bulle des Papstes nennt einige meiner Bücher unschädlich, wiewohl sie dieselben wider Vernunft verdammt. Wollte ich nun anfangen, diese Schriften zu widerrufen, welche Freunde und Feinde zugleich bekennen, dann käme ich in Widerspruch mit dem allgemeinen und übereinstimmenden Bekenntniß.
»Die zweite Reihe meiner Bücher ist gegen das Papstthum und das Thun der Päpstlichen geschrieben, gegen die, welche mit böser Lehre und Beispiel die christliche Welt verwüstet und verderbt, die Gewissen der Gläubigen auf das Jämmerlichste bedrängt, beschwert und gepeinigt, auch Habe und Gut der hochrühmlichen deutschen Nation durch unglaubliche Tyrannei ungerechter Weise verschlungen haben. Wollte ich diese Bücher widerrufen, so würde ich nichts anderes thun, als solche Tyrannei und unchristliches Wesen stärken und ihm nicht allein die Fenster, sondern auch die Thüren aufthun, daß es weiter und freier toben und schaden würde, und seine frechste und allersträflichste Bosheit würde dem armen elenden Volk bis zur Unerträglichkeit bestätigt und befestigt werden. Zumal, wenn man sagen könnte, daß solche Vergrößerung des Unheils durch den Befehl und auf Betrieb Eurer Kaiserlichen Majestät und des ganzen römischen Reiches erfolgt wäre. Lieber Gott, welch großer Schanddeckel der Bosheit und Tyrannei würde ich durch solchen Widerruf werden.
»Die dritte Art meiner Bücher habe ich gegen einzelne besondere Personen geschrieben, welche die römische Tyrannei zu beschützen und den Gottesdienst, den ich gelehrt, zu vertilgen suchten. Ich bekenne, gegen diese Gegner heftiger gewesen zu sein, als sich geziemt, denn ich mache mich nicht zu einem Heiligen, ich stritt nicht für mich selbst, sondern für die Ehre Christi. Auch diese Bücher kann ich nicht widerrufen, denn durch meinen Widerruf und Rückzug würde der tyrannische Grimm und wüthiges Regiment der Feinde gestärkt werden.
»Mein Herr Christus hat gesagt, als er von dem Hohenpriester über seine Lehre befragt und von einem Diener auf einen Backen geschlagen ward: Habe ich übel geredet, so gieb Zeugniß von dem Übel. Da der Herr sich nicht weigerte, einen Beweis wider seine Lehre anzuhören auch von dem schnödesten Knecht, wieviel mehr geziemt mir, dem irrigen Menschen, zu begehren und zu erwarten, ob mir jemand ein Zeugniß wider meine Lehre zu geben vermag. Deshalb flehe ich bei der Barmherzigkeit Gottes die Höchsten wie die Niedrigsten an, mir meinen Irrthum nachzuweisen und mich mit den evangelischen und prophetischen Schriften zu überwinden. Bin ich darin unterwiesen, so will ich der allererste sein, der meine Bücher in das Feuer wirft.
»Gestern bin ich ernsthaft gemahnt worden, mich zu bedenken, daß Zwietracht, Aufruhr und Empörung durch meine Lehre in der Welt erwachsen kann. Das habe ich genugsam bedacht und erwogen. Wahrlich, mir ist das Allerfröhlichste, zu sehen, daß wegen des göttlichen Wortes fortan Uneinigkeit in der Welt entsteht, denn das ist die Folge und das Geschick, welches durch das göttliche Wort bereitet wird. Der Herr selbst sagt: Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert, denn ich bin gekommen den Mann zu erregen gegen seinen Vater. Hüten wir uns deshalb, das Wort Gottes zu verdammen unter dem Vorwand, Parteien und Uneinigkeit beizulegen, damit nicht eine Wasserfluth unleidlichen Übels über uns komme, das dem edlen Jüngling Kaiser Carolus ein unglückseliger Anfang seiner Regierung werde. Ich sage das nicht, als wenn so großen Häuptern meine Lehre und Ermahnung nöthig sei, sondern weil ich meiner Heimat Deutschland diesen Dienst zu erweisen schuldig bin. Und so befehle ich mich der Kaiserlichen Gnade und flehe Kaiserliche Majestät wolle nicht durch die böse Meinung meiner Feinde mich in Ungnade kommen lassen.«
So sprach am 18. April 1521 ein deutscher Mann vor Kaiser und Reich über die Herrschaft des höchsten geistlichen Gebieters der christlichen Welt. Die höfliche Bescheidenheit des Eingangs, die vorsichtige Weise, in welcher er seine Bücher unterschied, konnte auch den Gegnern als gute Rede erscheinen. Aber bald stand er in der Versammlung, fremdartig, wie aus einer andern Welt, einem alten Recken gleich, der seine Eisenstange zwischen zierlichen Rittern schwingt. Die gemächliche Sicherheit, mit welcher er in Gegenwart der beiden Cardinäle die Häupter der Clerisei als nichtswürdige Bösewichter abschildert, und endlich gar die kampfesfrohe Versicherung: »Das allerlustigste ist mir, zu sehen, wie jetzt Empörung entsteht«, vor der hohen Versammlung, welche gerade nichts mehr fürchtete, als die Uneinigkeit im Volke, das war keine Rede eines Bekümmerten, der für seinen Hals sprach, sondern der stolze Ausspruch eines Gebieters, der zum Siege oder Untergange erkoren war.
Unheimlich dünkten auch dem Official die kühnen Worte und die dämonischen Augen des Mannes, und er versuchte, ihn strafend zu belehren: »In eurer Antwort war Stoß und Biß, nicht offene Erklärung. Über eure Sätze neu zu disputiren thut nicht Noth, was ihr lehrt, haben schon Huß und andere Ketzer vorgetragen und diese Lehre ist bereits auf dem Concilium zu Costnitz mit zureichendem Grunde von Papst und Kaiser verdammt worden. Darum begehre ich eine schlichte einfache Antwort, wollt ihr widerrufen oder nicht? Widerruft ihr, so werden eure unschuldigen Büchlein erhalten bleiben, widerruft ihr nicht, so wird keine Rücksicht genommen auf das, was ihr sonst christlich geschrieben, und ihr gebt Kaiserlicher Majestät Ursache, mit euch zu handeln, wie mit dem Huß und anderen geschehen ist.« Darauf sprach Luther die wohlbekannten Worte: »Da Kaiserliche Majestät eine schlichte und gerade Antwort begehrt, so will ich eine Antwort geben, die nicht anstößig und nicht beißend ist. Ich glaube weder dem Papst noch den Concilien allein, weil es am Tage liegt, daß dieselben mehrmals geirrt und sich selbst widersprochen haben. Werde ich nicht durch Zeugniß der Schrift oder mit deutlichen und augenscheinlichen Gründen überwunden, so mag ich und will ich kein Wort korrigiren oder widerrufen, weil wider das Gewissen zu handeln heillos und gefährlich ist.«
Der Official und Luther hatten zuerst lateinisch geredet, dann die Reden deutsch wiederholt. Nach den Worten Luthers entstand Aufregung und Gemurmel im Saale, und die folgenden lateinischen Wechselreden der beiden Kämpfer wurden nicht überall verstanden. Der erzürnte Kaiser aber frug noch durch den Official, ob denn Luther zu behaupten wage, daß die Concilien geirrt haben. Und als Luther antwortete: »Concilien können irren und haben geirrt und das von Costnitz hat gegen hellen und klaren Text der heiligen Schrift entschieden, und ich will das beweisen«, da hatte der Kaiser genug gehört, entsetzt über solche Vermessenheit gab er das Zeichen zum Aufbruch und Ende und Luther rief auf die feindselige Geberde des Kaisers und unter dem Geschrei seiner Gegner zuletzt die deutschen Worte, welche nach der Fassung, die durch Luther's theologische Freunde in den Ausgaben seiner Werke überliefert ist, lauteten: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helf mir, Amen« –, die aber in Wirklichkeit wahrscheinlich so gesprochen wurden: »Ich kann nicht anders. Gott komm' mir zu Hilf'. Amen. Da bin ich« D. h. macht jetzt mit mir, was ihr wollt. – Die Überlieferung dieser Ausrufe ist im Wortlaut und in der Reihenfolge der Worte abweichend und unsicher. – »Gott komm mir zu Hilf«, ist von Peutinger bezeugt. Das »Da bin ich« ganz zuletzt, statt des ruhigeren »Hier stehe ich« im Anfange, stammt aus einer gleichzeitigen Flugschrift, welche in vier verschiedenen Drucken erhalten ist. Dergleichen Nachsätze erfindet man nicht, eher sucht man sie stattlicher zu formen. Schon eine andere gleichzeitige Flugschrift hat die Fassung: Ich kann nicht anders, hie stehe ich, Gott helf mir. Amen..
Diese zwei Tage des 17. und 18. Aprils 1521 waren es, in denen die beiden Männer einander in das Angesicht schauten, welche das Leben Deutschlands zwiespältig geschieden haben, die großen Gegner, welche in den Urenkeln ihres Geistes einander noch heute bekämpfen, der burgundische Habsburger und der deutsche Bauernsohn, Kaiser und Professor, der eine, welcher deutsch nur mit seinem Pferde sprach, und der andere, Übersetzer der Bibel und Bildner der neudeutschen Schriftsprache, der eine Vorfahr der Jesuitengönner, Urheber der habsburgischen Hauspolitik, der andere Vorgänger Lessing's, der großen Dichter, Geschichtschreiber und Philosophen. Es war eine verhängnißvolle Stunde deutscher Geschichte, als der junge Kaiser, Herr der halben Erde, zu Worms das verachtende Wort sprach: »Der soll mich nicht zum Ketzer machen«. Denn damals begann der Kampf seines Hauses mit dem Hausgeist des deutschen Volkes. Ein Kampf von mehr als drei Jahrhunderten, Siege und Niederlagen auf beiden Seiten. Wir aber haben, soweit menschliches Urtheil das Walten der Vorsehung in dem Geschick der Völker zu erkennen vermag, den Ausgang erlebt.
Es war auch das erste Mal und das einzige Mal, so lange es eine deutsche Geschichte giebt, daß ein Mann aus dem Volke vor Kaiser und Reichstag die Forderungen seines Gewissens in Todesnoth so fest vertrat. Die Wirkung dieser Standhaftigkeit auf die deutschen Fürsten war groß, unermeßlich groß die auf das Volk. Als Friedrich der Weise aus dem Reichstag in seine Kammer kam, sagte er bewundernd und besorgt zu seinem Vertrauten: »Doktor Martinus hat wohl geredet, lateinisch und deutsch. Er ist mir viel zu kühn.« Auch bei den Fürsten, welche kalt oder abgeneigt auf Luther und seine Lehre sahen, war die Achtung und Scheu vor dem Tapfern gestiegen.
Luther aber, da er aus dem Reichstag in seine Herberge zurückgekehrt war, rief, fröhlich die Hände zum Himmel erhebend: »ich bin durch, ich bin durch!« Er hatte sich aus der Dornhecke, in der man ihn einhegen wollte, in's Freie gerettet.
Jetzt war er frei, aber Bann und Reichsacht schwebten über seinem Haupte; er war innerlich frei, aber er war frei wie das Thier des Waldes, und hinter ihm bellte die blutdürstige Meute. Er war auf dem Höhenpunkt seines Lebens angekommen, und die Mächte, gegen welche er sich empört hatte, ja die Gedanken, welche er selbst in dem Volke aufgeregt hatte, arbeiteten ihm seitdem gegen Leben und Lehre.
Mehr als vorher lag jetzt dem Kaiser am Herzen, daß mit dem hartnäckigen Ketzer ein Ende gemacht werde, denn grade in diesen Tagen hatte er das Bündniß mit dem Papste geschlossen, worin er sich verpflichtete, die Irrlehre Luther's auszurotten. Doch die Mehrzahl der deutschen Fürsten begehrte immer noch weitere Verhandlung in kleinem Kreise, wo persönliche Einwirkung möglich war, voran der Erzbischof von Trier selbst, und Rücksicht auf die unwillkommene Stimmung der Deutschen nöthigte den Kaiser zum zweitenmal nachzugeben. Luther aber hatte jetzt die Aufgabe, klugem und dringendem Zureden Solcher zu widerstehen, die auch er achtete. Bei diesen Verhandlungen wurde ihm Vieles eingeräumt, nur ein allgemeines Concilium sollte er als höchsten Richter über seine Lehre anerkennen. Er aber stand fest aus seiner Behauptung: auch ein Concilium könne irren, wie das zu Costnitz geirrt habe. Zuletzt sah Richard von Trier ein, daß durch Handeln von solchem Manne nichts zu gewinnen sei; Luther selbst bat, man möge ihn entlassen, und mit achtungsvollem Gruße schieden die Vermittler von ihm. Die Stunden dieser geräuschlosen Verhandlungen trugen zur Beschwichtigung des Streites nichts bei; aber als Luther beim Abschiede die frommen Worte sprach: »Wie es dem Herrn gefallen hat, also ist es ergangen, der Name des Herrn sei gebenedeit«, da durfte er in gehobener Stimmung sich eines großen Sieges seiner Sache freuen, er hatte sie vor Kaiser und Reich behauptet. Vergebens mühten sich die Feinde, durch Mäkeln an seiner Erscheinung und seinem Verhalten den großen Eindruck abzuschwächen, er war für seine Deutschen ein Held geworden, zu dem sie in Verehrung und ängstlicher Theilnahme aufschauten. Jeder Einsichtige erkannte, daß dieser Lehrer des Volkes, wenn er am Leben blieb, fortan nicht nur für die Kirchenlehre, sondern auch für die politischen Schicksale des Reiches von hoher Bedeutung sein werde. Jetzt handelte es sich für seine Freunde vor Allem darum, ob man ihn vor dem Untergange bewahren könne.
Schon zu Worms war Luthern eröffnet worden, daß er auf eine Zeit lang verschwinden müsse. Die Gewohnheiten der fränkischen Ritter, unter denen er warme Verehrer hatte, legten den Gedanken nahe, ihn durch Bewaffnete aufheben zu lassen. Kurfürst Friedrich berieth mit seinen Getreuen die Entführung. Und es war ganz in der Weise dieses Fürsten, daß er selbst den Ort der Verwahrung nicht wissen wollte, um im Nothfall seine Unkenntniß beschwören zu können Elector ... deliberavit cum suis et dedit mandatum consiliariis, ut abderent me, sed ille nescivit locum, ut si insiurandum dandum esset, liquide iurare posset, se nescire locum; quamvis dixisset ad Georgium: sed si vellet scire, posset resciri. Georg ist Spalatinus. Familiaria colloquia, Handschrift in Hirzel's Bibliothek Bl. 29b.. Auch war es nicht leicht, Luthern mit dem Plan zu befreunden Luther's Brief an Melanchthon vom 12. Mai 1521., denn sein tapferes Herz hatte irdische Furcht längst überwunden, und mit einer begeisterten Freude, in welcher viel Schwärmerei und etwas Humor war, sah er auf die Versuche der Romanisten, ihn aus der Welt zu schaffen, über den doch ein Anderer zu verfügen hatte, der durch seinen Mund sprach. Wie behaglich er seinen Tod ansah, erhellt aus vielen Stellen; hier nur eine aus der Wartburgzeit in der Widmung zum Evangelium von den zehn Aussätzigen vom 17. Sept. 1521: »Ich armer Bruder habe abermal ein neu Feuer angezündet, o ein großes Loch in der Papisten Taschen gebissen, weil ich die Beichte angegriffen habe. Wo soll ich jetzt bleiben, und wo werden sie jetzt Schwefel, Pech, Feuer und Holz genug finden den giftigen Ketzer zu pülfern. Jetzt muß man gewiß die Kirchenfenster ausbrechen, da etliche heilige Väter und geistliche Herren predigen, daß sie Luft haben müßten, das Evangelium auszurufen, d. i. über den Luther zu lästern, Mord zu schreien und zu sprühen. Was sollten sie auch sonst dem armen Volk predigen; ein jeder muß predigen, was er kann. – Nur tot, tot, tot, schreien sie, mit dem Ketzer! will er doch alle Dinge umkehren und den ganzen geistlichen Stand umstoßen, worauf die Christenheit steht. Nun ich hoffe, so ich dessen würdig bin, es soll ihnen werden, daß sie mich töten und über mir ihrer Väter Maß füllen; aber es ist noch nicht Zeit, meine Stunde ist noch nicht gekommen, ich muß zuvor das Schlangengezücht besser erzürnen und den Tod redlich um sie verdienen, aus daß sie Ursache haben, einen großen Gottesdienst an mir zu vollbringen.« Widerwillig fügte er sich. Das Geheimniß war nicht leicht zu bewahren, so geschickt die Entführung auf die Wartburg auch ausgeführt wurde. Im Anfange erfuhr von den Wittenbergern nur Melanchthon den Aufenthalt. Aber Luther war durchaus nicht der Mann, sich geduldig irgend einem verdeckten Spiel zu fügen. Es entstand bald ein emsiges Botelaufen zwischen der Wartburg und Wittenberg; welche Vorsicht man auch bei der Besorgung der Briefe gebrauchte, es war schwer, dem Gerücht entgegenzutreten. Luther erfuhr auf der Burg eher als die Wittenberger, was in der großen Welt vorging, er erhielt von allen Neuigkeiten seiner Universität Nachricht, und versuchte, den Muth seiner Freunde zu stärken und ihre Politik zu leiten. Rührend ist, wie er Melanchthon zu kräftigen sucht, den die eigene unpraktische Art die Abwesenheit des starken Freundes schmerzlich empfinden ließ. »Es geht ohne mich,« schreibt er ihm, »nur Muth, ich bin euch gar nicht mehr nöthig; komme ich heraus, und ich kann nicht mehr nach Wittenberg zurück, so gehe ich in die Welt. Ihr seid die Männer, die Veste des Herrn ohne mich gegen den Teufel zu halten.« Seine Briefe adressirte er aus der Luft, aus Patmos, aus der Wüste, »unter den Vögeln, die lieblich von den Zweigen singen und Gott mit allen Kräften Tag und Nacht loben.« Einmal versuchte er schlau zu sein. Er legte dem Schreiben an Spalatin einen künstlichen Brief bei: man glaube ohne Grund, daß er auf der Wartburg sei; er lebe unter treuen Brüdern; es sei auffallend, daß niemand an Böhmen denke; als Zugabe folgt ein – nicht bösartiger – Hieb auf Herzog Georg von Sachsen, seinen eifrigsten Feind. Diesen Brief soll Spalatin mit sorglicher Unachtsamkeit so verlieren, daß er zu den Händen der Gegner komme. Dieser Brief, den de Wette II. S. 32 sucht, steht unter No. 329 seiner Sammlung.
Aber in solcher Diplomatie war er allerdings nicht konsequent, denn sobald seine Löwennatur durch eine Nachricht aufgeregt wurde, war er kurz entschlossen, nach Erfurt oder Wittenberg aufzubrechen. Schwer trug er die Muße seines Aufenthalts. Von dem Schloßhauptmann wurde er mit größter Aufmerksamkeit behandelt und diese Fürsorge bewährte sich, wie damals Brauch war, zunächst darin, daß der treue Manu mit Speise und Trank sein Bestes that. Das reichliche Leben, der Mangel an Bewegung, die frische Bergluft, in welche der Theologe versetzt war, wirkten auf Seele und Leib. Er hatte schon von Worms ein körperliches Leiden mitgebracht, dazu kamen Stunden finsterer Schwermuth, die ihn sogar zur Arbeit untüchtig machten.
Zwei Tage hinter einander zog er mit zur Jagd. Aber sein Herz war bei den wenigen Hasen und Feldhühnern, die von der Schaar der Menschen und Hunde in's Garn gehetzt wurden. »Unschuldige Thierlein! so hetzen die Papisten.« Einen kleinen Hasen am Leben zu erhalten, hatte er ihn in die Ärmel seines Rockes gewickelt, da kamen die Hunde und zerbrachen dem Thier die Glieder im schützenden Rock. »So knirscht Satan auch gegen die Seelen, die ich zu retten suche.« Wohl hatte Luther Grund, sich und die Seinen vor dem Satan zu wehren. Alle Autorität der Kirche hatte er geworfen, jetzt stand er schaudernd allein, nur das Letzte war ihm geblieben, die Schrift. Die alte Kirche hatte das Christenthum in fortdauernder Entwicklung dargestellt. Eine lebendige Tradition, welche neben der Schrift lief, Concilien, Decrete der Päpste hatten den Glauben in constanter Bewegung erhalten, er hatte sich wie ein bequemer Strom den scharfen Ecken der Volkscharaktere, großen Zeitbedürfnissen anbequemt. Es ist wahr, diese erhabene Idee eines ewig lebenden Organismus hatte sich nicht in ursprünglicher Reinheit bewahrt, der beste Theil ihres Lebens war geschwunden, leere Schmetterlingshülsen wurden conservirt, die alte demokratische Kirche hatte sich in eine unverantwortliche Herrschaft Weniger umgeformt, befleckt mit allen Lastern einer gewissenlosen Aristokratie, schon im schreienden Gegensatz gegen Vernunft und Volksgemüth. Aber was Luther an die Stelle setzen konnte, das Wort der Schrift, das löste von einem Wust seelenloser Verbildungen, dagegen bedrohte es mit andern Gefahren. Was war die Bibel? Zwischen dem ältesten und jüngsten Schriftwerk des heiligen Buches lagen vielleicht zwei Jahrtausende. Selbst das neue Testament war nicht von Christus selbst geschrieben, nicht einmal immer von solchen, welche die heilige Lehre aus seinem Munde vernommen hatten. Es war lange nach seinem Tode zusammengestellt. Einzelnes darin mochte ungenau überliefert sein. Alles war in einer fremden Sprache geschrieben, die dem Deutschen schwer verständlich war. Auch die größte Einsicht war in Gefahr, falsch zu deuten, wenn nicht Gottes Gnade den Erklärer ebenso erleuchtete, wie sie die Apostel erleuchtet hatte. Die alte Kirche hatte sich kurz geholfen, in ihr gab das Sacrament des Priesteramtes solche Erleuchtung, ja der heilige Vater nahm sogar die göttliche Vollmacht in Anspruch, auch da das Rechte zu wollen, wo sein Wille der Schrift widersprach. Der Reformator hatte nichts als sein schwaches menschliches Wissen und sein Gebet.
Zunächst war unvermeidlich, er mußte seine Vernunft gebrauchen, auch der heiligen Schrift gegenüber war eine gewisse Kritik nothwendig. Auch Luthern blieb nicht verborgen, daß die Bücher des neuen Testaments von verschiedenem Werth waren, es ist bekannt, daß er lange nicht viel auf die Offenbarung Johannis gab, und daß ihm der Brief Jacobi für eine »stroherne« Epistel galt. Aber sein Widerspruch gegen Einzelheiten machte ihn niemals am Ganzen irre. Unerschütterlich stand sein Glaube, daß die heilige Schrift, wenige Bücher ausgenommen, bis auf Wort und Buchstaben göttliche Offenbarung enthalte. Sie war ihm das Liebste aus Erden, die Grundlage seines ganzen Wissens; er hatte sich so hineingefühlt, daß er unter ihren Gestalten lebte wie in der Gegenwart. Je drohender das Gefühl seiner Verantwortlichkeit, desto heißer die Inbrunst, mit welcher er sich an die Schrift klammerte. »Ich, Gott Lob, halte meine Lehre gewiß für Gotteswort und hab' die schweren Gedanken und Anfechtungen überwunden, da mein Herz eine Weile also sagte: Bist du's denn allein, der das rechte Wort Gottes rein hat, und die Andern allzumal haben's nicht? So ficht uns der Satan an.« – »Wenn mich der Teufel müssig findet und ich an Gottes Wort nicht gedenke, so macht er mir ein Gewissen, daß ich die Regimente zerstöret und zerrissen, und gemacht, daß so viel Ärgerniß und Aufruhr kommen sei. Wenn ich aber Gottes Wort ergreife, so habe ich gewonnen Spiel.« – Und noch viele andere Stellen der Tischreden, z. B. bei Walch, S. 1254. Und ein kräftiger Instinkt für das Vernünftige und Zweckmäßige half ihm in der That über viele Gefahren hinweg, sein Scharfsinn hatte nichts von der haarspaltenden Sophistik der alten Lehrer, er verachtete unnöthige Subtilitäten und ließ mit bewundernswürdigem Takt gern dahingestellt, was ihm unwesentlich erschien. Aber wenn er nicht gottlos oder wahnsinnig werden wollte, blieb ihm doch nichts weiter übrig, als die neue Lehre zu gründen auf Worte und Culturzustände, welche fünfzehnhundert Jahre vor ihm lebendig gewesen waren. Und er verfiel doch in einzelnen Fällen dem, was sein Gegner Eck den schwarzen Buchstaben nannte.
Unter solchem Zwange bildete sich seine Methode. Hatte er eine Frage zu lösen, so sammelte er alle Stellen der heiligen Schrift, welche ihm eine Antwort zu enthalten schienen, jede Stelle suchte er prüfend in ihrem Zusammenhänge zu verstehen, dann zog er die Summa. Worin sie übereinstimmten, stellte er voran, wo sie von einander abwichen, bemühte er sich resignirt eine Lösung zu finden, welche auch das Widersprechende vereinigte. Das Ergebniß machte er in seinem Innern fest unter Versuchungen, durch heißes Gebet. Bei solchem Verfahren mußte er zuweilen zu Resultaten kommen, die auch gewöhnlichem Menschenverstand angreifbar waren. Als er z. B. im Jahre 1522 unternahm, die Ehe aus der heiligen Schrift aus neue sittliche Grundlagen zu stellen, so war Vernunft und Bedürfniß des Volkes allerdings auf seiner Seite, wenn er die achtzehn Gründe des geistlichen Rechts, Ehe zu wehren und zu zerreißen, einer scharfen Kritik unterzog und die unwürdige Begünstigung der Reichen vor den Armen verurtheilte. Aber es war doch wunderlich, wenn Luther allein aus der Bibel nachweisen wollte, welche Verwandtschaftsgrade erlaubt und verboten waren, zumal er auch das alte Testament heranzog, in welchem mehrere seltsame Ehen ohne Widerspruch des alten Jehovah vollzogen waren. Unzweifelhaft hatte Gott seinen Auserwählten einigemal gestattet, zwei Frauen zu haben.
Und dieselbe Methode war es, welche ihn im Jahre 1529 während der Unterhandlungen mit den Reformirten so hartnäckig machte, damals, wo er »das ist mein Leib« vor sich auf den Tisch schrieb und finster auf die Thränen und die ausgestreckte Hand Zwingli's hinüber sah. Nie war er beschränkter gewesen, und doch nie gewaltiger, der furchtbare Mann, der seine Überzeugung im heftigsten innern Streit dem Zweifel und Teufel abgerungen hatte. Es war eine unvollkommene Methode, und seine Gegner richteten nicht ohne Erfolg ihre Angriffe darauf. Mit ihr verfiel seine Lehre dem Schicksal aller menschlichen Weisheit. Aber in dieser Methode war auch ein starker gemächlicher Prozeß, bei welchem seine eigene Vernunft, Bildung und Herzensbedürfniß seiner Zeit viel mehr zur Geltung kamen, als er selbst ahnte. Und sie wurde der Ausgangspunkt, von dem eine gewissenhafte Forschung die deutsche Nation zu der höchsten geistigen Freiheit emporgearbeitet hat.
Zu solcher großartigen Prüfung kamen dem ausgestoßenen Mönch auf der Wartburg auch kleinere Versuchungen; er hatte längst durch fast übermenschliche geistige Thätigkeit das überwunden, was als Sinnentrieb mit großem Mißtrauen betrachtet wurde, jetzt regte sich kräftig die Natur, und er bittet mehrmals seinen Melanchthon, deshalb für ihn zu beten.
Da wollte das Schicksal, daß gerade in diesen Wochen der unruhige Geist Karlstadt's in Wittenberg auf die Priesterehe fiel und sich in einer Schrift über das Cölibat dahin entschied, Priester und Mönche binde das Gelübde der Ehelosigkeit nicht. Die Wittenberger waren im allgemeinen einverstanden, zunächst Melanchthon, der dieser Frage am unbefangensten gegenüberstand, er selbst hatte nie die Weihen erhalten und war schon seit zwei Jahren verheirathet.
So wurde von außen her gerade jetzt ein Knäuel von Gedanken und sittlichen Aufgaben in Luther's Seele geworfen, dessen Fäden sein ganzes späteres Leben umspinnen sollten. Was ihm fortan von herzlicher Freude und irdischem Glück gewährt war, beruhte auf der Antwort, die er für diese Frage fand. Was ihm möglich machte, die spätern Jahre zu ertragen, war das Glück seines Hauses, von da ab erst sollte sich die Blüte seines reichen Herzens entfalten. So gnädig sandte dem Einsamen das Geschick gerade jetzt die Botschaft, welche ihn auf's neue und fester mit seinem Volk verbinden sollte. Und wieder charakteristisch ist, wie Luther diese Ausgabe behandelt. Sein frommes Gemüth und der conservative Zug in seinem Wesen sträubten sich gegen die hastige und ungründliche Weise, in welcher Karlstadt folgerte. Man darf annehmen, daß ihn manches, was er gerade selbst empfand, mißtrauisch machte, ob nicht der Teufel diese bedenkliche Frage benutze, die Kinder Gottes zu versuchen. Und doch dauerten ihn jetzt in seiner Haft die armen Mönche im Zwange des Klosters so sehr. Er suchte in der Schrift; mit der Priesterehe wurde er leicht fertig. Aber von den Mönchen stand nichts in der Bibel. »Die Schrift schweigt, der Mensch ist unsicher.« Und dabei erschien ihm als ein lächerlicher Einfall, daß auch seine nächsten Freunde heirathen könnten, und er schreibt an den vorsichtigen Spalatin: »Guter Gott, unsere Wittenberger wollen auch den Mönchen Weiber geben! nun, mir sollen sie keines an den Hals hängen«, und ironisch warnt er: »Hüte dich nur, daß du nicht auch heirathest.« Aber das Problem beschäftigte ihn unaufhörlich, der Mensch lebt schnell in so großer Zeit. Allmählich kam er durch Melanchthon's Gründe, und wir dürfen annehmen, nach heißem Gebet zur Sicherheit. Was den Ausschlag gab, ihm selbst unbewußt, war doch die Erkenntniß, daß es vernünftig geworden sei und für eine sittlichere Begründung des bürgerlichen Lebens nothwendig, die Klöster zu öffnen. Fast drei Monate hatte er um die Frage gekämpft, am 1. November 1521 schrieb er den erwähnten Brief an seinen Vater.
Unermeßlich war die Wirkung seiner Worte auf das Volk, überall rührte sich's in den Kreuzgängen, fast aus allen Klosterpforten schlüpften Mönche und Nonnen; zuerst einzeln in heimlicher Flucht, bald lösten sich ganze Convente auf. Als Luther im nächsten Frühjahr, größere Sorge im Herzen, nach Wittenberg zurückkehrte, machten ihm die ausgelaufenen Nonnen und Mönche viel zu schaffen. Heimliche Briefe wurden von allen Enden an ihn befördert, häufig von aufgeregten Nonnen, die als Kinder von harten Eltern in die Klöster gesteckt waren und jetzt geldlos, schutzlos bei dem großen Reformator Hilfe suchten. Nicht unnatürlich war, daß sie sich nach Wittenberg drängten. Da kamen neun Nonnen aus dem adligen Stift Nimpschen angefahren, darunter eine Staupitz, zwei Zeschau, Katharina von Bora; dann waren wieder sechzehn Nonnen zu versorgen, und so fort. Das arme Volk dauerte ihn sehr, er schrieb ihretwegen, lief, sie bei achtbaren Familien unterzubringen. Zuweilen freilich wurde ihm des Guten zu viel, zumal die Haufen entsprungener Mönche belästigten ihn. Er klagt: »Gleich wollen sie heiraten und sind die ungeschicktesten Leute zu jeder Arbeit.« Er gab durch seine kühne Lösung einer schwierigen Frage großes Ärgerniß, er selbst hatte peinliche Empfindungen, denn unter denen, die jetzt im Tumult zur bürgerlichen Gesellschaft zurückkehrten, waren zwar hochgesinnte Männer, aber auch rohe und schlechte. Doch das alles machte ihn nicht einen Augenblick irre, er wurde, wie seine Art war, durch den Widerspruch nur entschlossener. Als er 1524 die Leidensgeschichte einer Klosterjungfrau, Florentina von Oberweimar, herausgab, wiederholte er in der Zuschrift, was er bereits so oft gepredigt hatte: »Gott läßt oft in der Schrift bezeugen, er wolle keinen gezwungenen Dienst haben, und niemand soll sein werden, er thue es denn mit Lust und Liebe. Hilf Gott! ist denn nicht mit uns zu reden? Haben wir denn nicht Sinn und Ohren? Ich sag's abermal, Gott will nicht gezwungenen Dienst haben, ich sag's zum drittenmal, ich sag's hunderttausendmal, Gott will keinen gezwungenen Dienst haben.« Eyne geschicht wye Got eyner Erbarn kloster Jungfrawen außgeholffen hat. 1524.
So trat Luther in die letzte Periode seines Lebens. Sein Verschwinden im Thüringer Wald hatte ungeheures Aufsehen gemacht. Die Gegner bebten vor dem Zorne, der sich in Stadt und Land gegen die erhob, welche man Mörder schalt. Aber die Unterbrechung seiner öffentlichen Thätigkeit wurde ihm doch verhängnißvoll. So lange er in Wittenberg Mittelpunkt des Kampfes war, hatten sein Wort, seine Feder die große Bewegung der Geister im Süden und Norden souverän beherrscht, jetzt arbeitete sie willkürlich, nach verschiedenen Richtungen, in vielen Köpfen. Einer der ältesten Genossen Luther's begann die Verwirrung, Wittenberg selbst wurde Tummelplatz einer abenteuerlichen Bewegung. Da litt es Luthern nicht länger auf der Wartburg. Schon einmal war er heimlich in Wittenberg gewesen, jetzt kehrte er gegen den Willen des Kurfürsten öffentlich dorthin zurück. Und jetzt begann er einen Heldenkampf gegen alte Freunde und gegen die Folgerungen, welche aus seiner eigenen Lehre geleitet wurden. Übermenschlich war seine Thätigkeit. Er wetterte ohne Aufhören von der Kanzel, in der Zelle flog seine Feder. Aber er vermochte nicht, jeden abgefallenen Geist zurückzuführen, selbst er konnte nicht verhindern, daß der Pöbel der Städte mit wüster Unsitte gegen Institute der alten Kirche und gegen verhaßte Personen losbrach, daß die Erregung des Volkes auch politische Wetter zusammenzog, daß der Ritter sich gegen den Fürsten, der Bauer gegen den Ritter erhob. Und was mehr war, er konnte nicht wehren, daß die geistige Freiheit, die er den Deutschen errungen hatte, bei frommen und gelehrten Männern ein selbständiges Urtheil über Glauben und Leben erzeugte, ein Urtheil, das auch seinen Überzeugungen widersprach. Es kamen die finstern Jahre des Bildersturms, der Wiedertäufer, des Bauernkrieges, des leidigen Sacramentstreites. Wie oft erhob sich in dieser Zeit die Gestalt Luther's finster und gewaltig über den Hadernden, wie oft erfüllten ihn selbst die Verkehrtheiten der Menschen und eigener heimlicher Zweifel mit banger Sorge um die Zukunft Deutschlands!
Denn in einer wilden Zeit, welche mit Feuer und Schwert zu töten gewöhnt war, faßte dieser Deutsche die geistigen Kämpfe so hoch und rein wie kein Anderer. Jede Anwendung irdischer Gewalt war ihm in der Zeit der eigenen höchsten Gefahr tötlich verhaßt, er selbst wollte nicht behütet sein von seinem Landesherrn, ja er wollte keinen Menschenschutz für seine Lehre. Er focht mit scharfem Kiel gegen seine Feinde, aber der einzige Scheiterhaufen, den er anzündete, war gegen ein Papier; er haßte den Papst wie den Teufel, aber er hat immer Verträglichkeit und christliche Duldung gegen Papisten gepredigt; er beargwöhnte manchen, in stillem Bunde mit dem Teufel zu stehen, er hat nie eine Hexe gebrannt. In allen katholischen Ländern flammten die Holzstöße über Bekennern des neuen Glaubens, selbst Hutten stand in starkem Verdacht, einigen Mönchen die Ohren abgeschnitten zu haben; Luther hatte herzliches Mitleid mit dem gedemüthigten Tetzel und schrieb ihm einen Trostbrief. So human war seine Empfindung. Der Obrigkeit, die Gott eingerichtet hat, gehorsam sein, war sein höchster politischer Grundsatz, nur wenn der Dienst seines Gottes gebot, loderte sein Widerspruch auf. Es war ihm beim Abschied von Worms befohlen worden, nicht zu predigen, ihm, der gerade damals für vogelfrei erklärt werden sollte; er ließ sich die Predigt nicht wehren, aber der ehrliche Mann hatte doch Sorge, man könne ihm das als Ungehorsam auslegen. Seine Auffassung des Reichszusammenhangs war noch ganz alterthümlich und ganz volksmäßig. Wie der Unterthan der Obrigkeit, so hatten die Landesherren und Kurfürsten dem Kaiser gehorsam zu sein nach Reichsgesetz.
An der Person Karl's V. nahm er sein Lebelang menschlichen Antheil, nicht nur in jener ersten Zeit, wo er ihn als das »theure junge Blut« begrüßte, auch noch spät, als er wohl wußte, daß der spanische Burgunder der deutschen Reformation höchstens nur aus Politik Duldung gewähre. »Er ist fromm und still,« sagte er von ihm, »er spricht in einem Jahre nicht so viel, als ich in einem Tage, er ist ein Glückskind«; gern rühmte er des Kaisers Mäßigung, Bescheidenheit und Langmuth. Als er schon längst die Politik des Kaisers verurtheilte und in der Stille dem Charakter desselben mißtraute, hielt er daraus, daß unter seinen Tischgästen mit Ehrfurcht von dem Herrn Deutschlands gesprochen würde, und sagte den Jüngeren entschuldigend: »Ein Politiker kann nicht so offen sein, als wir Geistliche.« Nach mehreren Stellen der Tischreden, deren Herausgeber allerdings gelegentlich starke Äußerungen Luther's abzudämpfen bemüht waren, aber in dem, was sie mittheilen, so zuverlässig berichten, wie etwa akademische Hefte den Vortrag eines gefeierten Lehrers wiedergeben. Wie bekannt, sind die Tischreden zusammengesetzt aus den Aufzeichnungen der gelehrten Hausgenossen Luther's, welche die Dicta ihres Gottesmannes sofort niederschrieben, gewöhnlich in der Sprechweise des Luther'schen Tisches, bald lateinisch, bald deutsch. Aus vielen solcher Hefte entstanden Sammlungen, aus mehreren Sammlungen die alten Drucke. Die alte lateinische Ausgabe der Tischreden (Frankf. a. M., 2 Bde., beide von 1571) ist nach der Sammlung von M. Antonius Lauterbach herausgegeben, deren bekannte Handschrift in der Bibliothek des Waisenhauses zu Halle erhalten ist. Aber beim Druck ist vieles ausgelassen, einiges geändert, der Druck des fast unbekannten Buches ist auffallend inkorrekt. Noch 1530 war sein Gutachten, daß es dem Kurfürsten Unrecht sei, seinem Kaiser mit den Waffen Widerstand zu leisten; erst 1537 fügte er sich widerstrebend der freieren Ansicht seines Kreises – aber nicht zuerst angreifen dürfe der gefährdete Fürst. So lebendig war in dem Mann aus dem Volke noch die ehrwürdige Tradition von einem festen, wohlgegliederten Bundesstaat, in einer Zeit, wo der stolze Bau jener alten Sachsen- und Frankenkaiser bereits so arg zerbröckelt war. Aber in solcher Loyalität war keine Spur von sklavischem Sinne; als ihn sein Landesfürst einst bestimmte, einen ostensiblen Brief zu schreiben, sträubte sich sein Wahrheitsgefühl gegen das Prädikat des Kaisers: Allergnädigster Herr, denn der Kaiser sei ihm nicht gnädig gesinnt. Und in seinem häufigen Verkehr mit Vornehmen war er von einer rücksichtslosen Offenheit, die mehr als einmal den Hofleuten schrecklich wurde. Seinem eigenen Landesherrn hat er in aller Ergebenheit Wahrheiten gesagt, wie sie nur ein großer Charakter aussprechen darf, nur ein gutherziger anzuhören vermag. Im ganzen hielt er wenig von den deutschen Fürsten, so sehr er einzelne achtete. Häufig und gerecht sind seine Klagen über ihre Unfähigkeit, Zügellosigkeit, ihre Laster. Ein mildes Urtheil über den sächsischen Hof in den Tischreden IV. § 127: »Ich habe neulich zu Hofe eine harte scharfe Predigt gethan wider das Saufen: aber es hilft nicht. Taubenheim und Minkwitz sagen: es könne zu Hofe nicht anders sein, denn die Musica und alles Ritter- und Saitenspiel wäre gefallen, nur noch mit Saufen würde jetzt an Höfen Aufmerksamkeit erwiesen. Und zwar unser gnädigster Herr und Kurfürst (Johann Friedrich) ist ein großer starker Herr, kann wohl einen guten Trunk ausstehen, was er verträgt, machet einen Andern neben ihm trunken; wenn er ein Buhler wäre, so würde es sein Fräulein nicht gut haben. Aber wenn ich wieder zu dem Fürsten komme, so will ich nichts andres thun, denn bitten, daß er überall seinen Unterthanen und Hofleuten bei ernster Strafe gebieten wolle, daß sie sich ja wohl vollsaufen sollen. Vielleicht, wenn es geboten würde, möchten sie das Widerspiel thun.« Auch den Adel betrachtete er gern mit Ironie, die Plumpheit der Mehrzahl mißfiel ihm höchlich. Merkwürdig ist folgende Stelle ebendaselbst: »Der Adel will regieren und kann doch nichts und versteht nichts. Der Papst aber weiß es nicht allein, sondern kann auch regieren in der That. Der geringste Papist kann mehr regieren als zehn vom Adel am Hofe.« Und einen demokratischen Widerwillen empfand er gegen die harten und eigennützigen Rechtsgelehrten, welche die Geschäfte der Fürsten besorgten, nach Gunst arbeiteten, die armen Leute quälten; dem besten von ihnen räumte er nur sehr zweifelhafte Aussicht auf die Gnade Gottes ein. Dagegen war sein ganzes Herz bei den Unterdrückten; er schalt zuweilen die Bauern, ihre Verstocktheit, ihren Kornwucher, aber er pries auch oft ihren Stand, sah mit herzlichem Mitleid auf ihre Lasten und gedachte wohl, daß er von Haus aus zu ihnen gehörte.
Doch das alles gehörte zum weltlichen Regiment, er diente dem geistlichen. Auch die volksmäßige Vorstellung saß fest in seiner Seele, daß zwei herrschende Gewalten nebeneinander die deutsche Nation zu regieren hätten, Kirchenmacht und Fürstenmacht. Und er hatte gutes Recht, sein Gebiet von Pflichten und Rechten mit Stolz der weltlichen Politik gegenüberzustellen. In seinem geistlichen Gebiet war Gemeinsinn, Opfermuth, eine Fülle idealen Lebens, im weltlichen Regiment fand er überall engherzigen Eigennutz, Räuberei, Betrug und Schwäche. Zornig kämpfte er dafür, daß die Obrigkeit sich nicht zu ordnen anmaße, was dem Seelsorger und der Autonomie seiner Gemeinde zustehe. Vom Interesse seines Glaubens, nach dem Gesetz seiner Bibel beurtheilte er alle Politik. Wo ihm das Schriftwort durch weltliche Politik gefährdet schien, erhob er seine Stimme, gleichgültig, wen sie traf. Es war nicht seine Schuld, daß er stark war und die Fürsten schwach, und ihn, den Mönch, den Professor, den Seelsorger darf kein Vorwurf treffen, wenn der protestantische Fürstenbund der schlauen Staatskunst des Kaisers gegenüberstand wie ein Rudel Hirsche. Er selbst war sich klar bewußt, daß italienische Politik nicht seine Sache war; wenn der rührige Landgraf von Hessen einmal dem geistlichen Rath nicht folgte, so achtete ihn Luther darum im Stillen um so mehr. »Er hat seinen eigenen Kopf, es gelingt ihm, er hat einen weltlichen Verstand.«
Jetzt, seit Luther's Rückkehr nach Wittenberg, brauste im Volke eine demokratische Fluth. Luther hatte die Klöster geöffnet, jetzt verlangte man Abhilfe für viele andere sociale Schäden: die Noth der Bauern, die geistlichen Steuern, die Pfründenwirthschaft, die schlechte Rechtspflege. Luther's ehrliches Herz sympathisirte mit dieser Bewegung. Er ermahnte und schalt die Grundherren und Fürsten. Aber als sich die wilden Wogen des Bauernkrieges auch über seine Saaten ergossen, als blutige Gewaltthat sein Gemüth verletzte und er empfand, daß die Schwärmer und Rottengeister eine Herrschaft über die Bauernhaufen ausübten, welche auch seiner Lehre Vernichtung drohte, da warf er sich im höchsten Zorn der rohen Masse entgegen. Wild und kriegerisch klang sein Ruf an die Fürsten, ihm war das Greulichste geschehen, das Evangelium der Liebe war geschändet durch die freche Willkür solcher, welche sich seine Bekenner nannten. Seine Politik war auch hierin die richtige; es gab in Deutschland leider keine bessere Macht als die der Fürsten, auf ihnen beruhte trotz allem die Zukunft des Vaterlandes, weder die unfreien Bauern noch die räuberischen Edelleute, noch die vereinzelten Reichsstädte, welche wie Inseln in der schwellenden Brandung standen, gaben eine Garantie. Er hatte ganz Recht in der Sache, aber dieselbe hartköpfige, unbeugsame Art, welche bis dahin seine Kämpfe gegen die Hierarchie so volksthümlich gemacht hatte, wandte sich jetzt gegen das Volk selbst. Ein Schrei des Entsetzens und Abscheus ging durch die Masse. Er war ein Verräther. Der seit acht Jahren der Liebling und Held des Volkes gewesen war, er wurde plötzlich der unpopulärste Mann. Aufs neue wurde ihm Sicherheit und Leben bedroht, noch fünf Jahre nachher war es für ihn der Bauern wegen gefährlich, nach Mansfeld zu seinem kranken Vater zu reisen. Der Zorn der Menge arbeitete auch gegen seine Lehre, die Winkelprediger und neuen Apostel behandelten ihn als verlornen, verdorbenen Mann.
Er war gebannt, er war geächtet und vom Volke verflucht. Auch viele wohlmeinende Männer hatten seinen Sturm gegen Cölibat und Klosterleben nicht gebilligt. Die Landedelleute drohten den Geächteten auf der Landstraße aufzuheben, weil er die Nonnenklöster vernichtet hatte, in welche, ähnlich wie in Findelhäuser, die ehelichen Töchter des armen Adels schon in früher Kindheit geworfen wurden. Die römische Partei triumphirte, der neuen Ketzerei war genommen, was sie bis dahin mächtig gemacht hatte. Luther's Leben und seine Lehre schien dem Untergang nahe.
Da beschloß Luther zu heirathen. Zwei Jahre hatte Käthe von Bora im Hause des Stadtschreibers, späteren Bürgermeisters Reichenbach zu Wittenberg gelebt, ein kräftiges, stattliches Mädchen, auch sie die verlassene Tochter einer Familie des meißnischen Landadels Noch ist die Untersuchung über ihre Familie nicht beendet. Das Beste darüber in Seidemann's Anmerkungen zum sechsten Theil von Luther's Briefen. Darnach erscheinen die Bora in Urkunden des Dresdner Archivs seit dem 13. Jahrhundert. Die Bora-Kessel in Schlesien, jetzt ebenfalls ausgestorben, scheinen nicht verwandt, wenigstens ist das Wappen ein anderes. Über Katharina's Eltern wissen wir nichts Sicheres, ihre Geschwister aber klammerten sich später an Luther's Fürsprache.. Zweimal hatte sich Luther bemüht, ihr einen Gatten zu werben, wie er in väterlicher Sorge schon mehreren ihrer Gefährtinnen gethan hatte, endlich erklärte Katharina, sie werde keinen Mann freien, wenn nicht Luthern selbst oder seinen Freund Amsdorf. Luther war verwundert, aber er entschloß sich kurz. Von Lucas Kranach begleitet, hielt er um sie an und ließ sich auf der Stelle mit ihr trauen. Dann bat er die Freunde zum Hochzeitsschmaus, suchte bei Hofe um den Wildbraten nach, den der Landesherr seinen Professoren bei Hochzeiten zu schenken pflegte, und empfing von der Stadt Wittenberg den Tischwein als Festgeschenk. Wie es damals in Luther's Seele aussah, möchten wir gern verstehen. Sein ganzes Wesen war auf das höchste gespannt, die wilde Urkraft seiner Natur stieß nach allen Seiten, tief war er erschüttert über das Unheil, das rings um ihn aus verbrannten Dörfern und erschlagenen Männern aufstieg. Wäre er ein Fanatiker seiner Ideen gewesen, er hätte jetzt wohl in Verzweiflung geendigt. Aber über der stürmischen Unruhe, die bis zu seiner Vermählung in ihm erkennbar ist, glänzte ihm wie ein reines Licht gerade jetzt die Überzeugung, daß er Hüter des göttlichen Rechtes unter den Deutschen sei, und daß er, um bürgerliche Ordnung und Sitte zu schützen, die Meinung der Menschen zu leiten habe, nicht aber ihr zu folgen. Wie heftig er im einzelnen eifert, gerade jetzt erscheint er vorzugsweise konservativ, fester als je in sich geschlossen. Daneben hatte er allerdings die Ansicht, daß ihm nicht mehr lange zu leben bestimmt sei, und in manchen Stunden erwartete er mit Sehnsucht das Martyrium. So schloß er auch seine Ehe im völligen Einklang mit sich selbst. Er hatte sich vollständig in die Nothwendigkeit und Schriftmäßigkeit der Ehe hineingetrieben, seit den letzten Jahren hatte er alle seine Bekannten zum Heiraten gedrängt, zuletzt sogar einen alten Gegner, den Erzbischof von Mainz. Er selbst giebt zwei Gründe an, die ihn bestimmt haben. Er hatte seinen Vater auf lange Jahre des Sohnes beraubt, es war ihm wie eine Sühne, dem alten Hans einen Enkel zu hinterlassen, wenn er selbst sterbe. Auch Trotz war dabei: die Gegner triumphirten, Luther sei gedemüthigt, alle Welt nahm jetzt Ärgerniß an ihm, er wollte ihr noch mehr Ärgerniß geben in seiner guten Sache.
Er war von kräftiger Natur, aber es war keine Spur von roher Sinnlichkeit in ihm. Und wir dürfen annehmen, daß der beste Grund, den er keinem Freunde gesteht, zuletzt doch der entscheidende war. Lange hatte das Geschwätz der Leute mehr gewußt als er, jetzt wußte auch er, daß Katharina ihm hold war. »Ich bin nicht verliebt und nicht in Leidenschaft, aber ich bin ihr gut«, schreibt er einem seiner liebsten Freunde. – Und diese Ehe, gegen die Meinung der Zeitgenossen unter dem Hohngeschrei der Gegner geschlossen, wurde ein Bund, dem wir Deutsche eben so viel verdanken als den Jahren, in denen er, ein Geistlicher der alten Kirche, für seine Theologie die Waffen getragen hatte. Denn von jetzt wurde der Gatte, der Vater, der Bürger auch Reformator des häuslichen Lebens seiner Nation, und grade der Segen seiner Erdentage, an welchem Protestanten und Katholiken gleichen Antheil haben, stammt aus der Ehe zwischen einem ausgestoßenen Mönch und einer entlaufenen Nonne.
Denn noch einundzwanzig arbeitsvolle Jahre sollte er als Bildner seiner Nation wirken. Jetzt wurde sein größtes Werk, die Übersetzung der Bibel, beendigt, und an dieser Arbeit, die er im Verein mit seinen Wittenberger Freunden zum Abschluß brachte, erwarb er die volle Gewalt über die Sprache des Volkes, eine Prosa, welche zuerst durch dies Werk ihren Reichthum und ihre Kraft gebrauchen lernte. Wir wissen, in welchem großen Sinne er die Arbeit unternahm, ein Buch für das Volk wollte er schaffen, emsig studirte er dazu Redeweise, Sprichwörter und technische Ausdrücke, die im Volksmunde lebten. Noch die Humanisten hatten oft ein unbehilfliches verschränktes Deutsch geschrieben mit ungefügen Sätzen in unschöner Erinnerung an den lateinischen Stil. Jetzt erhielt die Nation zur täglichen Lectüre ein Werk, das mit einfachem Wort in kurzen Sätzen die tiefste Weisheit und die beste geistige Habe der Zeit zum Ausdruck brachte. Mit den übrigen Werken Luther's wurde die deutsche Bibel Grundlage der neudeutschen Sprache. Und diese Sprache, in welcher unsre ganze Literatur und unser geistiges Leben Ausdruck gefunden hat, ist eine unvertilgbare Habe geworden, welche in den schwersten Zeiten, selbst verunziert und entstellt, die einzelnen deutschen Stämme erinnert hat, daß sie zusammengehören. Noch wächst bei uns jeder Einzelne aus dem Dialekt seiner Heimat herauf, noch heute ist die Sprache der Bildung, Poesie und Wissenschaft, an welcher Luther mehr geschaffen hat, als irgend ein Anderer, das Band, welches alle deutschen Seelen zur Einheit zusammenschließt.
Und nicht weniger war, was derselbe Mann für das bürgerliche Leben der Deutschen that. Hausandacht, Ehe und Kinderzucht, Gemeindeleben und Schulwesen, Sitte, Vergnügen, alle herzlichen Empfindungen, alle gesellschaftliche Freude weihte er durch seine Lehre und Schrift, überall war er bemüht, neue Marksteine zu setzen, tieferen Grund zu graben. Kein Gebiet menschlicher Pflicht gab es, über welches er seine Deutschen nicht nachzudenken zwang. Durch seine zahlreichen Sermone und kleinen Schriften wirkte er in's Weite, durch zahllose Briefe, in denen er Anfragenden Rath und Trost gab, auf die Einzelnen. Wenn er die Zeitgenossen unablässig trieb, selbstthätig zu prüfen, ob ein Herzenswunsch berechtigt sei oder nicht, was der Vater dem Kinde, der Unterthan der Obrigkeit, der Rathsherr seiner Bürgerschaft zu gewähren schuldig sei, so war der Fortschritt, der durch ihn gemacht wurde, deshalb so bedeutend, weil er auch hier das Gewissen des Einzelnen frei machte und an die Stelle äußeren Zwangs, gegen den sich die Selbstsucht bisher trotzig empört hatte, überall gemüthvolle Selbstbeherrschung setzte. Wie schön begreift er die Nothwendigkeit, die Kinder durch Schulunterricht zumal in alten Sprachen zu bilden, wie warm empfiehlt er seine geliebte Musik zur Einführung in den Schulen, wie groß wird sein Blick, wenn er die Rathsherren ermahnt, auch Stadtbibliotheken anzulegen. Und wieder, wie gewissenhaft suchte er bei Verlobung und Ehe dem Herzen der Liebenden ein Recht zu sichern gegenüber der harten elterlichen Gewalt. Wohl ist auch sein Gesichtskreis durch die Worte der Schrift begrenzt, aber überall klingt durch sein Predigen, Treiben und Schelten der schöne Grundton seiner deutschen Natur, das Bedürfniß von Freiheit und Zucht, von Liebe und Sittlichkeit. Das alte Sacrament der Ehe hatte er geworfen, aber höher, edler, freier gestaltete er das innerliche Verhältniß zwischen Mann und Weib; die unbehilflichen Klosterschulen hatte er befehdet, überall in Dorf und Stadt, soweit sein Einfluß reichte, blühten bessere Bildungsstätten für die Jugend auf; Messe und lateinischen Kirchengesang hatte er abgeschafft, er gab dafür Verehrern und Gegnern die regelmäßige Predigt und das deutsche Kirchenlied.
Die große Bedeutung, welche Luther's Lehre nicht nur in den Seelen der Deutschen, auch in den politischen Verhältnissen des Reiches gewonnen hatte, ist schon neun Jahre nach den Tagen von Worms in Luther's Leben erkennbar. Zu Worms war er den Feinden ein einzelner verruchter Ketzer, dessen Tod die gefährliche Irrlehre wegschaffen konnte, im Jahre 1530 aber Übergaben auf dem Reichstage zu Augsburg die Fürsten und Stände, welche sich von der alten Kirche gelöst hatten, dem Kaiser ein Bekenntniß ihres Glaubens, und dieses Bekenntniß wurde Grundlage einer gesicherten politischen Stellung des Protestantismus, es war trotz aller Klauseln, welche noch daran hingen, in Wahrheit der erste Friedensvertrag, welchen die siegreiche neue Lehre mit dem heiligen römischen Reiche abschloß. Da war es nun eine seltsame Fügung, daß der ehrliche Luther, ähnlich wie einst aus der Wartburg, auf einem anderen festen Sitz seines Kurfürsten, auf der Veste Koburg wieder in Verborgenheit, in Tracht und mit dem Bart eines ritterlichen Mannes, den Erfolg abzuwarten hatte, und wieder datirte er seine Briefe geheimnißvoll aus der Einsamkeit und aus dem Reiche der Vögel und ermahnte Melanchthon zu tapferem Beharren. Denn während seine Freunde und Mitarbeiter zu Augsburg bei der großen Bekenntnißschrift thätig waren, sollte er, der immer noch unter der Reichsacht stand, nicht in das Landgebiet katholischer Herren und vor die Augen des Kaisers, der ihn geächtet hatte, geführt werden. Aber diese Acht von 1521, wie bedeutungslos war sie geworden! Wenige Monate, nachdem sie erklärt war, hatte die steigende Aufregung im Volke und der maßlose Eifer anderer Unzufriedener die Feinde Luther's zu dem Bekenntniß genöthigt, daß es das größte Glück sein würde, wenn der verschwundene Luther noch am Leben wäre. Seitdem hatte er ebenso gewaltig wie gegen den Papst, sich gegen das socialistische Treiben im Volke erhoben, und er hatte durch den Zauber seines starken Wesens und mit der Fülle seines deutschen Gemüthes so viel für Zucht und Ordnung im Volke gethan, daß selbst seine Gegner etwas von dem Segen fühlten. Aber freilich, neben hohen Erfolgen hatte er auch große Beschränkung seiner Wirksamkeit erlebt. Zu Worms war er der Einzige gewesen, in Wahrheit der Vertreter des deutschen Gewissens und der geistliche Führer der ganzen starken Bewegung, welche sich im deutschen Volke erhob; im Jahre 1530 war er Haupt und Führer einer großen Partei, nur einer Partei, neben welcher andere Richtungen und Parteien herauskamen. Auch in der alten Kirche war die Scheu vor der öffentlichen Meinung größer, die Gläubigkeit inniger und gemüthvoller geworden. Neben Luther hatte sich die Lehre Zwingli's auch in Deutschland ausgebreitet, und unten im Volke arbeitete die socialistische Lehre der Wiedertäufer feindlich gegen ihn, wie gegen das System der alten Kirche. Auch er selbst war ein Anderer; nicht mehr der todesfrohe Märtyrer, sondern der umsichtige Berather seiner Fürsten und ein eifriger, strenger Bauherr an seiner neuen Kirche. Und er, der auf der Wartburg wegen der Ehelosigkeit der Mönche in Gewissenszweifeln gerungen hatte, er schrieb jetzt neben Erklärungen biblischer Schriften auch in guter Laune herzliche Briefe in sein eigenes Haus, an seine Tischgenossen und an seinen kleinen Sohn: über den Reichstag der Dohlen, die um die Thürme der Veste Koburg lärmten, und über einen schönen Himmelsgarten, in dem fromme Kinder singen und springen, auf kleinen Pferdlein mit goldenen Zäumen reiten und mit der Armbrust schießen. Der Apostel der Deutschen war zu einem großen geistlichen Hausherrn in Deutschland geworden.
Immer reiner trat mit den Jahren in seiner Seele das Bedürfniß hervor, alles Holde, Gute und Herzliche, was ihm die Welt entgegentrug, als göttlich zu empfinden. In solchem Sinne war er immer fromm und immer weise, in der Natur, in ehrbarer Fröhlichkeit unter seinen Genossen, wenn er seine Frau neckte, seine Kinder im Arm hielt. Vor dem Fruchtbaum, den er voll Obst hängen sah, stand er vergnügt über die Pracht: »Wenn Adam nicht gefallen wäre, hätten wir immer alle Bäume so bewundert«. Eine große Birne nahm er erstaunt in die Hand: »Seht, vor einem halben Jahre war sie tiefer unter der Erde, als sie lang und groß ist, und saß im äußersten Wipfel der Wurzel. Diese allerkleinsten und unachtsamsten Creaturen sind die größten Wunderwerke. Gott ist in der geringsten Creatur, als in einem Baumblatt oder Gräslein!« Zwei Vöglein machten in des Doktors Garten ein Nest und flogen am Abend heran, oft von den Vorübergehenden gescheucht; er rief ihnen zu: »Ach du liebes Vöglein, fliehe nicht, ich gönne dir's von Herzen wohl, wenn du mir's nur glauben könntest. Aber so vertrauen auch wir unserm Gott nicht.« Große Freude war ihm die Geselligkeit mit treuen Männern, dann trank er vergnügt seinen Wein, die Unterhaltung flog lebendig über Großes und Kleines, er urtheilte mit prächtiger Laune über Feinde und gute Bekannte, lachte und erzählte lustige Schwänke und wischte dabei, wenn er in Erörterungen kam, mit der Hand über seine Knie – denn dieser Gestus war ihm eigen – oder er sang wohl selbst, schlug die Laute und richtete eine Cantorei auf. Was Menschen in Ehrbarkeit fröhlich machte, war ihm lieb, die herrlichste Kunst die Musica; mild urtheilt er über den Tanz und sprach – fünfzig Jahre vor Shakespeare – wohlwollend von der Komödie, denn sie lehre gleich einem Spiegel, wie sich ein jeglicher halten soll Querela M. Lutheri, Bas. 1554 p. 6. – Tischreden. Walch, 2277..
Wenn er so mit Melanchthon zusammensaß, dann war Magister Philipp der Milde, Gelehrte, der zu gewagten Behauptungen seines kräftigen Freundes wohl einmal die kluge Einschränkung hinzufügte. War dann von reichen Leuten die Rede und Frau Käthe konnte sich nicht enthalten, sehnsüchtig zu bemerken: »Hätte mein Herr einen solchen Sinn gehabt, so wäre er sehr reich geworden«, dann entschied Melanchthon ernsthaft: »Das ist unmöglich, denn die so auf allgemeinen Nutzen trachten, die können nicht ihrem Nutzen anhängen«. Ein Thema aber gab es, worin die beiden Männer gern aneinander geriethen. Melanchthon war ein großer Freund der Astrologie. Und diese Wissenschaft sah Luther mit souveräner Verachtung an; Luther dagegen war durch seine Methode der biblischen Exegese – ach, und durch geheime politische Sorgen – zu der Überzeugung gekommen, daß das Ende der Welt nahe sei. Das schien wieder dem gelehrten Melanchthon sehr zweifelhaft. Wenn also Melanchthon von Himmelszeichen und Aspecten anfing, und Luther's Erfolge daraus erklärte, daß dieser unter dem Zeichen der Sonne geboren sei, dann rief Luther: »Ich gebe nicht so viel auf euern Sol. Ich bin eines Bauern Sohn, mein Vater, Großvater, Ahnherr sind rechte Bauern gewesen«. – »Ja«, versetzte Melanchthon, »auch im Dorfe würdet ihr ein Oberster, Schultheiß oder ein erster Knecht über die andern geworden sein.« »Ich aber«, rief Luther siegreich, »bin ein Baccalaureus, Magister, ein Mönch geworden, das steht im Gestirne nicht; darnach bin ich dem Papst in die Haare gefallen und er mir wieder, ich habe eine Nonne zum Weibe genommen und etliche Kinder mit ihr gezeugt, wer hat das in den Sternen gesehen!« Und wieder fuhr Melanchthon in seinen astrologischen Deutungen fort, begann vom Kaiser Karl und erklärte, diesem Herrn sei bestimmt, im Jahre 1584 zu sterben. Da brach Luther stark heraus: »So lange steht die Welt gar nicht mehr. Denn wenn wir den Türken wegschlagen, ist die Prophezeiung Danielis erfüllt und am Ende. Dann ist der jüngste Tag gewißlich vor der Thür.« –
Wie liebenswürdig ist er als Vater in der Familie. Als seine Kinderlein vor dem Tisch standen und mit allem Fleiß auf das Obst und die Pfirsichen sahen, sagte er: »Wer da sehen will das Bild eines, der sich in Hoffnung freut, der hat hier das rechte Conterfei. Ach daß wir den jüngsten Tag so fröhlich ansehen könnten! Adam und Eva werden viel besseres Obst gehabt haben, unseres sind eitel Holzäpfel dagegen. Auch die Schlange, meine ich, war damals die schönste Creatur, freundlich und holdselig, noch trägt sie ihr Krönlein, aber nach dem Fluch hat sie die Füße und ihren schönen Leib verloren.« So sah er seinem dreijährigen Söhnchen zu, welches spielte und mit sich selbst plauderte: »Dies Kind ist wie ein Trunkener, es weiß nicht, daß es lebet, und lebet doch sicher und fröhlich dahin, springet und hüpfet. Solche Kinder sind gern in großen weiten Gemächern, wo sie Raum haben.« Und er zog das Kind an sich: »Du bist unseres Herrgotts Närrchen, unter seiner Gnade und Vergebung der Sünden, nicht unter dem Gesetz, du fürchtest dich nicht, bist sicher und bekümmerst dich um nichts; wie du es machst, so ist's unverderbt. Die Eltern haben die jüngsten Kinder allezeit am liebsten; mein kleiner Martin ist mein liebster Schatz, solche Kinderlein bedürfen der Eltern Sorge und Liebe am meisten. Darum steigt die Liebe der Eltern allezeit einfältig niederwärts. Wie muß Abraham zu Sinne gewesen sein, da er seinen jüngsten und liebsten Sohn wollte opfern, er wird der Sarah nichts davon gesagt haben. Dieser Gang wird ihm sauer angekommen sein.« – Seine geliebte Tochter Magdalena lag auf dem Tode, da klagte er: »Ich habe sie sehr lieb, aber lieber Gott, da es dein Wille ist, daß du sie dahin nehmen willst, so will ich sie gern bei dir wissen. Magdalena, mein Töchterchen, du bleibst gern hier bei deinem Vater und ziehst auch gern zu jenem Vater.« Da sprach das Kind: »Ja, herzer Vater, wie Gott will.« Und als sie starb, fiel der Vater vor dem Bett auf seine Knie, weinte bitterlich und betete, daß sie Gott erlösen wolle. Da entschlief sie in des Vaters Händen. Und als das Volk kam, die Leiche bestatten zu helfen, und den Doktor nach Gewohnheit anredete, sagte er: »Ich bin ja fröhlich im Geist, aber das Fleisch will nicht heran, das Scheiden vexiret einen über die Maßen sehr. Wunderlich ist's, zu wissen, daß sie gewiß im Frieden und ihr wohl ist, und doch noch so traurig zu sein.«
Sein Dominus oder Herr Käthe, wie er die Gattin gern in Briefen an die Freunde nannte, hatte sich bald zu einer tüchtigen Wirthin gebildet. Und sie hatte nicht geringe Mühe. Kleine Kinder, der Mann oft kränklich, eine Anzahl Tischgänger, Magister und arme Studenten, ein immer offenes Haus, dem selten gelehrte oder vornehme Gäste fehlten, und dazu ein knapper Haushalt und ein Gatte, der lieber gab als nahm, und der in seinem Eifer einmal, als sie in Wochen lag, sogar über das Pathensilber der Kleinen herfiel, um ein Almosen zu geben. Luther kann z. B. im Jahre 1527 nicht acht Gulden für seinen früheren Prior und Freund Briesger auslegen. Traurig schreibt er ihm: »Drei silberne Becherlein (Hochzeitgeschenke) sind gegen 50 Gulden verpfändet, das vierte ist wieder verkauft, das Jahr hat 100 Gulden Schulden gebracht. Lucas Kranach will meine Bürgschaft nicht mehr annehmen, damit ich mich nicht ganz ruinire.« – Einigemal lehnt Luther Geschenke ab, auch solche, welche ihm sein Landesherr anbietet; es scheint, daß die Rücksicht auf Weib und Kinder ihm in der letzten Zeit doch etwas haushälterischen Sinn gab. Als er starb, betrug seine Hinterlassenschaft in ungefährer Schätzung etwa 8–9000 Gulden, darunter ein Landgütchen, ein großer Garten, zwei Häuser; das war sicher vorzugsweise Frau Käthe's Verdienst. Aus der Art, wie Luther sie behandelt, sehen wir, wie glücklich seine Häuslichkeit war. Wenn er Anspielungen auf das behende Schwatzen der Frauen macht, er hatte wenig Recht dazu, denn er selbst war durchaus kein Mann, den man wortkarg nennen durfte. Wenn sie sich herzlich freut, allerlei Fische aus dem kleinen Teich ihres Gartens aufsetzen zu können, und der Doktor wieder über ihre Freude seelensvergnügt ist, und nicht verfehlt, eine angenehme Betrachtung über das Glück der Genügsamkeit daranzuhängen. Oder wenn ihr einmal das Lesen im Psalter zu viel wird und sie ihm antwortet, sie höre genug vom Heiligen, lese täglich viel und könne auch wohl davon reden, Gott wolle nur, daß sie darnach handle, und der Doktor aus diese verständige Antwort erseufzt: »So fängt der Überdruß an Gottes Wort an, es werden eitel neue Bücher kommen und die Schrift wird wieder in den Winkel geworfen.« – Aber dies feste Verhältniß von zwei guten Menschen war längere Zeit nicht ohne geheimes Weh. Wir vermögen nur zu ahnen, was an der Seele der Frau nagte, wenn noch im Jahre 1527 Luther in gefährlicher Krankheit von ihr letzten Abschied nahm mit den Worten: »Du bist mein ehelich Weib, dafür sollst du dich gewiß halten.«
Ähnlich, wie mit seinen Lieben, verkehrte Luther auch mit den hohen Mächten seines Glaubens. Alle guten Gestalten aus der Bibel waren ihm wie treue Freunde, seine lebhafte Einbildungskraft hatte ihr Wesen vertraulich zugerichtet, und gern malte er sich ihre Zustände mit der Treuherzigkeit eines Kindes aus. Als ihn Veit Dietrich frug, was wohl der Apostel Paulus für eine Person gewesen sei, erwiderte Luther schnell: »Er war ein unansehnliches, hageres Männlein, wie Philippus Melanchthon.« Ein anmuthiges Bild war ihm die Jungfrau Maria; »sie ist ein feines Mädchen gewesen«, sagte er bewundernd, »sie muß eine gute Stimme gehabt haben.« Und den Erlöser dachte er sich am liebsten als Kind bei den Eltern, wie er dem Vater das Essen auf den Holzplatz trägt, und wie Maria, wenn er zu lange ausbleibt, fragt: »Wo bist du denn so lange gewesen. Kleiner?« Nicht aus dem Regenbogen in Glorie, nicht als Vollstrecker des Gesetzes soll man den Heiland denken, die Vorstellung ist dem Menschen zu hoch und furchtbar, nur als armen Dulder, der unter den Sündern lebt und für sie stirbt.
Auch sein Gott war ihm durchaus Hausherr und Vater. Gern vertiefte er sich in die Ökonomie der Natur. Er ergeht sich in staunender Betrachtung, wie viel Holz Gott schaffen müsse. »Niemand kann ausrechnen, was Gott nur allein braucht, die Sperlinge und unnützen Vögel zu ernähren, die kosten ihn in einem Jahre allein mehr, als der König von Frankreich Einkommen hat. Und nun denke man das Andere.« – »Gott versteht alle Handwerke: in seiner Schneiderei macht er dem Hirsch einen Rock, der hundert Jahre hält; als ein Schuster gießt er ihm Schuhe an die Beine, und bei der lieben Sonne ist er ein Koch. – Er könnte wohl reich werden, wenn er wollte, wenn er die Sonne aufhielte, die Luft einschlösse, wenn er dem Papst, Kaiser, Bischöfen und Doktoren mit Tod drohte, sobald sie ihm nicht zur Stunde hunderttausend Gulden zahlten. Da er das aber nicht thut, sind wir undankbare Unfläther.« – Und ernstlich denkt er darüber nach, wo die Nahrungsmittel für so viele Menschen herkommen; der alte Hans Luther hatte behauptet, es gäbe mehr Menschen als Korngarben; der Doktor glaubte zwar, daß mehr Garben wachsen als Menschen, aber doch mehr Menschen als Mandeln Korn; die Mandel Korn aber giebt kaum einen Scheffel, und davon kann ein Mensch doch nicht das ganze Jahr hindurch leben.« – Sogar ein Düngerhaufen lud ihn zu herzlicher Betrachtung ein. »Gott hat eben so viel aufzuräumen als zu schaffen, wenn er nicht beständig fortbrächte, die Menschen hätten die Welt längst vollgeschmissen.« Und wenn Gott den Gottesfürchtigen oft ärger straft als den Gottlosen, so handelt er ihm wie ein ernster Hauswirth, der seinen Sohn öfter stäupt als den argen Knecht, aber heimlich sammelt er dem Sohn einen Schatz zum Erbe, den Knecht stößt er zuletzt vor die Thür. – Und fröhlich zieht er den Schluß: »Kann mir unser Herrgott verzeihen, daß ich ihn wohl zwanzig Jahre mit Messehalten geärgert habe, so kann er mir auch zu gute halten, daß ich bisweilen ihm zu Ehren einen guten Trunk thue. Die Welt lege es aus wie sie wolle.«
Auch wundert er sich sehr darüber, daß Gott so hart mit den Juden zürne. »Seit fünfzehnhundert Jahren beten sie heftig mit Ernst und großem Eifer, wie ihre Gebetbüchlein zeigen, und er läßt sich ihnen die ganze Zeit nicht mit einem Wörtlein merken. Wenn ich so beten könnte, wie sie beten, ich wollte für zweihundert Floren Bücher darum geben. Es muß ein großer unsäglicher Zorn sein. Ach, lieber Gott, strafe lieber mit Pestilenz, als daß du so stillschweigest!«
Wie ein Kind betete Luther alle Morgen und Abende, oft am Tage, ja während des Essens. Gebete, die er auswendig wußte, sprach er immer wieder mit heißer Andacht, am liebsten das Vaterunser, dann sagte er seinem Gott den kleinen Katechismus auf; den Psalter trug er als Gebetbüchlein immer bei sich. Wenn er in leidenschaftlicher Sorge war, dann wurde sein Gebet ein Sturm, ein Ringen mit Gott, dessen Gewalt, Größe und dessen heilige Einfalt sich schwer mit andern menschlichen Empfindungen vergleichen läßt. Dann war er der Sohn, der verzweifelnd zu den Füßen seines Vaters liegt, oder der treue Diener, der zu seinem Fürsten steht. Denn unerschütterlich war seine Überzeugung, daß man durch Bitten und Mahnen auf Gottes Entschlüsse einwirken könne. Und so wechselt in seinem Gebet Erguß der Empfindungen mit Klage, ja mit ernsten Vorstellungen. Es ist oft berichtet, wie er den todkranken Melanchthon im Jahre 1540 zu Weimar wieder zum Leben brachte. Als Luther ankam, traf er Magister Philippus im Verscheiden, ohne Besinnung, mit gebrochenen Augen. Luther erschrak gewaltig und sprach: »Behüte Gott, wie hat der Teufel dieses Organon geschändet!« Dann kehrte er der Gesellschaft den Rücken und trat zum Fenster, wie er gern that, wenn er betete. »Allhier«, sagte dann Luther selbst, »mußte mir unser Gott herhalten, denn ich warf ihm den Sack vor die Thür und rieb ihm die Ohren mit allen Verheißungen des Gebets, die ich aus der heiligen Schrift zu erzählen wußte, so daß er mich anhören mußte, wenn ich anders seinen Verheißungen trauen sollte.« Darauf faßte er Melanchthon bei der Hand: »Seid getrost, Philipp, ihr werdet nicht sterben.« Und Melanchthon fing unter dem Zauber seines starken Freundes zur Stelle an Athem zu schöpfen, und erhielt die Besinnung wieder. Er wurde hergestellt.
Wie Gott die Quelle alles Guten, so war für Luther der Teufel Hervorbringer des Schädlichen und Schlechten. Luther stammte aus einer Hütte, in welcher der alte Schauer vor den Geistern des Fichtenwaldes und der finstern Erdspalte, welche als Eingang zu den Metallgängen des Gebirges galt, noch stark und lebendig war. Sicher war die Phantasie des Knaben oft beschäftigt gewesen mit verdunkelten Traditionen des heidnischen Götterglaubens. Er war gewöhnt, unheimliche Gewalten zu empfinden in den Schrecken der Natur wie in dem Leben der Menschen. Als er Mönch wurde, verdüsterten sich solche Erinnerungen der Kindheit zur Gestalt des biblischen Teufels, aber der geschäftige Versucher, der überall um das Leben des Mannes lauerte, behielt in dem Glauben Luther's immer viel von dem Wesen der altgermanischen heidnischen Geister. In den Reden Luther's, welche seine Tischgenossen aufzeichneten, macht der Teufel noch die schädlichen Stürme, ein Engel aber die guten Winde, wie einst die Riesenadler vom Weltrande her durch ihren Flügelschlag thaten Winde sind nichts anderes, denn gute oder böse Geister. Tischreden, Walch 1182., er sitzt als Nix unter der Brücke und zieht Mädchen in's Wasser, mit denen er in Ehe lebt, er dient als Hausgeist im Kloster, bläst als Kobold das Feuer an, legt als Zwerg seine Wechselkinder in die Wiegen der Menschen, bethört als Nachtmar die Schlafenden, auf das Dach zu steigen, und tobt als Poltergeist in den Kammern. Namentlich durch diese letzte Thätigkeit störte er Luthern einige Mal. Zwar der Tintenfleck aus der Wartburg ist nicht zur Genüge beglaubigt, aber von einem unerfreulichen Geräusch, welches Satan ebendaselbst bei nächtlicher Weile mit einem Sack Haselnüsse angestellt hat, wußte Luther wohl zu erzählen. Auch im Kloster zu Wittenberg polterte der Teufel, als Luther bei Nacht im Rempter studirte, unter ihm in der Kirchenhölle so lange, bis Luther seine Büchlein zusammenraffte und zu Bett ging. Später ärgerte er sich, daß er dem »Hanswurst« nicht getrotzt hatte.
Aus dieser Art von Teufelei machte er sich nicht viel, die bösen Geister, welche so arbeiteten, nannte er wohl schlechte Teufel. Seine Meinung war, daß der Teufel unzählige seien. »Nicht alle sind geringe Partekenteufel, sondern Landteufel und Fürstenteufel, die sich eine sehr lange Zeit, wohl über fünftausend Jahre, wohl geübt und versucht haben, und auf das allerklügste und listigste geworden sind.« »Wir«, sagte er, »haben die großen Teufel, welche Doctores theologiae sind, die Türken und Papisten haben schlechte und geringe Teufel, welche nicht theologische, sondern juristische Teufel sind.« Von ihnen kam alles Böse auf Erden, Krankheiten – Luther hatte starken Verdacht, daß der Schwindel, der ihn lange plagte, nicht natürlich sei –, Feuersbrunst – »wo ein Feuer aufgeht, sitzt alle Mal ein Teufelein dahinter und bläst in die Flamme« –, Mißwachs und Krieg – »und wenn uns Gott nicht die lieben heiligen Engel zu Hütern und Hakenschützen zugegeben hätte, welche wie eine Wagenburg um uns lagern, so wäre es bald mit uns aus.« Und wie Luther schnell bei der Hand war, sich Charakteristisches auszumalen, so wußte er auch vom Teufel, daß er hochmüthig, war und verächtliche Behandlung nicht ertragen konnte. Er gab deshalb gern den Rath, ihn durch Hohn und spöttische Fragen zu vertreiben. Satan war auch ein trauriger Geist und konnte die fröhliche Musik durchaus nicht leiden Einmal neigte Luther zu der Ansicht, daß er selbst einen oder zwei besondere Teufel zu Gegnern hätte, die stark auf ihn lauschten, und daß sie im Schlafhause im Kloster mit ihm spazieren gegangen seien. Tischreden, Walch 1203..
Doch die furchtbarste Thätigkeit übte, nach Luther's Auffassung, der Teufel in der Seele des Menschen. Dort flößte er unlautere Gedanken ein, aber auch den Zweifel, die Schwermuth und Niedergeschlagenheit. Dem tiefsinnigen Luther lag alles, was er so fest und fröhlich aussprach, vorher mit fürchterlicher Gewalt auf dem Gewissen. Zumal in der Nacht, wenn er erwachte, stand der Teufel schadenfroh an seinem Lager und raunte ihm Angstvolles zu, dann rang sein Geist nach Freiheit, oft lange vergeblich. Und merkwürdig ist, wie der Sohn des 16. Jahrhunderts bei solchem innern Kampf verfuhr. Einigemal war es ihm Erlösung, wenn er den nicht am meisten respectirten Theil des Körpers zum Bett herausstreckte. Die Geberde, durch welche damals Fürst wie Bauer souveräne Verachtung auszudrücken liebten, half, wo nichts anderes helfen wollte. Aber nicht immer befreite ihn die aufspringende gute Laune. Jede neue Forschung in der Schrift, jede wichtige Predigt über ein neues Thema warf ihn wieder in Gewissenskämpfe. Dann gerieth er wohl so in Aufregung, daß seine Seele unfähig wurde zu systematischem Denken und Tage lang in Angst bebte. Als ihn die Frage der Mönche und Nonnen beschäftigte, stieß ihm ein Bibelspruch auf, der ihm, wie er in seiner Aufregung meinte, Unrecht gab. Das Herz im Leibe zerschmolz ihm, er wurde fast vom Teufel erwürgt. Da besuchte ihn Bugenhagen, Luther führte ihn auf den Gang hinaus und zeigte ihm den drohenden Spruch Es ist die Stelle 1. Timoth. 5, 11. Sie hat auf diese Frage keinen Bezug.. Und Bugenhagen, wahrscheinlich durch die Hast des Freundes angesteckt, begann auch zu zweifeln, ohne die Größe der Qual zu ahnen, welche Luther ausstand. Da erst erschrak Luther. Wieder verging ihm eine fürchterliche Nacht. Am nächsten Morgen trat Bugenhagen wieder ein. »Ich bin recht zornig«, sagte er, »erst jetzt habe ich den Text genau angesehen, die Stelle hat ja einen weit anderen Sinn.« »Und es ist wahr«, erzählte später Luther, »es war ein lächerliches Argument. Ja, lächerlich für den, der bei sich selber ist und nicht in der Anfechtung.«
Oft klagte er gegen seine Freunde über die Schrecken dieser Kämpfe, die ihm der Teufel verursache. »Er ist von Anbeginn nie so grimmig und zornig gewesen, als jetzt am Ende der Welt. Ich fühle ihn sehr wohl. Er schläft viel näher bei mir als meine Käthe, das heißt, er machet mir mehr Unruhe als sie mir Freude.« Luther wurde nicht müde, den Papst als Antichrist und das päpstliche Wesen als teuflisch zu schelten. Wer aber genauer zusieht, der wird auch hinter diesem Teufelshaß die unvertilgbare Pietät erkennen, in welcher das treue Gemüth des Mannes an die alte Kirche gebunden war. Was ihm zur Anfechtung wurde, waren oft nur fromme Erinnerungen aus der Jugendzeit, die im schreiendsten Gegensatz standen zu den Wandlungen, die er als Mann durchgemacht hatte.
Denn kein Mensch wird ganz umgeformt durch die großen Gedanken und Thaten seiner Mannesjahre. Wir selbst werden nicht neu durch neues Thun, unser inneres Leben ruht in der Summe aller Gedanken und Empfindungen, die wir jemals gehabt haben. Wer vom Schicksal erkoren wird, das größte Neue zu schaffen dadurch, daß er großes Altes vernichtet, der schlägt zugleich einen Theil seines eigenen Lebens in Trümmer. Er muß Pflichten verletzen, um größere Pflichten zu erfüllen. Je gewissenhafter er ist, desto tiefer fühlt er den Schnitt, den er in die Ordnung der Welt gemacht hat, auch in seinem Innern. Das ist der heimliche Schmerz, ja die Reue jedes großen geschichtlichen Charakters. Es giebt wenig Sterbliche, welche dieses Weh so tief empfunden haben wie Luther. Und das Große in ihm ist gerade, daß er durch solchen Schmerz niemals gehindert wurde, das Kühnste zu thun. – Uns aber erscheint dies als ein tragisches Moment in seinem ganzen Leben.
Und ein anderes, das verhängnißvollste für ihn, lag in der Stellung, welche er selbst zu seiner Lehre einnehmen mußte. Die Autorität der Schrift allein hatte er seinem Volke übrig gelassen, mit Inbrunst klammerte er sich an ihre Worte als an den letzten festen Anker des Menschengeschlechts. Vor ihm hatte der Papst mit seiner Hierarchie die Worte gedeutet, mißdeutet, ergänzt, jetzt war er in derselben Lage. Er mit einem Kreise abhängiger Freunde mußte für sich das Vorrecht in Anspruch nehmen, die Schriftworte recht zu verstehen und auf das Leben seiner Zeit richtig anzuwenden. Das war eine übermenschliche Aufgabe, und der sie auf sich nahm, mußte nothwendig einigen von den Übelständen verfallen, die er selbst an der katholischen Kirche so großartig bekämpft hatte. Fest geschlossen und ehern war das Gefüge seines Geistes, er war geschaffen zum Herrscher, wie jemals ein sterblicher Mensch; aber gerade das Riesige und Dämonische seiner Willenskraft mußte ihn zuweilen zum Tyrannen machen. Wenn er doch Toleranz übte, bei mehreren wichtigen Gelegenheiten, mit innerer Selbstüberwindung oder mit innerer Freiheit, so war dies nur der Segen seiner guten Natur, der auch hier sich geltend machte. Aber nicht selten wurde er der Papst der Protestanten. Ihm und seinem Volke blieb keine Wahl. Man hat ihm in neuer Zeit zum Vorwurf gemacht, daß er so wenig gethan, die Laien durch eine Presbyterialverfassung zur Mitwirkung heranzuziehen. Nie war ein Vorwurf ungerechter. Was in der Schweiz bei kräftigen freien Bauergemeinden möglich war, das war damals in Deutschland ganz unausführbar. Nur das Bürgerthum der größeren Städte umfaßte so viel Intelligenz und Kraft, um die protestantischen Geistlichen zu controliren; aber fast neun Zehntheile der Evangelischen in Deutschland waren gedrückte Landleute, in der Mehrzahl gleichgültig und widerwillig und seit dem Bauernkriege verwildert, ihnen mußte die neue Kirche ihre Zucht aufdrängen wie verwahrlosten Kindern. Wer das bezweifelt, der blicke auf die Resultate der Visitationen, und achte aus die unausgesetzten Klagen der Reformatoren über die Rohheit ihrer armen Gemeinden. Aber noch anderes beengte den großen Mann. Der Herrscher über die Seelen des deutschen Volkes saß in einer kleinen Stadt unter armen Universitätsprofessoren und Studenten, unter einer kraftlosen Bürgerschaft, über welche er oft zu klagen Veranlassung hatte. Alle Leiden deutscher Spießbürgerei, der widerwärtige Streit mit kleinen Gelehrtenseelen und plumpen Nachbarn blieben ihm nicht erspart; und in seiner Natur war vieles, was ihn dagegen besonders reizbar machte. Kein Mensch trägt ungestraft in sich das Gefühl, ein bevorzugtes Werkzeug Gottes zu sein, wer so lebt, paßt nicht mehr in das enge und kleine Gefüge der bürgerlichen Gesellschaft. Wäre Luther nicht im letzten Grunde seines Herzens bescheiden, im Verkehr mit Andern von unendlicher Gutherzigkeit gewesen, er hätte den nüchternen, verständigen Leuten, welche kühl neben ihm standen, ganz unerträglich erscheinen müssen. So geschah es nur manchmal, daß er mit den Bürgern der Stadtbehörde, der Juristenfacultät seiner Universität, den Räthen seines Landesherrn gewaltig zusammenstieß. Er hatte nicht immer Recht, aber er setzte seinen Willen gegen sie fast immer durch, denn der Wucht seines Zornes zu trotzen wagte selten jemand. Dazu kamen schwere körperliche Leiden. In den letzten Jahren seines Lebens war durch ihre häufige Wiederkehr auch seine ungeheure Kraft erschöpft; er empfand das sehr schmerzlich und betete unablässig zu seinem Gott, er möge ihn zu sich nehmen. Noch war er seinen Jahren nach kein Greis, aber er selbst erschien sich alt, uralt, und unheimlich in einer fremden irdischen Welt. Gerade diese Jahre, nicht reich an großen Begebenheiten, erschwert durch politisches und Stadtgezänk, erfüllt mit Verbitterung und grämlichen Stunden, werden, so hoffen wir, jeden, der das Leben des großen Mannes unbefangen überblickt, mit Rührung erfüllen. Die Flamme seines Lebens hatte sein ganzes Volk erwärmt, in Millionen die Anfänge einer höhern menschlichen Entwickelung hervorgerufen, Millionen blieb der Segen, er selbst empfand zuletzt fast nur die Qual! Einst hatte er so freudig gehofft, als Märtyrer zu sterben, jetzt wünschte er sich die Ruhe des Grabes wie ein dauerhafter, vieljähriger müder Arbeiter. Auch das ist ein tragisches Menschenloos.
Der größte Schmerz aber, den er empfand, lag in der Stellung seiner Lehre zum Leben der Nation. Er hatte auf sein reines Evangelium eine neue Kirche gegründet, hatte dem Geist und dem Gewissen des Volkes ungleich größern Gehalt gegeben. Um ihn blühte ein neues Leben auf, so viel mehr Wohlstand, so viel gute Künste, Malerei und Saitenspiel, behaglicher Genuß, im Bürgerstand feinere Bildung. Und doch schwebte etwas in der deutschen Luft, unheimlich, verderbendrohend. Die Regierenden grimmig entzweit; fremde Gewalten im Anzuge gegen das Volk, der Kaiser aus Spanien, der Papst aus Rom, der Türke aus dem Mittelmeer; die Schwärmer und Rottengeister mächtig, die Hierarchie noch nicht gefallen. Ja, sein Evangelium selbst, hatte es die Nation zu größerer Einigkeit und Macht zusammengeschlossen? Nur größer war der Unfriede geworden, von den weltlichen Interessen einzelner deutscher Fürsten sollte die Zukunft seiner Kirche abhängen. Und er kannte auch die besten unter ihnen! Es nahte Greuliches, die Schrift sollte erfüllt werden, nahe war der jüngste Tag. Dahinter aber würde Gott eine neue Welt aufbauen, schöner, herrlicher, reiner, voll Friede und Segen, eine Welt, in der kein Teufel mehr sein sollte, wo jede Menschenseele über Blüte und Frucht der neuen Himmelsbäume mehr Freude empfinden würde, als sich das jetzige Geschlecht über Gold und Silber freut, wo die schönste aller Künste, die Musik, in Tönen erklingen sollte, viel entzückender, als das herrlichste Lied guter Cantores auf dieser Welt. Dort würde der gute Mensch alle Lieben wieder finden, die er hier gehabt und verloren So in mehreren Stellen der Tischreden. Sein letztes Abendgespräch an der Tafel des Mansfelders in Eisleben, wenige Stunden vor seinem Tode, war über das Wiedersehen von Vater, Mutter und Freunden in jenem Leben..
Immer mächtiger wurde in ihm die Sehnsucht der Creatur nach idealer Reinheit des Daseins. Wenn er das Ende der Welt erwartete, so waren es verdämmerte Erinnerungen des deutschen Volkes aus fernster Vergangenheit, welche noch an dem Himmel des neuen Reformators hingen. Und doch war es zugleich ein prophetisches Ahnen naher Zukunft. Nicht das Weltende bereitete sich vor, aber der dreißigjährige Krieg. –
So starb er. – Als der Wagen mit seiner Leiche durch die thüringischen Lande fuhr, läuteten alle Glocken in Dorf und Stadt, und die Leute drängten sich schluchzend an seinen Sarg. Es war ein guter Theil der deutschen Volkskraft, der mit diesem einen Manne eingesargt wurde. Und Philipp Melanchthon sprach in der Schloßkirche zu Wittenberg vor seiner Leiche: »Ein jeder, der ihn recht erkannt, muß dieses zeugen, daß er ein sehr gütiger Mann gewesen, mit allen Reden holdselig, freundlich und lieblich, und gar nicht frech, stürmisch, eigensinnig oder zänkisch. Und war doch daneben ein Ernst und eine Tapferkeit in seinen Worten und Geberden, wie in einem solchen Mann sein soll. Sein Herz war treu und ohne Falsch. Die Härte, so er wider die Feinde der Lehre in Schriften gebrauchte, kam nicht aus zänkischem und boshaftem Gemüth, sondern aus großem Ernst und Eifer zu der Wahrheit. Er hat einen sehr großen Muth und Mannheit erzeigt und sich nicht bald ein kleines Rauschen erschrecken lassen. Nicht ist er durch Dräuen, Gefahr und Schreckniß verzagt worden. Er ist auch von so hohem, scharfem Verstand gewesen, daß er allein vor Andern in verwirrten, dunkeln und schweren Händeln bald ersehen konnte, was zu rathen und zu thun war. Er war auch nicht, wie vielleicht etliche meinten, so unachtsam, daß er nicht gemerkt hätte, wie es allenthalben mit der Regierung stehe. Er wußte recht wohl, wie das Regiment beschaffen ist, und achtete mit besonderem Fleiß auf Sinn und Willen der Leute, mit denen er zu thun hatte. – Wir aber sollen ein stetig, ewig Gedächtniß dieses unsers lieben Vaters behalten und ihn aus unserm Herzen nicht lassen Die Rede wurde lateinisch gehalten, gleich darauf durch Gaspar Creutziger verdeutscht..«
So war Luther. Eine dämonische Natur, schwerflüssig und scharf begrenzt sein Geist, gewaltig und maßvoll sein Wollen, rein seine Sittlichkeit, voll Liebe sein Herz. Weil sich außer ihm keine andere Manneskraft erhob, stark genug, Führer der Nation zu werden, hat das deutsche Volk für Jahrhunderte die Herrschaft auf der Erde verloren. Die Herrschaft der Deutschen im Reich des Geistes aber ruht auf ihm.
Um nun am Schluß ihn selbst sprechen zu lassen, sei hier ein Brief an Kurfürst Friedrich den Weisen mitgetheilt, geschrieben in den Tagen, wo Luther's ganze Kraft sich am mächtigsten zusammenfaßte. Der vorsichtige Fürst hatte ihm befohlen, auf der Wartburg zu bleiben, weil er ihn zu Wittenberg nicht schützen könne, denn der Zorn des Herzogs von Sachsen, seines Vetters, werde sofort auf Ausführung der Reichsacht gegen Luthern bestehen. Da schrieb Luther an seinen Landesherrn:
»Durchlauchtigster, Hochgeborner Kurfürst, Gnädigster Herr! Ew. Kurfürstlichen Gnaden Schrift und gnädiges Bedenken ist mir am Freitag Abend zugekommen, als ich am Morgen Sonntag wegreiten wollte. Daß es Ew. Kurfürstl. Gnade auf's allerbeste meine, bedarf freilich bei mir weder Beweises noch Zeugnisses, denn ich achte mich davon überzeugt, soweit menschliches Wissen reicht. –
In meiner Sache aber, gnädigster Herr, antworte ich so: Eure Kurfürstliche Gnade weiß, oder weiß Sie es nicht, so lasse Sie es sich hiermit kund sein, daß ich das Evangelium nicht von Menschen, sondern allein vom Himmel durch unsern Herrn Jesum Christum habe, so daß ich mich wohl, wie ich auch von jetzt ab thun will, als einen Knecht und Evangelisten hätte rühmen und schreiben können. Daß ich mich aber zum Verhör und Gericht In Worms. erboten habe, ist geschehen, nicht weil ich an der Wahrheit zweifelte, sondern aus überflüssiger Demuth, die Andern zu locken. – Ich hab' Ew. Kurfürstl. Gnaden genug gethan, daß ich dies Jahr lang meinen Platz geräumt habe, Ew. Kurfürstl. Gnaden zu dienen. Denn der Teufel weiß sehr wohl, daß ich's aus keiner Furcht gethan habe. Er sah mein Herz wohl, da ich zu Worms ankam, denn wenn ich gewußt hätte, daß so viel Teufel auf mich gelauert hätten, als Ziegel auf den Dächern sind, so wäre ich dennoch mitten unter sie gesprungen mit Freuden.
Nun ist Herzog Georg noch sehr ungleich auch nur einem einzigen Teufel. Und sintemal der Vater der unergründlichen Barmherzigkeit uns durch das Evangelium zu freudigen Herren gemacht hat über alle Teufel und den Tod, und uns gegeben hat den Reichthum der Zuversicht, daß wir dürfen zu ihm sagen: »Herzliebster Vater«, so kann Ew. Kurfürstl. Gnade selbst ermessen, daß es solchem Vater die höchste Schmach wäre, wenn wir ihm nicht vertrauten, daß wir auch Herren über Herzog Georg's Zorn sind. Von mir weiß ich wohl, ich wollte in sein Leipzig hineinreiten – Ew. Kurfürstl. Gnade verzeihen mir meine närrischen Reden, – wenn's gleich neun Tage eitel Herzoge George regnete, und ein jeder wäre neunfach wüthender als dieser ist. Er hält meinen Herrn Christus für einen Mann, der aus Stroh geflochten ist, das kann dieser mein Herr und ich eine Zeit lang wohl leiden. Ich will aber Ew. Kurfürstl. Gnaden nicht verbergen, daß ich für Herzog Georg nicht einmal, sondern gar oft gebeten und geweint habe, daß ihn Gott erleuchten wolle. Ich will auch noch einmal bitten und weinen, nachher nimmermehr. Und ich bitte, Ew. Kurfürstl. Gnaden wolle auch helfen und bitten lassen, ob wir das Unheil von ihm wenden können, das – ach Herr Gott! auf ihn eindringt ohne Unterlaß. Ich wollte Herzog Georg schnell mit einem Wort erwürgen, wenn es damit gethan wäre.
Solches sei Ew. Kurfürstl. Gnade geschrieben in der Meinung, daß Sie wisse, ich komme gen Wittenberg in einem gar viel höhern Schutz als dem des Kurfürsten. Ich hab's auch nicht im Sinn, von Ew. Kurfürstl. Gnaden Schutz zu begehren. Ja, ich meine, ich wollte Ew. Kurfürstl. Gnaden mehr schützen als Sie mich schützen könnten. Sogar, wenn ich wüßte, daß mich Ew. Kurfürstl. Gnade schützen könnte und wollte, so wollte ich nicht kommen; dieser Sache kann kein Schwert rathen oder helfen, Gott muß hier allein schaffen, ohne alles menschliche Zuthun. Darum, wer am meisten glaubt, der wird hier am meisten schützen.
Weil ich denn nun spüre, daß Ew. Kurfürstl. Gnade noch gar schwach im Glauben ist, kann ich in keinerlei Weise Ew. Kurfürstl. Gnaden für den Mann ansehen, der mich schützen oder retten könnte.
Da nun Ew. Kurfürstl. Gnade begehrt zu wissen, was Sie thun soll in dieser Sache, zumal Sie meint, Sie habe viel zu wenig gethan, so antworte ich unterthänig, Ew. Kurfürstl. Gnaden hat schon allzuviel gethan und sollte gar nichts thun. Denn Gott will und kann nicht leiden Ihr oder mein Sorgen und Treiben. Er will es sich überlassen sehn, sich und keinem Andern. Darnach mag sich Ew. Kurfürstl. Gnaden richten.
Glaubt Ew. Kurfürstl. Gnaden dies, so wird Sie sicher sein und Friede haben; glaubt Sie nicht, so glaube doch ich und muß den Unglauben von Ew. Kurfürstl. Gnaden sich in der Sorge quälen lassen, welche alle Ungläubigen mit Recht leiden. Dieweil ich denn Ew. Kurfürstl. Gnade nicht folgen will, so ist Sie für Gott entschuldigt, so ich gefangen oder getötet würde. Vor den Menschen soll Ew. Kurfürstl. Gnaden sich also halten. Sie soll als ein Kurfürst der Obrigkeit gehorsam sein, und Kaiserliche Majestät in Ihren Städten und Ländern mit Leib und Gut walten lassen, wie sich's nach Reichsordnung gebührt, und soll sich ja nicht wehren noch widersetzen, noch Widerstand oder irgend ein Hinderniß suchen gegen die Gewalt, wenn diese mich fahen oder töten will. Denn die Gewalt soll niemand brechen als allein der, welcher sie eingesetzt hat, sonst ist's Empörung und wider Gott. Ich hoffe aber, sie werden die Vernunft gebrauchen und erkennen, daß Ew. Kurfürstl. Gnaden in einer zu hohen Wiege geboren ist, als daß Sie selbst Stockmeister an mir werden sollten. Wenn Ew. Kurfürstl. Gnaden das Thor offen läßt und das freie Kurfürstliche Geleit hält, falls die Feinde selbst kämen mich zu holen oder ihre Gesandten, so hat Ew. Kurfürstl. Gnaden dem Gehorsam genug gethan. Sie können ja nicht mehr von Ew. Kurfürstl. Gnaden fordern, als daß sie den Aufenthalt des Luther bei Ew. Kurfürstl. Gnaden erfahren wollen. Und das soll ihnen werden, ohne Ew. Kurfürstl. Gnaden Sorge, Arbeit und Gefahr. Denn Christus hat mich nicht gelehrt, zum Schaden eines Andern ein Christ zu sein. Werden sie aber so unvernünftig sein und gebieten, daß Ew. Kurfürstl. Gnaden selbst die Hand an mich lege, so will ich alsdann sagen, was zu thun ist; ich will Ew. Kurfürstl. Gnaden vor Schaden und Gefahr an Leib, Gut und Seele sichern in meiner Sache; glaube dies Ew. Kurfürstl. Gnaden oder glaube Sie es nicht.
Hiermit befehle ich Ew. Kurfürstl. Gnaden Gottes Gnade; über das Weitere wollen wir reden, sobald es Noth ist. Denn diese Schrift habe ich eilend abgefertigt, damit nicht Ew. Kurfürstl. Gnaden Betrübniß ankomme bei dem Gerücht über meine Ankunft, denn ich soll und muß jedermann tröstlich und nicht schädlich werden, will ich ein rechter Christ sein. Es ist ein anderer Mann als Herzog Georg, mit dem ich handle, er kennt mich fast wohl, und ich kenne ihn nicht übel. Wenn Ew. Kurfürstl. Gnade glaubte, so würde Sie Gottes Herrlichkeit sehen. Weil Sie aber noch nicht glaubt, hat Sie auch noch nichts gesehen. Gott sei die Lieb und Lob in Ewigkeit. Amen. Gegeben zu Borna bei dem Geleitsmann am Aschermittwoch Ao. 1522.
Ew. Kurfürstl. Gnaden unterthäniger Diener Martin Luther.«
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.