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2.
Seelenkämpfe eines Jünglings und sein Eintritt ins Kloster.

So viel Schlechtigkeit war in der Welt, so schwer der Druck, der auf den Armen lastete, roh die Genußsucht, endlos die Begehrlichkeit bei Geistlichen und Laien. Hart war die Arbeit des Deutschen vom Morgen bis zum Abend, im Sommer und Winter, bald kam die Pest, bald Mißwachs und Hunger; unverständlich war die Weltordnung und arm an Liebe das irdische Leben. Rettung aus dem Elend war nur bei Gott. Vor ihm war alles Irdische klein und nichtig, Kaiser und Papst, die Klugheit des Menschen eitel wie die Blüte des Feldes. Wenn er gnädig war, so konnte er den Menschen aus der Noth dieses Lebens retten und in ewiger Seligkeit entschädigen für das, was er hier geduldet. Aber solche Gnade, wie war sie zu gewinnen? Welche Tugend des schwachen Menschen durfte hoffen, den unendlichen Schatz göttlicher Gunst zu erwerben? Der Mensch war verdammt seit Adam's Zeit, Gutes zu wollen und Schlechtes zu thun. Eitel war seine beste Tugend, die Erbsünde war sein Fluch und es war nicht sein Verdienst, wenn Gott ihm Gnade schenkte. Vergl. das beste erbauliche Buch aus der Zeit vor der Reformation, die » Thelogia teütsch«, von einem Unbekannten aus Tauler's Schule, eine Hauptquelle für Luther's Bildung, staunenswerth noch für uns.

So rang damals angstvoll das Menschenherz. Aber aus den heiligen Urkunden der Schrift, die dem Volke wie eine dunkle Sage waren, klang von fern das Wort: Christus ist die Liebe. Die herrschende Kirche wußte wenig von solcher Liebe, in ihr stand Gott sehr fern von der Menschenseele, das Bild des Gekreuzigten war versteckt hinter zahllosen Heiligen und Seligen, und alle waren nöthig, um Fürbitter zu sein vor dem zürnenden Gott. Und doch war es das heiße Bedürfniß deutscher Natur, sich im herzlichen Verhältniß zu empfinden mit dem Allmächtigen, unauslöschlich war die Sehnsucht, die Liebe Gottes zu gewinnen. Ja, wer büßte, wer mit heißem Gebet und ohne Aufhören nach der Liebe Gottes rang, für den war das Versenken, das Hingeben an Gott schon auf Erden das seligste Gefühl, und ihm wurde auch die Hoffnung der himmlischen Seligkeit. Aber solch innerliches und selbständiges Ringen nach der göttlichen Gnade lehrte die Hierarchie nicht mehr. Der Papst behauptete, er sei Verwalter der unerschöpflichen Verdienste Christi, und die Kirche lehrte, auch aus den Fürbitten der Heiligen für die sündige Menschheit sei ein unendlicher Schatz von guten Werken, Gebeten, Fasten und Büßungen zum Segen für Andere aufgesammelt, und all diese Schätze verwalte der Papst und davon könne er abgeben jedem, dem er wolle, ihn von seiner Sündhaftigkeit zu befreien. Und ebenso, wenn sich Gläubige zusammen thun zu einer frommen Genossenschaft, dann kann der Papst auch solcher Bruderschaft die Gnade gewähren, daß die Verdienste der Heiligen und der Ueberschuß der frommen Kirchenwerke, Gebete, Messen, Wallfahrten, Bußübungen, Schenkungen von Einem aus den Andern übergehen.

So bildeten sich unter dem Schutz eines fürbittenden Heiligen die frommen Bruderschaften, in denen die Association bewirken konnte, was dem schwachen Einzelnen unmöglich war. Ihre Zahl war groß, noch im Jahre 1530 beklagt sich Luther, daß sie unzählbar seien Vermanung an die geistlichen versamlet auff dem Reichstag zu Augsburg.. Wie roh und kläglich ihr Mechanismus war, möge ein Beispiel zeigen: die Bruderschaft der elftausend Jungfrauen, St. Ursula's Schifflein genannt, sei hier gewählt, weil Kurfürst Friedrich der Weise ein Mitstifter und Bruder war. Dieser Verein hatte nach seinem Statut an geistlichen Schätzen, welche den Brüdern zur Erwerbung der ewigen Seligkeit helfen sollten, aufgesammelt 6455 Messen, 3550 ganze Psalter, 200 000 Rosenkränze, 200 000 Te Deum laudamus, 1600 Gloria in excelsis Deo. Ferner 11 000 Gebete für die Patronin St. Ursula und 630 mal 11 000 Paternoster und Ave Maria. Ferner den zehntausend Rittern 50 mal 10 000 Paternoster und Maria etc. etc. Und die ganze erlösende Kraft dieses Schatzes kam den Mitgliedern der Bruderschaft zu gute. Viele geistliche Stiftungen und Privatpersonen hatten sich durch große Beiträge zum Gebetschatze besonderes Verdienst erworben. Bei der Erneuerung der Gesellschaft hatte Kurfürst Friedrich eine schöne silberne Ursula geschenkt. Ein Laie verdiente die Bruderschaft, wenn er in seinem Leben einmal 11 000 Vaterunser und Ave Maria betete; betete er täglich 32, so erwarb er sie in einem Jahre, mit 16 in zwei Jahren, mit 8 in vier Jahren; wer durch Ehe, Geschäfte oder Krankheit verhindert wurde, diese Gebetmasse abzumachen, der konnte eintreten, wenn er für sich 11 Messen lesen ließ, u. s. w. Diese Bruderschaft aber war eine der besten, denn die Mitglieder hatten nicht nöthig »Heller und Pfennig« zu bezahlen, es sollte eine Bruderschaft der armen Leute sein, die nur durch Gebete sich gegenseitig in den Himmel bringen wollten. – Und doch muß man behaupten, daß die frommen Bruderschaften im Anfange des 16. Jahrhunderts noch das Gemüthvollste waren, was die untergehende Kirche des Mittelalters dem Volk zu bieten hatte.

Dagegen war der Ablaß der faulste Fleck ihres siechen Leibes. Die Päpste als Bewahrer des aufgesammelten unendlichen Schatzes der Verdienste Christi verkauften die Anweisungen auf diesen Vorrath an die Gläubigen gegen Geld. Zwar war in der Kirche selbst die bessere Vorstellung nie ganz geschwunden, daß auch der Papst nicht die Sünden selbst vergeben könne, sondern nur die Bußübungen erlassen, welche die Kirche vorschrieb. Aber die solches lehrten, einzelne Männer der Universitäten und ehrliche Seelsorger einer Gemeinde, mochten sich vorsehen, ihre Lehre nicht bis zum offenen Widerspruch gegen das Geschäft der Ablaßkrämer zu steigern. Denn was galt den Päpsten des 15. Jahrhunderts die echte Lehre ihrer eigenen Kirche, ihnen, die in der Mehrzahl verruchte Bösewichter und ungläubige Heiden waren? Wehe dem, der zweifelte, daß die Päpste das Recht hätten, ihn von Gott zu scheiden, für ihn die Thür des Himmels zu öffnen und zu verschließen. Geld war es, was sie endlos begehrten für Weiber und Buben, für ihre Kinder und Nepoten, für ihren fürstlichen Haushalt. Und es bestand eine fürchterliche Gemeinschaft des Interesses zwischen ihnen, den Bischöfen und der fanatischen Partei in den Bettelorden. Nichts hatte den Huß und Hussinetz so unerträglich gemacht, als der Kampf gegen den Ablaß; die Lehre von Buße und Gnade hatte den großen Wessel aus Paris in das Elend getrieben, und Ablaßmönche waren es, welche den Greis Johannes Vesalia im Klosterkerker zu Mainz sterben ließen, ihn, der zuerst das hohe Wort gesprochen: »Wozu soll ich glauben, was ich weiß?«

Es ist bekannt, wie der Ablaßhandel im Beginne des 16. Jahrhunderts in Deutschland überhandnahm, und wie frech die ruchlose Gaunerei betrieben wurde. Wenn Tetzel mit seinem Kasten in eine Stadt einzog, ritt er mit einem großen Gefolge von Mönchen und Pfaffen, ein wohlgenährter, hochmüthiger Dominicaner; die Glocken wurden geläutet, Geistliche und Laien zogen ihm ehrfurchtsvoll entgegen und führten ihn nach der Kirche. Dort wurde im Schiff sein großes rothes Kreuz aufgerichtet mit der Dornenkrone und den Nagellöchern, und manchmal war dem gläubigen Volke vergönnt zu sehen, wie das rothe Blut des Gekreuzigten am Kreuze in Bewegung kam. Neben dem Kreuze steckten Kirchenfahnen, darauf das Wappen des Papstes mit der dreifachen Krone, vor dem Kreuz stand der berüchtigte Kasten, stark mit Eisen beschlagen, daneben auf der einen Seite eine Kanzel, auf welcher der Mönch mit roher Beredsamkeit die Wundermacht seines Ablasses auseinandersetzte und ein großes Pergament des Papstes mit vielen angehängten Siegeln vorzeigte, auf der andern Seite der Zahltisch mit Ablaßzetteln, Schreibzeug und Geldkörben, dort verkauften die geistlichen Gehilfen dem andrängenden Volke das ewige Heil So ist der Handel dargestellt auf einem Titelholzschnitt, welcher bei mehreren Streitschriften verwendet wurde, z. B. bei der Schrift: Beclagung aines leyens genant Hanns schwalb über vil mißbreüch Christlichen lebens, 1521. 4..

Zahllos waren die Schäden der Kirche, gegen alle erhob sich das verletzte sittliche Gefühl der Deutschen, aber Kern der ganzen Bewegung war der Kampf gegen die Gnadenmittel, durch welche die Herzensbedürfnisse des deutschen Volkes so widerwärtig verhöhnt wurden. Und die große Arbeit der Reformatoren wird nur dann richtig verstanden, wenn man sie auffaßt als eine Reaction des Herzens gegen Unwahrheit, Gemüthlosigkeit und Frevel am Heiligsten.

Ueberall in Deutschland regte sich die Opposition. Aber noch war der Mann nicht gefunden, der allen Schmerz und alle Sehnsucht des Volkes in langjährigem innerm Kampfe durchfühlen sollte, um selbst zum Führer seiner Nation zu werden, die in ihm mit Begeisterung ihr eigenstes Wesen zu geschlossenem Charakter verkörpert sah. Erst vor zwei Jahren war er Lehrer der Physik und Dialektik an der neuen Universität Wittenberg geworden, und gerade jetzt lag er im Staub der römischen Ebene und schaute mit frommem Entzücken nach dem Rande des Horizontes, an dem sich die Thürme der heiligen Stadt erhoben.

Unterdeß sind es die Empfindungen eines seiner Zeitgenossen, eines jungen lateinischen Schülers, aus denen wir zu erkennen suchen, was in der Seele des Volkes arbeitete.

Friedrich Mecum, lateinisch Myconius Der Gleichklang seines latinisirten Namens mit dem des Schweizer Reformators Oswald Myconius (Geißhäuser), der Lehrer Thomas Platter's war, beruht nicht auf Verwandtschaft., war der Sohn ehrbarer Bürgersleute aus Lichtenfels in Oberfranken, geboren 1491. Mit dreizehn Jahren kam er auf die lateinische Schule der damals aufblühenden Bergstadt Annaberg, dort erlebte er, was hier mit seinen Worten erzählt wird, und ging im Jahre 1510 als neunzehnjähriger Jüngling in das Kloster. Als Franciscaner war er einer der ersten, eifrigsten und treuesten Anhänger der Wittenberger Professoren. Er trat aus dem Orden, wurde Prediger der neuen Kirche in Thüringen, endlich Pfarrherr und Superintendent zu Gotha, wo er die Reformation durchsetzte und im Jahre 1546 starb. Zu Luther stand er in einem eigenthümlichen Verhältniß. Er war nicht nur sein bescheidener und inniger Freund in vielen Beziehungen des Privatlebens, sondern in seinem Verhältniß zu Luther war bis zu seinem Tode eine Poesie, welche ihm das ganze Leben verklärte. In der verhängnißvollsten Zeit seiner Jugend, sieben Jahre bevor Luther die Reformation begann, war ihm das Bild des großen Mannes im Traum erschienen und hatte die Zweifel seines aufgeregten Herzens beruhigt, und in der Verklärung des Traumes sah der treue, fromme Deutsche seinen großen Freund fortan zu jeder Stunde. Aber noch ein anderer Umstand macht die Person des Erzählers für uns interessant. Wie unähnlich der sanfte, fein organisirte Mann auch seinem trotzigen Freunde sein mag, in dem Jugendleben beider ist eine auffallende Aehnlichkeit. Und manches, was uns aus Luthers Jugend unbekannt geblieben ist, findet seine Erklärung in dem, was Myconius über seine eigene Jünglingszeit erzählt. Beide waren arme Schüler einer lateinischen Schule, beide wurden durch innere Kämpfe und jugendliche Schwärmerei in das Kloster getrieben, beide fanden dort nicht den Frieden, welchen sie leidenschaftlich suchten, sondern neue Zweifel, größere Kämpfe, Jahre der Qual, banger Ungewißheit. Für beide wurde der unverschämte Tetzel der Stein des Anstoßes, der ihr Gemüth empörte und die ganze Richtung und Thätigkeit ihres spätern Lebens bestimmte. Zuletzt starben beide in demselben Jahre, Myconius sieben Wochen nach Luther, nachdem er fünf Jahre vorher aus einer tötlichen Krankheit durch einen Beschwörungsbrief Luther's zu neuem Leben erweckt war Luther schreibt im Jahre 1541: »Also begehre und bitte ich, daß mich der liebe Gott an eurer Stelle wollte lassen krank werden und mich heißen ablegen diese meine Hülle; – deshalb bitte und ermahne ich euch mit Ernst, daß ihr sammt uns den lieben Gott wollt bitten, daß er euch länger am Leben erhalte, zu Dienst und Besserung seiner Kirche und dem Teufel zu Spott und Verdruß; – der Herr lasse mich's ja nicht hören, so lange ich lebe, daß ihr gestorben seid, sondern schaff's, daß ihr mich überlebt. Das bitte ich mit Ernst, will's auch gewähret sein und so haben, und mein Wille soll hierinnen geschehen. Amen.

Friedrich Myconius hat außer Theologischem (er hat wenig drucken lassen) auch in deutscher Sprache eine Chronik seiner Zeit geschrieben, in welcher seine eigene Thätigkeit und die Zustände Gotha's am ausführlichsten behandelt sind. Wohlbekannt und öfter gedruckt ist der Traum, welchen er in der ersten Nacht nach seinem Eintritt in das Kloster hatte. Der Apostel Paulus, welcher darin als sein Führer auftrat, hatte, wie Myconius nach Jahren zu erkennen glaubte, Person, Gesicht und Stimme Luther's. Dieser lange Traum ist in lateinischer Sprache abgefaßt. Die einleitende Erzählung vor demselben aber ist in einem Manuscript der Herzogl. Bibliothek zu Gotha (Chart. B. no. 153) auch in einer gleichzeitigen deutschen Niederschrift erhalten. Nach dieser ist das Folgende getreu in unsre Redeweise übertragen, nur an wenigen Stellen verkürzt.

»Johannes Tetzel von Pirna in Meißen, ein Dominicanermönch, war ein gewaltiger Ausschreier der Indulgenzien oder des Ablasses des römischen Papstes. Er verharrte mit diesem seinem Vorhaben zwei Jahre in der dazumal neuen Stadt Annaberg und bethörte das Volk so sehr, daß sie alle glaubten, es wäre kein anderer Weg, Vergebung der Sünde und das ewige Leben zu erlangen, als die Genugthuung durch unsre Werke, von welcher Genugthuung er doch sagte, daß sie unmöglich wäre. Doch wäre noch ein einziger Weg übrig, nämlich wenn wir dieselbige um's Geld von dem römischen Papst erkauften, uns also kauften des Papstes Indulgenz, welche er nannte Vergebung der Sünden und einen gewissen Eingang in's ewige Leben. Hier könnte ich Wunder über Wunder und unglaubliche Dinge sagen, was für Predigten ich die zwei Jahre auf dem Annaberg von dem Tetzel gehört habe; denn ich hörte ihn ganz fleißig predigen; und er predigte alle Tage, ich konnte auch Andern seine Predigten nachsagen, mit allen Geberden und Ausreden, nicht daß ich seiner Spott hatte, sondern es war mein großer Ernst. Denn ich hielt alles für oracula und göttliches Wort, dem man glauben müsse, und was vom Papst kam, das hielt ich, als käme es von Christo selbst.

Zuletzt, um Pfingsten im Jahre Christi 1510, dräute er, er wollte das rothe Kreuz niederlegen und die Thür des Himmels zuschließen und die Sonne auslöschen, und es würde nimmermehr wieder dazu kommen, daß man um so ein geringes Geld Vergebung der Sünden und ewiges Leben erlangen könnte. Ja es wäre nicht zu hoffen, daß, so lange die Welt stehen würde, solche Mildigkeit des Papstes wieder hierher käme. Er vermahnte auch, daß jedermann wohl wahrnehmen sollte seiner eigenen Seele Seligkeit und die seiner verstorbenen und lebendigen Freunde. Denn jetzt sei vorhanden der Tag des Heils und die angenehme Zeit. Und er sprach: »Es versäume ja niemand seine eigene Seligkeit, denn wenn du nicht hast des Papstes Briefe, so kannst du von vielen Sünden und casibus reservatis durch keinen Menschen absolvirt und losgesprochen werden.« Es wurden öffentlich an die Thüren und Mauern der Kirche gedruckte Briefe angeschlagen, darinnen geboten war, daß man, um dem deutschen Volk für seine Andacht ein Zeichen von Dank zu geben, hinfür zum Schluß die Ablaßbriefe und die vollkommene Gewalt nicht so theuer wie im Anfang verkaufen sollte, und am Ende des Briefes zu unterst war dazu geschrieben: Pauperibus dentur gratis, den Armen, Unvermögenden soll man die Ablaßbriefe umsonst geben, ohne Geld um Gottes willen.

Da sing ich einen Handel an mit den Commissarien dieses Ablaßkrames, aber fürwahr, es trieb und munterte mich hierzu auf der heilige Geist, wiewol ich selber zur Zeit nicht verstand, was ich that.

Es hatte mich mein lieber Vater in meiner Kindheit gelehrt die zehn Gebote, das Vaterunser und den christlichen Glauben, und zwang mich, daß ich immer beten mußte. Denn, sagte er, wir hätten alles allein von Gott, gratis, umsonst, und er würde uns auch regieren und führen, wenn wir fleißig beteten. – Von den Indulgenzien und römischem Ablaß sagte er, es wären nur Netze, womit man den Einfältigen das Geld abfischte und aus dem Beutel nähme, und man könnte gewiß die Vergebung der Sünden und das ewige Leben mit Geld nicht kaufen und zu Wege bringen. Aber die Priester oder Pfaffen wurden zornig und schellig, wenn man solches sagte. Dieweil ich denn täglich in den Predigten nichts anderes hörte denn das große Lob des Ablasses, blieb ich im Zweifel, wem ich mehr glauben sollte, meinem lieben Vater oder den Priestern als Lehrern der Kirche. Ich stund im Zweifel, aber doch glaubte ich mehr den Priestern als meines Vaters Unterricht. Aber das Einzige ließ ich nicht zu, daß die Vergebung der Sünde nicht könnte erlangt werden, außer wenn sie mit Geld erkauft würde, zumal von den Armen. Deshalb gefiel mir wunderwohl die clausula am Ende von des Papstes Brief: Pauperibus gratis dentur propter Deum.

Und als man in drei Tagen das Kreuz mit sonderlicher Herrlichkeit niederlegen und die Stufen und Leitern zum Himmel abhauen wollte, trieb mich der Geist, daß ich zu den Commissarien ging und sie um die Briefe von der Vergebung der Sünden bat »aus Gnade für die Armen«. Ich gab auch an, ich wäre ein Sünder und arm und bedürfte der Vergebung der Sünden, die aus Gnaden geschähe. Am zweiten Tage um die Vesperzeit trat ich in Hans Pflock's Haus, wo der Tetzel mit den Beichtvätern und Haufen von Priestern beisammen war, und habe sie mit lateinischer Sprache angeredet und gebeten, daß sie mir Armem, nach dem Befehl in des Papstes Brief wollten gestatten zu bitten um die Absolution von allen meinen Sünden, umsonst und um Gottes willen, etiam nullo casu reservato, ohne Vorbehalt eines einzigen Falles, und darüber sollten sie mir literas testimoniales des Papstes oder schriftlich Zeugniß geben. Da haben sich die Priester verwundert über meine lateinische Rede, denn das war in dieser Zeit ein seltenes Ding, sonderlich bei den jungen Knaben, und gingen bald aus der Stube in die Kammer, die daneben war, zu dem Herrn Commissar Tetzel. Sie zeigten ihm mein Begehr an und baten auch für mich, daß er mir umsonst die Ablaßbriefe geben möchte. Endlich nach langer Berathschlagung kommen sie wieder und bringen diese Antwort: »Lieber Sohn, wir haben deine Bitte dem Herrn Commissario fleißig vorgetragen, und er bekennet, er wolle gern deine Bitte gewähren, aber er könne nicht, und wenn er gleich wollte, so wäre doch die Concession eine Nullität und nicht kräftig. Denn er hat uns angezeigt, daß klar in des Papstes Briefe stehe, daß die gewiß theilhaftig würden der reichmilden Indulgenzien und Schätze der Kirche und der Verdienste Christi, qui porrigerent manum adjutricem, die mit der Hand hülfen, das ist, die da Geld gäben.« Und das sagten sie mir alles mit deutschen Worten, denn es war keiner unter ihnen, der mit einem drei lateinische Worte recht hätte reden können.

Dagegen aber habe ich auf's neue gebeten und habe aus dem angeschlagenen Brief des Papstes bewiesen, daß der heilige Vater, der Papst, befohlen, man solle den Armen solche Briefe umsonst, um Gottes willen geben, und sonderlich weil dabei geschrieben wäre: ad mandatum domini Papae proprium, d. i. auf des Herrn Papst eigenen Befehl.

Da gehen sie wieder hinein und bitten den stolzen, hochmüthigen Mönch, er möchte mir doch meine Bitte gewähren und mich mit dem Ablaß von sich lassen, denn ich wäre ein sinnreicher und beredter Jüngling und werth, daß man auf mich etwas Sonderliches vor Andern wendete. Aber sie kommen wieder heraus und bringen wieder die Antwort de manu auxiliatrice, von der helfenden Hand, die allein fähig wäre zum heiligen Ablaß. Ich aber bleibe fest und sage, daß sie mir Armem Unrecht thäten; den beide, Gott und der Papst, nicht ausschließen wollten von der Gnade, den verwürfen sie um etlicher weniger Pfennige willen, die ich nicht hätte. Da entsteht ein Streit, ich sollte doch etwas Geringes geben, damit es an der hilfreichen Hand nicht mangelte, ich sollte nur einen Groschen geben; ich sagte, ich hab' ihn nicht, ich bin arm. Zuletzt kam es darauf, ich sollte nur sechs Pfennige geben; da antwortete ich wieder, ich hätte auch nicht einen einzigen Pfennig. Sie redeten mir zu und sprachen miteinander. Endlich hörte ich, daß sie wegen zwei Dingen in Sorge waren, erstlich, man sollte mich in keinem Falle ohne Ablaßbrief weggehen lassen, denn dies könne ein von Andern angelegter Plan sein und möchte hernach ein böses Spiel daraus entstehen, dieweil in des Papstes Brief klar stünde, den Armen solle man es umsonst geben. Ferner aber, man müßte dennoch etwas von mir nehmen, damit nicht die Andern hörten, die Ablaßbriefe würden umsonst ausgegeben, und käme hernach der ganze Hauf der Schüler und Bettler gelaufen und wollte es ein jeglicher umsonst haben. Darum hätten sie nicht sorgen brauchen, denn die armen Bettler suchten mehr das liebe Brot, um den Hunger zu vertreiben.

Nachdem sie ihren Rath gehalten haben, kommen sie wieder zu mir und giebt mir einer sechs Pfennige, daß ich sie dem Commissario geben sollte. Durch diesen Beitrag würde ich auch ein Aufbauer der Kirche St. Peter's zu Rom, item ein Erwürger des Türken, und würde noch theilhaftig der Gnade Christi und der Indulgenzien. Aber da sagt' ich frei aus Anregung des Geistes: wenn ich Indulgenzien und Ablaß für Geld kaufen wollte, so könnte ich wohl ein Buch verkaufen und sie um mein eigen Geld kaufen. Ich wollte sie aber umsonst, geschenkt haben, um Gottes willen, oder sie würden Rechenschaft vor Gott dafür geben, daß sie meiner Seele Seligkeit versäumt und verscherzt hätten, wegen sechs Pfennigen; da doch beide, Gott und der Papst wollten, daß meine Seele theilhaftig werden sollte der Vergebung aller meiner Sünden, umsonst, aus Gnade. Dies sagte ich und wußte doch fürwahr nicht, wie es mit den Ablaßbriefen stünde.

Endlich nach langem Gespräch frugen mich die Priester, von wem ich daher geschickt sei und wer mich abgerichtet habe, solche Sachen mit ihnen zu verhandeln. Da habe ich ihnen die lautere klare Wahrheit gesagt, wie es war, daß ich von ganz und gar keinem Menschen vermahnt oder angetrieben oder durch Rathgeber dazu gebracht worden sei, sondern daß ich allein, ohne eines Menschen Rath, nur im Vertrauen und Zuversicht aus die gnädige, umsonst geschenkte Vergebung der Sünden, solche Bitte angestellt hätte, und ich hätte Zeit meines Lebens niemals mit solchen großen Leuten geredet oder etwas verhandelt. Denn ich war von Natur schamhaft, und wenn mich nicht der große Durst nach der Gnade Gottes gezwungen hätte, so hätte ich nicht so etwas Großes gewagt und mich nicht unter solche Leute gemengt und so etwas von ihnen gebeten. Da wurden mir abermals die Ablaßbriefe verheißen, aber doch so, daß ich sie um sechs Pfennige kaufte, und die sollten mir für meine Person umsonst geschenkt sein. Ich aber bin daraus beständig geblieben, daß mir die Ablaßbriefe von dem, der da Macht habe, sie zu schenken, sollten umsonst geschenkt werden; wo nicht, wollte ich die Sache dem lieben Gott befehlen und anheimstellen. Und also wurde ich von ihnen entlassen.

Die heiligen Diebe wurden gleichwohl traurig über diesen Handel, ich aber war zum Theil betrübt, daß ich keinen Ablaßbrief bekommen hatte, zum Theil freute ich mich auch, daß trotzdem noch einer im Himmel wäre, der da wollte ohne Geld und Darlehen die Sünde dem bußfertigen Sünder vergeben, nach dem Spruch, den ich oft in der Kirche gesungen hatte: So wahr ich lebe, spricht Gott, will ich nicht den Tod des Sünders, sondern daß er bekehrt werde und lebe. Ach lieber Herr und Gott, du weißt, daß ich hier in dieser Sache nicht lüge oder etwas von mir erdichte.

Dabei war ich also bewegt, daß ich, indem ich heimging in meine Herberge, schier von Thränen zerflossen und zerschmolzen wäre. Also komme ich in meine Herberge, gehe in meine Kammer und nehme das Crucifix, das immer aus dem Tischchen in meiner Studirkammer lag, und lege es auf die Bank und falle davor nieder auf die Erde. Ich kann es hier nicht beschreiben, aber damals habe ich können fühlen den Geist des Gebetes und der Gnade, den du, mein Herr und Gott, über mich ausgossest. Die Summa aber war diese: ich bat, daß du, lieber Gott, wollest mein Vater sein, du wollest mir die Sünde vergeben, ich ergebe mich dir ganz und gar, du möchtest jetzt aus mir machen, was dir gefiele, und weil die Priester ohne Geld mir nicht wollten gnädig sein, daß du mein gnädiger Gott und Vater sein wolltest.

Da empfand ich, daß mein ganzes Herz verwandelt war, ich hatte einen Verdruß über alle Dinge in der Welt und däuchte mich, ich wäre dieses Lebens ganz satt. Eins nur begehrte ich, nämlich Gott zu leben, daß ich ihm gefallen möchte. Aber wer war damals, der mich gelehrt hätte, wie ich mich dazu anstellen mußte? Denn das Wort, Leben und Licht der Menschen war durch die ganze Welt begraben in tiefster Finsterniß der menschlichen Satzungen und der ganz närrischen »guten Werke«. Von Christo war es ganz stille, man wußte nichts von ihm, oder wenn seiner gedacht wurde, so ward er uns vorgestellt als ein grausamer, erschrecklicher Richter, welchen kaum seine Mutter und alle Heiligen im Himmel mit blutigen Thränen versöhnen und gnädig machen könnten, doch so, daß er, Christus, den Menschen, der Buße thäte, für eine jede Todsünde sieben Jahre in die Pein des Fegefeuers hineinstieße. Es wäre die Pein des Fegefeuers von der höllischen Pein durch nichts unterschieden, als daß sie nicht sollte ewig währen. Mir aber brachte jetzt der heilige Geist die Hoffnung, daß mir Gott würde gnädig sein.

Und jetzt fing ich an und berathschlagte etliche Tage bei mir, wie ich einen andern Stand meines Lebens anfangen möchte. Denn ich sah die Sünde der Welt und des ganzen menschlichen Geschlechts, ich sah meine vielfältige Sünde, die da sehr groß war. Ich hatte auch etwas gehört von der heimlichen großen Heiligkeit und von dem reinen unschuldigen Leben der Mönche, wie sie Gott Tag und Nacht dienten, wären abgesondert von allem bösen Leben der Welt und lebten gar nüchtern, fromm und keusch, hielten Messen, sängen Psalmen, fasteten und beteten immer zu. Ich hatte auch dies scheinbare Leben gesehen, ich wußte aber und verstand nicht, daß es die höchste Abgötterei und Heuchelei war. –

Daraus zeigte ich meinen Rath dem Präceptor an, dem Magister Andreas Staffelstein, als dem obersten Regenten der Schule, der rieth mir alsbald, ich sollte mich in das Franciscanerkloster begeben, dessen Neubau zu der Zeit angefangen war. Und damit ich nicht durch langen Verzug anders gesinnt würde, ging er alsbald selbst mit mir hin zu den Mönchen, lobte mein Ingenium und Kopf, rühmte, daß er mich allein gehabt unter seinen Schülern, von dem er guter Zuversicht sei, ich würde ein recht gottseliger Mensch werden.

Ich wollte aber mein Vorhaben auch meinen Eltern zuvor anzeigen und ihre Bedenken darüber hören, dieweil ich ein einziger Sohn war und Erbe meiner Eltern. Die Mönche aber lehrten mich aus dem Hieronymo: ich solle Vater und Mutter liegen lassen und nicht achten, und zu dem Kreuze Christi laufen. Sie zogen auch den Spruch Christi an: Keiner, der die Hand an den Pflug legt und zurücksieht, ist tüchtig zum Reich Gottes. Dies alles mußte drängen und gebieten, daß ich ein Mönch wurde. Ich will hier nicht reden von vielen Stricken und Banden, womit sie mein Gewissen banden und verknüpften. Denn sie sagten, ich könnte nimmermehr selig werden, wenn ich die von Gott angebotene Gnade nicht bald annehme und gebrauche. Darauf habe ich, der ich lieber hätte sterben wollen, als die Gnade Gottes und das ewige Leben entbehren, ihnen alsbald angelobt und zugesagt, daß ich in dreien Tagen wollte wieder in's Kloster kommen und das Jahr der Probirung anfangen, wie sie es im Kloster nennen, d. i. ich wollte ein frommer, andächtiger und gottesfürchtiger Mönch werden.

Im Jahre Christi 1510, den 14. Juli um zwei Uhr Nachmittag, bin ich in's Kloster eingetreten, begleitet von meinem Präceptor und etlichen wenigen meiner Schulgesellen und etlichen gar andächtigen Matronen, denen ich zum Theil die Ursache angezeigt hatte, warum ich mich in den geistlichen Stand begebe. Und so hab' ich meine Begleiter in's Kloster gesegnet, welche alle mir mit Thränen Gottes Gnade und Segen wünschten. Und also ging ich in's Kloster. Lieber Gott, du weißt, daß dies alles wahr ist. Ich suchte nicht Müssiggang oder Versorgung des Bauchs, auch nicht den Schein großer Heiligkeit, sondern ich wollte dir gefallen, dir habe ich dienen wollen.

So tappte ich die Zeit in gar großer Finsterniß.«


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