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Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörterungen kann man folgende Einsicht hinstellen: Gewisse Unzulänglichkeiten unserer psychischen Leistungen – deren gemeinsamer Charakter sogleich näher bestimmt werden soll – und gewisse absichtslos erscheinende Verrichtungen erweisen sich, wenn man das Verfahren der psychoanalytischen Untersuchung auf sie anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Bewusstsein unbekannte Motive determiniert.
Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene eingereiht zu werden, muss eine psychische Fehlleistung folgenden Bedingungen genügen:
Sie darf nicht über ein gewisses Mass hinausgehen, welches von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Ausdruck »innerhalb der Breite des Normalen« bezeichnet wird.
Sie muss den Charakter der momentanen und zeitweiligen Störung an sich tragen. Wir müssen die nämliche Leistung vorher korrekter ausgeführt haben oder uns jederzeit zutrauen, sie korrekter auszuführen. Wenn wir von anderer Seite korrigiert werden, müssen wir die Richtigkeit der Korrektur und die Unrichtigkeit unseres eigenen psychischen Vorganges sofort erkennen.
Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen wir von einer Motivierung derselben nichts in uns verspüren, sondern müssen versucht sein, sie durch »Unaufmerksamkeit« zu erklären oder als »Zufälligkeit« hinzustellen.
Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Vergessen und die Irrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen, Verschreiben, Vergreifen und die sog. Zufallshandlungen. Die gleiche Zusammensetzung mit der Vorsilbe ver deutet für die meisten dieser Phänomene die innere Gleichartigkeit sprachlich an. An die Aufklärung dieser so bestimmten psychischen Vorgänge knüpft aber eine Reihe von Bemerkungen an, die zum Teil ein weitergehendes Interesse erwecken dürfen.
Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als unaufklärbar durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem Aufsatz des Literarhistorikers R. M. Meyer in der »Zeit« ausgeführt und an Beispielen erläutert gefunden, dass es unmöglich ist, absichtlich und willkürlich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit weiss ich, dass man es nicht zustande bringt, sich eine Zahl nach freiem Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörtern und dann ein analoges Beispiel einer »gedankenlos hingeworfenen« Zahl ausführlicher analysieren.
Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner Patientinnen für die Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen Vornamen ich ihr in der Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr gross; gewiss schliessen sich einige Namen von vorne herein aus, in erster Linie der echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich Anstoss nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen von besonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen solchen Namen nicht verlegen zu sein. Man sollte erwarten und ich erwarte selbst, dass sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der Name Dora. Ich frage nach seiner Determinierung. Wer heisst denn nur sonst Dora? Ungläubig möchte ich den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, dass das Kindermädchen meiner Schwester so heisst. Aber ich besitze soviel Selbstzucht oder Übung im Analysieren, dass ich den Einfall festhalte und weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des vorigen Abends ein, welche die gesuchte Determinierung bringt. Ich sah auf dem Tisch im Speisezimmer meiner Schwester einen Brief liegen mit der Aufschrift: ›An Fräulein Rosa W.‹ Erstaunt fragte ich, wer so heisst, und wurde belehrt, dass die vermeintliche Dora eigentlich Rosa heisst, und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus ablegen musste, weil meine Schwester den Ruf »Rosa« auch auf ihre eigene Person beziehen kann. Ich sage bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde ich dann für einen Moment still und begann an allerlei ernsthafte Dinge zu denken, die ins Unklare verliefen, die ich mir jetzt aber leicht bewusst machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen nicht beibehalten durfte, fiel mir kein anderer als »Dora« ein. Die Ausschliesslichkeit beruht hier auf fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in der Geschichte meiner Patientin rührte ein auch für den Verlauf der Kur entscheidender Einfluss von der im fremden Haus dienenden Person, von einer Gouvernante, her.
In einem Briefe an meinen Freund in B. kündige ich ihm an, dass ich jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abgeschlossen habe und nichts mehr an dem Werk ändern will, »möge es auch 2467 Fehler enthalten«. Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die kleine Analyse noch als Nachschrift dem Briefe an. Am besten zitiere ich jetzt, wie ich damals geschrieben, als ich mich auf frischer Tat ertappte:
›Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltagslebens. Du findest im Brief die Zahl 2467 als übermütige Willkürschätzung der Fehler, die sich im Traumbuch finden werden. Es soll heissen: irgend eine grosse Zahl, und da stellt sich diese ein. Nun gibt es aber nichts Willkürliches, Undeterminiertes im Psychischen. Du wirst also auch mit Recht erwarten, dass das Unbewusste sich beeilt hat, die Zahl zu determinieren, die von dem Bewussten freigelassen wurde. Nun hatte ich gerade vorher in der Zeitung gelesen, dass ein General E. M. als Feldzeugmeister in den Ruhestand getreten. Du musst wissen, der Mann interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente, kam er einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte zum Arzt: ›Sie müssen mich aber in 8 Tagen gesund machen, denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der Kaiser wartet.‹ Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen, und siehe da, heute (1899) ist er am Ende derselben, Feldzeugmeister und schon im Ruhestande. Ich wollte ausrechnen, in welcher Zeit er diesen Weg zurückgelegt, und nahm an, dass ich ihn 1882 im Spital gesehen. Das wären also 17 Jahre. Ich erzähle meiner Frau davon und sie bemerkt: ›Da müsstest Du also auch schon im Ruhestande sein?‹ Und ich protestiere: Davor bewahre mich Gott. Nach diesem Gespräch setze ich mich an den Tisch, um Dir zu schreiben. Der frühere Gedankengang setzt sich aber fort und mit gutem Recht. Es war falsch gerechnet; ich habe einen festen Punkt dafür in meiner Erinnerung. Meine Grossjährigkeit, meinen 24. Geburtstag also, habe ich im Militärarrest gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert hatte). Das war also 1880; es sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die Zahl 24 in 2467! Nimm nun meine Alterszahl 43 und gib 24 Jahre hinzu, so bekommst Du die 67! D. h. auf die Frage, ob ich auch in den Ruhestand treten will, habe ich mir im Wunsch noch 24 Jahre Arbeit zugelegt. Offenbar bin ich gekränkt darüber, dass ich es in dem Intervall, durch das ich den Oberst M. verfolgt, selbst nicht weit gebracht habe, und doch wie in einer Art von Triumph darüber, dass er jetzt schon fertig ist, während ich noch Alles vor mir habe. Da darf man doch mit Recht sagen, dass nicht einmal die absichtslos hingeworfene Zahl 2467 ihrer Determinierung aus dem Unbewussten entbehrt.‹
Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar willkürlich gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch vielmals mit dem nämlichen Erfolg wiederholt; aber die meisten Fälle sind so sehr intimen Inhalts, dass sie sich der Mitteilung entziehen. Gerade an diesen Analysen ist mir zweierlei besonders auffällig: Erstens die geradezu somnambule Sicherheit, mit der ich auf das mir unbekannte Ziel losgehe, mich in einen rechnenden Gedankengang versenke, der dann plötzlich bei der gesuchten Zahl angelangt ist, und die Raschheit, mit der sich die ganze Nacharbeit vollzieht; zweitens aber der Umstand, dass die Zahlen meinem unbewussten Denken so bereitwillig zur Verfügung stehen, während ich ein schlechter Rechner bin und die grössten Schwierigkeiten habe, mir Jahreszahlen, Hausnummern und dergleichen bewusst zu merken. Ich finde übrigens in diesen unbewussten Gedankenoperationen mit Zahlen eine Neigung zum Aberglauben, deren Herkunft mir selbst noch fremd ist. Meist stosse ich auf Spekulationen über die Lebensdauer meiner selbst und der mir teuren Personen, und bestimmend auf die unbewussten Spielereien muss eingewirkt haben, dass mein Freund in B. die Lebenszeiten der Menschen zum Gegenstand seiner auf biologische Einheiten gegründeten Rechnungen genommen hat. Ich bin nun mit einer der Voraussetzungen, von denen er hierbei ausgeht, nicht einverstanden, möchte aus höchst egoistischen Motiven gerne gegen ihn Recht behalten und scheine nun diese Rechnungen auf meine Art nachzuahmen.
Diese Einsicht in die Determinierung scheinbar willkürlich gewählter Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klärung eines anderen Problems beitragen. Gegen die Annahme eines durchgehenden psychischen Determinismus berufen sich bekanntlich viele Personen auf ein besonderes Überzeugungsgefühl für die Existenz eines freien Willens. Dieses Überzeugungsgefühl besteht und weicht auch dem Glauben an den Determinismus nicht. Es muss wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas berechtigt sein. Es äussert sich aber, soviel ich beobachten kann, nicht bei den grossen und wichtigen Willensentscheidungen; bei diesen Gelegenheiten hat man vielmehr die Empfindung des psychischen Zwanges und beruft sich auf sie (›Hier stehe ich, ich kann nicht anders‹). Hingegen möchte man gerade bei den belanglosen, indifferenten Entschliessungen versichern, dass man ebensowohl anders hätte handeln können, dass man aus freiem, nicht motiviertem Willen gehandelt hat. Nach unseren Analysen braucht man nun das Recht des Überzeugungsgefühles vom freien Willen nicht zu bestreiten. Führt man die Unterscheidung der Motivierung aus dem Bewussten von der Motivierung aus dem Unbewussten ein, so berichtet uns das Überzeugungsgefühl, dass die bewusste Motivierung sich nicht auf alle unsere motorischen Entscheidungen erstreckt. Minima non curat praetor. Was aber so von der einen Seite frei gelassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus dem Unbewussten, und so ist die Determinierung im Psychischen doch lückenlos durchgeführt.
Wenngleich dem bewussten Denken die Kenntnis von der Motivierung der besprochenen Fehlleistungen nach der ganzen Sachlage abgehen muss, so wäre es doch erwünscht, einen psychologischen Beweis für deren Existenz aufzufinden; ja es ist aus Gründen, die sich bei näherer Kenntnis des Unbewussten ergeben, wahrscheinlich, dass solche Beweise irgendwo auffindbar sind. Es lassen sich wirklich auf zwei Gebieten Phänomene nachweisen, welche einer unbewussten und darum verschobenen Kenntnis von dieser Motivierung zu entsprechen scheinen.
Es ist ein auffälliger und allgemein bemerkter Zug im Verhalten der Paranoiker, dass sie den kleinen, sonst von uns vernachlässigten Details im Benehmen der anderen die grösste Bedeutung beilegen, dieselben ausdeuten und zur Grundlage weitgehender Schlüsse machen. Der letzte Paranoiker z. B., den ich gesehen habe, schloss auf ein allgemeines Einverständnis in seiner Umgebung, weil die Leute bei seiner Abreise auf dem Bahnhof eine gewisse Bewegung mit der einen Hand gemacht hatten. Ein anderer hat die Art notiert, wie die Leute auf der Strasse gehen, mit den Spazierstöcken fuchteln u. dgl.Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat man diese Beurteilung unwesentlicher und zufälliger Äusserungen bei anderen zum ›Beziehungswahn‹ gerechnet.
Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Bedürftigen, welche der Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Leistungen und Fehlleistungen gelten lässt, verwirft der Paranoiker also in der Anwendung auf die psychischen Äusserungen der anderen. Alles, was er an den anderen bemerkt, ist bedeutungsvoll, alles ist deutbar. Wie kommt er nur dazu? Er projiziert wahrscheinlich in das Seelenleben der anderen, was im eigenen unbewusst vorhanden ist, hier wie in so vielen ähnlichen Fällen. In der Paranoia drängt sich eben so vielerlei zum Bewusstsein durch, was wir bei Normalen und Neurotikern erst durch die Psychoanalyse als im Unbewussten vorhanden nachweisen.Die durch Analyse bewusst zu machenden Phantasieen der Hysteriker von sexuellen und grausamen Misshandlungen decken sich z. B. gelegentlich bis ins Einzelne mit den Klagen verfolgter Paranoiker. Es ist bemerkenswert, aber nicht unverständlich, wenn der identische Inhalt uns auch als Realität in den Veranstaltungen Perverser zur Befriedigung ihrer Gelüste entgegentritt. Der Paranoiker hat also hierin in gewissem Sinne Recht, er erkennt etwas, was dem Normalen entgeht, er sieht schärfer als das normale Denkvermögen, aber die Verschiebung des so erkannten Sachverhaltes auf andere macht seine Erkenntnis wertlos. Die Rechtfertigung der einzelnen paranoischen Deutungen wird man dann hoffentlich von mir nicht erwarten. Das Stück Berechtigung aber, welches wir der Paranoia bei dieser Auffassung der Zufallshandlungen zugestehen, wird uns das psychologische Verständnis der Überzeugung erleichtern, welche sich beim Paranoiker an alle diese Deutungen geknüpft hat. Es ist eben etwas Wahres daran; auch unsere nicht als krankhaft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben das ihnen zugehörige Überzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies Gefühl ist für ein gewisses Stück des irrtümlichen Gedankenganges oder für die Quelle, aus der er stammt, berechtigt und wird dann von uns auf den übrigen Zusammenhang ausgedehnt.
Ein anderer Hinweis auf die unbewusste und verschobene Kenntnis der Motivierung bei Zufalls- und Fehlleistungen findet sich in den Phänomenen des Aberglaubens. Ich will meine Meinung durch die Diskussion des kleinen Erlebnisses klar legen, welches für mich der Ausgangspunkt dieser Überlegungen war.
Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken alsbald auf die Kranken, die mich in dem neu beginnenden Arbeitsjahr beschäftigen sollen. Mein erster Weg gilt einer sehr alten Dame, bei der ich (siehe oben) seit Jahren die nämlichen ärztlichen Manipulationen zweimal täglich vornehme. Wegen dieser Gleichförmigkeit haben sich unbewusste Gedanken sehr häufig auf dem Wege zu der Kranken und während der Beschäftigung mit ihr Ausdruck verschafft. Sie ist über 90 Jahre alt; es liegt also nahe, sich bei Beginn eines jeden Jahres zu fragen, wie lange sie wohl noch zu leben hat. An dem Tage, von dem ich erzähle, habe ich Eile, nehme also einen Wagen, der mich vor ihr Haus führen soll. Jeder der Kutscher auf dem Wagenstandplatz vor meinem Hause kennt die Adresse der alten Frau, denn jeder hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute ereignet es sich nun, dass der Kutscher nicht vor ihrem Hause, sondern vor dem gleichbezifferten in einer nahegelegenen und wirklich ähnlich aussehenden Parallelstrasse Halt macht. Ich merke den Irrtum und werfe ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu bedeuten, dass ich vor ein Haus geführt werde, in dem ich die alte Dame nicht vorfinde? Für mich gewiss nicht, aber wenn ich abergläubisch wäre, würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen Fingerzeig des Schicksals, dass dies Jahr das letzte für die alte Frau sein wird. Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt hat, sind in keiner besseren Symbolik begründet gewesen. Ich erkläre allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit ohne weiteren Sinn.
Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuss gemacht und dann in »Gedanken«, in der »Zerstreutheit« vor das Haus der Parallelstrasse anstatt vors richtige gekommen wäre. Das würde ich für keinen Zufall erklären, sondern für eine der Deutung bedürftige Handlung mit unbewusster Absicht. Diesem » Vergehen« müsste ich wahrscheinlich die Deutung geben, dass ich die alte Dame bald nicht mehr anzutreffen erwarte.
Ich unterscheide mich also von einem Abergläubischen in folgendem:
Ich glaube nicht, dass ein Ereignis, an dessen Zustandekommen mein Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zukünftige Gestaltung der Realität lehren kann; ich glaube aber, dass eine unbeabsichtigte Äusserung meiner eigenen Seelentätigkeit mir allerdings etwas Verborgenes enthüllt, was wiederum nur meinem Seelenleben angehört; ich glaube zwar an äusseren (realen) Zufall, aber nicht an innere (psychische) Zufälligkeit. Der Abergläubische umgekehrt: er weiss nichts von der Motivierung seiner zufälligen Handlungen und Fehlleistungen, er glaubt, dass es psychische Zufälligkeiten gibt; dafür ist er geneigt, dem äusseren Zufall eine Bedeutung zuzuschreiben, die sich im realen Geschehen äussern wird, im Zufall ein Ausdrucksmittel für etwas draussen ihm Verborgenes zu sehen. Die Unterschiede zwischen mir und dem Abergläubischen sind zwei: erstens projiziert er eine Motivierung nach aussen, die ich innen suche; zweitens deutet er den Zufall durch ein Geschehen, den ich auf einen Gedanken zurückführe. Aber das Verborgene bei ihm entspricht dem Unbewussten bei mir, und der Zwang, den Zufall nicht als Zufall gelten zu lassen, sondern ihn zu deuten, ist uns beiden gemeinsam.
Ich nehme nun an, dass diese bewusste Unkenntnis und unbewusste Kenntnis von der Motivierung der psychischen Zufälligkeiten eine der psychischen Wurzeln des Aberglaubens ist. Weil der Abergläubische von der Motivierung der eigenen zufälligen Handlungen nichts weiss, und weil die Tatsache dieser Motivierung nach einem Platz in seiner Anerkennung drängt, ist er genötigt, sie durch Verschiebung in der Aussenwelt unterzubringen. Besteht ein solcher Zusammenhang, so wird er kaum auf diesen einzelnen Fall beschränkt sein. Ich glaube in der Tat, dass ein grosses Stück der mythologischen Weltauffassung, die weit bis in die modernsten Religionen hinein reicht, nichts anderes ist als in die Aussenwelt projizierte Psychologie. Die dunkle Erkenntnis psychischer Faktoren und VerhältnisseDie natürlich nichts vom Charakter einer Erkenntnis hat. des Unbewussten spiegelt sich – es ist schwer, es anders zu sagen, die Analogie mit der Paranoia muss hier zur Hilfe genommen werden – in der Konstruktion einer übersinnlichen Realität, welche von der Wissenschaft in Psychologie des Unbewussten zurückverwandelt werden soll. Man könnte sich getrauen, die Mythen vom Paradies und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der Unsterblichkeit und dgl. in solcher Weise aufzulösen, die Metaphysik in Metapsychologie umzusetzen. Die Kluft zwischen der Verschiebung des Paranoikers und der des Abergläubischen ist minder gross, als sie auf den ersten Blick erscheint. Als die Menschen zu denken begannen, waren sie bekanntlich genötigt, die Aussenwelt anthropomorphisch in eine Vielheit von Persönlichkeiten nach ihrem Gleichnis aufzulösen; die Zufälligkeiten, die sie abergläubisch deuteten, waren also Handlungen, Äusserungen von Personen, und sie haben sich demnach genau so benommen wie die Paranoiker, welche aus den unscheinbaren Anzeichen, die ihnen die Anderen geben, Schlüsse ziehen, und wie die Gesunden alle, welche mit Recht die zufälligen und unbeabsichtigten Handlungen ihrer Nebenmenschen zur Grundlage der Schätzung ihres Charakters machen. Der Aberglaube erscheint nur so sehr deplaziert in unserer modernen, naturwissenschaftlichen, aber noch keineswegs abgerundeten Weltanschauung; in der Weltanschauung vorwissenschaftlicher Zeiten und Völker war er berechtigt und konsequent.
Der Römer, der eine wichtige Unternehmung aufgab, wenn ihm ein widriger Vogelflug begegnete, war also relativ im Recht; er handelte konsequent nach seinen Voraussetzungen. Wenn er aber von der Unternehmung abstand, weil er an der Schwelle seiner Tür gestolpert war (»Un Romain retournerait«), so war er uns Ungläubigen auch absolut überlegen, ein besserer Seelenkundiger, als wir uns zu sein bemühen. Denn dies Stolpern konnte ihm die Existenz eines Zweifels, einer Gegenströmung in seinem Innern beweisen, deren Kraft sich im Momente der Ausführung von der Kraft seiner Intention abziehen konnte. Des vollen Erfolges ist man nämlich nur dann sicher, wenn alle Seelenkräfte einig dem gewünschten Ziel entgegenstreben. Wie antwortet Schillers Tell, der so lange gezaudert, den Apfel vom Haupt seines Knaben zu schiessen, auf die Frage des Vogts, wozu er den zweiten Pfeil eingesteckt?
›Mit diesem zweiten Pfeil durchbohrt' ich – Euch,
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Euer – wahrlich – hätt' ich nicht gefehlt.‹
Als ich unlängst Gelegenheit hatte, einem philosophisch gebildeten Kollegen einige Beispiele von Namenvergessen mit Analyse vorzutragen, beeilte er sich zu erwidern: Das ist sehr schön, aber bei mir geht das Namenvergessen anders zu. So leicht darf man es sich offenbar nicht machen; ich glaube nicht, dass mein Kollege je vorher an eine Analyse bei Namenvergessen gedacht hatte; er konnte auch nicht sagen, wie es bei ihm anders zugehe. Aber seine Bemerkung trifft doch ein Problem, welches viele in den Vordergrund zu stellen geneigt sein werden. Trifft die hier gegebene Auflösung der Fehl- und Zufallshandlungen allgemein zu oder nur vereinzelt, und wenn letzteres, welches sind die Bedingungen, unter denen sie zur Erklärung der auch anderswie ermöglichten Phänomene herangezogen werden darf? Bei der Beantwortung dieser Frage lassen mich meine Erfahrungen im Stiche. Ich kann nur davon abmahnen, den aufgezeigten Zusammenhang für selten zu halten, denn so oft ich bei mir selbst und bei meinen Patienten die Probe angestellt, hat er sich wie in den mitgeteilten Beispielen sicher nachweisen lassen oder haben sich wenigstens gute Gründe, ihn zu vermuten, ergeben. Es ist nicht zu verwundern, wenn es nicht alle Male gelingt, den verborgenen Sinn der Symptomhandlung zu finden, da die Grösse der inneren Widerstände, die sich der Lösung widersetzen, als entscheidender Faktor in Betracht kommt. Man ist auch nicht imstande, bei sich selbst oder bei den Patienten jeden einzelnen Traum zu deuten; es genügt, um die Allgemeingiltigkeit der Theorie zu bestätigen, wenn man nur ein Stück weit in den verdeckten Zusammenhang einzudringen vermag. Der Traum, der sich beim Versuche, ihn am Tage nachher zu lösen, refraktär zeigt, lässt sich oft eine Woche oder einen Monat später sein Geheimnis entreissen, wenn eine unterdes erfolgte reale Veränderung die mit einander streitenden psychischen Wertigkeiten herabgesetzt hat. Das nämliche gilt für die Lösung der Fehl- und Symptomhandlungen; das Beispiel von Verlesen ›Im Fass durch Europa‹ auf Seite 32 hat mir die Gelegenheit gegeben zu zeigen, wie ein anfänglich unlösbares Symptom der Analyse zugänglich wird, wenn das reale Interesse an den verdrängten Gedanken nachgelassen hat. So lange die Möglichkeit bestand, dass mein Bruder den beneideten Titel vor mir erhielte, widerstand das genannte Verlesen allen wiederholten Bemühungen der Analyse; nachdem es sich herausgestellt hatte, dass diese Bevorzugung unwahrscheinlich sei, klärte sich mir plötzlich der Weg, der zur Auflösung desselben führte. Es wäre also unrichtig, von all den Fällen, welche der Analyse widerstehen, zu behaupten, sie seien durch einen anderen als den hier aufgedeckten psychischen Mechanismus entstanden; es brauchte für diese Annahme noch andere als negative Beweise. Auch die bei Gesunden wahrscheinlich allgemein vorhandene Bereitwilligkeit, an eine andere Erklärung der Fehl- und Symptomhandlungen zu glauben, ist jeder Beweiskraft bar; sie ist, wie selbstverständlich, eine Äusserung derselben seelischen Kräfte, die das Geheimnis hergestellt haben, und die sich darum auch für dessen Bewahrung einsetzen, gegen dessen Aufhellung aber sträuben.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, dass die verdrängten Gedanken und Regungen sich den Ausdruck in Symptom- und Fehlhandlungen ja nicht selbständig schaffen. Die technische Möglichkeit für solches Ausgleiten der Innervationen muss unabhängig von ihnen gegeben sein; diese wird dann von der Absicht des Verdrängten, zur bewussten Geltung zu kommen, gerne ausgenützt. Welche Struktur- und Funktionsrelationen es sind, die sich solcher Absicht zur Verfügung stellen, das haben für den Fall der sprachlichen Fehlleistung (vgl. Seite 17) eingehende Untersuchungen der Philosophen und Philologen festzustellen sich bemüht. Unterscheiden wir so an den Bedingungen der Fehl- und Symptomhandlung das unbewusste Motiv von den ihm entgegenkommenden physiologischen und psychophysischen Relationen, so bleibt die Frage offen, ob es innerhalb der Breite der Gesundheit noch andere Momente gibt, welche, wie das unbewusste Motiv und an Stelle desselben, auf dem Wege dieser Relationen die Fehl- und Symptomhandlungen zu erzeugen vermögen. Es liegt nicht auf meinem Wege, diese Frage zu beantworten.
Seit den Erörterungen über das Versprechen haben wir uns begnügt, zu beweisen, dass die Fehlleistungen eine verborgene Motivierung haben, und uns mit dem Hilfsmittel der Psychoanalyse den Weg zur Kenntnis dieser Motivierung gebahnt. Die allgemeine Natur und die Besonderheiten der in den Fehlleistungen zum Ausdruck gebrachten psychischen Faktoren haben wir bisher fast ohne Berücksichtigung gelassen, jedenfalls noch nicht versucht, dieselben näher zu bestimmen und auf ihre Gesetzmässigkeit zu prüfen. Wir werden auch jetzt keine gründliche Erledigung des Gegenstandes versuchen, denn die ersten Schritte werden uns bald belehrt haben, dass man in dies Gebiet besser von anderer Seite einzudringen vermag. Man kann sich hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenigstens anführen und in ihrem Umfang umschreiben will. 1. Welches Inhalts und welcher Herkunft sind die Gedanken und Regungen, die sich durch die Fehl- und Zufallshandlungen andeuten? 2. Welches sind die Bedingungen dafür, dass ein Gedanke oder eine Regung genötigt und in den Stand gesetzt werde, sich dieser Vorfälle als Ausdrucksmittel zu bedienen? 3. Lassen sich konstante und eindeutige Beziehungen zwischen der Art der Fehlhandlung und den Qualitäten des durch sie zum Ausdruck Gebrachten nachweisen?
Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der letzten Frage zusammenzutragen. Bei der Erörterung der Beispiele von Versprechen haben wir es für nötig gefunden, über den Inhalt der intendierten Rede hinauszugehen, und haben die Ursache der Redestörung ausserhalb der Intention suchen müssen. Dieselbe lag dann in einer Reihe von Fällen nahe und war dem Bewusstsein des Sprechenden bekannt. In den scheinbar einfachsten und durchsichtigsten Beispielen war es eine gleichberechtigt klingende andere Fassung desselben Gedankens, die dessen Ausdruck störte, ohne dass man hätte angeben können, warum die eine unterlegen, die andere durchgedrungen war (Kontaminationen von Meringer und Mayer). In einer zweiten Gruppe von Fällen war das Unterliegen der einen Fassung motiviert durch eine Rücksicht, die sich aber nicht stark genug zur völligen Zurückhaltung erwies (»zum Vorschwein gekommen«). Auch die zurückgehaltene Fassung war klar bewusst. Von der dritten Gruppe erst kann man ohne Einschränkung behaupten, dass hier der störende Gedanke von dem intendierten verschieden war, und kann hier eine, wie es scheint, wesentliche Unterscheidung aufstellen. Der störende Gedanke ist entweder mit dem gestörten durch Gedankenassoziation verbunden (Störung durch inneren Widerspruch), oder er ist ihm wesensfremd, und durch eine befremdende äusserliche Assoziation ist gerade das gestörte Wort mit dem störenden Gedanken, der oft unbewusst ist, verknüpft. In den Beispielen, die ich aus meinen Psychoanalysen bei Patienten gebracht habe, steht die ganze Rede unter dem Einfluss gleichzeitig aktiv gewordener, aber völlig unbewusster Gedanken, die sich entweder durch die Störung selbst verraten ( Klapperschlange – Kleopatra) oder einen indirekten Einfluss äussern, indem sie ermöglichen, dass die einzelnen Teile der bewusst intendierten Rede einander stören ( Ase natmen: wo Hasenauerstrasse, Reminiszenzen an eine Französin dahinter stehen). Die zurückgehaltenen oder unbewussten Gedanken, von denen die Sprechstörung ausgeht, sind von der mannigfaltigsten Herkunft. Eine Allgemeinheit enthüllt uns diese Überschau also nach keiner Richtung.
Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Verlesen und Verschreiben führt zu den nämlichen Ergebnissen. Einzelne Fälle scheinen wie beim Versprechen einer weiter nicht motivierten Verdichtungsarbeit ihr Entstehen zu danken (z. B.: der Apfe). Man möchte aber gern erfahren, ob nicht doch besondere Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine solche Verdichtung, die in der Traumarbeit regelrecht, in unserem wachen Denken fehlerhaft ist, Platz greife, und bekommt hierüber aus den Beispielen selbst keinen Aufschluss. Ich würde es aber ablehnen, hieraus den Schluss zu ziehen, es gebe keine solchen Bedingungen als etwa den Nachlass der bewussten Aufmerksamkeit, da ich von anderswoher weiss, dass sich gerade automatische Verrichtungen durch Korrektheit und Verlässlichkeit auszeichnen. Ich möchte eher betonen, dass hier, wie so häufig in der Biologie, die normalen oder dem Normalen angenäherten Verhältnisse ungünstigere Objekte der Forschung sind als die pathologischen. Was bei der Erklärung dieser leichtesten Störungen dunkel bleibt, wird nach meiner Erwartung durch die Aufklärung schwererer Störungen Licht empfangen.
Auch beim Verlesen und Verschreiben fehlt es nicht an Beispielen, welche eine entferntere und kompliziertere Motivierung erkennen lassen. »Im Fass durch Europa« ist eine Lesestörung, die sich durch den Einfluss eines entlegenen, wesensfremden Gedankens aufklärt, welcher einer verdrängten Regung von Eifersucht und Ehrgeiz entspringt, und den »Wechsel« des Wortes » Beförderung« zur Verknüpfung mit dem gleichgiltigen und harmlosen Thema, das gelesen wurde, benützt. Im Falle Burckhard ist der Name selbst ein solcher »Wechsel«.
Es ist unverkennbar, dass die Störungen der Sprechfunktionen leichter zustande kommen und weniger Anforderungen an die störenden Kräfte stellen als die anderer psychischer Leistungen.
Auf anderem Boden steht man bei der Prüfung des Vergessens im eigentlichen Sinne, d. h. des Vergessens von vergangenen Erlebnissen (das Vergessen von Eigennamen und Fremdworten, wie in den Abschnitten I und II könnte man als »Entfallen«, das von Vorsätzen als »Unterlassen« von diesem Vergessen sensu strictiori absondern). Die Grundbedingungen des normalen Vorgangs beim Vergessen sind unbekannt. Man wird auch daran gemahnt, dass nicht alles vergessen ist, was man dafür hält. Unsere Erklärung hat es hier nur mit jenen Fällen zu tun, in denen das Vergessen bei uns ein Befremden erweckt, insofern es die Regel verletzt, dass Unwichtiges vergessen, Wichtiges aber vom Gedächtnis bewahrt wird. Die Analyse der Beispiele von Vergessen, die uns nach einer besonderen Aufklärung zu verlangen scheinen, ergibt als Motiv des Vergessens jedesmal eine Unlust, etwas zu erinnern, was peinliche Empfindungen erwecken kann. Wir gelangen zur Vermutung, dass dieses Motiv im psychischen Leben sich ganz allgemein zu äussern strebt, aber durch andere gegenwirkende Kräfte verhindert wird, sich irgendwie regelmässig durchzusetzen. Umfang und Bedeutung dieser Erinnerungsunlust gegen peinliche Eindrücke scheinen der sorgfältigsten psychologischen Prüfung wert zu sein; auch die Frage, welche besonderen Bedingungen das allgemein angestrebte Vergessen in einzelnen Fällen ermöglichen, ist aus diesem weiteren Zusammenhange nicht zu lösen.
Beim Vergessen von Vorsätzen tritt ein anderes Moment in den Vordergrund; der beim Verdrängen des peinlich zu Erinnernden nur vermutete Konflikt wird hier greifbar, und man erkennt bei der Analyse der Beispiele regelmässig einen Gegenwillen, der sich dem Vorsatze widersetzt, ohne ihn aufzuheben. Wie bei früher besprochenen Fehlleistungen erkennt man auch hier zwei Typen des psychischen Vorgangs; der Gegenwille kehrt sich entweder direkt gegen den Vorsatz (bei Absichten von einigem Belang), oder er ist dem Vorsatz selbst wesensfremd und stellt seine Verbindung mit ihm durch eine äusserliche Assoziation her (bei fast indifferenten Vorsätzen).
Derselbe Konflikt beherrscht die Phänomene des Vergreifens. Der Impuls, der sich in der Störung der Handlung äussert, ist häufig ein Gegenimpuls, doch noch öfter ein überhaupt fremder, der nur die Gelegenheit benützt, sich bei der Ausführung der Handlung durch eine Störung derselben zum Ausdruck zu bringen. Die Fälle, in denen die Störung durch einen inneren Widerspruch erfolgt, sind die bedeutsameren und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungen.
Der innere Konflikt tritt dann bei den Zufalls- oder Symptomhandlungen immer mehr zurück. Diese vom Bewusstsein gering geschätzten oder ganz übersehenen motorischen Aeusserungen dienen so mannigfachen unbewussten oder zurückgehaltenen Regungen zum Ausdruck; sie stellen meist Phantasien oder Wünsche symbolisch dar. –
Zur ersten Frage, welcher Herkunft die Gedanken und Regungen seien, die sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck bringen, lässt sich sagen, dass in einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Gedanken von unterdrückten Regungen des Seelenlebens leicht nachzuweisen ist. Egoistische, eifersüchtige, feindselige Gefühle und Impulse, auf denen der Druck der moralischen Erziehung lastet, bedienen sich bei Gesunden nicht selten des Weges der Fehlleistungen, um ihre unleugbar vorhandene, aber von höheren seelischen Instanzen nicht anerkannte Macht irgendwie zu äussern. Das Gewährenlassen dieser Fehl- und Zufallshandlungen entspricht zum guten Teil einer bequemen Duldung des Unmoralischen. Unter diesen unterdrückten Regungen spielen die mannigfachen sexuellen Strömungen keine geringfügige Rolle. Es ist ein Zufall des Materials, wenn gerade sie so selten unter den durch die Analyse aufgedeckten Gedanken in meinen Beispielen erscheinen. Da ich vorwiegend Beispiele aus meinem eigenen Seelenleben der Analyse unterzogen habe, so war die Auswahl von vornherein parteiisch und auf den Ausschluss des Sexuellen gerichtet. Andere Male scheinen es höchst harmlose Einwendungen und Rücksichten zu sein, aus denen die störenden Gedanken entspringen.
Wir stehen nun vor der Beantwortung der zweiten Frage, welche psychologischen Bedingungen dafür gelten, dass ein Gedanke seinen Ausdruck nicht in voller Form, sondern in gleichsam parasitärer als Modifikation und Störung eines anderen suchen müsse. Es liegt nach den auffälligsten Beispielen von Fehlhandlung nahe, diese Bedingung in einer Beziehung zur Bewusstseinsfähigkeit zu suchen, in dem mehr oder minder entschieden ausgeprägten Charakter des »Verdrängten«. Aber die Verfolgung durch die Reihe der Beispiele löst diesen Charakter in immer mehr verschwommene Andeutungen auf. Die Neigung, über etwas als zeitraubend hinwegzukommen, – die Erwägung, dass der betreffende Gedanke nicht eigentlich zur intendierten Sache gehört, – scheinen als Motive für die Zurückdrängung eines Gedankens, der dann auf den Ausdruck durch Störung eines anderen angewiesen ist, dieselbe Rolle zu spielen wie die moralische Verurteilung einer unbotmässigen Gefühlsregung oder die Abkunft von völlig unbewussten Gedankenzügen. Eine Einsicht in die allgemeine Natur der Bedingtheit von Fehl- und Zufallsleistungen lässt sich auf diese Weise nicht gewinnen. Einer einzigen bedeutsamen Tatsache wird man bei diesen Untersuchungen habhaft; je harmloser die Motivierung der Fehlleistung ist, je weniger anstössig und darum weniger bewusstseinsunfähig der Gedanke ist, der sich in ihr zum Ausdruck bringt, desto leichter wird auch die Auflösung des Phänomens, wenn man ihm seine Aufmerksamkeit zugewendet hat; die leichtesten Fälle des Versprechens werden sofort bemerkt und spontan korrigiert. Wo es sich um Motivierung durch wirklich verdrängte Regungen handelt, da bedarf es zur Lösung einer sorgfältigen Analyse, die selbst zeitweise auf Schwierigkeiten stossen oder misslingen kann.
Es ist also wohl berechtigt, das Ergebnis dieser letzten Untersuchung als einen Hinweis darauf zu nehmen, dass die befriedigende Aufklärung für die psychologischen Bedingungen der Fehl- und Zufallshandlungen auf einem anderen Wege und von anderer Seite her zu gewinnen ist. Der nachsichtige Leser möge daher in diesen Auseinandersetzungen den Nachweis der Bruchflächen sehen, an denen dieses Thema ziemlich künstlich aus einem grösseren Zusammenhange herausgelöst wurde.
Einige Worte sollen zum mindesten die Richtung nach diesem weiteren Zusammenhange andeuten. Der Mechanismus der Fehl- und Zufallshandlungen, wie wir ihn durch die Anwendung der Analyse kennen gelernt haben, zeigt in den wesentlichsten Punkten eine Übereinstimmung mit dem Mechanismus der Traumbildung, den ich in dem Abschnitt »Traumarbeit« meines Buches über die Traumdeutung auseinandergesetzt habe. Die Verdichtungen und Kompromissbildungen (Kontaminationen) findet man hier wie dort; die Situation ist die nämliche, dass unbewusste Gedanken sich auf ungewöhnlichen Wegen, über äusserliche Assoziationen, als Modifikation von anderen Gedanken zum Ausdruck bringen. Die Ungereimtheiten, Absurditäten und Irrtümer des Trauminhaltes, denen zufolge der Traum kaum als Produkt psychischer Leistung anerkannt wird, entstehen auf dieselbe Weise, freilich mit freierer Benützung der vorhandenen Mittel, wie die gemeinen Fehler unseres Alltagslebens; hier wie dort löst sich der Anschein inkorrekter Funktion durch die eigentümliche Interferenz zweier oder mehrerer korrekter Leistungen. Aus diesem Zusammentreffen ist ein wichtiger Schluss zu ziehen: Die eigentümliche Arbeitsweise, deren auffälligste Leistung wir im Trauminhalt erkennen, darf nicht auf den Schlafzustand des Seelenlebens zurückgeführt werden, wenn wir in den Fehlhandlungen so reichliche Zeugnisse für ihre Wirksamkeit während des wachen Lebens besitzen. Derselbe Zusammenhang verbietet uns auch, tiefgreifenden Zerfall der Seelentätigkeit, krankhafte Zustände der Funktion als die Bedingung dieser uns abnorm und fremdartig erscheinenden psychischen Vorgänge anzusehen.Vgl. hierzu ›Traumdeutung‹ p. 362.
Die richtige Beurteilung der sonderbaren psychischen Arbeit, welche die Fehlhandlungen wie die Traumbilder entstehen lässt, wird uns erst ermöglicht, wenn wir erfahren haben, dass die psychoneurotischen Symptome, speziell die psychischen Bildungen der Hysterie und der Zwangsneurose, in ihrem Mechanismus alle wesentlichen Züge dieser Arbeitsweise wiederholen. An dieser Stelle schlösse sich also die Fortsetzung unserer Untersuchungen an. Für uns hat es aber noch ein besonderes Interesse, die Fehl-, Zufalls- und Symptomhandlungen in dem Lichte dieser letzten Analogie zu betrachten. Wenn wir sie den Leistungen der Psychoneurosen, den neurotischen Symptomen, gleichstellen, gewinnen zwei oft wiederkehrende Behauptungen, dass die Grenze zwischen nervöser Norm und Abnormität eine fliessende, und dass wir alle ein wenig nervös seien, Sinn und Unterlage. Man kann sich vor aller ärztlicher Erfahrung verschiedene Typen von solcher bloss angedeuteten Nervosität – von formes frustes der Neurosen – konstruieren: Fälle, in denen nur wenige Symptome, oder diese selten oder nicht heftig auftreten, die Abschwächung also in die Zahl, in die Intensität, in die zeitliche Ausbreitung der krankhaften Erscheinungen verlegen; vielleicht würde man aber gerade den Typus nicht erraten, welcher als der häufigste den Übergang zwischen Gesundheit und Krankheit zu vermitteln scheint. Der uns vorliegende Typus, dessen Krankheitsäusserungen die Fehl- und Symptomhandlungen sind, zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass die Symptome in die mindest wichtigen psychischen Leistungen verlegt sind, während alles, was höheren psychischen Wert beanspruchen kann, frei von Störung vor sich geht. Die gegenteilige Unterbringung der Symptome, ihr Hervortreten an den wichtigsten individuellen und sozialen Leistungen, so dass sie Nahrungsaufnahme und Sexualverkehr, Berufsarbeit und Geselligkeit zu stören vermögen, kommt den schweren Fällen von Neurose zu und charakterisiert diese besser als etwa die Mannigfaltigkeit oder die Lebhaftigkeit der Krankheitsäusserungen.
Der gemeinsame Charakter aber der leichtesten wie der schwersten Fälle, an dem auch die Fehl- und Zufallshandlungen Anteil haben, liegt in der Rückführbarkeit der Phänomene auf unvollkommen unterdrücktes psychisches Material, das vom Bewusstsein abgedrängt, doch nicht jeder Fähigkeit, sich zu äussern, beraubt worden ist.