Sigmund Freud
Die Frage der Laienanalyse
Sigmund Freud

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342 Nachwort zur ›Frage der Laienanalyse‹

(1927)

Der unmittelbare Anlaß zur Abfassung meiner kleinen Schrift, an welche die hier vorstehenden Diskussionen anknüpfen, war die Anklage unseres nichtärztlichen Kollegen Dr. Th. Reik wegen Kurpfuscherei bei der Wiener Behörde. Es dürfte allgemein bekanntgeworden sein, daß diese Klage fallengelassen wurde, nachdem alle Vorerhebungen durchgeführt und verschiedene Gutachten eingeholt worden waren. Ich glaube nicht, daß dies ein Erfolg meines Buches war; der Fall lag wohl zu ungünstig für die Klageführung, und die Person, die sich als geschädigt beschwert hatte, erwies sich als wenig vertrauenswürdig. Die Einstellung des Verfahrens gegen Dr. Reik hat wahrscheinlich nicht die Bedeutung einer prinzipiellen Entscheidung des Wiener Gerichts in der Frage der Laienanalyse. Als ich die Figur des »unparteiischen« Partners in meiner Tendenzschrift schuf, schwebte mir die Person eines unserer hohen Funktionäre vor, eines Mannes von wohlwollender Gesinnung und nicht gewöhnlicher Integrität, mit dem ich selbst ein Gespräch über die Causa Reik geführt und dem ich dann, wie er gewünscht, ein privates Gutachten darüber überreicht hatte. Ich wußte, daß es mir nicht gelungen war, ihn zu meiner Ansicht zu bekehren, und darum ließ ich auch meinen Dialog mit dem Unparteiischen nicht in eine Einigung ausgehen.

Ich habe auch nicht erwartet, daß es mir gelingen werde, eine einheitliche Stellungnahme zum Problem der Laienanalyse bei den Analytikern selbst herbeizuführen. Wer in dieser Sammlung die Äußerung der Ungarischen Gesellschaft mit der der New Yorker Gruppe zusammenhält, wird vielleicht annehmen, meine Schrift habe gar nichts ausgerichtet, jedermann halte den Standpunkt fest, den er auch vorher vertreten. Allein auch dies glaube ich nicht. Ich meine, viele Kollegen werden ihre extreme Parteinahme ermäßigt haben, die meisten haben meine Auffassung angenommen, daß das Problem der Laienanalyse nicht nach hergebrachten Gepflogenheiten entschieden werden darf, sondern einer 343 neuartigen Situation entspringt und darum eine neue Urteilsfällung fordert.

Auch die Wendung, die ich der ganzen Frage gegeben, scheint Beifall gefunden zu haben. Ich hatte ja den Satz in den Vordergrund gerückt, es käme nicht darauf an, ob der Analytiker ein ärztliches Diplom besitzt, sondern ob er die besondere Ausbildung erworben hat, deren es zur Ausübung der Analyse bedarf. Daran konnte die Frage anknüpfen, über die die Kollegen so eifrig diskutiert haben, welche die für den Analytiker geeignetste Ausbildung sei. Ich meinte und vertrete es auch jetzt, es sei nicht die, welche die Universität dem künftigen Arzt vorschreibt. Die sogenannte ärztliche Ausbildung erscheint mir als ein beschwerlicher Umweg zum analytischen Beruf, sie gibt dem Analytiker zwar vieles, was ihm unentbehrlich ist, lädt ihm aber außerdem zuviel auf, was er nie verwerten kann, und bringt die Gefahr mit sich, daß sein Interesse wie seine Denkweise von der Erfassung der psychischen Phänomene abgelenkt wird. Der Unterrichtsplan für den Analytiker ist erst zu schaffen, er muß geisteswissenschaftlichen Stoff, psychologischen, kulturhistorischen, soziologischen ebenso umfassen wie anatomischen, biologischen und entwicklungsgeschichtlichen. Es gibt dabei soviel zu lehren, daß man gerechtfertigt ist, aus dem Unterricht wegzulassen, was keine direkte Beziehung zur analytischen Tätigkeit hat und nur indirekt wie jedes andere Studium zur Schulung des Intellekts und der sinnlichen Beobachtung beitragen kann. Es ist bequem, gegen diesen Vorschlag einzuwenden, solche analytische Hochschulen gebe es nicht, das sei eine Idealforderung. Jawohl, ein Ideal, aber eines, das realisiert werden kann und realisiert werden muß. Unsere Lehrinstitute sind bei all ihrer jugendlichen Unzulänglichkeit doch bereits der Beginn einer solchen Realisierung.

Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß ich im vorstehenden etwas wie selbstverständlich vorausgesetzt habe, was in den Diskussionen noch heftig umstritten wird. Nämlich, daß die Psychoanalyse kein Spezialfach der Medizin ist. Ich sehe nicht, wie man sich sträuben kann, das zu erkennen. Die Psychoanalyse ist ein Stück Psychologie, auch nicht medizinische Psychologie im alten Sinne oder Psychologie der krankhaften Vorgänge, sondern Psychologie schlechtweg, gewiß nicht das Ganze der Psychologie, sondern ihr Unterbau, vielleicht überhaupt ihr Fundament. Man lasse sich durch die Möglichkeit ihrer Anwendung zu medizinischen Zwecken nicht irreführen, auch die Elektrizität und die Röntgenstrahlen haben Verwendung in der Medizin gefunden, aber die 344 Wissenschaft von beiden ist doch die Physik. Auch historische Argumente können an dieser Zugehörigkeit nichts ändern. Die ganze Lehre von der Elektrizität hat ihren Ausgang von einer Beobachtung am Nervmuskelpräparat genommen, darum fällt es heute doch niemand ein zu behaupten, sie sei ein Stück der Physiologie. Für die Psychoanalyse bringt man vor, sie sei doch von einem Arzt erfunden worden bei seinen Bemühungen, Kranken zu helfen. Aber das ist für ihre Beurteilung offenbar gleichgiltig. Auch ist dies historische Argument recht gefährlich. In seiner Fortsetzung könnte man daran erinnern, wie unfreundlich, ja, wie gehässig abweisend sich die Ärzteschaft von Anfang an gegen die Analyse benommen hat; daraus würde folgern, daß sie auch heute kein Anrecht auf die Analyse hat. Und wirklich – obwohl ich eine solche Folgerung zurückweise –, ich bin noch heute mißtrauisch, ob die Werbung der Ärzte um die Psychoanalyse vom Standpunkt der Libidotheorie auf die erste oder die zweite der Abrahamschen Unterstufen zurückzuführen ist, ob es sich dabei um eine Besitzergreifung mit der Absicht der Zerstörung oder der Erhaltung des Objekts handelt.

Um beim historischen Argument noch einen Augenblick zu verweilen: Da es sich um meine Person handelt, kann ich dem, der sich dafür interessiert, einigen Einblick in meine eigenen Motive geben. Nach 41jähriger ärztlicher Tätigkeit sagt mir meine Selbsterkenntnis, ich sei eigentlich kein richtiger Arzt gewesen. Ich bin Arzt geworden durch eine mir aufgedrängte Ablenkung meiner ursprünglichen Absicht, und mein Lebenstriumph liegt darin, daß ich nach großem Umweg die anfängliche Richtung wiedergefunden habe. Aus frühen Jahren ist mir nichts von einem Bedürfnis, leidenden Menschen zu helfen, bekannt, meine sadistische Veranlagung war nicht sehr groß, so brauchte sich dieser ihrer Abkömmlinge nicht zu entwickeln. Ich habe auch niemals »Doktor« gespielt, meine infantile Neugierde ging offenbar andere Wege. In den Jugendjahren wurde das Bedürfnis, etwas von den Rätseln dieser Welt zu verstehen und vielleicht selbst etwas zu ihrer Lösung beizutragen, übermächtig. Die Inskription an der medizinischen Fakultät schien der beste Weg dazu, aber dann versuchte ich's – erfolglos – mit der Zoologie und der Chemie, bis ich unter dem Einfluß v. Brückes, der größten Autorität, die je auf mich gewirkt hat, an der Physiologie haftenblieb, die sich damals freilich zu sehr auf Histologie 345 einschränkte. Ich hatte dann bereits alle medizinischen Prüfungen abgelegt, ohne mich für etwas Ärztliches zu interessieren, bis ein Mahnwort des verehrten Lehrers mir sagte, daß ich in meiner armseligen materiellen Situation eine theoretische Laufbahn vermeiden müßte. So kam ich von der Histologie des Nervensystems zur Neuropathologie und auf Grund neuer Anregungen zur Bemühung um die Neurosen. Ich meine aber, mein Mangel an der richtigen ärztlichen Disposition hat meinen Patienten nicht sehr geschadet. Denn der Kranke hat nicht viel davon, wenn das therapeutische Interesse beim Arzt affektiv überbetont ist. Für ihn ist es am besten, wenn der Arzt kühl und möglichst korrekt arbeitet.

Der vorstehende Bericht hat gewiß wenig zur Klärung des Problems der Laienanalyse beigetragen. Er sollte bloß meine persönliche Legitimation bekräftigen, wenn gerade ich für den Eigenwert der Psychoanalyse und ihre Unabhängigkeit von ihrer medizinischen Anwendung eintrete. Man wird mir aber hier entgegenhalten, ob die Psychoanalyse als Wissenschaft ein Teilgebiet der Medizin oder der Psychologie ist, sei eine Doktorfrage, praktisch ganz uninteressant. Was in Rede stehe, sei etwas anderes, eben die Verwendung der Analyse zur Behandlung von Kranken, und insofern sie dies beanspruche, müsse sie sich's gefallen lassen, als Spezialfach in die Medizin aufgenommen zu werden, wie z. B. die Röntgenologie, und sich den für alle therapeutischen Methoden geltenden Vorschriften unterwerfen. Ich anerkenne das, gestehe es zu, ich will nur verhütet wissen, daß die Therapie die Wissenschaft erschlägt. Leider reichen alle Vergleiche nur ein Stück weit, es kommt dann ein Punkt, von dem an die beiden Verglichenen auseinandergehen. Der Fall der Analyse liegt anders als der der Röntgenologie; die Physiker brauchen den kranken Menschen nicht, um die Gesetze der Röntgenstrahlen zu studieren. Die Analyse aber hat kein anderes Material als die seelischen Vorgänge des Menschen, kann nur am Menschen studiert werden; infolge besonderer, leicht begreiflicher Verhältnisse ist der neurotische Mensch weit lehrreicheres und zugänglicheres Material als der Normale, und wenn man einem, der die Analyse erlernen und anwenden will, dies Material entzieht, hat man ihn um die gute Hälfte seiner Bildungsmöglichkeiten verkürzt. Es liegt mir natürlich ferne zu fordern, daß das Interesse des neurotisch Kranken dem des Unterrichts und der wissenschaftlichen Forschung zum Opfer gebracht werde. Meine kleine Schrift zur Frage der Laienanalyse bemüht sich eben zu zeigen, daß unter Beobachtung gewisser Kautelen beiderlei 346 Interessen sehr wohl in Einklang gebracht werden können und daß eine solche Lösung nicht zuletzt auch dem richtig verstandenen ärztlichen Interesse dient.

Diese Kautelen habe ich alle selbst angeführt; ich darf sagen, die Diskussion hat hier nichts Neues hinzugefügt; ich möchte noch aufmerksam machen, sie hat oft die Akzente in einer Weise verteilt, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Es ist alles richtig, was über die Schwierigkeit der Differentialdiagnose, die Unsicherheit in der Beurteilung körperlicher Symptome in vielen Fällen gesagt wurde, was also ärztliches Wissen oder ärztliche Einmengung notwendig macht, aber die Anzahl der Fälle, in denen solche Zweifel überhaupt nicht auftauchen, der Arzt nicht gebraucht wird, ist doch noch ungleich größer. Diese Fälle mögen wissenschaftlich recht uninteressant sein, im Leben spielen sie eine genug wichtige Rolle, um die Tätigkeit des Laienanalytikers, der ihnen vollauf gewachsen ist, zu rechtfertigen. Ich habe vor einiger Zeit einen Kollegen analysiert, der eine besonders scharfe Ablehnung dagegen entwickelte, daß jemand sich eine ärztliche Tätigkeit gestatte, der nicht selbst Arzt ist. Ich konnte ihm sagen: »Wir arbeiten jetzt länger als drei Monate. An welcher Stelle unserer Analyse war ich veranlaßt, mein ärztliches Wissen in Anspruch zu nehmen?« Er gestand zu, daß sich kein Anlaß dafür gefunden hatte.

Auch das Argument, daß der Laienanalytiker, weil er bereit sein muß, den Arzt zu konsultieren, beim Kranken keine Autorität erwerben und kein höheres Ansehen als das eines Heilgehilfen, Masseurs u. dgl. erreichen kann, schätze ich nicht hoch ein. Die Analogie dürfte wiederum nicht zutreffen, abgesehen davon, daß der Kranke die Autorität nach seiner Gefühlsübertragung zu verleihen pflegt und daß der Besitz eines ärztlichen Diploms ihm lange nicht so imponiert, wie der Arzt glaubt. Der berufsmäßige Laienanalytiker wird es nicht schwer haben, sich das Ansehen zu verschaffen, das ihm als einem weltlichen Seelsorger gebührt. Mit der Formel »Weltliche Seelsorge« könnte man überhaupt die Funktion beschreiben, die der Analytiker, sei er nun Arzt oder Laie, dem Publikum gegenüber zu erfüllen hat. Unsere Freunde unter den protestantischen und neuerlich auch katholischen Geistlichen befreien oft ihre Pfarrkinder von ihren Lebenshemmungen, indem sie ihre Gläubigkeit herstellen, nachdem sie ihnen ein Stück analytischer Aufklärung über ihre Konflikte geboten haben. Unsere Gegner, die Adlerschen 347 Individualpsychologen, erstreben dieselbe Änderung bei den haltlos und untüchtig Gewordenen, indem sie ihr Interesse für soziale Gemeinschaft wecken, nachdem sie ihnen einen einzigen Winkel ihres Seelenlebens beleuchtet und ihnen gezeigt haben, welchen Anteil ihre egoistischen und mißtrauischen Regungen an ihrem Kranksein haben. Beide Verfahren, die ihre Kraft der Anlehnung an die Analyse verdanken, haben ihren Platz in der Psychotherapie. Wir Analytiker setzen uns eine möglichst vollständige und tiefreichende Analyse des Patienten zum Ziel, wir wollen ihn nicht durch die Aufnahme in die katholische, protestantische oder sozialistische Gemeinschaft entlasten, sondern ihn aus seinem eigenen Inneren bereichern, indem wir seinem Ich die Energien zuführen, die durch Verdrängung unzugänglich in seinem Unbewußten gebunden sind, und jene anderen, die das Ich in unfruchtbarer Weise zur Aufrechterhaltung der Verdrängungen verschwenden muß. Was wir so treiben, ist Seelsorge im besten Sinne. Ob wir uns damit ein zu hohes Ziel gesteckt haben? Ob auch nur die Mehrzahl unserer Patienten der Mühe wert ist, die wir für diese Arbeit verbrauchen? Ob es nicht ökonomischer ist, das Defekte von außen zu stützen, als von innen zu reformieren? Ich kann es nicht sagen, aber etwas anderes weiß ich. In der Psychoanalyse bestand von Anfang ein Junktim zwischen Heilen und Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man konnte nicht behandeln, ohne etwas Neues zu erfahren, man gewann keine Aufklärung, ohne ihre wohltätige Wirkung zu erleben. Unser analytisches Verfahren ist das einzige, bei dem dies kostbare Zusammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir analytische Seelsorge treiben, vertiefen wir unsere eben aufdämmernde Einsicht in das menschliche Seelenleben. Diese Aussicht auf wissenschaftlichen Gewinn war der vornehmste, erfreulichste Zug der analytischen Arbeit; dürfen wir sie irgendwelchen praktischen Erwägungen zum Opfer bringen?

Einige Äußerungen in dieser Diskussion erwecken in mir den Verdacht, als wäre meine Schrift zur Laienfrage doch in einem Punkte mißverstanden worden. Die Ärzte werden gegen mich in Schutz genommen, wie wenn ich sie allgemein als untauglich für die Ausübung der Analyse erklärt und die Parole ausgegeben hätte, ärztlicher Zuzug sei fernzuhalten. Nun, das liegt nicht in meiner Absicht. Der Anschein entstand wahrscheinlich daraus, daß ich in meiner polemisch angelegten Darstellung die unausgebildeten ärztlichen Analytiker für noch gefährlicher erklären mußte als die Laien. Meine wirkliche Meinung in dieser Frage könnte ich klarmachen, indem ich einen Zynismus kopiere, der 348 einst im Simplicissimus über die Frauen vorgebracht wurde. Dort beklagte sich einer der Partner über die Schwächen und Schwierigkeiten des schöneren Geschlechts, worauf der andere bemerkte: »Die Frau ist aber doch das Beste, was wir in der Art haben.« Ich gestehe es zu, solange die Schulen nicht bestehen, die wir uns für die Heranbildung von Analytikern wünschen, sind die ärztlich vorgebildeten Personen das beste Material für den künftigen Analytiker. Nur darf man fordern, daß sie ihre Vorbildung nicht an Stelle der Ausbildung setzen, daß sie die Einseitigkeit überwinden, die durch den Unterricht an der medizinischen Schule begünstigt wird, und daß sie der Versuchung widerstehen, mit der Endokrinologie und dem autonomen Nervensystem zu liebäugeln, wo es darauf ankommt, psychologische Tatsachen durch psychologische Hilfsvorstellungen zu erfassen. Ebenso teile ich die Erwartung, daß alle die Probleme, die sich auf die Zusammenhänge zwischen psychischen Phänomenen und ihren organischen, anatomischen und chemischen Grundlagen beziehen, nur von Personen, die beides studiert haben, also von ärztlichen Analytikern, in Angriff genommen werden können. Doch sollte man nicht vergessen, daß dies nicht alles an der Psychoanalyse ist und daß wir für deren andere Seite die Mitarbeit von Personen, die in den Geisteswissenschaften vorgebildet sind, nie entbehren können. Aus praktischen Gründen haben wir, auch für unsere Publikationen, die Gewohnheit angenommen, eine ärztliche Analyse von den Anwendungen der Analyse zu scheiden. Das ist nicht korrekt. In Wirklichkeit verläuft die Scheidungsgrenze zwischen der wissenschaftlichen Psychoanalyse und ihren Anwendungen auf medizinischem und nichtmedizinischem Gebiet.

Die schroffste Ablehnung der Laienanalyse wird in diesen Diskussionen von unseren amerikanischen Kollegen vertreten. Ich halte es nicht für überflüssig, ihnen durch einige Bemerkungen zu erwidern. Es ist kaum ein Mißbrauch der Analyse zu polemischen Zwecken, wenn ich die Meinung ausdrücke, daß ihr Widerstand sich ausschließlich auf praktische Momente zurückführt. Sie sehen in ihrem Lande, daß die Laienanalytiker viel Unfug und Mißbrauch mit der Analyse treiben und infolgedessen die Patienten wie den Ruf der Analyse schädigen. Es ist dann begreiflich, daß sie in ihrer Empörung weit von diesen gewissenlosen Schädlingen abrücken und die Laien von jedem Anteil an der Analyse ausschließen wollen. Aber dieser Sachverhalt reicht bereits aus, um die Bedeutung ihrer Stellungnahme herabzudrücken. Denn die Frage der Laienanalyse darf nicht allein nach praktischen Erwägungen 349 entschieden werden, und die lokalen Verhältnisse Amerikas können für uns nicht allein maßgebend sein.

Die wesentlich von praktischen Motiven geleitete Resolution unserer amerikanischen Kollegen gegen die Laienanalytiker erscheint mir unpraktisch, denn sie kann nicht eines der Momente verändern, welche die Sachlage beherrschen. Sie hat etwa den Wert eines Versuches zur Verdrängung. Wenn man die Laienanalytiker in ihrer Tätigkeit nicht behindern kann, im Kampf gegen sie nicht vom Publikum unterstützt wird, wäre es dann nicht zweckmäßiger, der Tatsache ihrer Existenz Rechnung zu tragen, indem man ihnen Gelegenheiten zur Ausbildung bietet, Einfluß auf sie gewinnt und ihnen die Möglichkeit der Approbation durch den Ärztestand und der Heranziehung zur Mitarbeiterschaft als Ansporn vorhält, so daß sie ein Interesse daran finden, ihr sittliches und intellektuelles Niveau zu erhöhen?

Wien, im Juni 1927.


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