Ilse Frapan
Zu Wasser und zu Lande
Ilse Frapan

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Hab' ich Recht oder nicht?

Erzählung.

Nee, wissen Sie, das is nix! Gewiß, ich sag das ja selbst, daß einen da manchesmal das Herz bei bluten thut, und wir wissen da woll alle 'n Lied von zu singen, alle nach die Bank hier in Blanknes', denn in unsen Stand is das je oftmals, un das Wasser hat keine Balken. Aber ich sag denn man ümmer: ›wir stehen alle in Gottes Hand,‹ un ich find', das is nich in Ordnung un sogar höchst unrecht, denn schließlicherweise wird man je mit bange, denn das sticht an, un wo kämen wir da woll hin, – je, is es nich wahr? Aber das gibt Leute, die is das Leben noch nich sauer genug, die gehn bei un machen sich das selbst sauer. Nee, kucken Sie, wenn die Mannsleute nu selbst das Bebern kriegten, un wenn sie an Bord gehn, dächten sie an nichts wie schlecht Wetter un Auflaufen un Cyklopen un wat weet ick all', – 96 na, dat kunn good warrn! Ach, du lieber Gott, da is so all genug bei vermacht, – denn könnten sie ja die großen Dampfer man gleich zu Kaffeeholz hacken, bloß daß sie nu meist garnich mehr von Holz gebaut werden, sondern von Eisen, – un daß wir denn auch keinen Kaffee mehr haben thäten, denn die Kaffeebohnen, die könnten je denn auf die Bäume verfaulen. Un was die großen Rheders sind, die könnten all' zumachen, un was mein Sohn is, der könnte denn auch einpacken, denn was thäten wir mit all die Lotsen, je, is nich wahr? Mein Sohn is Patentlotse. Meinen Sie, daß das kein Geld gekost' hat? Un nu muß er noch 'n Examen machen, un das is garnich so leicht, sagt er. Aber wenn einer man den Kopf dazu hat, denn hilft sich das woll. Un er hat den Kopf dazu, – nee, das is nu nich, weil das mein Sohn is, aber wissen Sie, es is in unsere Familie. Gott je, wir können da je auch nichts vor, nich? wir sind nu so geboren. Man kann sich das je nich geben, sag' ich ümmer, aber so is meine Tochter auch; sie is all auf der Insel Wight gewesen, da soll das wunderbar schön sein. Je, da hat sie sich selbst die Freimacht zu genommen. Ich weiß garnich, was ich zu hören krieg! »Deern,« sag ich, 97 »Willemine, du hast das hier so gut un willst mir verlassen?« Aber sie hatte da nu mal Lust zu un wollte was von die Welt sehen. Un 'n sehr nette Madam kriegte sie auch, un wissen Sie, das is je nu ümmer schön, un was hat sie nich all schenk' gekriegt. Beinah zwei Jahr is sie weg gewesen, un wie sie wiederkam, sagt mein Mann zu ihr: »Deern, was bist du breit geworden,« un das war sie auch un is sie auch, un das muß ich Ihnen nu auch man gradeaus sagen: was die gansen Feinen sind, da is keine Freude bei, je, mit achzehn will ich nich sagen, aber, wenn die mal vierzig Jahre alt sind, denn sünd sie so geel und knubberig, denn müssen sie einem noch 'n Thaler zugeben, sonst mag man sie nich angucken! Wie alt tazieren Sie mir nu woll, daß ich bin? Zweiundvierzig? Hoho! dat hebbt wie hatt! nee, min beste Mann, tweeunfoftig möten Se seggen, bedenken Sie bloß, mein Willemine is je all sechsunzwanzig, un mit fünfunzwanzig hab' ich mir verheirath'! Nee, die Deern das is 'n fixe Deern, so 'n paar rothe Backen; das lacht un lebt allens an ihr. Sie kommt mich ganz nach, sagt mein 98 Mann, un darum konnte mir das je nu auch erst ärgern, als das anders kamen that. Denn sehn Sie, wenn man doch so Nachbar'n is, denn kommt das je ganz natürlich, daß die Gören zusammen jachtern, un passen that es auch soweit, weil sein Vater, was der alte Peter Schierholdt is, zu ganz dieselbe Steuerklasse angesetzt war, wie mein Mann. Un das is doch nu ümmer schön, denn von die Liebe kann man nich leben, un wie konnte mir nu woll so was in 'n Kopf kommen, daß dieser Jung, dieser Gorg Schierholdt andre Absichten hatte – un denn nu Hede Rehr, oben von 'n Süllberg, die Wochenwärterin Rehrsch ihre Tochter! Mit vier Jahr war sie all mal halb weg in die Krämpfen un mit zwölf konnt sie noch knapp übern Tisch kucken! Aber so sünd die Mannsleute, man weiß nie, was sie in 'n Kieker haben. Un ich weiß das noch recht gut, da war sie so 'n sechs sieben Jahr, da komm ich mal auf 'n Nachmittag nach den Süllberg rauf, – die Wirthschaft war da noch nich, bloß so 'n kleine Kathen, wissen Sie, un denn allens Tannen und Heidekraut, un der Sand, der ging einem oben in die Toffeln rein. Da komm 99 ich bei Rehrsch ihre Wohnung vorbei, – sie hatt 'n kleine Stube in eine von die Kathen – un sah auf die Schwelle so 'n jämmerliche kleine Deern sitzen, das Haar so zottelig un die Backen wie Käse un Karmelk, un so 'n magere kleine Schultern, bloß 'n Handvoll.

»Kleine Deern,« sag ich, »was hältst du dich denn die Augen zu? hast du kein Strickzeug in die Hand zu nehmen?« Da nimmt sie die Finger von das Gesicht un kuckt mir so groß an, – mich lief das ganz kalt übern Puckel, so 'n paar Augen hatte die Deern! Rehrsch kam aus die Thür un sagte, ihre Hede könnt nich strichen, sie würde denn so hiddelig. »Lassen Sie ihr mal jeden Nachmittag zehn Nath strichen, denn gibt sich das,« sagte ich. Aber da meinte Rehrsch, die kleine Deern wär' zu ungesund. »Herrjes, was fehlt ihr denn?« fragte ich. Je so und so und sie könnte was sehn, un das wäre man das Unglück. »Je, was sollt sie nich sehen können, sie hat je zwei Augen?« sag ich. Nee, sie thät mehr sehn, als anner Leute Kinner, un Rehrsch möchte das garnich sagen, aber seit einige Zeit käm' da ümmer en Sarg vorbei, un da wär Schuster Propper in. Nu denken Sie 100 sich mal so 'n Dummheit, mein beste Mann. »Das' aber 'n büschen zu bunt,« sag ich un zeig Rehrsch meine Schuh, denn ich kam eben in Augenblick von Schuster Propper raus, un er hatte mir grade vorgeschuht un 'n paar neue Achterflicken gemacht, denn mit uns' Pflaster hier in Blankenes', da können wir kein' Staat machen; je, is nich wahr? Da sagt Rehrsch, sie könnte da auch nichts für, daß ihre Kleine so ungesund wär, aber sie glaubte da doch an, un Schuster Propper käm ihr man kühm vor, un wenn das man nich was zu bedeuten hätte. »Komm, kleine Deern, woll'n mal in seine Werkstelle gehn, er ißt grade Hering un Zwiebeln,« sag ich un faß das Gör an'n Arm. Da fängt sie 'n Geheul an un schreit »nee! nee!« un fliegt an Hände un Füße. Ich wurd ganz doll. »Neien Sie ihr mal durch, daß Sie doch weiß, warum sie schreit,« sagt ich. Je, sehn Sie, mein bester Herr, wenn einer verrückt wird, dann kriegt er das zuerst in 'n Kopf, sag ich ümmer, un wenn man das zu rechter Zeit ausprügelt, denn verwächst sich das wieder. Aber da wollt ja nu Rehrsch nichts von wissen. Sie that ihr noch übereien un begöschen, un das 101 Gör hatte sich unter ihren Platen verkrochen und brüllte in einen los. »Wenn das meine wär', denn kriegt sie 'n Eimer kalt Wasser übern Kopf,« sagt ich. Un das soll wirklich gut sein. Un Rehrsch wurde da noch ganz eklig über. Aber was glauben Sie woll? Nach knapp fünf Wochen kommt Schuster Propper seine Frau un hat ganse dicke Augen, un so un so, un sie wollte das Geschäft fortsetzen, – da war er todt. »Nu segg ick aber nix, wenn ick dodt bün!« sag ick zu sie, denn ich dachte je natürlich gleich an dem Gör, un mich kroch das orrendlich kalt den Puckel längs.

»Ick will den Dübel dohn! ick gah gor nich mehr rop an 'n Süllbarg, ich kann je man Schuster Lehmann hier dichten bei nehmen, das is auch soweit 'n gansen orrendlichen Mann.« Nee, können Sie mich das groß verdenken? Das alte dumme Gör hätt' mir ja auch in das Sarg reinkucken können, un nachher wär das auch wahr geworden. »Keine zehn Pferde!« sagt ich zu Proppersch. Denn jeder is sich selbst der Nächste, is nich wahr? Un mit Wittwen ihr Geschäft fortsetzen kommt selten was nach. Ich dacht mich das gleich, daß das mit Proppersch nichts würde, denn sehn Sie, 102 zweihunnert Mark Miethe, das is zu viel für 'ne Wittfrau auf zu sitzen, die muß höchstens auf hunnert, oder sagen wir auf hundert zwanzig auf sitzen, denn sehn Sie, sie thät das je nich selbst, sie kann je nich beigehn un schustern, sie muß je 'n Gesell halten. Haben Sie ihr nich gesehn? Unten an 'n Ewer is sie, da kommen Kantoffeln, auch Kohlen mal mit; achhott ja, sauer is das je man, un gestern saß sie auf meine Treppe mit ihren Kantoffelsack. »Beten utruhn?« sag ich zu sie. »Nee, es wäre bloß, sie hätte mit Erlaubniß zu sagen 'n Schweinsbeule auf'n Puckel, un da drückte ihr nu der alte Kantoffelsack immer auf,« meinte sie. Sehen Sie, mein beste Mann, sie soll das doch man all gutmachen; ihren ältesten Jung, was der is, der is all sieben Jahr weg, un ihre eine Tochter, die is bei das vierte todtgeblieben, un wenn sie den Schwiegersohn nich das Geld mit Gewalt abnimmt, denn kriegt sie keinen Schilling zu sehn, denn das is so'n leichten, so'n finen Swienegel, weeten Se woll, de bruukt dat grootnödig ut 'n Hus. Ach, du leewer Gott, mit de Mannslüd' is ook nich veel los. Een is 'n Püttenkieker, un de anner is 'n Suput, aber dat is all egal, good 103 oder nich good, in de Welt dar heet dat immer: »Mannshand hört baben,« da is nix bi to maken. Un nu könt Se sick denken, wat ick seggen däh, as min Dochter da nu mit to Hus käm. »Gorg Schierholdt un Hede Rehr? ick schree mi dodt,« segg ick, nu das können Sie mich woll zu glauben, mein beste Mann, denn ich hätte das gern gesehn un mein' Willemine auch; die Deern, die hatte so 'n Kopf, als sie rein kam. Je, kann einen das nicht ärgern? Er war je noch den Tag vorher bei uns ans Heck gewesen un hatt' so recht von Herzen gelacht mit sein' Kalkstummel zwischen die Zähne. »Willemine, sag ich, Deern, es kann jewoll nich angehn; was is Rehrsch? un was hat Rehrsch? Sie geht je noch immer aus Wochenwarten un was die alt aasige Deern, die Hede is – –« Nee, sagte Willemine, aasig wär sie nicht, sie hätt ihr bei den Krämer Mörbach getroffen, un wie sie weggegangen wär, die Grube rauf, da hätten ihr zwei feine Herren ümmerlos nachgekuckt. Ich konnt das garnich glauben. »Denn hat' sie woll schiefe Hacken an ihre Stiefel gehabt, oder 'n schwarze Nase, oder ihr Unterrock hat raus geguckt?« Nee, sie hätt ganz nett ausgesehn in Zeuge, ihr Haar in zwei 104 Zöpfe um 'n Kopf un 'n rosa Kattunkleid an, orrendlich mit zwei ganse kleine Plasséfallen un 'n schwarzen Ledergürtel. Ich konnte mir da über ärgern, denn Gorg Schierholdt is 'n gansen orrendlichen Menschen, un er hat auch all Aussicht, auf die Brigg, wo er Steuermann war, Kaptein zu werden. »Sall ick die wat seggen, Willemine? Du kannst mi duern! Das soll doch mit 'n Deubel zugehen, daß en großes Stück wie du bist, sich das gefallen läßt un läßt Hede Rehr sich überkommen.« Un da gab ein Wort das annere, wissen Sie woll, un da nahm sie sich die Freimacht un ging weg mit 'n Herrschaft nach die Insel Wight, wo es so wunderbar schön sein soll. Nee, segg ick, dat is mi 'n beten to bunt, und wenn mich der Gorg noch mal über der Schwelle kommt, denn soll er mal was beleben. Aber er kam je gornich! Mit kein Auge kriegte ich ihm zu sehen, un wohnt doch dicht an mir. Komisch, nich? Aber das war jewoll orrendlich, als wenn er mich aus 'n Wege gehn that, un als wenn ihn das ahnte, daß er bei mich noch 'n Schinken in Salz hatte.

Bloß einmal auf 'n Abend komm ich da von Mühlenberg her, denn Willemine, wissen Sie woll, 105 die war ja nu in' Bösen weggegangen über all den Aaskram, un wenn ich was von sie wissen wollte, denn mußt ich nach Trina Meier gehn, an der schrieb sie allens un allens, denn das is ihre beste Freundin. Es war all 'n büschen düster un so'n rechtes ekliges Wetter, 'n alten kalten Wind in die Büsche, un ich mach, daß ich zu Haus komm, denn wenn ich nich von Weg zu Steg sehn kann, denn frag ich da nichts nach, rumzulaufen. Un wissen Sie, das is so wie so nich so schön bei die Fabriken; wenn ich all' die alten Riemens un Tauens un wat nich all is, so über mein Kopf susen un brusen hör, achhott achhott nee, denn bück ick mir immer, daß sie mir man nich zu fassen kriegen, un mir in 'n Dutt zusammendrehn, wie sie das mit Schuster Propper sein' einen Jung gethan haben. Aber das is all' Bestimmung, wissen Sie, der Jung, der hatt' je bloß en Messer hingebracht zu'n Schleifen, und wie ihn sein Vater wieder zu sehn kriegt, da is er in ein' Dutt! Hören Sie mal, den Schreck, als ich da grade über zukomm' und der da raus getragen wird in 'n Torfkorb! – Ich sagte es auch gleich zu meine Willemine: »dat vergeet ick noch in veertein Dag nich!« Un wissen 106 Sie, das is auch Schuster Propper so auf die Bost gefallen, un er war so man ümmer 'n büschen schwach auf die Bost.

I, was wollt' ich man noch sagen? Was war das man noch? Je, richtig, von diese Deern, von diese Hede Rehr. Die begegnete mich nämlich da unten bei Mühlenberg, – wissen Sie, wo ansteht: »Frauenbadeplatz.« Die Bäume hängen da so ganz rundum, das is grade wie so'n Haus, und in den Sand, da sünd ümmer so'n Löcher, denn wenn das Fluth is, denn schwemmt das ja über, und in die tiefsten Löcher, da is ümmer 'n büschen Wasser in, und diesen Nachmittag war da allens reingeweht: Heu und Holz und Zweige, das sah da aus, wie in 'ne Räuberhöhle, wie in so'n Stube, wo vierzehn Tage kein Besen angekommen is. Wärst da man erst durch, denk ich noch so recht bei mir und nehm' mein Kleid in der Höhe. Mit eins singt da was, 'n ganse hohe Stimme; herrjes, wo kommt die denn her? Ich kuck mir um, – allens wieder still! Ich geh 'n büschen weiter, – das war je all schummerig, müssen Sie wissen, – da hör ich was lachen. Na, Sie können sich woll all denken! Unter die Brummelbeeren saßen 107 sie, Gorg Schierholdt mit Hede Rehr auf den bloßen Sand un hatten sich da wunder was zu verzählen. Ich kriegte das Fliegen an Hände un Füße! Na, das is 'n nette Masik, denk ich bei mir, willst doch mal sehn, was die fürn Gesicht machen. Aber sie schenirten sich garnich, bloß daß die Hede Rehr 'n rothen Kopf kriegte. Nee, wissen Sie, alles, was in orrendlichen Dingen besteht, aber dies argerte mir doch. »Ick dach all, dat sünd twee ut de Fabrik,« sagte ich un kuckte ihr scharf an. Da nimmt ihr der Jung, der Gorg Schierholdt, noch recht in 'n Arm und sagt: »in veertein Dag hebbt wi Hochtied.« »Veertein Dag is noch lang hin,« segg ick, »dar kann noch Gott weet wat passiren.« Denken Se sick, dar grabbelt de Deern na Gorg Schierholdt sin Hann' un holt sick dar an fast. Mi wull se gornich ankieken. »Wat anstännige Mätens sünd, de gahn nu to Hus; 't ward je all düster,« segg ick. »Wi kamt gliek na,« seggt Gorg Schierholdt un kiekt mi mit fürige Ogen an. »Dat is so schön vun' Abend,« seggt Hedde Rehr un holt sin Hand fast. Un ick stunn dar un beber' an Hann' un Fäuten, so düll gung de Wind, 'n richtigen Soldatenwind, weeten 108 Se woll. »Du sallst man min Dochter sin,« segg ick, nee, weeten Se, ick kunn dat nich helpen. Da kuckt sie mir gans ängstlich an mit ihre großen Augen. »Fang man nich an zu plinsen, Deern,« sag ich, »magst ihm denn leiden?« Da lachte un weinte sie in einen Putt un nickte mit'n Kopf. Warum sie ihm leiden möchte. Warum? Er hätte immer so schöne warme Hände! Nu denken Sie sich mal! Weiter wußt sie nichts, un dabei kuckte ihr der Gorg an, daß mich gans komisch wurde. Achhott, man is je auch mal jung gewesen, nich, mein beste Mann? »Na, verkäult ju man nich,« sag ich un ging ab. Aber was hilft das all, wenn die Leute nich zusammen passen? Diesen großen starken Gorg un denn diese Hede, die der Wind durch alle Knochen pust. En büschen hatte sie woll ausgelegt, ins Gesicht war sie gans rund, un 'n büschen Farbe hatt' sie auch gegen früher. Das war ihre beste Zeit damals. Aber achhott, gegen mein' Willemine war sie un blieb sie 'n Talglicht. Un denn dies Bange, ümmer gleich Wasserziehen, wenn ihr einer schief ankuckte; – »wenn ich Gorg Schierholdt wär, mich würde da nich besser bei, un wenn das man gut geht,« schrieb ich noch 109 denselben Abend an meiner Willemine, denn ich war doch immer die Mutter dazu, un wenn mir die aasige Deern auch so gekommen war, ich könnte sie doch nich böse sein, denn sie hätte mich all zweimal durch Trina Meier was geschickt, einmal 'n paar schöne Blumentöpfe, – hab ich ümmer so gern, wissen Sie, vorn Fenster stehn, Sie auch? un einmal en schwazseidne Schürze ganz mit schwaze Perlen überstickt. Ja, 'n gute alte Deern is das, wissen Sie, nee, da kann man nichs von sagen, ich bin nich so blind gegen meinen Kindern, aber was ich an sie habe, das weiß ich recht gut. Mein Jung ist auch so, lauert mich das ab, was ich woll gern haben will un kommt da denn mit anzusleppen. »Jung,« sag ich, »verklenter dein Geld nich, ich trag das je nich mal,« aber ich will man sagen, man sieht doch den Willen! Un Gorg Schierholdt, gans dasselbige! Uemmer fidel, ümmer kandidel un ümmer mit Zustecken, – denn mal 'n hübschen seidnen Tuch, un denn mal 'ne kleine Kiste mit getrocknete Pfirsich aus die Westkiste, je so was fiel da allens bei vor, – ich bin je seine zweite Mutter, ich hab da je Gevatter zu 110 gestanden. Un nu miteins allens für diese Hede Rehr, na, Sie können sich woll denken, wie mich zu Muthe gewesen is, un meine Willemine auf die Insel Wight. Mich freute das man bloß, daß sie da soviel schenkt kriegte, denn fühlte die arme Deern das doch nich so, – denn sehn Sie, diese Hede Rehr hatte je nu zwei Krallenketten um'n Hals un 'n ganse kleine Krallenbrosch vorstecken, un das konnt man je mit 'n Fuß fühlen: die alte Rehrsch bei ihr Wochenwarten konnt' ihr das nicht spandiren, da steckte bloß der Gorg hinter. Na, sie fehlte das nu auch grade noch, sag ich Ihnen! Mit ihr pebriges Gesicht, – ihre weißlichen Haare, dat Haar seg ümmer ut, as wenn de Müs' dabi west wären! Je, denken Sie mal an, sogar auf ihre Hochzeit! Als wenn das Federn waren, so standen sie ihr um den Kopf. Das regente alles, was von Himmel runter wollte, an den fufzehnten August, – ich weiß das noch, daß den Tag die Hochzeit war, denn an fufzehnten is ümmer mein' Willemine ihren Geburtstag. Hören Sie mal, das hätten Sie sehn sollen! Rehrsch ihre kleine Kathe mit Kränse von Eichenblätter und Gorginen, un denn stehn da zwei so'n große Bäume vor Thür, 111 da waren sogar auch noch Kränse zwischen. Nee, hören Sie mal, das war mich nu doch 'n büschen zu pütcherig! Ich sagte ihn das auch, nee, wissen Sie, ich nehm denn auch kein Blatt vor'n Mund, – was man runterschluckt, das thut einen nich gut. »Gorg,« sag ich, »das' aber 'n büschen pütcherig, das' ja, als wenn hier 'n Klub kommen will, das' ja beinah, wie bei Sagebiel.« »Hab ich all selber angenagelt,« sagt Gorg un will sich todtlachen, »hest min Brut all sehn, Vaddersch?« Indem machen sie grade die Kammerthür auf, un 'ne feine Dame mit 'n weißes seidnes Kleid un 'n Schleppe an, kommt raus. Na, da hörte doch nu würklich alle Gemüthlichkeit auf, is nich wahr? En weißseiden Kleid für Hede Rehr, die Wochenwärterin Rehrsch ihre Tochter! Ich mußte flink 'n Schluck Portwein nehmen, denn mich wurde ganz komisch. Sie sah sich garnich ähnlich, ich mußt ihr immerlos ankucken. »Na wat seggst du to min Brut?« flustert Gorg mich zu un grient, »is se nich fin?« Ick segg: »Kleider machen Leute.« Ja wissen Sie, das mußte er doch haben. »Das sünd bloß lauter große chinesische Taschentücher, weiter nichs,« seggt he, »da hat sie sich das Kleid 112 von gemacht.« »Mich kanns recht sein,« segg ick, »hest Du ehr de Döker mitbrocht?« »Versteiht sick,« seggt he. »Un den Sleuer?« segg ick, »dar kann se gliek de Trepp mit fegen.« »De hew ick ook köfft«, seggt he. Nu wurr ick dull. »Wenn du so'n Deern wullst, de keen Hemd op'n Liew hett, denn harst du ook woll noch 'n smuckere funnen,« segg ick. Dor schüttel he sin Kopp un säd: »Düsse is mi recht.« »Na, Glück damit,« säd ick, »de Kutschwagen steiht jewoll all vor de Dör, ji fahrt woll veerspännig?« Nu kreeg he mi bi de Hand to faten, ick schull em von Hatten Glück wünschen. »Wenn't man wat helpen deiht!« säd ick. Rehrsch, wat de Ollsch wär, de kunn sick gornich helpen, de lachte öber dat ganse Gesicht. Je, lach du man, dach ick, dat kummt manchmal anners in de Welt. Denken Sie sich, so'n Stücker sechs sieben Wagen vor Thür, un denn für so'n Fischerstochter! Rehrsch ihr Bruder, was der Blockmacher Biel is, ging mit 'n Regenschirm über sein' alten hohen Hut an die Kutsche ran un sagte, sie könnten nu abfahren. Ich kuckte aus das Fenster zu. »Sall dat Brutpoar vorut oder achteran?« seggt de Kutscher. Blockmacher Biel kiekt em an mit de Hand achtern 113 Ohr, denn he is 'n beten hatt von Gehör. »Ick weet ook nich, gans as dat Mod is,« seggt he. »Wi fahrt vorut,« röppt Georg Schierholdt, kriegt sin lewe Deern bi de Hand to faten un geiht ut de Dör. Rehrsch mit 'n Schirm löppt ehr na. De bunten Flaggen hungen dal, as wenn hier dree Dutz rode Taschendöker wuschen wörn un drögen schulln. Un mit eins fällt die Braut en gansen roden Tropfen grade auf die Bost von ihr weißes Kleid, das sah aus wie Blut. Sie wurd miteins blaß un kuckte in der Höhe un wischte an den Fleck rum, ich konnt das all' sehn von' Fenster. Mitfahren thät ich nich, nee, wat schall ick mi da 'n Kutsch vor spandeeren! Un der Gorg, über den Jung mußt ich lachen, der nimmt die alte Schleppe un wickelt ihr auf, als wenn das so'n Ankertau is, un denn legt er den gansen Knaul bei die Braut in 'n Wagen. Na, nu ward good, segg ick, in de Kutsch is all wedder 'n Kranz! »Un da is noch een,« säd Madam Meier, de grad bi mi stunn, un wis't op de natten Bütt un Rochen, »de hewt se mang de Flaggen hangen laten, un sitt' all vuller Fleegen.« »Dat is hier allens hulterpulter gahn, baben fix un ünnen nix,« segg 114 ick. »Dat is noch de Vernünftigste,« säd Madam Meier, as nu Blockmacher Biel mit sin Fro un Dochter instegen däh, un sie hatte ganz recht. Greten Biel mit ihr großkorirtes Kleid sah beinah wie mein' Willemine aus. Grünschottisch, wissen Sie woll. »Einfach is ümmer schön,« säd ick, »einfach und praktisch, wir sünd nur für dem Praktischen.« Bei den letzten Wagen gab das noch 'n groß' Halloh, das war nämlich Klaas Mull sein' leeren Steinkohlenwagen, un Klaas Mull – er is so'n kleinen Dicken, wissen Sie – saß da selbst auf un lachte von einen Ohr bis am andern. »Wer will bi mi opstiegen?« schreeg he. »Geihst Du ook to Hochtied, Klaas Mull?« schreegen de Gören. »I wo schull ick nich to Hochtied fahrn, ick hew je de beste Chais'!« säd Klaas Mull. »Bedüd' dat Glück oder Unglück, wenn dat regent?« frog ick Klaas. »Dat is Glück, wenn 't de Brut in den Kranz regent!« säd he. Aber ick harr dar min eegen Gedanken bi, dat könt Se mi to glöben. Ja, haben Sie das vielleicht gehört mit die Kirche? Nee? So, ich dachte man, denn da is ümmer viel über gesprochen worden. Unser Pastor is 'n büschen kurz von Gedanken, wissen Sie, un denn will er 115 doch allens in' Kopf behalten un schreibt sich nichs auf. Also wie der Gorg mit seine eben angetraute Frau aus die Kirche kommt in Nienstädten, was meinen Sie woll, was sie da entgegenkommt? En Leichenzug! Der hat dar all 'n halbe Stunde gelauert, daß der Pastor das Sarg einweihn sollte, denn daß er die Trauung auf derselben Zeit angesetzt hatt', dat harr he rein vergeeten! Min beste Mann, weeten Sie, wat ick segg? He harr dat nich vergeeten, segg ick, dat is all allens so bestimmt west. Wieder segg ick nichs. Dat Sarg vor de Kirchendör, un de Brut witt, as de Kalk an de Wand! Nu weet ick all Bescheed, säd ick, nu könt wi dat aftöben. Un is all' kamen, as mi dat ahnt hett. Wo lang is't nu her? Veer Joahr! Na, un in de veer Joahr is ook noch nich soveel passeert, wat nich Bestimmung west is. Dat wör rein, as wenn mi dat einer seggen däh: de lewt nich lang. Acht Dag' na de Hochtied gung 't all los. Gorg Schierholdt mußte nämlich acht Tage nach die Hochzeit in See. Je, du lieber Gott, dafür is er 'n Seemann. Un nu war er je all Kaptein. Für was is was, mein beste Herr! Wenn wir einmal Seemannsfrauen 116 sind, denn müssen wir uns auch in unserm Schicksal ergeben, is nich wahr? Aber die Hede Rehr, die meinte jewoll, sie könnte mit, oder was nich war, genug, sie wollt sich garnich zugeben. Sie is mit ihn nach Hamburg gefahren un an Bord gegangen un soll da schrecklich an Tag gegeben haben.

Un kucken Sie, das is all nix! Das mögen die Mannsleute all' nich! Wenn der Kaptein an sein Schiff kommt, was hat er da nich all zu kriegen. De will dat, un de will wedder wat anners, un da nu so als jungverheirathe Frau zwischen stehn, – er hat da je die Gedanken nich zu, mein bester Mann. Ich kann sie das auch gor nich verdenken. Das is nich so leicht, wissen Sie woll, un das is verantwortlich. Auf sein Schiff, da is er König. Un so mit die Ladung, daß das all gut weggestaut is, daß das nich im Rollen kommt in See, un was die Passagirers sünd, die mögen auch gern quesen. Nee, so was is bei uns keine Mode, – was die orrendlichen Seemannsfrauen sind, die sagen ihren Mann zu Hause adjüs, un damit hopp un hollah! Adjüs min söte Jung, un kam gesund wedder t'rügg. Je, is dat nu nich 117 gans nett? Dat sünd blot de Dummen un Appeldwatschen, de maken sick un den Mann dat Hatt swar. Gorg Schierholdt mußt wahrraftigen Gott von Bord gehn un sin Hede in 'n Ohnibus setten, de se bet an 'n Altnaer Bahnhoff bringen däh. »Nu swieg man still,« säd ick, as Trina Meier mi dat vertellen däh, »nu kenn ick ehr all von achter un vör, nu hew ick 'nog vun de vertagene Deern.« Is good! De Tied de geiht. Denn un wenn hew ick ehr sehn, mal op de Straat, mal op'n Strand; alle twee Dag is se na Hamborg lopen an 't Kantor, as wenn se nu de einzigste in Blanknes' wär', de 'n Mann opt Water hett. Mi wunnert dat man, dat se ehr dar nich toletzt rut smeeten hewt. Dat ward je öberlästig. Aber so 'n Lüd', de sünd nich uttokennen; se hewt ehr sogar noch Koarten schickt, wenn se vun de Brigg »Abel« wat to hören kreegen. Ick bün je ook alle Monat an 't Kantor gahn, so lang as min Mann noch fahren däh, – hew mi dar de Heuer halt, dat ick wat to eeten harr mit min Kinner, aber dar heet' dat ümmer »gooden Dag un gooden Weg,« un Koarten hewt se mi keen een schreeben! Nee, dat wör orrendlich, as wenn se mi los warrn 118 wulln, wenn ick dar hen käm'. Un wat dat Gesicht angeiht, na, so schier un glatt as Hede Rehr bün ick woll ook noch west, dat könt Se all an min Willemine sehn, wat hett de vor 'n paar Backen, nich? Ach, wissen Sie, ich könnte da ja weiter nich über klagen, und die Mannsleute sünd ümmer achter mich her gewesen, was so die Fischer un Matrosen sünd, mehr als einen, – bloß diese Hede, die wollt ümmer was anders sein, un ihren Nagel der wurde ümmer höher, un die Mannsleute gefiel das, daß sie so snutig un kribbsch wurde, wenn ihr mal einer um der Taille fassen thäte. Mein eigen Jung, was der Patentlootse is, kriegte mal ein' von sie an 'n Hals, denken Sie sich an. »Dat hest Du groot verdeent, wat sökst Di nich 'n betere ut,« segg ick. Dar lach he noch un säd: »ick hew dat ümmer mit Gorg Schierholdt hollen, wat schull ick dat nu nich mit ehr hollen, wenn se nu Gorg Schierholdt sin Fro is.« Je, da konnt ich auch nich viel zu sagen, nich? Mit die Mannsleute is es grade wie mit die Fliegen, wo eine reingefallen is, da fallen noch mehr rein, das is nu mal so. Wenn ich sag, »den Gorg seine Frau, die sieht je aus, as Melk un Karmelk,« 119 glauben Sie, daß mein Jung das leiden wollte? »Se ward alle Dag nüdlicher, un ick wull gern mit Gorg aftuschen,« säd de dumme Jung. Aber das meinte er nich so, wissen Sie woll, er wollt mir bloß 'n büschen pisacken. Is good.

Das wurd Sommer. Rehrsch hatt' das Wochenwarten aufgegeben, Gorg Schierholdt hatte das nach seine Hochzeit nich mehr leiden wollen. Er hat auch 'n büschen 'n Nagel, wissen Sie woll. Das war ihn nu zu wenig, weil er Kaptein von den »Abel« war. Den gansen Dag saß Rehrsch bei ihre Tochter un half ihr auf Gorg Schierholdt töben. Denn in 'n August sollt der »Abel« von Santos kommen, er war je nu übern Jahr weg, un in das alte Santos, da is das je ümmer so mit das gelbe Fieber; ich weiß das man von mein' Schwager, den Steuermann. Das is da nämlich all so 'n faules Wasser in 'n Hafen, un denn schmeißen sie da noch allens rein, vons Land un von die Schiffe, un wenn sie da bloß 'n großen Stein reinschmeisten, sagt mein Schwager, daß das von 'n Grund aufgerögt wird, denn steigt da 'n furchbaren häßlichen G'ruch in der Höhe, un das dauert noch keine fünf Minuten, denn heißt das: 120 gelbes Fieber. Auf 'n Mittag, Ende August war das, kommt mein Jung, was der Patentlootse is, mit 'n ganses langes Gesicht an. »Is dar wat passirt?« segg ick. »Ick weet nich,« seggt he, »de ›Abel‹ is dar nich un kummt dar nich, ick hew Rehrsch drapen, se gung in de Apthek.« »Na wat nu woll Hede seggt,« säd ick so. »Dat is dat je grade man,« säd min Jung, »De Doktor is all dar west.« »Dat wör woll beter, se gung na 'n Rheder, statt na 'n Doktor,« säd ick. »Dat is dat man grade, de Rheder weet ook nichs,« säd he. »Is de ›Abel‹ denn nich richtig vun Santos afgahn?« säd ick. »Afgahn is he woll,« säd he, »aber richtig is't nich, he harr dat gele Fewer an Bord.« »Herrjes!« säd ick, »wat nu woll einmal Hede seggt!« »Se seggt nichs nich, se sitt gans still,« säd he. »Büst du dar west?« säd ick. »Rehrsch säd, ick schull mit ropkamen,« säd he. »Giwt se nich dull an?« säd ick. »Nee, se is gans bedöst,« säd he, »se hett mi jewoll gornich kennt.« »Ach wat,« säd ick, »wir stehn alle in Gottes Hand, Gorg Schierholdt ward woll wedder kamen.« »Dat hew ick ehr ook seggt, dat is, as wenn se gornich hören däh.« Sehn Sie, mein beste Mann, ich konnt das nu nich ausstehen! Wat sünd dat for Kneep von 'n jung verheirathe' Frau, daß sie all gleich dem 121 Hoffnungsanker sinken läßt un denkt, ihr Mann kommt nich wieder. Das könnt ich nu gornich über mein Herz bringen; nee, das muß ich Ihnen man gradeaus sagen, das wär schlimm, wenn wir alle so wären. Und sehn Sie, das is je beinah in jeden Haus hier in Blanknes', daß mal so 'n Mann oder Bräutjam oder auch 'n Bruder will ich mal sagen, nich wieder kommt! Die meisten haben all einen verloren, je – Rehrsch ihr Mann is je auch weg geblieben bei'n Sturm auf die Nordsee. Du lieber Gott, wat helpt dat all, wir können uns doch nich alle aufhängen, is nich wahr? Wenn Einer denn man was zu leben hat, sag ich ümmer, denn is das man halb so schlimm. Kucken Sie mal Kaptein Martens seine Frau an, wie is es die denn gegangen? Ja, ihn is das malört, daß er auf den Engländer raufgesegelt is und schneid ihn in die Mitte durch. Na, nu könn' sich woll denken. Patent is weg. ›Ich hab das nich gern gethan,‹ sagt Kaptein Martens, ›un so un so, un der Nebel war so dick, ich bin da je auch bei über Bord gegangen.‹ Helpt all nichs. Bis an 'n Kaiser is er gegangen, daß er dem Patent wieder kriegt. Meinen Sie, daß ihn das was geholfen hat? Die Schwindsucht hat er sich an 'n Hals geärgert, weiter nichs. Nu hatte die Martensch gornichs 122 mit ihre drei Kinder. Was thut sie? Sie geht nach den Rheder hin un sagt: »so un so is mi dat gahn, min Mann is dodt, min Kinner sünd noch lütt, kön't Se mi nich wat behülplich sin.« Und denken Sie sich, sie kriegt wahrraftigen Gott 'n Strickmaschine, un nu hat sie all soviele Kunden, all die feinen Leute aus die Villas die Elbe längs kommen bei ihr. Das fiel mich nu gleich in' Augenblick wieder ein. Sallst man glieck na ehr rop gahn, denk ich so bei mich, das is je doch ümmer gut, wenn man 'n kleine Aussicht wieder hat, un wenn se nu nich so mit Strickmaschine will, denk ich noch recht, vielleicht kann sie nach den Rheder gehn, daß ihr der was Anneres räth; die Leute, da fällt je Manches bei vor, die wissen da je auch auf zu laufen; meinen Sie, daß ich ihr dazu kriegen konnte? Kein Gedanke an. Rehrsch machte mich die Thür auf mit so 'n dicke Augen; sowie ich 'n Wort sagen wollt, fing sie an mit: »scht! scht!« »Herrjes, is da was Kleines?« sag ich, nee wissen Sie, da konnt ich doch nu auch nich umhin. »Se will eben inslapen,« säd Rehrsch un kiekt mi ganz kurlos an. Da kommt all 'n Geschrei aus die Kammer: »Is da 'n Brief? Wer is da! wer is da!« Un mit eins kommt sie da rein, wie so 'n 123 Geist, sag ich Ihnen, mit ihre Haare um die Zähne, in 'n blanken Hemd. Nee, wissen Sie, so ließ ich mir nu nich vor Leute sehn, un wenn mich das Haus übern Kopf in Feuer stehen thäte! Ihre Augen, die gingen ümmer rundum, un denn schrie sie mal wieder: »Gorg ist todt, Gorg Schierholdt!« un denn mal wieder: »Das gelbe Fieber! das gelbe Fieber!« Ich ging an ihr ran un kriegt ihr bei'n Arm zu fassen: »Deern, versünnig' di nich, uns' Herrgott lewt noch.« Dar keek se mi gans verbiestert an un säd: »De is ook dodt« un hung den Kopp, bet se mit 'n Vörkopp op 'n Disch föll. »Wat is denn los? wat weet Ji denn vun den ›Abel‹?« säd ick to Rehrsch. Dar winkt un plinkt de Ollsch na ehr Dochter hen, as wenn de 't weeten deiht. Und de Deern, mit 'n Kopf auf 'n Tisch, jammert miteins: »Auf die Klippe bei Montevideo, dar steht das Wrack, un der Kaptein is todt, un die Mannschaft is todt, lauter, lauter, lauter Leichen!« »Wat is dat for 'n Snack,« reep ick, aber ich kriegte das nu auch mit die Angst, denn wissen Sie, die Deern, die sagte das zu natürlich, als wenn das gans gewiß wär. »Je,« seggt Rehrsch un wischt sich die Augen, »das sagt sie all den gansen Dag, sie sieht ihren Mann da todt liegen in das Wrack, un wenn sie das sieht, denn kommt 124 das auch!« »Is denn von' Kantor keine Nachricht?« segg ich. Ja, es wär' erst einer dagewesen, aber bloß weil er sagen wollte, daß die Brigg »Abel« in Santos Kaffee mitgenommen hat, weiter nichs.

»Wie sieht das Wrack denn aus, was da bei Montevideo festsitzt,« sag ich zu Hede Rehr, »kennst das denn? Is das denn das Wrack von den ›Abel‹?« frag ich noch so recht. Da hörten sie aber garnich nach hin, Rehrsch weinte ümmerlos un wischte an ihr Tochter ihr Gesicht rum. »Treck di doch man erst wat öber 'n Liew, du verküllst di je, Deern!« säd ick un wull ehr 'n Dook umsmieten, min Umslagdook, weeten se woll. Se rückt aber ümmer wieder von mi t'rügg, grad as wenn se bang' vor mi wör, de oll dumme Deern. Ick gung aff, ick mug dar ook nich mehr sin. Undank is de Welt Lohn, min beste Mann, dat kö'nt Se sick marken, wenn Se 't noch nich weeten dohn. So 'n Unvernünftigkeit, mit nackende Fööt un nich mal 'n Nachjack öber! Annern Dag kümmt min Söhn, wat de Patentlootse is un seggt: »Mudder, mit den ›Abel‹, dar is dat gewiß nich richtig, se seggt nu All, dat dat Wrack op de Sandbank bi Montevideo, wat dar fast sitt, de Brigg ›Abel‹ is.« »Kummst du ook mit de ol' Geschichte?« segg ick, »willst du mi bang maken dat Gorg 125 Schierholdt nich wedder kümmt? Bange machen gellt nich,« segg ick. »De ganse Mannschaft is von 't gele Fewer dodt bleeben,« seggt he, »dar rögt sick nichs an Bord.« »Wokein hett dat sehn?« segg ick. »Hede Rehr hett dat sehn, un se seggen nu all, dat dat so is. En Damper schall dar vorbi kamen sin, he kunn aber nich an de Sandbank ran, de Strom wär' to dull: mit 'n Fernrohr kunnen se de Doden an Bord tellen.« »Is de Möglichkeit,« segg ick, »Ji sünd all appeldwatsch!« segg ick. »Mit Schuster Propper is't ook indrapen,« säd he, »se kann mehr sehn as anner' Minschen.« »Na, wat se nu woll seggt,« säd ick. »Ick glöw nich, dat se dat übersteiht,« säd he. Ich wollte da noch Spaß über machen, weil Unkraut nich vergehn thut, aber mein Jung sagte, das wär wenigstens 'n Zeichen, daß sie was von Gorg Schierholdt halten thäte. Die Mannsleute hacken all zusammen as die Kletten.

Den annern Abend hör' ich man von' Nachbarin: »so un so, und Hede Schierholdt liegt so schlecht.« »Was fehlt sie denn?« Ja, das könnte der Doktor selbst nich sagen, ihn wär' das noch nich vorgekommen, was sie hätte. Noch 'n Tag, 126 da munkelt das: »Weeten Se all, se hett dat gele Fewer.« Na, nu bitt' ich zu grüßen! »Wie kommt sie da denn zu?« frag ich. Ja, un der Doktor hätte das rausgekriegt, daß sie heimlich in 'n Seemannskrankenhaus in Hamburg gewesen wär' un hätte da gesagt, sie wär' die Frau von einen von die spanischen Matrosen von Santos, die hier krank liegen. Sie hätten ihr da durchaus nich rein lassen wollen, aber sie hätt' so lang' geweint un geschrien, bis ein Wärter ihr mit reingenommen hätte, un derjenige wär' auch schon so ziemlich in die Besserung gewesen. Können Sie sich so was denken? Was sie eigentlich da gewollt hat, weiß kein Mensch, der Matrose is nachher auch todt geblieben, sie meinten all, er würd' das durchholen, aber nein. Doktor Strecker, der ihr behandeln that, ließ Allens absperren, denn das alte gelbe Fieber, das is ja so anstechend; sie hatte sich da je auch angestochen, das is je gans offenbar. Un sehn Sie, das fehlte je noch, daß sie uns hier in Blanknes' das gelbe Fieber reinschleppen thäte. Drei Tage währte das bloß, – ich hab ihr durch 'n Fenster liegen sehn. Hören Sie mal, das will ich meinen ärgsten Feind nich wünschen, wie die ins Gesicht aussah. Orrendlich blaugrau, die Lippen gans schwarz, als wenn sie verbrannt wären. 127 Achhott ja, mir dauerte das orrendlich, als ich ihr da so liegen sah, un ich sagte das auch an Trina Meier ihre Mutter. Aber die sagte denn, ich müßte ihr jo und jo nich bedauern, denn könnte sie nich sterben; na, wissen Sie, un da bedauerte ich ihr denn lieber nich mehr. Den dritten September, morgens hieß das: »Hede Schierholdt is todt.« Achhott, ich gönnte sie das recht! Nee, wenn einer erst so blau is, was thut er denn noch in 'n Leben? Un schließlicherweise hatt' sie sich das je muthwillig zugezogen; je, is nich wahr? 'n dritten starb sie, 'n vierten kommt da 'n Brigg auf, Allens beflaggt un bewimpelt, un das gab 'n Hurrahschreien an Bord, unten von Schulau her konnt man das all hören. Allens lief an 'n Strand zusammen, ich natürlich auch mit. Da kam Gorg Schierholdt mit seine Brigg »Abel« angesegelt, recht so in volle Fahrt. Mich ging das durch un durch, wie der Jung auf'n Hinterdeck stand un mit sein' Tuch wehte un Hurrah schrie. Dummerhaftige Deern! dacht ich bei mich, hättst nich warten können? nee, wissen Sie, dieser Gorg Schierholdt war ümmer so 'n guten alten Jung gewesen, tutig un nett; das dauerte mir orrendlich, denn er konnt' 128 je nich mal in sein Haus rein, das war je allens abgesperrt, mit große Zetteln an die Wand. Sallst em man flink 'n Abendbrod maken, dach ick, und mein Jung, der paßte ihn auf, als er an der Dampfschiffbrücke kam. Das war hart für beide, das könn'n Sie sich wohl denken. Ja, is nich wahr, wenn so 'n Mann zu Haus kommt, un da is kein Feuer un kein Rauch, is das nich traurig? Un was hatt' er All' durchgemacht! Zwei von seine Leute waren von das gelbe Fieber gestorben un zwei Kranke hatten sie ausgesetzt, daß sie nicht noch mehr anstechen sollten, in San Thomé, wissen Sie wohl. Un nachher hatten sie noch Havarie gekriegt an denselben Platz un hatten da liegen müssen un flicken. »Weeßt du wat, min Jung,« säd ick, »du kannst gliek bi mi intrecken, Willemine is auf die Insel Wight nach wie vor, un ihre lüttje Giebelstube is leddig.« He wull aber mit Gewalt na sin eigen Hus heute gahn, un ick bleew mit min schönes Abendbrod, bradene Aal un Gurkensalat, besitten. In de Tied wör he noch so, dat schull Allens na sinen Kopp gahn. »Nich mal Rehrsch is dar,« säd ick, »Doktor Strecker hett ehr utdahn nat Altnaer Krankenhus, se is gans vun Kräften kamen.« Aber he wull sin Fro sehn to'n letzten Mal, säd he, se schull nich denken, dat he 129 ehr alleen liggen laten däh in dat leddige Hus! »Du warst se nich kennen,« säd ick, »se is ganz swatt un blau worrn.« »Ick weet woll, wat dat gele Fewer is,« säd he, »dat is nich dat erste Mal.« Un he gung. Se könt sick denken, wo fühnsch dat ick wör. Min dumme Jung von Patentlootse stunn ook op. »Na, wat is mit di los?« säd ick. »Ick gah mit Gorg, dat em nix passiren deiht, he süht so komisch ut,« säd min Jung. »He hett noch nich natt un nich drög kreegen,« säd ick, »dat is bloß davon!« »Wi hewt keen Apptit hüt Abend,« säd min Jung. Ick reep em noch na: »Wenn du di ünnersteihst un di anstecken deihst, denn sla' ick di braun un blau.« Na, he hett dat denn ook nich dahn, se hewt de ganse Nacht op de lüttje gräune Bank von Gorg Schierholdt sin Hus seeten. Lat ehr, dach ick bi mi, so blött sick dat an' ersten dodt. 'n annern Dag wurr Hede Rehr beerdigt, orrendlich mit 'n witten Rosenkranz op 't Sark, un denken Se sick, in den letzten Momang, dar kriegt de Gorg sin Messer ut de Tasch un snied vun den groten Theerosenbom, de vor sin Hus stun, de ganse Kron' aff. Woll twintig Rosen seeten dar an. »Dat is aber an beeten schad,« 130 säd ick, »se weet dat ja nu doch nich mehr, Gorg Schierholdt.« He keek mi gans verbast an, schüttel' mit den Kopp un leggt' de Kron' ook noch op dat Sark. – Na, dat ward all wedder beter, min beste Mann; ick dach gliek: schallst man an din Willemine schrieben, dat he wat Frisches un Gesunnes ünner de Ogen kriegt. Un richtig, nu sünd se all twee Jahr verheirath', se hewt ook all twee Kinner, dat Lüttste is nu acht Dag, un kieken Se, dat is de Oellste, de lüttje dicke Jung mit den witten Kopp un den schottschen Kittel, dar ünnen in 'n Sand. Je, Gorg wull dat ja erst gornich, aber nu süht he dat in, wo good, dat he dat hett! Kieken Se, nu haut de Jung all orrendlich mit den Stock nach den Annern, un de is doch veel gröter! I du, Willi, wullt du mal nich haun? Is de Bengel nich fix? Wat 'n Glück, dat Hede Rehr keen Kind nalaten hett! Gorg seggt dat nich, aber he weet dat ook gans good! De Oart wör nich to bruken! 131

 


 


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