Ilse Frapan
Zu Wasser und zu Lande
Ilse Frapan

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Dat Undeert.

Novelle.

Hurra! hurra! hurra! das' recht, Mietje, schrei du man orrendlich mit! Un nu mal op engelsch: hep! hep! hep! hurrah!«

»Nee, Hinrich, auf engelsch kann ich das nich,« riefen ein paar Kleinkinderstimmen aus dem dicht am Gartenzaun zusammengedrängten fröhlichen Haufen.

Der größte Junge beugte sich zu den kleineren Geschwistern: »Kannst es nich, Mietje? kannst es nich, Jasper? Na, denn man wieder auf deutsch: ein, zwei, drei, hurra! Mußt auch orrendlich deinen Hut schwenken, Jasper! Süh, so gehört sich das! Und noch einmal: ein, zwei, drei, hurra!«

Sechs weiße Strohhüte mit flatternden schwarzen Bandendchen wurden von sechs hellen, rundlichen Flachsköpfen gerissen und im Kreise geschwenkt und gedreht. Die drei Mädchen unter ihren sechs Brüdern streckten die Puppen in die Höhe und salutirten damit hinaus auf die in hohlen Wellen gehende blauschwarze Elbe, über 10 die wie weiße Silberpunkte die Möwen hin- und herschossen. Ein starker Sturm aus Süd fegte über den Blankeneser Strand, und unter dem grollenden grauen Gewitterhimmel standen unbekümmert die hurraschreienden Kinder auf ihrem kleinen, festuntermauerten Bollwerk über dem Fußweg.

»Und noch einmal! und noch einmal!«

Die neun jungen Kehlen, zwischen zwölf und zwei Jahren, klangen schon etwas rauh von Wind und Wetter und dem angestrengten Rufen. Es galt, den lauten Zusammenhall von schlagenden Wellen und rauschenden Bäumen und flirrendem Sand zu überschreien. Ein wuchtiges Klatschen und Flügelschlagen klang über ihren Köpfen: das war die aufgezogene Flagge vor dem Hause. Wer unten an dem Bollwerk vorüberging, sah nur einen Augenblick verwundert auf die geputzte jubelnde Gruppe; dann, mit einem verständnißvollen Lächeln schritt er weiter. Eben schob sich der dicke Polizeidiener heran: die Hände auf dem Rücken gefaltet, das behagliche Bäuchlein voraus, und vorn, im geöffneten Rocke, allerlei bedeutungsvolle weiße Papiere, auf denen der unstät zuckende Sonnenschein glänzte. Er blieb stehen, blickte lachend hinauf und sagte: »Na, Vadder schall woll hüt opkamen, un Ji wölt em herschreen, wat?«

11 »Ja!« erwiderte der hellstimmige Chor, und Hinrich, der Sprecher und Aelteste, setzte hinzu: »Wir üben uns da nu 'n büschen auf ein; die Kleinen können das je sonst nich.«

»Ja, Mietje hat woll vorig Jahr noch nich mitgerufen.«

»Nee! da war sie je man fünfviertel!«

»Na, Gören, denn gröhlt man nich to dull, – sünst sünd Ji an' Enn' heesch, wenn't an't Klappen kummt! Wanneer schall Vadder denn opkamen?«

»Hüt Nahmiddag oder morgen fröh, mit de Tide

»Nee, nee, heut Nachmittag soll er kommen,« riefen die älteren Mädchen und drängten sich heran, und Mietje schüttelte den großen weißlichen Lockenkopf und wiegte mütterlich ihre unförmliche Plünnenpuppe in den dicken rotmarmorirten Aermchen.

»Morgen früh släft sie noch, denn tann sie ihn nich dut'n Tag sagen.«

»Giev mi 'mal so'n lüttje Mettwust her,« scherzte Petersen und griff nach dem Arm der Kleinen.

»Nee! Sie is mich andewachsen! Laß sie 12 man gern los, sie tönnt man leicht 'mal abreißen,« sagte Mietje ängstlich und versteckte sich hinter dem Aeltesten. Der schlug ihr seinen Jackenflügel übern Kopf und drückte sie zärtlich an sich. »Dumme Mietje!« Und dann kommandirte er ungeduldig von neuem: »Ein, zwei, drei –«

»Na denn man los, Gören! Aber die Flagge habt Ihr 'n büschen zu früh aufgezogen, die reißt noch entzwei bei dem Wind!«

All die neun Augenpaare flogen zu dem schlanken Fahnenschaft, der sich palmengleich elastisch hin- und herbog.

»Die deutsche Flagge reißt nich!« Hinrich steckte beide Hände in die Hosentaschen und stellte sich breitbeinig auf. »Und wenn Sie die Stange meinen, das 'n echten Bambus, den hat mein Onkel Hartig selbst mitgebracht.«

Eins der Mädchen steckte den Fuß halb durch den Zaun: »Herr Petersen, wir haben alle neue Stiefel an.«

»Und neue Hüte auf!« rief die Schwester.

Hinrich schob sie auf die Seite: »Ach was, die Deerns klöhnen immer so'n Unsinn, – nee, Herr Petersen, ich krieg' 'n kleinen wilden Hund von Feuerland, wo die Lehmänner wohnen!«

13 »Mama steckt reine Gardinen auf.«

»Ach, Anna immer mit ihrem Kram! Nee, Petersen, hören Sie 'mal, der hat denn gar keine Haare.« Aber Anna ließ sich nicht abweisen. »Wir essen denn Rochen mit Specksauce, das mag Papa so gern.«

»Dat glöw ick woll, Ji könt woll lachen. Wie heißt denn dein Papa sein Schiff, lütt Jung?«

»Maria da Gloria,« schrie blitzschnell der neunstimmige Chor, sogar Mietje hatte keinen Augenblick gezögert, wenngleich der Name etwas undeutlich herauskam.

Gewichtigen Schritts spazirte Petersen weiter, während die Kinder nun zur Abwechselung ein Lied intonirten: »Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand!«

»O, da kommt Fräulein Dehn, Hinrich, laß doch, i gitt, sei doch 'mal still, wir wollen doch Tante Manga guten Tag sagen.«

Es war ein schlankes junges Mädchen, das in einem hellblumigen Musselinkleid und kleinem weißen Strohhut herangeflattert kam. Die Kinder, voran Anna, die elfjährige, stürzten ihr so 14 stürmisch entgegen, daß sie sie fast umrannten. »Kommen Sie zu uns?«

»Tante Manga, kommst du zu uns?«

»Nein, ich will den Schirm tragen.«

»Und ich trag' die Tasche, nich?«

»Fräulein, Tante, Papa kommt heute auf!«

»Papa und Onkel Hartig!«

»Heute Nachmittag oder morgen früh!«

»Komm mit 'rein! Komm mit 'rein.«

»Nein, pfui, nich stehn bleiben, Tante Manga! Warum willst du denn nich 'rein kommen?« so rief und schwirrte es durcheinander.

Das junge Mädchen war stehen geblieben, eine plötzliche Unentschlossenheit lag auf ihrem lieblichen, weichen Gesichtchen, das ganz roth übergossen aussah.

»Nein, pfui, ich ruf' Mama, wenn du nich 'rein kommen willst!« Mit eigensinnigem Kopfnicken lief Anna durch den Garten und ins Haus, während sich die Gruppe der Kinder mit Manga Dehn in der Mitte langsam der Gartentreppe zuschob.

Eine junge Frau in einem blauen Morgenkleide, dem man es ansah, daß es für festliche Zeiten gespart ward, kam mit einem Hammer in der Hand hinten ums Haus herum und blickte suchend und etwas ängstlich über den Garten.

15 »Da steht sie, Mama, da unten, und nu will sie nich herein,« rief Anna in angeberischem Ton. Die gesunden rothen Backen der jungen Frau erbleichten: »Fräulein Dehn, Sie bringen doch keine schlechten Nachrichten?« Und hastig eilte sie auf die Plattform und blickte hinunter.

»Ach Gott nein, wieso denn?«

Manga Dehn kam ihr nun schnell entgegen und schüttelte ihre Hand. »Ich wollte nur 'mal mein Versprechen wahr machen und auf ein paar Tage heraus kommen, aber jetzt – und nun haben Sie gedacht – o wie dumm von mir.«

Frau Tönnies lachte schon wieder. »Wissen Sie, wenn ich jemand von der Dampfergesellschaft seh', krieg' ich's immer mit der Angst, und weil Ihr Vater doch nu der Inspektor is – das geht uns Seemannsfrauen allen so, 'n büschen bange is man doch immer.«

Das junge Mädchen entschuldigte sich mit herzlichen Worten. Auf der Schwelle wollte sie nicht weiter.

»Die Kinder sagen, Ihr Mann kommt – sehn Sie, Frau Tönnies, darum wollt' ich gleich wieder umkehren. Ich komm' 'n andermal.« Sie streckte ihr die Hand hin. Die Kapitänsfrau erröthete leicht, sie hatte ehrliche dunkelblaue Augen, und die wurden ein bißchen unsicher.

16 »Ja, mein Mann kommt heute.«

»Denn will ich Sie auch gar nicht aufhalten.«

»Ach was, nu kommen Sie man 'rein, Sie kommen ja ganz von Altona, nich?« Sie zog die schwach Widerstrebende hinter sich drein ins Haus und gleich in die Stube, in der sie ohne viel Umstände flugs wieder die Leiter bestieg.

»Setzen Sie sich man in die Ecke beim Ofen, da is es am kühlsten, ich muß man noch oben die Falle an den beiden Fenstern aufstecken. Ja, was glauben Sie woll, wie lange wir hier nu schon rein machen? Vierzehn Tage sag' ich Ihnen! Aber nu is es auch pükfein. Alles abgeseift, bis auf'n Boden! Nee, so'n Seemann is eigen, wissen Sie, und Mietje hat noch miteins dazwischen die Wasserpocken gehabt – na überhaupt, so neun, das is 'ne kleine Horde!«

Plötzlich musterte sie von dem hohen Aussichtspunkt herunter den gelben Fußboden, und Erschrecken flog über ihre Züge: »Herrjes, sind die Gören das gewesen? Ich mein' die Tappsen da bei der Thür und beim Sopha; können Sie sie sehn, Fräulein Dehn? Wenn man eben meint, man hat nu alles rein –«

17 »Kann ich das nicht aufwischen?« Dienstfertig stand das junge Mädchen auf.

Die Frau lachte: »Je, Sie mit Ihren feinen Händen, und denn zu Besuch gehn und Stuben fäulen

»Ich thu' es furchtbar gern!« betheuerte erröthend die Kleine, und ehe eine Antwort kam, war sie schon draußen und kehrte mit Leuwagen und Fäuel zurück.

Wohlgefällig blickte Frau Tönnies auf die nette zierliche Figur, die entschlossen ihr Kleid aufschürzte und das feuchte Geschäft gewandt beendete.

»Is mir aber wirklich unangenehm, und ich hätt' es auch nicht gelitten – bloß, weil mein Mann kommt –«

»Wie Sie sich wohl freuen!« rief das junge Mädchen mit leuchtenden Augen. Frau Tönnies kam von der Leiter herunter und athmete tief auf.

»Oha!« sagte sie, »je das is wahr, das Kommen is immer schön, wenn man das alte Weggehn nicht wär! Nu noch das andere Fenster.«

Plötzlich klopfte sie aufgeregt an die Scheibe. »Es regnet! Große Tropfen. Hereinkommen!« Sie winkte den Kindern zu, die sämmtlich ihre 18 rothkarrierten Taschentücher gezogen und sie sich über die Hüte gebunden hatten. »Herrjes, und sie haben alle neues Zeug an!« rief antheilsvoll das junge Mädchen, »ich hol sie!«

»Aber man ja nich in die Stuben! Sie können in die Küche gehn, da wird zuletzt aufgescheuert«, schrie die geschäftige Hausfrau hinter ihr her.

Kathrin, die in der Küche an einem großen Grapen klärte, war nicht sehr erbaut über das Getrappel, das da auf einmal zur Thür herein kam. »Ick kann se hier nich brucken! Se fat allens an! Kiek, Jasper het all de Hann' an de Wichsschachtel swatt makt, un Mietje geiht an de Watertünn! Wat schall ick denn egentlich? Schall ick hier klären, oder schall ick Gören möten?« fragte sie mürrisch.

»Und in die Stuben tragen sie zu viel Sand hinein!« sagte Manga gedankenvoll und blickte auf die rothen Klinker des Küchenbodens. Dann auf einmal lachte sie und rief: »Zieht 'mal alle Eure Stiefel aus!«

»Was sollen wir?« Nur die älteren begriffen sofort den Grund dieser Verordnung. Aber Friedje, Phitje, Jasper und Mietje wollten die neuen 19 Stiefel durchaus nicht hergeben und schrieen und strampelten, als Kathrin Gewalt anwendete.

»So, und jetzt 'mal alle ganz leise auf Strumpfsocken hinter mir her, wir wollen Mama überraschen,« befahl Fräulein Dehn. Das sah schon spaßhafter aus, und die Ueberraschung gelang fast nur zu gut, denn Frau Tönnies wäre beim Anblick der geisterhaft leise heranschleichenden Kinderschar fast von der Leiter gefallen. Aber Manga beruhigte sie und versprach, auch die Kinder ruhig zu halten, indem sie ihnen Geschichten erzähle. Die Frau war mit den Gardinen fertig geworden; sie kam heran und drückte die Hand der Helferin. »Nu sehn Sie 'mal, wie sich das alles so macht!« sagte sie. »Was hätt' ich bloß anfangen sollen, wenn Sie nicht gekommen wären! Wußten Sie denn gar nicht, daß die Maria da Gloria heute aufkommt? Ihr Vater hat doch gewiß auch 'ne Karte aus Antwerpen gekriegt?«

Manga Dehn blickte zu Boden. »Ach, meinen Sie, daß Papa mir alle Karten zeigt, die er kriegt? Aber nun muß ich weg, – es wäre rücksichtslos – wo Sie sich so lange nicht gesehen haben –«

»Nein, Tante Manga soll hier bleiben!« riefen die Kinder.

Die Kapitänsfrau nickte ihr zu: »Na, Sie 20 können sich woll denken, daß ich doch nich viel von meinem Mann hab'. Die vierzehn Tag, drei Wochen sind immer gleich um, und die neun Gören lassen mich gar nicht an ihn 'ran.« Sie breitete ihre Arme aus, so weit sie reichten, die drei Jüngsten und der Aelteste gingen gerade hinein: »Wer sitzt woll auf Papa sein Schoß?«

Hinrich rief: »Mietje!« Anna schrie: »Jasper!« Die übrigen sieben riefen einfach: »Ich!«

Phitje gab Thedje einen Schubs: »Ich sitz' denn auf das eine Bein!«

Guschen stieß Klaus auf die Seite: »Und ich sitz' auf das andere Bein!«

Friedje drängte Jürgen zurück: »Und ich sitz' denn auf das – noch andere!«

»He! he!« lachte Jürgen, »drei Beine hat Papa gar nich!«

Alle stimmten in das Gelächter ein, nur Friedje ließ die Lippe hängen. Er wandte sich an seine Mutter: »Auf was für'n Bein soll ich denn sitzen?«

Frau Tönnies streichelte seinen Kopf: »Friedje sitzt denn auf Onkel Hartig sein', der hat ja gottlob auch noch zwei Beine.«

Klaus meldete sich schleunig für das vakante zweite, und nun hieß es: »Mit mein' Onkel Hartig kann man überhaupt viel besser spielen, mit dem kann man 'n büschen albern!«

21 »Kennst Du Onkel Hartig auch, Tante Manga?« fragte Anna, sich an die Besucherin schmiegend, die etwas verwirrt auf den hellen Scheitel des Kindes niedersah, aber keine Antwort gab.

»Ja, Sie kennen ihn doch, meinen Bruder Hartig, nich Fräulein Dehn? er ist ja erster Offizier auf der Maria da Gloria.«

»Ich weiß wohl – und der ist so vergnügt? Das hab' ich noch gar nicht gewußt – wenn ich ihn 'mal gesehen habe – er kam ja öfter zu Papa, denn hat er immer so ernst ausgesehen –«

»So ehrbar gethan, nich?« lachte Frau Tönnies, »ja wissen Sie, Ihr Papa, das is je auch gewissermaßen sein Vorgesetzter, und da in is mein Bruder nu komisch – sich annögeln oder gute Worte geben, das kann er nich, das kann ich auch nich.«

»Und ich möcht' es nicht leiden!« rief das Mädchen mit Ueberzeugung.

»Er steht sich da vielleicht selbst in Lichten mit,« sagte Frau Tönnies eifrig, »aber so is er nu 'mal, – er könnt' all lang drei Reifen haben, wenn er da 'n büschen auf zu laufen wüßte, aber er sagt immer gleich: meinst', ich will Einem da 22 um zu Füßen fallen? ich werd' noch früh genug Kap'tän, – besorg' du mir man 'n kleine nette Frau, denn da kann ich mich nich mit abgeben.«

Manga Dehn hatte ganz vertieft zugehört und war mechanisch immer hinter der Frau hergegangen, die mit einem Wischlappen noch einmal wieder über die spiegelblanke Mahagonikommode fuhr und nun das sauber gearbeitete Schiffsmodell, das darauf stand, einer vorsichtigen Reinigung unterzog.

»Das hat Hartig gemacht, das is der ›James Watt‹, wo er als Schiffsjunge gedient hat.«

»O bitte, lassen Sie mich das abwischen,« sagte Fräulein Dehn schnell, – »die Kinder können wohl wieder hinaus, es regnet nicht mehr.«

»Ach ja, Mama, und denn ziehn wir die alten Stiefels an, und die neuen Hüte setzen wir auch erst auf, wenn die Tide kommt, eher thut es ja gar nich nöthig!« Ueberglücklich liefen sie hinaus, als Kinder der freien Luft, die sie waren. Ihr Jauchzen und Hurrahschreien begann von neuem.

Bald war es Zeit zum Mittagessen, es hatte schon zwölf geschlagen; freilich – gekocht war nicht viel, nur ein großer Topf voll Buchweizengrütze in Buttermilch, mit Syrup gesüßt; die Hauptmahlzeit kommt erst, wenn Papa da ist!

23 Frau Tönnies genirte sich sehr, das junge Mädchen zu diesem frugalen Mittagbrot einzuladen, aber gerade, als Fräulein Dehn den Küchenzettel erfahren hatte, bat sie darum, einen Teller voll mitessen zu dürfen. Der Geschmack ist ja so verschieden, und übrigens – die Schleswig-Holsteiner essen alle gern Buchweizengrütze. Frau Tönnies faßte das hübsche bereitwillige Mädchen scharf ins Auge – sie konnte sich gar nicht recht erinnern, sie zum Bleiben eingeladen zu haben, und Manga Dehn hatte doch nur einen Augenblick ins Haus treten wollen. Sonderbar!

»Nu wird auch woll bald mein alter Onkel kommen,« sagte die Kapitänsfrau, »dreimal hat er schon gefragt, ob Tönnies noch nich da is. Gleich den ersten Abend stellt der Alte sich ein, und denn kommt er jeden Tag, so lange mein Mann hier is. Mein Bruder hat ihm das schon 'mal gesagt: ›Onkel, sie müssen sich auch 'mal allein haben‹, aber wissen Sie, was der Alte denn antwortet: ›Ach, dat is ehr je nu all wat Oles, dat hebbt se nu nich mehr nödig.‹« Verdrießlich kellte die Frau ihrem Aeltesten noch einen Löffel voll auf. »Mir auch noch 'n orrendlichen Klacks,« riefen 24 die anderen. Klatsch, klatsch, klatsch, einen Löffel Grütze auf jeden Teller, bis die große Terrine leer war.

»Nu muß ich aber wirklich weg,« sagte Manga Dehn, der es bei der Erzählung sehr ungemüthlich geworden war, »seien Sie mir nur nicht böse, daß ich so lange geblieben bin.«

»Im Gegentheil war mir sehr angenehm; 'n Tasse Kaffee sollten Sie man noch mittrinken, Fräulein, Sie haben mir ja so wunderschön geholfen.«

Fräulein Dehn steckte mit niedergeschlagenen Augen ihre langen Filethandschuhe wieder in die Tasche.

»Ja, wenn ich Ihnen noch 'was helfen kann, Frau Tönnies, denn kann ich am Ende noch 'n Augenblick bleiben. Wann läuft das Wasser auf?«

Frau Tönnies blickte unwillkürlich durchs Fenster; die Weiden mit ihrem grauen, dünnen, kritzlichen Astwerk wurden wild hin und her geschleudert, es donnerte fast ununterbrochen in der Ferne.

»Um drei,« sagte sie nachdenklich, »vor fünf kann die Maria da Gloria nich hier sein, – das heißt, wenn sie hier vorbeikommt, denn is sie je noch lang nich hier, denn muß sie je noch nach 25 Hamburg rauf, und bis mein Mann denn hier is und mein Bruder, kann das sieben, nee, acht, neun werden.«

»Ach, die armen Kinder!« murmelte das Mädchen, »die freu'n sich ja ganz ab.«

»Das thut ihnen nichts, das müssen sie von früh auf gewohnt werden, – ja, ich hab doch die letzte Nacht nicht so recht geschlafen. Können Sie sich das denken?«

Die hübschen braunen Augen des jungen Mädchens bekamen einen warmen Schein; sie nickte eifrig.

»Wenn er man bloß heut Abend noch kommt, sonst geh ich heut Nacht gar nich zu Bett. Nee, denn zieh ich mich nich aus. Denn bin ich doch zu hiddelig, was soll ich denn im Bett thun.«

»Es muß schrecklich ängstlich sein!« Manga seufzte, und so natürlich, als ob sie diese Angst schon vollkommen theile. Frau Tönnies sah sie wieder prüfend an.

»Heirathen Sie man keinen Seemann, Fräulein Dehn.«

Ein schuldbewußtes Roth stieg dem Mädchen in die Wangen. »Warum meinen Sie? – Bitte, Frau Tönnies, kann ich nich heute aufwaschen?« 26 bat sie dann mit Innigkeit, »Kathrin braucht auf die Art nicht vom Klären wegzugehn.«

Was will sie? dachte die Frau. Laut sagte sie: »Mit dem Kleid? Na, freuen Sie sich, daß Sie keine Mama zu Hause haben, die Sie ausschelten kann.«

»Sie leihen mir eine Küchenschürze! O ich wollte, ich hätte meine Mama noch, Sie können sich gar nicht denken, wie still es bei uns zugeht; Papa ist nicht für Geselligkeit, manchmal kommt die ganze Woche kein Mensch, und meine zwei Schwestern sind noch so dumm.«

»Na, Sie werden doch nicht weinen?«

Frau Tönnies faßte das Mädchen freundlich in den Arm: »So'n kleine resolvirte fixe Deern! Nee, es is wirklich schön, daß Sie hier sind, der Tag war nich so lang, und man spricht sich die Aufregung 'n büschen vom Herzen 'runter.« Manga blickte sie dankbar an.

»Nu sollten Sie 'n kleine Idee schlafen, Frau Tönnies. Wenn die Ewer sich drehn, sag ich Ihnen Bescheid. Ich will unter der Zeit Kaffee machen.«

Die Frau legte sich wirklich aufs Sopha, doch 27 sprang sie bald wieder auf und ging zu dem jungen Mädchen in die Küche. »Ich hab doch keine Ruhe. Wenn sie man nich Nebel gehabt haben heut Nacht. Ende August geht das schon los! Na, Sie werden ja auch ganz blaß, – ist da woll am Ende 'n Passagier mit, der – –

Fräulein Dehn schüttelte den Kopf: »Ich glaube auch, man muß immer was um die Ohren haben, dann vergeht die Zeit am besten. Wenn er nur erst da wäre, nicht?«

Frau Tönnies rief die Kinder zum Kaffee, Jürgen legte eine rothbraune Krebsschale vor das Fräulein hin.

»Kiek, Du, das 'n Tasch, die schenk' ich Onkel Hartig. Was schenkst Du ihm, Tante Manga?«

»Ich hab nichts«, Fräulein Dehn zeigte ihre leeren Hände, die der Kleine aufmerksam betrachtete.

»Aber Du hest Geld in de Tasch!« platzte lachend Hinrich heraus, »das' noch besser.«

»Hinrich!« rief die Mutter verweisend, »sei doch nich so vorlaut!«

Der Junge war in einer Laune des Uebermuths. »Je, nu rufst Du Hinrich, und dabei hast Du es selbst gesagt, Mutter.«

28 Frau Tönnies wurde blutroth.

»Zu wem sollt ich das woll gesagt haben?«

»Zu Onkel Hartig! das letztemal, als er hier war, ich weiß es ganz gut, hab' es selbst gehört.« Der Junge war nun auch roth geworden, seine weiße Stirn bis unter die Haare; trotzig hielt er den zürnenden Blick der Mutter aus. Als sie ihn über den Tisch hinüber schlagen wollte, faßte Fräulein Dehn ihre Hand. »Ach, Frau Tönnies, es thut ja nichts, – lassen Sie ihn doch, er ist ja gar nicht unartig gewesen.«

Hinrich sprang mit Thränen in den Augen von seiner halbgeleerten Tasse auf und stellte sich in die Ecke.

»Das is recht, da gehörst' auch hin!« rief die Frau. Nun lief der Gekränkte zur Thür hinaus. Mietje schrie: »Hinrich,« und wollte ihm nach, aber die Mutter führte das Kind an der Hand zurück.

»Er is 'n büschen verzogen, weil er der Aelteste is,« Frau Tönnies blickte verstimmt nach der Thür, »er is je auch sonst ganz vernünftig soweit, aber – wenn man kein Wort sprechen kann – ohne daß die Gören –«

»Ich will ihn hereinholen, heute ist doch solch'n Festtag!« bat Manga, und eh' die Mutter es 29 hindern konnte, war sie ihm nach. Er stand am Gitter des Hühnerstalles, die Hände in den Hosentaschen geballt, Thränenspuren im Gesicht. Das junge Mädchen wollte ihm den Arm um den Hals legen, er schob sie weg, ohne sich umzusehen. »Ich meinte all, es wär' Mama,« murmelte er, »sie hat es doch gesagt.«

»Komm Hinrich, sei artig! Du – wenn Du es doch so gut gehört hast – was hat denn Onkel Hartig geantwortet?« Sie zog ihn an der Hand zu sich heran.

»Onkel hat bloß gesagt, das wär' ihm Pudding.« Der Junge lachte unwillkürlich, that aber gleich wieder ernst.

Manga Dehn sah ihn mit einem befriedigten Lächeln an; plötzlich nahm sie seinen runden Kopf in beide Hände und küßte ihn herzhaft auf die glatte Stirn zwischen den Augen.

»Sag Du nur immer die Wahrheit, mein Jung! Mama is gar nicht mehr böse.«

Hinrich sah sie halb lachend, halb verschmitzt an: »Na, wat is nu los?« brummte er, sich über die Stirn wischend.

»Sieh mal zu, Hinrich, ich glaube, nu kommt die Fluth! Lauf mal voraus an 'n Strand, wir kommen alle nach.«

30 Der Junge entsprang ihr in großen Sätzen, obgleich es noch zu früh war: im Hineingehen kamen ihr auch schon die übrigen Kinder entgegen. Fräulein Dehn ging gerade auf Frau Tönnies zu, die mit krauser Stirn die Tassen in einander stellte.

»Und nun machen Sie kein böses Gesicht, kommen Sie auf den Balkon: haben Sie nicht eine Arbeit für mich?«

»Ach, Sie sind sehr freundlich; herrjes ja, ich hab 'n Dutzend feine Taschentücher für meinen Mann, aber Sie wissen woll, ich hab sie auf der Maschine gesäumt, und nu hängen noch all die alten Fäden beizu; die muß ich befestigen.«

Auf dem Balkon über den Kronen der Espen, die keinen Augenblick Ruhe gaben, war es windig, aber doch nicht schwül, wie im Zimmer. Und die Luft war so schmeckbar frisch und so voll von Gerüchen. Theer, Laub, Tang, nasser Sand, Heu, Fische, Reseda, Levkoyen und Tauwerk, – alles duftete durcheinander, so stark es konnte.

»Hier ist es schön!« Manga blickte entzückt über die weite, grün umrahmte Wasserfläche, die dunkel und drohend genug aussah. »Ich möchte immer in Blankenese bleiben.« Sie guckte schnell bei Seite, als das heraus war.

»Ja, Fräulein Dehn, heirathen Sie 'n 31 Blankneser, das is die beste Richtigkeit.« Frau Tönnies war auch befangen; nach einer Weile sagte sie, die Augen fest auf ihrer Arbeit: »Nee, ich muß Ihnen noch sagen, wie das zusammenhängt! Das schenirt mich, daß Sie nu am Ende denken – – und sehn Sie mal, mein Bruder Hartig is je so'n komischer Mensch! Wenn nu mein Mann ankommt, und ich lauf' ihm denn entgegen, – drinnen auf 'n Vorplatz, denn 'rauskommen darf ich nich, nee – das mag er nich, – denn spitzt mein Bruder immer von junges Brautpaar und so, und es is ja auch wahr, bei uns Seemannsfrauen bleibt es immer neu, weil wir man immer so'n kurze Zeit zusammen sind, und denn in 'n Ruff wieder weg. ›Nimm Dir auch eine,‹ sag' ich denn immer, und er sagt denn: ›Da hew ick keen Tied to.‹«

Manga Dehn hatte ganz das Ausziehen des Fadens vergessen, und ihre kleine feste Hand zitterte.

»Hat er denn so schrecklich viel zu thun?« fragte sie halblaut.

»Ach, keine Idee! Er is 'n Bangbüx! Er is man bloß ängstlich, daß er sich 'n Korb holen könnte; 'n büschen großschnutig is er immer gewesen, aber so ganz in aller Heimlichkeit.« Frau 32 Tönnies griff verstohlen nach Mangas Arm: »Na, Sie wissen woll, man macht mal Spaß, und so sagte ich denn: Wenn du die kleine Dehn, den Inspektor seine Tochter, kriegen könntest, das wär' 'mal nett.«

»Ach, Frau Tönnies, er mag mich ja nich leiden,« flüsterte das junge Mädchen, und große Thränen traten ihr in die Augen; sie wendete sich ab.

Die Frau hatte gar nicht den Kopf erhoben, hatte nichts gesehn.

»Ich kann nich klug aus dem Jung werden, – ich glaube, es is bloß, weil Sie nu die Tochter von dem Inspektor sind! ›Meinst, ich will mich da anschmeicheln‹ sagt er, ›komm mir nich mit so'n Kram. Lieber bleib' ich Junggesell, als daß ich mir nachsagen laß, ich bin einem darum zu Füßen gefallen.‹«

Das junge Mädchen klappte die Schere auf und zu, sie sah sehr traurig aus.

»Na, Frau Tönnies, nu will ich nach Hause gehn. Ich glaube, die Ewer drehn sich schon.« Sie stand auf und zog ihre schwarzen Filethandschuhe aus der Tasche.

Die Kapitänsfrau erhob sich gleichfalls. »Herrjes, is' wahr? Kommen Sie, wir holen mal flink 33 das Fernrohr, – ach, bleiben Sie man, bis das Schiff vorbeikommt! was wollen Sie nu miteins weglaufen!«

Die Kinder riefen und winkten vom Strand herauf. Frau Tönnies zog das Mädchen eilig an der Hand nach: »Wir setzen uns in'n Sand, zwischen die Weiden, kommen Sie.« Ein paar seegrasgefüllte Bankkissen wurden auf den feuchten Strand gelegt, das niedrige Weidengesträuch, an dem schon viele gelbe Blätter hingen, deckte den Rücken. Der Wind war hoch. Abgerissene Kirschbaumzweige und Grasbüschel wurden in Menge angetrieben. »Die kommen von der Lühe, gegenüber, ja das heißt mit Recht: Kirschenland.«

Die Kinder umringten sie, wollten alle zugleich durchs Fernrohr sehen. Zwischen der Mutter und Hinrich hatte eine stumme Aussöhnung stattgefunden, der Junge ließ sich jetzt dienstfertig als Tisch und Stützpunkt für das Teleskop gebrauchen.

»Fräulein, Sie müssen aber orrendlich mit Hurra schreien!«

»Und tüchtig wedeln!«

»Ob Papa woll'n blue-light abbrennt, wenn er vorbei kommt?«

»Ach, Schnack, das thut er ja bloß Nachts.«

»Mama, ich möcht gern 'n paar Steine in 34 die Elbe smeißen, aber denn geht es nich, denn wird sie zu voll!«

»Läuft die ganze Elbe über,« meinte der kleine Jasper.

»Paßt auf, jetzt kommt 'n großer Kasten! Ach so, es is bloß die »Cobra«! Hui, wie voll: das krimmelt und wimmelt orrendlich! Wahrt Jug, die macht Wellen! Dat giwt natte Fäut!«

Alles flüchtete zwischen die Weiden hinein, der älteste Junge aber sprang plötzlich in ein kleines Fischerboot auf dem Strande, das mit zwei Knaben besetzt war und trieb es mit ein paar kräftigen Stößen weiter ins Fahrwasser hinaus.

»Hinrich! Hinrich! was machst Du?« rief Manga Dehn. Frau Tönnies lächelte wohlgefällig.

»Lassen Sie ihn man, wenn die Wellen so hohl gehn, denn hätt' das Boot leicht umschlagen können hier im flachen Wasser. So was muß er all wissen, dafür is er 'n Seemannssohn.«

Als die Brandung vorüber war, die hoch hinauf ein schäumendes lehmfarbenes Wasser trieb, kehrte der Junge mit dem Boot zurück.

»Kiek, Mutter, wieviel Land uns das abreißt! Unser Stack liegt schon ganz draußen. Onkel 35 Hartig sagt es auch immer. Du, wenn Vater jetzt grade gekommen wär, ich wär dreist 'n büschen nach ihm 'ran gerudert.« Schiffe auf Schiffe kamen, athemlos pustende Schlepper, hinter denen herrliche Vollschiffe entlang glitten. Lange, langweilig aneinandergekoppelte Schuten voll Sand, – Schlick, der weiter drunten im Strombett ausgebaggert worden, kaum mit dem Bord übers Wasser ragend, eine eintönige graue Linie. Der kleine weiße Stader Dampfer, als richtiger Elbomnibus voll von Passagieren kam zweimal, abwärts und aufwärts vorüber; die Finkenwärder Fischerewer mit ihren rothen, die Blankeneser mit ihren weißen Segeln huschten mit schnellem Flügelschlag hin und her.

»Das ist 'n Woermannscher, 'n Afrikaner, der große graue Dampfer, der da kommt! Wenn nu man endlich auch die »Maria da Gloria« käme!« Die Kinder traten von einem Fuß auf den andern, um ihre Ungeduld irgendwie auszulassen, nur die kleinsten wühlten friedlich im Sande, und die Mutter blickte fast ununterbrochen durchs Fernrohr. Das junge Mädchen hatte sich unbemerkt in den Hintergrund zurückgezogen und sah in sehnsüchtiger Erwartung nach Westen, da wo der Himmel mit dem Wasser zusammenrann. Ein lichtes, gelblich 36 graues Gewölk schwebte dort umher, durch das von Zeit zu Zeit die Sonne heiß leuchtend hervorbrach.

Schräg fielen ihre Strahlen über die Wolken, es sah aus, als regne es in der Ferne. Wo der Schein durch die Lücken der Dunstmassen das Wasser traf, bildete er glänzende Lichtinseln, so scharf umgrenzt, so blendend, daß die Augen thränten, wenn sie darauf trafen. Endlich verschwammen alle Lichtflecke ineinander, und die ganze ferne Elbe erschien wie ein geschliffener Schild von Stahl. Ein leichtes schwarzes Rauchfähnchen kräuselte empor, als ob dort hinten der alte Stromgott sich eine Nachmittagscigarre angezündet habe, – der Himmel war klar geworden.

»Papa kommt! Papa kommt! das is die ›Maria da Gloria‹! Gewiß, Mutter, das sind die zwei Schornsteine, siehst Du's denn nicht? Die zwei schwarzen Schornsteine! Anna hol unsre neuen Hüte, aber schnell! Die ›Maria‹ hat Fahrt! Der Wind hilft auch mit, der is ganz westlich geworden.

Sollen wir auf das Bollwerk laufen oder hier stehen bleiben, Mutter? Da, jetzt grüßt sie schon! Junge, wie fein sie sich gemacht hat! Mietje kuck, da kommt Papa! Lauter Wimpel und Flaggen! Kriegt Eure Taschentücher raus! So nu man los: 37 Hurra! hurra! hurra! Und noch einmal – – und noch einmal! Siehst Du Papa? Mutter, ich kann sehn, wie er den Mund aufmacht, wenn er hurra schreit! Da, auf 'm Achterdeck! Und Onkel Hartig schwenkt seinen Panama, siehst es woll, Jürgen? Hurra! hurra! hurra!«

Es war ein herzerquickender Anblick, das sauber gemalte, schwarz und roth leuchtende Dampfschiff, tief im Wasser, denn es kam voller Fracht, alle Raaen behangen mit Wimpeln und Fähnchen, die in der Abendsonne strahlten. Es war ein herzerquickender Lärm, das Heulen der Dampfpfeife und das Hurraschreien hüben und drüben, dort aus den kräftigen Männerkehlen, die jubelnd den grünen Heimathstrand begrüßten, hier die hellen Kinderstimmen, in die sich die der Mutter zaghaft nur mischte, denn Frau Tönnies weinte dabei und hielt Mietje empor, hoch auf dem Arm, und das waren zwei gewichtige Hindernisse zum vollen Ausschreien, die Rührung und das unruhig sich hin- und herwerfende Kind.

Ganz langsam, unter fortwährendem Hurrarufen zog sich das Schiff heran: nun war es gerade der Gruppe am Strand gegenüber, nun schon ein bißchen weiter links, nun immer mehr links, nun war nur noch der hintere Schornstein 38 unverkürzt zu sehen, nun glühte die Sonne auf der Rhederflagge am Topmast, nun auf der Hamburger am Hintersteven, daß die drei Thürme auf dem blutrothen Grunde wie Silber glänzten, nun verhallte allmählich das Pfeifen der Sirene, nun kamen langsam die ersten Wellen vom Schlag der Schraube herübergerollt, und nun war bald alles versunken in dem goldgrauen Nebel, hinter dem Hamburg liegt, und nur ein dünnes schwärzliches Rauchwölkchen stand jetzt noch eine Weile im Osten, wie es vorher im Westen gestanden.

»Na, gottlob, gottlob!« seufzte Frau Tönnies und drückte Mietje noch einmal an sich, ehe sie das Kind auf den Boden setzte. »Nu man flink, Kinder, daß ihr die neuen Stiefel ankriegt, und ich muß den Rochen aufsetzen – in zwei Stunden kann Papa und Onkel Hartig hier sein.« Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. Sie kehrte auf halbem Wege um. »Hinrich, mein guten Jung, wo is denn Fräulein Dehn geblieben?«

Als ob sie die Frage gehört, tauchte Manga Dehn aus dem Weidengestrüpp weiter oben auf. Ihre Backen waren glühend roth, und die Sonne machte ihre braunen Augen ganz durchscheinend; Hinrich starrte sie bewundernd an.

»Frau Tönnies, ich bin auch so – so recht 39 glücklich. Sie haben solchen guten Mann, Frau Tönnies.«

»Ach ja, einen guten Mann habe ich,« sagte die Kapitänsfrau und lächelte thränenselig, »und sehen Sie, man kann doch jedesmal von Glück sagen, wenn einer wohl und munter wiederkommt von das alte Central.« Sie mußte ihre Thränen abwischen. »Und Sie sind auch so'n liebevolles Fräulein, und wenn das nach mir ginge – haben Sie meinen Bruder gesehen? Er hatte 'n weißen Hut auf.«

»Ich hab' alles gesehen! Das ganze Schiff! Adieu, Frau Tönnies, nu wünsch ich viel Vergnügen, und grüßen Sie Ihren guten Kapitän, und wenn Sie allein sind« – Manga blickte blinzelnd zu Boden – »denn komm' ich 'mal wieder.« Sie drückte ihr die Hand, küßte Mietje und streichelte die andren. »Halt' Dich gut, Hinrich, 'djüs Anna! Nein, nicht mitgehn, seht lieber zu, daß Ihr Mama was helfen könnt, die hat noch viel zu thun! Meinen Sonnenschirm? Ach laßt nur, den kann ich mir 'n andermal holen.«

Einen Augenblick stutzte sie bei ihren eigenen Worten, ein schelmischer Blick flog aus ihren 40 hübschen klugen Augen in das arglose gesunde Frauengesicht vor ihr, das zu allem »ja« nickte. Dann flatterte das sommerliche Kleidchen wieder den Strandweg entlang, leuchtete noch einmal als weißrosige Blüthe zwischen den schwarzen Männerröcken auf der Dampfschiffbrücke, und dann nahm der kleine Stader Dampfer sie auf, der sich eben mit einem klagenden Abschiedswinseln in Bewegung setzte.

»Schade, Hartig is man dumm, sonst so'n kleine nette Deern,« sagte Frau Tönnies vor sich hin, während sie den ungestalten eckigen Fisch in Stücke zerhieb und große Hände voll Salz in den bereitstehenden Grapen mit siedendem Wasser warf. »Wenn der Rochen nu man nich zäh is! Wenn sie nu man nich eher kommen, als bis er gar is!«

Nein, Frau Tönnies hatte alles gut berechnet – der Fisch war butterweich, und das erste Lob des Kapitäns bei seiner Heimkehr galt der Kochkunst seiner Blankeneserin, die doch einzig in der Welt solche Fische zu kochen verstehe! Es war ein beglücktes Wiedersehn und ein prächtiges gemeinsames Mahl; alle Kinder mit um den Tisch und Mietje auf ihres Vaters Schoß; das wollte der Kapitän nicht anders, denn die »kleine dumme Deern« hatte sich vor seinem großen Bart gefürchtet 41 und durchaus Onkel Hartig Papa nennen wollen. Onkel Hartig hatte zwar auch einen großen blonden Bart, aber seine lustigen blauen Augen hatten nicht den durchdringenden Blick des Kapitäns Tönnies, und seine Stimme war weich und leise, während der Schwager auch zu Hause und mit den Kindern das Kommandiren nicht lassen konnte. Neben dem kurzbeinigen, braunen Tönnies sah der lange und breitschulterige Hartig Holert wie ein großer Junge aus, obgleich sein Kopf mit dem krausen blonden Haar etwas Löwenartiges hatte. Nur in der Haltung, hintenüber gebeugt, die Hände in den Taschen, lag ein eigensinniges Selbstbewußtsein, das seinem Fortkommen von Jugend auf hinderlich gewesen. Die Furcht, daß er irgend Jemand »zu Füßen fallen solle,« wie er es ausdrückte, um eines Vortheils willen, hatte zur Folge, daß er auch die kleinste Verbindlichkeit des Benehmens scheute und wortkarg und trotzig vor allen denen begegnete, die seine Vorgesetzten waren und ihn hätten fördern können. So war es denn auch gekommen, daß er nun unter dem Schwager als erster Steuermann diente. Hier war wenigstens keine Gelegenheit, »sich anzuschmeicheln.«

»Smart is er nich, Dein Bruder Hartig,« sagte Tönnies oft zu seiner Frau, »wenn er nich so'n 42 fixer Kerl wär', mit ›Smartness‹ hätt' er sich nich bis zum Offizier gebracht; aber da wird er nu woll auch stehn bleiben.« Aber wenn seine Frau dann bekümmert aussehen wollte, strich er ihr übers Gesicht: »Sei man still, das' all man halb so schlimm, Du bist je auch nich smart und hast mich doch zum Mann gekriegt.« Und dann lachten sie zusammen und erzählten sich zum wievielten Male die Geschichte ihrer Liebe am Bord der »Fotheringay«, wo er noch zweiter Steuermann war und sie nach Plymouth fuhr, um ihre Verwandten zu besuchen.

»Wenn Du denn morgens so früh schon auf Deck warst und immer so patent angezogen und mit 'n Arbeit in der Hand, – Junge, sag' ich zu mir, das' n' kleine süße, stille Deern, das gibt 'n saubere, fleißige Frau. Kein büschen seekrank, keine Anstellerei, wie die meisten Passagierinnen das machen, die immerlos stöhnen oder kreischen oder lachen wie die richtigen Grienaapen, – Du, solche hätt' ich nich genommen, und wenn sie 'n Sack voll Geld gehabt hätt'! Morgens Klock zehn noch in der Kabine auf der faulen Haut, und um Mittag kaum die Nase 'rausgestreckt, mit ungemachtem 43 Haar und Morgenrock und Schlarren auf'n Deck 'rumzufaulenzen, wie wir diesmal 'n paar wieder gehabt haben! ›Kapitän, hier zieht es! und hier rollt das Schiff zu sehr, und hier stößt die Maschine,‹ weet Gott wat all! – Bloß 'n büschen freundlicher hätt'st mit mir sein können, ich wußt' ja gar nich, wie ich da eigentlich an war. Ich hab' immer an meinen Knöpfen abgezählt: mag sie Dich leiden oder mag sie Dich nich. Aber zuletzt im Kartenzimmer –«

»Wie Du die Sonne genommen hattest,« fiel Frau Tönnies glücklich ein.

»Ja, daß Du da immer 'reinkamst – wo Du nichts verloren hattest, und denn gleich weggeguckt, wenn ich die Thür aufmachte – schwubb den Kopf umgedreht! Aber daß Du roth geworden warst, hatt' ich doch gesehen.«

Viel Zeit freilich zu diesen vergnüglichen Rückblicken und vertrautem Beisammensein hatte das Ehepaar nicht. Die ersten vierzehn Tage vergingen wie ein Tag und waren reich durch Bewegung und Arbeit ausgefüllt. Tönnies und Holert hatten mit dem Löschen der Fracht vollauf zu thun, mußten 44 täglich an der Hamburger Börse erscheinen und wegen neuer Ladung mit den Rhedern verhandeln, es gab neue Anmusterungen zu besorgen, – endlich mußte das Schiff ins Dock gebracht werden, weil es gar zu stark »angewachsen« war.

»Ganze Buschen sitzen an'n Boden, daß man das Schiff gar nich mehr durchs Wasser schleppen kann,« erzählte Hartig seinem ältesten Neffen, der immer um ihn herum war. »Weißt nich, was das is? Na, Ihr könnt uns 'mal morgen an Bord besuchen, mit alle Mann hoch. Wat seggst Du, Kaptein?« Er schlug seinem Schwager kräftig auf die Schulter. Ein weniger gedrungener Mann als Tönnies wäre wohl unter der Liebkosung zusammengeknickt. Der aber wandte sein braunes Gesicht lächelnd herum, »all right, wenn Onkel Holert Euch da traktiren will?«

»Ho, das wollen wir woll kriegen! Was Hinrich?«

Hartig war den Kindern gegenüber von unerschütterlicher Munterkeit. Sie waren seine Lieblinge, denn zu ihnen durfte man freundlich sein, ohne daß es aussehen konnte, als »würfe man mit der Wurst nach dem Schinken.« Sie vergaßen zu danken, wenn er ihnen etwas schenkte, aber sie sprangen vor Freude, wenn er sie mitnahm oder 45 sich sonst mit ihnen beschäftigte. Dagegen war der Riese machtlos. Auch heute war großer Jubel. Frau Tönnies strahlte mit ihren Kindern um die Wette. Ein Besuch an Bord der »Maria da Gloria« gehörte zu den seltenen Genüssen ihres einfachen Lebens, aber unerbeten, ganz von selbst mußte es kommen. Darin war sie wie ihr Bruder. »Wenn ich das Papa sag', und nachher is ihm das nich recht, und er sagt am Ende doch ja, weil er uns das nich abschlagen mag, denn is mir das furchtbar unangenehm; ich thu das ja tausend gern, und die Kinder sind da ja ganz auf versteuert, daß sie ihrem Papa sein Schiff besehn wollen, aber den Mund mag ich mir da nich um verbrennen.« Frau Tönnies graute vor der Möglichkeit des »Mundverbrennens« ebenso sehr, wie ihrem Bruder vor dem Fußfall; man sah es auch ihren Lippen an, sie waren immer ein bißchen schmal zusammengedrückt, was ihrem sonst so offenem Gesicht einen ängstlich-vorsichtigen Ausdruck gab. Nun aber legte sie mit großer Genugthuung die Ausgehkleider der Kinder zurecht und prüfte ihr eigenes neues Schwarzseidenes, das, wie sie lobend hervorhob, so »dick und so hart wie'n Brett sei, was den Stoff anbetreffe.«

Hartig Holert guckte gedankenlos mit in den 46 Kleiderschrank; auf einmal aber bekamen seine Augen Leben. Er faßte mit der breiten Hand vorsichtig in die Ecke des Schrankes und brachte zwischen Daumen und Zeigefinger ein zierliches, spitzenbesetztes Sonnenschirmchen mit einem weißen Griff heraus, auf dem ein goldenes M. D. glänzte.

»Halloh!« sagte er, und eine Art von Rührung, von Wiedersehensfreude lag in dem Ausruf.

Frau Tönnies nahm ihm das kleine Ding mit ängstlicher Eile ab. »Herrjes, Hartig, brich man bloß den Schirm nich kaput. Der hört Fräulein Dehn zu.«

Hartig fuhr von dem Schrank zurück und schüttelte erschrocken seine Hand. Ob im Ernst oder Scherz, das war seinem Gesichte nicht anzusehen.

»So is dat! Na, kannst es je man gleich sagen, Stine.« Und mit großen Schritten machte er sich aus dem Staube. Die Treppe knarrte unter seinem Gewicht. Plötzlich schien seiner Schwester ein Einfall zu kommen.

»Hartig hör doch 'mal!« Obgleich er schon auf der vierten Treppenstufe hielt, reichte sein großer heller Kopf doch noch bis in den dämmrigen Vorplatz, als er sich umwandte.

»Na, Stine, min Deern?«

47 »Du, ich denk' eben, sie hat ihn hier vergessen, aber nu braucht sie ihn am Ende – Du bist ja bei Inspektor Dehn bekannt.«

Hartig sah sehr einfältig drein. »Ja, denn laß sie ihn man holen. Wat geiht mi dat an?«

»Kannst ihn nich mit hin nehmen, Jung?«

Holert kam eine Stufe näher. »Ja, das wär' nüdlich, Stine, ich nu so mit'n seidenen Sonnensegel überm Kopf! Haben Sie sonst noch Smerzen, Madam?« Er lachte, daß die Bruthenne, die im oberen Bodenraum auf ihren Eiern saß, vor Schrecken vom Nest flog und laut gackerte. Frau Tönnies lachte auch, wollte sich's aber nicht merken lassen.

»Achhott Jung, wenn ich ihn Dir nu fein in Seidenpapier einwickel', und Du gibst ihn bloß ab?«

Holert wurde ernst. »Stine, Du büst je woll 'n beten dull! Wat hew ick mit so'n Kram to kriegen? Mit den Inspektor dor heet dat: goden Dag und goden Weg.« Er zog mit der Hand eine schnurgerade symbolische Linie zwischen sich und dem Inspektor durch die Luft. »Adjüs, Stine!«

Er ging aber nicht, sondern wiegte sich, die Hände in den Taschen, auf den Zehenspitzen auf und ab.

Seine Schwester stellte sich ganz mit dem 48 Gesicht in den Schrank hinein und strich an ihrem seidenen Kleide herum.

»'n kleine nüdliche Deern is das so weit, Hartig.«

Der Seemann legte die Hand ans Ohr und kniff ein Auge zu. »Wokein, Stine?«

»Herrjes, Jung, Inspektor Dehn seine Tochter.«

»Er hat ja drei Stück, Deern.«

»Ach, Hartig, die zwei andren gehn ja noch in Schule.« Frau Tönnies sprach beharrlich in den Kleiderschrank, so daß ihre Stimme einen dumpfen fernen Klang bekam.

Hartig Holert rüttelte am Treppengeländer und pfiff gedankenvoll vor sich hin.

»Du, Jung, ich glaub, sie mag Dich leiden.« Der Steuermann brach in ein heftiges gezwungenes Lachen aus.

»Wat Du klok büst.«

»Ich glaub' das ganz gewiß.« Stine hätte ihre Mittheilung unterstützen können, wenn sie zu Hartig hingegangen wäre und den Arm um seinen Hals gelegt hätte, – aber sich mit seinem Bruder handgemein machen, das war in ihrer Familie keine Mode. Er schien auch schon übergenug von 49 der Vertraulichkeit zu haben, denn er machte ein paar Schritte treppabwärts. Doch kehrte er noch einmal um und sagte obenhin: »Na, heb den Schirm man gut auf – wenn die Gören bei den Schrank gehn –«

Frau Tönnies warf sich in die Brust: »Meine Gören sollten bei meinen Kleiderschrank gehn? Der is ja immer zugeschlossen.«

Der große Mensch sah vor sich nieder. »Sonst, wenn er da am Ende nich sicher steht – –«

»Herrjes, setz' Du ihn weg!« rief die Schwester erfreut, und eilig wollte sie ihn ihm in die Hand drücken. Aber, sei es, daß er aus Verlegenheit nicht zugreifen mochte, oder daß ihm das Ding zu zerbrechlich aussah, – das Schirmchen fiel zu Boden, und der hübsche weiße Griff mit den goldenen Anfangsbuchstaben sprang entzwei. Frau Tönnies schlug die Hände zusammen, Hartig wurde blaß und blickte hilflos auf das Unheil. Dann sah er seine Schwester an, und eine rothe Wolke zog über seine ungebräunte Stirn.

»Bün ick dat west?« murmelte er sehr erschrocken. »Is dat lüttje nüdliche Dings ganz entzwei?«

Er getraute sich nicht, die Stücke aufzusammeln, Frau Tönnies that es und stieß dabei bedauernde 50 Seufzer aus. »Er stand da nu so gut! hätt' ich ihn doch stehn lassen!« Dann, als sie ihres Bruders reuevolle Miene sah, der den Kopf hängen ließ, als sei ihm ein Unglück widerfahren, richtete sie sich stramm auf: »Dat kann woll wedder makt warr'n. Komm, mein Jung, bring ihn man miteins hin! Bei Klintwort im Laden, oben in der Hauptstraße.« Sie suchte hastig ein Papier hervor.

Der Seemann stand noch eine Weile bedenklich und kopfschüttelnd. »Ick wull dat nu recht good maken, und nu mutt mi düt passiren.« Die Schwester schob ihn das Päckchen untern Arm. »Je, denn mutt ick da je nu doch woll mit los.« Seufzend und mit spitzen Fingern trug er das verhängnißvolle Packet in seine Kammer.

»Tönnies,« sagte abends die Kapitänsfrau, als sie mit ihrem Mann allein war, »is es Dir recht, wenn ich morgen die kleine Dehn mitnehmen thu'? Sie hat mich da all immer um gebeten.«

Der Kapitän nickte bereitwillig. »Ein Frauenzimmer mehr oder weniger, da kommt es denn auch nicht auf an. Und Dehn seine is 'n kleine hübsche Deern, das bringt Glück an Bord.«

Frau Stine räusperte sich: »Wenn das so meinem Bruder seine Frau werden thäte, Tönnies?«

Der Mann lachte. »Aha, nu soll der auch 51 dran glauben. Je, hör' 'mal, Stine, er sagte neulich, er hätte schon 'ne Braut.«

»Wo kann's angehn!« Die Frau wurde roth vor ärgerlicher Ueberraschung. Sie wollte es durchaus nicht zugeben. »Er hat da woll man sein' Putzen mit betrieben; er kann das so natürlich machen, als wenn das sein Ernst is, und denn nachher is' doch man all 'n Jux gewesen.«

Das nahm nun der Kapitän beinah krumm, daß Hartig Holert, der so gar nicht smart war, ihn hätte zum Narren haben können! »Stine, was ich Dir sag', er hat da 'ne Photographie in seinem Taschenbuch und beguckte sie gerade sehr genau, als ich in seine Kammer kam.«

»Hast Du sie denn gesehn? Wie sah sie denn aus, Tönnies?« Stine rückte unruhig näher.

«Je, zeigen wollt' er sie ja nich, e is ja so'n ollen Dwarsdriever, de ümmer na sin eegen Kopp gahn mutt. Als ich da mehr von wissen wollte, sagte er, die Sache wär' nämlich, die Braut wüßte da noch gar nichts von ab, aber mit ihm wär' allens in Richtigkeit.« Die Gatten lachten um die Wette.

»Wenn Du auf der Maria da Gloria 'n 52 Heirathskontor einrichten willst, denn such' Dir man 'n ander Paar aus – Din Broder hett all sin Bekummst,« meinte Tönnies.

»Ehe er die drei Reifen nich hat, eher heirath' er nich,« sagte Stine zuversichtlich, »dafür kenn' ich ihn.«

»Denn ward he woll sitten blieben, – he hett dulle Küren.« Mit einem bedeutsamen Gähnen unterbrach der Kapitän die Unterhaltung. – –

Am andern Morgen wanderte ein langer Zug, Frau Tönnies mit allen Neunen, nach dem Pinnasberge am Hamburger Hafen, um Fräulein Dehn abzuholen. Der Kapitän und der Steuermann, die schon um sieben Uhr früh nach Hamburg gefahren waren, wollten sie auf den Vorsetzen an der Landungsbrücke treffen, wie die Kinder dem jungen Mädchen jubelnd entgegenschrieen.

»Erst sind wir mit 'n Stader Dampfer von Blanknese 'rausgefahren, und nu fahren wir mit der Ringbahn nach'm Steinhöft, und denn fahren wir mit 'n Fährdampfer nach'n Dock auf'n Reiherstieg 'rüber! Mit drei Dinger fahren wir heute, Tante Manga!«

»Junge, das is fein!« rief Klaus und schnalzte mit der Zunge.

53 »Ja, ich freu mir da auch recht zu,« sagte der kleine stämmige Jasper mit bedächtigem Händefalten.

»Jasper Dickwust!« lachten und spotteten die Kinder und tanzten um den drolligen Kleinen herum.

Manga Dehn war fast ebenso wirbelig wie die Kinder. Sie sagte nicht viel, aber in ihren braunen Augen sprühten helle Goldpünktchen, und ein lebhaftes Rosenroth färbte die runden Wangen. Im Nu hatte sie ihr graues Hauskleidchen abgestreift und das blumige, helle übergeworfen. Ein weißer Strohhut mit einer schönen Straußenfeder, die einmal ein seefahrender Onkel direkt aus Afrika mitgebracht, deckte den glänzenden Flechtenknoten; die weiße Stirn mit den krausen braunen Löckchen war frei.

»Wie süß von Ihnen, daß Sie mich mitnehmen wollen!« Manga umarmte Frau Tönnies, aber die Sache gelang nur zur Hälfte; die Gegenbewegung fehlte, Stine war nicht impulsiv.

»Na, fragen brauchen Sie gar nich, ob Sie mit dürfen, nich?« sagte sie etwas abwehrend. »Ihr Papa is im Kontor und Ihre Schwestern in Schule, 54 und das Mädchen kocht das Mittagessen! Süh so, Fräulein Dehn kann woll lachen.«

Manga entschuldigte sich sehr wegen ihrer bequemen Verhältnisse. »Schön soll es sein? Furchtbar langweilig ist es, Frau Tönnies! Aber ohne Mädchen, das will Papa nicht, dann wär' ich ja ganz allein.«

Das halbdunkle, steifmöblirte Zimmer war kein richtiger Hintergrund für die helle mädchenhafte Gestalt; das fiel wohl auch Frau Tönnies auf. Sie musterte bedenklich das sommerliche Kleid.

»Herrjes, so hell sind Sie? nee, ich bin ganz dunkel, ich bin immer für das Praktische. Ziehn Sie man lieber 'n Regenmantel über, auf den alten Fährdampfern is das immer furchtbar schmutzig, nichts wie Sott

Das junge Mädchen ließ die Lippe hängen; schönes Wetter, eine liebe Begegnung in Aussicht, und dazu – einen Regenmantel! »Ich nehm' ihn übern Arm,« sagte sie mit abbittendem Lächeln, – »und nun noch den Sonnenschirm!«

Frau Tönnies wurde verlegen. »Je, mitgebracht hab' ich ihn nich,« platzte sie heraus, »weil –«

Aber natürlich nicht! Wer konnte Frau 55 Tönnies so etwas zumuthen! Fräulein Dehn war ganz entsetzt bei dem bloßen Gedanken daran und sah durchaus keine Nothwendigkeit ein, den Sonnenschirm fürs erste wieder zu bekommen.

»Nehmen Sie meinen so lange,« bemerkte die Frau, die von der Vorstellung des zerbrochenen Schirms gepeinigt wurde, und durch dies Anerbieten, das natürlich nicht angenommen ward, einen wahren Dankeswirbel in der bewegten Seele des jungen Mädchens verursachte.

Mietje zwischen den zwei Erwachsenen, Jasper zwischen den ältesten Kindern, die fünf anderen im Gänsemarsch hinterdrein, so langten sie endlich bei den Männern an, die mit etwas genierten Gesichtern den Hut zogen.

»Mama, Onkel hat zwei große weiße Tüten, da sind gewiß Kuchen in,« flüsterte Anna.

»Rohmtorten,« sagte Jürgen in Phitjes Ohr. Ein erwartungsvolles Lächeln sprang von einem Kindergesicht aufs andere über. »Jasper, Dickwust, zieh Deine Beine 'n büschen nach, Onkel hat Rohmtorten.«

Kapitän Tönnies begrüßte Fräulein Dehn mit viel Galanterie, trat sofort an ihre Seite und nahm 56 sie, lebhaft sprechend und lachend ganz in Beschlag. Nach den Kindern sah er nicht viel hin – auf der Straße und vor Fremden fand er oft, daß neun Kinder zu haben doch ein bißchen unschicklich sei. Hartig war halb durch Tönnies', halb durch eigene Schuld weit hinten geblieben und steckte mit befangener Miene seiner Schwester die Kuchentüten zu: »Nu trag' Du sie man, nu mag ich das nich mehr.« Und dann flüsterte er, ganz beklommen: »Du sag' ihr man nich, daß ich ihren Schirm kaput gemacht hab', sonst geh ich direkt nach Hause.«

Beim Einsteigen ins Fährboot waren Tönnies und Manga Dehn die ersten; sie saßen schon auf den niedrigen Holzbänken, über deren Unsauberkeit der Kapitän eine laute Rede hielt, als die übrigen dazu kamen. Hartig mit Mietje auf dem Arm warf einen kurzen unmuthigen Blick auf Tönnies' glänzendes Antlitz, dann stellte er sich am entgegengesetzten Ende des kleinen Dampfers mit dem Rücken gegen die Maschine und sah starr in das gelbgraue Wasser, das hier und da von schwimmendem Petroleum in allen Regenbogenfarben spielte. Hinrich stand neben ihm, aber heute bekam er nur kurze Antworten. Er folgte mit den Augen einem winzigen Fahrzeuge, das schnell wie ein summender Käser mit rothstreifigen Flügeldecken zwischen 57 den massigen schweren dunklen Schiffskörpern dahin schoß.

»Guck 'mal, Onkel, so'n kleine Petroleumbarkaß', die möcht' ich woll haben, kost' man 12 bis 15000 Mark, sagt Papa.« Und als der sonst so freundliche Hartig stumm blieb, verstummte auch der Knabe, bis das Boot am Werftplatz landete. Immer noch war der Kapitän mit dem Fräulein voran – Manga aber verlangsamte zuweilen ihren Schritt und schien nur mit halbem Ohr zu hören. Sie blickte nicht mehr so munter wie vorhin; oft wandte sie den Kopf. »Ihre Frau ist so weit zurückgeblieben, wir müssen wohl 'n bißchen warten.«

»Ach, Stine läuft mir nicht weg,« lachte Tönnies, »die Frauenzimmer sind anhängliche Geschöpfe, kommen Sie man.«

»Die kleinen Kinder –« begann das Fräulein und sah sich abermals um.

»Die sind auch an Brot gewöhnt, die wollen woll zulaufen, go ahead, go ahead!« Er machte eine seiner kurzen energischen Kopfbewegungen, die sowohl ihr wie den Kindern galt. Das Mädchen gehorchte mechanisch, mußte auch, um Tönnies Worte zu verstehen, dicht neben ihm bleiben. Denn 58 der ohrenbetäubende Lärm, der von den vielen Ambossen, besonders aber vom Maschinenhause hertönte, zerriß die Unterhaltung, wenn man sich nur ein wenig voneinander entfernte. Dazu zwangen die Schienengeleise, die quer über die Arbeitsstätte liefen, die aufgestellten Maschinen in vollem Betriebe, die Eisenplatten und Schraubenschäfte, die den nassen Boden bedeckten, fortwährend zum Ausbiegen, Sichbücken, Zurseitespringen. »Wir machen das so,« sagte der Kapitän zuletzt und zog Manga Dehns Arm, den er schon längere Zeit festgehalten, durch den seinigen, ohne die allerliebste Schmollmiene der Kleinen zu beachten. »So können Sie nich fallen und mir nich auskratzen, was Sie, glaub' ich, furchtbar gern möchten. Nu, Augen geradeaus, da haben wir die »Maria da Gloria«, da steht sie, frei auf den eisernen Schlagbetten, – en anständiger Kasten, was?«

Beim Anblick des riesigen, in frischem rothem und schwarzem Anstrich leuchtenden Dampfers, der sich wie ein hohes Haus vor ihren Augen aufbaute, brachen die Kinder in ein verwundertes Jubeln aus. Nun blieb auch der Kapitän stehn und lachte den Nachkommenden entgegen: »Na, wie gefällt Euch das junge Brautpaar?« sagte er mit einem schadenfrohen Blinzeln zu Hartig hinüber, indem 59 er Mangas widerstrebenden Arm mit Herausforderung fester unter den seinen schob.

Frau Tönnies nickte süßsäuerlich. »Süh, das is ja nett, denn bin ich woll ganz ausgethan?« Es sollte ein Scherz sein, aber er wäre ihr besser gelungen, wenn das junge Mädchen nicht das helle Kleid angehabt hätte, – sie sah ein bißchen zu niedlich aus. Hartig Holert aber, mit vor Unmuth wetterleuchtender Stirn, wandte die Augen ab, als ob ihm der Augenblick weh thue.

»Komm, Hinrich, Du wolltest ja sehen, was an so'n Schiff anwächst, guck, hier liegt es noch, all die röthlichen Dinger, Seepocken heißen sie.«

Er nahm den Jungen an die Hand, und der ganze Zug marschirte rund um den Kiel, zuletzt drunter durch, um die Kalkgehäuse aufzusammeln, die muschelartigen feingerippten Zapfen, die den Kupferboden des Schiffes bedeckt hatten und nun abgekratzt worden waren. Mit einem plötzlichen Entschlusse, der ihr alles Blut ins Gesicht trieb, zog Manga Dehn ihren Arm aus dem des Kapitäns und trat zu den Kindern.

»Zeigt mir das auch 'mal, bitte, Hinrich.«

Tönnies that, als wolle er sie wieder einfangen: »Fräulein Dehn, wahren Sie sich bloß vor meinem Steuermann,« warnte er laut.

60 »Warum?« rief das junge Mädchen, den Kopf aufwerfend, daß all die Löckchen um ihre Stirn bebten.

»O, das is'n böser Mensch, der is so furchtbar hinter den nüdlichen Mädchen her. Is' nich wahr, Hartig?«

»Gott sei Dank, nee!« brummte Holert mit grober Stimme, indem er die Handvoll Balanusschalen zurückzog, die er gerade dem Fräulein hatte zeigen wollen. In etwas gesunkener Stimmung gingen sie den Weg zurück, bis zu der Treppe, die über eine hohe, lange, frei in der Luft schwebende Brücke auf das Schiff führte. Stine trug Mietje, Hartig hob Jasper auf seinen Arm, der Kapitän, die Hände auf dem Rücken, marschirte voran, Manga Dehn führte Phitje und Jürgen und klammerte sich mehr an die Kinder, als daß es umgekehrt gewesen wäre. Als sie das Deck betraten, kam ihnen bellend und freudewinselnd der kleine graubraune fuchsköpfige Hund entgegen, den sie aus Südamerika mitgebracht hatten.

»Die Feuerländer Hunde bellen auch? Wie merkwürdig! Alle Hunde sprechen eine Sprache! Denk' 'mal, Mama.«

»Nu trinken wir 'mal erst Kaffee,« sagte der Kapitän, der mit dem Betreten seines 61 schwimmenden Hauses auch die Vaterrolle wieder aufnahm, »nu man alle in den Speisesaal; Stine, gib den Kuchen her, der Steward kann ihn auf'n Teller legen.«

Hartig schmiß eine Tüte klatschend auf den Tisch, Tönnies lachte spöttisch und mißbilligend. »Was spielst Du denn heute für 'n Zwickel?« sagte er halblaut zu ihm.

Ein breites: »Lat mi in Ruh'« war die Antwort. Verstohlen blickte er dabei nach dem Mädchen, das die Schlingpflanzen auf dem Marmortischchen bewunderte und sich gleichzeitig vor dem Spiegel, den die grünen Blätter einrahmten, den Hut abnahm und das Haar glättete.

Plötzlich hörte er ihre Stimme in ganz ergriffenem Tone sagen: »Bitte, was sind denn das für Gewächse, Herr – Herr Holert?«

Er blinzelte heftig vor Ueberraschung, sein Gesicht erhellte sich. »Sweet potatoes, Fräulein Dehn,« sagte er unbehilflich über die Schulter weg.

Manga steckte einen losgegangenen Zopf fest. »Sehn Sie 'mal, kommen sie aus diesen Knollen?«

Nun mußte er doch an ihre Seite treten. »Ja, da wachsen sie 'raus, und denn so hoch.« Beide 62 erhoben die Augen und erblickten sich nebeneinander im Spiegel, beide mit erröthenden, frohbeklommenen Gesichtern. Einen kurzen, verrätherischen Augenblick sahen sie sich in die Augen, prüfend, vorsichtig.

Da schlug Kapitän Tönnies seinem Schwager von hinten auf den Rücken. »Junge, verguck' Dich nich! Fräulein Dehn, lassen Sie sich nichts weismachen, he lüggt

Der Steuermann sah Tönnies ins Gesicht, als könnt' er ihn erwürgen. Sein Humor war ihm gänzlich abhanden gekommen. Es war gerade keine Liebkosung, was er murmelte, wie er bei Seite trat.

»Pfui, Kapitän Tönnies,« sagte Manga leise, »das ist gar nicht nett von Ihnen. Herr Holert hat es übel genommen.«

Diese Vorstellung amüsirte den kleinen braunen Mann außerordentlich. »Nu ward' good! nu krieg' ich noch Ausschelte zu! Was ich Ihnen sag', Fräulein, der Mann is gefährlich! Wenn er so steht und die Zunge im Mund hält, – denn is das viel ärger, als wenn ein Anderer Ihnen den Syrop fingerdick aufstreicht, glauben Sie mir.«

Der Kaffee erschien, hereingetragen von einem freundlich grinsenden jungen Mulatten, über dessen 63 Anblick die Kinder fast die Rahmtorten vergaßen. Fräulein Dehn setzte sich dicht neben Frau Tönnies mit dem unerschütterlichen Vorsatz, ihr nicht wieder von der Seite zu weichen, ein Vorsatz, der in Gestalt eines kleinen trotzigen und kampfmuthigen Lächelns gegen den braunen Kapitän beständig um ihre rothen Lippen schwebte und sie für Hartig zu einem reizenderen Anblick machte als je.

Tönnies war sehr liebenswürdig nach rechts und links. »Stine, Dein Kaffee schmeckt besser, alles was recht is,« bemerkte er zu seiner Frau. »Junge, bedien' Dich, Du weißt ja selbst, daß es bezahlt is,« damit schob er seinem Schwager den Kuchenteller zu. –

»Das haben wir schon wieder 'mal gehabt,« seufzte Stine, als sie sich erhoben. Mit aufmerksamen Blicken, wie um sich alles recht einzuprägen, ging sie umher. Der Kapitän hatte sich allmählich zu ihr gefunden. »Ich muß auch 'mal in Deine Kammer, Tönnies,« sagte sie sanft.

»Ja, das thu' Du man, da find'st Du 'n ganze bekannte Gesellschaft.« Er öffnete die spiegelblanke Thür und zog sie mit sich herein. Manga sah das Ehepaar vor dem bankartigen Sopha stehen; die Wand darüber war ganz mit Photographien bepflastert.

64 »So sahst Du damals aus, Stine.«

»So sah ich damals aus.«

»Und das kriegte ich mit auf meine Hochzeitsreise, die ich man leider allein machen mußte.«

»Und da bist Du als Bräutigam.«

Leise schlich das junge Mädchen von der Thür weg und zog ein paar der Kinder mit sich, die hinein gewollt hatten.

»Scht! Papa und Mama, haben 'was zu sprechen.«

Bald aber wurde sie gerufen: »Fräulein Dehn, gucken Sie 'mal, da war Hinrich zwei Jahr, sieht er nich ganz aus, wie Mietje jetzt?« Und der Kapitän hielt sein jüngstes Kind auf den Armen und wiegte es auf und ab, und Stine verglich es mit der Photographie.

Inzwischen schlenderte der Steuermann auf dem Deck umher und witschte alle Augenblicke in seine Kajüte. Dort auf dem festgeschrobenen Tischchen lag ein Packet, ein Gegenstand in rosa Seidenpapier gewickelt, länglich schmal. Den mußte er immer betrachten, betasten, – zweimal hatte er ihn schon draußen gehabt, ihn aber immer wieder zurückgetragen. Als er das geheimnißvolle Etwas wieder einmal mit zärtlichen und doch scheuen Blicken liebkoste, stolperte Anna herein und wollte 65 durchaus wissen, ob das etwas Mitgebrachtes für sie sei. Mit desperater Miene drängte er das Kind hinaus und verschloß die Kammer hinter sich, – den Schlüssel versenkte er tief in die Tasche. Anna betrachtete ihn aufmerksam: »Onkel, Du hast heute immer 'n rothen Kopf, und Tante Manga hat auch 'n rothen Kopf, – ich weiß aber woll warum!« setzte sie mit schlauem Gesicht hinzu.

Ungnädig schob der Mann die Kleine beiseite: »Klooksnut

»Ich weiß es doch! Ich weiß es doch! Von Tante Manga weiß ich es doch! Etsch, etsch, Tante Manga!« Sie umsprang das Fräulein, das zufällig herangekommen war und eine Belehrung über den Schraubenschaft haben wollte, dessen Tunnel drunten im Schiffsraum aufgedeckt lag, weil daran gearbeitet wurde.

»Ich weiß, warum Du so'n rothen Kopf hast!« schrie ihr das Kind entgegen, »soll ich es 'mal sagen?«

»Komm, Du bist unartig!« Aber es war vergebens, daß ihr der Mund zugehalten ward. »Weil Du all den Rohm in Deine Tasse gegossen hast, und weil Onkel gar nichts gekriegt hat, kein büschen Haut,« rief Anna mit vor Bosheit funkelnden 66 Augen. Aber nun setzte es einen Klapps. Wenn Hartig einmal zuschlug, geschah es nicht allzu sanft, – weinend zog sich der Naseweis hinter einen der Ventilatoren zurück, die wie Riesentrompeten aus dem Deck aufragten.

»Hab' ich Ihnen wirklich alles weggenommen?« fragte Manga und machte ein ganz verlegenes Gesicht. Aber der Steuermann ging gar nicht auf den Unsinn ein.

»Nee, Fräulein, das kriegen wir woll, fallen Sie bloß nicht über den Kohlenbunker! Je, was ich sagen wollte, möchten Sie nich mal mitfahren?« Der bewegte Ton sagte viel mehr, als die Worte.

»O, Herr Holert –« sie legte die Hände zusammen.

»Wollen Sie mal das Navigationszimmer sehen? Ach – aber das kennen Sie ja alles! Na, schad't nix – sehn Sie, hier sitzt man oft eingesperrt, fünf, sechs Tage, Tag und Nacht, wenn wir Nebel haben auf der Nordsee oder im Kanal, oder wenn sonst schlechtes Wetter is. Und schlecht Wetter is ja Gott sei Dank oft, sonst wär' es auch zu langweilig.« Er lächelte sanft, während er seine große Gestalt kampfbereit reckte. Dann schlug er die Augen nieder. »Die Sache is man, so lange einer nich als Oberster auf der Kommandobrücke 67 steht, so lange darf er ja nich seinen Mund aufmachen.«

»O darum –« fiel Manga ein. Ein dankbarer Blick traf sie warm und verwirrend.

»Und sehn Sie, Fräulein, das kommt ja vor, daß einer kein Glück hat und bleibt sein Lebelang auf denselbigen Stand bestehn –«

»Harrijees!« erscholl plötzlich die joviale Stimme des Kapitäns, »der is all wieder bei dem jungen Mädchen! Nu guck einer den Steuermann an, der hat's hintern Ohren, dat segg ick ja.« Stine wollte ihren Mann zurückzupfen, aber er ließ sich nicht halten. »Nee, laß mich doch, jetzt muß der Fuchs aus'm Loch heraus! Fräulein Manga, soll ich Ihnen 'was sagen? Ihnen geht er mit Rohmtorten unter die Augen und spielt hier Musche Nüdlich, sowie man den Rücken dreht, und in seinem Taschenbuch auf dem wärmsten Platz hat er ein Bild von –«

»Halt Deinen Mund, Kaptein!« rief Hartig drohend und fäusteballend.

Tönnies rümpfte die Lippe: »Hier bin ich Herr, min goode Jung! Kannst keinen Spaß verstehn, Stüermann? Ja woll, Fräulein, er hat 'ne Braut, thun Sie man nich, als wenn Sie mir dafür den Kopf abreißen wollten.«

68 »Du lügst ja,« sagte Holert mit weißen Lippen.

»Hartig, mußt nich!« bat ihn seine Schwester. »Wenn es nich wahr is, denn zeig' doch 'mal das Bild in Deinem Taschenbuch!« reizte der Kapitän.

Hartig unterdrückte einen Fluch. »Es is ja man Spaß gewesen.« Er versuchte zu lachen.

»Dat segg ick ja, Tönnies,« fiel ängstlich die Frau ein.

»Spaß? Na, denn zeig' doch das Bild!« Hartig warf einen flehenden Blick nach dem jungen Mädchen, aber Manga guckte über den Schiffsbord nach dem Werftplatz, als gehe sie nicht im geringsten an, was hier gesprochen wurde.

»Dat muchst Du woll, – ward aber nix ut!«

»Denn zeig' es Fräulein Dehn mal!« höhnte der Kapitän. Das Mädchen wendete sich halb gegen sie.

»O meinetwegen sollen Sie sich nicht bemühen.« Eine hastige kleine Handbewegung nach der Uhr: »Ich muß auch wohl nach Hause, sonst kommt Papa früher als ich zu Tisch.«

»Ja, so bei kleinem müssen wir auch woll –« begann Stine niedergeschlagen. Die großen starren Augen der Kinder, die wohl auch fühlten, daß hier aus dem Scherz Ernst geworden war, trieben sie zum Aufbruch.

69 Manga Dehn ging eiligen Schrittes hinunter in den Speisesaal, wo noch ihr Hut lag. Auf der Treppe sah sie sich ein ganz klein wenig um, ob ihr niemand folge, doch war keiner zu sehen. Sie schluchzte ein-, zweimal, rieb heftig ihre Augen, drückte sich den Hut auf den Kopf und stieg wieder aufs Verdeck, geblendet von der Sonne, wie es schien, denn sie hatte nun die Krämpe tief in die Stirn geschoben. Diesmal hatte sie nicht in den Spiegel gesehen. Der Kapitän und seine Frau schienen inzwischen auch eine kleine Auseinandersetzung gehabt zu haben, Tönnies sah nicht ganz so selbstgewiß aus wie gewöhnlich, und auf Stines Backen brannten zwei hochrothe Flecken.

»Danke vielmal! Danke für alles,« sagte Manga herantretend. Ihre forschenden Augen hatten schon bemerkt, daß die Hauptperson verschwunden war. »Nun will ich den Regenmantel überziehen. Danke, Herr Tönnies, Sie brauchen mir nicht zu helfen, ich kann ganz allein.« Auch die Rückbegleitung über den Werftplatz verbat sie sich. Sie finde schon allein zurück und wolle Frau Stine nicht hetzen. Sowie sie freie Bahn vor sich sah, brachen die Thränen hervor, aber zwischen den schwarzen, sie neugierig anstarrenden Schiffsbauleuten schluckte sie tapfer hinunter, was ihnen hätte auffallen 70 können. Auch auf dem Fährboot galt es, sich zusammennehmen, und nun gar zu Hause, wo der Vater mit ihr zusammen eintraf. Und dann waren die Schwestern da, und sie mußte ihnen bei den Schularbeiten helfen und mit ihnen Puppenzeug nähen. Erst als alles in der Wohnung schlief, hätte sie Zeit zum Weinen gehabt, aber da war der erste Kummer vorbei, und ganz andere Gedanken kamen ihr, die gar nicht traurig waren. Sie wollte den Mann, den sie nun einmal lieb hatte, lieb behalten, das schwor sie sich zu mit gefaltenen Händen. Er würde doch nicht schlechter darum, weil er eine andere liebte? Und am Ende ist es nicht einmal wahr, dachte sie zuletzt in neu erwachender oder nie ganz erstorbener Hoffnung. »Wenn einer von den beiden gelogen hat, warum soll es gerade Hartig gewesen sein, der so offene Augen hat, wie ein Knabe, und der überhaupt der allerbeste Mensch ist, den ich kenne! Kapitän Tönnies dagegen ist durchaus nicht so nett, wie ich immer gedacht habe, und wenn er doch 'mal mein Schwager werden sollte« – hier mußte Manga Dehn über sich selbst lachen, und so kam es, daß auch die letzte Spur der Thränen von ihren Wimpern verschwand, und daß der Morgen ein heiteres 71 Gesichtchen vorfand, dem die warme Innigkeit einen vertieften Reiz verlieh.

Die Frauen wissen sich eben am besten mit der Liebe abzufinden. Lieben sie nicht für einen andren, so lieben sie für sich und sind glücklich dabei, wenigstens in der Jugend. Die Männer dagegen –

»Wo ist Onkel?« riefen die Kinder, als sie zögernd und unwillig von dem schönen Schiffe Abschied nehmen sollten. »Wo ist Onkel Hartig geblieben?« Und sie guckten in den Maschinenraum, den der Schornstein, bis auf einen Gang rund herum, mit seinem großen rothen Schmerbauch ausfüllte, in das Rauchzimmer mit den bequemen Ledersophas, ja sogar in die luftige, aus Sparren zusammengeschlagene Fruchtkammer auf dem Halbdeck und in die schwarzen Kohlenbunker. Plötzlich lief Anna mit der Miene eines horchenden Kobolds an seine Kammer und legte ihr Ohr ans Schlüsselloch, dann auch das Auge.

»Onkel hat sich eingeschlossen, er macht gar nicht auf! Der Schlüssel steckt inwendig, ich hab' es ganz deutlich gesehen,« berichtete sie, glücklich über ihre Schlauheit.

»Er hat woll 'was zu thun,« sagte die Mutter und trieb die Kinder vorwärts. Daß sie nicht 72 sehen konnten, was Hartig Holert zu thun hatte, war freilich gut. Längelang ausgestreckt lag er auf seinem niedren Bette und weinte wie ein kranker Säugling. Freilich besaß er mächtige Glieder und ein unerschrockenes Herz. Mehr als einmal war er in Lebensgefahr gewesen, – mit kaltblütiger Entschlossenheit hatte er schnell das Zweckmäßige erkannt und ausgeführt. Mit Gefühlen zu kämpfen, statt mit widrigem Winde, blindmachendem Nebel und brüllender See, das war er nicht gewohnt. Hier war er wehrlos.

»Wo is Onkel Hartig?« fragten die Kinder, als daheim, beim Abendbrot, sein Platz am Tische leer blieb und Stine schweigend seinen Teller bei Seite stellte. Es war nicht so heiter wie sonst; die Mutter saß still, und der Vater machte viele laute Witze, über die er nachher ganz allein lachen mußte, denn die Kinder verstanden sie nicht. Tönnies zog seiner Frau, da sie nicht hinhörte, alle Nadeln aus dem wollenen Gestrick und schlug Anna mit der halbfertigen Unterjacke um die Ohren, aber es half alles nicht, sie wurden nicht lustiger davon. »Wo ist denn eigentlich Onkel Hartig?« fragten den nächsten Tag und immer eindringlicher die Kinder, und schließlich kam es heraus, daß er sich in St. Pauli ein Zimmer für vierzehn Tage 73 gemiethet habe, – dann ging die Maria da Gloria wieder auf ihre weite Fahrt. Ueber den Grund zu einer so außerordentlichen Maßregel sprachen die Gatten nicht, aber der Kapitän wurde »quirrig«, und Stine hatte oftmals rothe Augen. Holert besaß ja ein eigenes Haus in Blankenese, – warum konnte er nicht dort wohnen, wenn er seinem Schwager aus dem Wege gehen wollte? Vielleicht, weil das Haus nur einige Treppen höher lag, als Tönnies', weil die Gärten beinahe aneinander stießen? Es war nur gut, daß Stine so wenig Zeit zum Grübeln hatte, – die bevorstehende Abreise hielt sie in Athem. Da gab es zu bessern, zu flicken, Strümpfe zu stopfen, vor allen Dingen zu waschen. Was sich in acht Monaten in der Wäschekammer des Kapitäns angesammelt hatte, es war unglaublich – zumal, da die Tropen täglich doppelt das frische Weißzeug verlangen. Das tanzte und blähte sich im Winde auf den Leinen an der Strandbleiche, das schimmerte in augenblendendem Weiß von dem kurzen Grase, das quoll immer von neuem aus der Waschbalje der zwei eifrigen Helferinnen hervor, das füllte die Umgebung des Hauses mit Seifengeruch 74 und feuchtem Qualm und brenzlichem Plättdunst, und immer war noch der Boden der Kisten nicht zu sehen, – der Kisten, denn der guten Schwester erschien es selbstverständlich, daß sie auch den Bruder versorgte, bis einmal eine junge Frau die Last auf ihre Schultern nähme. Und immer wieder, wenn sie an diese Zukünftige dachte, kehrte ihr Wunsch zu Manga Dehn zurück. An die Braut im Taschenbuch hatte sie keinen Glauben, und daß Hartig das besprochene Bild trotzdem nicht zeigen wollte, konnte sie ihm völlig nachfühlen. Freilich hätte er sich damit von all den halb scherzenden Anschuldigungen seines Schwagers sogleich reinigen können, aber – und darin theilte sie ihres Bruders Empfindung – wenn man einem Menschen gut ist, fordert man von ihm keinen Beweis der Ehrlichkeit. Das hatte Fräulein Dehn auch nicht gethan, Fräulein Dehn war überhaupt eine kleine fixe Deern, die so leicht nicht irre zu machen war – Fräulein Dehn – und mitten in diesen Gedankensprüngen, denen sich Stine überließ, während sie die blauen Tuchröcke und Westen ihres Mannes von der Zeugleine nahm – stand plötzlich Manga Dehn vor ihr auf der Bleiche und sah sie mit ihren klugen braunen Augen schelmisch und freundlich an.

75 »Herrjes, wo kommen Sie her!« rief Frau Tönnies in angenehmer Ueberraschung, »nee, mich müssen Sie nich angucken, ich seh' so aus!«

Das junge Mädchen begann trotz der Handschuhe beim Wäscheabnehmen zu helfen.

»Sind Ihre Herren schon wieder weg. Frau Tönnies?«

Sie hielt zwar den Beweis in Händen, daß dem nicht so war, aber ein ganz klein wenig Heuchelei ist doch am Ende keine Sünde. Ihre Ueberraschung war auch nur mäßig, als Frau Stine die Frage verneinte. »Mich wundert bloß, daß Sie über die Ankunfts- und Abgangszeiten der Dampfer von Ihrer Linie so wenig unterrichtet sind.«

Ja, wie sollte Manga Dehn das wissen? »Ist das der Beutel für die Kneifen, Frau Tönnies?« fragte sie eifrig »Mein Gott, was ist denn das für'n Riesenrock, der hier hängt? Das is ja 'n wahres Gebäude.«

Die Kapitänsfrau seufzte, während sie das unendlich lange und schwere Kleidungsstück aus blauem Tuch, mit Flanell gefüttert, sorgfältig befühlte.

»Gottlob, endlich is er trocken! Der hat 'n Gewicht! Na, wissen Sie nich, was das is, 76 Fräulein Dehn? Das is meinem Mann sein Südwester. Wenn das Wetter so recht furchtbar schlecht is, auf der Nordsee und in der Magelhanstraße, dann wird der angezogen! Wenn mein Mann so'n ganzen Tag auf der Kommandobrücke steht und die Seen man immer so auf Deck sprützen! Der is immer ganz steif von Sott und Seewasser, wenn er ihn mitbringt. Wissen Sie, wie meine Waschfrauen ihn nennen? Die sagen da bloß ›dat Undeert‹ zu, weil sie ihn so schlecht regieren können, da waschen sie immer mit zwei Mann an, 'n halben Tag. Und nu hab' ich noch so'n Aerger –«

Frau Tönnies brach plötzlich ab, das junge Mädchen von der Seite musternd, das spielend die Hand in den dicken weiten Aermel gesteckt hatte.

»Hat Ihr Bruder keinen solchen Rock? Haben den nur die Kapitäne?«

»Na, wenn Sie selbst von ihm anfangen, Fräulein Dehn, denn is das gut – ich dachte, das wär' Ihnen vielleicht unangenehm.«

»O, warum meinen Sie das, Frau Tönnies?«

»Ja, ich mein' man! Mein Bruder is ganz komisch seit dem Tag auf dem Schiff! Wir haben immer soviel von 'nander gehalten, aber nu – nich mit Augen kriegt man ihn zu sehen, und wenn er 'mal kommt, denn guckt er die ganze Zeit nach 77 der Uhr oder nach der Thür, immer als wenn da 'was 'reinkommen soll, und sprechen thut er nich soviel.« Die Frau that einen tiefen Seufzer. »Wenn sie man erst in Gutem wieder weg wären, man hat bloß sein Unangenehmes von den Mannsleuten.« Sie wischte sich die Augen.

»O, Frau Tönnies, Sie hatten sich doch so gefreut!« rief Manga mit sanftem Vorwurf.

Die Frau setzte die Arme in die Hüften. »Mein liebes Fräulein, Sie haben gut sprechen, Sie sitzen da nich so zwischen wie ich. Ich soll das doch man all bereißen, und ich thu das ja auch von Herzen gern, all die Jahre, was sag' ich, all die Jahren hab' ich das für meinen Bruder mit gethan.«

»Was ist denn passiert, liebe Frau Tönnies?« Das junge Mädchen legte ihr freundlich den Arm um die Schultern. Die Frau sah weinerlich zu ihr auf: »Gestern Abend – in vier Tagen wollen sie weg – kommt mein lieber Hartig angewackelt: ›ja, Stine, so und so, und eine Kiste Wäsche, die hab' ich rein vergessen, aber nu mach' man zu, daß Du sie noch gewaschen kriegst.‹ Rehrsch stand dabei: ›ick kunn mi rein dodärgern,‹ sagt sie, ›nu kummt de ook noch an mit sin ol Undeert, un ick kann nich, ick mutt op'n Süllbarg ut Waschen gahn.‹«

78 »Aber er muß den Rock doch haben,« fiel das Mädchen voll Eifer ein. Frau Tönnies schnäuzte sich bekümmert.

»Is all recht gut, aber das geht man nich. Erst stolpert er 'rum wie so'n Drömklas, und nu kommt er damit zu Gange. Die zwei Waschfrauen sind die ganze Woche versagt, und ich mit Kathrin haben noch reichlich zu plätten –«

»Aber was soll er denn in dem schlechten Wetter ohne den Südwester anfangen?« Mitleid und Unruhe spiegelten sich in Mangas zärtlichen Augen. »Er hat es doch nu 'mal vergessen –« sie erröthete und spielte mit einer Windenranke, die an der Dornhecke aufgeklommen war. »Frau Tönnies, bitte, lassen Sie mich das Unthier waschen.«

»Achhott, Fräulein Dehn,« rief die Kapitänsfrau und gab ihr einen kleinen Stoß, »schnacken Sie doch nich.« Aber das Mädchen sah sie voll liebreicher Entschlossenheit an. »Es ist mein Ernst, und Sie sollen sehen, daß ich es ganz gut machen werde. Wenn ich will, kann ich den ganzen Tag hier bleiben, Papa kommt nicht zu Tisch, und Bertha und Minna sind heute bei Großmutter eingeladen. Geben Sie mir nur ein altes Kleid und eine große Schürze – ist schon Feuer im Waschhaus?« Und mit eiliger Miene riß sie den Hut herunter. Frau 79 Tönnies sträubte sich sehr. »Wenn Sie doch helfen wollen, denn plätten Sie mit, denn wasch' ich den Rock,« sagte sie endlich.

Aber Manga Dehn schüttelte eigensinnig das Köpfchen. Nein, das Plätten verstand sie weniger, dagegen würde ihr's gar keine Mühe sein, den Südwester rein zu bekommen. »Mit dem größten Vergnügen,« wiederholte sie fröhlich, »o ich habe Kräfte, das wissen Sie nur nicht.«

Die Kapitänsfrau ließ sie endlich gewähren. »Ich denk' auch so,« sagte sie, »wenn Sie nu 'n Seemann geheirathet hätten, – Gott, es hätt' ja doch angehen können – und da wär' gerade keine Hilfe zu kriegen gewesen, dann hätten Sie das am Ende auch 'mal selbst gethan.«

Manga nickte aus Leibeskräften. Eh' eine Viertelstunde verging, stand sie, in ein Aschenbrödel verwandelt, im luftigen Waschhause und bürstete und seifte an dem ungebärdigen Kleidungsstück mit sprühenden Augen und dunkelrothen Backen. Sie hatte durch eine sinnreiche Vorrichtung die dicken Falten ausgebreitet vor sich, und wenn Frau Tönnies zuweilen nach ihr sah, freute sie sich, wie die »kleine fixe Deern« so gut allein fertig wurde. »Na, wenn das Hartig sähe,« sagte sie.

Die niedliche Wäscherin hielt inne. »Bitte, das 80 versprechen Sie mir, Ihr Bruder soll es nicht wissen! – Ist er schon öffentlich verlobt, Frau Tönnies?«

»Ach, glauben Sie doch den dummen Kram nich, Fräulein Dehn,« war die ärgerliche Antwort. »Hartig hat 'mal wieder Jux gemacht! Er is 'n großen Slöpendriwer

Ein befreites heiteres Lachen scholl hinter der Waschbalje vor.

»Was er nicht sagen will, das kriegt man, glaub' ich, nicht aus ihm 'raus.«

»Hat er Ihnen schon den Sonnenschirm wiedergebracht?« sagte die Frau.

»Den Sonnenschirm? Nein!« versetzte hocherstaunt das Mädchen. »Ich bin eigentlich deswegen hergekommen. Und den hat Herr Holert?«

Frau Tönnies fühlte nach ihren Lippen, sie hatte das Gefühl, sie sich verbrannt zu haben. »Na so,« sagte sie, schnell weggehend, und ließ die Kleine mit ihrer Arbeit und ihrem Grübeln zurück. Es war am Ende gar kein Grübeln zu nennen, so wenig wie ihr die schwere, anstrengende, langwierige Wäscherei eine Mühe deuchte. »Er hat meinen Sonnenschirm, und ich wasche seinen Rock,« weiter 81 war es nichts, und diese zwei nüchternen Sätze bedeuteten ihr gleichwohl einen wahren Abgrund von Seligkeit, und sie ward nicht müde, sie sich immer wieder vorzusagen.

Kaum gönnte sie sich Zeit zum Essen, als Frau Tönnies zu Mittag rief. Der Kapitän war zum Glück nicht da, so kurz vor der Abfahrt hatte er bis gegen Abend in Hamburg zu thun. Die Sonnenstunden waren heiß. Gerade aufs Waschhaus fielen die senkrechten Strahlen, und in den Blättern des Epheus, der das kleine weiße Bauwerk umrankte, rührte sich kein Lüftchen. Die Thür stand weit offen, über den Waschtrog hinweg sah man bei jedem Ausblick den glanzumflossenen bläulichen Strom, der hinauszieht, hinaus ins Meer, mit seinen großen breiten Wellen. Bald wird er auch die Maria da Gloria wieder dort hinuntertragen, und Kapitän und Steuermann werden an der rechten Stelle sein. Vor Blankenese wird die Dampfpfeife grüßen, die Mannschaft wird Hurrah schreien, – aber die Nachgebliebenen am Strande, die werden weinen. Das Mädchen fühlte ihre Augen übergehen. Sie mußte sie abwenden von der glitzernden Fläche, die so viel Frohsinn und Kraft gleichgültig weggleiten ließ in das rauhe, verrätherische Meer.

Ein Schritt auf der Gartentreppe erschreckte 82 sie, – das waren keine Kindertritte, die dort den ganzen Vormittag herauf- und hinabgelaufen waren. Mit der nassen Hand zog sie die Thür zu und spähte durch die Ritze. Ach so, der Briefträger war's, – sie hörte ihn ans Fenster der Wohnstube klopfen und Frau Tönnies rufen. Bald darauf erschien die Kapitänsfrau bei der Waschbalje, eine Karte schwenkend.

»Fräulein Dehn, nu denken Sie 'mal, nu soll ich mit meinem Mann nach der Elbschloßbrauerei. Er schreibt mir eben, wir wollen uns da treffen! Wenn Sie fertig wären, könnten Sie 'n büschen mitgehn, denn nehm' ich Hinrich und Anna auch mit; sonst laß ich die Gören zu Haus.«

»Nein, ich bin nicht fertig, Frau Tönnies, ich hab' noch 'n paar Stunden hier an den Aermeln zu thun.«

»Na, und ich soll nu so vom Plätten weglaufen!« Die Frau lachte aufgeregt. »Wissen Sie, ich würd' es gar nich thun, aber denn denk' ich wieder so: wie selten kannst 'mal mit deinem Mann ausgehn, und nu sollst ihm das abschlagen? Und denn kann ich das nich und kann das nich!« Sie lachte wieder. »Ach Gott, und wenn ich das nu geradeaus sagen soll, – ja, ich geh' gern 'mal mit meinem Mann los! Besonders, wenn die Gören 83 nicht mit sind! Das is denn, als wenn wir wieder jung verheirathet wären. Tönnies sagt das auch immer.«

Manga blickte sie freundlich und verwundert an. So vergnügt hatte sie die gute Frau noch gar nicht gesehen.

»Wie freut mich das für Sie!« rief sie warm.

»Aber Ihretwegen, Fräulein, is mir das furchtbar unangenehm, – es is ja die verkehrte Welt, die Hausfrau geht aus Schwieren, und der Besuch muß die Arbeit thun! Nee, es geht nich.«

Natürlich überzeugte das Mädchen sie, daß es ausgezeichnet gehe. »Nach dem Abendbrot, – ich esse mit den Kindern, und Kathrin ist ja so zuverlässig, fahr' ich nach Hause und werde wohl wie ein Dachs schlafen nach der Arbeit,« lachte sie.

»Und ich plätt' gern 'mal die Nacht durch, da kommt es mir denn auch nich auf an!« Leichtfüßig wie ein ganz junges Mädchen hüpfte Frau Tönnies davon, um sich anzukleiden.

Manga Dehn hörte sie zum Abschied die Kinder ermahnen, Kathrin Verhaltungsregeln geben und sah noch einmal ihre geputzte Gestalt zu sich hereingucken.

84 »Heute bin ich auch in Hell, nich einmal den ganzen Sommer hab ich dies lila Kleid angehabt! Schade, daß Sie nich mitgehn. Lassen Sie sich man nich die Zeit lang werden, – mein Bruder is das gar nich werth, daß –«

»Ich thu' es gern! Viel Vergnügen!« Dann blieb die kleine Wäscherin wieder allein.

Herrlich wurde der Himmel, wie die Sonne sich senkte. Gradeaus, nach Süden, stand er voll rother Wolken, klar und hochgelb war er im Westen. Wie ein ungeheurer, in schönen Falten wogender, seidener Mantel war die Elbe; hier blau mit kupferrothen Punkten, dort seegrün mit Goldstaub bestreut. An der Brüstung des Gartens versuchten die Wellen eine kleine Brandung zu schlagen und plätscherten und spritzten hoch hinauf. Die Stimmen der Kinder verklangen in der Ferne, in den hohen Birnbäumen hinter dem Waschhaus zwitscherten die Spatzen, eine Walzermelodie vom Süllberg tänzelte durch die Stille wie ein ausgelassener Schmetterling: die schrillen Töne einer Handharmonika fuhren manchmal dazwischen aus einem der verankerten Fischerewer, an denen die bleichen Lichtlein wie zitternde Sterne entglommen. Manga Dehn horchte, wusch und träumte dabei. – –

»Na, Fräulein, was machen Sie denn da?« 85 fragte es plötzlich zum kleinen oberen Fenster herein. Hartig Holert war über den Berg gekommen und stand auf den letzten Stufen der Treppe, die am Waschhaus vorüber führte. Ein zufälliger Blick hatte ihm den von Abendlicht übergossenen Kopf da drinnen gezeigt.

Das Mädchen stand sprachlos, – das blaue Tuchgebäude war ihren Händen entglitten, Thränen der Scham und des jähen Erschreckens traten ihr in die Augen. Ihr Herz war schwer, als sei sie über einem Verbrechen betroffen worden.

»Das is doch keine Arbeit für Sie!« sagte der Steuermann, nun am Thüreingang. »Was haben Sie da vor?« Er sprach leise, ungläubig, mit belegter Stimme.

Manga erhob zaghaft den Blick. »Ich wollte Ihrer Schwester helfen,« stotterte sie.

»Und Stine leidet das?« Er versuchte die Stirn zu runzeln, aber ein unwillkürliches Lächeln umspielte seinen Mund. Es war die Freude, die hervorbrach.

»Stine ist aus.«

»Auch noch! Süh, das is ja nett! Und Sie können hier waschen!«

»Sie müssen das Un-, – den Südwester ja doch haben –«

86 »Was?« rief der Steuermann und trat einen Schritt näher, nun auch roth und bestürzt, »Sie sind bei meinem Rock zu Gange?«

Eine lange Pause folgte. Das Mädchen blickte zu Boden, und der Steuermann sah stramm und unentwegt in die Waschbalje, als ob nun er der Ertappte sei. »Sehn Sie 'mal! Das hatt' ich ja gar nich gedacht, daß Sie auch waschen können,« murmelte er vor sich hin.

»Die Aermel sind noch nicht ganz rein,« war die ebenso gemurmelte Antwort.

»Achhott, das kann ich ja gar nich verlangen!« Die ungeschickten Worte waren von einem so warmen Aufblick begleitet, daß sie dem Mädchen sehr schön vorkamen. Sie lächelte. Hartig legte die Hände auf den Rand der Waschbalje, hinter der sie stand.

»Darum sind Sie nich zu Hause gewesen heute!«

»Ach, Sie waren bei uns?«

»Ich mußte Ihnen doch endlich 'mal – allmählich 'mal – Ihren Sonnenschirm wiederbringen – sechsmal bin ich all auf Ihrer Treppe gewesen,« – er erröthete wie ein Knabe – »ich mocht' immer nich' reinkommen.«

»Ach, Herr Holert!« rief Manga froh überrascht.

87 Er guckte angelegentlich in die Seifenlauge.

»Ich weiß nämlich nich, ob Sie Ihren Sonnenschirm nu so leiden mögen,« platzte er endlich heraus, »am Ende mögen Sie das nich!« Und als das Mädchen ihn fragend ansah, erhob er beschwichtigend die Hand: »Denn müssen Sie das nich für ungut nehmen, denn kann das leicht geändert werden, – das is all zum Abschrauben.«

»Wie?« lispelte das Mädchen. Er fuhr aus der Thür, kam mit einem schmalen, langen Packet zurück, drückte es Manga in die Hände und stürmte mit einem Seufzer davon.

Lächelnd und zitternd riß die Kleine die Hülle herunter, – richtig, da war ihr Schirm, ihr Schirm mit dem weißen Griff und dem Monogramm. Aber was für Buchstaben waren denn das? Ein goldenes verschlungenes M und H? Ueberrascht wiederholte sie laut: »M. H.? M. H.?«

Zum Fenster herein kam eine Hand, ein Päckchen darin – die andere Krücke.

»Hier ist das andere – wie Sie das nu wollen,« sagte eine erstickte Stimme. Sie nahm es – aber sie öffnete kaum, an ihrem erglühten Gesichtchen erkannte er, daß sie begriffen hatte. Nun hob sie mit einem Schelmenblick die weiße Krücke mit dem blanken nagelneuen M. H. zu dem 88 Fenster empor und machte eine kleine winkende Bewegung. Augenblicklich war er drinnen, ihre Augen suchten sich, ihre Arme streckten sich einander entgegen, mit einem Laut zwischen Weh und Entzücken fielen sie sich hinter der Waschbalje um den Hals. Sie hatten sich zu lange nacheinander gesehnt, um nun nicht die Gewißheit stürmisch festzuhalten. Das Mädchen richtete sich zuerst auf. »Nun muß ich aber den Rock fertig waschen.« Hartig hielt sie fest.

»Das Beste weißt Du noch nich.«

»Doch, das Beste weiß ich!« Und sie schmiegte sich wieder an ihn.

»Ich fahr' nich mit der ›Maria‹. Der Rock hat noch drei Tage länger Zeit.«

»Ach, das Weggehn!« seufzte das Mädchen verwirrt.

»Ich komm' wieder, Manga! Du, Kaptän Sundblad is krank, alt is er ja auch, ich fahr' probeweise als Kapitän der ›Holsatia‹, und man kann ja nicht wissen – das kann ja sein – vielleicht hab' ich Glück, daß sie mich ganz behalten!« Enttäuscht blickte er sie an: »Und nun freut sie sich nich mal, daß ihr Mann Kaptän is! Meinst, ich wär' sonst mit dem Monogramm angekommen?« Er rüttelte sie ein bißchen am Arm. »Wenn ich 89 mit Dir könnte!« sagte sie mit fließenden Thränen. Dann, als auch ihm die Augen naß wurden, ermannte sie sich.

»Ich muß wohl ins Haus jetzt –« sie blickte an sich nieder – »ich will mich schnell umziehen.«

»Kommst Du gleich wieder? Ich zeig' Dir noch 'was.«

Und als sie in ihren eigenen zierlichen Sommerkleidern zum Vorschein kam, wies er die Stufen hinter dem Waschhause hinauf: »Da oben.« Nebeneinander erklommen sie die schiefen holprigen Steinstufen, bis sie zu einem großen grünen verwilderten Garten anlangten, ohne andere Blumen, als ein paar wilde Mohnkelche, die sich im Abendwind wiegten. Aber an der Hecke standen große Obstbäume und in der Mitte, unter Obstbäumen, ein niedriges weißgraues Häuschen mit einer grünen Thür und grünen Fensterladen. Lebhafter aber, als der todte Anstrich schimmerte das moosige Schindeldach, gelbgrün und bräunlich, und gerade auf dem First blühten zwei Kornblumen, und Hartig faßte nach der kleinen rothgewaschenen Hand: »Guck, Manga, das is Dein Haus. Klein und einfach, aber solide. Alles im Tagelohn gebaut, hat mein Vater gesagt.«

Ein unvergleichlicher Rundblick that sich auf. 90 Rechts am Strande die grünen und rothen Dächer des Dorfes, in Terrassen aufsteigend. Nach links, halbversteckt von den Baumkronen des Bauerschen Parks, das Dörfchen Mühlenberg. Vorn aber der große, still fluthende, verkehrsreiche Strom, dunkelblau jetzt, nach Sonnenuntergang, mit den ziehenden Schiffen und den sternengleich leuchtenden verstreuten Lichtern an den vor Anker liegenden Fischerewern. In stiller Feierlichkeit, mit verschlungenen Armen stand das junge Paar und staunte hinunter und drückte sich fester die Hände.

»Anderswo is all nich Blankenese,« sagte Hartig kopfnickend, nachdenklich – »das is es, darum kommen wir auch immer wieder.« – – – –

Der Vater des Mädchens gab unverhofft schnell seine Einwilligung, Stine war so glücklich, als habe sie statt des Bruders einen Sohn verlobt, die Kinder bejubelten die neue Tante – nur Kapitän Tönnies zeigte sich äußerst verdutzt und in Folge dessen bedenklich. »Der Mensch hat ja schon eine Braut,« rief er endlich erbost, »visitiren Sie doch sein Taschenbuch, das ist ja woll das Wenigste, was Sie verlangen können.«

Aber Hartig ließ sich nicht wieder aus der Fassung bringen. Er steckte beide Hände in die Taschen, machte eine Schelmenmiene und sagte: 91 »Wokein? Ick? As ick? Ach, Tönnies, dat bün ick je gor nich west.«

Auch Manga Dehn hatte lächelnd und zuversichtlich abgewehrt. Ein bißchen ernster wurde ihr Gesicht, als sie mit ihrem Verlobten allein war.

»Was hat er eigentlich damals und heute mit dem Bilde gemeint?« fragte sie befangen.

»O gor nix! Mußt nich so neugierig sein, Manga. Soll ich denn gar nichts für mich behalten?« Seine blauen Augen flimmerten. Da zog sich das Mädchen in eine Ecke zurück und brach in Thränen aus. Eine Weile ging er mit großen Schritten hin und her und ließ sie weinen. Plötzlich riß er seine Brieftasche heraus, gab sie Manga und wollte die Stube verlassen. Aber Manga litt es nicht. Ohne das Taschenbuch weiter anzusehen, drängte sie es ihm wieder auf: »Bitte, sei mir nicht böse, ich will es gar nicht.« Mit freudiger Genugthuung nahm er sein Eigenthum zurück.

»Zu unserer silbernen Hochzeit sollst es haben. Das' früh genug. Was Unrechtes is es nich.«

Und dabei hat sich Manga Dehn beruhigt und weiß noch heute nicht, wer es ist, dessen Bild ihr hartnäckiger Mann auf dem Herzen trägt. Es könnte sie nur glücklich machen, wenn sie's sähe, dies freundliche Mädchenbild mit den hängenden 92 Zöpfen, das Hartig Holert in heimlichem Uebermuth seiner Schwester einst aus dem Album genommen – aber der Kapitän zeigt's nicht – er ist eben noch nie jemandem, auch seiner Frau nicht, zu Füßen gefallen. 93

 


 


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