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6. Kapitel

Hans Herwig hatte sich einen Leihwagen gemietet und durchstreifte damit das Land um den Bodensee.

Ulrike wünschte nicht, daß er sie, wie er vorgeschlagen hatte, ständig begleitete. Heute war er unterwegs, um ein hübsches Ferienplätzchen für seine Mutter zu suchen, die ihm ihr Kommen telegrafiert hatte. In gemächlichem Tempo fahrend, saß er vergnügt am Steuer und genoß die Heiterkeit dieses gesegneten Landstrichs.

Daß sich seine Erwartungen in Bezug auf Ulrike nicht sofort erfüllten, beeinträchtigte seine Stimmung nicht sonderlich. Ohne berechnend und kaltherzig zu sein, handelte er doch stets vernunftgemäß und konnte sich deshalb gar nicht vorsteilen, daß Ulrike, dieses gescheite Mädchen, wie er sie bei sich bezeichnete, auf die Dauer so unvernünftig sein konnte, um sich an eine hoffnungslose Sache zu verlieren. Er glaubte allen Grund zu haben, sorglos und in Ruhe ihre Entscheidung abwarten zu können.

Er fuhr die Uferstraße entlang bis Lindau, aß dort zu Mittag, schlenderte durch die reizvolle Stadt und trat dann langsam wieder den Rückweg an.

Zwischen Überlingen und Meersburg sah er eine Radfahrerin in einem Höllentempo – wie er es bezeichnete – einen Berg herabkommen. Eine unangenehme Ahnung beschlich ihn und erfüllte sich fast augenblicklich.

Das Mädel auf dem Rad stürzte, sich im Sturz überschlagend.

Das alles spielte sich in Sekundenschnelle ab und ebenso schnell war er an der Unfallstelle, seinen Wagen scharf bremsend.

Mit wenigen Schritten war er bei der Verunglückten.

Sie war auf einer Baumwiese gelandet, wo sie regungslos lag, die Augen geschlossen.

Herwig kniete nieder und betrachtete sie besorgt.

Das sanfte Madonnengesichtchen unter den schwarzen, schlichtgescheitelten Haaren war sehr blaß, der Mund schmerzlich verzogen.

Er glaubte nie etwas Lieblicheres gesehen zu haben.

Unschlüssig überlegte er, was zu tun sei. Er wagte nicht, sie zu berühren, denn es war ja möglich, daß sie innere Verletzungen erlitten hatte. Gefährlich genug sah der Sturz aus.

Ganz vorsichtig faßte er nach ihrer Hand, hob leicht den Arm hoch ... »Da ist nichts, aber das Bein ...« stöhnte das Mädchen.

»Na, Gott sei Dank!« erleichtert schaute er sie an, die ihn aus großen, schwarzen Augen anstarrte. »Ich hatte schon Angst, daß Sie schlimme Verletzungen davongetragen hätten. Ist es wirklich nur das Bein?«

»Ich glaube ja. Und das ist schlimm genug.«

Mit seiner Hilfe richtete sie sich auf, tapfer jeden Schmerzenslaut unterdrückend.

Sie betrachteten das verletzte Bein, das ihnen recht merkwürdig aussah.

»Gebrochen«, sagten sie wie aus einem Munde.

Sie legte sich wieder zurück.

»Mußten Sie auch so unsinnig schnell fahren?« fragte er vorwurfsvoll.

»Die Kette riß und obendrein versagte die Handbremse ...«

»Daß ihr Mädchen doch immer mit den ältesten Karren fahren müßt«, tadelte er und dachte besorgt an Ulrike und ihren Veteranen. »Ich werde Sie jetzt ins Krankenhaus bringen, das wird das beste sein.«

»Wahrscheinlich. Aber meine Mutter wird einen Schreck bekommen ...«

»Sehen Sie, das kommt davon. Aber ich kann ja Ihre Mutter selbst verständigen, das ist besser, als wenn sie es unvorbereitet erfährt. Wenn ich nur wüßte, wie ich Sie hier fortbekomme, ohne Ihnen wehe zu tun?« Er sah sich prüfend um.

»Wenn Sie eine Schiene suchen – dahinten, am Zaun, könnten Sie vielleicht eine Latte abreißen«, half sie ihm, seine Gedanken erratend.

»Sie sind ja ein ganz patentes Mädchen. Andere würden jetzt heulen«, meinte er anerkennend und lief schnell über die Wiese zum Zaun. Triumphierend kam er mit einem schmalen Brett zurück.

»Das ist noch besser als eine Latte. Sieht aus, als habe es eine gute Fee wohlweislich für Sie zurechtgelegt ...« sagte er zufrieden lächelnd. Er streifte seinen Pullover ab und umwickelte damit das Brett.

»Und was machen wir nun? Ich habe leider keine Reiseapotheke bei mir. Sollte man doch immer mit sich führen ...« sprach er mehr zu sich selbst und dann lachte er wieder.

»Entschuldigen Sie, kleines Fräulein«, mit einem Ruck streifte er sein Hemd ab und setzte alle seine Kräfte ein, um es zu zerreißen.

»Du lieber Himmel, das gute Hemd!« rief sie entsetzt.

»Hilft nichts. Wenn Sie nur mein Anblick nicht stört ...« meinte er gutmütig und riß Streifen um Streifen.

Mit unendlicher Vorsicht begann er das Bein zu bandagieren.

Sie biß die Zähne ganz fest zusammen, aber nun rollten doch die Tränen. Es tat entsetzlich weh, sie mußte die Augen schließen, einen Augenblick wurde es sogar ganz schwarz, rote Kreise tanzten ... dann fühlte sie sich emporgehoben.

»Armes Mädchen ...« sagte Herwig mitleidig, als sie leise stöhnte. Federleicht lag sie auf seinen Armen. Ein ganz merkwürdigs Gefühl beschlich ihn.

Behutsam bettete er sie auf den Rücksitz des Wagens, dessen Verdeck er angesichts des schönen Wetters zurückgeklappt hatte. Aber so sorgsam er auch gewesen war, die Kleine war nun doch noch ohnmächtig geworden. – –

Erleichtert atmete Hans auf, als das Krankenhaus vor ihm lag. Er sprang aus dem Wagen und stürmte mit entblößtem Oberkörper hinein.

Ein paar Schwestern lächelten, aber er sah es nicht.

Erst als die Verunglückte auf einer Bahre abtransportiert wurde, zog er schnell sein Jakett an, ohne daß er dadurch wesentlich salonfähiger ausgesehen hätte.

In dem langen Gang erreichte er die Träger noch. Ihm war, als müsse er unbedingt noch einen Blick auf das zarte Gesichtchen werfen.

Das Mädchen sah ihn mit vollem Bewußtsein an.

Die Träger verharrten einen Augenblick, sie mochten ihn für einen Angehörigen der Verunglückten halten.

Herwig beugte sich schnell zu ihr herunter.

»Ich warte hier. Wie heißen Sie?« fragte er hastig.

»Claudia Plön ...«

»Ich drücke die Daumen, kleine Claudia ...«

Sie nickte ihm schmerzlich lächelnd zu, dann wurde die Tür hinter ihr geschlossen.

»So ein süßes Ding«, sagte er halblaut vor sich hin.

*

An diesem Abend mußte Ulrike ziemlich lange auf den Freund warten. Als er endlich kam, merkte sie gleich, daß irgend etwas Besonderes vorgefallen war.

Er warf sich auf das alte Sofa, das empört krächzte und stöhnte, und dann begann er zu erzählen. Er schloß:

»Die süßeste kleine Madonna, die du dir vorstellen kannst, Rieke, genau so, wie man sie hier in den Kirchen sieht. Und tapfer war die Kleine, unglaublich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich war, daß ich kein Unheil angerichtet habe. Als sie plötzlich ohnmächtig wurde, bekam ich einen gewaltigen Schreck. Man kann ja nie wissen, was bei solcher Geschichte eigentlich kaputt gegangen ist, nicht?«

Sehr nachdenklich blickte ihn Ulrike an.

»Nun, es ist ja alles gut abgegangen«, sagte sie schließlich, »sie hat immerhin noch Glück gehabt.«

»Was meinst du, wie lange es dauert, bis ein Beinbruch heilt?«

»Einige Wochen schon ... ich habe keine Ahnung ...«

»Das arme Mädchen. Wochenlang im Bett liegen müssen? Glaubst du, daß ich sie mal besuchen kann? Schließlich habe ich erste Hilfe geleistet, da interessiert man sich doch ...« die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht mit den Händen umschließend, blickte er sinnend vor sich hin.

»Aber sicher, Hans. Wahrscheinlich freut sie sich, wenn ihr mal jemand Gesellschaft leistet«, erwiderte sie mit leisem Lächeln.

Wie er so dasaß, war aus dem selbstsicheren Hans plötzlich wieder ein großer Junge geworden. Und wie er von seiner kleinen, verunglückten Madonna sprach – also das gab zu denken. Ulrike betrachtete ihn still mit einem fast mütterlichen Blick.

»Sie wohnt in einem Schloß, aber ich glaube, sie ist doch ziemlich arm. Ihre Hände sind ganz verarbeitet. Und sonst wäre sie ja auch nicht mit solch einem unmöglichen Fahrrad gefahren, nicht?«

»Kaum«, bestätigte Ulrike seine Vermutungen.

»Die Mutter machte auch einen etwas verkümmerten Eindruck, ich schätze, arme Adlige. Ein großes Haus und sonst nichts ... Sie bekam einen Mordsschreck. Ich habe sie dann gleich ins Krankenhaus gefahren, damit sie ihre Tochter sehen konnte. Da hat sie sich dann wieder beruhigt ...«

Seine Gedanken schienen von dem Erlebten nicht loszukommen.

»Hast du übrigens schon ein Zimmer für deine Mutter?« erkundigte Ulrike sich nach einer Pause.

»Ich kam durch die Sache nicht mehr dazu. Und nun ...« wieder schwieg er nachdenklich.

Unwillkürlich mußte sie lachen.

»Hans, so kenne ich dich noch gar nicht. Du bist ja völlig durcheinander?« rief sie lachend. »Was hat dich nur so aus dem Gleichgewicht gebracht?«

»Unsinn! Mein Gleichgewicht ist in Ordnung. Meinst du, daß Mutter auch mit einem Zimmer ohne fließend Wasser zufrieden ist?«

Ulrike schüttelte den Kopf. Diese Gedankensprünge!

»Es ist nicht gerade ideal. Aber ich habe hier auch nur die Waschschüssel ...«

»Dann genügt das für Mutter auch. Sie haben ja auch ein Badezimmer!«

»Du sprichst in Rätseln, mein Lieber.«

Verdutzt schaute er sie an.

»Ich spreche von dem Schloß. Mutter wird dort herrlich untergebracht sein«, sagte er nachdrücklich, als wolle er beweisen, daß er völlig klar dachte und sprach.

»Ach so«, erwiderte sie und übersah mit einem Blick die Situation, »du meinst in dem Schloß deiner Madonna?«

»Genau das, Rieke, und im übrigen ist sie nicht meine Madonna!« fuhr er auf, wich aber ihren lachenden Augen aus. Ehe sie antworten konnte, sprang er auf.

»Ich möchte bloß wissen, weshalb du so entsetzlich trödelst? Ich habe einen Bärenhunger und du stehst hier und schwatzt! Los, Mädchen, mach, daß du fertig wirst, fix, fix!«

Wenig später gingen sie Arm in Arm durch die Straßen, vergnügt einander neckend. Ulrike hatte über den Erlebnissen ihres Jugendfreundes die eigenen, bedrückenden, vergessen.

Angeregt plaudernd nahmen sie in einer kleinen winkligen Weinstube ein verspätetes Abendessen ein.

Ulrike sah nicht, daß ihnen ein Mann verblüfft nachsah und stehen blieb, als sie dicht an ihm vorbeigingen und sie bemerkte es auch nicht, als dieser Herr ihnen in die Weinstube folgte und sich in einem, von hohen Blattpflanzen verdeckten Winkel, dicht neben ihrem Tisch niederließ. Eine große Zeitung tat ein übriges, um den Herrn vor der Gefahr des Erkanntwerdens zu schützen.

Die Zeitung mußte sehr betrübende Nachrichten enthalten, denn der Herr machte ein auffallend finsteres Gesicht.

Es hellte sich etwas auf und wurde durch ein etwas wehmütiges Lächeln milder, als er eine Mädchenstimme sagen hörte:

»Hans, es ist ganz unmöglich, wie du den Wein trinkst! Du schluckst ihn ja wie Wasser!«

»Willst du mir verraten, wie man ihn sonst noch trinken könnte?« fragte eine Männerstimme. Und das Mädchen antwortete:

»Ach Hans – ich fürchte, das kann ich schlecht erklären. Mit dem Wein ist es etwas Besonderes. Hier solltest du auch keinen Rheinwein trinken, sondern ...«

»... sondern?«

»Sondern – vielleicht einen Meersburger«, fuhr das Mädchen fort, ihre Stimme klang verträumt, »man soll immer den Wein trinken, der auf dem Boden wächst, wo man sich befindet. Und dann ... man soll ihn genießen, weißt du ... ach Hans, ich kann dir das nicht so genau erklären ...«

»Was für ungereimtes Zeug, Rieke, wo hast du das nur her?«

»Woher? Ach, das hat mir mal ein Einheimischer erzählt ...«

»So. Wohl ein hübscher Junge, wie?« Das klang entschieden mißtrauisch.

»Nein, er war ein Mann. Er verstand was vom Wein – und auch sonst ...«

Das Paar am Nebentisch schwieg, man hörte Gläser aneinanderklingen. Hinter üppigen grünen Pflanzen wurde eine Zeitung zusammengefaltet, ein Herr erhob sich und stand mit wenigen Schritten inmitten der Weinstube.

Leicht wandte er den Kopf und schaute hinüber zu dem Tisch, wo ein junges Mädchen entsetzt auffuhr und dunkel errötete.

Sekundenlang ruhten zwei Augenpaare ineinander. Dann neigte der Herr grüßend den Kopf und ging hinaus.

»Was hast du denn, Rieke?« wunderte sich Hans und wandte leicht den Kopf, dem Blick des Mädchens folgend.

Aber da war nichts Besonderes zu sehen. Und da sagte sie auch schon: »Ich habe nichts, Hans, ich bin nur sehr müde. Heute – war ein sehr anstrengender Tag.«

*

Hans Herwig stand vor dem Blumenladen und dachte angestrengt nach. Welche Blumen brachte man einem jungen Mädchen, das man kaum kannte und dem man, wie er sich einzureden versuchte, einen Höflichkeitsbesuch machen wollte?

Immer wieder flogen seine Augen über die bunte Blumenpracht, wählten und verwarfen.

Nelken waren ihm zu konventionell, die schenkte man der Frau des Chefs, die Pfingstrosen waren zu groß, die Maiglöckchen zu klein, die Lilien erschienen ihm zu feierlich und Rosen sahen so verliebt aus, ja, was sollte man da machen?

Er seufzte tief und schwer und schließlich entschloß er sich mutig den Laden zu betreten. Irgend etwas würde sich schon finden.

Als er wieder draußen war, hatte er einen dicken Rosenstrauß in der Hand, sorglich in Seidenpapier gewickelt. Die Verkäuferin hatte ihm hoch und heilig versichert, daß blaßrosa Rosen zu nichts verpflichteten und genauso wenig besagten, wie etwa die gelben Teerosen. Ja – wenn er rote nehmen würde – das wäre natürlich etwas ganz anderes, hatte sie wichtig erklärt und den gutaussehenden Mann vieldeutig angeschaut. Also mit den rosa Rosen konnte nichts schief gehen, dachte er zufrieden, ohne sich genauer zu überlegen, was denn eigentlich schief gehen könne.

Als er weiterging, fiel ihm ein, daß zu einem Krankenbesuch auch etwas zum Naschen gehörte. Ein gebrochenes Bein erforderte sicher keine besondere Diät.

Er belud sich mit einem Karton Konfekt und einer großen Tüte mit Südfrüchten. Und da er gerade an einem Buchladen vorbei kam, fand er, daß sie sicher auch gern etwas zum Lesen haben würde.

Schwer bepackt landete er im Krankenhaus und ließ sich ihre Zimmernummer nennen.

Dem Himmel sei Dank – sie hatte keinen Besuch! Und nochmals Dank, das zweite Bett, das in ihrem Zimmer stand, war leer.

Wie gut, daß er gekommen war, um ihr das Alleinsein etwas zu erleichtern, flog es ihm durch den Kopf, während er sie unbeholfen begrüßte. Es galt ja, zuerst die Pakete abzuladen.

Leise hatte sie einen Gruß erwidert und schaute ihm nun grenzenlos verwundert zu.

Erst wickelte er den Rosenstrauß aus.

»Ein paar Blumen. Es sieht hier schrecklich kahl aus«, sagte er und legte die Rosen auf ihre Bettdecke.

»Wie schön. Ich danke Ihnen«, sagte sie erfreut.

»Essen Sie lieber Konfekt oder Obst?« erkundigte er sich.

Sie überlegte ernsthaft. Eine leichte Röte huschte über ihr Gesicht, dann gestand sie schüchtern:

»Eigentlich mag ich beides.«

»Dann ist es ja gut«, meinte er befriedigt, »ich habe für beide Fälle vorgesorgt.«

»Aber Herr ... ja ... wie ...?« verlegen brach sie ab.

»Ach so«, lachte er, »ich heiße Herwig, Hans Herwig.«

»Aber Herr Herwig, das kann ich doch gar nicht annehmen?«

»Warum denn nicht? Übrigens, mit den Büchern war es schwierig. Ich hatte keine Ahnung, was Sie gern lesen.«

Und dann packte er noch das Bücherpaket auf ihr Bett.

Stumm blickte Claudia von Plön auf das kleine Warenlager, das ihr so unversehens ins Krankenzimmer geflogen war. Stumm und sichtlich erschüttert von soviel Aufmerksamkeit.

»Herr Herwig, das ist zuviel!« protestierte sie schwach.

»Das können Sie doch gar nicht beurteilen, Sie sind ja gerade erst einen Tag hier. Ich schätze, Sie werden im Laufe der Zeit noch viel mehr brauchen.«

Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

Sie verfolgte sein Tun mit großen, erstaunten Augen.

»Und nun erzählen Sie mal, wie geht es Ihnen denn heute? Hat es sehr weh getan und tut es noch sehr weh?«

»Es ist nicht so schlimm. Gestern hatte ich ja Narkose und jetzt bekomme ich etwas gegen die Schmerzen.«

»Eigentlich müßte ich ja wünschen, daß Sie tüchtig Schmerzen haben ...«

»Aber warum denn? Erst sind Sie so nett und nun ...?«

»Das hat mit Nettigkeit nichts zu tun, sondern mit Vorsicht. Wenn das Bein schön kräftig weh tun würde, überlegten Sie es sich besser, ob Sie wohl wieder mit solch einem wackligen Rad fahren werden.«

»Ach, das Fahrrad ... das ist doch jetzt sowieso hin. Und ein neues? Ich glaube, daran ist vorläufig nicht zu denken.«

»Na, hoffentlich nicht. Bei dem heutigen Verkehr sind die Dinger doch nur Geräte zur Erleichterung des Selbstmordes. Und wie geht es Ihnen sonst?« erkundigte er sich fast väterlich.

»Oh, danke. Die Schwestern sind alle sehr nett, und sonst muß ich eben liegen. Das ist halt langweilig.«

»Dagegen haben Sie ja nun die Bücher. Sie können mir ja mal aufschreiben, welche Schriftsteller Sie am liebsten lesen.«

»Aber das geht doch nun wirklich nicht.«

Herwig schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Sie sollten sich nicht so zieren, das mag ich gar nicht leiden. Gestern haben Sie mir gefallen. Sie waren so tapfer, obwohl es doch verflixt weh getan hat. Stimmt's?«

Sie schüttelte sich ein wenig in Erinnerung an die ausgestandenen Schmerzen.

»Es war scheußlich.«

»Sie sind auch immer noch ganz blaß«, stellte Herwig fest und schaute sie eindringlich an.

Errötend wandte sie den Blick.

Herwig fand das nicht unangenehm, desto ungestörter konnte er sie betrachten.

Sie ist wirklich ein ganz süßes Ding, stellte er wieder fest, die bezauberndste Madonna, die er je gesehen hatte. Und sogar eine lebendige, das war ihr Hauptreiz und unterschied sie sehr wesentlich von den gemalten und geschnitzten. Hans Herwig war immer für das Wesentliche. Sie hatte wunderschönes Haar. In dicken Ringeln lag der schwarzbraune Zopf auf dem Kopfkissen, gestern hatte sie ihn aufgesteckt getragen. Und das hellblaue Nachthemd mit dem kleinen, braven Ausschnitt stand ihr großartig.

»Nun gucken Sie doch auch mal wieder weg«, sagte Claudia unwillig.

»Aber erlauben Sie, ich gucke Sie ja nur an, weil Sie weggucken ...«

»Das wußte ich nicht«, verlegen wandte sie ihm ihr Gesicht wieder zu.

Aber nun mußte er sie erst recht ansehen, es ging ja wirklich nicht, daß er über sie hinweg etwa gegen die Wand starrte.

Die Unterhaltung drohte zu versickern wie ein Bächlein im Hochsommer. Claudia hatte das Gefühl, daß es an der Zeit sei, wenn auch sie nun einige Fragen stellen würde.

»Verbringen Sie Ihre Ferien hier am See?«

»Ja.«

»Sind Sie schon lange hier?«

»Vier Tage.«

»Und wie lange wollen Sie noch bleiben?«

»Fast volle vier Wochen. Ist das nicht herrlich?«

Seine Augen strahlten sie an.

»Wunderbar ...« Claudia bekam einen Schreck, als ihr die Antwort so schnell über die Lippen kam, aber sie fand es wirklich wunderbar. Es wäre doch sehr schade gewesen, wenn er etwa schon morgen hätte wieder abreisen müssen.

Hans Herwig freute sich. Er war sehr für prompte und klare Antworten.

»Soll ich Sie öfter mal besuchen?«

»Ja – aber Sie dürfen nicht wieder soviel mitbringen.«

Er hörte nur das Ja – und freute sich.

Die kleine Claudia stellte noch viele Fragen, die er geduldig beantwortete.

Als er endlich ging, war in Bezug auf die äußeren Lebensverhältnisse alles vollständig geklärt. Das beruhte auf Gegenseitigkeit und war deshalb für beide Teile sehr angenehm.

*

Ulrike hatte zur Zeit schlimmere Sorgen.

In einem sehr energischen Brieftelegramm verlangte der Chef von ihr, daß sie unverzüglich dafür sorgen solle, daß der Schrank expediert würde.

Und die beiden alten Damen hatten nicht einmal geöffnet, als sie zu ihnen gefahren kam. Ulrike hatte jedoch deutlich gesehen, daß sich hinter den Gardinen etwas bewegte.

Am schlimmsten war jedoch die Auseinandersetzung mit Herrn von Demin gewesen.

Nie zuvor hatte sie ein menschliches Antlitz gesehen, das so sehr von unbändiger Wut und eisigem Hohn entstellt war.

»Hagedorn! Sie haben es fertig gebracht, diesen Hagedorn auf die Spur zu hetzen? Sie breiten treu und bieder meine Geschäftsgeheimnisse vor ihm aus? Haben Sie gesehen, welche Fundgrube dieses Haus für uns ist? Wieviel Kapital man daraus schlagen kann?«

Und als sie nicht antwortete, fuhr er fort, heiser, zischend, seine Stimme troff vor Hohn:

»Mein liebes Fräulein Arnstein, Sie sind eine Gans!«

»Herr von Demin! Ich muß Sie bitten ...«

Er fiel ihr ins Wort.

»Sie sind eine Gans, mein Fräulein. Sie sägen sich selbst den Ast ab, auf dem Sie sitzen. Sehen Sie zu, wie Sie die Sache in Ordnung bringen, ich werde Henningsen entsprechend berichten. Sie sind hoffentlich nicht so naiv anzunehmen, daß ich Sie weiterhin mit Adressenmaterial unterstütze, wie? Allerdings, zuzutrauen wäre es Ihnen schon, Sie ...«

»Ich hoffe, Sie sind nicht so naiv zu glauben, daß ich noch mit Ihnen zusammenarbeite, Herr von Demin? Auch Herr Henningsen würde das für eine starke Zumutung halten«, erwiderte sie knapp und verließ grußlos das Zimmer.

Als sie allein war, brach ihre stramme Haltung kümmerlich zusammen.

In einem ausführlichen Brief schilderte sie ihrem Chef dann alle Verwirrungen, die sich um diesen Unglücksschrank – wie sie ihn bei sich nannte – entsponnen hatten, teilte ihm mit, daß sie in Anbetracht der Umstände auf keinen Fall künftig mit Demin zusammenarbeiten werde und bat ihn um weitere Instruktionen. Abschließend bat sie ihn mit ein paar herzlichen Worten, ob sie den Kauf nicht doch rückgängig machen könne.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Henningsen telegrafierte, daß es sich bei diesem Schrank um eine Rarität besonderer Art handeln müsse, wenn ein Schriftsteller bereit sei, einen so hohen Preis dafür zu zahlen. Demnach sei anzunehmen, daß der tatsächliche Wert noch bedeutend höher sei. Er dächte nicht daran, vom Kauf zurückzutreten und würde in den nächsten Tagen persönlich nach Überlingen kommen.

Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte Ulrike unglücklich, Alexander und Henningsen – das gibt eine fürchterliche Situation.

Eingesponnen in unklare Ängste und graue Sorgen hatte sie keinen Blick mehr für das Nächstliegende. Sonst wäre ihr bestimmt aufgefallen, daß Hans Herwig sich auffallend verändert hatte.

Er, der so fest und wirklichkeitsnahe im Leben stand, war plötzlich ihr gegenüber von einer jungenhaften Unsicherheit, und, was das Merkwürdigste war, Hans konnte, wenn sie abends irgendwo zusammensaßen, lange Zeit schweigend, mit einem ganz verträumten Gesicht, vor sich hin schauen.

Der sonst so vernünftige Mann ging wirklich wie ein Träumender durch diese Tage. Er, der das Leben bisher als ein sehr einfaches Rechenexempel angesehen hatte, begriff plötzlich, daß er vergessen hatte, mit Unbekannten zu rechnen. Die Liebe, die er so kühl und nüchtern durch eine gute Kameradschaft zu ersetzen gedachte, hatte ihn hinterrücks überfallen und bewiesen, daß sie keinerlei Ersatz duldete. Berechnungen ließ sie nicht zu, einzig daß Hans die Stunden zählen durfte, die ihn von der Geliebten trennten, und das waren erschreckend viele. Schon morgens beim Erwachen blickte er auf die Uhr und überlegte, wie er nur die Stunden überstehen sollte, bis das Krankenhaus endlich seine Pforten für Besucher öffnete.

Er hatte bei Frau von Plön ein Zimmer für seine Mutter gemietet. Drei Tage war er unter allen möglichen Vorwänden wieder in das hübsche Landhaus gefahren, um, wie er sagte, das Zimmer recht gemütlich für die Mutter zu machen.

Frau von Plön wunderte sich sehr über diesen liebevollen Sohn, der jeden Tag etwas anderes angeschleppt brachte, um seine Mutter bei ihrer Ankunft zu erfreuen.

Er verwickelte die Hausherrin in lange Gespräche, die unfehlbar immer bei der Tochter Claudia endeten. Und da Frau von Plön eine gute, um das Wohl ihrer Tochter besorgte Mutter war, ging sie nur zu gern darauf ein.

Nachmittags gab es jedoch nichts, was Hans Herwig zurückgehalten hätte. Schon vom zweiten Tage an kaufte er ohne jede innere Hemmung und ohne Angst, dadurch Verpflichtungen einzugehen, dunkelrote Rosen und all jene Dinge, die man schlechthin als kleine Aufmerksamkeiten bezeichnen konnte.

Und wenn er sich auch bei seinem zweiten Besuch über seine Empfindungen noch nicht klar war, ging er doch mit nachtwandlerischer Sicherheit schnurstracks auf sein Ziel los.

Er machte das nicht ungeschickt, und keinesfalls plump-vertraulich. Aber während er von sich und seinem Leben in Amerika, von seinen Berufsaussichten und auch von Ulrike, der Jugendfreundin sprach – Claudia glaubte in ihr die junge Vertreterin zu erkennen, die Mutters Schachspiel kaufen wollte – und dabei die ihm eigene Sachlichkeit entwickelte, redeten seine Augen viel eindringlicher und völlig unsachlich.

Manchmal – im Eifer des Gesprächs konnte so etwas schon vorkommen, faßte er wie unabsichtlich nach ihrer Hand und ließ sie dann auch so schnell nicht wieder los.

Claudia sah keine Veranlassung, ihm ihre Hand zu entziehen, da sie es als ungemein angenehm empfand. Es war solch ein wohliges Gefühl, seine warme, kraftvolle Hand zu spüren.

Nur seine Augen – wenn man gar so lange hineinsah, wurde sie rot, und das war ihr recht peinlich. Dann mußte sie schnell weggucken, aber heute – heute ging das einfach nicht. Seine Augen hielten sie fest, ganz fest.

Ihr Herz klopfte schwer und schnell. Hans sah, wie sie unter dem zarten Nachthemdchen zitterte. Ihm war, als müsse er dieses kleine, ängstlich klopfende Herzchen beruhigen, und so setzte er sich, ehe Claudia ahnte, was er beabsichtigte, schnell auf den Bettrand, richtete vorsichtig das kleine Persönchen auf und nahm es ganz fest in seine Arme. Nun konnte Claudia hören, daß auch sein Herz ganz ungesund schnell schlug. Und dann hörte sie, wie er leise sagte:

»Claudia, ich habe dich ganz schrecklich lieb.«

Und damit sie ihm das auch ganz gewiß glaube, küßte er sie innig.

Er verstand es, das kleine Freifräulein so vollkommen von seiner Liebe zu überzeugen, daß sie Gleiches mit Gleichem vergalt und jeden empfangenen Kuß treulich zurückgab, bis sie vor Eifer ganz dunkelglühende Wangen bekam.

»O Hans ...«, seufzte sie selig, als er sich für einen Augenblick beim Küssen unterbrach und barg verschämt ihr Köpfchen an seiner Brust. »Du auch ...?« fragte er leise und sehr weich.

»Ganz furchtbar ...« gestand sie und nickte heftig, ohne ihn anzusehen. Mit diesem Liebesgeständnis war Hans sehr zufrieden und gab ihr das nachdrücklich zu verstehen.

Während der nächsten halben Stunde blieb es auch bei dieser Art der Verständigung, mit Worten wäre ja doch nicht auszudrücken gewesen, was sie empfanden.

»Du süße kleine Madonna ...«

»Ach, Hans ...«

»Meine Claudia ...«

»Lieber – lieber Hans ...«

Das waren etwa die Worte, die in dieser Stunde gesagt werden mußten, nicht viele, aber sie trafen das Thema haargenau.

Leider stand das Krankenhaus und auch dieses Zimmer noch anderen Besuchern offen.

Ein Klopfen an der Tür, und dann kam ein großer blonder Mann herein.

In der Hand trug er einen prächtigen Pfingstrosenstrauß und darunter baumelte ein verschnürtes Päckchen.

Hans bekam Othellogefühle, obwohl doch die Pfingstrosen ganz beruhigend aussahen.

»Axel, wie lieb von dir ...« zwitscherte die kleine Claudia und schien sich doch ehrlich zu freuen.

»Du machst ja schöne Streiche, Kleine! Hätte ich doch nur das verflixte Rad gleich nachgesehen«, lautete die Begrüßung des Mannes.

Claudia schnupperte an den Pfingstrosen und machte die Herren miteinander bekannt.

Ihre Verlegenheit war offensichtlich.

Nicht minder offenbar war das Mißtrauen, mit dem sich die Herren verstohlen musterten.

Hans dachte: Wer ist der Kerl? Was will er hier?

Und Alexander überlegte: Den habe ich doch schon mal gesehen? Aber wo?

In guter Erinnerung ist er mir jedenfalls nicht!

Alexander beschloß wachsam zu sein, damit der kleinen Claudia durch den fremden Mann ja kein Leid geschähe und in schöner Übereinstimmung mit ihm faßte Hans im stillen den gleichen Entschluß.

Es wäre angesichts der stummen Feindseligkeit zwischen den beiden Herren sicher eine sehr peinliche, frostige Situation entstanden, wenn das Thema Beinbruch nicht so ergiebig und harmlos gewesen wäre.

Nach der medizinischen Plauderei glitt man in ein Gespräch über die Gefahren der Landstraße und der Fahrzeuge, insbesondere jener, die wie Claudias Rad verkehrsunsicher waren und nicht nur den Fahrer, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer gefährdeten.

Auch darüber konnte man sich flott und völlig harmlos unterhalten, eine hohe, noch nicht übersehbare Bedeutung erhielt das Thema erst in dem Augenblick, als Hans völlig arglos sagte:

»Man sollte alle Fahrzeuge, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, durch gesetzliche Regelung aus dem Verkehr ziehen, statt abzuwarten, bis sie durch einen Unfall für alle Zeit erledigt werden. Meine Freundin gondelt mit einem uralten Karren durch die Gegend – wenn Sie den alten DKW sehen würden – und wenn ich mir vorstelle, daß sie damit wieder zurück bis Hamburg will ... ich fürchte beinahe, daß sie eines Tages auch irgendwo im Krankenhaus landet.«

Nach diesen Worten wußte Alexander ganz genau, wo er diesen Herrn Herwig schon einmal gesehen hatte und sah auch den alten DKW deutlich vor sich.

Seine Abneigung gegen Herrn Herwig, den er im stillen als einen »Burschen« bezeichnete, wuchs beträchtlich und er hielt es für seine Pflicht, am Bett der kleinen Kusine auszuharren, bis dieser Kerl gegangen sein würde.

Um die Wartezeit zu verkürzen, zeigte er sich noch reservierter, noch kühler und beteiligte sich kaum noch an der Unterhaltung. Er hoffte, diesem Herwig dadurch klar zu machen, daß er hier nicht erwünscht sei. Alexander hatte keine Ahnung von den völlig entgegengesetzten Wünschen der kleinen Claudia.

Hans jedoch, der smarte Geschäftsmann mit Tatkraft und Energie witterte Gefahr. Mit Sicherheit glaubte er, in diesem Dr. Hagedorn einen eifersüchtigen Rivalen erkannt zu haben. Ihm erschien das um so gewisser, als er überzeugt war, daß jeder »vernünftige Mann« sich in seine Claudia verlieben müsse, es gab ja nicht ein einziges Mädchen, das ihr glich. Ulrike hatte er bei dieser Überlegung, wie auch sonst, einfach vergessen.

An schnelles Handeln gewöhnt änderte er seine Taktik sofort. Bis jetzt hatten er und Claudia in stiller Übereinkunft vermieden, einander anzureden. Das »Sie« wollte nicht mehr über die Lippen, und das »Du« getraute sich noch nicht hervor. Mit einem winzigen Wörtchen klärte Hans die Lage und schaute dabei den Gegner mit freundlichem Lächeln an, als erheische er dessen Zustimmung.

»Du wirst jedenfalls künftig nicht mehr Rad fahren, Claudia, dafür werde ich sorgen«, sagte er mit der Miene eines langjährigen Ehemanns.

Alexander stutzte, Claudia wurde rot.

»Ach ... aber ...« stotterte sie verlegen.

»Da gibt es kein Ach und kein Aber, mein Liebes. Ich möchte eine gesunde Frau haben«, tat er energisch.

»Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Herwig, beabsichtigen Sie, meine Kusine zu heiraten?« erkundigte sich Alexander ernsthaft, aber in den Mundwinkeln saß, wenn auch noch versteckt, ein Lächeln bereit.

»Ja – wir sind miteinander verlobt. Allerdings noch nicht offiziell.« Hans griff nach Claudias Hand und schaute den Nebenbuhler triumphierend an.

»Mama weiß es auch noch nicht, Axel«, gestand Claudia verlegen.

Ein herzliches Lachen war die Antwort.

»Mädchen«, noch immer lachend schüttelte Hagedorn den Kopf, »das ist allerdings noch sehr inoffiziell! Demnach bin ich wohl der erste, der um das süße Geheimnis weiß?«

Claudia nickte. Hans sah nicht sehr geistreich aus. Er hatte das Gefühl, mit Kanonen auf Spatzen geschossen zu haben. Dieser Hagedorn gebärdete sich nicht wie ein enttäuschter Nebenbuhler – kein Zweifel, sein Lachen war echt.

Und wenn er lachte, wirkte er gleich viel sympathischer, stellte Hans insgeheim fest.

»Also wird mein Antrag von Ihnen akzeptiert?« erkundigte sich Hans Herwig vergnügt.

»Voll und ganz, mein Lieber«, nickte Hagedorn und dann, sein Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an, »übrigens, Ihre Freundin mit dem alten DKW – ich traf wiederholt eine junge Kunsthändlerin, sie stammt auch aus ...«

»Ich sag' ja – der alte Bomber ist unverkennbar, einen besseren Steckbrief gibt es nicht«, unterbrach ihn Herwig belustigt. »Damit herumzufahren bringt auch nur Ulrike fertig. Die junge Kunsthändlerin ...«

»Sie scheint tatsächlich sehr couragiert zu sein. Es ist für eine junge Dame nicht leicht, als Aufkäuferin tätig zu sein.«

»Ist es auch nicht. Aber was soll sie machen? Daheim ist Not am Mann – zwei Brüder, unglücklicherweise auch noch Zwillinge, wollen jetzt studieren. Der Vater lebt nicht mehr, die Mutter plagt sich als Schriftstellerin ab, Geld ist nicht da – und nun will Ulrike helfen.«

»Ach – so ist das also ...« meinte Hagedorn nachdenklich und Claudia richtete sich, auf die Ellenbogen gestützt auf.

»Die junge Dame war doch auch bei uns – du erinnerst dich, Axel, sie wollte das Schachspiel kaufen und dann hast du es ihr weggeschnappt«, sagte sie lebhaft.

Herwig hob ruckartig den Kopf.

»Du lieber Himmel – sind Sie etwa der Konkurrent, der das arme Mädchen schier zur Verzweiflung bringt?«

»Ich kann es nicht leugnen ...«

»Und ich hatte schon an eine nette Verlobungsfeier gedacht! Schade – aber mit Ihnen kann ich Ulrike unmöglich an einen Tisch setzen!« rief Herwig und schaute den Schriftsteller mißbilligend an. »Meine Freundin hat einen Mordszorn auf Sie. Ach du lieber Himmel ...«

Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und starrte völlig geistesabwesend vor sich hin.

»Hans ...« Claudia zupfte ihn leicht am Ärmel und machte ganz ängstliche Augen.

»Ich habe ja ganz vergessen, mein Angebot zurückzuziehen«, murmelte er verstört und fuhr sich ein paarmal mit der Hand über das Haar, »ich weiß, völlig unkorrekt, aber da mach' einer was, ich habe nur noch an dich gedacht, Claudia.«

»Aber was denn nur ... Hans, welches Angebot?« forschte die junge Braut.

»Meinen Heiratsantrag ...«

»Deinen Heiratsantrag?« Claudia verstand nichts und Hagedorn begann etwas zu ahnen – er zerbarst fast vor Spannung.

»Mußt dich nicht aufregen, mein Süßes ... es ist wirklich nicht schlimm. Ehe ich nach drüben ging, hatte ich Ulrike den Vorschlag gemacht, mich später zu heiraten ... ja doch, Kleines, damals kannte ich dich doch noch nicht ...« er hielt beruhigend und streichelnd ihre Hand fest, die sich ganz erschrocken in seinen Ärmel gekrallt hatte. »Ich fand damals, daß wir ganz gut zueinander passen würden.«

»Und Ihre Freundin?« warf Hagedorn ein.

»Ja – erst wollte sie nur aus himmelhoher Liebe heiraten, dann konnte ich sie wohl überzeugen, daß es so etwas nicht gibt ... ja doch, Claudia – ich wußte doch nicht, daß du auf der Welt bist und so ...« er warf der kleinen Braut einen Blick zu, der als vollgültiger Beweis zu werten war, daß er inzwischen von der Existenz der himmelhohen Liebe restlos überzeugt war, »also schließlich war sie nicht abgeneigt und fand eine eheliche Verbindung mit mir auch ganz praktisch. Aber als ich jetzt hierher kam, gab sie mir einen Riesenkorb ...«

»Na, Gott sei Dank ...« Claudia streichelte scheu über seine Hand, Hagedorn lachte ergötzt.

»Und was ist nun mit Ihrem Angebot?« erkundigte sich Axel. »Und warum gab Sie Ihnen einen Korb?«

»Ich hielt das Angebot dummerweise für weitere vier Wochen aufrecht«, bekannte Herwig kleinlaut. »Es hat noch drei Wochen Gültigkeit ...«

»Hans!« Claudia starrte Hans entsetzt an.

»Nicht doch, Kleines, nicht aufregen. Es ist halb so schlimm. Sie wollte mich doch nicht und wird überhaupt nicht traurig sein, wenn ich meinen Antrag zurückziehe. Sie hätte mich ja doch nicht genommen – hat sich himmelhoch und ganz unglücklich verliebt in irgendeinen Mann, der nichts von ihr wissen will. Muß ein kompletter Idiot sein ...«

»Hat Sie Ihnen das gesagt?«

»Idiot hat sie ihn nicht genannt – aber daß die Liebe einseitig ist, hat sie mir gesagt und damit ihre Ablehnung begründet.«

Hagedorn atmete auf.

»Und Sie glauben, die Gefühle der jungen Damen haben sich inzwischen nicht geändert?« erkundigte sich Hagedorn voller Zweifel.

Herwig dachte nach.

»Hm – möglich wäre es. Zumindest ist sie nicht gut auf die Männer zu sprechen. Mag sein, daß der Ärger mit diesem Konkurrenten schuld daran ist – Frauen denken ja nicht immer logisch, nicht wahr? Aber sicher ist auch, daß ihre Gefühle in Bezug auf mich sich nicht verändert haben. Das hat man ja schnell raus, ob ein Mädchen verliebt ist oder nicht.«

»Hans ... du bist schrecklich ...«

»Wieso denn, Claudia? fragte er arglos.

Verschämt senkte sie die Augen.

»Was soll Axel nur denken? Als ob ich dich hätte merken lassen ...«

»Aber mein Süßes, das gehört doch dazu! Sagen Sie selbst, Herr Doktor, würden Sie einem Mädchen eine Liebeserklärung machen, wenn Sie den Eindruck hätten, daß sie keine hören will?«

»Unter keinen Umständen, man muß schon einige Sicherheit haben ...«

»Da hörst du es. Es muß alles seinen Sinn haben. Ich würde einem Abstinenzler keinen Alkohol verkaufen wollen, da biete ich Fruchtsäfte an ...« er kam nicht weiter.

Claudia lachte hellauf.

»Axel – soll ich ihn wirklich nehmen?« fragte sie übermütig.

»Nimm ihn, Kusinchen – etwas Geschäftsgeist bekommt euch besser als der vornehmste Familienspuk«, lachte Hagedorn und erhob sich.

Mit herzlichen Worten sprach er jetzt endlich einen Glückwunsch aus. Er wandte sich zum Gehen und dann schien ihm noch etwas einzufallen. Er drehte sich noch einmal um und meinte gleichmütig:

»Ich hielte es aber doch für gut, wenn Sie Ihr Angebot schleunigst zurückziehen würden, lieber Herwig. Es könnte ja sein, daß die junge Dame es für sich noch als verbindlich betrachtet.«


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