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Der Mann mit den grünen Haaren und dem rosa Schnurrbart

Tek – Tek – Tek – Text schnarrten, quiekten, quäkten, dröhnten und rollten frech und drohend die großen Buchdruckerpressen, heißhungrig die riesigen Fänger ausstreckend und ihre furchtbaren Höllenrachen öffnend und schließend. »Text, Text wollen wir, mehr Text, wir haben Hunger, wir wollen gefüttert werden und es fehlen noch zwei Bogen, zwei ganze Bogen, und das bedeutet Rollen, Rollen, große dicke Rollen von gutem, weißen, saftigen holzfreien Druckpapier, und das wollen wir fressen, fressen, denn wir haben Hunger, furchtbaren Hunger! Gib uns Text!«

So tönt es mir entgegen, wenn auch in lieblicher Übertragung, es stand auf einem schmutzigen einmal weiß gewesenen Zettel, der zwischen den noch schmutzigeren Fingern des schmutzigsten aller Druckteufel vulgo Buchdruckerlehrling stak und das mir die Druckerei mit der energischen Aufforderung sandte, die noch fehlenden zwei Bogen Text zu senden, die noch nötig waren, um der vorliegenden Skizzensammlung ein behäbigeres Aussehen und den freundlichen Käufern ein genügenderes Equivalent für den Kaufpreis zu geben.

Text, Text, Text; wo sollte ich in aller Kontinenten Namen noch mehr Text herauspressen! Aus diesem Nervengewirr von fieberndem Hirn, das schon tage- und nächtelang vergebens in den Vorratskammern der Erinnerung herumgekramt, um in irgend einem Winkelchen noch etwas zu finden, das sich ereignet hatte, als ich noch auf der Welt war. –

Und noch dazu schleunigst, dalli, wie der Berliner sagt, mit Expreßeile, wie sollte ich da die verschiedenen schlaftrunken herumliegenden und herumlungernden Figuren aus meiner Amerikazeit wieder zu lebenden, herumspazierenden, schwatzenden, liebenden und betrügenden Personen umgestalten, sie mit dem nötigen Flitterglanz behängen, den sie vor der Rampe der Öffentlichkeit benötigen, um sie interessant erscheinen zu lassen, ihnen große mexikanische Hüte aufsetzen und schlanke Galanteriedegen an die Seite zu hängen, ihnen samtene Mieder und kurze spanische Röckchen anzuziehen, ihnen Rosen in die dunklen Haare zu stecken, kurzum, sie appetitlich und abstoßend, je nach der Rolle, die sie zu spielen haben, zu servieren.

Wie sollte ich ferner meine Phantasie wie einen Elektromotor arbeiten lassen, meine Phantasie, die nie einen Schuß Pulver wert gewesen war, wo doch früher mein Leben nur aus Dollars und Cents oder Pesos und Centavos zusammengesetzt war und wo jetzt eine unabänderliche Notwendigkeit mich nolens-volens unter die Mußschriftsteller gesteckt hatte.

Aber das Muß, das zwingende Muß, die hungernden Maschinen und mein hungernder Magen petzen, zwicken, schieben und stoßen das arme Hirn, es muß, es soll arbeiten – und es wird arbeiten.

Also Phantasie, breite deine Schwingen aus und trage mich zurück auf kurze Stunden in das grüne silberdurchwirkte Land der Azteken, zu den Cautemocs und Montezumas, nach der Calle San Francisco, nach dem Zocalo und der Alameda, nach der Reforma und nach Chapultepec.

Requisiteur! Da brauche ich eine große Bärenmütze und ein schneeweißes Lederschurzfell und hohe Gamaschen und einen Tambour-Majorstab mit großem goldenen Knopf und trikolorfarbigen, mit Gold durchwirkten Franzen und einen martialischen Schnurrbart und Clairons und Tamboure und schmetternde Janitscharenmusik und einen berauschenden, zehntausend französische Grenadierfüße in Bewegung setzenden Marsch und Phantasie, viel Phantasie und wehende Taschentücher und leuchtende Augen und in den Taschen verzweifelt geballte Fäuste und noch vieles mehr. Und dann zieht vor dem geistigen Auge die Armee Bazaines, die ruhmgekrönte, im vollsten Gloire-Glanze der siegreichen Schlachtfelder von Solferino und Magenta, durch die geraden Straßen Pueblas nach der Plaza de la Catedral und vorn der Mann, dessen späteres Leben und dessen Tod diese Zeilen beschreiben sollen, der schönste Mann einer schönen Armee, bald vorwärts, bald rückwärts schreitend, den Tambour-Majorstab nach den Rhythmen der Musik schwingend und von Zeit zu Zeit hoch in die Luft wirbelnd: Jean-Baptiste Gaillard, der Mann mit den grünen Haaren und dem rosa Schnurrbart. – – – – – – –

Das alte Mexiko schlief. – Langjährige Ruhe, physisch und politisch; nirgends rührte sich etwas, es wurde langweilig. So dachte wenigstens der alte Popocatepetl und der Pik von Orizaba und wie sie sonst noch heißen mögen, die alten schneebedeckten Häupter einer großen unruhigen und vulkanischen Vergangenheit. Lange schon gährte und brütete es in ihrem Inneren und grollend und rollend protestierten sie eines schönen Sonntags im Spätherbste des Jahres 1894 gegen dieses andauernde, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Die beiden großen Rädelsführer gaben das Signal und das Treffen gegen diese schon zu lange dauernde Universal-Siesta begann. Der Hauptcoup sollte gegen die Hauptstadt und den Distrito-Federal, das valle-de-Mexiko, geführt werden. Von allen Seiten auf einmal wurde gegen das Zentrum losgegangen. Die Bergriesen schleuderten ihre Feuermassen gen Himmel und ließen sie in glühendem, schweren Lavaregen gegen den Feind rasseln. Die Berge öffneten ihre Klüfte, entsandten beißende, stechende giftige Schwefelmassen, die von den Wolken dann, die den Elementen Hilfsdienste leisteten, wieder gen unten gedrückt wurden; die Erde im weitesten Umfange bebte und schüttelte sich wie ein widerspenstiges Roß, das die Last seines Reiters nicht tragen will, und warf alles nieder was beweglich, und zerriß, zerbarst und zerstörte alles, was von Menschenhand zusammengefügt war. Die Menschen erinnerten sich wieder, wie geringfügig sie doch eigentlich waren, flüchteten sich schreiend und um Barmherzigkeit flehend auf die freien Plätze, auf den Knien herumrutschend und den Allmächtigen bittend, ihr wertes Leben doch zu verschonen.

Der Nachmittag war schwül gewesen; ich hatte ihn lesend auf meinem Zimmer des Hotels Yturbide, dem alten ehemaligen Kaiserpalaste, verbracht, als die über- und unterirdischen Gewalten ihr zerstörendes Werk und ihr Wutgeheul in Szene setzten. Ich lag in dem musselinbedeckten, breiten, eisernen Bett, als die Mauern barsten und die schwarzen und gelben Wolken sich zur Erde ließen, als der Plafond einstürzte und schwere Stuckstücke mit einem Schlage alles im Zimmer bestreuten. Und dann bebte es weiter und die andern Mauern barsten und die Fensterscheiben klirrten in Stücke, und wieder prasselte es und herunter kam, was noch oben geblieben war. – Tot war ich nicht, auch tat mir nichts weh. Ich lag still und ruhig da und wartete auf das nächste Beben und den gänzlichen Zusammensturz, aber es kam nicht. Drei, vier, fünf Minuten vergingen und alles blieb ruhig.

Dann hörte man laute Schreie und Rufe von der Straße her und Gewimmer und Gebete. Ich zog ein Bein an und dann das andere, schob einige Stuckstücke beiseite und balancierte über die Trümmerhaufen nach der Türe, die auch in Stücke gegangen war. Ich riß die Bretter zurück, stieg hinaus auf die steinerne Altane, deren Säulen auch zum Teil geborsten waren. Ich wollte nach der großen Treppe, aber diese lag in Trümmern da. Ich hörte Stimmen, aber sah Niemanden. Dann tastete ich mich zurück nach meinem Zimmer, weil ich nicht recht wußte, was ich nun eigentlich am richtigsten beginnen sollte. Über die Trümmerhaufen steigend gelangte ich bis ans Fenster. In demselben Augenblicke, als ich mich dem mit Glasscherben und -Splittern besäten Fensterrahmen näherte, erschien in der Fensteröffnung ein Gesicht, ein so merkwürdiges und unter anderen Umständen vielleicht grausig-komisch wirkendes Gesicht, daß ich, der bei dem großen Beben nicht den kleinsten Augenblick gezittert hatte, fühlte, wie mir das Herz still stand und wie sich unwillkürlich die Haare sträubten. – War es der Gottseibeiuns, der da sein Werk der Zerstörung inspizieren und nachsehen wollte, ob unter anderem auch ich ihm nicht entgangen war? Aber dann besann ich mich, als im nächsten Augenblick das Gehirn wieder zu funktionieren anfing, daß ich den Mannskopf schon irgendwo gesehen hatte, aber nicht so, wie er mich da anschaute und nun zu reden begann, sondern anders, ganz anders und doch konnte es nur er sein, und ich hatte ihn oft gesehen, sehr oft, aber wo, wo, in aller Heiligen Namen wo??

Und dann erfaßten meine Ohren, was der Mann da draußen zu mir sprach, in schlechtem Spanisch, dem man den Fremden anhörte und dessen schlechte Aussprache durch das Fehlen fast sämtlicher Vorderzähne noch verschärft wurde. Aber ich folgte doch willig, wenn auch betäubt und mechanisch, seinen Anweisungen, meine Rettung betreffend. Er war an der Blitzableiter-Leitung in die Höhe geklettert und löste eine rote, ewig lange Leibbinde ab, die er nach Art der Neapolitaner als Hosenträger benutzt hatte, und befestigte sie an meinem Fensterriegel, nachdem er diesen auf seine Festigkeit hin geprüft hatte, und dann umwand er meine Hand mit der Binde, sodaß sie sicher gleiten konnte. Dann ließ er sich langsam wieder an der Leitung herunter, mich Schritt für Schritt stützend, sodaß ich langsam und sicher an seiner Seite der terra firma zuglitt.

Unten angekommen wußte ich mit einem Male, woher ich meinen Retter aus schwieriger Lage schon so lange kannte. Da war es nämlich, vis-à-vis von mir, keine 20 Schritte von mir entfernt, auf einem bemalten und lackierten Blechschilde, genau so wie neben mir in Natura und darunter stand: » tintura dol Rayo«, »Regenbogentinktur«. Das Haar war in der Mitte geteilt und auf der einen Seite kohlrabenschwarz, auf der anderen Seite von sprichwörtlichem schneeweiß und ebenso der Schnurrbart und der französische Kinnbart, nur daß für diesen letzteren die Farben anders verteilt waren und selbst der Dümmste ohne Sprachkenntnisse wußte sofort, daß hier die Vorzüge eines Patent-Haarfärbemittels zur Anschauung gebracht werden sollten. Jean-Baptiste, denn er war es selbst, nach beinahe 30 Jahren nach seinem glorreichen Einzuge an der Spitze der französischen Armee, war der Fabrikant dieses Verjüngerungs- und Verschönerungsmittels. Im Laufe der Jahre war sein Haupthaar weiß und sein Barthaar grau geworden, und er selbst war ein guter Abnehmer seines eigenen Mittels. Aber trotzdem er in effigie so tadellos die Wirkung seiner Tinktur einem erstaunten Publikum vorführte, war das Entgegengesetzte bei ihm in Wirklichkeit der Fall. Ob er nun seine Mixtur bei sich selbst nicht sorgfältig genug oder zu unregelmäßig, oder wieder zu ungeschickt applizierte, kurzum, sein Haar war im Laufe der Jahre durch die Nußtinktur anstatt schwarz – grün geworden, während sein Bart, der volle 20 Jahre jünger als sein Kopfhaar war und von Natur jetzt eine graue, durch das viele Rauchen, Schnupfen und Tabakkauen gelbliche Färbung gehabt hätte, durch das Mischen mit der Färbemixtur rosigrot war; und er, der Held von 20 Schlachten, ahnte wohl garnicht das wunderliche und absonderliche Resultat seiner Toilettenkünste.

Aus diesem von einer so außergewöhnlichen Farbenzusammenstellung umrahmten langen, schmalen, von einer schmutzig gelben Haut überzogenen verhärmten Gesichte ragte eine unheimlich große Nase mit großem Höcker, wie ich sie in dieser Furchtbarkeit nie wieder gesehen habe. Durch den gelben Untergrund einer von Strapazen, Entbehrungen und Sonnenbrand ausgegerbten Haut zogen sich unzählige Falten und Linien, wie ein riesiges Kanalnetz, und in diese Streifen und Streifchen hatte sich im Laufe von längern Jahren beim Schweißwischen oder sonst wie die Farbe seiner Mixtur fest hinein gesetzt, sodaß das ganze Netz in den dunkelsten Farbentönen aus der ledernen gelben Haut herauslugte und dem Gesichte, aus dem ein paar gutmütige, aber blöde Augen blickten, ein ganz merkwürdiges, scheußliches, aber in seiner Scheußlichkeit höchst bemerkenswertes und interessantes Ensemble bildete.

Jean Baptiste Gaillard hatte mir das Leben gerettet, denn ein neuer heftiger Stoß gab dem alten Gemäuer dort oben den letzten Rest und begrub die oberen Etagen des Gebäudes in Trümmern. Seinen Lebensretter findet man immer schön, und so übersah ich vollständig die Abnormitäten dieses merkwürdigen Mannes und war nur darauf bedacht, ihm, so viel es in meiner Macht stand, meine Dankbarkeit zu bezeugen. Geld bedurfte er nicht, er verdiente genug mit seinem Höllengebräu, um seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Außerdem besaß er eine kleine Besitzung mit einem Häuschen drauf und einem Laboratorium ganz weit da draußen, wo es nach den schwimmenden Inseln geht. Der Barbier da drüben, vis-à-vis von dem Hotel, verkaufte seine Tinktur und deshalb war das absonderliche Konterfei, das ganz Mexiko bekannt war, dort angebracht.

Ich besuchte ihn öfters da draußen in seinem Häuschen, und dann leuchteten seine kleinen Äuglein auf und der alte Geist kehrte auf kurze Stunden in das alte müde Gehirn wieder zurück, denn nur mit mir konnte er sich, was ihm seit langem schon versagt gewesen war, in seinem geliebten Provencalisch unterhalten. Und dann legte er los, bei einer guten Tasse Kaffee, und erzählte von den kaiserlichen Adlern und den fliegenden Fahnen, wie er an der Spitze seines Regimentes hinter Viktor Emanuel und seinem Kaiser in Mailand eingezogen, und von Solferino, wo er an der Schulter verwundet worden, und von den Schlachten in der Tierra Caliente und in den Pulquefeldern Mexikos. Und dann beklagte er Frankreichs Los, wie es eine lumpige Republik geworden und die Gloire eingebüßt hatte, die Gloire und den Glauben an sich selbst und die Tradition und alles das, was sein geliebtes Land früher an die Spitze der Zivilisation gestellt hatte. Die alten Requisiten, die bei der großen Maskerade, die man Armee nennt, notwendig sind, hatte er noch und zeigte sie mit Stolz. Und dann verfiel er in langes Sinnen und sprach oft minutenlang nichts.

Er war Junggeselle geblieben, aber das Ewig-Weibliche hatte stets, wie er mir erzählte, die größte Wirkung auf ihn ausgeübt, und neben seinem Tambour-Majorstab und seinen Epauletten war ihm das Weib, das Weib, wie es die Natur schafft, um den Mann zu betören, das höchste und einzigste anbetungswürdige Wesen geblieben.

Sinneslust und Begierden hatten ihre Zeichen und Stempel tief in seine Züge eingefurcht, und wenn er dann so von seinen Abenteuern und Erfolgen bei den Töchtern Evas, Weißen und Gelben, Braunen und Schwarzen, erzählte, dann verzogen sich sekundenlang seine Züge und das Abstoßende an ihnen wurde, wenn möglich, noch abstoßender, und das blöde Auge wurde das eines Satyr und eines Faun.

Aber er war mein Lebensretter und alt, und ich durfte und konnte ihm nicht zeigen, wie wenig angenehm berührt ich von seinen Ausführungen war. – – »Die kleinen Mädchen, ah, Monsieur, die kleinen Mädchen, comme je les adore!« Sein Kopf war alt, aber sein Körper stand noch auf festen Beinen, und wenn er so, mich nach dem Gartentor begleitend, den großen Calabreserhut auf dem Kopfe, die braune Plüschjacke auf den Schultern, die rote Kravatte auf dem offenen, weißen Hemd, den breiten roten Shawl um die Lenden, neben mir her schritt, war er immer doch noch, das häßliche Gesicht abgerechnet, eine stattliche Mannesfigur, und mit einiger Phantasie war es wohl möglich, sich das Bild des ehemaligen Gardegrenadiers, des schönsten Mannes der Armee, zu rekonstruieren.

Bei meinem dritten oder vierten Besuche wartete meiner eine Überraschung. Ich war hinausgeritten, am Kanal entlang, auf den die fruchtbeladenen Kähne, von schneeweiß gekleideten, Inditos und Inditas geführt, lautlos hinabglitten, und hatte, von Dankbarkeit getrieben, einen Umweg gemacht, um meinen alten Jean-Baptiste zu besuchen.

Als ich im Patio seines kleinen Hauses aus dem Sattel sprang, fand ich Gaillard freudestrahlend vor. Auf einem Stuhl neben dem kleinen Tischchen, auf dem noch die Teller mit den Überresten eines leckeren Schmauses in Gestalt von Guajaloteknochen, in schwarzer Pfeffersauce schwimmend, standen, saß ein hübsches Indianermädchen, ein Kind noch; es hatte freie, offene Züge, lange, schwarze Zöpfe und sah bescheiden zur Erde nieder, als der Alte sie mir freudestrahlend als seine Braut vorstellte.

14 Jahre war sie alt, die kleine Ramoncita, und kindhaft waren ihre Formen und kindhaft ihr Sinn. Aber nach mexikanischen Sitten und nach mexikanischem Gesetz war sie bereits fähig, an den Altar zu treten, sie durfte Weib sein und Mutter werden. Eine rote Korallenkette umschlang ihren zarten, braunen Hals, sie reichte mir schüchtern und verschämt, mit einem leisen: » Servidora de Vd. Señor«, die Hand, als ich ihr etwas erstaunt zu ihrem Brautstande gratulierte.

Ramoncita hatte das Wohlgefallen des alten Wüstlings, denn die Sinneslust leuchtete bei ihrem Anblick aus seinen Augen, erregt und die Familie der jungen Braut hatte mit Eifer die Gelegenheit erfaßt, einen für ihre Verhältnisse so wohlhabenden und ausnutzbaren Eidam zu bekommen.

Wie es um das Herzchen der kleinen Ramoncita stand, war deutlich zu erkennen. Auf alle seine täppischen und gierigen Liebkosungen reagierte sie nicht oder widerwillig und nannte ihn, trotzdem er sie duzte, beharrlich Sie und Señor.

Als sie für wenige Minuten in die Küche gegangen war, sprach ich Jean-Baptiste mein Erstaunen über seine Wahl aus, aber zwischen seinem zahnlosen Gaumen und den breiten wulstigen Lippen kamen nur zischende Laute hervor, und mit einem gierigen Aufleuchten der blöden Augen unter seinen buschigen Brauen stieß er heraus: »Ah, die kleinen Mädchen, Monsieur, die kleinen Mädchen, comme je les adore!«

Auf 14 Tage später war bereits die Hochzeit angesetzt und ich mußte ihm hoch und heilig versprechen, bei dieser Festlichkeit, die in großem Stil gefeiert werden und bei der nach alter mexikanischer Indianersitte die ganze Familie bis ins zehnte und fünfzehnte Glied versammelt sein sollte, anwesend zu sein. Einen Europäer wollte er doch wenigstens dabei haben, um mit ihm prahlen zu können. Seinem Lebensretter kann man, wenn ich auch über diesen Handel aufs Äußerste empört war, schwer etwas abschlagen. Dann hatte ich hier eine Gelegenheit, durch ein Geschenk meine Dankbarkeit zu einem gewissen Teile abzutragen und diese Gelegenheit durfte nicht vorüber gehen, denn ich sehnte mich darnach, diese meine Schuld aus der Welt zu schaffen; denn der Mann war mir bei dem Anblick dieses seines unschuldigen, neuesten Opfers seiner tierischen Begierden so widerwärtig geworden, daß ich auf alle Fälle so bald wie möglich mit ihm quitt werden mußte.

Wohl ahnte ich nicht, daß diesmal er selbst das grausame Opfer zu werden bestimmt war ...

Die Hochzeit bot das farbenprächtige Bild derartiger mexikanischer Veranstaltungen. Die Pulque floß in Strömen, naturell und mit zwanzig Säften gefärbt. Es wurde gefiedelt und geflötet, getanzt und geliebt, und getrunken und getrunken, wenn das Wort getrunken nicht viel zu sanft für dieses bestialische Herabstürzen des berauschenden weißen Saftes wäre. Und Caña wurde hineingegossen, und die Bewegungen und Begierden wurden immer zynischer, die Tänze immer wilder und sinnlicher ...

Jean-Baptistes Augen glühten, als wenn ein Phosphorgebräu und stinkender Schwefel in seinen Augäpfeln glimmten. Mit den Blicken des Tigers, der sein Opfer sicher hat, verfolgte er jede Bewegung der noch ahnungslosen und in ihrer Unschuld sich harmlos bewegenden Ramoncita.

Sobald ich endlich den Höflichkeitsbezeugungen der verschiedenen Familienoberhäupter entgehen und zu meinem Pferde gelangen konnte, was nicht leicht war, verschwand ich und kehrte zur Stadt zurück.

Fünf oder sechs Tage später kam ein Indianerbursche zu mir und brachte ein Zettelchen, auf dem Jean-Baptiste mit zitternder Hand die Bitte aussprach, ihn zu besuchen. Als ich dieser Bitte am nächsten Tage nachkam, fand ich ihn sehr verändert. Seine Lippen hatten eine grünliche Färbung und seine Hände zitterten, als er sie mir reichte; seine Worte waren inkoherent, und als seine junge Gattin, mich mit einem scheuen Blick messend, hinausgegangen war, flüsterte er etwas, das ich nicht verstand, und dann stieß er das Wort »poison« hervor, zischend: »sie haben mir Gift gegeben!«

Und seine Glieder zuckten, er starrte vor sich hin, die Lippen bewegten sich bebend und die gelbe Lederhaut mit den tausend Fältchen und Linien zog sich fest in ein Nichts zusammen, sodaß von dem scheußlichen Charakterkopf beinahe nichts anderes übrig blieb, als die große, übergroße Höckernase, die in dieser Umgebung Riesendimensionen angenommen zu haben schien, Nase, Nase, nichts als Nase. Und darüber auf der kleinen, unendlich kleinen, gedrungenen, gelben Stirn die grünen Haarbüschel, und über und unter den grünlich fahlgelben Wulstlippen die rosa Haare eines ehemalig stolzen Schnurrbartes. Ich versicherte ihm, daß ich ihm einen Arzt schicken würde. Eine Antwort war schon nicht mehr von ihm zu bekommen. Ich drückte seine Hand, die willenlos herabhing, und ging.

Als ich durch den Patio der Haustüre zuschritt, sah ich Ramoncita, die mich mit großen, angstvollen Augen anblickte, und die auf mein » hasta la vista, Doña Ramona« nur ein fast unhörbares » adios, Señor« hatte. Aber mein Blick erhaschte im Vorbeigehen einen Augenblick eine seltsame Szene: Hinter ihr saß hockend und apathisch wartend die Familie der jungen Frau. Sie wartete die Wirkung des Giftes ab, des langsam wirkenden Giftes, das ihre Tochter zur Herrin des Hauses und des Besitztumes machen sollte. Sie waren die Avantgarde. Schon waren die Umfassungsmauern besetzt und Schritt für Schritt, so wie der Tod in seinem Siegeszug durch die Adern des alten Kaisergrenadieres triumphierend vordrang, so sollten auch der Patio und die Innenräume des Hauses mit Beschlag belegt werden, bis das Gift das Gehirn erreicht und Jean-Baptistes alte Knochen zum Gerümpel geworfen werden konnten ... Der Arzt, den ich hinausgesandt, hatte mir telephoniert, daß der Alte nur noch wenige Stunden zu leben hätte.

Als ich am nächsten Tage in das Sterbehaus kam, glaubte ich, zu einem Hexensabbath zu kommen. Dieselben wilden Szenen, die ich schon bei der Hochzeit gesehen hatte, hatten sich wiederholt. Jean-Baptiste, tot, steif und starr, hockte auf einem alten Lehnstuhle in der Gerümpelkammer seines Laboratoriums. Hinter ihm auf einer staubigen Lade lagen das Lederschurzfell und die Gamaschen des ehemaligen Tambour-Majors, während seine Bärenmütze schief auf den zottigen, schwarzen Haaren eines schmierigen Indianers saß, der, den Tambour-Majorstab in der Hand schwingend, draußen im Patio vor der betrunkenen und voll Lust mit den Händen klatschenden Indianerbande groteske Tänze aufführte.

Hinter dem dürftigen Sarge schritt kein militärischer Trauerkordon, seine Insignien lagen nicht auf ihm, keine Trauertrompete erschallte, keine Trauersalve kreuzte sein Grab.

Das war das Ende des Siegers von Solferino, des schönsten Mannes der schönsten Armee.


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