Max Eyth
Volkmar
Max Eyth

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I. Jugendtraum.

1. Frühling.

     Einsam ist's im Rittersaale droben
Bei dem Vater und den Edelknechten,
Wenn sie ihres Jagdspeers Beute loben,
Oder über Krieg und Frieden rechten;
Einsam ist es, wenn die Humpen kreisen,
Klappernd auf den Tisch die Würfel fallen,
Oder wenn die altgewohnten Weisen
In dem Steingewölbe widerhallen,
Wenn gerührt von schwertgewohnten Händen
Harfen ihre Schlachtenlieder singen,
Und der Ahnherrn Waffen an den Wänden,
Wie im Traume, leise miterklingen;
Einsam ist's und kalt; es heult der Wind
Rasselnd in den hohen Bogenfenstern;
Durch die dunkeln Gänge schleicht das Kind,
Bang und zitternd vor den Nachtgespenstern.
Aber warm und heimlich ist's im Stübchen,
Wo die Amme bei dem Rocken sitzt,
Wenn der graue Pförtner seinem »Liebchen«
Dann am neuen Vogelbauer schnitzt, –
Wenn der alte »Wächter« grämlich knurrt,
Daß sie lachend ihm die Ohren zauste, –
Wenn auf ihrem Schoß die Katze schnurrt
Und dazu der Schneewind lauter brauste, –
Wenn die Amme, die sich müd' gelesen
Im Gebetbuch, das sie nie verläßt,
Ihr erzählt mit Augen, gramgenäßt,
Wie die Mutter gut und schön gewesen.

     Horch, es klopft! – »Sei ruhig, liebes Kind!«
Meint der Pförtner; – »'s ist Novemberwind!« –
Horch, es klopft! – »Es wird ein Pilger sein!« –
Seufzt die Amme; – »geht, und laßt ihn ein!« –
Horch, es klopft! – Die junge Brust erbebt.
Wie in schüchtern unverstand'nem Ahnen;
War's die Mutter, die vorüberschwebt?
Oder war es heut' ein andres Mahnen, –
War's die Zukunft, die mit leisem Schmerz
Dir gerührt ans zarte Kinderherz?

     Die Tür stößt auf, – der Sturmwind ras't, –
Die Lampe flammt erschrocken schnell;
Da steht der wunderliche Gast
Im braunen, zott'gen Bärenfell;
Am Fell, da hängt ihm Schnee und Eis,
Am Jägerspieß des Wildes Schweiß;
Zwei blaue, junge Augen –
Die blitzen feurig hell.

     »Kalt ist's im Walde«; – »Gott willkomm!« –
»Ich such' ein Obdach; gebt es mir!
Und wenn ich einmal wiederkomm',
Bring' ich das schönste Wild dafür!« –
Den Alten sagt er fröhlich Dank;
Das zott'ge Fell zur Erde sank;
Der holde, schlanke Knabe, –
Er neigte sich vor ihr.

     Sein Jagdkleid, nicht von Seide gut,
Ein rauhes Lederkoller war;
Nicht Straußenfedern auf dem Hut,
Die schwarze Schwinge nur vom Aar;
Doch schlank der Wuchs und leicht der Gang,
Hell seiner Stimme froher Klang,
Die kindlich blauen Augen,
Wie Frühlingshimmel, klar.

     Sie sah ihn an, bald scheu, bald mild;
Es muß ein Elfenknabe sein!
Er sieht sie an, das holde Bild;
Ist sie ein Engel, zart und rein?
Und wie er ihr ins Auge schaut.
Wie klopfte da ihr Herz so laut!
Und seines, als sie sagte:
»Du sollst willkommen sein!«

     Der alte Pförtner höhnt und lacht:
»Du kennst des Jägers kecke Lust?
Wenn man dein Spielzeug so betracht't,
Man sieht's: Du bist der Kraft bewußt!«
Halb zürnend, leicht errötet er:
»Gespielt hab' ich mit Wolf und Bär;
Mein Jagdspieß ist noch blutig;
Das kommt vom Spielen just!«

     Die Alte lächelt mütterlich:
»Wie braust der Wind im kalten Tann!
Komm, iß und trink und wärme dich,
Du kleiner, stolzer Jägersmann!« –
»›Mir ist es draußen nicht zu kalt!
Mein Haus ist eben dort der Wald,
Daß, wenn ich irrgegangen, –
Ich fürbaß gehen kann!‹« –

     Da schaut sie auf, so wundermild;
Es muß ein Elfenknabe sein!
Er sieht sie an, das schöne Bild;
Ist sie ein Engel, zart und rein?
»O gehe nicht! – sie flüstert's lind; –
Da draußen weht so kalt der Wind;
Sag an: wer ist dein Vater?
Und wer die Mutter dein?« –

     »›Mein Vater ist der stolze Tann;
Der lehrt das Wild mich jagen;
Der lehrt mich, werd' ich einst ein Mann,
Mich auch mit Männern schlagen;
Doch meine Mutter, – – frage nicht! –
Die ist das liebe Sonnenlicht;
Das tröst't mich, wenn ich weine!‹«

     »›Mein Vater sang durch Busch und Feld
Einstmals die schönsten Lieder;
Mein Vater ist ein starker Held,
Schlug manchen Feind darnieder;
Doch meine Mutter, – – frage nie!
Manchmal im Traume seh' ich sie, –
Die ist ein schöner Engel!‹« –

     Da sah sie auf mit nassem Blick,
Sah ihn so bangverwundert an;
Und schüchtern fragt er drum zurück:
»Was hat mein Lied dir Leids getan?«
Sie lächelt ihm in Tränen zu:
»Still ist des Grabes fromme Ruh!
Doch singe mir und sage, –
Sag an: Wer bist denn du?«

     »›Ich weiß es, wo die Bächlein tropfen,
Verschlossen im kristallnen Schrein;
Ich weiß es, wo die Zweige klopfen
Im Berg nach Gold und Edelstein;
Doch, kehrt der junge Frühling wieder,
Dann laß ich Zwerg und Nixe sein
Und singe fröhlich meine Lieder
Im lichten, lieben Sonnenschein.‹«

     »›Wild ist mein Sinn, und meine Freude
Der kalte, winterliche Forst;
Ich such' mein Glück und meine Beute
Im Bärennest und Adlerhorst;
Doch, kehrt der grüne Frühling wieder,
Dann laß ich Bär und Adler sein
Und singe fröhlich meine Lieder
Im lichten, lieben Sonnenschein!‹«

     »›Die Brust im Kampfgewühle offen, –
Freut mich das schwirrende Geschoß;
Mein Sehnen all und all mein Hoffen –
Das ist ein Schwert und ist ein Roß;
Doch, kehrt der holde Frühling wieder,
Dann laß ich Schwert und Lanze sein
Und singe fröhlich meine Lieder
Im lichten, lieben Sonnenschein!«

     Er lachte auf in heller Lust;
Da war er ja, der Sonnenschein!
Ihr zog's so freundlich durch die Brust,
Als schienen tausend Sterne drein!
Die Amme sah verwundert um,
Im Winkel saß der Pförtner stumm,
Der alte »Wächter« knurrte; –
»O laß dein Knurren sein!«

     Und Märchen wußt' er, hold und hehr;
Er sang so manches frohe Lied;
Sie lauschte – fast, als betet' er,
Und ward zu lauschen nimmer müd';
Bald scherzten sie und herzten sich
Ein Elfenpärchen minniglich;
O Kinderzeit, du holde,
Die mit dem Winter schied! – –

     Frühling war's, und mit des Baches Wellen
Plaudernd zog des Winters Freude heim;
Frühling war's und linde Lüfte schwellen,.
Fröhlich regte Knospe sich und Keim;
Nur ein Auge sah mit trübem Bangen,
Wie voll Blüten bald die Bäume prangen,
Wie so schnell die Blumen all genesen;
Winter war so freundlich mild gewesen.
Und – 's ist alles mit dem Schnee vergangen

     Wenn das Flockenheer, das muntre, wilde.
Tanzte, daß der Sturmwind gellend lacht,
Oder wenn aufs weite Schneegefilde
Klar herniedersah die kalte Nacht,
Wenn der Frost sich träumend eine Rose
An die Scheiben malte, wie im Gram:
Dann, dann ging die Klinke leise, lose.
Und sie wußte, daß er wiederkam.

     Aus der tiefsten Schlucht, den steilsten Gründen
Bracht' er Wild, das beste, das zu finden;
Lachend dankt der Pförtner ihm dafür;
Doch das Schönste, was er mochte bringen,
War sein fröhlich Herz, sein fröhlich Singen,
Und das alles, alles bracht' er ihr;
Wenn der weiße Schnee vor Kälte knarrte,
Wenn der Bach tief unterm Eis erstarrte
Und der Sturm sich mit den Flocken stritt,
Bracht' er Wachtelschlag und Maienlüfte,
Sonnenschein und süße Blumendüfte,
Brachte seinen ganzen Frühling mit.

     Jetzt war's Frühling, Licht und Wärme draußen;–
»Wilder Junge, nur auf Bergen hausen
Magst du, nicht in engen, trüben Wänden!
Magst wohl lieber deine Lieder senden
Hoch vom Felsen in den blauen Lüften,
Magst das Echo wecken in den Klüften,
Oder in dem Wald, dem blütebunten –«
Und sie zählte lange, lange nach,
Zählte manche still verweinte Stunden,
Zählte Tage, Wochen, aber, ach! –
Frühling war's, – der Knabe war verschwunden!

     Lerchen jubeln, Nachtigallen singen;
In des Forstes üppig grünem Schoß
Lacht die Sonne und die Knospen springen,
Und im Blütenmeer versinkt das Schloß;
Doch wenn abends noch die Wipfel glühten,
Schaut ein Auge nach dem fernen Tann;
Frühling, Frühling, geh mit deinen Blüten,
Daß es wieder Winter werden kann!

2. Der Schwur.

     »Ich soll nicht geh'n! – hat er gesagt!– –
Im fernsten Tann hab' ich gejagt,
Mich freute nicht das Wild im Sprunge,
Wenn es vom Pfeil getroffen ward;
Der Adler zog in sichrem Schwunge
Vorüber in den Lüften; ––
          O meine Hildegard!

     Drum hat mein Vater nie geschaut
Dein blaues Aug'! Der Stimme Laut
Mocht' er im Walde nie erlauschen,
Wie weich sie klingt, wie minniglich
Durch aller Zweige düstres Rauschen!
Wohl lieb' ich ihn, von Herzen,– –
          Und doch nicht so wie dich!– –

    Es war doch ein lustiges Leben
         Im Walde bei Hirsch und Reh,
    Nicht Zeit, um Träume zu weben
              Aus Lust und Weh!

    Wie hab' ich im Kampfe gedrücket
         Den Bären im nervigen Arm!
    Wie hab' ich das Messer gezücket,
              Vom Blute warm!

    Ha, denk' ich, wie oft ich blickte
         Im Wetter vom Felsendach,
    Wenn der Sturm die Tanne zerknickte
              Und die Eiche brach! –

    Wollt's unter mir brechen und sinken,
         Als ginge die Welt entzwei:
    Laß den Tod und den Abgrund winken!
              Wie war mir so frei!

     Sieh, dort die Tannen – dort das Schloß
Auf finstrer Kante, stolz und groß;
Ha dort – als wär' ein Sternenfunken
Gefallen in die Waldesnacht!
O laß mich, tief ins Moos gesunken,
Das helle Sternlein fragen,
Warum mein Lieb noch wacht?

Was bebst du auch herab zu mir,
Du scheuer Strahl, durchs Waldrevier?
O sag, ob wohl die Spindel leise
Ihr Märchen schnurrt aus alter Zeit?
O sprich, ob sie die fremde Weise
Versteht von Weh und Sehnen,
Versteht von Lieb und Leid?– –

    Das war doch ein glücklich Träumen
         Mit den Waldvögelein,
    Wenn die Wipfel rot sich säumen
              Im Abendschein!

    Noch hör' ich die Wachtel schlagen,
         Wenn dämmernd der Wald entschlief;
    Noch hör' ich des Baches Klagen
              Im Moose tief.

    Noch ist mir, als leg' ich mich nieder,
         Und aus dem unendlichen Blau
    Sanken die goldenen Lieder
              Wie Blütentau.

    Wie hab' ich so gerne gesungen,
         Frisch wie's aus dem Herzen quoll!
    Wie hat es so fröhlich geklungen!
              Wie war mir so wohl! – –

     Was sie wohl denkt? – Daß sie noch wach,
Macht es ein Lächeln, macht's ein Ach?
Ob sie's wohl ahnet, – leis, – verborgen,
Und selbst dabei kaum wüßte: was?
Daß hier ein Herz in Gram und Sorgen
Verbluten will, das einstmals
In ihrem Auge las?

     O still! das Sternenfunkeln lacht
So freundlich durch der Tannen Nacht;
So manche Blume blüht im Walde;
Nur zweier Sterne tiefes Licht, –
Nur du, Waldlilie, bleiche, kalte,
Von allen, die da blühen.
Die liebste, blühst mir nicht!

    Wo ging sie hin, die Freude,
         Wenn der Wind in den Wipfeln braust?
    Wo ist im Walde heute
         Die kecke Faust?
    Wo sind die bunten Lieder,
         Der Berge klingende Luft?
    Wer ist, der mir sie wieder
         Zum Leben ruft?
    Nacht ist's auf Berg und Halde
         Geworden mit einem Mal;
    Die Nebel steigen im Walde,
         Die Nebel im Tal.
    Und wird es trüb und trüber,
         Was kümmert mich die Welt?
    Es steht ein Stern darüber,
         Der sie erhellt!

     Das Licht verlöscht, O geh zur Ruh,
Du frommes Lieb, Lichtelfe du!
Ums Fenster seh' ich's dort noch säumen,
Das Mondlicht; – flüstert's ein Gebet?
Was mag die Rosenknospe träumen.
Wenn eines Engels Atem
Um ihre Blätter weht?

     Ja, träume du vom Blütenschnee;
Laß mir allein mein bittres Weh!
Wenn Stürme gell die Nacht zerreißen,
Der Waldbach braust im tiefen Schacht,
Wird's leichter wohl der Brust, der heißen –
Das Herz dir, armer Knabe,
Vielleicht zur Ruh' gebracht!

    Und doch – 's wird nicht vergehen,
         Was niemand lösen kann;
    Kein irdisch Sturmeswehen
         Zerreißt den Bann!

    Ja, dürft' ich zu Füßen ihr sitzen
         Und trinken der Sterne Licht
    Und dürfte mein Blut dir verspritzen
         Und du ahntest es nicht!

    Ja, dürft' ich knien und schwören
         Den glühenden, heiligen Eid,
    Daß ich dir wolle gehören
         In Ewigkeit!

    Wer wehrt mir's, daß ich mich scheue?
         Dein bin ich in Wetter und Not!
    Du führe mich, heilige Treue,
         Zum Leben, – zum Tod!

3. Des Vaters Schwert.

»Ich möcht' es jubeln durch Berg und Tal,
     Was ich in den blauen Sternen gelesen, –
Möcht's sagen dem goldenen Abendstrahl,
Möcht's singen den Blättlein, wohl tausendmal.
     Wie ich heute so glücklich gewesen!«

»Und sie hat mich geküßt! – O du holdes Kind,
     Goldlockiges, süßes, himmlisches Wesen!
Noch lauschet im Laube die Sonne so lind,
Noch fragen die Blätter, es horchet der Wind:
     Warum ich so glücklich gewesen?«

»Und sie rauschen und raunen mir heimlich zu:
     Wie mochte so schnelle das Herz dir genesen?
O schlummere, flüsternder Eichbaum du;
O Sonne, o Sonne, gehe zur Ruh;
     Heut' bin ich so glücklich gewesen!«

Da lag es duftend ihm zu Füßen,
     Das grüne, heimatliche Tal;
     Die Wipfel neigten allzumal
Sich seinem Singen, seinen Grüßen;
Wohl mögen heut' das frohe Nah'n
     Die stummen Freunde kaum verstehen;
Denn wie sie heut' den Jungen sah'n.
     So haben sie ihn nie gesehen.

Er hält zurück die flücht'gen Schritte,
     Er lauscht hinab ins Dämmerlicht;
     Dort, wo der Rauch aus Zweigen bricht.
Steht seines Vaters stille Hütte;
Dort rauscht am Fels der Bach vorbei,
     Mit dem er schon als Knäblein spielte;
Dort steht die Tanne keck und frei,
     Wonach der lust'ge Bube zielte.

Und dort die tausendjähr'ge Eiche, –
     Sie breitet übers schlichte Haus
     Die Riesenarme schützend aus,
Damit's kein wilder Sturm erreiche;
Noch wenn die Wälder kahl und nackt.
     Streckt sie zum Schirm dem Heimatsitze
Die Äste drohend, keckgezackt,
     Wie Gottes starrgeword'ne Blitze.

Ein Schwert, vielleicht der Schlachten Beute,
     Hängt am Gezweig, von dunklem Stahl;
     Den Vater fragt' er manches Mal;
Der sagt' ihm nie, was es bedeute;
Doch hat er's bebend schon belauscht,
     Wenn durch das Laub die Sterne scheinen;
Dann klingt das Schwert, der Nachtwind rauscht,
     Und seinen Vater hört' er weinen.

Sieh dort! Ha – blinken so die Waffen?
     Zwei Ritter reiten, hoch zu Pferd;
     Fast hört er klirren Sporn und Schwert;
Die Ringe blitzen, die Agraffen!
Sie zieh'n vielleicht zu Kampf und Streit?
     Sie mögen wohl vom Siegen kommen?
Und wie ein tief unsäglich Leid
     Zieht's durch das Herz ihm, – bang, beklommen!

Noch strahlt im Blick der Liebe Sehnen,
     Noch ist vom Lied das Echo wach;
     Jetzt tönt ein schwerersticktes Ach
Und aus den Augen stürzen Tränen;
»Ein Schwert und eine Lanze gut!
     »O daß ich auch ein Ritter wäre!
»Ich gäb' für dich so gern mein Blut,
     »Und Hab' nur eine Bubenzähre!«

Er steigt herab. – Bei seiner Eiche
     Steht dort des Vaters Kraftgestalt;
     Der gleicht dem Stamme stark und alt
Und ungebeugt vom Wetterstreiche;
Er hört die Tritte, wohlbekannt;
     Das greise herz schlägt lauter, schneller:
Es zuckt am Schwertesknauf die Hand
     Und seine Blicke werden heller.

Wohl ist die Falte ihm geblieben
     Ob seinem klaren Auge dort;
     Wohl hat der Schmerz ein eisig Wort
Ihm in das Angesicht geschrieben;
Wer zählt die Stürme, welche schon
     Dies frühergraute Haupt gegeißelt?
Wer kennt den Gram, den bittern Hohn,
     Der diese Marmorstirn gemeißelt?

Doch konnte aus den treuen Augen
     Und aus dem freundlich ernsten Mund,
     Es konnte aus des Herzens Grund
Das Leben nicht das Leben saugen;
Und als der Junge näher kam.
     War in dem Blick, dem stillen trüben,
Verschwunden all der herbe Gram
     Und nur die Liebe drin geblieben.

Das Schwert, das im Gezweig gehangen,
     hält heut' der Vater in der Hand;
     Der Knabe staunet unverwandt
Das Wunder an, mit Lust und Bangen;
Es wog die alte Faust den Stahl
     Und prüfend schau'n sich an die beiden:
»heut' seh'n wir uns zum letztenmal;
     Denn morgen, Junge, gilt's zu scheiden!«

»Ich hab' gesorgt für Schwert und Lanze
     Und für ein tüchtig Waffenkleid;
     Vorüber ist die Kinderzeit;
Nu ziehst zu andrem Spiel und Tanze;
Du zieh'st hinab den Bach entlang, –
     Dann donauaufwärts Tag' und Stunden;
Du zieh'st und ruhest nicht, solang'
     Bis deinen Kaiser du gefunden,«

»Sie wollten ihm die Krone rauben;
     Doch war nach jedem Schlage neu
     Des Volkes altgewohnte Treu
Und an das Volk sein fester Glauben;
Der hält das Banner im Gefecht;
     Wenn auch der Feind es überflutet:
Noch nie hat sich ein heilig Recht
     In einem heil'gen Kampf verblutet!«

»Wo heut' des Krieges Fahnen schwanken.
     Das ist im Walde nicht bekannt;
     Doch zieh getrost ins Bayerland,
Zieh hin nach Schwaben oder Franken;
Und findest du den Kaiser wert.
     So beug das Knie, wie sich 's gebühret;
Du bringst ein altes, gutes Schwert
     Und einen jungen Arm, der's führet!«

»Und fragt er nach den Wappenfeldern,
     Fragt er nach deinem Stamm und Blut,
     So sage keck und wohlgemut:
»Ich komme aus den deutschen Wäldern!«
Das Wappen, das dein Vater trug,
     Es ist verhüllt, es ist gefallen;
Ihm sei dein blaues Aug' genug
     Und deiner Locken goldnes Wallen!«

»Laß keinen Freund die Runen deuten.
     Die auf der alten Klinge stehn!
     Der Feind nur soll sie flammen sehn;
Dem zeige sie mit stolzen Freuden!
Im blut'gen Meer, Sturm um und um,
     Ist es dein Anker und dein Ruder,
Ist es dein größtes Heiligtum;
     Sei ihm getreu wie einem Bruder!«

»Und wenn vielleicht ein Heldenende
     Dir auf des Pfeiles Spitze naht:
     Der Erde laß die Erdensaat
Und gib den Geist in Gottes Hände;
Und dank dem Todesengel dann,
     Dem blutigen, dem bitterherben:
Du hast gelöst den finstern Bann
     Und ruhig kann dein Vater sterben!«

»Ja, Kind, vergiß niemals die Ehre
     Des Stammes, die ich dir vertraut!
     Sie sei dir eine Himmelsbraut,
Sei heilig dir, wie deine Wehre,
Daß nie im heißesten Gefecht
     Dein alter Vater es bereue.
Daß er dein Blut geweiht dem Recht
     Und Gott und unfrei deutschen Treue!«

Noch sprachen lange sie zusammen
     Von böser, sturmbewegter Zeit,
     Von Östreichs und von Bayerns Streit,
Und Volkmars blaue Augen flammen;
»O Kaiser Ludwig, Held voll Ruhm,
     Daß ich dein letzter Knappe wäre!«
Da gürtet ihm der Vater um
     Die klirrende, gefeite Wehre.

Die Kniee muß der Knabe neigen;
     Auf seine reichen Locken legt
     Der Vater ruhig, tiefbewegt
Die feste Hand in ernstem Schweigen;
Ihm ward, als trüg' ein sel'ger Traum
     Ihn hoch empor auf starken Schwingen;
Da rauscht der Wind im Eichenbaum
     Und leis hört er den Stahl erklingen.

4. Scheidend

Des Habsburgs stolze Banner wehten
     Vom Turm im Morgenwinde keck;
Es rufen lustig die Trompeten
     Im weiten Hof von Fichteneck.

Sie putzen rost'ge Hellebarden,
     Bis sie sich spiegelnd drin beschaun;
Sie wetzen aus dem Schwert die Scharten,
     Die sie im letzten Strauß gehaun.

Sie tummeln sich auf stolzen Rossen;
     Die Sporen klirren, froh und wild;
Laut grüßt der Freund den Streitgenossen:
     Wohlauf zum nahen Kampf! Es gilt! – –

Im Prunkgemach beim Becher sitzen
     Der Graf und Adelbert, sein Gast;
Die trinken rasch, die Augen blitzen;
     Es fliegt das Wort in leichter Hast.

Den Grafen packt ein heimlich Bangen;
     Sonst zitterte der Degen nie;
Und du, – was rötet deine Wangen,
     Du bleicher Abt von St. Marie?

Sie sprechen nicht von künft'gen Schlachten;
     Da wär' der Graf so stille nicht,
Des Abtes schwarze Augen lachten
     Ihm nicht so heimlich ins Gesicht! –

Und halb verborgen träumt im Erker
     Dort still des Hauses schönes Kind;
Ihr junges Herz pocht wie im Kerker,
     So mild sie küßt der Waldeswind.

Sie hört nicht auf das Kriegsgewerbe,
     Sieht nicht im Hofe Zug auf Zug,
Stickt Tränen in die bunte Schärpe,
     Die ihres Hauses Farbe trug.

Das war des Kummers erstes Kosen;
     O Gott, wie eine einz'ge Nacht
So welk der Wangen Frühlingsrosen,
     So müd die nassen Augen macht!

Da hört sie ihren Vater gehen;
     Wie sich ihr Auge senkt und hebt,
Hat sie den Mund gepreßt gesehen,
     Und seine bleiche Lippe bebt.

So herb ist nie sein Blick gewesen,
     Sah er sein Kind, sein einz'ges, an;
So klar hat sie's noch nie gelesen,
     Wie, sie dem Vater wehgetan!

Ob flehend ihre Augen baten,
     Ob ihr das Herzblut zitternd stockt: –
O Gott, der Priester hat's verraten.
     Was er dem scheuen Kind entlockt!

Sie schreckt zusammen: »sieh dort unten, –
     Dort steht er, den du hast gemeint!
Er ahnte wohl, wie bittre Stunden
     Heut deine Hildegard verweint!«

»Nein, nein! Er lacht, als ging's zum Reigen!
     Er scherzet froh mit Hund und Pferd!
Mein Vater, nein! Ich will dir zeigen,
     Daß noch dein Kind des Stammes wert!«

»O laß mich büßen mein Verbrechen,
     Wenn Ruh' und Kraft ich wiederfind';
Dort steht er; – heut muß alles brechen;
     O Vater, halt' dein armes Kind!«

Der Vater nickt, die Knappen gehen;
     Noch einen Blick, – sie ist allein! –
Noch einmal soll sie ihn ja sehen – –
     Das ist sein Gang! – Er fliegt herein!

Er steht, er schüttelt seine Locken;
     Es klopft sein stürmisch Herz bewegt;
Die Lippen zittern halb erschrocken,
     Eh noch ein Laut sich leise regt!

»Mein Lieb, was soll die Träne taugen
     Auf deinen Wangen, also blaß?
Mein Lieb, was machte deine Augen
     Und meinen Himmel trüb und naß?«

»Du weißt nicht, daß wir scheiden müssen;
     Doch diese Sterne klagen's mir;
Du weißt nicht, – 's ist mein letztes Grüßen;
     Doch diese Perlen sagen's dir!«

Sie schaut ihn an, so ruhig stille;
     Sie richtet langsam sich empor:
»Nein, daß wir scheiden, ist mein Wille,
     Und daß Ihr geht, wußt' ich zuvor!«

Da schüttelt er die reichen Locken;
     Es klopft sein Herz so bang bewegt;
Die Lippen zittern halb erschrocken,
     Eh noch ein Laut sich leise regt.

»Was mußtest du herauf mich rufen
     In dieses stolze Prunkgemach?
Stein ist die Halle, Stein die Stufen
     Hier unter deines Vaters Dach.«

»Hier hörst du nicht die Tanne rauschen,
     Die traulich flüsternd dich umzweigt;
Die Lerche kannst du nicht belauschen,
     Die jubelnd auf zum Himmel steigt.«

»Hier siehst du nicht die blauen Weiten,
     Der Berge fern erglühnden Schnee;
O Liebchen, laß uns so nicht scheiden.
     Wenn ich für immer weitergeh'!«

Sie schaut ihn an, sie tilget stille
     Die Träne in den Wimpern aus:
»Mein Glück ist meines Vaters Wille,
     Und meine Heimat ist sein Haus!«

Und wilder schüttelt er die Locken,
     Es bebt sein Herz, vom Sturm bewegt;
Die Lippen zittern bang erschrocken,
     Eh noch ein Laut sich leise regt.

»Hier kann ich nicht dir Blumen bringen
     Vom Wald, die du am liebsten hast;
Die Lieder kann ich hier nicht singen,
     Die mächtig einst dein Herz erfaßt!«

»Ich kann dich nicht im Arme tragen,
     Wo du so warm, so sicher bist;
Ich kann dir nicht mit Küssen sagen,
     Wie lieb mir deine Liebe ist!«

»Der achtzehn Ahnen grämlich Grämen
     Blickt kalt auf unser Wohl und Weh;
O laß mich so nicht Abschied nehmen,
     Mein Liebchen, wenn ich weitergeh'!«

Da zuckt in ihr ein zürnend Hadern;
     Sie wendet rasch die Augen weg;
Es regte sich in ihren Adern
     Der alte Stolz von Fichteneck.

»O wohl hab' ich mich schwer vergangen,
     Daß liebend ich um dich geweint;
Mit Reue seh' ich's und mit Bangen,
     Wie treu mein Vater es gemeint.«

»Hast du den Frieden mir genommen,
     So ist's der Stolz, der mich erhält;
Geh hin, woher du bist gekommen, –
     In deinen Wald, in deine Welt!«

»Vergessen will ich deine Lieder,
     Vergessen deine Minne keck;
Du aber denke niemals wieder
     An eine Maid von Fichteneck!« –

Da kocht sein Herz, die Augen brannten.
     In seine Wangen stieg die Glut:
»Wohl, Jungfrau, hab' ich Euch verstanden!
     Der Pfeil war scharf, der Pfeil traf gut.«

»Die Wunde laß ich bluten gerne;
     Vergebt, daß ich Euch je betrübt!
Ich denk' nun Eurer in der Ferne; –
     Vergebt, daß ich Euch je geliebt!«

»Doch sollt Ihr nie Euch meiner schämen;
     Frei Blut durch diese Adern rollt;
Lebt wohl! Wir wollten Abschied nehmen, ..
     Lebt wohl! Ihr habt es so gewollt!«

Er neigte sich, – er ist gegangen,
     So leis; – sie hörte nicht sein Fliehn;
Still ist's und tot; – auf ihren Wangen
     Hängt eine Träne noch um ihn.

Der Waldwind rauscht, die Fenster klangen,
     Und welke Blumen mit ihm ziehn;
Still ist's und tot; – auf ihren Wangen
     Hängt eine Träne noch um ihn.

Des Vaters ernste Blicke drangen
     In ihrer Augen mattes Glühn;
Still ist's und tot; – auf ihren Wangen
     Hängt eine Träne noch um ihn.

5. Wandernd

     Jung Volkmar zieht den Bach entlang;
Er zieht hinauf den Donaustrom;
Es schallt sein fröhlicher Gesang
Auf Bergeshöhn, auf grünen Matten
Im frischen, freien Waldesdom.

     Jung Volkmar trägt in frohem Mut
Ein langes Schwert zur Seite stolz;
Leicht ist sein Schritt, leicht wallt sein Blut,
Seit in der Sonne warmem Scheinen
Ihm jeder Gram vom Herzen schmolz.

     Jung Volkmar sucht vier Tage lang
Nach seinem Kaiser, seinem Herrn;
Vier Lieder er zur Laute sang;
Was hallt von Berg zu Berge
Bis in die Heimat fern.

1.

     Ich wache auf; der Eichenbaum –
Der schüttelt sich froh im Morgenwind;
Du reichst mir herüber aus meinem Traum
Den Mund zum Kusse, du schönes Kind;
     Und was mir ins Herz mein Träumen schrieb,
     Der Traum verging, dein Bild nur blieb;
          Drum hab' ich die ganze lange Nacht
               An dich gedacht,
                    Mein Lieb!

      Ich geh' so meiner Wege hin;
Die Fluren lachen, die Sonne lacht;
Kaum weiß ich, warum ich traurig bin
Und was das Herz mir schwer gemacht;
     Wohin mich auch der Abend trieb: –
     Der Traum vergeht, dein Bild nur blieb;
          Drum hab' ich die ganze lange Nacht
               An dich gedacht.
                    Mein Lieb!

     Und wenn ich in Sturm und Wetter steh'
Und die Blitze jagen, der Donner grollt, –
Und wenn ich mit stillem Lächeln seh',
Wie's Blut mir über den Panzer rollt; –
     Hell klang des Stahles letzter Hieb, –
     Der Traum vergeht, dein Bild nur blieb;
          Drum hab' ich die ganze lange Nacht
               An dich gedacht,
                    Mein Lieb!

2.

Die Winde schwellen und jagen
     Auf Bergeshöhn in lustigem Chor;
Kampflieder, wettergetragen, –
     Die jubeln sie hell mir ins Ohr.

Und leise zu meinen Füßen,
     Da murmeln und murmeln die Wellen im Grund
Von weinenden Augen, von Küssen,
     Von ihrem rosigen Mund.

Die Lüfte rauschen und schwellen
     Und jauchzen und locken mit wildem Gebraus;
Still ziehen die träumenden Wellen –
     Die ziehn mir das Herz noch heraus.

3.

Ich hab' ein Schwert, – das will ich führen,
     Die alte Klinge, blitzeklar;
Und meine Laute will ich rühren,
     Wie keine noch gerühret war;

Wohl achten sie es wenig
     Was mich ins Leben trieb:
Das eine für meinen König,
     Das andre für mein Lieb!

Ich hab' ein Herz, – ich will es wagen
     Für sie an alles in der Welt;
Hab' eine Hand, – die will ich tragen
     In seiner Feinde Schloß und Zelt;
          Wohl achten sie es wenig,
               Was in den Kampf mich trieb:
          Das eine für meinen König,
               Das andre für mein Lieb!

Und wenn für sie in trübem Leide
     Der Laute letzte Saite klingt,
Und wenn für ihn im letzten Streite
     Mein treuer Stahl in Stücke springt,–
          Wohl achten sie es wenig,
               Was in den Tod mich trieb:
          Das eine für meinen König,
               Das andre für mein Lieb!

4.

Ich will nicht ruhn, noch rasten
     Und werd' nicht müde sehr,
Wär' mir's von hundert Lasten
     Auch um das Herz so schwer.

Ob dornig meine Fährte,
     Ob zitternd kracht der Steg,
Ob ich mit blankem Schwerte
     Mir bahnen muß den Weg, –

Ob hundert Blitze zuckten
     Im Astwerk grau und alt,
Ob alle Teufel spukten
     Im deutschen Eichenwald, –

Ob jeder Stern verschwinde
     Am Himmel, trüb und bleich,
Bis ich den Kaiser finde
     Vom heil'gen deutschen Reich!

Jung Volkmar trat am vierten Tag
Aus tiefem Waldesdunkel;
Hell jauchzt er auf; denn vor ihm lag
Ein lustiges Gefunkel;
Dort unten stand es, Zelt an Zelt,
Mit Wimpeln, zahllos bunten;
Dort unten lag die neue Welt,
Die endlich er gefunden.
Hei, die Trompeten schmettern drein.
Der Reiter Waffen blitzen!
Hei, tummeln sich in langen Reihn
Die flinken Bogenschützen!
Im jungen Herzen jubelt's nach;
Es jauchzt in Berg und Klüften;
Dort weht das Banner Wittelsbach
Stolz in den deutschen Lüften!

Horch, Pferdegetrappel! – ein stolzer Zug!
Rasch sprang der Knabe zur Seiten;
Im Schatten stand er, verborgen genug;
Mit Staunen sah er sie reiten!
Er sah nicht Purpur, er sah nicht Gold,
Nur blitzen die stählernen Ringe;
Er hört nicht Lauten, minnig und hold,
Nur rasseln Panzer und Klinge;
Er sah nicht Falken auf Frauenhand,
Nicht dienende Edelknaben,
Nicht tänzeln die Rosse im wirbelnden Sand;
Das war ein anderes Traben!
Es war kein Spiel, kein fröhlicher Reihn,
Kein Beugen zur Linken und Rechten;
Es schauten die Männer so düster drein
Als wollten sie lieber fechten!

Nur einem lächelt ein stolzes Glück
In des Auges freundlichem Sterne;
Nur einer schaute mit freiem Blick
In die wetterdrohende Ferne;
Drum flammt' es so blau, so siegesbewußt
Ihm unter der wallenden Feder;
Es wölbte so stolz die mächtige Brust
Sich unter dem Koller von Leder;
Es stand der Fuß mit sich'rer Gewalt
Im schlichten, ehernen Bügel;
Es trug die ganze, hohe Gestalt
So fest ihr kaiserlich Siegel.
Und Volkmar ward es, er wußt nicht: wie? –
Nicht tat er's in höfischen Sitten:
Im Dunkel der Eiche, da beugt er das Knie,
Bis sein Kaiser vorübergeritten.


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